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124_vpod-magi_ROP04 - vpod-bildungspolitik

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aktuell<br />

Ohnmacht – Allmacht.<br />

Zur Strukturlogik der<br />

Esoterik<br />

����<br />

Unter dem Stichwort «Esoterik» wird<br />

auf dem Markt neben Astrologie eine<br />

unübersichtliche Vielzahl therapeutischer<br />

Techniken, spiritueller Schriften<br />

und kultischer Gegenstände angeboten.<br />

Die Etablierung esoterischer Praktiken<br />

und Theorien ist kaum zu übersehen. Im<br />

Vordergrund der Arbeit von Chantal Magnin<br />

und Marianne Rychner steht die Frage<br />

nach der gesellschaftlichen Bedeutung<br />

von Esoterik: Welches Weltbild vermittelt<br />

Esoterik und welche Deutungsmuster liegen<br />

der besonderen Aufnahmebereitschaft<br />

für manifeste esoterische Inhalte<br />

zugrunde? Um diese Frage zu beantworten,<br />

werden eine esoterische Therapie und<br />

ein öffentlicher Vortrag nach dem methodischen<br />

Verfahren der objektiven Hermeneutik<br />

rekonstruiert. Anhand von drei Fallstudien<br />

wird die individuell unterschiedliche<br />

Verwendung und darüber hinaus die<br />

gesellschaftliche Funktion der Esoterik<br />

analysiert.<br />

Chantal Magnin / Marianne Rychner: Ohnmacht –<br />

Allmacht. Zur Strukturlogik der Esoterik.<br />

Schriftenreihe des Instituts für Soziologie,<br />

Universität Bern. 2. Auflage. Bern 2001.<br />

(155 S., A4, Fr. 18.- plus Versandkosten)<br />

Zu bestellen bei: Institut für Soziologie, Unitobler,<br />

Lerchenweg 36, 3000 Bern 9, Tel. 031 631 48 11<br />

10 <strong>vpod</strong> magazin <strong>124</strong>/01<br />

nicht überwunden, sondern geradezu<br />

überhöht und gerechtfertigt. Damit wird<br />

der Glaube an die Macht der Sterne zum<br />

nützlichen Instrument der Anpassung<br />

an schwer zu akzeptierende gesellschaftliche<br />

Realitäten und Machtgefüge.<br />

Der Lehrplan am Himmelszelt?<br />

Was bedeutet das für die Lehrerinnen<br />

und Lehrer? Welche spezifische Logik<br />

ist es, die ausgerechnet den Pädagogen<br />

�<br />

zu den Sternen greifen lässt, wenn Ratlosigkeit<br />

herrscht?<br />

Ein möglicher Ansatz zur Erklärung<br />

könnte in der Unerbittlichkeit von Lehrplänen<br />

und der Notwendigkeit von deren<br />

Umsetzung liegen. So muss in der<br />

Schule ein immenser standardisierter<br />

Wissensbestand – kraft pädagogischen<br />

Charismas – in die individuelle Wirklichkeit<br />

jedes Schülers, jeder Schülerin<br />

integriert werden.<br />

LehrerInnen haben den SchülerInnen<br />

zu vermitteln, was im schlimmsten Fall<br />

weder diese noch jene als sinnvoll begreifen.<br />

Die Motivation zu lernen und zu<br />

lehren fehlt deswegen häufig. Das Charisma<br />

der Pädagogin, des Pädagogen<br />

kann sich jedoch nur dann entfalten,<br />

wenn Schülerinnen und Schüler als autonome<br />

Subjekte lernen wollen, nicht<br />

aber, wenn sie ausschliesslich zur Erfüllung<br />

der Schulpflicht lernen müssen. 2<br />

Pädagogisches Handeln bewegt sich<br />

also im Spannungsfeld sich entfaltender<br />

Autonomie der Schülerinnen und Schüler<br />

bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur<br />

Integration gesellschaftlicher Normen.<br />

Die damit verbundene Gratwanderung<br />

zwischen individueller Autonomie und<br />

Anpassung ist bekanntlich ausserordentlich<br />

schwierig und die Versuchung,<br />

auftretende Probleme auf standardisiert-instrumentelle<br />

Weise zu lösen,<br />

gross. Dazu nun bietet die Astrologie<br />

Hand, indem sie die Dialektik von Autonomie<br />

und Anpassung aufzuheben versucht.<br />

Bei der Analyse von Zeitungshoroskopen<br />

kommt Adorno zu folgendem<br />

Schluss: «Die Situation ist einigermassen<br />

paradox: wer den herrschenden Lebensbedingungen<br />

sich anpassen will,<br />

muss die eigenen, partikularen Interessen<br />

– die des Individuums – rücksichtslos<br />

verfolgen, er muss sich anpassen<br />

durch Nicht-Anpassung. Andererseits<br />

erheischt die Entfaltung spontaner Individualität<br />

notwendig auch Anpassung,<br />

Identifikation mit dem Nicht-Ich. Individualität,<br />

emphatisch als solche genommen,<br />

bliebe abstrakt. Indem sie von der<br />

Objektivität sich abkapselt, verkümmert<br />

sie. Man verfehlt den Charakter einer<br />

Gesellschaft, die den Begriff der Anpassung<br />

zum Fetisch macht, sobald man<br />

die Begriffe Individualität und Anpassung<br />

voneinander isoliert und undialek-<br />

Sternenkarte: Knaurs Welt-Atlas, Berlin, 1936

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