E&W Dezember 2008 - GEW
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Erziehung<br />
undWissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 12/<strong>2008</strong><br />
Studie 1 ·TestergebnisA · Untersuchung 1 · Bildungsbericht<br />
2001 · Gutachten 2001 · Studie 2 ·<br />
Testergebnis B · Untersuchung 2 · Bildungsbericht<br />
2002 · Gutachten 2002 · Studie 3 · Testergebnis C ·<br />
Untersuchung 3 · Bildungsbericht 2003 · Gutachten<br />
2003 · Studie 4 ·Testergebnis D · Untersuchung 4 ·<br />
Bildungsbericht 2004 · Gutachten 2004 · Studie 5 ·<br />
Testergebnis E · Untersuchung 5 · Bildungsbericht<br />
2005 · Gutachten 2005 · Studie 6 · Testergebnis F ·<br />
Untersuchung 6 · Bildungsbericht 2006 · Gutachten<br />
2006 · Studie 7 · Testergebnis G · Untersuchung 7 ·<br />
Bildungsbericht 2007 · Gutachten 2007 · Studie 8 ·<br />
Testergebnis H · Untersuchung 8 · Bildungsbericht<br />
<strong>2008</strong>·Gutachten <strong>2008</strong> · Studie 9 ·Testergebnis I · Untersuchung<br />
9 · Bildungsbericht 2009 · Gutachten 2009<br />
Studie 10 · Testergebnis J · Untersuchung 10 · Bildungsbericht<br />
2010 · Gutachten 2010 ·Studie 11 ·Testergebnis<br />
K · Untersuchung 11 · Bildungsbericht 2011<br />
PISA-E<br />
Den Daten müssen<br />
endlichTaten folgen
GASTKOMMENTAR<br />
Forscher, nur Mut!<br />
Seit mehr als acht Jahren überhäufen uns<br />
internationale und nationale Wissenschaftler<br />
mit Studien, Testergebnissen, Untersuchungen<br />
und Bildungsberichten: Auf PISA<br />
weltweit folgt PISA Deutschland, jetzt zum<br />
dritten Mal. Die empirische Bildungsforschung<br />
boomt. Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan (CDU) schüttet ihr Füllhorn<br />
großzügig über dieser wissenschaftlichen<br />
Zunft aus und umgarnt sie mit zahllosen<br />
Beiräten, Kommissionen und Konsortien.<br />
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
liefern Berichte und Gutachten<br />
über Gutachten, die oft genug<br />
in den Schubladen der<br />
Ministerien verschwinden,<br />
bis sie auf dem Schreibtisch<br />
des unermüdlichen Karl-<br />
Heinz Reith der Nachrichtenagentur<br />
dpa auftauchen<br />
und kurzfristig hektische<br />
mediale und politische<br />
Reaktionen auslösen. Aus<br />
dem Boom der Forschung<br />
folgt nichts, zumindest nicht<br />
das, was folgen sollte: eine<br />
wissenschaftlich fundierte,<br />
gesamtstaatliche Bildungs-<br />
planung.<br />
Und sie wird auch erklärter- Jutta Roitsch<br />
maßen nicht gewollt, wie<br />
der so genannte Dresdner Bildungsgipfel<br />
dokumentiert hat (s. E&W 11/<strong>2008</strong>, Seiten<br />
26-28). Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU) hat keine tatsächliche Durch- und<br />
Umsetzungsmacht in der Bildungspolitik,<br />
jeder der 16 Ministerpräsidenten verfolgt<br />
eine je eigene Linie, die mit Bildungspolitik<br />
wenig zu tun hat. Das ist der eigentliche<br />
Skandal in Deutschland. Dies ist eine Folge<br />
der ersten Föderalismusreform aus dem<br />
Jahr 2006, die Merkel und Vizekanzler<br />
Franz Müntefering (SPD) damals als einen<br />
machtvollen Durchbruch feierten, zu dem<br />
nur eine Große Koalition fähig sei.<br />
Der angebliche Durchbruch wandelte sich<br />
in einen Abbruch. Eine gesamtstaatliche<br />
Bildungsplanung, wie sie schlecht und<br />
recht, aber immerhin in der Bund-Länder-<br />
Kommission für Bildungsplanung (BLK)<br />
über drei Jahrzehnte eingeübt worden war,<br />
beendeten die Großkoalitionäre mit einem<br />
Federstrich. Die „wirksamen Steuerungsinstrumente“,<br />
die sich Bund und Länder<br />
ausdenken wollten, stehen als Ankündigung<br />
immer noch auf der Homepage des<br />
Bundesbildungsministeriums. Die Kultusminister<br />
sprechen neuerdings verschwiemelt<br />
von ländereinheitlichen oder länder-<br />
2 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
übergreifenden Maßnahmen, so als gäbe<br />
es die Bundesrepublik nicht, sondern einen<br />
losen Staatenbund. Zu einer gesamtstaatlichen<br />
Verantwortung für die Bildung und<br />
Ausbildung der Kinder und Jugendlichen in<br />
Deutschland haben sich weder die Kultusminister<br />
noch die Ministerpräsidenten<br />
durchringen können. Sie leben den föderalen<br />
Wettbewerb aus und sind Darsteller in<br />
eigener Sache.<br />
Dies betrifft nicht nur die Bildungs-, sondern<br />
auch die Integrationspolitik, die in<br />
Berlin mit bombastischem Forschungs- und<br />
Kommissionsaufwand beschworen<br />
wird und dann in<br />
den Ländern versickert.<br />
Doch hier ereignete sich<br />
jetzt Erstaunliches: Sonst<br />
stets um das Wohlwollen<br />
der Regierenden bemühten<br />
Wissenschaftlern und noblen<br />
Stiftungen riss der Geduldsfaden.<br />
Mitte Oktober<br />
<strong>2008</strong> setzten acht deutsche<br />
Stiftungen einen unabhängigen,<br />
ehrenamtlich arbeitendenSachverständigenrat<br />
Integration und Migration<br />
nebst Geschäftsstelle<br />
ein. Der Rat soll das Themenfeld<br />
Integration systematisch,<br />
kontinuierlich und unabhängig<br />
kritisch begleiten. Dieser Schritt ist bisher<br />
einmalig und sagt viel über das Verhältnis<br />
von Wissenschaft und Politik aus. Er schafft<br />
neue Fakten, löst die Forscher aus der politischen<br />
Abhängigkeit wie Einbindung und<br />
gibt ihnen ein Stück (Bewegungs- und Meinungs-)Freiheit<br />
zurück. Großartig.<br />
Ein solcher Schritt ist auch für das gesellschaftspolitisch<br />
ebenso entscheidende<br />
Themenfeld Bildung fällig. Bildungsforscher,<br />
die sich nun acht Jahre die immer<br />
wiederkehrenden Reflexe und Ignoranzen<br />
der Politiker in Bund und Ländern zugemutet<br />
haben, sollten so entschlossen wie der<br />
Rat für Integration ihre Unabhängigkeit<br />
zurückerobern. Ein solches zweites Signal<br />
durch die Stiftungen könnte die Politik<br />
nachhaltig (ver-)stören. Nur Mut, Bildungsforscher<br />
und Stifter, die Kinder und Jugendlichen,<br />
die Jahr für Jahr im Bildungssystem<br />
scheitern und in der Ausbildung abgehängt<br />
werden, brauchen gewichtige Fürsprecher.<br />
Sonst passiert nichts.<br />
Foto: privat<br />
Jutta Roitsch, Bildungsjournalistin, ehem.<br />
Redakteurin der Frankfurter Rundschau<br />
Prämie<br />
des Monats<br />
Seite 5<br />
Engagement zahlt sich doppelt aus:<br />
Werben Sie im <strong>Dezember</strong> ein neues<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglied und spenden Sie damit<br />
30 Euro für ein internationales<br />
Hilfsprojekt. Es danken Ihnen: die<br />
<strong>GEW</strong> und ein Mensch, der Unterstützung<br />
braucht!<br />
Impressum<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 60. Jg.<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />
Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />
Redaktion: Ulf Rödde (verantwortlich),<br />
Helga Haas-Rietschel.<br />
Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />
Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />
Internet: www.gew.de<br />
Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />
Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />
am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />
Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />
Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />
Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />
Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />
enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />
jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />
MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />
Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />
Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />
E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />
und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />
übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />
Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />
Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />
Goldammerweg 16, 45134 Essen;<br />
Verantw. f. Anzeigen: Mathias Müller,<br />
Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />
anzeigen@stamm.de; www.stamm.de;<br />
zz. gültige Anzeigenpreisliste Nr. 36 vom 1. 1. 2007;<br />
Anzeigenschluss am 5. des Vormonats.<br />
E&W wird auf chlorfrei<br />
gebleichtem Papier gedruckt.<br />
ISSN 0342-0671
Vorbild Sachsen? – fragt Jürgen Amendt in unserer Titelgeschichte<br />
zur aktuellen PISA-Ergänzungsstudie. Kaum<br />
Neues und Besseres resümiert Karlheinz Rosenzweig über<br />
die Ergebnisse. Auf ein methodisches Chaos des deutschen<br />
PISA-Konsortiums weist Marianne Demmer hin. Was bringen<br />
die Vergleiche für Lehrende und Lernende?<br />
Klaus-Jürgen Tillmann macht deutlich, dass PISA-Befunde<br />
vor allem machtpolitischem Kalkül dienen. Die Schülerleistungen<br />
differieren zwischen den Ländern zum Teil sehr<br />
stark. Klaus Klemm sieht einen deutlichen Zusammenhang<br />
mit den unterschiedlichen sozioökonomischen Bedingungen.<br />
Fest steht: Die Kernprobleme des deutschen Bildungssystems<br />
bleiben nach wie vor ungelöst. Weitere Beiträge<br />
von Jutta Roitsch und Eckhard Stengel.<br />
Schwerpunkt PISA-E ab Seite 6<br />
Gastkommentar<br />
Forscher, nur Mut! Seite 2<br />
Impressum Seite 2<br />
Auf einen Blick Seite 4<br />
Prämie des Monats Seite 5<br />
Titel: PISA-E<br />
1. Vorbild Sachsen? Seite 6<br />
2. Bremen: „Richtig unter Dampf“ Seite 10<br />
3. Bundesländervergleich – zum Letzten Seite 13<br />
4. Testen – testen – testen Seite 16<br />
5. Gleichwertige Lebensverhältnisse? Seite 18<br />
6. Machtpolitisches Kalkül bestimmt Reformen Seite 21<br />
7. „Wir brauchen keinen weiteren Sonderschultyp“ Seite 23<br />
Tarifrunde 2009<br />
1. Geld ist genug da, ... Seite 24<br />
2. Eine unendliche Geschichte:<br />
Ohne Druck keine akzeptable Entgeltordnung Seite 24<br />
Wirtschaftspolitik<br />
Finanzmarktkrise: Geplatzte Illusionen Seite 26<br />
Bildungspolitik<br />
1. Kommentar: Migrantenkinder massiv fördern Seite 28<br />
2. Interview mit Andreas Meyer-Lauber:<br />
„Motivation funktioniert nicht über Geld“ Seite 29<br />
Foto: Christian Nitsche<br />
Die E&W-Redaktion wünscht allen Leserinnen<br />
und Lesern ein friedliches, besinnliches und<br />
fröhliches Weihnachtsfest und ein gesundes,<br />
anregendes und produktives 2009!<br />
Berufliche Bildung/Weiterbildung<br />
1. Schule bildet nicht nur für die Wirtschaft aus Seite 30<br />
2. Herbstakademie Weiterbildung: Ohne Druck geht es nicht Seite 31<br />
Gender<br />
1. Gendergerechtigkeit in der Schule Seite 32<br />
2. Kommentar: Wir brauchen genderkompetente Lehrkräfte Seite 33<br />
Hochschule und Forschung<br />
1. KISSWIN-Kongress:<br />
„Googelst du noch oder forschst du schon?“ Seite 34<br />
2. Kommentar: Berechenbare Karriereperspektiven Seite 35<br />
Internationales<br />
Spenden für Südafrika: „Häuser jetzt!“ Seite 36<br />
<strong>GEW</strong>-Intern<br />
1. BFW: Schulpartnerschaft mit Nicaragua Seite 37<br />
2. BFW Seite 38<br />
Marktplatz Seite 41<br />
Leserforum Seite 43<br />
Diesmal Seite 48<br />
Titel: Werbeagentur Zimmermann<br />
Liebe Kolleginnen<br />
und Kollegen,<br />
in der Heftmitte dieser E&W-<br />
Ausgabe findet ihr zwei Flugblätter<br />
aus der Mitgliederwerbe-Serie<br />
„Auf ein Wort...“. Flugblatt<br />
eins richtet sich an Beschäftigte<br />
in Schulen, Flugblatt<br />
zwei thematisiert die Arbeitsbedingungen<br />
in Hochschule und<br />
Forschung. Nutzt die Infos, um<br />
Kolleginnen und Kollegen aus<br />
eurem Arbeitsumfeld auf eine<br />
Mitgliedschaft in der <strong>GEW</strong> anzusprechen.<br />
Insbesondere mit<br />
Blick auf die ins Haus stehende<br />
Tarif- und Besoldungsrunde<br />
2009.<br />
Die ersten Rückmeldungen auf<br />
diese Aktion sind positiv – und<br />
damit ermutigend. Deshalb gehen<br />
wir jetzt in die dritte Runde.<br />
Je mehr Mitglieder für die <strong>GEW</strong><br />
stehen, desto größer ist ihre<br />
Durchsetzungskraft. Das gilt für<br />
die Beamten- und Tarifpolitik<br />
ebenso wie in der Bildungspolitik.<br />
Deshalb schon jetzt: Vielen<br />
Dank für eure Unterstützung!<br />
Ilse Schaad, Ulf Rödde<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 3
AUF EINEN BLICK<br />
Infos zu TALIS:<br />
http://www.oecd.org/d<br />
ocument/0/0,3343,en_<br />
2649_39263231_380521<br />
60_1_1_1_1,00.html#4<br />
Rund 100 000<br />
Schülerinnen und<br />
Schüler protestierten<br />
Anfang<br />
November bundesweit<br />
gegen<br />
die Bildungsmisere<br />
in<br />
Deutschland.<br />
<strong>GEW</strong> befragt Lehrkräfte und Schulleitungen zur Arbeitssituation<br />
Die Kultusminister wollen zwar nicht wissen, was wir denken, wir sagen es ihnen aber trotzdem: In der ersten <strong>Dezember</strong>woche<br />
startet die <strong>GEW</strong> eine für Mitglieder im Schulbereich repräsentative Mail-Online-Befragung über deren berufliche Situation. Die<br />
für die Stichprobe gezogenen Mitglieder werden per E-Mail benachrichtigt. Die <strong>GEW</strong> bittet die Mitglieder, an der Umfrage teilzunehmen.<br />
Bis zum 31. <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong> können die Fragebögen ausgefüllt werden. Nachdem die Kultusminister der Länder es abgelehnt<br />
hatten, sich an TALIS (Teaching and Learning International Survey), einer internationalen Lehrer-Befragung der OECD,<br />
zu beteiligen, ist jetzt die Bildungsgewerkschaft in die Bresche gesprungen.<br />
24 Länder der OECD nehmen an der TALIS-Umfrage teil. Diese Staaten haben erkannt, dass die Probleme des Bildungsbereichs<br />
nur dann erfolgreich angepackt werden können, wenn die berufliche Lage, das professionelle Wissen und Können sowie die Einstellungen<br />
der Lehrkräfte und Schulleitungen zu ihrer Tätigkeit und gegenüber den Schülern einbezogen werden. Die <strong>GEW</strong> will<br />
Pädagoginnen und Pädagogen sowie Schulleitungen die Möglichkeit geben, sich an der internationalen Debatte über die Weiterentwicklung<br />
ihrer Profession zu beteiligen. Deshalb führt die Bildungsgewerkschaft die Befragung – mit Einverständnis der<br />
OECD – auf der Grundlage der TALIS-Fragebögen durch. Die Daten verbleiben bei der <strong>GEW</strong>, die Auswertung übernehmen Experten.<br />
Darüber hinaus können sich alle anderen Lehrkräfte für eine (nicht repräsentative) Sonderauswertung ab Anfang <strong>Dezember</strong> an<br />
der Befragung über die Homepage der <strong>GEW</strong> www.gew.de beteiligen.<br />
Schülerproteste gegen Bildungsmisere<br />
Rund 100 000 Schülerinnen<br />
und Schüler haben Anfang<br />
November bundesweit gegen<br />
die Bildungsmisere in<br />
Deutschland protestiert. Der<br />
überwiegend friedliche Protest<br />
richtete sich gegen Unterrichtsausfall,Lehrermangel,<br />
Turboabitur, Prüfungsstress<br />
und das gegliederte, selektive<br />
Schulsystem. Die<br />
<strong>GEW</strong> begrüßte die Schülerproteste.<br />
Schüler wie Lehrkräfte<br />
benötigten „gute Schulen und gute Lernbedingungen“,<br />
sagte Marianne Demmer, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />
Schule. Die Forderungen der Schüler deckten sich mit<br />
vielen Vorschlägen zur qualitativen Verbesserung des Schulwesens,<br />
die die <strong>GEW</strong> gemacht hat. Auch die Bildungsgewerkschaft<br />
setze sich, so Demmer, für die Verwirklichung von mehr<br />
Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen ein.<br />
4 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Foto: imago<br />
Berliner Beschäftigte erstreiken Tarifkompromiss<br />
Nach massiven Streiks der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Berlin im<br />
Oktober (s. E&W 11/<strong>2008</strong>) und Anfang November – daran hatten sich jeweils<br />
über 8000 angestellte Lehrkräfte beteiligt – erzielten die Gewerkschaften des<br />
öffentlichen Dienstes ver.di und <strong>GEW</strong> mit den Arbeitgebern einen Tarifkompromiss.<br />
Das Ergebnis der Urabstimmung der Mitglieder lag bei Redaktionsschluss<br />
noch nicht vor. Die <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende Rose-Marie Seggelke geht<br />
davon aus, „dass das nötige Urabstimmungsquorum erreicht wird“. Die tariflichen<br />
Regelungen im Einzelnen:<br />
● Die monatliche Vergütung wird ab dem 1. Juni 2009 für Vollbeschäftigte um<br />
35 Euro (Sockelbetrag) erhöht und dauerhaft, also über <strong>Dezember</strong> 2009 hinaus,<br />
gezahlt.<br />
● 2009 werden Tarifverhandlungen zur Übernahme des Tarifvertrages der<br />
Länder bzw. des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TV-L/TVöD) zum 1.<br />
Januar 2010 geführt.<br />
● Innensenator Ehrhart Körting (SPD) signalisierte, er sei zu Gesprächen bereit,<br />
wenn in der bundesweiten Tarifrunde 2009 im Bereich des TV-L Einkommensverbesserungen<br />
vereinbart werden.<br />
● Die Absenkungsregelungen gemäß Anwendungstarifvertrag laufen zum 31.<br />
<strong>Dezember</strong> 2009 definitiv aus.<br />
Weitere Infos s. auch: www.gew-berlin.de<br />
Riester-Zulage für 2006 beantragen<br />
Alle angestellten Lehrkräfte in den östlichen Bundesländern<br />
und alle anderen Beschäftigten im Tarifgebiet Ost, die bei der<br />
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) pflichtversichert<br />
sind, haben für ihren Arbeitnehmerbeitrag zur Zusatzversorgung,<br />
den der Arbeitgeber automatisch von ihrem<br />
Gehalt einbehält, Anspruch auf „Riester“-Förderung (Altersvorsorgezulagen<br />
und Steuerbefreiung). Die Zulagen gibt es<br />
nur auf Antrag. Die volle Steuerförderung erhält nur, wer zuvor<br />
Zulagen beantragt hat. Dabei genügt es, einmal über die<br />
Personalstelle an die VBL einen Dauer-Zulagenantrag zu stellen,<br />
dieser bleibt für die Folgejahre gültig. Viele Kolleginnen<br />
und Kollegen haben jedoch noch keine Anträge gestellt. Für<br />
die Riester-Zulagen für 2006 läuft die Antragsfrist Ende <strong>2008</strong><br />
ab. Wer sie nicht einhält, verschenkt Geld! Auch für Kolleginnen<br />
und Kollegen, die einen privaten Riester-Vertrag abgeschlossen<br />
haben, ist der Zulagenantrag bei der VBL interessant,<br />
weil diese dann in ihren Privat-Vertrag weniger einzahlen<br />
müssen, um die Höchstförderung zu erhalten. Auskünfte erteilen<br />
neben den Personal- auch die <strong>GEW</strong>-Landesrechtsschutzstellen.<br />
Kommunen müssen Klassenfahrten<br />
für Hartz IV-Kinder zahlen<br />
Müssen Kinder von Hartz IV-Empfängern<br />
zu Hause bleiben, wenn ihre Mitschüler auf<br />
Klassenfahrt gehen? Nein! Das Bundessozialgericht<br />
hat jetzt aufgrund der Klage einer<br />
Berliner Familie entschieden: Die Kommunen<br />
müssen die gesamten Kosten für Klassenfahren<br />
übernehmen. Höchstgrenzen<br />
festzulegen erlaube das Sozialgesetz nicht,<br />
befand das Bundessozialgericht. „Kinder sollen<br />
gerade im schulischen Bereich nicht<br />
benachteiligt werden“, hieß es in der Urteilsbegründung.<br />
Die Behörden sind damit verpflichtet,<br />
einen Zuschuss und nicht nur ein<br />
Darlehen zum Arbeitslosengeld II zu gewähren.<br />
Allerdings müssen die Klassenfahrten,<br />
damit die Kosten erstattet werden, die<br />
entsprechenden schulrechtlichen Bestimmungen<br />
der einzelnen Länder erfüllen.<br />
(Az: B 14 AS 36/07 R)
#<br />
Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />
Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />
...für jedes neu geworbene <strong>GEW</strong>-Mitglied unternehmen Sie etwas gegen den Hunger in derWelt.<br />
Antrag auf<br />
Mitgliedschaft<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
Land/PLZ/Ort<br />
Geburtsdatum/Nationalität<br />
Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />
Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet,den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und<br />
seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen.<br />
Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der <strong>GEW</strong> an und ermächtige<br />
die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich,den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag vierteljährlich<br />
von meinem Konto abzubuchen.<br />
Ort/Datum Unterschrift<br />
Daten desWerbers<br />
Ich habe die oben genannte Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
PLZ/Ort<br />
Prämie des Monats <strong>Dezember</strong><br />
Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />
- Beamtinnen und Beamte zahlen 0,75 Prozent der 6. Stufe.<br />
- Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />
- Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />
- Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />
- Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />
- Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />
- Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />
Weitere Informationen sind der Beitragsordnung zu entnehmen.<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />
Name/Ort der Bank<br />
Kontonummer BLZ<br />
Besoldungs-/Entgeltgruppe gültig seit Stufe Bruttoeinkommen € monatlich<br />
Betrieb/Dienststelle Träger<br />
Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Mitmachen<br />
lohnt sich!<br />
Eine 30-Euro-Spende für internationale Organisationen<br />
(Bitte wählen Sie zwischen dem Heinrich-Rodenstein-Fonds und derWelthungerhilfe)<br />
Spende für dieWelthungerhilfe<br />
Spende für den<br />
Heinrich-Rodenstein-Fonds<br />
E+W-Prämie des<br />
Monats <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong>/<br />
Spende<br />
Beschäftigungsverhältnis<br />
angestellt<br />
beamtet<br />
Honorarkraft<br />
in Rente<br />
pensioniert<br />
Altersübergangsgeld<br />
arbeitslos<br />
beurlaubt ohne Bezüge<br />
teilzeitbeschäftigt mit<br />
Prozent<br />
im Studium<br />
ABM<br />
Vorbereitungsdienst/<br />
Berufspraktikum<br />
befristet bis<br />
Sonstiges<br />
Bitte den Antrag vollständig<br />
ausfüllen und<br />
an folgende Adresse<br />
senden:<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Brigitte Stamm<br />
Reifenberger Straße 21<br />
60489 Frankfurt a.M.<br />
Fax:069/78973-102<br />
Vielen Dank!<br />
Ihre <strong>GEW</strong><br />
Dieses Angebot gilt nur für <strong>GEW</strong>-Mitglieder.
Vorbild S<br />
Im ostdeutschen Freistaat ticken die PISA-Uhren etwas anders<br />
6 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong>
achsen?<br />
Sachsen hat im aktuellen innerdeutschen PISA-Vergleich<br />
am besten abgeschnitten. Steht in allen getesteten<br />
Disziplinen – Naturwissenschaften, Mathematik,<br />
Lese- und Textverständnis – an der Spitze und verweist<br />
damit den bisherigen Spitzenreiter Bayern auf<br />
den zweiten Rang. Der Lernvorsprung zum Schlusslicht<br />
Bremen beträgt bis zu zwei Schuljahre (s. Seite<br />
10). Sind ein zweigliedriges Schulsystem, kleinere<br />
Klassen, bessere Lehrerversorgung die Gründe für das<br />
relativ hohe Leistungsniveau sächsischer Schülerinnen<br />
und Schüler? Bestätigen die PISA-Ergebnisse (s. Seite<br />
13 f.) die Schulpolitik des Freistaats? Ist Sachsen,<br />
schulisch gesehen, also Vorbild?<br />
*Im Schnitt gibt<br />
Deutschland 5 100 Euro<br />
pro Schüler aus.<br />
**Quelle: Sächsischer<br />
Bildungsbericht<br />
2007/08, er bezieht sich<br />
auf das Statistische Bundesamt<br />
und „eigene Berechnungen“.<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 7<br />
Foto: Christian Nitsche
PISA-E<br />
Viel Druck am<br />
sächsischen Gymnasium:<br />
„Das<br />
Niveau unserer<br />
Vergleichstests<br />
ist zu hoch“,<br />
kritisiert Schulleiterin<br />
Uta<br />
Machner.<br />
*Im Schnitt gibt<br />
Deutschland 5100 Euro<br />
pro Schüler aus.<br />
**Quelle: Sächsischer<br />
Bildungsbericht<br />
2007/08, er bezieht sich<br />
auf das Statistische<br />
Bundesamt und<br />
„eigene<br />
Berechnungen“.<br />
Die sächsische<br />
<strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende<br />
Sabine<br />
Gerold: „Wir hatten<br />
nach der Wende<br />
durch stabile<br />
politische Mehrheiten<br />
eine gewisse<br />
Kontinuität<br />
in der Bildungspolitik.<br />
Das ist für<br />
die Arbeit von<br />
Lehrerinnen und<br />
Lehrern immer<br />
hilfreich.“<br />
Foto: <strong>GEW</strong> Sachsen Foto: Ulli Winkler<br />
Brauner, abgeblätterter Putz,<br />
kaputte Fensterscheiben –<br />
sieht so eine deutsche PISA-<br />
Sieger-Schule aus? Das Humboldt-Gymnasium<br />
im Leipziger<br />
Stadtteil Reudnitz hat<br />
schon bessere Zeiten erlebt. 100 Jahre alt<br />
ist die Schule in diesem Jahr geworden.<br />
Das Gebäude, in dem die rund 600<br />
Zehn- bis 18-Jährigen täglich lernen,<br />
macht den Eindruck, als ob der Zahn<br />
der Zeit doppelt so lange an der<br />
Substanz genagt hat. „Das wird alles besser“,<br />
sagt Schulleiterin Uta Machner<br />
gleich beim Empfang. „Im nächsten<br />
Jahr beginnt die Sanierung des Gebäudes.“<br />
Zwei Lernprofile<br />
Das pädagogische Innenleben der<br />
Schule ist dagegen schon vor Jahren saniert<br />
worden. Hier lernen angehende<br />
Musiker und bildende Künstler Tür an<br />
Tür mit späteren Ingenieuren, Informatikern<br />
oder Biologen. Das Humboldt-<br />
Gymnasium bietet dazu zwei Lernprofile<br />
an: eine naturwissenschaftlichtechnisch<br />
orientierte Fächerwahl und<br />
eine Kombination aus Kunst und Musik.<br />
Im jeweiligen Schwerpunkt wird<br />
zusätzlich eine Stunde pro Woche interdisziplinär<br />
unterrichtet, so sind im<br />
Profilbereich Naturwissenschaften die<br />
Fächer Physik, Chemie und Biologie<br />
zu einem Fach zusammengefasst. An<br />
drei Tagen in der Woche bleiben die<br />
Kinder und Jugendlichen auch nachmittags<br />
in der Schule. Es gibt Hausaufgabenbetreuung<br />
und Förderunterricht<br />
sowohl für Leistungsschwächere wie<br />
auch für die besonders Begabten. Das<br />
gelte vor allem für den Bereich Naturwissenschaft/Mathematik,<br />
für den es<br />
Kooperationsvereinbarungen mit den<br />
örtlichen Hochschulen gebe. Hierdurch<br />
könnten bereits Achtklässler<br />
Uni-Luft schnuppern.<br />
Das Gymnasium liegt damit auf der<br />
vom sächsischen Schulministerium vorgegebenen<br />
Linie. Dieses hatte nach der<br />
ersten PISA-Studie verkündet: Wir sind<br />
gut, wollen aber noch besser werden!<br />
Der Schwerpunkt liegt dabei auf einem<br />
Ausbau des fächerübergreifenden, interdisziplinären<br />
Unterrichts sowie von<br />
Ganztagsangeboten. Außerdem wird<br />
Informatik-Bildung – in anderen Bundesländern<br />
oft stiefmütterlich behandelt<br />
– seit der ersten PISA-Studie als verbindlicher<br />
Lerninhalt bereits in der<br />
Grundschule vermittelt.<br />
Sachsen hat nach PISA aber noch andere<br />
Schlussfolgerungen gezogen. Eine davon<br />
heißt: Wenn wir im innerdeutschen<br />
Vergleich gut abschneiden, dann haben<br />
8 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Foto: Ulli Winkler<br />
Am Humboldt-Gymnasium in Leipzig blättert der Putz ab. Das 100-jährige Gebäude<br />
ist höchst renovierungsbedürftig. Das schulische Innenleben dagegen ist schon vor<br />
Jahren saniert worden. Hier lernen angehende Musiker und bildende Künstler Tür an<br />
Tür mit späteren Ingenieuren, Informatikern oder Biologen.<br />
wir schon vor PISA alles richtig gemacht!<br />
Bei der sächsischen Bildungsagentur<br />
verweist man auf die im Bundesvergleich<br />
überdurchschnittlichen<br />
Ausgaben von 5800 Euro jährlich pro<br />
Schüler*, die zentralen Abschlussprüfungen,<br />
das Abitur nach der 12. Klasse<br />
sowie die Wiedereinführung der Ziffernnoten<br />
schon für Zweitklässler Mitte der<br />
1990er-Jahre. Zudem sei die Klassengröße<br />
gerade in der Sekundarstufe I kleiner<br />
als in anderen Ländern. Während<br />
bundesweit 2007 in den Klassen 5 bis 10<br />
statistisch gesehen 24,7 Kinder pro Klasse<br />
lernten, seien es in Sachsen zwei<br />
Schüler weniger gewesen. Kleinere Klassen,<br />
aber auch eine bessere Lehrerversorgung<br />
– in der Sekundarstufe I: 12,4<br />
Schüler pro Lehrer – schaffen vergleichsweise<br />
gute Lern- und Arbeitsbedingungen.<br />
Schlussfolgerungen nach PISA<br />
Ergänzt werden diese Maßnahmen<br />
durch so genannte Orientierungsarbeiten<br />
in den Fächern Deutsch und Mathematik<br />
in den dritten Klassen sowie zusätzlich<br />
in Englisch an den Mittelschulen<br />
und Gymnasien in den Klassenstufen<br />
6 und 8. „Das Niveau dieser Tests ist<br />
zu hoch“, kritisiert Uta Machner. „Die<br />
Ergebnisse fallen schlechter aus als die<br />
Leistungen, die die Schüler während des<br />
ganzen Jahres über erbringen.“ Sie setzt<br />
deshalb darauf, dass mit der von der<br />
Landesregierung versprochenen Um-<br />
stellung auf Kompetenztests, die nicht<br />
benotet werden müssen, der Druck auf<br />
Lehrer wie Schüler ab dem nächsten<br />
Schuljahr weniger wird.<br />
Die sächsische <strong>GEW</strong>-Vorsitzende Sabine<br />
Gerold ist nicht ganz so optimistisch. Sie<br />
fürchtet, dass sich inhaltlich an den Vergleichstests<br />
nicht viel ändern wird und<br />
dass die Arbeiten zu einem Schulranking<br />
missbraucht werden könnten. Sie<br />
teilt auch nur bedingt die Zufriedenheit<br />
des Schulministeriums in Dresden mit<br />
dem sehr guten Abschneiden sächsischer<br />
Schüler beim innerdeutschen<br />
PISA-Test (PISA-E). Im Freistaat seien<br />
die sozialen Unterschiede noch nicht so<br />
groß wie in vielen westdeutschen Ländern<br />
(s. Seite 18 f.). Zudem haben hier,<br />
wie ein Blick in die Statistik zeige, Migranten<br />
weniger Probleme mit dem<br />
Schulsystem und umgekehrt. So gehen<br />
42 Prozent der jungen Vietnamesen, die<br />
ein Viertel der rund 3,7 Prozent Schüler<br />
mit Migrationshintergrund** im Land<br />
stellen, aufs Gymnasium. Insgesamt<br />
stieg der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund<br />
an den Gymnasien in<br />
den vergangenen fünf Jahren von 1,9 auf<br />
3,6 Prozent. Am Leipziger Humboldt-<br />
Gymnasium sind es vor allem Schüler<br />
aus den GUS-Staaten, die durch gute<br />
Leistungen glänzen.<br />
<strong>GEW</strong> ist nicht optimistisch<br />
Der erste sächsische Bildungsbericht,<br />
den Schulminister Roland Wöller (CDU)
Anfang Oktober<br />
<strong>2008</strong> vorlegte, bestätigt<br />
die PISA-<br />
Befunde. Die<br />
Übertrittsquote<br />
auf die Gymnasien<br />
nach der vierten<br />
Klasse ist im<br />
vergangenen<br />
Schuljahr landesweit<br />
auf 50,5 Prozent<br />
gestiegen,<br />
die Unterschiede<br />
zwischen den<br />
Landkreisen sind<br />
gering. Sachsen<br />
nimmt damit eine<br />
Spitzenposition<br />
unter allen 16<br />
Bundesländern<br />
ein. Die Befürchtungen,Gymnasiallehrerversuchten,leistungsschwächereKinder<br />
auf die Mittelschulenabzustufen,<br />
haben sich<br />
nicht bewahrheitet.<br />
Sachsenweit<br />
liegt die entsprechende<br />
Quote<br />
jährlich bei rund<br />
zwei Prozent. Sabine<br />
Gerold sieht<br />
den Grund auch<br />
in der Ausbildung<br />
der Lehrer, die ihr<br />
Handwerk in der<br />
Regel noch in der<br />
DDR gelernt und<br />
daher „einen<br />
Blick für die Notwendigkeitindividueller<br />
Förderung” hätten.<br />
Allerdings bleiben auf dem Weg zum<br />
Abitur in den höheren Klassen überdurchschnittlich<br />
viele Schüler auf der<br />
Strecke. An Uta Machners Schule liegt<br />
die Durchfallerquote jährlich bei fünf<br />
bis zehn Prozent, landesweit haben im<br />
vergangenen Schuljahr fast zehn Prozent<br />
der Zwölftklässler die hohe Messlatte<br />
des sächsischen Zentralabiturs<br />
nicht überspringen können und die Tendenz<br />
der vergangenen Jahre ist laut Bildungsbericht<br />
ansteigend.<br />
Im sächsischen Schulministerium sieht<br />
man solche Zahlen ganz und gar nicht<br />
gerne und verweist lieber auf die Bildungsangebote<br />
der Mittelschulen.<br />
Roman Schulz von der Regionalstelle<br />
Leipzig der sächsischen Bildungsagentur<br />
betont, dass Schulen, in denen<br />
Haupt- und Realschüler gemeinsam ler-<br />
nen, anderen unionsgeführten Ländern<br />
heute als Vorbild dienten. Die bildungspolitische<br />
Sprecherin der Linksfraktion<br />
im sächsischen Landtag, Cornelia Falken,<br />
sieht diese Vorbildfunktion dagegen nur<br />
bedingt. Zum einen sei es begrüßenswert,<br />
dass man in Sachsen nicht den<br />
Fehler gemacht habe, nach der Wende<br />
das dreigliedrige System aus dem Westen<br />
zu importieren und auf die Hauptschule<br />
verzichtet hat. Andererseits gebe<br />
es natürlich auch in den Mittelschulen<br />
eine Aufspaltung der Schülerschaft in<br />
Haupt- und Realschulklassen, kritisiert<br />
Falken. Und die von der sächsischen<br />
Landesregierung gebetsmühlenartig beschworene<br />
Durchlässigkeit des zweigliedrigen<br />
Schulsystems existiere nur in der<br />
Theorie.<br />
Nach dem Ansturm auf die Gymnasien<br />
nach der vierten Klasse mauert man<br />
auch in Sachsen: Zwischen der fünften<br />
und der zehnten Klasse liegt die Übertrittsquote<br />
von den Mittelschulen auf<br />
die Gymnasien im Schnitt bei 0,5 Prozent<br />
pro Jahr.<br />
Sabine Gerold wiederum betont, dass der<br />
Freistaat mit seinem System aus Mittelschule<br />
und Gymnasium lediglich das<br />
Leistungspotenzial eines gegliederten<br />
Schulsystems optimal ausschöpfe. „Wer<br />
bessere Bildung will, muss auch die<br />
Schulstruktur verändern.“ Und vielleicht,<br />
gibt sie zu bedenken, sei das Geheimnis<br />
des sächsischen PISA-Erfolgs viel profaner.<br />
„Wir hatten nach der Wende durch<br />
stabile politische Mehrheiten eine gewisse<br />
Kontinuität in der Bildungspolitik,<br />
und das ist für die Arbeit von Lehrerinnen<br />
und Lehrern immer hilfreich.“<br />
Jürgen Amendt, Redakteur<br />
„Neues Deutschland“<br />
Foto: Christian Nitsche<br />
PISA-E<br />
Es gibt Hausaufgabenbetreuung<br />
und Förderunterricht<br />
für Leistungsschwächere<br />
wie auch für die<br />
besonders Begabten<br />
am Leipziger<br />
Humboldt Gymnasium.<br />
Das gilt vor<br />
allem für den BereichNaturwissenschaft/Mathematik.<br />
Der erste sächsischeBildungsbericht,<br />
den<br />
Schulminister<br />
Roland Wöller<br />
(CDU) im Oktober<br />
<strong>2008</strong> vorlegte,<br />
bestätigt die<br />
PISA-Befunde:<br />
Die Übertrittsquote<br />
auf die<br />
Gymnasien nach<br />
der vierten Klasse<br />
ist im vergangenen<br />
Schuljahr<br />
landesweit auf<br />
50,5 Prozent gestiegen.<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 9<br />
Foto: imago
PISA-E<br />
Bremen war und<br />
ist bei PISA stets<br />
das Schlusslicht:<br />
Das Sek I-Schulzentrum<br />
Wilhelm-<br />
Olbers-Schule<br />
dürfte einst zum<br />
schlechten Abschneiden<br />
der<br />
Hansestadt beigetragen<br />
haben.<br />
Aber seitdem hat<br />
sich viel getan.<br />
„Richtig unter Dampf“<br />
Mehr Stress durch PISA in Bremen<br />
Bremen war bei den bisherigen PISA-<br />
Studien stets das Schlusslicht und ist es<br />
auch wieder beim dritten PISA-Bundesländervergleich<br />
(s. Seite 13 f.).<br />
Trotzdem hat sich in dem Stadtstaat<br />
viel getan. Bei den Leistungszuwächsen<br />
der Schüler, die PISA von 2000<br />
bis 2006 festgestellt hat, liegt die Hansestadt<br />
auf den vordersten Plätzen.<br />
Was Praktiker von den PISA-Reformen<br />
an der Weser halten und wie sich<br />
der pädagogische Arbeitsalltag dadurch<br />
verändert hat, zeigt E&Wam<br />
Beispiel eines Bremer Sek I-Schulzentrums.<br />
10 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Schön bunt ist es hier,<br />
draußen wie drinnen. Die<br />
Fassade der Bremer Wilhelm-Olbers-Schule<br />
glänzt<br />
seit der letzten Sanierung<br />
in rot, blau, gelb und grün.<br />
Drinnen tummeln sich tausend Gymnasiasten,<br />
Real-, Haupt- und Sonderschüler<br />
aus 22 Nationen und sehr unterschiedlichen<br />
Stadtteilen, vom eher dörflichen<br />
Mahndorf bis zum Arbeiter- und<br />
Migrantenviertel Hemelingen. Eine<br />
bunte Mischung, die das Unterrichten<br />
nicht immer leicht macht. Das Sek I-<br />
Schulzentrum (in anderen Bundesländern<br />
würde man es Kooperative Gesamtschule<br />
nennen) dürfte einst zum<br />
schlechten Abschneiden Bremens bei<br />
den ersten PISA-Studien beigetragen<br />
haben. Aber seitdem hat sich viel getan.<br />
„PISA war ein heftiger Schock“, sagt Petra<br />
Perplies-Voet, die seit vier Jahren die<br />
Bildungsstätte leitet. „Aber dadurch entstand<br />
ganz viel Aufbruchstimmung.“<br />
An der Olbers-Schule bildeten sich unter<br />
anderem Arbeitsgruppen zur Schulentwicklung.<br />
Auf Landesebene beschlossen<br />
die damalige SPD/CDU-Koalition<br />
und ihr Bildungssenator Willi<br />
Lemke (SPD) diverse Änderungen. Perplies-Voet,<br />
bis 2004 selber in der Bildungsbehörde,<br />
bewertet diese Reformen<br />
sehr differenziert.<br />
Der an ihrer und einzelnen anderen<br />
Schulen eingeführte Ganztagsunterricht<br />
mit nachmittäglichen Kür- und<br />
Pflichtangeboten erscheint der 49-jährigen<br />
Sonderpädagogin sinnvoll. Problematischer<br />
findet sie die Abschaffung der<br />
Orientierungsstufe (s. Seite 21 f.). „So,<br />
wie diese war, arbeitete sie nicht erfolgreich.<br />
Aber sie war ein guter Anfang für<br />
eine längere gemeinsame Beschulung.“<br />
Dafür arbeitet die Olbers-Schule nun<br />
Fotos: Eckhard Stengel
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 11
PISA-E<br />
Schulleiterin<br />
Petra Perplies-<br />
Voet: „PISA war<br />
ein heftiger<br />
Schock, aber<br />
dadurch entstand<br />
ganz viel Aufbruchstimmung.“<br />
intensiver mit Grundschulen zusammen.<br />
Das Ziel: ein möglichst „bruchloser<br />
Übergang“ für die Kinder.<br />
Schritt in richtige Richtung<br />
Dass Bremer Haupt- und Realschüler<br />
jetzt bis Ende der 8. Klasse gemeinsam<br />
lernen (sie heißen seitdem „Sekundarschüler“),<br />
ist für Perplies-Voet ein Schritt<br />
in die richtige Richtung – aber ein halbherziger.<br />
Denn die besonders leistungsstarken<br />
Kinder landen weiterhin auf<br />
dem Gymnasialzweig und fehlen im<br />
Sekundarschulbereich.<br />
Zum Glück hat das Olbers-Schulzentrum<br />
schon lange vor PISA eine enge interne<br />
Kooperation angeschoben: Zwei<br />
bis drei Klassen aus den verschiedenen<br />
Schulzweigen bilden jeweils kleine Gemeinschaften<br />
(„Häuser“) und bekommen<br />
möglichst benachbarte Räume.<br />
Zum Teil kooperieren sie zudem mit<br />
Sonderschulklassen eines „Förderzentrums“,<br />
das hier eine Art Außenstelle<br />
unterhält. Die Lehrkräfte eines „Hauses“<br />
arbeiten im Team. In Fächern wie<br />
Kunst, Sport oder Arbeitslehre lernen<br />
die Sekundarschüler und Gymnasiasten<br />
gemeinsam.<br />
Weiterhin separiert wird dagegen in den<br />
Leistungsfächern. Hier ist der Druck<br />
zum getrennten Unterrichten noch gestiegen,<br />
seitdem auch Bremen das Abitur<br />
nach zwölf Jahren eingeführt hat.<br />
Perplies-Voet hält die „heftige Verdichtung“<br />
des Stoffes für ein großes Problem<br />
12 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
– ausgerechnet in dem Alter, „in dem die<br />
Kinder im Wesentlichen aus Östrogen<br />
und Testosteron bestehen“. Seitdem<br />
stünden nicht nur die Gymnasiasten,<br />
sondern auch ihre Lehrkräfte „richtig<br />
unter Dampf“. Aber vielleicht sei das<br />
nur ein Übergangsproblem.<br />
Mit Übergängen haben auch manche<br />
Schüler ein Problem: Sie sind versetzungsgefährdet.<br />
Seit PISA wird ihnen in<br />
Bremen mit „Ostercamps“ geholfen: In<br />
den Ferien erhalten sie an ausgewählten<br />
Schulen Nachhilfe – so auch an der Olbers-Schule.<br />
„Ich finde das genial“, sagt<br />
die Direktorin.<br />
„Wir reparieren spät...“<br />
Überhaupt wird dank PISA besonders<br />
viel für leistungsschwache Schülerinnen<br />
und Schüler getan. So bietet die Olbers-<br />
Schule gleich in der 5. Klasse Lese-Intensivkurse<br />
an. Drei Lehrerinnen aus<br />
Russland, der Türkei und dem Iran unterrichten<br />
Deutsch für Migranten und<br />
zudem deren Muttersprache. „Das alte<br />
deutsche Problem“, sagt die Schulleiterin:<br />
„Wir reparieren spät, statt früh<br />
Prävention zu betreiben.“<br />
Zu reparieren gibt es aber noch genug.<br />
Mancher Abgänger hat das Wissen eines<br />
Viertklässlers. Deshalb bemüht sich die<br />
Schule um eine intensive Begleitung in<br />
die Berufswelt, etwa mit Praktika oder<br />
Beratungsangeboten.<br />
Neben dem Fördern kommt auch das<br />
Fordern nicht zu kurz. Perplies-Voet ou-<br />
tet sich als Anhängerin der nach PISA<br />
eingeführten zentralen Vergleichstests<br />
und Abschlussprüfungen: „Es muss verbindliche<br />
Standards geben. Wir müssen<br />
raus aus den Beliebigkeiten.“<br />
Dass in Bremen die Macht der Schulleitungen<br />
gestärkt wurde, hält die Direktorin<br />
für sinnvoll. Aber sie weiß auch:<br />
„Schulentwicklung ist nur gemeinsam<br />
mit dem Kollegium möglich.“<br />
Skeptisch äußert sich Perplies-Voet über<br />
das Vorhaben der neuen rot-grünen Koalition<br />
und der Lemke-Nachfolgerin Renate<br />
Jürgens-Pieper (SPD), das gerade erst<br />
reformierte Schulsystem schon wieder<br />
umzubauen. Neben den Gymnasien<br />
soll es dann anstelle von Gesamtschulen<br />
und Schulzentren nur noch „Oberschulen“<br />
geben. „Ich fürchte, damit wird die<br />
Zweigliedrigkeit festgeschrieben“, sagt<br />
Perplies-Voet. Sie wünscht sich langfristig<br />
„eine Schule für alle Kinder bis zur 9.<br />
Klasse“, weiß aber auch, dass die sich<br />
nicht so schnell realisieren lässt.<br />
Bereits jetzt klagen viele über zu häufige<br />
Umbrüche. Perplies-Voet: „Das ist für<br />
die Eltern und das Kollegium sehr verunsichernd.“<br />
Die Lehrkräfte hätten oft<br />
das Gefühl, bei Änderungen der Schulstruktur<br />
„mit ihren Erfahrungen nicht<br />
mit einbezogen zu werden“.<br />
Schon die bisherigen PISA-Maßnahmen<br />
haben allen Beteiligten viele zusätzliche<br />
Belastungen gebracht. Elke<br />
Baumann, eine der drei <strong>GEW</strong>-Landesvorstandssprecher/innen,<br />
die ebenfalls<br />
an der Olbers-Schule arbeitet, hat den<br />
Eindruck, dass der Leistungsdruck nicht<br />
nur für die Schülerinnen und Schüler,<br />
sondern auch für die Lehrkräfte wesentlich<br />
größer geworden ist – wegen der<br />
neuen Förderangebote und Vergleichsarbeiten,<br />
aber auch durch die zusätzlich<br />
vorgeschriebenen Präsenzzeiten an<br />
Nachmittagen und in den Ferien, die erweiterten<br />
Fortbildungspflichten, Evaluationen,<br />
Jahresplanungen. Auch<br />
durch mehr Bürokratie: So muss beispielsweise<br />
die Klassenkonferenz nach<br />
jeder „Vier minus“ eine Förderempfehlung<br />
formulieren. „Das alles wird einfach<br />
oben draufgepackt“, zusätzlich<br />
zum bereits früher erhöhten Stundensoll,<br />
kritisiert Baumann.<br />
Aber immerhin zeigen sich erste Erfolge.<br />
Perplies-Voet erzählt, dass die Olbers-Schule<br />
seit zwei Jahren stärkeren<br />
Zulauf von Gymnasiasten erlebt. Früher<br />
schickten bildungsnahe Eltern ihre Kinder<br />
lieber auf entferntere Gymnasien<br />
statt ins lokale Schulzentrum. „Inzwischen<br />
haben wir sie wohl überzeugt,<br />
dass es hier eine Schule gibt, in der die<br />
Kinder gut aufgehoben sind.“<br />
Eckhard Stengel, freier Journalist
PISA-E<br />
Bundesländervergleich<br />
– zum Letzten<br />
Die Ergebnisse zeigen: kaum Neues und Besseres<br />
Alles wird gut, beschwichtigt<br />
PISA-Forscher Manfred Prenzel<br />
die Öffentlichkeit. Doch die<br />
Mitte November vorgelegte neue<br />
innerdeutsche PISA-Ergänzungsstudie<br />
(PISA-E) enthält in<br />
Wirklichkeit kaum Neues und<br />
Besseres. Der dritte Bundesländervergleich<br />
seit dem ersten<br />
PISA-Test 2000 wird in dieser<br />
Form zugleich auch der letzte<br />
sein.<br />
Prenzels frohe Botschaften<br />
über die vielen angeblichen<br />
„Trends zum<br />
Besseren“ erfreuen vor<br />
allem die Kultusminister,<br />
die sich seit dem<br />
öffentlichen Schock über die Ergebnisse<br />
des ersten internationalen<br />
PISA-Schultests aus dem Jahr<br />
2000 permanent am Pranger sehen.<br />
Doch der Balsam, den der<br />
Wissenschaftler beredt in ihre<br />
waidwunden Seelen träufelt, verzerrt<br />
die deutsche Schulwirklichkeit.<br />
Das erfahren nicht nur die<br />
Praktiker täglich vor Ort. Das zeigt<br />
auch ein kritischer Blick in den<br />
umfangreichen Tabellenteil der<br />
Studie.*<br />
Viele Fragen bleiben offen<br />
Viele Fragen, die die drei jeweils<br />
parallel zum weltweiten PISA-Test<br />
der OECD durchgeführten aufwändigen<br />
innerdeutschen Ergänzungsstudien<br />
aufgeworfen haben,<br />
werden nie beantwortet werden.<br />
Das gilt insbesondere auch diesmal<br />
für die strittige Frage, wie<br />
chancengerecht der Zugang zu<br />
gymnasialer Bildung im Vergleich<br />
der Länder untereinander gestaltet<br />
ist, aber auch für das Problem, wie<br />
groß der Anteil so genannter Risikoschüler<br />
tatsächlich ist. Deutschland<br />
macht zwar weiterhin bei PI-<br />
SA-International mit. Leistungsvergleiche<br />
der 16 Bundesländer<br />
soll es hingegen schon ab 2009<br />
nicht mehr nach den bisher üblichen<br />
PISA-Kriterien der OECD<br />
geben, sondern nur noch auf der<br />
Basis der neuen bundesweiten Bildungsstandards<br />
der Kultusminister.<br />
Neue Basis für Test<br />
Während für PISA-International<br />
künftig das Deutsche Institut für<br />
Internationale Pädagogische Forschung<br />
(DIPF) in Frankfurt/Main<br />
mit Eckhard Klieme zuständig ist,<br />
wird das Institut zur Qualitätsentwicklung<br />
im Bildungswesen (IQB)<br />
in Berlin mit Olaf Köller die innerdeutschen<br />
Vergleiche auf der Basis<br />
der Bildungsstandards organisieren.<br />
Bisher hatten die Kultusminister<br />
zusätzlich zu der für den internationalen<br />
PISA-Test geforderten<br />
Stichprobe von etwa 5000 Schülerinnen<br />
und Schülern weitere<br />
40000 bis 50000 Jungen und<br />
Mädchen im Alter von 15 Jahren<br />
durch das deutsche PISA-Konsortium<br />
nach den OECD-Kriterien<br />
testen und auch nach deren sozialem<br />
Hintergrund befragen lassen.<br />
Auch das IQB in Berlin wird mit<br />
einer Stichprobe in ähnlicher<br />
Größenordnung arbeiten und die<br />
Lernstandserhebungen der Bundesländer<br />
auf der Basis der Bildungsstandards<br />
miteinander vergleichen.<br />
Ob und in welchem Umfang<br />
dabei auch Sozialdaten erhoben<br />
werden sollen – darüber sei<br />
noch nicht gesprochen worden,<br />
hört man aus dem Schulausschuss<br />
der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK). Dabei geht es im Hintergrund<br />
um mehr als einen sozialwissenschaftlichenMethodenstreit.<br />
Die Frage lautet, wie man<br />
Chancengleichheit in der Bildung<br />
definiert. Der erste bundesweite<br />
Test auf der Basis der Bildungsstandards<br />
soll bereits im Frühsommer<br />
2009 starten.<br />
Deutungshoheit erobert<br />
Mit der Trennung von PISA-International<br />
und dessen Testkriterien<br />
(s. Seite 16) und der Etablierung eines<br />
eigenen innerdeutschen Untersuchungsinstrumentariumsgewinnen<br />
die Kultusminister vor al-<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 13
PISA-E<br />
*www.gew.de/PISA_<br />
E.html<br />
**Zu der oberen Dienstklasse<br />
zählen freie akademische<br />
Berufe, leitende<br />
Angestellte, selbstständige<br />
Unternehmer<br />
(mit mehr als zehn Mitarbeitern)<br />
sowie Hochschul-<br />
und Gymnasiallehrer.<br />
lem jene Deutungshoheit zurück, die sie<br />
im Streit mit den Bildungsforschern aus<br />
der Pariser OECD-Zentrale in den vergangenen<br />
Jahren oft schmerzlich vermisst<br />
haben. Ein Vergleich des ersten nationalen<br />
Tests 2009 mit früheren PISA-<br />
Ergebnissen wird kaum möglich sein.<br />
„Risikoschüler“: Nach wie vor erreicht<br />
in der wichtigen Basisqualifikation<br />
Lesen/Textverständnis jeder fünfte<br />
15-Jährige allenfalls die unterste Kompetenzstufe<br />
I – und hat damit nach<br />
Aussage der PISA-Forscher erhebliche<br />
Probleme, den Sprung ins Erwerbsleben<br />
zu schaffen. Der Anteil dieser problematischen<br />
Schülergruppe gilt gegenüber<br />
dem ersten Test 2000 als nahezu<br />
konstant. PISA-International 2009<br />
wird erneut das Lesen zum Untersuchungsschwerpunkt<br />
machen.<br />
Chanchengleichheit: Bundesweit hat<br />
nach wie vor ein Schüler aus der Oberschicht<br />
eine 3,2 mal größere Chance,<br />
ein Gymnasium zu besuchen als ein<br />
Gleichaltriger aus einer Facharbeiterfamilie<br />
– und dies trotz gleicher Lesekompetenz.<br />
Laut PISA 2006 konnte<br />
die Abhängigkeit gymnasialer Chancen<br />
von der sozialen Herkunft gegenüber<br />
der ersten Studie 2000 in Bayern,<br />
14 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Aber auch wer die aktuelle PISA-E-Studie<br />
mit früheren Veröffentlichungen des<br />
deutschen PISA-Konsortiums aus 2000<br />
und 2003 vergleichen will, hat schon<br />
heute Probleme. Vor allem bei der Frage<br />
der hohen Abhängigkeit des Schulerfolgs<br />
von der sozialen Herkunft er-<br />
Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein<br />
reduziert werden. In Brandenburg,<br />
Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen<br />
nahm sie hingegen zu.<br />
Migranten: Die Bildungssituation für<br />
die meisten jugendlichen Migranten ist<br />
laut PISA 2006 „im Wesentlichen die<br />
gleiche wie im Jahr 2000“. Migrantenkinder<br />
besuchen erheblich häufiger die<br />
Hauptschule und seltener ein Gymnasium<br />
als ihre deutschen Mitschüler, wiederholen<br />
häufiger eine Klasse und brechen<br />
die Schule wesentlich häufiger ab.<br />
Sie erzielen insgesamt niedrige Bildungsabschlüsse<br />
und auch ihre Kompetenzen<br />
sind in allen drei PISA-Disziplinen<br />
deutlich geringer als bei deutschen<br />
Schülern. So müssen Jugendliche mit<br />
Migrationshintergrund in Baden-Württemberg<br />
und Bayern fast doppelt so<br />
häufig die Klasse wiederholen. Im<br />
aktuellen PISA-Untersuchungsschwerpunkt<br />
Naturwissenschaften lagen sie im<br />
schwert häufiger Methodenwechsel den<br />
Überblick über die Langzeitentwicklung.<br />
Dabei werden bei der Beschreibung<br />
der sozioökonomischen Situation<br />
der Eltern nicht nur die Modelle der<br />
Schichtenklassifikationen sprunghaft<br />
gewechselt. Auch bei der Definition der<br />
Leistungsstärke eines Schülers finden<br />
sich zwischen den Veröffentlichungen<br />
der deutschen PISA-Forscher ständig<br />
Änderungen. Mal werden die Lesekenntnisse<br />
herangezogen, mal wird die<br />
Lese- und Mathematikkompetenz zusammengefasst<br />
(wie 2003), mal werden<br />
die kognitiven Grundfähigkeiten mit<br />
berücksichtigt.<br />
Trotzdem macht Prenzel 2006 bei der<br />
Frage der Abhängigkeit von Schulerfolg<br />
und sozialer Herkunft „einen Trend<br />
zum Besseren“ aus – obwohl die Studie<br />
nur Bayern und Rheinland-Pfalz „statistisch<br />
bedeutsame“ Verbesserungen bescheinigt.<br />
In Bayern galten laut früherer<br />
PISA-Studien die Gymnasialchancen<br />
von Facharbeiterkindern im Vergleich<br />
zu Schülern aus Oberschichtsfamilien<br />
als besonders schlecht. 15-Jährige aus<br />
der „oberen Dienstklasse“ haben dort eine<br />
mehr als sechsfach so große Chance,<br />
das Abitur zu erwerben wie Facharbeiterkinder.**<br />
Rheinland-Pfalz hat in den<br />
vergangenen Jahren sein Ganztagsschulangebot<br />
erheblich ausgeweitet und<br />
wird ab 2011 an mehr als jeder dritten<br />
Schule Ganztagsbetreuung anbieten.<br />
Karlheinz Rosenzweig, Bildungsjournalist<br />
„Neues“ aus dem PISA-Bundesländervergleich 2006:<br />
Cartoons: Freimut Woessner<br />
Schnitt fast zweieinhalb Schuljahre hinter<br />
deutschen Jugendlichen zurück.<br />
Bundesländerranking: Sachsen verweist<br />
in allen drei Disziplinen (Naturwissenschaften,<br />
Mathematik, Leseund<br />
Textverständnis) den bisherigen<br />
PISA-Sieger Bayern auf Rang zwei –<br />
bei teilweise marginalen Punktvorsprüngen.<br />
Während Sachsen seit 2000<br />
aufgeholt hat, stagnieren die Leistungen<br />
in Bayern. Nach wie vor ist die Leistungsspreizung<br />
zwischen den Bundesländern<br />
laut PISA 2006 erheblich. In<br />
Sachsen zeigten 15-Jährige gegenüber<br />
Gleichaltrigen aus Bremen beim PISA-<br />
Test in den Naturwissenschaften einen<br />
Lernvorsprung „von zirka zwei Schuljahren“<br />
(OECD PISA-E 2006). Der<br />
deutsche PISA-Chef Manfred Prenzel<br />
preist das zweigliedrige sächsische<br />
Schulmodell als wegweisend für die<br />
Schulstrukturdebatte auch in anderen<br />
Bundesländern.
PISA-E<br />
Marianne Demmer<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
Testen – testen – testen . . .<br />
16 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
... doch wer unterstützt Lehrkräfte und Schüler?<br />
In Deutschlands Lehrerzimmern<br />
wächst der Überdruss an einem<br />
Übermaß an Lernstandserhebungen<br />
und Leistungsvergleichen.<br />
Die teilweise albernen Rituale<br />
der Kultusminister, die<br />
Rankings und methodischen<br />
Probleme im Zusammenhang<br />
mit PISA-E,<br />
dem Bundesländervergleich,<br />
nähren die Überzeugung: Diese<br />
Vergleiche sind höchst entbehrlich. Sie<br />
werden parteipolitisch instrumentalisiert<br />
und dienen der Legitimierung von<br />
allen möglichen, ideologisch motivierten<br />
Schnellschüssen: Kopfnoten, Turbo-Abitur,<br />
ein Übermaß an Lernstandserhebungen<br />
und Vergleichsarbeiten.<br />
Solche Maßnahmen bereiten den Schulen<br />
nichts als Probleme, ohne dass Unterstützung<br />
und Hilfen folgen. Und immer<br />
noch haben die wenigsten Kultusminister<br />
kapiert, dass sie ihre Politik auf<br />
die Schülerinnen und Schüler mit den<br />
größten Lernproblemen konzentrieren,<br />
die Aussonderung in Sonderschulen beendet<br />
und der Hauptschulbildungsgang<br />
abgeschafft werden müssen. Vom Wiegen<br />
wird die Sau nur dann fetter, wenn<br />
sie anschließend in guter Umgebung<br />
richtig gefüttert wird.<br />
Im Nebel gestochert<br />
Wer Aufschluss über Effektivität und<br />
Effizienz politischer Handlungen erhalten<br />
will, braucht andere Untersuchungen<br />
als die recht groben Instrumente<br />
des PISA-Bundesländervergleichs. Diese<br />
sind Momentaufnahmen. Sie beschreiben,<br />
was ist und wie einzelne Faktoren<br />
zusammenhängen, sagen aber<br />
nichts über Ursachen von Leistungsmängeln<br />
und wie man Lernprobleme<br />
aussichtsreich bearbeiten könnte. In<br />
diesen zentralen Fragen wird weiterhin<br />
im Nebel gestochert.<br />
Am Beispiel des PISA-Ersten Sachsen<br />
ist das sehr deutlich geworden: Vergleichsweise<br />
hohe Ausgaben pro<br />
Schüler, kleinere Klassen, günstigere<br />
Schüler-Lehrer-Relation, traditionell<br />
hohe Wertschätzung der Naturwissenschaften,<br />
eine größere Anzahl von Unterrichtsstunden<br />
in diesem Bereich, das<br />
nachwirkende Gleichheitsideal aus<br />
DDR-Zeiten mit Fokus auf Leistungsschwächere,<br />
ein geringer Migrantenanteil,<br />
keine Hauptschulen, höhere Sonderschulquote<br />
– alles mögliche Gründe<br />
für den sächsischen Erfolg. Aber vielleicht<br />
hat man in den Schulen auch ein<br />
spezielles Testtraining veranstaltet. Wie<br />
die einzelnen Faktoren zusammenwirken<br />
und was letztlich den Ausschlag gab<br />
und Sachsen an die Spitze beförderte,<br />
weiß niemand.<br />
Problem: Beteiligungsquote<br />
Zudem darf eines nicht vergessen werden:<br />
Der Unterschied Sachsens zu Finnland<br />
beträgt in Naturwissenschaften<br />
und Mathematik 22 und 25, in der Lesekompetenz<br />
sogar 35 Punkte, das entspricht<br />
einem Rückstand von etwa einem<br />
Schuljahr. Sachsen und Finnland<br />
sind hinsichtlich der Bevölkerungsgröße,<br />
der sozioökonomischen Bedingungen<br />
und eines eher geringen Migrantenanteils<br />
gut miteinander zu vergleichen.<br />
Auch Sachsen hat bis zur Weltspitze<br />
noch einen weiten Weg.<br />
Besonders ärgerlich sind die Rankings,<br />
bei denen praktisch und statistisch völlig<br />
zu vernachlässigende Unterschiede<br />
von einem Punkt über den niedrigeren<br />
oder höheren Platz eines Bundeslandes<br />
entscheiden. Praktische Bedeutung bekommen<br />
Unterschiede erst ab einer Differenz<br />
von ungefähr zehn Punkten.<br />
Die üblichen Mittelwert-Rankings sind<br />
aber auch noch aus anderen Gesichtspunkten<br />
problematisch. In Baden-<br />
Württemberg, Bayern und Niedersachsen<br />
ist die Beteiligung an PISA freiwillig,<br />
was eine niedrige Beteiligungsquote zur<br />
Folge hat, die nur knapp über der international<br />
festgelegten Mindestquote von<br />
85 Prozent liegt. Die Beteiligungsquote<br />
in den übrigen Bundesländern liegt<br />
deutlich – teilweise um zehn Prozentpunkte<br />
– höher.<br />
Die PISA-Forscher haben nun berechnet,<br />
wie sich die Ergebnisse verändern<br />
würden, wenn für alle Bundesländer<br />
dieselbe niedrige Quote von nur 85,6<br />
Prozent (Baden-Württemberg) angenommen<br />
und davon ausgegangen wird,<br />
dass sich jeweils die Leistungsschwäch-
sten nicht am PISA-Test beteiligt hätten.<br />
In diesem Fall würde Baden-Württemberg<br />
auf den neunten Rang nach Sachsen,<br />
Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Brandenburg,<br />
Saarland und Rheinland-Pfalz rutschen.<br />
(PISA-E 2006).<br />
Eine ganz andere Rangfolge ergäbe sich,<br />
wenn man die Bundesländer nach ihren<br />
Lernzuwächsen seit der ersten PISA-<br />
Studie (2000) ordnet. Das sähe für die<br />
Lesekompetenz so aus: Sachsen-Anhalt<br />
(33 Punkte Zuwachs), Brandenburg (27<br />
Punkte) und Bremen (26 Punkte) stünden<br />
an der Spitze. Bayern (ein Punkt),<br />
Baden-Württemberg (null Punkte) und<br />
Hamburg (– 2 Punkte) bildeten die<br />
Schlusslichter. Auch in Mathematik<br />
hätten Brandenburg und Bremen bei<br />
den Zuwächsen die Nase ganz vorn,<br />
Bayern und Baden-Württemberg trügen<br />
hingegen die rote Laterne. Bayern und<br />
Baden-Württemberg stagnieren also im<br />
Leistungsniveau. Übermut tut eben selten<br />
gut.<br />
Methodisches Chaos<br />
Ein Kernproblem in Deutschland ist der<br />
Zusammenhang von sozialer Herkunft<br />
und Schulleistung. Hier hat Deutschland<br />
im weltweiten Vergleich äußerst<br />
schlechte Werte. Ob sich in dieser Beziehung<br />
Verbesserungen ergeben haben, ist<br />
deshalb schulpolitisch von großem Interesse.<br />
Doch leider herrscht seit der ersten<br />
PISA-Studie gerade in dieser Beziehung<br />
methodisches Chaos. Warum? Die<br />
OECD benutzt andere Indizes als das<br />
deutsche PISA-Konsortium. Sie verwendet<br />
den Index ESCS (Economic, Social<br />
and Cultural Status), der mehr Indikatoren<br />
umfasst als der vom deutschen PISA-<br />
Konsortium benutzte Index ISEI (International<br />
Socio-Economic Index of Occupational<br />
Status). Es entsteht so die<br />
missliche Situation, dass die deutschen<br />
Werte von den internationalen abweichen.<br />
Die deutsche Variante erzielt für<br />
die Bundesrepublik günstigere Ergebnisse<br />
– was der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) und dem unermüdlich Optimismus<br />
verbreitenden deutschen PISA-Koordinator<br />
Manfred Prenzel durchaus gelegen<br />
kommen dürfte. Schließlich möchten<br />
alle gerne auch in der Gerechtigkeitsfrage<br />
für Deutschland punkten. So verständlich<br />
dieser Wunsch ist – das Methodenproblem<br />
hinterlässt einen scha-<br />
len Beigeschmack. Manche sprechen sogar<br />
von statistischen Taschenspielertricks.<br />
Der notwendigen empirischen<br />
Bildungsforschung tut man damit jedenfalls<br />
keinen Gefallen.<br />
Bei allen Fragwürdigkeiten – eines steht<br />
fest: Deutschland braucht internationale<br />
Vergleichsstudien wie PISA und<br />
IGLU für den Blick über den Tellerrand<br />
und die Einbindung in die internationale<br />
Forschung. An die Stelle der PISA-<br />
Bundesländervergleiche, die es nach<br />
dem Beschluss der KMK ab 2009 nicht<br />
mehr gibt, sollten vertiefende regionale<br />
Analysen und eine qualitative Ursachen-<br />
und Wirkungsforschung treten.<br />
Statt testen – testen – testen brauchen<br />
Lehrkräfte Fortbildungen, Schulen Unterstützungssysteme<br />
und die Schülerinnen<br />
und Schüler individuelle Förderung<br />
– am besten in einer Schule für alle.<br />
Schließlich: Schluss mit den Mittelwertrankings<br />
und dem Politzirkus der Bundesländer!<br />
Und wenn überhaupt Tabellen:<br />
Nicht Momentaufnahmen, die<br />
Entwicklungsprozesse sind das Interessante<br />
und Relevante.<br />
Marianne Demmer, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />
PISA-E<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 17
PISA-E<br />
„Es gibt einen<br />
Zusammenhang<br />
zwischen den<br />
sozioökonomischenRahmenbedingungen<br />
in<br />
den Ländern und<br />
den Schulleistungen.“<br />
*Baumert, J.: (Hrsg.):<br />
PISA 2000 – Die Länder<br />
der Bundesrepublik<br />
Deutschland im Vergleich.<br />
Opladen 2002,<br />
S. 225.<br />
**Baumert, J. u. a. in:<br />
Prenzel, M. u. a. (Hrsg.):<br />
PISA 2003 – Der zweite<br />
Vergleich der Länder.<br />
Münster 2005, S. 361<br />
Gleichwertige<br />
Lebensverhältnisse?<br />
Die innerdeutschen Auswertungen der<br />
bisherigen drei PISA-Studien belegen:<br />
Die durchschnittlichen Kompetenzwerte,<br />
die Deutschlands Schülerinnen<br />
und Schüler in den Naturwissenschaften,<br />
im Leseverständnis und in Mathematik<br />
erreichen, machen auf unübersehbare<br />
Unterschiede zwischen den<br />
einzelnen Bundesländern aufmerksam.<br />
Diese gehen mit sehr differenten<br />
demographischen, wirtschaftlichen, sozialen<br />
und kulturellen Rahmenbedingungen<br />
einher. Das zeige, so Klaus<br />
Klemm in seinem Fachbeitrag, die Lebensverhältnisse<br />
in den 16 Bundesländern<br />
sind alles andere als gleichwertig.<br />
18 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Schülerleistungen und sozioökonomische Rahmenbedingungen der Länder<br />
Fest steht: Die Leistungsunterschiede<br />
zwischen den Schulen<br />
der Bundesländer sind sowohl<br />
Ausdruck als auch Folge einer<br />
nicht vorhandenen Gleichwertigkeit<br />
der Lebensverhältnisse.<br />
Darauf, dass es einen Zusammenhang<br />
zwischen den sozioökonomischen<br />
Rahmenbedingungen der Länder<br />
und den dortigen Schulleistungen gibt,<br />
haben Bildungsforscher bereits in den<br />
innerdeutschen Auswertungen zu den<br />
PISA-Studien 2000 und 2003 hingewiesen.<br />
So schrieben Jürgen Baumert und<br />
Cordula Artelt – beide Max-Planck-Institut<br />
für Bildungsforschung, Berlin – zur<br />
PISA-Studie 2000: „Dies spricht dafür,<br />
dass primär bereichsübergreifende ökonomische,<br />
soziale, kulturelle, aber auch<br />
institutionelle Bedingungen für Leistungsunterschiede<br />
zwischen den Ländern<br />
verantwortlich sein dürften.“* Bei<br />
der Analyse zu PISA 2003 unterstreichen<br />
Jürgen Baumert, Claus H. Carstensen<br />
und Thilo Siegle diese Einschätzung,<br />
fügen aber einschränkend hinzu, dass<br />
die Leistungsdifferenzen zwischen den<br />
Ländern nicht „auf Unterschiede in den<br />
untersuchten individuellen und kontextuellen<br />
Merkmalen reduzierbar<br />
sind“.** Wegen der unübersehbaren<br />
Bedeutung, die den sozioökonomischen<br />
Rahmenbedingungen für schulisches<br />
Lernen zugeschrieben werden<br />
kann, soll im Folgenden das Ausmaß<br />
der im außerschulischen Bereich erkennbaren<br />
Unterschiede in den Lebensverhältnissen<br />
mit Hilfe von drei
Merkmalsgruppen skizziert werden,<br />
nämlich<br />
● mit Wohlstandsindikatoren als<br />
im engeren Sinne ökonomischen<br />
Merkmalen der 16 Länder,<br />
● mit Daten zum familiären Umfeld<br />
der Schülerinnen und<br />
Schüler sowie<br />
● mit Indikatoren, die Aussagen<br />
über die den Schulen zur Verfügung<br />
gestellten Ressourcen machen.<br />
Wohl- und Schuldenstand<br />
Die dazu herangezogenen Daten<br />
beziehen sich in der Regel auf das<br />
PISA-Jahr 2006. Zu jedem der<br />
vorgestellten Indikatoren werden<br />
die jeweils stärksten und schwächsten<br />
Flächenstaaten benannt; die<br />
Positionen der drei Stadtstaaten,<br />
die eher mit Großstädten in den<br />
Flächenstaaten zu vergleichen<br />
sind, werden, wenn es sinnvoll erscheint,<br />
nachrichtlich mitgeteilt.<br />
In der Gesamtübersicht der Befunde<br />
sollen Länder herausgestellt<br />
werden, die in den hier berichteten<br />
Merkmalsbereichen<br />
eher, was schulisches Lernen an-<br />
Foto: imago<br />
PISA-E<br />
geht, günstige Rahmenbedingungen<br />
bieten.<br />
Greift man unter den Merkmalen,<br />
die den Wohlstand eines Bundeslandes<br />
charakterisieren, den Indikator<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP)<br />
je Einwohner heraus (für diesen<br />
Indikator wird die Summe dessen,<br />
was ein Land in einem Jahr<br />
erwirtschaftet, durch die Zahl seiner<br />
Einwohner dividiert), haben<br />
neben den Stadtstaaten Hamburg<br />
und Bremen (die aufgrund der hohen<br />
Zahl einpendelnder Arbeitnehmer<br />
mit den übrigen Ländern<br />
nicht verglichen werden dürfen),<br />
Hessen, Bayern und Baden-Württemberg<br />
die Nase vorn – bei einer<br />
Spannweite unter den Flächenstaaten<br />
von 33 614 Euro je Einwohner<br />
in Hessen und 19 112 Euro<br />
in Mecklenburg-Vorpommern<br />
(s. Tabelle 1). Wenn man diesem<br />
einen weiteren Indikator, der das<br />
Ausmaß der in der Vergangenheit<br />
aufgehäuften Schulden kennzeichnet,<br />
hinzufügt, zeigt sich, dass<br />
Bayern (mit 3070 Euro), Sachsen<br />
und Baden-Württemberg je Einwohner<br />
gerechnet, am wenigsten<br />
verschuldet sind. Die höchste Verschuldung<br />
je Einwohner haben<br />
das Saarland mit 9262 Euro und –<br />
bei Einbezug der Stadtstaaten –<br />
Bremen mit 20149 Euro angesammelt.<br />
Arbeitslosenquote<br />
Auch bei den Indikatoren, die<br />
sich stärker auf den familiären<br />
Hintergrund von Jugendlichen<br />
beziehen, stoßen wir unter den<br />
Bundesländern auf eine beachtliche<br />
Spreizung: Beim monatlichen<br />
Bruttoverdienst führen wiederum<br />
Hessen, Baden-Württemberg<br />
und Bayern; Thüringen liegt<br />
auf dem letzten Platz. Ein vergleichbares<br />
Bild bieten die Arbeitslosenquote,<br />
die in Baden-<br />
Württemberg (6,3 Prozent), Bayern<br />
und Rheinland-Pfalz am geringsten<br />
ist, in Mecklenburg-Vorpommern<br />
mit 19 Prozent einen<br />
Spitzenwert erreicht. Hamburg,<br />
Bremen und Berlin (17,5 Prozent)<br />
schneiden dabei durchgängig<br />
schlecht ab. Sie weisen auch den<br />
höchsten Anteil an Sozialhilfeempfängern<br />
auf (Hartz IV):<br />
Während von allen über 18-Jährigen<br />
in den alten Bundesländern<br />
in Baden-Württemberg und Bayern,<br />
in den neuen Bundesländern<br />
in Sachsen die wenigsten Men-<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 19
PISA-E<br />
schen diese Hilfe beanspruchen, nehmen<br />
die drei Stadtstaaten hier Spitzenplätze<br />
ein (s. Tabelle 2).<br />
Zwei weitere Indikatoren, die etwas zur<br />
Bruttoinlandsprodukt je Einwohner<br />
in Euro (2006)<br />
Baden-Württemberg 31.388<br />
Bayern 32.815<br />
Berlin 23.715<br />
Brandenburg 19.386<br />
Bremen 38.107<br />
Hamburg 49.318<br />
Hessen 33.614<br />
Mecklenburg-Vorpommern 19.112<br />
Niedersachsen 24.646<br />
Nordrhein-Westfalen 27.811<br />
Rheinland-Pfalz 24.843<br />
Saarland 26.759<br />
Sachsen 20.815<br />
Sachsen-Anhalt 20.409<br />
Schleswig-Holstein 24.670<br />
Thüringen 19.797<br />
Deutschland 28.010<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt: Die Bundesländer:<br />
Strukturen und Entwicklungen. Wiesbaden<br />
<strong>2008</strong>, S. 61<br />
Tabelle 1<br />
sozialen Lage von Familien aussagen,<br />
vermitteln ein von den ökonomischen<br />
Daten der Länder und der einzelnen Familien<br />
abweichendes Bild: Beim Anteil<br />
derer an der Bevölkerung, die über eine<br />
Hochschulreife verfügen, liegen Hessen<br />
(26,7 Prozent), Nordrhein-Westfalen<br />
und Baden-Württemberg auf den vorderen<br />
Plätzen, hingegen belegt Sachsen-<br />
Anhalt (16,4 Prozent) Platz 16.<br />
Bildungsniveau und Migration<br />
Betrachtet man den Indikator „Bevölkerung<br />
mit Migrationshintergrund“ so<br />
fällt auf, dass die neuen Länder (gemeinsamer<br />
Durchschnittswert: 4,7 Prozent)<br />
sich massiv von den alten abheben: Unter<br />
den Letztgenannten haben Schleswig-Holstein,<br />
das Saarland und Bayern<br />
die geringsten, Bremen und Hamburg<br />
die höchsten Migrantenanteile.<br />
Noch einmal ein anderes Bild ergibt<br />
sich, wenn man die Ressourcen, die den<br />
Schulen in den Ländern zur Verfügung<br />
stehen, betrachtet: Es zeigt sich, dass bei<br />
den Ausgaben je Schüler (die Werte beziehen<br />
sich auf das Jahr 2005!) Thüringen<br />
(mit 5600 Euro), Sachsen-Anhalt<br />
und Sachsen bei den Flächenstaaten ins-<br />
20 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
gesamt führend sind. Bei den alten Bundesländern<br />
liegen Baden-Württemberg<br />
(mit 4900 Euro) und Bayern vorn. Die<br />
Stadtstaaten Berlin und Hamburg (mit<br />
5700 bzw. 5600 Euro) heben sich bei<br />
den Ausgaben pro Schüler von den anderen<br />
14 Bundesländern deutlich ab.<br />
Die auf den ersten Blick überraschend<br />
starke Position der neuen Länder wird<br />
dadurch ermöglicht, dass sich deren im<br />
Vergleich eher schwachen Wohlfahrtsdaten<br />
auf dem Wege des Länderfinanzausgleichs<br />
kompensieren lassen: Nach<br />
dem Länderfinanzausgleich sind die<br />
Steuereinnahmen pro Einwohner bei<br />
den Flächenstaaten in Sachsen-Anhalt,<br />
Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern<br />
am höchsten, in Niedersachsen<br />
am niedrigsten. Dies verschafft den neuen<br />
Ländern genug Spielraum, um ein<br />
hohes Maß an Unterrichtsstunden zu finanzieren.<br />
Anzahl der Unterrichtsstunden<br />
Eingesetzt werden diese z. B. in den<br />
Jahrgangsstufen eins bis neun je Klasse –<br />
für Unterricht im Klassenverband, für<br />
den Einsatz von zwei Lehrkräften je<br />
Klasse oder für individuelle Fördermaßnahmen:<br />
Sachsen (in neun Jahren werden<br />
dort je Klasse insgesamt 12 107 Unterrichtsstunden<br />
bereitgestellt) und<br />
Brandenburg nehmen mit Schleswig-<br />
Holstein eine Spitzenposition ein (s. Tabelle<br />
3). Niedersachsen rangiert mit insgesamt<br />
nur 10635 Unterrichtsstunden<br />
dagegen auf dem letzten Platz.<br />
Fazit: Setzt man die hier präsentierten<br />
Arbeitslosenquoten 2006 (in Prozent)<br />
Baden-Württemberg 6,3<br />
Bayern 6,8<br />
Berlin 17,5<br />
Brandenburg 17,0<br />
Bremen 14,9<br />
Hamburg 11,0<br />
Hessen 9,2<br />
Mecklenburg-Vorpommern 19,0<br />
Niedersachsen 10,5<br />
Nordrhein-Westfalen 11,4<br />
Rheinland-Pfalz 8,0<br />
Saarland 9,9<br />
Sachsen 17,0<br />
Sachsen-Anhalt 18,3<br />
Schleswig-Holstein 10,0<br />
Thüringen 15,6<br />
Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur<br />
für Arbeit (ANBA)<br />
Tabelle 2<br />
Von Klasse 1 bis 9 insgesamt je<br />
Klasse erteilte Unterrichtsstunden*<br />
Länder Unterrichtsstunden<br />
von Klasse 1 bis 9<br />
insgesamt<br />
Baden-Württemberg 11.165<br />
Bayern 11.496<br />
Berlin 13.296<br />
Brandenburg 11.860<br />
Bremen 11.139<br />
Hamburg 13.062<br />
Hessen 11.104<br />
Mecklenburg-Vorpommern 11.217<br />
Niedersachsen 10.635<br />
Nordrhein-Westfalen 11.106<br />
Rheinland-Pfalz 11.082<br />
Saarland 11.166<br />
Sachsen 12.107<br />
Sachsen-Anhalt 11.178<br />
Schleswig-Holstein 11.585<br />
Thüringen 11.161<br />
Deutschland 11.263<br />
*bei durchschnittlich 38 Schulwochen je Jahr; im<br />
Klassenverband, in Teilungsstunden oder durch<br />
Doppelbesetzungen „verbrauchte“ Unterrichtsstunden;<br />
unter der Annahme, dass die Regelungen des<br />
Jahres 2006/07 auch in den vorangegangenen Jahren<br />
galten.<br />
Quelle: KMK: Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen<br />
der Schulen – 1997 bis 2006.<br />
Bonn 2007 (eigene Berechnungen)<br />
Tabelle 3<br />
Indikatoren zu Wohlstand und familiärem<br />
Hintergrund in den Ländern sowie<br />
zu den Ressourcen, die diese ihren<br />
Schulen zur Verfügung stellen, in Relation,<br />
fällt auf – lässt man die Stadtstaaten<br />
unberücksichtigt –, dass Bayern und<br />
Baden-Württemberg zumeist und auch<br />
Sachsen – wenn auch weniger häufig –<br />
günstigere Rahmenbedingungen für<br />
schulisches Lernen bieten. Der genaue<br />
Blick auf die Bundesländer bestätigt:<br />
Die Lebensverhältnisse in Deutschland<br />
sind nicht gleichwertig! Deutlich wird<br />
allerdings auch, dass die beschriebenen<br />
Rahmenbedingungen nicht ausschließlich<br />
die in den Schulen dieser Länder erbrachten<br />
Leistungen erklären können:<br />
Die PISA-Studien 2000 und 2003 haben<br />
gezeigt, dass die Leistungsergebnisse<br />
die Rangfolge im Bereich der sozioökonomischen<br />
Rahmenbedingungen,<br />
die sich bei den 16 Bundesländern ergibt,<br />
nicht unmittelbar widerspiegeln.<br />
Klaus Klemm, Bildungsforscher,<br />
Prof. em. Uni Essen
Machtpolitisches Kalkül<br />
bestimmt Reformen<br />
Wie Leistungsstudien Bildungspolitik beeinflussen<br />
Wie wurden und werden die PISA-<br />
Ergebnisse politisch verarbeitet? Welche<br />
pädagogischen Maßnahmen in<br />
den Ländern sind aus welchen Interessen<br />
ergriffen worden. Der Bildungsforscher<br />
Klaus-Jürgen Tillmann hat zusammen<br />
mit seinem Team die Rezeption<br />
der PISA-Ergebnisse (von 2001<br />
bis 2004) empirisch untersucht und in<br />
dem Buch „PISA als bildungspolitisches<br />
Ereignis“ veröffentlicht.* Im Folgenden<br />
präsentiert der Autor am Beispiel<br />
Bremens einige zentrale Erkenntnisse.<br />
PISA ist eine Stichproben-<br />
Untersuchung, die Aussagen<br />
über Schulsysteme,<br />
nicht jedoch über einzelne<br />
Schulen macht. Dementsprechend<br />
heißt es in der offiziellen<br />
PISA-Broschüre der OECD:<br />
„Das Hauptziel der Entwicklung und<br />
Durchführung dieser groß angelegten<br />
Untersuchung ist ... die Gewinnung von<br />
empirisch gesicherten Informationen,<br />
die als Grundlage von schulpolitischen<br />
Entscheidungen dienen können“<br />
(OECD-PISA 2000**).<br />
Vom Konzept her richtet sich PISA an<br />
die politischen Entscheidungsträger in<br />
den beteiligten Ländern – und erst in<br />
zweiter Linie an die breite Öffentlichkeit.<br />
Seit <strong>Dezember</strong> 2001 (erste PISA-<br />
Studie) zeigt sich aber, dass die Intention,<br />
schulpolitische Maßnahmen über<br />
PISA zu steuern, durch die Eigendynamik<br />
der öffentlichen Diskussion hierzulande<br />
völlig überrannt wurde. Aufgrund<br />
der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit<br />
gerieten die Schulministerien bereits<br />
im <strong>Dezember</strong> 2001 ins Zentrum der<br />
Kritik. Dementsprechend ging es Politikern<br />
bald nicht mehr „nur“ um die<br />
„richtigen“ Maßnahmen zur Problemlösung,<br />
sondern zunehmend um eine<br />
möglichst günstige öffentliche Darstellung<br />
der eigenen Position.<br />
Das Beispiel Bremen<br />
Im Sommer 2001, sechs Monate vor Veröffentlichung<br />
der ersten PISA-Daten,<br />
sind in Bremen standardisierte Verfahren<br />
der Leistungsüberprüfung so gut wie<br />
unbekannt: Es gibt weder Lernstandserhebungen<br />
noch Vergleichsarbeiten,<br />
auch keine zentralen Abschlussprüfungen.<br />
Nur drei Jahre später (Mitte 2004)<br />
sieht die Situation völlig anders aus:<br />
● Alle Schülerinnen und Schüler der<br />
vierten Klassen nehmen an Leistungsüberprüfungen<br />
im Rahmen des VERA-<br />
Projekts teil.<br />
● Weitere verbindliche Vergleichsarbeiten<br />
gibt es in den Jahrgängen 6,9 und 10.<br />
● Zentraler Sekundarstufen-I-Abschluss<br />
und Zentralabitur sind beschlossen und<br />
werden spätestens 2007 eingeführt.<br />
Auf welche Weise haben die PISA-Ergebnisse<br />
diese Entwicklung beeinflusst?<br />
Kurz zum Ablauf:<br />
Die im <strong>Dezember</strong> 2001 veröffentlichten<br />
bundesweiten PISA-Daten sind in der<br />
Bremer Presse ausführlich dargestellt<br />
worden. Vorschläge zur Einführung von<br />
Vergleichsarbeiten und zentralen Prüfungen<br />
haben die Medien durchgängig<br />
positiv bewertet. Bei den damaligen Regierungsparteien<br />
CDU und SPD bestand<br />
Konsens, dass die Einführung von<br />
Vergleichsarbeiten das Leistungsniveau<br />
anhebt. Sehr kontrovers ging es bei der<br />
Frage der zentralen Prüfungen zu. Die<br />
CDU begründete mit den bundesweiten<br />
PISA-Befunden die Notwendigkeit,<br />
das Zentralabitur und eine zentrale Sekundarstufenprüfung<br />
einzuführen. Die<br />
SPD lehnte dies ab: Es sei überhaupt<br />
nicht zu erkennen, ob sich dadurch die<br />
fachlichen Leistungen der Schüler<br />
tatsächlich verbesserten. Stattdessen befürchteten<br />
die Sozialdemokraten, dass<br />
sich damit die Selektion im Schulsystem<br />
verschärfe.<br />
Die PISA-Länderergebnisse – veröffentlicht<br />
im Juni 2002 – waren für Bremen<br />
niederschmetternd. Bei fast allen Leistungsdaten<br />
bildete der Stadtstaat das<br />
Schlusslicht unter den Bundesländern.<br />
Der SPD-CDU-Senat reagierte unmittelbar:<br />
Bürgermeister Henning Scherf<br />
(SPD) bekannte sich einen Tag später<br />
zur politischen „Schuld“ an diesem Desaster<br />
und bezeichnete die schlechten<br />
Leistungswerte als Ausdruck einer 40jährigen,<br />
offensichtlich mangelhaften<br />
Fotos: imago<br />
(sozialdemokratischen) Bildungspolitik.<br />
Am gleichen Tag teilte Bildungssenator<br />
Willi Lemke (SPD) der Presse mit,<br />
welche Maßnahmen ergriffen werden<br />
sollten. Dazu gehörte eine massive Verstärkung<br />
von Lernstandserhebungen<br />
und zentralen Prüfungen (Sek. I, Zentralabitur).<br />
In der Öffentlichkeit stellte<br />
die Bremer Politik dies als notwendige<br />
Konsequenz aus PISA dar. Faktisch bedeutete<br />
es ein vollständiges Einschwenken<br />
der Senatspolitik auf die lange bekannten<br />
Forderungen der CDU.<br />
Legitimationskrise<br />
Was zeigt das Fallbeispiel? Es macht<br />
zunächst die große öffentliche Wirkung<br />
der PISA-Ergebnisse deutlich: Das<br />
schlechte Abschneiden Bremens wirkte<br />
sich unmittelbar auf die Landespolitik<br />
aus und stürzte den sozialdemokratischen<br />
Teil der Regierung in eine Legitimationskrise.<br />
Die PISA-Ergebnisse wurden<br />
somit genutzt, um seit langem geforderte<br />
Maßnahmen (z. B. das Zentralabitur),<br />
die bis dahin aber auf großen<br />
PISA-E<br />
Ex-Bildungssenator<br />
Willi<br />
Lemke (SPD)<br />
ordnete nach dem<br />
PISA-Desaster<br />
„von oben“ Reformen<br />
an: eine massive<br />
Verstärkung<br />
von Lernstandserhebungen<br />
und<br />
zentrale Prüfungen.<br />
Aufgrund der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit der PISA-<br />
Ergebnisse gerieten die Schulministerien der Länder bereits<br />
im <strong>Dezember</strong> 2001 ins Zentrum der Kritik. Dementsprechend<br />
ging es Politikern bald nicht mehr „nur“ um die „richtigen“<br />
Maßnahmen zur Problemlösung, sondern zunehmend um eine<br />
möglichst günstige öffentliche Darstellung der eigenen<br />
Position. Zum Beispiel in Bremen.<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 21
PISA-E<br />
Ex-Bürgermeister<br />
Henning Scherf<br />
(SPD) bekannte<br />
sich kurz nach<br />
Veröffentlichung<br />
der niederschmetternden<br />
PISA-Daten zur<br />
„politischen<br />
Schuld“.<br />
* Tillmann, K.J./Dedering,<br />
K./Kneuper,<br />
D./Kuhlmann, C./Nessel,<br />
I: PISA als bildungspolitisches<br />
Ereignis.<br />
Fallstudien in vier Bundesländern.<br />
VS-Verlag<br />
Wiesbaden <strong>2008</strong><br />
** OECD-PISA (Hrsg.)<br />
(2000): Schülerleistungen<br />
im internationalen<br />
Vergleich. Eine neue<br />
Rahmenkonzeption für<br />
die Erfassung von Wissen<br />
und Fähigkeiten.<br />
Berlin: MPI<br />
*** Mayntz, R. (2004):<br />
Governance im modernen<br />
Staat. In: Benz, A.<br />
(Hrsg.): Governance –<br />
Regieren in komplexen<br />
Regelsystemen. Wiesbaden:<br />
VS-Verlag<br />
Politik benutzt<br />
die PISA-Daten<br />
sehr gerne, um<br />
ohnehin getroffeneEntscheidungen<br />
zusätzlich oder<br />
im Nachhinein<br />
zu legitimieren.<br />
öffentlichen Widerstand gestoßen waren,<br />
nun politisch durchzudrücken.<br />
PISA übte, so gesehen, eine beschleunigende<br />
bzw. verstärkende Wirkung aus,<br />
bestimmte bildungspolitische Interessen<br />
durchzusetzen. Die Forderung nach<br />
zentralen Abschlussprüfungen wurde<br />
angesichts der schlechten PISA-Werte<br />
mehrheitsfähig – die SPD gab ihren Widerstand<br />
auf. Diese schnelle Entscheidung<br />
für zentrale Leistungsüberprüfungen<br />
unterstellte, dass damit die durch<br />
PISA aufgedeckten Defizite (Kompetenzdefizite<br />
in Lesen und Mathematik,<br />
hohe soziale Selektion) behoben werden<br />
könnten. Es ist aber empirisch überhaupt<br />
nicht erwiesen, dass kontinuierliche<br />
Leistungsüberprüfungen zu einem<br />
durchgängig verbesserten Unterricht<br />
und einem höheren Leistungsniveau<br />
führen.<br />
Allerdings war und ist ein großer Teil der<br />
Öffentlichkeit davon überzeugt, dass<br />
zentrale Prüfungen zu besseren Leistungen<br />
beitragen. Vor dem Hintergrund des<br />
besonders scharfen „PISA-Schocks“ in<br />
Bremen waren deshalb zentrale Prüfungen<br />
politisch nicht mehr zu stoppen.<br />
So wie in Bremen haben wir in unserer<br />
Untersuchung insgesamt 13 themenbezogene<br />
Fallstudien (zentrale Prüfungen,<br />
Ganztagsschule, Schulstruktur) durchgeführt,<br />
und zwar in vier Bundesländern<br />
(Brandenburg, Bremen, Rheinland-<br />
Pfalz, Thüringen). Welche Erkenntnisse<br />
haben wir aus der Analyse bildungspolitischer<br />
Prozesse nach PISA gewinnen<br />
22 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
können? Versetzten die Befunde die<br />
„Steuerleute“ – also die politischen Entscheidungsträger<br />
– tatsächlich in die Lage,<br />
auf die schulischen Probleme angemessen<br />
zu reagieren und entsprechende<br />
Maßnahmen zu initiieren?<br />
Wir stellten zunächst fest, dass Vergleichsstudien<br />
wie PISA mit ihren Resultaten<br />
keinesfalls bevorzugt die „Steuerleute“<br />
beliefern, sondern vor allem eine<br />
sehr aktive Medienöffentlichkeit bedienen.<br />
Seit PISA müssen sich Kultusminister<br />
vor allem mit dem öffentlichen<br />
Bild der Ergebnisse auseinandersetzen.<br />
Sie versuchen deshalb, darauf Einfluss<br />
zu nehmen und es zugleich für ihre Interessen<br />
zu nutzen. Das heißt: Bildungspolitische<br />
Maßnahmen im Anschluss<br />
an PISA erscheinen aus der Sicht der<br />
Ministerien nur dann als sinnvoll, wenn<br />
sie zugleich die öffentliche Akzeptanz<br />
der Regierungspolitik stärken. Die Einführung<br />
zentraler Prüfungen beispielsweise<br />
weist genau dieses Legitimationspotenzial<br />
auf. Ein anderes Beispiel ist<br />
der Ausbau offener Ganztagsschulen,<br />
den fast alle Schulministerien nach<br />
PISA betrieben haben. Was folgt daraus?<br />
Bestätigt wird die politikwissenschaftliche<br />
Erkenntnis, dass (bildungs-)<br />
politische Reformen nicht nur nach<br />
sachlichen Gründen, sondern häufig<br />
auch „aus einem machtpolitischen Kalkül<br />
gewählt und verfolgt“ werden<br />
(Mayntz 2004***).<br />
Politische Handlungslogik<br />
Diese kritische Sicht auf die bildungspolitischen<br />
Prozesse darf man allerdings<br />
nicht auf eine naive Politik- und Politikerschelte<br />
reduzieren: Die von uns in<br />
den Blick genommenen Akteure in den<br />
Ministerien sind in aller Regel kenntnisreich<br />
und souverän mit den PISA-Ergebnissen<br />
umgegangen – allerdings souverän<br />
innerhalb ihrer politischen Handlungslogik.<br />
Was bedeutet das? Bildungspolitisches<br />
Handeln kann sich nicht allein<br />
auf eine gründliche Prüfung von<br />
Forschungsergebnissen stützen, um aus<br />
dieser Perspektive die „richtigen“ Maßnahmen<br />
abzuleiten. Vielmehr spielen in<br />
der bildungspolitischen Arena noch andere<br />
Faktoren, Interessen und Akteure<br />
eine Rolle: Koalitionskompromisse<br />
ebenso wie regionale Besonderheiten<br />
und finanzielle Bedingungen. Politik<br />
hat diese Faktoren alle abzuwägen – dabei<br />
sind die PISA-Daten nur ein Element<br />
unter vielen. Es zeigt sich aber<br />
auch, dass Politik die PISA-Studien sehr<br />
gern benutzt, um ohnehin getroffene<br />
Entscheidungen (etwa die Abschaffung<br />
der Orientierungsstufe in Bremen) zusätzlich<br />
oder im Nachhinein zu legiti-<br />
mieren. Mit PISA politisch begründet<br />
wurde, übrigens zeitgleich, in einem anderen<br />
Bundesland (Brandenburg) das<br />
genaue Gegenteil: die Beibehaltung des<br />
gemeinsamen Lernens in den Jahrgängen<br />
5/6.<br />
Nun soll hier nicht behauptet werden,<br />
dass politische Entscheidungen nie<br />
sach-, sondern immer nur macht- und<br />
interessenorientiert verlaufen. Aber die<br />
Vorstellung von einer rationalen Steuerung<br />
des Bildungssystems durch die Ergebnisse<br />
der empirischen Bildungsforschung<br />
greift zumindest für die hier beschriebenen<br />
Prozesse nach PISA zu<br />
kurz. Denn es bleibt nicht nur unklar,<br />
was unter „Steuerungswissen“ eigentlich<br />
zu verstehen ist und wie die „Steuerleute“<br />
in den Ministerien die „richtigen“<br />
Konsequenzen ziehen können. Entscheidend<br />
in diesem Kontext ist vielmehr,<br />
dass politische Legitimation eine<br />
hohe Relevanz besitzt. Daraus ergibt<br />
sich: Alle politisch vorgetragenen Argumente<br />
des Typs „Aus den PISA-Ergebnissen<br />
ergibt sich, dass nun auf jeden<br />
Fall die Maßnahme X zu realisieren ist“,<br />
sind äußerst skeptisch zu bewerten: Wie<br />
wird z. B. plausibel gemacht, dass die<br />
Maßnahme X bei den Schülerinnen und<br />
Schülern tatsächlich fachliche Kompetenzen<br />
verbessert oder soziale Selektivität<br />
verringert? Und welche Forschungsergebnisse<br />
belegen das? Gleichzeitig<br />
gilt: Alle Aussagen der Art, die<br />
Maßnahme Y (z. B. Veränderung der<br />
Schulstrukturen) löse nicht die Probleme<br />
und sei deshalb abzulehnen, stehen<br />
oft auf nicht weniger tönernen Füßen.<br />
Hier muss kritisch nachgefragt werden:<br />
Welche politischen Interessen stehen<br />
dahinter, bestimmte Reformen von<br />
vornherein auszunehmen?<br />
Fazit<br />
Fest steht: Ein direkter Zusammenhang<br />
zwischen PISA-Ergebnissen und bildungspolitischen<br />
Reformen – eine Art<br />
„Sachzwang“ – existiert nicht. Deshalb<br />
lassen sich „Steuerungsmaßnahmen“<br />
aus PISA nicht einfach ableiten. Welche<br />
Reformen der Öffentlichkeit als notwendig<br />
und sinnvoll präsentiert werden,<br />
wird vielmehr im politischen Diskurs<br />
entschieden. Wenn es der Fach- und<br />
Medienöffentlichkeit gelänge, in diesem<br />
Diskurs stärker die Sicht und die Interessen<br />
von Lehrkräften und Schülern<br />
einzubringen, wäre einiges gewonnen:<br />
Es bestünde dann zumindest die Chance,<br />
pädagogisches Handeln zielgenauer<br />
und an den Problemen orientierter auszurichten.<br />
Klaus-Jürgen Tillmann, Professor für<br />
Schulpädagogik em., Universität Bielefeld
„Wir brauchen keinen<br />
weiteren Sonderschultyp“<br />
KMK muss ihre falsche Hauptschulpolitik beenden<br />
Die kurz vor Veröffentlichung der<br />
innerdeutschen PISA-Befunde bekanntgewordene<br />
Absicht der Kultusminister,<br />
die Qualitätsüberprüfung<br />
für den Hauptschulabschluss auf die<br />
lange Bank zu schieben, hat in der<br />
Öffentlichkeit, bei Experten und der<br />
<strong>GEW</strong> einigen Wirbel verursacht.<br />
Marianne Demmer weist in ihrem<br />
Beitrag auf den Zusammenhang zwischen<br />
mangelhaften Schülerleistungen<br />
und selektiver Schulstruktur sowie<br />
fehlender individueller Förderung hin.<br />
Die <strong>GEW</strong> hatte seit längerem davor<br />
gewarnt, Bildungs- als Prüfungsstandards<br />
für bundesweite zentrale Abschlussprüfungen<br />
vorzusehen.<br />
Jetzt sitzt die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) in der Patsche<br />
und muss die Suppe auslöffeln,<br />
die sie sich gegen den Rat aller<br />
Experten selbst eingebrockt hat.<br />
Alle, die sich nur etwas näher<br />
mit den PISA-Ergebnissen beschäftigt<br />
haben, haben die KMK davor<br />
gewarnt, ihre Bildungsstandards als Abschluss<br />
bezogene Prüfungsstandards zu<br />
konzipieren. Die Experten der so genannten<br />
Klieme-Expertise* und die<br />
<strong>GEW</strong> haben mit Nachdruck dafür plädiert,<br />
die Bildungsstandards als Orientierungs-<br />
und Förderstandards auszulegen.<br />
Die Lehrkräfte sollten einen Maßstab<br />
für Qualität an die Hand bekommen,<br />
und für die politische und die<br />
schulaufsichtliche Ebene sollte deutlich<br />
werden, wo besondere Unterstützung<br />
notwendig ist.<br />
Weg ins Desaster<br />
Die <strong>GEW</strong> hat darauf hingewiesen, dass<br />
vor allem zentrale bundesweite Abschlussprüfungen<br />
für den Hauptschulabschluss,<br />
die auf einheitlichen Standards<br />
beruhen, in einem föderalen Land<br />
wie Deutschland nur ins Desaster<br />
führen könnten. Die Hauptschulquote<br />
lag 2006 bundesweit im 8. Schuljahr bei<br />
21,8 Prozent und bewegte sich unter den<br />
Bundesländern zwischen 10,9 Prozent<br />
in Hamburg und 34,7 Prozent in Bayern.<br />
Dass unter solchen Bedingungen<br />
Vergleiche nur in die Irre führen können,<br />
leuchtet unmittelbar ein. Entweder<br />
müssten die Anforderungen an den<br />
Bundesländern mit den schwächsten Ergebnissen<br />
ausgerichtet werden oder viele<br />
Schülerinnen und Schüler, die im anregungsarmen<br />
Milieu der Hauptschulen<br />
lernen müssen, bekommen keinen Abschluss.<br />
Letzteres ist zynisch und unverantwortlich<br />
gegenüber den Betroffenen.<br />
Eine Absenkung der Anforderungen<br />
und die Abkopplung von den übrigen<br />
Schulformen der Sekundarstufe I ist für<br />
die Qualitätsentwicklung verheerend.<br />
Die Hauptschule als weiterer Sonderschultyp<br />
ist wirklich das Letzte, was wir<br />
in Deutschland brauchen können.<br />
Vor allem die konservativen Kultusminister<br />
bestanden auf Hauptschul-Prüfungsstandards.<br />
Die KMK beauftragte<br />
das Institut für Qualitätsentwicklung im<br />
Bildungswesen (IQB) in Berlin, die entsprechenden<br />
Testaufgaben in Anlehnung<br />
an die Kompetenzstufen des<br />
PISA-Formats zu entwickeln und zu<br />
überprüfen. Und was stellten die Forscher<br />
fest? Mehr als 50 Prozent der<br />
Hauptschüler erreichen in Mathematik<br />
nicht den Mindeststandard (Kompetenzstufe<br />
II), 75 Prozent scheitern am<br />
schriftlichen Mindeststandard des Gemeinsamen<br />
Europäischen Referenzrahmens<br />
für Fremdsprachen.<br />
Und das sind die bundesdeutschen<br />
Durchschnittswerte! In den einzelnen<br />
Ländern dürften die Werte für Mathematik<br />
zwischen 40 und über 70 Prozent<br />
liegen. Anders ausgedrückt: Koppelt<br />
man den Hauptschulabschluss an die<br />
Mindestanforderungen, dürften ihn im<br />
Bundesdurchschnitt zirka 50 Prozent<br />
der Hauptschüler und in manchen Bundesländern<br />
sogar mehr als zwei Drittel<br />
nicht erhalten. Was das für die sowieso<br />
brachliegende Motivation dieser Schülergruppe<br />
bedeutet, muss nicht illustriert<br />
werden.<br />
Die KMK befindet sich in der babylonischen<br />
Gefangenschaft der Ideologie eines<br />
angeblich begabungsgerecht fördernden<br />
Schulsystems. Was soll sie tun?<br />
Soll sie die Qualitätsüberprüfung für<br />
Foto: imago<br />
den Hauptschulabschluss auf die lange<br />
Bank schieben und der Öffentlichkeit<br />
vorgaukeln, jetzt nähme man ganz<br />
enorme Unterstützungsmaßnahmen in<br />
Angriff, wie in einem vertraulichen Papier<br />
des IQB empfohlen wurde? Oder<br />
soll sie die Standards durch das IQB<br />
„passgenau“ machen lassen, sprich das<br />
Niveau absenken, wie es in der Empfehlung<br />
der Staatssekretäre für die KMK-<br />
Konferenz im <strong>Dezember</strong> anklingt?<br />
Hauptschulpolitik gescheitert<br />
Es gibt nur eine vernünftige Konsequenz:<br />
Die KMK muss das Scheitern ihrer<br />
Hauptschulpolitik und ihrer Politik<br />
der Bildungsstandards als Prüfungsstandards<br />
eingestehen. Vertuschen, schönen,<br />
die Ansprüche herunterschrauben<br />
hilft niemandem, vor allem den Hauptschülerinnen<br />
und -schülern nicht. Die<br />
einzig vernünftige Reaktion wäre: Abschaffen<br />
des Bildungsgangs Hauptschule<br />
und konsequente Förderung schwacher<br />
Schülerinnen und Schüler. Irgendwann<br />
werden sie es einsehen – fragt sich<br />
nur, wie lange die Hauptschulideologen<br />
dazu brauchen.<br />
Marianne Demmer, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />
PISA-E<br />
Weitere Infos und die<br />
Position der Bildungsgewerkschaft<br />
zu den Bildungsstandards<br />
in der<br />
<strong>GEW</strong>-Publikation „NationaleBildungsstandards<br />
– Wundermittel<br />
oder Teufelszeug“,<br />
Darmstadt 2003,<br />
www.gew.de/Bildungsstandards.pdf<br />
s. auch <strong>GEW</strong>-Stellungnahme<br />
auf der Homepage:www.gew.de/gewstellungnahme-standards.pdf<br />
s. auch E&W-Berichterstattung<br />
zu Bildungsstandards<br />
in 6/2002,<br />
11/2002, 3/2003,<br />
9/2003, 10/2003,<br />
12/2003, 7-8/2004,<br />
10/2004, 12/2005.<br />
*Eckhard Klieme u. a.:<br />
„Zur Entwicklung nationaler<br />
Bildungsstandards<br />
– Eine Expertise, Deutsches<br />
Institut für Internationale<br />
Pädagogische<br />
Forschung 2003<br />
Die schlechten<br />
Leistungsergebnisse<br />
der Hauptschulen<br />
lassen<br />
sich nicht schönreden.<br />
Die einzig<br />
vernünftige Reaktion<br />
wäre: Abschaffung<br />
der<br />
Hauptschule.<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 23
TARIFPOLITIK<br />
*Das Realeinkommen<br />
ist der Betrag, der nach<br />
Abzug der Preissteigerung<br />
und der Inflation<br />
vom Einkommen übrig<br />
bleibt.<br />
Geld ist genug da, ...<br />
Zwischen 2000 und 2006 ist das<br />
Volkseinkommen in Deutschland um<br />
206 Milliarden Euro gestiegen. Die<br />
Arbeitnehmerentgelte wuchsen allerdings<br />
lediglich um 45 Milliarden<br />
Euro. Gut 161 Milliarden sind Gewinn-<br />
und Vermögenseinkommen.<br />
Die Beschäftigten, die diesen Anstieg<br />
durch höhere Produktivität – also<br />
mehr Leistung – ermöglichten, haben<br />
davon nichts gesehen.<br />
Im Gegenteil: Im gleichen Zeitraum<br />
stiegen die Preise um zehn<br />
Prozent. Real sind die Einkommen<br />
der abhängig Beschäftigten<br />
um zirka sechs Prozent gesunken.*<br />
Damit gehört Deutschland im europäischen<br />
Vergleich zu den Schlusslichtern<br />
in punkto Lohn- und Gehaltswachstum.<br />
Tarifliche Lohnforderungen haben das<br />
Ziel, die Beschäftigten an den von ihnen<br />
erwirtschafteten Gewinnen zu beteiligen.<br />
Die Mindestforderungen basieren<br />
auf einer einfachen Faustformel: Produktivitäts-<br />
plus Preissteigerung gleich<br />
„neutraler Verteilungsspielraum“. Neutral<br />
bedeutet in diesem Zusammenhang,<br />
dass die Verteilungsquote der Gewinne<br />
zwischen Beschäftigten und Unternehmen<br />
konstant bleibt.<br />
Verteilungsspielraum<br />
Seit den 1990er-Jahren gelingt es den<br />
Gewerkschaften nicht mehr, diesen<br />
Spielraum in den Tarifauseinandersetzungen<br />
auszuschöpfen. Das Ergebnis<br />
sind überproportional hohe Gewinne,<br />
die dem Wertschöpfungskreislauf unter<br />
den Bedingungen der globalisierten<br />
Wirtschaft entzogen worden sind.<br />
Während in der letzten Aufschwungphase<br />
1998 bis<br />
2000 der private Konsum<br />
u. a. durch bessere Tarifabschlüsse<br />
deutlich gestärkt<br />
worden ist, blieb<br />
dies in der aktuellen<br />
Aufschwungphase<br />
aus: Die Einkommen<br />
sind real gesunken.<br />
Die deutsche Konjunktur<br />
krankt am<br />
schwachen Binnenmarkt.<br />
Vier von fünf<br />
24 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
...es muss nur anders verteilt werden<br />
Arbeitsplätzen hängen in Deutschland<br />
vom Binnenmarkt ab. Die Steuer- und<br />
Finanzpolitik der letzten zehn Jahre ist<br />
dieser Entwicklung nicht wirksam begegnet,<br />
sondern hat sie noch durch die<br />
Umverteilung von unten nach oben begünstigende<br />
Rahmenbedingungen und<br />
Steuergeschenke beflügelt. Ohne eine<br />
tarifpolitische Offensive für den Binnenmarkt<br />
werden die konjunkturellen<br />
Folgen der Finanzkrise nicht nur nicht<br />
bewältigt, sie verschärfen diese noch.<br />
Dieser Entwicklung muss entgegengesteuert<br />
werden. Es ist nicht zu wenig<br />
Geld da, es ist jedoch falsch verteilt.<br />
Deshalb setzt sich die <strong>GEW</strong> dafür ein,<br />
dass der neutrale Verteilungsspielraum<br />
durch die Erhöhung der Einkommen<br />
der abhängig Beschäftigten ausgeschöpft<br />
wird. Motor dafür müssen starke<br />
und durchsetzungsfähige Gewerkschaften<br />
im öffentlichen Dienst sein,<br />
die den Beschäftigten z. B. einen hohen<br />
kollektivrechtlichen Schutz ihrer Einkommens-<br />
und Arbeitsbedingungen<br />
durch verlässliche Flächentarifverträge<br />
erkämpfen können.<br />
Problem Finanzkrise<br />
Die aktuelle Finanzkrise hat das Wirtschaftswachstum<br />
beeinträchtigt, die Immobilienblase<br />
in den USA ist geplatzt<br />
und hat das weltweite System undurchsichtiger<br />
Geschäfte zusammenbrechen<br />
lassen (s. Seite 26). Sie wird die kommende<br />
Tarifrunde massiv belasten –<br />
nicht nur objektiv. Die Arbeitgeber werden<br />
die Krise nutzen, um damit öffentlich<br />
für „moderate Tarifabschlüsse“ zu<br />
argumentieren. Tatsächlich nutzt dies<br />
aber nur denjenigen, die die falsche Verteilung<br />
seit Jahren mit wechselnden Argumenten<br />
zum Nachteil der abhängig<br />
Beschäftigten verteidigen.<br />
Dauerhafter Wohlstand für alle wird<br />
durch Arbeit, nicht durch Hedgefonds,<br />
Leerverkäufe oder Zweckgesellschaften<br />
in Steuerparadiesen geschaffen. Die Beschäftigten<br />
müssen die sozialen Errungenschaften<br />
in diesem Land verteidigen<br />
und dafür kämpfen, dass die Ergebnisse<br />
des wirtschaftlichen Erfolges bei denjenigen<br />
landen, die diesen schaffen: bei<br />
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.<br />
Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereiches<br />
Angestellten- und Beamtenpolitik<br />
Eine unen<br />
Ohne gewerkschaftlichen Druck kei<br />
Hehre Ziele haben die Gewerkschaften<br />
mit der Neugestaltung des Tarifrechts<br />
für den öffentlichen Dienst verfolgt.<br />
Diskriminierungsfrei sollte es ein, die<br />
Beschäftigten sollten durch die Überleitung<br />
keine Verluste erleiden, die Wertebenen<br />
erhalten werden.<br />
Auch wenn man berücksichtigt,<br />
dass Tarifabschlüsse<br />
immer Kompromisscharakter<br />
haben,<br />
muss man kurz vor der im<br />
Januar und Februar 2009<br />
stattfindenden zweiten Verhandlungsphase<br />
für den Tarifvertrag der Länder<br />
(TV-L) feststellen, dass die Beschäftigten<br />
bisher den Kürzeren gezogen haben.<br />
Der Hauptgrund: Es ist bis jetzt nicht<br />
gelungen, eines der größten Probleme<br />
des neuen Tarifrechts anzugehen. Für alle<br />
Bereiche fehlen die Regelungen zur<br />
Entgeltordnung.<br />
Im Verlauf der Verhandlungen ist allen<br />
Beteiligten klar geworden: Die Materie<br />
ist so umfangreich, kompliziert und<br />
komplex, dass es nicht möglich ist, mit<br />
Inkrafttreten des neuen Tarifrechts auch<br />
eine neue Entgeltordnung zu tarifieren.<br />
Das hatte zur Folge, dass das bisherige<br />
Eingruppierungsrecht als ein entscheidendes<br />
Element des tariflichen Bezahlungssystems<br />
weiter gültig ist – und die<br />
neue Entgelttabelle damit nur unzureichend<br />
korrespondiert. Mit dieser Regelung<br />
geht einher, dass alle Neueingestellten<br />
und teilweise auch die vom<br />
Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in<br />
den Tarifvertrag öffentlicher Dienst<br />
(TVöD)/TV-L übergeleiteten Beschäftigten<br />
ihre Aufstiegsgewinne verlieren.<br />
Die Termine, die für das Inkrafttreten
dliche Geschichte<br />
ne akzeptable Entgeltordnung<br />
des neuen Eingruppierungsrechts vereinbart<br />
wurden, sind immer wieder hinausgeschoben<br />
worden – vom 31. <strong>Dezember</strong><br />
2006 auf den 31. <strong>Dezember</strong><br />
2007. Heute gibt es keine Terminsetzung<br />
mehr. Nur aus der Tarifeinigung vom 31.<br />
März <strong>2008</strong> für den Bereich des Bundes<br />
und der Kommunen lässt sich aus den<br />
geänderten Besitzstandsregelungen zu<br />
den Aufstiegen indirekt entnehmen,<br />
dass der 31. <strong>Dezember</strong> 2009 ein denkbares<br />
Datum für das Inkrafttreten des neuen<br />
Eingruppierungsrechts sein könnte.<br />
Aber auch hier haben die Tarifvertragsparteien<br />
ein weiteres Hinausschieben<br />
des Termins vorsorglich nicht ausgeschlossen.<br />
Für den Bereich der Länder sieht es<br />
nicht besser aus.<br />
Arbeitgeber sparen Geld<br />
Zwar ist es zum ersten Mal gelungen, die<br />
Arbeitgeber zu zwingen, auch für Lehrkräfte<br />
künftig eine Entgeltordnung zu<br />
tarifieren, seither sitzen die Arbeitgeber<br />
das Thema jedoch aus – und sparen kräftig<br />
Personalkosten. Gerade für Beschäftigte<br />
im Bildungsbereich wirkt sich die<br />
fehlende Entgeltordnung gravierend<br />
aus. Die Einkommensverluste neu eingestellter<br />
Lehrkräfte und wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter z. B. belaufen sich auf<br />
mehr als 25 Prozent – gemessen am<br />
früheren BAT-Einkommen. Durch den<br />
Wegfall der Bewährungsaufstiege sieht<br />
es für den Sozial- und Erziehungsdienst<br />
nicht besser aus.<br />
Für diese Bereiche, insbesondere bei Erzieherinnen,<br />
sind sich zudem die an den<br />
Verhandlungen beteiligten Gewerkschaften<br />
bei der Zielsetzung nicht einig. Nach<br />
Ansicht der <strong>GEW</strong> sind auch Erzieherinnen<br />
nach Grundmerkmalen so einzu-<br />
gruppieren wie alle anderen Beschäftigten,<br />
deren Tätigkeit in der Regel eine<br />
Fachschulausbildung nach einer abgeschlossenen<br />
einschlägigen Berufsausbildung<br />
erfordert. Ver.di hält dem entgegen,<br />
dass Erzieherinnen sich in einer „atypischen“<br />
Fachschulausbildung auf ihre<br />
Tätigkeit vorbereiteten. Dies rechtfertige,<br />
sie bei der Eingruppierung über die<br />
Grundmerkmale eine Gruppe tiefer als<br />
beispielsweise Techniker einzuordnen.<br />
Auch für Lehrkräfte hat ein Diskussionsprozess<br />
stattgefunden, in dem wesentliche<br />
Eckpunkte der Forderungen<br />
zur „Lehrereingruppierung“ entwickelt<br />
worden sind. Hierzu gehören unter anderem<br />
die Abkehr von dem Verweis auf<br />
die Eingruppierung nach statusrechtlichem<br />
Amt und einer nach Schularten<br />
und -stufen differenzierten Eingruppierung<br />
sowie die Regeleingruppierung in<br />
die Entgeltgruppe 13 für voll ausgebildete<br />
Lehrkräfte. Anders als für den Sozialund<br />
Erziehungsdienst geht die <strong>GEW</strong> für<br />
die Lehrereingruppierung jedoch von<br />
einer stärkeren Gewichtung der Ausbildung<br />
aus, ohne dass sich eine nicht vollständige<br />
Ausbildung im formellen Sinne<br />
für immer und ewig in einer niedrigeren<br />
Entgeltgruppe niederschlagen darf.<br />
Die Tätigkeit soll für die Eingruppierung<br />
von Lehrkräften mit Blick auf<br />
Tätigkeitsfelder eine Rolle spielen.<br />
Denn zu dieser Gruppe zählen nicht nur<br />
Lehrer, sondern auch pädagogische Mitarbeiterinnen,<br />
Mitarbeiter u. a.<br />
Spartenbezogen eingruppieren<br />
Die Tarifrunde 2009 betrifft rund 1,95<br />
Millionen Beschäftigte. Davon arbeiten<br />
941 000 als Lehrkräfte und sozialpädagogische<br />
Angestellte in Schulen,<br />
weitere 100 000 im Hochschulbereich.<br />
Wirkung entfaltet der Tarifvertrag aber<br />
auch für viele in Forschungseinrichtungen<br />
Tätige.<br />
Im Bereich Wissenschaft schlägt die<br />
<strong>GEW</strong> eine spartenbezogene und bundesweit<br />
geltende, funktionsbezogene<br />
Eingruppierung vor, weil sich die Tätigkeiten<br />
in der Regel nicht sinnvoll in Arbeitsvorgänge<br />
aufspalten lassen. Für das<br />
wissenschaftliche, künstlerische und sonstige<br />
Fachpersonal in Lehre, Forschung<br />
sowie Wissenschaftsmanagement wird<br />
eine primär an der Ausbildung ausgerichtete<br />
Eingruppierung gefordert. Die Eckeingruppierung<br />
ist die Entgeltgruppe 13,<br />
wenn es sich im Sinne der EU-Charta zur<br />
Einstellung von Forschern um „Nachwuchswissenschaftler“<br />
handelt. D. h.,<br />
wenn ihre Ausbildung auch zur Promotion<br />
befähigt. In die Gruppe 14 sind „erfahrene<br />
Forscher“ im Sinne der EU-<br />
Charta einzusortieren. In die Gruppe 15<br />
kommen Beschäftigte, die die Voraussetzungen<br />
für Gruppe 14 erfüllen und entweder<br />
über zusätzliche Qualifikationen,<br />
wie eine erfolgreiche Juniorprofessur<br />
oder Habilitation, verfügen oder Tätigkeiten<br />
wahrnehmen, die Verantwortung<br />
für Personal, Finanzen oder Projektkoordination<br />
umfassen. Soweit die Voraussetzungen<br />
für eine Eingruppierung in 13<br />
nicht vorliegen, kommen Beschäftigte in<br />
die Entgeltgruppe 12.<br />
In der Tarifrunde <strong>2008</strong> haben die Gewerkschaften<br />
durchgesetzt, dass die Verhandlungen<br />
über vorläufige Regelungen<br />
zur Entgeltordnung im Sozial- und<br />
Erziehungsdienst „vorgezogen“ werden.<br />
In der Tarifrunde 2009 muss es gelingen,<br />
dies auch für das lehrende Personal<br />
durchzusetzen.<br />
Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereiches<br />
Angestellten- und Beamtenpolitik<br />
Foto: imago<br />
TARIFPOLITIK<br />
Die Tarifrunde<br />
2009 betrifft rund<br />
1,95 Millionen<br />
im öffentlichen<br />
Dienst bei den<br />
Ländern Beschäftigte.<br />
Davon<br />
arbeiten 941 000<br />
als Lehrkräfte<br />
und sozialpädagogischeAngestellte<br />
an Schulen,<br />
weitere<br />
100 000 im Hochschulbereich.<br />
Ilse Schaad<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 25<br />
Foto: Privat
WIRTSCHAFTSPOLITIK<br />
Anm. d. Red.:<br />
*Verbriefungen: Gemeint<br />
ist, handelbare<br />
Wertpapiere aus Kreditforderungen<br />
oder<br />
Eigentumsrechten (z. B.<br />
Leasing-Forderungen)<br />
im weitesten Sinne zu<br />
schaffen.<br />
**Homöopathie basiert<br />
auf dem Ähnlichkeitsprinzip:<br />
„Ähnliches soll<br />
durch Ähnliches geheilt<br />
werden.“ In der Homöopathie<br />
wird die Arzneisubstanz<br />
schrittweise<br />
mit Wasser und Alkohol<br />
verdünnt, sodass der<br />
Ausgangsstoff nicht<br />
mehr nachweisbar ist.<br />
***Subprime-Kredite:<br />
Als Subprime-Markt<br />
wird ein Teil des privatenHypothekendarlehensmarktesbezeichnet,<br />
der überwiegend<br />
aus Kreditnehmern mit<br />
sehr geringer Bonität<br />
besteht.<br />
Geplatzte Illusionen<br />
26 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Nur koordiniert kann sich Europa aus der Finanzkrise befreien<br />
<strong>2008</strong> schreibt Wirtschaftsgeschichte.<br />
Selten sind innerhalb eines so kurzen<br />
Zeitraums derartig viele zuvor als<br />
eherne Grundsätze geltende Verhaltensweisen<br />
über Bord gegangen wie in<br />
diesem Jahr. Vieles, was vor wenigen<br />
Monaten noch undenkbar schien, wie<br />
die Teilverstaatlichung des Bankensektors<br />
auf beiden Seiten des Atlantiks,<br />
ist nunmehr Realität. Was geschehen<br />
ist, analysiert der Finanzexperte<br />
Gustav A. Horn.<br />
Geschehen ist vor allem der<br />
Zusammenbruch wirtschaftlicher<br />
Illusionen.<br />
Sie bestanden im Kern<br />
darin, dass die Akteure<br />
auf den globalen Finanzmärkten<br />
glaubten, sie könnten durch<br />
geschickte und intelligente Innovationen<br />
von Finanzmarktprodukten auf<br />
Dauer eine höhere Rendite auf ihr Ei-<br />
genkapital erzielen als dies in der Realwirtschaft<br />
langfristig möglich ist. Dabei<br />
hängt der Finanzmarkt unausweichlich<br />
am Tropf der Realwirtschaft. Jeder Finanzmarktkontrakt<br />
vom einfachsten<br />
Kreditgeschäft bis hin zum Handel mit<br />
komplexen Verbriefungen* basiert letztlich<br />
auf einer realwirtschaftlichen Transaktion.<br />
Nur wenn ein Unternehmen,<br />
ein privater Haushalt oder der Staat seine<br />
Geschäfte oder Vorhaben nicht mit<br />
Barmitteln durchführen kann oder will,<br />
wird die Hilfe des Finanzmarktes in Anspruch<br />
genommen. Dies kann als<br />
Schuldner oder als Gläubiger geschehen.<br />
Jeder Gläubiger führt dem Kapitalmarkt<br />
Mittel zu, jeder Schuldner entzieht<br />
sie ihm. Damit sind die dem Kapitalmarkt<br />
zur Verfügung stehenden Ressourcen<br />
unmittelbar mit der Einkommensentwicklung<br />
der Realwirtschaft<br />
verknüpft. Die Rahmenbedingungen<br />
werden darüber hinaus noch von der allgemeinen<br />
wirtschaftlichen Entwicklung<br />
und der Geldpolitik gestaltet, die über<br />
die Leitzinsen einen maßgeblichen Einfluss<br />
auf die Zinsen, also die Preise auf<br />
den Finanzmärkten, ausübt.<br />
Sind die Renditen auf dem Finanzmarkt<br />
höher als in der Realwirtschaft, wird das<br />
Angebot an Finanzmitteln durch Gläubiger<br />
stärker zunehmen als die Nachfrage<br />
nach ihnen durch Schuldner. Denn<br />
in diesem Fall ist es rentabler, seine Mittel<br />
auf dem Finanzmarkt anzulegen als<br />
realwirtschaftlich zu investieren. Das<br />
bedeutet aber, die Kreditvergabe muss<br />
billiger werden. Somit sinkt die Finanzmarktrendite<br />
in Richtung der realwirtschaftlichen.<br />
Analoges gilt für den umgekehrten<br />
Fall einer niedrigeren Finanzmarktrendite.<br />
Immer wieder sorgt der<br />
Marktmechanismus dafür, dass sich die<br />
Renditen auf beiden Märkten nicht dauerhaft<br />
auseinanderentwickeln. Unter<br />
diesen Umständen sind höhere Renditen<br />
im Einzelfall nur temporär oder aber<br />
mit dem Eingehen höherer Risiken<br />
möglich.<br />
Dieser Zusammenhang geriet aber of-<br />
Illustration: Thomas Plaßmann
fensichtlich in den vergangenen Jahren<br />
in Vergessenheit. Die neu strukturierten<br />
Finanzmarktprodukte erweckten die Illusion,<br />
dass Risiken auf diese Weise<br />
„homöopathisiert“** und so zum Verschwinden<br />
gebracht würden. Tatsächlich<br />
wird zwar das Risiko einer einzelnen<br />
Anlage für den Erzeuger der Finanzanlage<br />
(Originator) vermindert. Dies erwies<br />
sich jedoch wie im Fall der Subprime-Kredite***<br />
in den USA als Anreiz,<br />
größere Risiken als früher einzugehen.<br />
Gleichzeitig werden diese sogar über die<br />
Verbreitung durch Verbriefungen in<br />
Form von Wertpapieren noch weiter gestreut.<br />
Die Risiken bleiben erhalten,<br />
wenn auch jeweils in kleineren Dosierungen.<br />
Werden, wie im Fall der Subprime-Produkte,<br />
die Risiken relevant,<br />
bleiben die Schäden nicht auf die ursprünglichen<br />
Risikonehmer begrenzt,<br />
sondern weiten sich rasch über den gesamten<br />
globalen Finanzmarkt aus. Damit<br />
schwindet dann aber das Vertrauen<br />
in alle möglichen Produkte, die Kurse<br />
fallen und Kapital wird vernichtet.<br />
Folgen für die Realwirtschaft<br />
Es wird zunehmend deutlicher, dass –<br />
ausgehend vom Zusammenbruch des<br />
US-amerikanischen Subprime-Immobilienmarktes<br />
– sich die realwirtschaftlichen<br />
Folgen der Übersteigerungen auf<br />
den Finanzmärkten in immer höheren<br />
Wellen weltweit ausbreiten. Nicht nur<br />
die USA, sondern auch Europa und viele<br />
Schwellenländer stehen mittlerweile<br />
am Rande einer Rezession oder befinden<br />
sich bereits mittendrin. Banken und<br />
Finanzmarktinvestoren gehen nur noch<br />
geringere Risiken ein. Weltweit wird die<br />
Kreditvergabe restriktiver. Das gilt auch<br />
für die Banken untereinander. Der Interbankenmarkt<br />
(der Geldhandel zwischen<br />
den einzelnen Banken – Anm. d.<br />
Red.) ist zum Erliegen gekommen und<br />
damit stockt der Geldkreislauf. Dies<br />
trifft zunehmend die Finanzierung von<br />
realwirtschaftlichen Investitionen, die<br />
entsprechend gesenkt werden. Ein globaler<br />
Investitionseinbruch ist zu befürchten,<br />
wahrscheinlich bereits im Entstehen<br />
begriffen. Generell gilt, dass die<br />
Instabilität der Finanzmärkte sich auf<br />
diese Weise zunehmend negativ auf die<br />
Stabilität der Konjunktur auswirkt und<br />
Aufschwünge und damit auch die Beschäftigungsdynamik<br />
zum Erliegen<br />
bringen. Die Zeche zahlen am Ende die<br />
Arbeitnehmer.<br />
Was ist zu tun?<br />
Die Verschärfung der Finanzmarktkrise<br />
hat die nationalen Regierungen zum<br />
massiven Einschreiten gezwungen. Eu-<br />
ropas Regierungen haben Rettungspakete<br />
im Gesamtumfang von über zwei<br />
Billionen Euro geschnürt (ohne erhöhte<br />
Einlagensicherung). Fast täglich werden<br />
Banken teilverstaatlicht. Auch die Bundesregierung<br />
hat 500 Milliarden Euro<br />
zur Stabilisierung des Finanzsektors zur<br />
Verfügung gestellt. Nach der Erleichterung<br />
über die groß angelegte globale Initiative<br />
zur Stabilisierung der Kreditwirtschaft<br />
und der Finanzmärkte ist mittlerweile<br />
eine gewisse Ernüchterung festzustellen.<br />
Aktien haben weiterhin weltweit<br />
an Wert verloren, und wenig deutet bisher<br />
darauf hin, dass sich das Vertrauen<br />
zwischen den Banken wieder hergestellt<br />
hätte. Noch immer kann der komplette<br />
Zusammenbruch des Finanzsystems<br />
nicht völlig ausgeschlossen werden.<br />
Abgestimmte Rettungsaktion<br />
In den vergangenen Wochen ist es aber<br />
gelungen, eine international abgestimmte<br />
Rettungsaktion für den Bankensektor<br />
in Gang zu setzen. Was allerdings<br />
noch fehlt, sind international koordinierte<br />
kräftige konjunkturpolitische<br />
Maßnahmen gegen die weltwirtschaftliche<br />
Rezession. Diese zweite Komponente<br />
muss in einem Konjunkturprogramm<br />
bestehen, das die Wirtschaft insgesamt<br />
stimuliert und nicht nur einzelne<br />
Sektoren. Zwar dürfte der finanzielle<br />
Aufwand für den Staat bei einer aktiven<br />
Konjunktur- und Wachstumspolitik<br />
und durch die Staatsgarantien zunächst<br />
höher sein als ohne diese, aber im Laufe<br />
der Zeit müsste sich der höhere Anfangsaufwand<br />
mehr als ausgleichen.<br />
Denn die Banken erholen sich rascher<br />
aufgrund der schneller wieder Fuß fassenden<br />
Konjunktur. Damit werden sie<br />
ihre Vorsicht bei der Kreditvergabe<br />
schneller überwinden und den Unternehmenssektor<br />
hierdurch stimulieren.<br />
Es entsteht in der Folge eine positive<br />
Wechselwirkung zwischen Konjunktur<br />
und Konsolidierung des Finanzsystems.<br />
Dies führt auch zu höheren Steuereinnahmen<br />
des Staates. Gleichzeitig erlaubt<br />
die raschere Konsolidierung des<br />
Bankensektors einen schnelleren Verkauf<br />
der staatlichen Anteile am Bankensystem<br />
sowie der übernommenen Finanztitel<br />
zu einem höheren Preis. Damit<br />
kann die Schuldenlast wieder reduziert<br />
werden.<br />
Wachstumspaket schnüren<br />
Ein Vorschlag ist:<br />
1. Die Finanzpolitik muss die automatischen<br />
Stabilisatoren voll wirken lassen,<br />
d. h. sie muss konjunkturbedingte Defizite<br />
hinnehmen und darf ihnen nicht<br />
hinterher sparen. Anders ausgedrückt:<br />
Mit dem Abschwung sinken die Einnahmen<br />
des Staates, während seine Ausgaben<br />
z. B. für Arbeitslosengeld steigen.<br />
Werden also weniger Steuern gezahlt<br />
und wird dafür mehr Arbeitslosengeld<br />
ausgezahlt, „stabilisiert sich zwar automatisch“<br />
die Wirtschaft, aber zugleich<br />
vergrößert sich das Haushaltsdefizit des<br />
Staates. Nur so lässt sich der Abwärtstrend<br />
durchbrechen. Diese Entwicklung<br />
darf man allerdings nicht durch<br />
Sparprogramme konterkarieren.<br />
2. Über diese automatischen Stabilisatoren<br />
hinaus bedarf es eines zusätzlichen<br />
kräftigen fiskalischen Impulses durch<br />
ein Wachstumspaket. Um eine spürbare<br />
Wirkung zu entfalten, sollte der gesamtstaatliche<br />
Impuls angesichts der Schärfe<br />
des zu erwartenden Abschwungs im<br />
nächsten Jahr nicht schwächer als 25<br />
Milliarden Euro (ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
[BIP]) sein. Auch<br />
dieser Impuls darf nicht durch Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen<br />
an<br />
anderer Stelle konterkariert werden.<br />
3. Das Wachstumspaket sollte Maßnahmen<br />
aus vier Teilbereichen kombinieren,<br />
die sich sowohl zeitlich als auch<br />
hinsichtlich ihrer Wirkung optimal ergänzen.<br />
Bei den Teilbereichen handelt<br />
es sich um<br />
● die konjunktur- und wachstumspolitisch<br />
besonders effektive dauerhafte<br />
Aufstockung der öffentlichen Investitionen<br />
in Bildung und ökologische Infrastruktur,<br />
● die Stützung des privaten Konsums<br />
durch zeitlich befristete breite Entlastungen<br />
für die privaten Haushalte,<br />
● selektive zeitlich befristete Kredithilfen<br />
sowie Investitions- und Beschäftigungsanreize<br />
im Bereich der ökologischen<br />
Modernisierung und zur Förderung<br />
von Handwerksdienstleistungen,<br />
● enge Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften,<br />
insbesondere finanzielle<br />
Unterstützung der Gemeinden,<br />
damit diese als zentrale öffentliche<br />
Investoren ihre Investitionen bei konjunkturbedingten<br />
Einnahmeausfällen<br />
nicht kürzen müssen.<br />
Im Rahmen eines solchen Programms<br />
kann sich die Konjunktur im Lauf des<br />
kommenden Jahres wieder erholen. Voraussetzung<br />
hierfür ist aber auch, dass in<br />
allen Ländern des Euroraums ähnliche<br />
Maßnahmen ergriffen werden und die<br />
Geldpolitik diesen Kurs auch unterstützt.<br />
Nur koordiniert kann sich Europa<br />
aus dieser Krise befreien. Auch dies<br />
ist eine Lehre aus <strong>2008</strong>, das ein besonderes<br />
Jahr ist.<br />
Gustav A. Horn, Finanzexperte,<br />
Hans-Böckler-Stiftung<br />
WIRTSCHAFTSPOLITIK<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 27
BILDUNGSPOLITIK<br />
„Vor allem Migrantenkinder<br />
sind die Verlierer<br />
unseres Bildungswesens.<br />
Sie verlassen<br />
die Schule<br />
doppelt so häufig<br />
wie ihre deutschen<br />
Mitschüler<br />
ohne Abschluss.“<br />
Migrantenkinder<br />
massiv fördern<br />
Nach dem Bildungsgipfel – wie weiter?<br />
Die PISA-Daten für die Bundesländer<br />
stellen dem deutschen Schulsystem erneut<br />
ein miserables Zeugnis aus. Sie zeigen,<br />
dass es bei der Frage der sozialen Auslese<br />
in unserem Bildungswesen kaum eine<br />
Besserung gibt (siehe S. 13 f.).<br />
Dieser Befund liegt im Trend<br />
zahlreicher nationaler und<br />
internationaler Studien<br />
über unser Schulsystem:<br />
Hauptschüler haben zunehmend<br />
schlechte Chancen,<br />
den Sprung in Ausbildung und Beruf<br />
zu meistern. Unser gegliedertes<br />
Schulsystem gleicht einer Rutschbahn,<br />
auf der soziale Auslese „nach unten“<br />
bestens funktioniert. Vor allem Migrantenkinder<br />
sind die Verlierer unseres Bildungswesens.<br />
Sie verlassen die Schule<br />
doppelt so häufig wie ihre deutschen<br />
Mitschüler ohne Abschluss. Von „stabilen<br />
Problemlagen“ spricht eine von der<br />
Kultusministerkonferenz (KMK) unter<br />
Verschluss gehaltene Studie renommierter<br />
Bildungsforscher um Jürgen Baumert<br />
(s. E&W 9/<strong>2008</strong>). Angesichts der engen<br />
Kopplung von sozialer Herkunft und<br />
Bildungserfolg, der hohen Abbrecherquote<br />
im Schulwesen und der großen<br />
Zahl so genannter Risikoschüler sei ein<br />
28 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Foto: imago<br />
grundlegender<br />
Strategiewandel in<br />
der Bildungspolitik<br />
notwendig. Dabei<br />
liegt auf der<br />
Hand, was viele<br />
Wissenschaftler<br />
von der Politik verlangen:Insbesondere<br />
die Verlierer<br />
des Schulsystems<br />
Ulrich Thöne müssen „massiv<br />
und systematisch“<br />
gefördert werden!<br />
Gerade das hatte vielleicht Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel (CDU) im Blick, als<br />
sie im Sommer diesen Jahres die „Bildungsrepublik<br />
Deutschland“ ausrief –<br />
und die Ministerpräsidenten der Bundesländer<br />
zum Gipfel nach Dresden einlud.<br />
Angesichts der gravierenden Probleme<br />
des Bildungswesens und des<br />
Kompetenzgerangels zwischen Bund<br />
und Ländern geriet der groß angekündigte<br />
Gipfel leider zu einer Pleite. Bund<br />
und Länder verabschiedeten am Ende<br />
ein kleinteiliges 52-Punkte-Papier, das<br />
im Grunde eine Bestandsaufnahme bereits<br />
beschlossener Maßnahmen sowie<br />
ein Sammelsurium vager Zielformulierungen<br />
und politischer Absichtserklärungen<br />
ist. Inhaltliche Substanz hat<br />
der Beschluss nur dort, wo es um Maßnahmen<br />
geht, die längst „abgemachte<br />
Sache“ sind. Den Rechtsanspruch auf<br />
einen Krippenplatz etwa hat man in<br />
dem Gipfelpapier erneut festgeschrieben,<br />
er ist aber nicht dessen Ergebnis,<br />
sondern wurde von Bundesrat und Bundestag<br />
längst auf den Weg gebracht.<br />
Eher ist zu fragen, welche Projekte man<br />
ohne den Gipfel nicht in Angriff genommen<br />
hätte?<br />
Foto: christian v. Polentz / transit Berlin<br />
Politische Ignoranz<br />
Trotz aller Skepsis hatte die <strong>GEW</strong> begrüßt,<br />
dass es überhaupt zum Treffen in<br />
Dresden kam. Endlich kehrte die Bildungspolitik<br />
wieder auf die nationale<br />
Bühne zurück, bestand die Chance,<br />
dass Bund und Länder wieder mehr gemeinsame<br />
Verantwortung für das deutsche<br />
Bildungswesen übernehmen. Die<br />
<strong>GEW</strong> hat sich immer dafür eingesetzt,<br />
einen „Wettbewerbsföderalismus“ zu<br />
überwinden – zugunsten einer nationalen<br />
Bildungsstrategie, die auf einer vernünftigen<br />
Kooperation aller staatlichen<br />
Ebenen beruht. Doch letztlich konnte<br />
selbst die Bundeskanzlerin die Unions-<br />
Ministerpräsidenten nicht zu einer konstruktiven<br />
Zusammenarbeit bewegen.<br />
Das ganze Dilemma des deutschen<br />
Bildungsföderalismus zeigt sich in einer<br />
Äußerung des Ministerpräsidenten<br />
Sachsen-Anhalts, WolfgangBöhmer (CDU):<br />
„Ich erwarte, dass der Bildungsgipfel<br />
nach drei Stunden vorbei ist. Ich habe<br />
ihn nicht erfunden.“ Deutlicher lässt<br />
sich die Ignoranz gegenüber den dramatischen<br />
Problemen an unseren Kindergärten,<br />
Schulen und Hochschulen nicht<br />
formulieren.<br />
Welche Konsequenzen müssen die Gewerkschaften<br />
aus dem Scheitern des Bildungsgipfels<br />
ziehen? Immerhin haben<br />
Bund und Länder ein paar hehre Absichten<br />
beschlossen: Die Zahl der<br />
Schul- und der Ausbildungsabbrecher<br />
soll bis 2015 halbiert, die Beteiligung an<br />
der Weiterbildung erhöht sowie die<br />
Quote der Studienanfänger auf 40 Prozent<br />
eines jeden Jahrgangs angehoben<br />
werden. Auch hier ist Skepsis angebracht.<br />
Beispiel Schulabbrecher: Schon<br />
im Rahmen der europaweiten „Lissabon-Strategie“<br />
hat sich die Bundesrepublik<br />
verpflichtet, die Zahl der Jugendlichen<br />
ohne Schulabschluss bis 2010 zu<br />
halbieren. Beim Integrationsgipfel im<br />
Bundeskanzleramt verständigte man<br />
sich im Herbst darauf, die Zahl der jungen<br />
Migranten ohne Schulabschluss bis<br />
zum Jahr 2012 um die Hälfte zu senken.<br />
In Dresden ist dieses Ziel auf das Jahr<br />
2015 verschoben worden. So sinken von<br />
Gipfel zu Gipfel die eigenen Ansprüche.<br />
Bildungsgipfel-Monitor<br />
Die Gewerkschaften müssen diese Strategie<br />
öffentlich durchkreuzen. Denn die<br />
Menschen brauchen Lösungen! Wir<br />
sollten Bund und Länder an ihren eigenen<br />
Zielen messen. Mein Vorschlag: Jedes<br />
Jahr im Herbst veröffentlichen<br />
DGB und Gewerkschaften gemeinsam<br />
einen „Bildungsgipfel-Monitor“. Dort<br />
soll für alle Menschen sichtbar dokumentiert<br />
werden, welche Fort- und<br />
Rückschritte Bund und Länder bei der<br />
Umsetzung ihrer ureigenen Versprechen<br />
machen. Bestandteil dieses Monitors<br />
sollte eine Prioritätenliste der gravierendsten<br />
Mängel sein, die es dringend<br />
zu beseitigen gibt. Wir sollten den<br />
Druck auf Kanzlerin und Ministerpräsidenten<br />
so konkret wie möglich machen<br />
und ihn damit erhöhen!<br />
Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender
BERUFLICHE BILDUNG<br />
Klaus Hurrelmann,<br />
Uni Bielefeld:<br />
„Jugendliche<br />
wollen sich nicht<br />
festlegen, halten<br />
sich in Zeiten der<br />
Ungewissheit<br />
Optionen offen.<br />
Das ist eine kluge<br />
Strategie.“<br />
Michael Winkler,<br />
Uni Jena:<br />
„Es ist vorrangige<br />
Aufgabe von<br />
Schule, dafür zu<br />
sorgen, dass junge<br />
Menschen<br />
Selbstvertrauen<br />
entwickeln.“<br />
Tobias Dreher,<br />
Bundesagentur<br />
für Arbeit: „Den<br />
Schulen kommt<br />
heute mehr Bedeutung<br />
bei der<br />
Berufsorientierung<br />
zu.“<br />
Fotos: Christian von Polentz, transit<br />
Schule bildet nicht nur für<br />
die Wirtschaft aus<br />
Berufsorientierung in Schulen<br />
Wie Schulabgänger auf das Berufsleben<br />
vorbereitet werden, war Thema<br />
der Fachtagung „Zukunft in die Schule<br />
holen – Lebensplanung, Arbeitswelt<br />
und Berufsorientierung“, zu der die<br />
<strong>GEW</strong> Anfang November gemeinsam<br />
mit der Bundesagentur für Arbeit<br />
(BA) u.a. in das Berliner Abgeordnetenhaus<br />
eingeladen hatte.<br />
Bei der Frage nach der passenden<br />
Ausbildung für<br />
Schulabgänger reden viele<br />
mit: Die Eltern wollen für<br />
ihre Kinder einen Beruf,<br />
der soziales Prestige bringt<br />
und von dem sich später gut leben lässt.<br />
Die Schule gibt sich Mühe, Jugendlichen<br />
den Arbeitsmarkt zu erklären und<br />
sie für die Bewerbung fit zu machen.<br />
Die BA, laut Gesetz für die Berufsorientierung<br />
zuständig, schickt ihre Berater in<br />
die Schulen. Diese erläutern Bildungswege,<br />
Berufsbilder, Anforderungsprofile<br />
und Karrierechancen. Die Wirtschaft<br />
erwartet gut qualifizierten Nachwuchs.<br />
Junge Menschen mit Problemen und<br />
Benachteiligungen sind eher unerwünscht.<br />
Und die Heranwachsenden selbst? Sie<br />
tun sich schwer mit Entscheidungen.<br />
Sollen sie eine Ausbildung machen oder<br />
lieber studieren? Welcher Job kommt<br />
überhaupt in Frage? Welcher berufliche<br />
Weg bringt Spaß, Anerkennung und<br />
materielle Sicherheit? Lohnen schulische<br />
Anstrengungen überhaupt, wenn<br />
man am Ende doch keine Lehrstelle ergattert?<br />
Kluge Strategie<br />
„Das Verhalten der Jugendlichen ist völlig<br />
logisch“, stellte Prof. Dr. Klaus Hurrelmann<br />
von der Universität Bielefeld klar.<br />
„Sie wollen sich nicht festlegen, halten<br />
sich in Zeiten der Ungewissheit Optionen<br />
offen. Das ist eine kluge Strategie.“<br />
Denn die Berufswahl sei nicht mehr vergleichbar<br />
mit der vor 50 oder auch nur<br />
vor 20 Jahren. Heute lernt man nicht<br />
mehr einen Beruf für das ganze Leben.<br />
Außerdem verschiebt sich der Übergang<br />
30 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
ins Arbeitsleben immer weiter nach hinten.<br />
Erst mit Ende 20 bekämen viele die<br />
Chance, in den Arbeitsmarkt einzusteigen,<br />
betonte Hurrelmann. Das gilt nicht<br />
nur für Studierende. Einsteiger in das<br />
duale System sind heute im Schnitt 18<br />
bis 19 Jahre alt.<br />
Auch Birgit Reißig vom Deutschen Jugendinstitut<br />
(DJI) München hat diese<br />
Tendenz beobachtet. Sie untersuchte<br />
die Berufswahl von Hauptschulabsolventen.<br />
Dabei zeigte sich, dass diese immer<br />
seltener direkte Übergänge in die<br />
Berufsausbildung finden. Eine Alternative<br />
sahen viele in einem weiteren<br />
Schulbesuch.<br />
„Den Schulen kommt heute mehr Bedeutung<br />
bei der Berufsorientierung zu“,<br />
erklärte Tobias Dreher von der BA. Diese<br />
stünden gemeinsam mit den Berufsberatern<br />
in der Verantwortung, die Jugendlichen<br />
auf das berufliche Leben vorzubereiten.<br />
Seine Institution, die schon<br />
seit langem den Grundsatz „Eine Schule<br />
– ein Berater“ vertritt, möchte die Berufsorientierung<br />
weiter verbessern. „Wir<br />
wollen flexibler auf die einzelnen<br />
Schularten eingehen, enger mit den<br />
Schulen zusammenarbeiten. Außerdem<br />
will die BA zeitiger mit den Schülern in<br />
Kontakt treten, etwa ab Klasse 7.“<br />
Ob es richtig ist, die Berufsorientierung<br />
in den Unterricht einzubeziehen und zu<br />
zensieren, wird in den Schulen kritisch<br />
diskutiert. „Lebensorientierung ist nur<br />
möglich, wenn Vertrauen von und zu<br />
den Jugendlichen aufgebaut wird“, sagte<br />
ein langjähriger Arbeitslehre-Lehrer.<br />
„Die Schüler müssen Erfahrungen machen,<br />
was sie können und was nicht.<br />
Das schafft man nicht in einer Unterrichtsstunde<br />
mit der ganzen Klasse.“<br />
Besser sei es, Sozialpädagogen einzubeziehen.<br />
Aber daran werde vielerorts gespart.<br />
Mitunter fühlen sich Schulen mit diesen<br />
Problemen allein gelassen. „Es gibt<br />
kaum Netzwerke, nur gegenseitige<br />
Schuldzuweisungen“, beklagte sich ein<br />
Lehrer. „Die Schule schlägt auf die Eltern<br />
ein, die Wirtschaft auf die Schule.“<br />
Dabei sei es Aufgabe der gesamten Gesellschaft,<br />
der Jugend eine Perspektive<br />
zu geben. Das unterstrich auch <strong>GEW</strong>-<br />
Schulexpertin Marianne Demmer. Sie<br />
stellte aber klar, dass die Schule keineswegs<br />
dazu da ist, den Nachwuchs für die<br />
Wirtschaft heranzubilden. „Den Beschluss,<br />
den der <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand<br />
im Jahr 2000 gefasst hat, haben wir jetzt<br />
noch einmal bekräftigt. Unsere Bezugspunkte<br />
sind die allgemeinen humanen<br />
und zivilisatorischen Werte. Und die<br />
dürfen nicht durch einen homo oeconomicus<br />
ersetzt werden.“<br />
Trotz der zunehmenden Instabilität des<br />
Arbeitsmarktes – oder sogar gerade deshalb<br />
–, ergänzte Prof. Michael Winkler,<br />
Uni Jena, sei es vorrangige Aufgabe von<br />
Schule, dafür zu sorgen, dass junge<br />
Menschen Selbstvertrauen entwickeln.<br />
Katja Fischer, Report Presseagentur<br />
Jugendliche tun sich bei der Berufswahl<br />
schwer. Sollen sie eine Ausbildung machen<br />
oder lieber studieren? Lohnen<br />
schulische Anstrengungen überhaupt,<br />
wenn am Ende doch keine Lehrstelle<br />
winkt?<br />
Foto: imago
Ohne Druck geht es nicht<br />
Herbstakademie Weiterbildung <strong>2008</strong> sucht Wege aus der Prekarität<br />
„Prekäre Arbeit in der Weiterbildung“<br />
lautete das Thema der 8. Herbstakademie<br />
der <strong>GEW</strong> in Weimar. Mit<br />
Hilfe des Sachverstands aus Wissenschaft,<br />
Politik, Praxis und Gewerkschaft<br />
suchte man nach Strategien,<br />
wie gute Bedingungen für gute Arbeit<br />
zu erreichen sind.<br />
Die Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse<br />
in<br />
Deutschland steigt stetig.<br />
Das Forschungsinstitut der<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
(BA), das IAB in Nürnberg,<br />
hat errechnet, dass 2007 bereits 45<br />
Prozent aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge<br />
befristet waren und dieses<br />
Phänomen um etwa zwei Prozent pro<br />
Jahr zunimmt. Das „Normalarbeitsverhältnis“<br />
weicht in allen Branchen zunehmend<br />
auf. Dabei sind befristete Projektverträge<br />
nur die Spitze des Eisbergs.<br />
„Statusklage“ als Ausweg<br />
Gerade in der Weiterbildung arbeiten<br />
traditionell viele „freie“ Honorarkräfte.<br />
Ihre finanzielle Lage hat sich seit Jahrzehnten<br />
nicht verbessert. Im Gegenteil:<br />
Auf der Herbstakademie wurde deutlich,<br />
wie groß der Druck auf die Dozentinnen<br />
und Teamer ist, die vom kargen<br />
Stundensatz die vollen Sozialversicherungssätze<br />
zahlen müssen – und dabei<br />
wissen, dass sie nie mehr als eine Mindestrente<br />
erhalten werden. Einen juristischen<br />
Weg aus dem Dilemma zeigte<br />
Fachanwalt Karl Otte auf, die „Statusklage“.<br />
Wer vor Gericht überprüfen lässt, ob die<br />
Einbindung in den Weiterbildungsbetrieb<br />
und der Umfang der Arbeit nicht<br />
längst eine Festanstellung rechtfertigen,<br />
kann auf Rechtsschutz der <strong>GEW</strong><br />
zählen, riskiert aber unter Umständen<br />
den Lehrauftrag an sich. Das Problem,<br />
geltendes Recht einzuklagen, kennt<br />
auch Andreas Schmidt von der Gewerkschaft<br />
der Privatangestellten (gpa) in<br />
Wien gut: Es gibt in Österreich zwar klare<br />
Kriterien, um einen Werkvertrag vom<br />
„echten“ und vom „freien“ Dienstvertrag<br />
zu unterscheiden, beschrieb er.<br />
Doch rechtliche Schritte sind ohne organisierte<br />
Gegenwehr ein stumpfes<br />
Schwert. Die gpa hat deshalb Plattfor-<br />
Stephanie Odenwald, <strong>GEW</strong>-Weiterbildungsexpertin<br />
men geschaffen, auf denen sich prekär<br />
Beschäftigte aus verschiedenen Branchen<br />
vernetzen können, ohne Gewerkschaftsmitglied<br />
zu sein, beispielsweise<br />
work@education.<br />
„Ohne Druck geht es nicht. Organisieren<br />
ist der einzige Weg“, das ist die Botschaft<br />
der Herbstakademie. Das gesellschaftliche<br />
Prestige der Weiterbildner müsse steigen,<br />
ebenso wie die Bezahlung, hieß es.<br />
Dafür, dass bei der Einkommensentwicklung<br />
zumindest die Spirale nach unten<br />
aufgehalten wird, könnte bald der Mindestlohn<br />
sorgen. Die Gewerkschaften<br />
<strong>GEW</strong> und ver.di haben mit dem Arbeitgeberverband<br />
BBB einen Branchentarifvertrag<br />
Weiterbildung abgeschlossen, der<br />
voraussichtlich Anfang 2009 ins Entsendegesetz<br />
aufgenommen wird. Im zweiten<br />
Schritt kann das Arbeitsministerium<br />
dann die vereinbarten Tarife für allgemein<br />
verbindlich erklären. Der „Mindestlohn<br />
als strukturierendes Element in<br />
einer hochheterogenen Branche“, wie<br />
ihn Veronika Jäger, Referentin für Ange-<br />
Andreas Schmidt, Gewerkschaft der Privatangestellten,<br />
Österreich<br />
Fotos: Manfred Gläser<br />
stellten- und Tarifpolitik beim <strong>GEW</strong>-<br />
Hauptvorstand, bezeichnete, könnte<br />
auch positive Folgen für Honorarkräfte<br />
haben. Unter der Voraussetzung, dass öffentliche<br />
Zuschussgeber – von der BA bis<br />
zum Bundesamt für Migration und<br />
Flüchtlinge (BAMF) – darauf verpflichtet<br />
werden. Da kommt Arbeit auf <strong>GEW</strong> und<br />
ver.di sowie die Betriebsräte der Bildungsträger<br />
zu.<br />
Anspruch an Qualität<br />
Breiten Raum bei den Diskussionen in<br />
Weimar nahm die Frage ein, welchen<br />
Stellenwert Qualität in der Erwachsenenbildung<br />
hat. „Unsere Qualifikation<br />
wird geschätzt, aber nicht honoriert“,<br />
war eine von vielen geteilte Erfahrung.<br />
Es sei gefährlich, um der Kursteilnehmenden<br />
willen Selbstausbeutung zu betreiben<br />
und trotz miserabler Bezahlung<br />
hohes Engagement an den Tag zu legen,<br />
hieß es. Denn auf Dauer gefährde das<br />
die eigene Gesundheit und bestätige zudem<br />
den gefährlichen Trend bei öffentlichen<br />
Ausschreibungen, immer mehr<br />
zu verlangen und weniger zu bezahlen.<br />
Ein überraschendes Signal sandte BA-<br />
Vertreter Kay Senius aus. Er erklärte, dass<br />
bei den geltenden Vergabekriterien häufig<br />
der günstigere Preis den Ausschlag<br />
für die Zuschlagserteilung gebe, weil die<br />
beschriebene Qualität im Allgemeinen<br />
ein „Leistungsversprechen“ sei und nur<br />
das berücksichtigt werden könne, was<br />
vergabe- und bewertungsrelevant nach<br />
der VOL/Verdingungsunterlagen sei.<br />
Doch dann sagte er: „Die Frage ist also,<br />
brauchen wir etwas, was geeigneter ist<br />
als die „Verdingungsordnung für Leistungen<br />
(VOL)?“ Erforderlich wäre in jedem<br />
Fall, sich auf verbindliche Qualitätsstandards<br />
zu verständigen.<br />
Stephanie Odenwald, Leiterin des <strong>GEW</strong>-<br />
Organisationsbereichs Berufliche Bildung/<br />
Weiterbildung kommentierte: „Die BA<br />
kann nur dann eine hohe Qualität der<br />
beruflichen Weiterbildung erwarten,<br />
wenn man Lehrkräfte angemessen bezahlt<br />
und diese gute Arbeitsbedingungen<br />
haben. Das gehört zu den wesentlichen<br />
Qualitätsstandards, die von gewerkschaftlicher<br />
Seite gefordert werden.<br />
Das gleiche gilt für das Bundesamt<br />
für Migration und Flüchtlinge (BAMF),<br />
das die Integrationskurse steuert.“<br />
Helga Ballauf, freie Journalistin<br />
WEITERBILDUNG<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 31
GENDER<br />
Literaturtipps:<br />
Budde, Jürgen; Scholand,<br />
Barbara; Faulstich-<br />
Wieland, Hannelore<br />
(<strong>2008</strong>): Geschlechtergerechtigkeit<br />
in der Schule.<br />
Eine Studie zu Chancen,<br />
Blockaden und Perspektiven<br />
einer gendersensiblen<br />
Schulkultur. 1.<br />
Aufl. Weinheim: Juventa<br />
(Veröffentlichungen<br />
der Max-Träger-Stiftung,<br />
44).<br />
Faulstich-Wieland,<br />
Hannelore; Willems,<br />
Katharina; Feltz, Nina;<br />
Freese, Urte; Läzer, Katrin<br />
Luise (<strong>2008</strong>): Genus<br />
– geschlechtergerechter<br />
naturwissenschaftlicher<br />
Unterricht in der Sekundarstufe<br />
I. Bad Heilbrunn:<br />
Klinkhardt<br />
(Klinkhardt Forschung).<br />
Hannelore Faulstich-Wieland:<br />
„Verfestigte Vorstellungen,<br />
wie<br />
Mädchen und Jungen<br />
sein sollen,<br />
müssen sichtbar<br />
gemacht und<br />
überwunden werden.“<br />
Gendergerechtigkeit in der Schule<br />
32 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Eine Schavan-Äußerung zur Koedukation erlangt Medienaufmerksamkeit<br />
Jungen und Mädchen sollten teilweise<br />
getrennt unterrichtet werden. Mit dieser<br />
Äußerung sorgte Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan (CDU)<br />
für reges Medieninteresse (s. Kommentar<br />
Seite 33). Doch der Weg zur Gendergerechtigkeit<br />
in der Schule ist komplexer<br />
und vielfältiger. Statt die Geschlechter<br />
getrennt lernen zu lassen,<br />
plädieren Wissenschaftlerinnen und<br />
Forscher dafür, dass Lehrkräfte im<br />
koedukativen Unterricht geschlechtersensibler<br />
agieren.<br />
Es sei eine sehr zurückhaltende<br />
Äußerung der Ministerin gewesen,<br />
lautet die Stellungnahme<br />
aus dem Bildungsministerium.<br />
Schavan habe nur<br />
betont, dass jedem Kind die<br />
bestmögliche Förderung zuteil werden<br />
solle. Neue Konzepte zum geschlechtergetrennten<br />
Unterricht gebe es nicht.<br />
Dennoch, die Aussage der Ministerin<br />
kurz vor dem Bildungsgipfel sorgte<br />
dafür, dass das Thema Koedukation und<br />
Geschlechtergerechtigkeit in der Schule<br />
wieder diskutiert wurde. „In einzelnen<br />
Fächern in bestimmten Altersstufen<br />
kann getrennter Unterricht von Jungen<br />
und Mädchen durchaus sinnvoll sein“,<br />
sagte Schavan im Interview mit dem<br />
Hamburger Abendblatt. „Wir haben Erfahrungen,<br />
dass im Bereich der Natur-<br />
wissenschaften oder der Sprachen es<br />
nicht immer gelingt, Jungen und<br />
Mädchen in gleicher Weise anzusprechen.“<br />
Für Hannelore Faulstich-Wieland, Professorin<br />
für Erziehungswissenschaft an der<br />
Universität Hamburg, setzt genau an<br />
dieser Stelle die Kritik ein. Ein pauschal<br />
geforderter monoedukativer Unterricht<br />
verstärke die Differenz zwischen<br />
Mädchen und Jungen und führe dazu,<br />
dass sich geschlechterspezifische Rollenmuster<br />
verbreiten und verfestigen. Es<br />
sei zwar notwendig, die Geschlechterverhältnisse<br />
zu beleuchten, eine Überbetonung<br />
der Unterschiede zwischen<br />
Mädchen und Jungen habe aber eher einen<br />
gegenteiligen Effekt.<br />
Stereotypen überwinden<br />
Die Erziehungswissenschaftlerin plädiert<br />
für eine so genannte „reflexive<br />
Koedukation“. D. h., für einen gemeinsamen<br />
Unterricht, bei dem eine Trennung<br />
nach Geschlecht im Einzelfall<br />
pädagogisch begründet und verantwortet<br />
werden muss. „Verfestigte Vorstellungen<br />
wie Mädchen und Jungen sein sollen,<br />
müssen sichtbar gemacht und überwunden<br />
werden.“ Man spreche hier von<br />
Dramatisierung und Entdramatisierung<br />
des Geschlechts. Das Ziel: eine Dekonstruktion<br />
der Geschlechterrollen.<br />
„Gender Mainstreaming ist nach wie vor<br />
eine Querschnittsaufgabe“, so Faulstich-Wieland.<br />
Darum müsse man<br />
Geschlechtergerechtigkeit als Gestaltungsaufgabe<br />
von<br />
Schulkultur betrachten<br />
und dürfe<br />
nicht nur einzelneMaßnahmen<br />
zur JungenoderMädchenförderung<br />
Blick haben.<br />
im<br />
Dass das Thema<br />
überhaupt eine<br />
solche Resonanz<br />
gefunden habe,<br />
erklärt Bildungsforscher<br />
Jürgen<br />
Budde vom Zentrum<br />
für SchulundBildungsforschung<br />
der UniversitätHalle-Wittenberg<br />
damit,<br />
dass die schuli-<br />
Foto: dpa<br />
schen „Misserfolge“ von Jungen – u. a.<br />
durch PISA – stärker in den Blickpunkt<br />
der Öffentlichkeit gerückt sind. Aufgrund<br />
ihrer schlechteren Leistungen<br />
und Schulabschlüsse etikettiere man<br />
Jungen als „Bildungsverlierer“. Für Budde<br />
eine Stigmatisierung.<br />
Auch führten, kritisiert der Wissenschaftler,<br />
die fehlenden empirischen<br />
Untersuchungen über die Ursachen<br />
schlechterer Leistungen von Jungen zu<br />
nicht überzeugenden Forderungen, wie<br />
dem Ruf nach mehr männlichen Lehrkräften<br />
oder fächerbezogenem geschlechtergetrennten<br />
Unterricht. „Doch<br />
was wir brauchen, sind genderkompetente<br />
Lehrkräfte, die geschlechtliche Lebenslagen<br />
erkennen und verstehen.“<br />
Es gehe dabei um eine professionelle<br />
Reflexion, erläutert Budde. „Als Lehrer<br />
oder Lehrerin muss ich erkennen, wo<br />
ich Geschlechterstereotype verstärke<br />
und wie ich diese abbauen kann.“<br />
Fort- und Ausbildungen für Lehrkräfte<br />
sowie eine stärkere Berücksichtigung<br />
dieser Themen in der universitären Lehrerausbildung<br />
seien dafür unerlässlich.<br />
Auch müsse es in der Praxis eine kollegiale<br />
Beratung und einen institutionalisierten<br />
Austausch der Lehrkräfte geben.<br />
Budde räumt jedoch ein, dass ein geschlechtergetrennter<br />
Unterricht durchaus<br />
vernünftig sein könne, wenn es um<br />
den Erwerb sozialer Kompetenzen geht.<br />
So könne man die größten Effekte bei<br />
der Trennung der Geschlechter im Bereich<br />
sozialen Lernens sowie der Berufsund<br />
Lebensplanung feststellen. „Sinnvoll<br />
ist jedoch ein individualisierender,<br />
fehlerfreundlicher und ermutigender<br />
Unterricht für alle“, so der Bildungsforscher.<br />
Er müsse Neugier wecken und<br />
sich an der Lebenswelt der Jugendlichen<br />
orientieren.<br />
Blick in die Praxis<br />
Wie geschlechterbewusste Bildung im<br />
Unterricht jahrgangs- und fächerübergreifend<br />
praktiziert werden kann, zeigt<br />
das Konzept der Gesamtschule Stieghorst<br />
in Bielefeld. Im Unterricht achtet<br />
man auf einen geschlechterbewussten<br />
Sprachgebrauch und im Fach Gesellschaftslehre<br />
wird nicht nur „Männergeschichte“<br />
abgefragt, sondern weibliche<br />
und männliche Alltagsgeschichte vermittelt.<br />
Themen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
bietet die Schule in Zusam-
menarbeit mit dem Pädagogisch-Psychologischen<br />
Dienst an, wie auch Projekte<br />
in der Mädchen- und Jungenarbeit.<br />
Darüber hinaus sollen die Schülerinnen<br />
und Schüler in einem Haushaltspass<br />
den Nachweis unterschiedlicher<br />
Tätigkeiten erbringen, vom Nagel in die<br />
Wand schlagen bis zum Toilette putzen.<br />
Regelmäßig finden Mädchen- und Jungenkonferenzen<br />
statt, in denen die Jugendlichen<br />
geschlechtersensible Themen<br />
besprechen.<br />
„Unser Lehrpersonal wird entsprechend<br />
geschult“, erklärt Lehrerin Gundula Jasper,<br />
Koordinatorin für Mädchen- und<br />
Jungenarbeit. Dass dazu alle Lehrkräfte<br />
verpflichtend an einer Fortbildung zu<br />
Gender-Themen teilnehmen müssen,<br />
sei wichtig. „Damit wir erfolgreich geschlechterbewusst<br />
arbeiten können,<br />
müssen alle einbezogen werden.“<br />
Kühne These<br />
Eine über das Schulsystem hinausreichende<br />
– etwas kühne – These vertritt<br />
Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum<br />
Berlin für Sozialforschung (WZB).<br />
„Eine geschlechtergerechte Gesellschaft,<br />
die weniger mit Stereotypen arbeitet,<br />
kommt auch im Bildungssystem<br />
zu anderen Ergebnissen.“ Helbig nennt<br />
als Beleg die PISA-Studie. In Deutschland<br />
erzielen Jungen in Mathe etwas<br />
bessere Ergebnisse als Mädchen (s. Seiten<br />
13 f.). Beim Lesen erreichen hierzulande<br />
Schülerinnen deutlich bessere<br />
Werte als Schüler (vgl. die Befunde der<br />
PISA-E-Studie 2006). Für den jungen<br />
Wissenschaftler ein Indiz von ausgeprägter<br />
Geschlechterungerechtigkeit.<br />
Auch innerhalb Deutschlands seien die<br />
Unterschiede groß. „In Ostdeutschland<br />
liegt die ohnehin gute Abiturquote von<br />
Frauen um 5,5 Prozent höher als im<br />
Westen“**, so Helbig. 1995 habe die<br />
Differenz allerdings noch zehn Prozent<br />
betragen. Bei Männern sei die Quote<br />
vergleichbar. Island sei hingegen ein<br />
gutes Beispiel für ein geschlechtergerechtes<br />
Land. „Mädchen und Jungen<br />
schneiden dort im Matheunterricht<br />
gleich gut ab, auch ohne Geschlechtertrennung.“<br />
Ein gendergerechter Unterricht, darin<br />
sind sich die Wissenschaftler einig, könne<br />
nicht einfach durch Geschlechtertrennung<br />
erreicht werden. Er müsse methodisch-didaktisch<br />
die individuellen<br />
Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen<br />
berücksichtigen. Empirisch habe<br />
sich gezeigt, dass ein „guter“ naturwissenschaftlicher<br />
Unterricht den Ausschlag<br />
gebe, ob sich Jugendliche und<br />
speziell Mädchen dafür interessieren.<br />
Britta Jagusch, freie Journalistin<br />
*Marcel Helbig ist wissenschaftlicherMitarbeiter<br />
im Team der<br />
WZB-Direktorin Prof.<br />
Jutta Allmendinger und<br />
promoviert über „Geschlechterspezifische<br />
Unterschiede in der Bildung“.<br />
**2007 haben im Westen<br />
28,5 Prozent der<br />
Mädchen Abitur gemacht,<br />
im Osten 32<br />
Prozent. Angaben: Statistisches<br />
Bundesamt.<br />
Eine Schule für<br />
Mädchen und Jungen<br />
Praxishilfe mit Unterrichtskonzepten<br />
für eine<br />
geschlechtergerechte<br />
Bildung.<br />
Studie im Auftrag der<br />
Max-Traeger-Stiftung erstellt<br />
von Prof.Dr. Friederike<br />
Heinzel, Rabea<br />
Henze und Sabine<br />
Klomfaß an der Universität<br />
Kassel.<br />
Die Broschüre erhalten<br />
Sie im <strong>GEW</strong>-Shop<br />
(www.gew-shop.de, E-<br />
Mail: gew-shop@callagift.de,<br />
Fax: 06103<br />
30332-20)<br />
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von zurzeit 6,96<br />
Euro.<br />
Einzelbestellungen an:<br />
sekretariat.frauen<br />
politik@gew.de<br />
Wir brauchen genderkompetente<br />
Lehrkräfte<br />
Kommentar zum geschlechtergetrennten Unterricht<br />
Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses<br />
Ulla Burchardt<br />
(SPD) spricht nach der Äußerung von<br />
Bildungsministerin Annette Schavan<br />
(CDU) (s. Seite 32), Jungen und<br />
Mädchen teilweise<br />
wieder getrennt zu<br />
unterrichten, von einem<br />
„Rückfall in finstere<br />
Zeiten“ und erinnert<br />
sich an ihre eigene<br />
Schulzeit auf einer<br />
Mädchenschule.<br />
Andere Politiker und<br />
Bildungsexperten befürworten<br />
den getrennten<br />
Ansatz wiederum,<br />
um den<br />
Schulerfolg von Jungen<br />
gezielter fördern<br />
zu können.<br />
Zunächst einmal: Auf<br />
dem Bildungsgipfel<br />
spielte das Thema kei-<br />
Anne Jenter<br />
ne Rolle. Angesichts von Fachkräftemangel<br />
und hoher Schulabbruchquote<br />
wäre es aber wichtig gewesen, über<br />
innovative Wege in der Pädagogik zu<br />
diskutieren. Ein geschlechtersensibler<br />
Unterricht fördert den einzelnen Jungen<br />
und das einzelne Mädchen in ihrer<br />
Individualität – also gerade nicht<br />
als Jungen oder Mädchen – und eröffnet<br />
ihnen vielfältige Möglichkeiten<br />
der Identifikation.<br />
Dabei geht es weder um nach Geschlechtern<br />
getrennte Schulen, wie<br />
wir sie von früher kennen und in denen<br />
Mädchen geringer qualifiziert<br />
wurden. Noch geht es darum, pauschal<br />
eine Problemgruppe auszumachen<br />
und diese besonders zu fördern.<br />
Denn es gibt keine einheitliche Gruppe<br />
von männlichen Schulverlierern.<br />
Die Lernerfolge variieren je nach sozialem<br />
Hintergrund und Bildung der<br />
Eltern. Im Schnitt sind Jungen zwar<br />
schlechter in der Schule als Mädchen,<br />
haben aber im späteren Berufsleben<br />
die Nase vorn – vor allem sie lernen<br />
zukunftsträchtige technische Berufe.<br />
Gerade in der Pubertät findet die Zementierung<br />
der Geschlechterrollen<br />
statt, die sich auf die spätere Schulund<br />
Berufslaufbahn auswirkt. Ein<br />
zeitweise getrennter Unterricht – vor<br />
GENDER<br />
allem an weiterführenden Schulen –<br />
bietet die Möglichkeit, in verschiedenen<br />
Fächern an die diversen Interessen<br />
und Lebenswelten der Jungen und<br />
Mädchen anzuknüpfen. Er bietet zudem<br />
die Chance,<br />
über Rollenstereotype<br />
und Selbstwahrnehmung<br />
zu reflektieren,<br />
mit dem Ziel,<br />
die einengende Geschlechterrolleabzulegen<br />
und die individuelle<br />
Person in den<br />
Mittelpunkt zu<br />
rücken. Auch bei der<br />
Berufswahl ist es<br />
sinnvoll, teilweise in<br />
geschlechtergleichen<br />
Gruppen zu diskutieren,<br />
um das Rollenverständnis<br />
in Frage<br />
zu stellen.<br />
Ein geschlechtergerechter<br />
Unterricht setzt jedoch eine<br />
entsprechende Aus- und Fortbildung<br />
der Lehrerinnen und Lehrer voraus.<br />
Nur wenn sie ihre eigenen Rollenerwartungen<br />
an Frauen und Männer reflektieren,<br />
sind sie in der Lage, Genderkompetenz<br />
im Unterricht einzubringen.<br />
Das Selbstbild der Jungen und ihre<br />
Schulprobleme durch mehr Männer<br />
in Erziehungsberufen und insbesondere<br />
an Grundschulen ändern zu wollen,<br />
greift zu kurz. Zum einen werden<br />
größere Leistungsunterschiede zwischen<br />
den Geschlechtern erst in der<br />
Pubertät – also an weiterführenden<br />
Schulen – festgestellt. Zum anderen<br />
sind nur männliche Vorbilder von<br />
Vorteil, die Geschlechtergerechtigkeit<br />
leben. Die gesellschaftliche Norm<br />
von Männlichkeit, die auch vielen<br />
Jungen nicht gut tut, muss reflektiert<br />
werden. Oder anders ausgedrückt:<br />
Wenn Männer in der Schule für Sport,<br />
Physik, Werkbank oder Schulleitung<br />
zuständig sind, während sich die Frauen<br />
ums Singen und Basteln sowie das<br />
„Soziale“ im Kollegium kümmern, ist<br />
das mit Sicherheit der falsche Weg.<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
Anne Jenter, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 33
HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />
Andreas Keller:<br />
„Die Probleme<br />
des wissenschaftlichenNachwuchses<br />
lassen sich<br />
nicht auf ein Informationsdefizit<br />
reduzieren. Ihnen<br />
liegt vielmehr ein<br />
strukturelles Defizit<br />
zu Grunde.“<br />
Homepage des BMBF<br />
für junge Forscherinnen<br />
und Forscher:<br />
www.kisswin.de<br />
Bundesbericht zur Förderung<br />
des wissenschaftlichenNachwuchses<br />
(BuWiN): www.buwin.de<br />
Literaturhinweis:<br />
„Denkanstöße in einer<br />
föderalisierten Hochschullandschaft“<br />
lautet<br />
der Titel des Jahrbuchs<br />
Hochschule gestalten<br />
2007/<strong>2008</strong>, das Frauke<br />
Gützkow und Gunter<br />
Quaißer herausgegeben<br />
haben. Bestellung bei:<br />
UVW Verlag, Bünder<br />
Str. 1-3, 33613 Bielefeld,<br />
E-Mail: info@universitaetsverlag.de,<br />
per Fax<br />
0521/92 36 10 22 oder<br />
im Buchhandel. 220<br />
Seiten, 27,90 Euro zuzüglich<br />
Versandkosten.<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
„Googelst du noch oder forschst<br />
34 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
KISSWIN-Kongress: „Lust auf wissenschaftliche Karriere“<br />
„KISSWIN“ heißt ein neues Portal<br />
für den Nachwuchs-Forscher, das auf<br />
dem Berliner Kongress „Lust auf wissenschaftliche<br />
Karriere in Deutschland“<br />
vorgestellt wurde. KISSWIN<br />
steht für „Kommunikations- und Informationssystem<br />
Wissenschaftlicher<br />
Nachwuchs“ und wird vom Bundesforschungsministerium<br />
gefördert. Die<br />
Homepage soll alle notwendigen Informationen<br />
auf dem Weg zur Professur<br />
bündeln. Doch die Politik muss erheblich<br />
mehr tun als künftig über Karrierewege<br />
besser zu informieren.<br />
In Internet-Foren nennt er sich „Nemo“.<br />
Er ist knapp 40 Jahre, theoretischer<br />
Physiker, bestens qualifiziert<br />
– und machte nach eigener Einschätzung<br />
„den größten Fehler<br />
meines Lebens“, als er Ende der<br />
1990er-Jahre ein Angebot aus Oxford ablehnte,<br />
um ins deutsche Wissenschaftssystem<br />
zurückzukehren. „Ich habe mir damals<br />
gute Chancen ausgerechnet, in<br />
Deutschland rasch zu habilitieren und<br />
dann eine Professur erhalten zu können“,<br />
schreibt „Nemo“ im Diskussionsforum<br />
der neuen Homepage „KISSWIN“.<br />
Denn wer eine Hochschul-Karriere anstrebt,<br />
musste bisher zunächst vor allem<br />
Geduld beim Zusammentragen aller<br />
notwendigen Teilinformationen beweisen.<br />
„Googelst du noch oder forschst du<br />
schon?“ provoziert Klaus Henning deshalb<br />
seine Zuhörer gerne. Henning ist<br />
Leiter des Instituts für Lern- und Wis-<br />
Vernetz’ dich mit Europa<br />
1200 Universitäten, 900 Newsfeeds,<br />
28 Städte, neun Länder, vier Sprachen<br />
– ein Europa. Mitte Oktober<br />
wurde das Portal EFORS.eu<br />
(www.efors.eu) zum MLP-Hochschultag<br />
in Berlin freigeschaltet.<br />
EFORS.eu steht für Europe for Students<br />
und ist eine europäische Informations-<br />
und Kommunikationsplattform.<br />
Die Website bietet die<br />
wichtigsten Informationen und<br />
Nachrichten zum mobilen Studieren<br />
in Europa in vier Sprachen. Kontakt:<br />
Thomas Brömme, E-Mail: tb@<br />
efors.eu, Internet: www.efors.eu<br />
sensmanagement an der RWTH Aachen<br />
und einer der KISSWIN-Verantwortlichen.<br />
„Deutschland muss etwas tun für<br />
seinen wissenschaftlichen Nachwuchs“,<br />
verlangt der Aachener Professor, „oft<br />
fehlt die Transparenz und Orientierung<br />
in der nationalen Forschungslandschaft.“<br />
Das neue Portal „KISSWIN“<br />
soll hier Abhilfe schaffen: mit einer Stellen-Suchmaschine,<br />
Möglichkeiten zur<br />
individuellen Karriere-Beratung und<br />
Hinweisen auf Veranstaltungen, Workshops<br />
und Förderinstrumente für junge<br />
Forscher. Ist das Nachwuchs-Problem in<br />
der Forschung also nur ein Informationsproblem?<br />
Die Antwort vieler Experten ist klar: Die<br />
strukturellen Probleme sind ungleich<br />
größer. Das zeigt zum Beispiel der aktuelle<br />
„Bundesbericht zur Förderung des<br />
wissenschaftlichen Nachwuchses“ (Bu-<br />
WiN) (s. E&W 9/<strong>2008</strong>). Er bescheinigt<br />
den deutschen Hochschulen, dass deren<br />
Karrieresystem „im Vergleich zu Großbritannien,<br />
Frankreich und den USA für<br />
Promovierte die geringste Chance bietet,<br />
auf eine selbstständige und unbefristete<br />
Hochschullehrerstelle zu gelangen.”<br />
Nur eine von fünf Wissenschaft-
du schon?“<br />
lerstellen in Deutschland ist unbefristet,<br />
in den USA dagegen hat mehr als jeder<br />
zweite Hochschullehrer einen Dauer-<br />
Vertrag, in Frankreich sind es sogar drei<br />
„Making Excellence“<br />
Unter diesem Motto stand eine Tagung<br />
über Grundlagen, Praxis und<br />
Konsequenzen der Exzellenzinitiative,<br />
die die <strong>GEW</strong> 2007 gemeinsam<br />
mit dem Institut für Hochschulforschung<br />
an der Universität Halle/<br />
Wittenberg durchgeführt hat. Dokumentiert<br />
wird diese Veranstaltung<br />
in einem Sammelband:<br />
Roland Bloch, Andreas Keller, André<br />
Lottmann, Carsten Würmann (Hrsg.):<br />
Making Excellence. Grundlagen,<br />
Praxis und Konsequenzen. <strong>GEW</strong>-<br />
Materialien aus Hochschule und<br />
Forschung, W. Bertelsmann Verlag<br />
Bielefeld <strong>2008</strong>, 19,90 Euro. <strong>GEW</strong>-<br />
Mitglieder können bei diesem Buch<br />
vom Herausgeberrabatt (30 Prozent)<br />
profitieren. Bestellungen bitte an:<br />
christine.sturm@gew.de<br />
Viertel – mit so viel Risiko wie in<br />
Deutschland ist die Karriere sonst nirgendwo<br />
behaftet.<br />
Mehr Dauer-Stellen schaffen<br />
Trotz föderalistischer Streitigkeiten<br />
müssten Bund und Länder zusammenarbeiten<br />
und für mehr Dauer-Stellen in<br />
der Wissenschaft sorgen, fordert deshalb<br />
die <strong>GEW</strong>. Kombiniert mit der gezielten<br />
Förderung von Wissenschaftlerinnen<br />
könnten damit die Nachwuchs-<br />
Strukturen dauerhaft verbessert werden<br />
– was aus Sicht der „Projektgruppe DoktorandInnen“<br />
der <strong>GEW</strong> auch dringend<br />
nötig ist. Denn nicht zuletzt durch den<br />
Bologna-Prozess werde vieles reformiert,<br />
ohne dabei die Interessen derer<br />
zu berücksichtigen, um die es geht: „die<br />
Doktorandinnen und Doktoranden,<br />
über die oft, mit denen aber selten geredet<br />
wird“, wie es in einer Stellungnahme<br />
der Projektgruppe heißt.<br />
Wie unsicher und unklar die Lage für<br />
den Nachwuchs ist, zeigte sich auch<br />
beim KISSWIN-Kongress. Viele der<br />
über 1000 Teilnehmenden hatten gar<br />
nicht den Mut, allzu weit in die berufliche<br />
Zukunft zu blicken: „Das System<br />
der möglichen wissenschaftlichen Karrierewege<br />
ist undurchschaubar”, klagte<br />
etwa Svenja Plöger (28). Sie promoviert<br />
gerade, weiß aber noch nicht, ob ihr<br />
Weg in Richtung Wissenschaft oder Industrie<br />
führt. Und auch Harald Birkholz<br />
aus Rostock ist verunsichert: „Mich<br />
würde der mehrfache Wechsel zwischen<br />
Forschung und Wissenschaft in meinem<br />
Leben reizen”, sagt der 25-jährige Mathematik-Doktorand<br />
– doch er weiß,<br />
dass die Systeme kaum aufeinander abgestimmt<br />
sind.<br />
Konkrete Verbesserungen<br />
Wer solche berufliche Ungewissheit<br />
schon länger ertragen muss, neigt – wen<br />
wundert’s? – zum Fatalismus. So wie<br />
„Nemo“: Der Physiker hält das KISS-<br />
WIN-Projekt nur für eine „großspurige<br />
Ankündigung“, wirklich verbessern werde<br />
sich die Lage für den wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs dadurch nicht. Diese<br />
Hoffnung jedoch will Peter Strohschneider,<br />
Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />
(WR), noch nicht aufgeben: Nach dem<br />
gefloppten Bildungsgipfel von Dresden<br />
fordert er, dass „die Politik in ihren Finanzentscheidungen<br />
Bildung und Wissenschaft<br />
gegenüber anderen Politikbereichen<br />
wirklich mehr Bedeutung beimisst<br />
als bisher” – nur so könnten die vagen<br />
Absichtserklärungen zu konkreten<br />
Verbesserungen führen.<br />
Armin Himmelrath, freier Journalist<br />
HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />
Berechenbare<br />
Karriereperspektiven<br />
Kommentar: kein Informationsdefizit<br />
Der wissenschaftliche<br />
Nachwuchs wisse nicht,<br />
welche interessanten Fördermöglichkeiten<br />
ihnen<br />
Bund, Länder und Hochschulen<br />
bieten und sei deshalb<br />
„schlecht gelaunt“,<br />
lautet die Diagnose des AachenerIngenieurwissenschaftlers<br />
Prof. Klaus Henning,<br />
Initiator des KISS-<br />
WIN-Portals in Berlin (s.<br />
Seite 34).<br />
Andreas Keller<br />
Die Probleme des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses<br />
in Deutschland lassen sich aber nicht auf ein Informationsdefizit<br />
reduzieren. Ihnen liegt vielmehr ein strukturelles<br />
Defizit zu Grunde. Das hat ausgerechnet der vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) in<br />
Auftrag gegebene Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses (BuWiN, s. E&W 9/<strong>2008</strong>)<br />
bestätigt. „In der Regel werden Nachwuchsforscherinnen<br />
und -forscher aber noch zu lange darüber im Unklaren gelassen,<br />
ob sie sich auf eine Hochschulkarriere dauerhaft<br />
einlassen können“, wird dort messerscharf analysiert.<br />
Junge Menschen, die nach Studium und Promotion an<br />
der Uni bleiben, sind regelrechte Hasardeure, die Kopf<br />
und Kragen riskieren. Denn wer nicht den Sprung auf eine<br />
Professur schafft, landet nach einer Patchwork-Karriere<br />
aus Zeitverträgen und Stipendien häufig in einer beruflichen<br />
Sackgasse. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
brauchen daher endlich auch in Deutschland<br />
frühzeitig berechenbare Karriereperspektiven.<br />
Um die überfällige Strukturreform an den Hochschulen<br />
anzustoßen, fordert die <strong>GEW</strong> ein Bund-Länder-Programm<br />
für 10 000 zusätzliche Postdoc-Stellen für promovierte<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hochschulen<br />
sollen die Finanzierung einer Postdoc-Stelle für<br />
sechs Jahre dann beantragen können, wenn sie verbindlich<br />
zusagen, die Postdocs im Falle einer positiven Evaluierung<br />
in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zu<br />
überführen (so genannte Tenure-Track-Option). Mindestens<br />
60 Prozent der Postdoc-Stellen sind für qualifizierte<br />
Frauen zu reservieren – heute bleiben gerade in der Phase<br />
zwischen Promotion und Berufung besonders viele Frauen<br />
„auf der Strecke“.<br />
Mit dem Programm für 10 000 Postdoc-Stellen könnten<br />
Bund und Länder nicht nur die überfällige Strukturreform<br />
anstoßen, sondern auch für die zusätzlichen Fachkräfte<br />
sorgen, die wir brauchen, um den Generationenwechsel<br />
in der Hochschullehrerschaft, den von Bund und<br />
Ländern versprochenen Ausbau der Hochschulen und<br />
die vom Wissenschaftsrat geforderte Verbesserung der<br />
Qualität der Lehre zu bewältigen.<br />
Foto: privat<br />
Andreas Keller, Leiter des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />
Hochschule und Forschung<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 35
Die Bewohnerinnen<br />
und BewohnerMasiphumeleles<br />
in Südafrika,<br />
deren Hütten im<br />
Herbst 2006 niederbrannten,<br />
sind<br />
entschlossen,<br />
nicht wieder Behausungen<br />
aus<br />
Abfällen zu errichten.<br />
Spendenkonto:<br />
DESWOS e.V., Konto<br />
660 222 1, BLZ 370 501<br />
98, Sparkasse Köln-<br />
Bonn, Stichwort: Häuser<br />
jetzt!<br />
Armut überwinden!<br />
Erzbischof Desmond M. Tutu bittet um Spenden<br />
„Ich bitte Sie sehr, das Amakhaya<br />
ngoku, ein Pilotprojekt für den Wohnungsbau,<br />
zu unterstützen, das auch<br />
andere Gemeinden inspirieren könnte!<br />
Masiphumelele ist eine der ärmsten<br />
Kommunen am Westkap Südafrikas.<br />
Und dennoch haben die Menschen<br />
Erzbischof Desmond<br />
M. Tutu<br />
Foto: Archiv Büro Tutu<br />
„Häuser jetzt!“<br />
in Masiphumelele ein unglaubliches<br />
Gefühl für Sprache: Denn Masiphumelele<br />
bedeutet übersetzt: Es wird<br />
uns gelingen! Lasst es uns schaffen,<br />
die Armut zu überwinden, den Hunger<br />
zu beenden, AIDS zu bekämpfen<br />
und jetzt ein einfaches Zuhause für<br />
einige Hundert Familien zu bauen, die zum wiederholten<br />
Male durch schreckliche Brände alles verloren haben.<br />
Amakhaya ngoku ist für mich ein Pilotprojekt, das für andere<br />
benachteiligte Gemeinschaften Vorbildcharakter hat.<br />
Auch weil es die Behörden und die Privatwirtschaft als Unterstützer<br />
gewinnen konnte. Ich bitte Sie inständig, diese<br />
sehr wertvolle Initiative durch Ihre Spende zu fördern, um<br />
zu zeigen: Masiphumelele – es wird uns gelingen!<br />
Amakhaya ngoku – Häuser jetzt!“<br />
36 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Eine Armensiedlung in Südafrika kämpft ums Überleben<br />
Nach dem Besuch einer <strong>GEW</strong>-Delegation<br />
in der sehr armen südafrikanischen<br />
Kommune Masiphumelele im<br />
Oktober 2007 beschloss die Bildungs-<br />
gewerkschaft, sich an einem Modellprojekt<br />
zur dauerhaften Überwindung<br />
von Armut zu beteiligen. Als Kooperationspartner<br />
hat die <strong>GEW</strong> DES-<br />
WOS (Deutsche Entwicklungshilfe<br />
für soziales Wohnungs- und Siedlungswesen)<br />
gewonnen. DESWOS<br />
hat inzwischen einen Förderantrag<br />
beim Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit (BMZ)<br />
gestellt. Das BMZ sagte eine Förderung<br />
von 500 000 Euro zu, wenn es<br />
gelingt, den Restbetrag in Höhe von<br />
140 000 Euro über private Spenden<br />
aus Deutschland aufzutreiben. Warum<br />
ist diese Hilfe nötig?<br />
Im Oktober 2006 brannten in einer<br />
Nacht rund 400 Hütten in Masiphumelele,<br />
einem der ärmsten<br />
Townships Südafrikas, nieder –<br />
nicht zum ersten Mal rannten Hunderte<br />
um ihr Leben, in den Armen<br />
Babys oder die wenige Habe, die sich in<br />
letzter Minute retten ließ. Viele, vor allem<br />
Kinder und alte Leute, die nicht<br />
schnell genug wegkamen, erlitten schwere<br />
Verbrennungen. Wie durch ein Wunder<br />
starb in dieser Nacht niemand. Denn<br />
die Feuerwehr kam spät und achtete nur<br />
darauf, dass das Feuer nicht auf Häuser<br />
außerhalb des Armutsgebiets übergriff.<br />
Foto: dpa<br />
INTERNATIONALES<br />
Etwas jedoch war anders nach dieser<br />
Nacht: Eine Gruppe von Bewohnerinnen<br />
und Bewohner Masiphumeleles war<br />
entschlossen, nicht wieder neue Hütten<br />
aus Abfällen zu errichten, nicht länger<br />
mit über 1200 Menschen 40 Toiletten<br />
und zwei Wasserhähne zu teilen und auf<br />
das nächste Feuer zu warten. Sie suchten<br />
eine dauerhafte Lösung, nicht nur für einige,<br />
sondern für alle, auch für die Allerärmsten<br />
und Schwächsten. „Etwa ein<br />
Drittel unserer Kinder ist immer krank“,<br />
sagte eine Mutter damals, „allein aufgrund<br />
der unhygienischen Lebensbedingungen.”<br />
Menschenwürdig wohnen<br />
Nur einen Steinwurf entfernt von diesem<br />
Armutsgebiet, das den Namen<br />
„School Site” trägt, steht das HOKISA-<br />
Friedenshaus. Sein Versammlungsraum<br />
wurde zum Treffpunkt und Geburtsort<br />
der inzwischen sogar von der südafrikanischen<br />
Regierung anerkannten Wohnungsbau-Organisation<br />
„Amakhaya<br />
ngoku – Häuser jetzt!” In den vergangenen<br />
Jahren haben alle auf der School Site<br />
lebenden 352 Familien mehrfach Anträge<br />
auf staatliche Subvention gestellt –<br />
zunächst vergeblich. Erst nach zahlreichen<br />
Protesten, einschließlich einer<br />
Blockade des zuständigen Ministeriums,<br />
hat man diese bewilligt, haben<br />
Fachleute Baupläne entworfen, ist immer<br />
wieder die Öffentlichkeit um Unterstützung<br />
gebeten worden.<br />
Das zentrale Ziel dieses Pilotprojektes<br />
ist nicht nur, menschenwürdige Wohnungen<br />
zu bauen, sondern auf dem Weg<br />
dahin Ausbildungsplätze für Jugendliche<br />
sowie Jobs für Arbeitslose zu schaffen.<br />
Die Bewohner sollen künftig die<br />
Wohnungen als Kooperative selbst verwalten<br />
und nach vier Jahren Eigentümer<br />
werden, um dauerhaft der Armut zu entkommen.<br />
Geplant ist der Bau von 352<br />
Zwei-Zimmer-Wohungen in zwölf Häusern<br />
sowie ein Gemeinschaftszentrum<br />
mit Kindergarten, Spielplatz und Büros.<br />
Die Menschen brauchen diese beispielhaften<br />
Projekte, die – wie im Township<br />
Masiphumelele – Mut machen, dass Armut<br />
überwunden werden kann und<br />
Menschen in Würde leben können. Bitte<br />
helfen Sie mit, dass alle Kinder ohne<br />
Angst vor Bränden und mit der Hoffnung<br />
auf Zukunft aufwachsen können.<br />
In diesem Township, in Südafrika und<br />
überall auf der Welt.<br />
Lutz van Dijk, seit 2001 in Kapstadt<br />
Ko-Direktor von HOKISA (Homes for<br />
Kids in South Africa, www.hokisa.co.za ),<br />
von Township-Bewohnern in den Vorstand<br />
von „Amakhaya ngoku” gewählt.
<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
„Wir konnten unsere europäischen<br />
Maßstäbe nicht anwenden“<br />
BFW unterstützt Schulpartnerschaft in Nicaragua<br />
Sie ist die erste Event-Managerin mit<br />
Rektorenstelle an einer deutschen<br />
Schule: Heidemarie Danz von der Oswald-von-Nell-Breuning-Schule<br />
im<br />
hessischen Rödermark betreut umfangreiche<br />
Austauschprogramme in die<br />
ganze Welt, oft auch mit Hilfe des Bildungs-<br />
und Förderungswerks der<br />
<strong>GEW</strong>. Zum Beispiel bei einer Schulpartnerschaft,<br />
die bis nach Masaya in<br />
Nicaragua reicht.<br />
Nach einer knappen halben<br />
Stunde unterbricht die<br />
Managerin ihren Bericht,<br />
sie überlegt kurz, zögert<br />
nur einen Moment. Wann<br />
der nächste Austausch anstehe?<br />
Heidemarie Danz ruft im Geiste<br />
ihren Terminkalender für das kommende<br />
Jahr ab und beginnt mit den Franzosen,<br />
„die kommen im Januar zu uns in<br />
die Schule“, dann folgen Spanier, Engländer,<br />
später noch Italiener. Ach ja, und<br />
Polen, auch da sei 2009 „noch was geplant“,<br />
genau wie mit Ungarn, „da fahre<br />
ich selbst hin mit meiner Klasse. Unsere<br />
Schüler können so viel über die Lebensweisen<br />
in anderen Ländern hautnah erfahren.“<br />
Danz ist die erste Event-Managerin einer<br />
deutschen Schule. Natürlich ist sie<br />
zuvorderst Lehrerin, sie unterrichtet<br />
Mathe, Deutsch und Gesellschaftslehre,<br />
ist Klassenlehrerin. Doch als ihre Schule<br />
eine Rektorenstelle eigens für das Event-<br />
Management ausschrieb, bewarb sie<br />
sich – und bekam den ungewöhnlichen<br />
Job. Jetzt betreut sie alle Aktivitäten der<br />
Europaschule, das reicht von zahlreichen<br />
Austauschprogrammen mit Schulen<br />
in anderen europäischen Staaten bis<br />
hin zu Ausstellungen oder Schulfesten.<br />
„An einer Schule mit einem solch vielfältigen<br />
Programm war dies die beste<br />
Möglichkeit, alle Aktivitäten effizient<br />
durchzuführen“, sagt Danz. „Deshalb<br />
wurde die Stelle geschaffen.“<br />
Außergewöhnliche Geschichte<br />
Mit Antritt des Postens hat Danz aber<br />
auch eine ganz besondere Verantwortung<br />
übernommen: die Pflege und Fort-<br />
führung einer 1998 an der Heinrich-<br />
Mann-Schule, Dietzenbach, begonnenen<br />
Partnerschaft mit einer Schule in<br />
Masaya in Nicaragua. „Das“, sagt Danz,<br />
„ist eine ganz außergewöhnliche Geschichte.“<br />
Schon vor mehr als 20 Jahren hatten die<br />
Lehrerinnen Brigitte Fischer und Gisela<br />
Beez die Verbindung zu der Schule Instituto<br />
Reforma, heute Instituto José de la<br />
Cruz Mena, einer Schule in Masaya,<br />
aufgebaut. „Daraus entstand eine gemeinsame<br />
Partnerschaft zweier benachbarter<br />
Schulen mit Nicaragua“, sagt<br />
Danz. Heute betreuen Maria Erdmann-<br />
Martinez (Dietzenbach) und Danz (Rödermark)<br />
das Nicaragua-Projekt, inklusive<br />
gegenseitiger Besuche alle zwei bis<br />
fünf Jahre. Sie haben dafür Arbeitsgemeinschaften<br />
und Eine-Welt-Läden eingerichtet.<br />
Die Beziehungen nach Lateinamerika<br />
kosten Zeit und vor allem<br />
Geld. Die Schule auf dem anderen Kontinent<br />
soll unterstützt und natürlich besucht<br />
werden.<br />
Am 1. Juli vergangenen Jahres war es so<br />
weit, eine kleine Delegation flog nach<br />
Managua, der Hauptstadt des lateinamerikanischen<br />
Landes. Nach monatelangen<br />
Vorbereitungen wollte die Gruppe<br />
die Lebensbedingungen der Kinder<br />
in Masaya kennen lernen und lernte als<br />
Erstes, „dass wir unsere europäischen<br />
Maßstäbe nicht anwenden konnten“,<br />
berichtet Danz. Innerhalb von drei Wochen<br />
besuchte die Gruppe Schulen und<br />
Kindergärten, Werkstätten und Schildkrötenschutzgebiete,<br />
Städte und Vulkane,<br />
Gewerkschaftszentren und Müllentsorgungsanlagen.<br />
„So viel habe ich auf<br />
einer Studienreise noch nie mitbekommen“,<br />
sagt Danz. Damit ist sie nicht allein,<br />
die Schüler Sabine Kemmler und<br />
Daniel Hunkel – beide 19, 13. Klasse –,<br />
die an der Nicaragua-Reise teilgenommen<br />
haben, sind sehr beeindruckt, dass<br />
„die Nicas trotz der schlechten wirtschaftlichen<br />
und sozialen Verhältnisse<br />
in ihrem Land die Schönheit der Natur<br />
und die kulturelle Vielfalt zu schätzen<br />
wissen“. Und Sabine betont: „Mitgenommen<br />
habe ich ein Stück der nicaraguanischen<br />
Lebenseinstellung: die Fähigkeit,<br />
mir nicht die Lebensfreude wegen<br />
eines Problems rauben zu lassen.“<br />
Der Gegenbesuch aus Nicaragua folgte<br />
vor vier Monaten in Rödermark und<br />
Dietzenbach – und „seitdem verbinden<br />
uns“, so Daniel, „persönliche Beziehungen<br />
zu den Gastschülern“. Bis zur<br />
nächsten Reise nach Masaya ist erst einmal<br />
etwas Ruhe eingekehrt – und die<br />
Schüler tauschen E-Mails aus.<br />
Felix Helbig, freier Journalist<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
Foto: Oswald-von-Nell-Breuning-Schule<br />
Schulpartnerschaft<br />
mit Nicaragua<br />
– Einblicke<br />
in andere Lebenswelten:<br />
Drei Wochen<br />
lang besuchte<br />
eine Schülerund<br />
Lehrergruppe<br />
aus Hessen Schulen<br />
und Kindergärten,Schildkrötenschutzgebiete,<br />
Städte und Vulkane.<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 37
<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
wer verantwortlich vorsorgen will, kommt nicht daran vorbei, auch über die finanzielle Absicherung im Todesfall nachzudenken.<br />
Brechen Sie ein Tabu und treffen Sie Vorsorge für den Fall der Fälle.<br />
Ein Todesfall ist immer eine hohe psychische Belastung für alle Hinterbliebenen. Neben der Trauer müssen eine Reihe organisatorischer Aufgaben bewältigt<br />
werden. Von der Gestaltung der Trauerfeier bis hin zur Wohnungsauflösung. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Kosten für eine würdige Bestattung<br />
5 000 EUR oft weit übersteigen. Sichern Sie Ihre Angehörigen rechtzeitig ab durch den Abschluss einer Sterbegeldversicherung. Denn seit<br />
dem 01.01.2004 wurde das von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlte Sterbegeld komplett gestrichen.<br />
Eigenverantwortung ist jetzt unverzichtbar – Wir helfen Ihnen dabei.<br />
Sie können jetzt mit der BFW-Sterbegeldversicherung Ihre Lücke in der Vorsorge schließen; dabei kommen Ihnen die besonders günstigen Beiträge<br />
für <strong>GEW</strong>-Mitglieder zugute. Diese und weitere Vorteile gelten auch für Ihre Angehörigen:<br />
Vorteile auf einen Blick:<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
● Niedrige Beiträge durch Gruppenvertrag ● Garantierte Aufnahme bis 80 Jahre<br />
● Steuerbegünstigung der Beiträge ● Doppelzahlung bei Unfalltod<br />
● Keine Gesundheitsprüfung, ● Leistungsverbesserung durch Überschussbeteiligung<br />
Warum sollten Sie eine Sterbegeldversicherung beim Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> abschließen?<br />
In der Bereitstellung finanzieller Mittel für ein würdiges Begräbnis sieht das BFW der <strong>GEW</strong> seine Hauptaufgabe. Durch den Gruppenvertrag mit der<br />
DBV-Winterthur Versicherung bieten wir <strong>GEW</strong>-Mitgliedern und deren Angehörigen seit über 35 Jahren besonders günstige Versicherungsbeiträge.<br />
Wählen Sie eine Versicherungssumme zwischen 500 € und 12500 €.<br />
Senden Sie uns den folgenden Antrag am besten noch heute zurück.<br />
Beitragstabelle Monatsbeiträge je 500 EUR Versicherungssumme Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
15 0,59 EUR 0,51 EUR<br />
16 0,61 EUR 0,52 EUR<br />
17 0,62 EUR 0,53 EUR<br />
18 0,63 EUR 0,54 EUR<br />
19 0,65 EUR 0,56 EUR<br />
20 0,66 EUR 0,57 EUR<br />
21 0,67 EUR 0,58 EUR<br />
22 0,69 EUR 0,59 EUR<br />
23 0,71 EUR 0,60 EUR<br />
24 0,72 EUR 0,62 EUR<br />
25 0,74 EUR 0,63 EUR<br />
26 0,76 EUR 0,65 EUR<br />
27 0,78 EUR 0,66 EUR<br />
28 0,80 EUR 0,68 EUR<br />
29 0,82 EUR 0,69 EUR<br />
30 0,84 EUR 0,71 EUR<br />
31 0,86 EUR 0,73 EUR<br />
Eintrittsalter: Beginnjahr der Versicherung minus Geburtsjahr der zu versichernden Person.<br />
Bei Eintrittsalter 15-74 ist die Unfallzusatzversicherung obligatorisch eingeschlossen.<br />
Für andere Versicherungssummen als 500 Euro ist der Betrag entsprechend zu vervielfältigen.<br />
Die Monatsbeiträge sind versicherungstechnisch mit sieben Nachkommastellen gerechnet. Aus Vereinfachungsgründen sind aber nur zwei Nachkommastellen<br />
in der Beitragstabelle ausgewiesen. Deshalb kann es zu Rundungsdifferenzen kommen, die sich allerdings nur im Cent-Bereich bewegen.<br />
Endalter Beitragszahlung: 85 Jahre, aber mindestens fünf Jahre.<br />
38 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
32 0,89 EUR 0,75 EUR<br />
33 0,91 EUR 0,77 EUR<br />
34 0,94 EUR 0,79 EUR<br />
35 0,97 EUR 0,81 EUR<br />
36 1,00 EUR 0,83 EUR<br />
37 1,03 EUR 0,86 EUR<br />
38 1,06 EUR 0,88 EUR<br />
39 1,09 EUR 0,91 EUR<br />
40 1,13 EUR 0,94 EUR<br />
41 1,17 EUR 0,96 EUR<br />
42 1,21 EUR 0,99 EUR<br />
43 1,25 EUR 1,03 EUR<br />
44 1,30 EUR 1,06 EUR<br />
45 1,34 EUR 1,09 EUR<br />
46 1,39 EUR 1,13 EUR<br />
47 1,45 EUR 1,17 EUR<br />
48 1,50 EUR 1,21 EUR<br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
49 1,56 EUR 1,26 EUR<br />
50 1,63 EUR 1,30 EUR<br />
51 1,69 EUR 1,35 EUR<br />
52 1,76 EUR 1,40 EUR<br />
53 1,84 EUR 1,46 EUR<br />
54 1,92 EUR 1,52 EUR<br />
55 2,00 EUR 1,58 EUR<br />
56 2,09 EUR 1,65 EUR<br />
57 2,18 EUR 1,72 EUR<br />
58 2,28 EUR 1,80 EUR<br />
59 2,39 EUR 1,88 EUR<br />
60 2,51 EUR 1,97 EUR<br />
61 2,63 EUR 2,07 EUR<br />
62 2,76 EUR 2,17 EUR<br />
63 2,91 EUR 2,29 EUR<br />
64 3,06 EUR 2,41 EUR<br />
65 3,23 EUR 2,55 EUR<br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
66 3,42 EUR 2,70 EUR<br />
67 3,62 EUR 2,86 EUR<br />
68 3,84 EUR 3,05 EUR<br />
69 4,08 EUR 3,25 EUR<br />
70 4,35 EUR 3,48 EUR<br />
71 4,64 EUR 3,73 EUR<br />
72 4,97 EUR 4,02 EUR<br />
73 5,34 EUR 4,35 EUR<br />
74 5,75 EUR 4,73 EUR<br />
75 6,19 EUR 5,14 EUR<br />
76 6,75 EUR 5,66 EUR<br />
77 7,41 EUR 6,30 EUR<br />
78 8,22 EUR 7,09 EUR<br />
79 9,24 EUR 8,11 EUR<br />
80 10,61 EUR 9,49 EUR
Version G -01. <strong>2008</strong><br />
Beitrittserklärung bitte zurücksenden an:<br />
Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> e.V., Postfach 90 04 09, 60444 Frankfurt<br />
Beitrittserklärung zur Gruppen-Sterbegeldversicherung<br />
(bis Alter 80) - Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />
Zu versichernde Person<br />
Versicherungsumfang<br />
Einzugsauftrag<br />
(bitte in jedem Fall ausfüllen)<br />
Produktbeschreibung<br />
Unfalltod-<br />
Zusatzversicherung<br />
Beitragszahlung<br />
Name / Vorname<br />
Straße / Hausnummer<br />
Versicherungsbeginn<br />
Ich beantrage eine Versicherungssumme von: (bitte ankreuzen)<br />
PLZ / Wohnort<br />
Geburtsdatum<br />
Telefonnummer für Rückfragen<br />
Versicherungssumme in € Monatlicher Beitrag in €<br />
Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die Beiträge für diese Gruppen-Sterbegeld-Versicherung bis auf schriftlichen Widerruf und der<br />
monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag von € 0,05 im Lastschriftverfahren monatlich eingezogen werden.<br />
Konto-Nummer Bankleitzahl<br />
Y Y<br />
Bank / Sparkasse / Postbank Konto-Inhaber<br />
Y<br />
Ich wähle folgende Summe unter 12.500 Euro: Euro .....................<br />
Mindestsumme 500,-- Euro<br />
Die Versicherungsleistung wird beim Tod der versicherten Person fällig.<br />
Das Höchsteintrittsalter beträgt 80 Jahre. Der Versicherer verzichtet auf<br />
eine Gesundheitsprüfung; stattdessen gilt beim Tod der versicherten<br />
Person im 1. Versicherungsjahr folgende Staffelung der Versicherungssumme:<br />
Bei Tod im 1. Monat: Rückzahlung des eingezahlten Beitrages;<br />
bei Tod im 2. Monat: Zahlung von 1/12 der Versicherungssumme; bei Tod<br />
im 3. Monat Zahlung von 2/12 der Versicherungssumme usw.; allmonat-<br />
Eine Unfalltod-Zusatzversicherung ist stets eingeschlossen, außer bei<br />
den Eintrittsaltern ab 75 Jahren. Bei Tod infolge eines Unfalls vor dem<br />
Ende des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person ihr 75.<br />
Die Beiträge sind bis zum Ende des Monats zu entrichten, in dem die<br />
versicherte Person stirbt; längstens jedoch bis zum Ende des Ver-<br />
Überschussbeteiligung Die von der DBV-Winterthur Lebensversicherung AG laufend erwirtschafteten<br />
Überschüsse werden in Form von Grund- und Zinsüberschussanteilen<br />
weitergegeben. Die Grundüberschussanteile werden mit<br />
den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />
Zuwendungserklärung Die während meiner Mitgliedschaft auf die Sterbegeldversicherung<br />
anfallenden Grundüberschussanteile werden mit<br />
den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />
Bis auf meinen jederzeit möglichen Widerruf wende ich dem<br />
BFW der <strong>GEW</strong> laufend Beträge in Höhe der jeweils verrechneten<br />
Überschussanteile zu. Dadurch kommen diese Beträge wirt-<br />
Unterschriften<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
Bevor Sie diese Beitrittserklärung unterschreiben, lesen Sie bitte auf der<br />
Rückseite die Einwilligungserklärung der zu versichernden Person. Die Einwilligungserklärung<br />
enthält u.a. die Klausel nach dem Bundesdaten-<br />
Ort / Datum Unterschrift der zu versichernden Person<br />
Y Y Y<br />
Bitte kreuzen Sie an:<br />
weiblich männlich<br />
lich um 1/12 der Versicherungssumme steigend bis zur vollen Versicherungssumme<br />
ab Beginn des 2. Versicherungsjahres. Stirbt die<br />
versicherte Person vor Ablauf des ersten Versicherungsjahres infolge<br />
eines im ersten Versicherungsjahr eingetretenen Unfalls, wird stets<br />
die volle Versicherungsleistung erbracht.<br />
Interne Angaben<br />
Gruppenvertragsnummer Personenkreis Versicherungsscheinnummer Versicherungssumme Versicherungsbeginn<br />
4 7 9 0 0 5 8 6 6 1 4 7 0 1 2 0 0 8<br />
Y<br />
3.000<br />
5.000<br />
7.000<br />
10.000<br />
12.500<br />
Ihr Servicetelefon<br />
069/78 97 32 05<br />
Bitte ankreuzen:<br />
Mitglied<br />
Familienangehörige/r<br />
zzgl. BFW-Mitgliedsbeitrag 0,05<br />
Lastschriftbetrag ................<br />
Lebensjahr vollendet hat, wird die volle Versicherungssumme zusätzlich<br />
zur Sterbegeldleistung gezahlt.<br />
sicherungsjahres, in dem die versicherte Person das rechnungsmäßige<br />
85. Lebensjahr vollendet.<br />
Die Zinsüberschussanteile werden verzinslich angesammelt<br />
und zusammen mit der Versicherungsleistung ausgezahlt.<br />
schaftlich nicht mir, sondern dem BFW der <strong>GEW</strong> zu 64 % für<br />
satzungsgemäße Aufgaben und zu 36 % zur Förderung der<br />
Sterbegeldeinrichtung (Kostendeckungsmittel) zugute. Über<br />
die Höhe der Zuwendungen gibt das BFW der <strong>GEW</strong> auf Anfrage<br />
jederzeit Auskunft. Bei Widerruf der Zuwendungserklärung<br />
beträgt der monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag 2,50 €.<br />
schutzgesetz (BDSG) und Hinweise zum Widerspruchsrecht; sie ist<br />
wichtiger Bestandteil des Vertrages. Sie machen mit Ihrer Unterschrift<br />
die Einwilligungserklärung zum Inhalt dieser Beitrittserklärung.<br />
Unterschrift der Kontoinhaberin/des Kontoinhabers<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 39
Version G - 01.<strong>2008</strong><br />
Einwilligungserklärung Die Vereinigung und die zu versichernde Person geben die nachfolgend abgedruckten Einwilligungserklärungen zur Datenverarbeitung<br />
nach dem Bundesdatenschutzgesetz und zur Schweigepflichtentbindung ab.<br />
Widerrufssrecht<br />
Sie können Ihre Erklärung bis zum Ablauf von 30 Tagen<br />
nach Erhalt des Versicherungsscheins und der<br />
Bestimmungen und Informationen zum Vertrag (BIV) ohne<br />
Angabe von Gründen schriftlich widerrufen. Eine<br />
Erklärung in Textform (z.B. per Brief, Fax oder E-Mail) ist<br />
I. Bedeutung dieser Erklärung und Widerrufsmöglichkeit<br />
Ihre personenbezogenen Daten benötigen wir zur Verhinderung<br />
von Versicherungsmissbrauch, zur Überprüfung unserer<br />
Leistungspflicht, zu Ihrer Beratung und Information sowie allgemein<br />
zur Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung.<br />
Personenbezogene Daten dürfen nach geltendem Datenschutzrecht<br />
nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden<br />
(Datenverwendung), wenn dies ein Gesetz ausdrücklich<br />
erlaubt oder anordnet oder wenn eine wirksame Einwilligung<br />
des Betroffenen vorliegt.<br />
Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist die Verwendung<br />
Ihrer allgemeinen personenbezogenen Daten<br />
(z.B. Alter oder Adresse) erlaubt, wenn es der Zweckbestimmung<br />
eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen<br />
Vertrauensverhältnisses dient (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG).<br />
Das gleiche gilt, soweit es zur Wahrung berechtigter Interessen<br />
der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu<br />
der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des<br />
Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung<br />
überwiegt (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG). Die Anwendung<br />
dieser Vorschriften erfordert in der Praxis oft eine umfangreiche<br />
und zeitintensive Einzelfallprüfung. Auf diese kann bei Vorliegen<br />
dieser Einwilligungserklärung verzichtet werden.<br />
Zudem ermöglicht diese Einwilligungserklärung eine Datenverwendung<br />
auch in den Fällen, die nicht von den Vorschriften<br />
des Bundesdatenschutzgesetzes erfasst werden<br />
(Vgl. dazu Ziffer II).<br />
Einen intensiveren Schutz genießen besondere Arten personenbezogener<br />
Daten (insbesondere Ihre Gesundheitsdaten).<br />
Diese dürfen wir im Regelfall nur verwenden, nachdem<br />
Sie hierin ausdrücklich eingewilligt haben (Vgl. dazu Ziffer III.).<br />
Mit den nachfolgenden Einwilligungen zu Ziffer II. und Ziffer<br />
III. ermöglichen Sie zudem eine Datenverwendung auch<br />
solcher Daten, die dem besonderen gesetzlichen Schutz von<br />
Privatgeheimnissen gemäß § 203 Strafgesetzbuch unterliegen.<br />
Diese Einwilligungen sind ab dem Zeitpunkt der Antragstellung<br />
wirksam. Sie wirken unabhängig davon, ob später<br />
der Versicherungsvertrag zustande kommt. Es steht Ihnen<br />
frei, diese Einwilligungserklärungen mit Wirkung für die<br />
Zukunft jederzeit ganz oder teilweise zu widerrufen. Dies<br />
lässt aber die gesetzlichen Datenverarbeitungsbefugnisse<br />
unberührt. Sollten die Einwilligungen ganz oder teilweise<br />
verweigert werden, kann das dazu führen, dass ein Versicherungsvertrag<br />
nicht zustandekommt.<br />
II. Erklärung zur Verwendung Ihrer allgemeinen personenbezogenen<br />
Daten<br />
Hiermit willige ich ein, dass meine personenbezogenen Daten<br />
unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit und<br />
der Datenvermeidung verwendet werden<br />
1.a) zur Vertragsabwicklung und zur Prüfung der Leistungspflicht;<br />
b) zur Weitergabe an den/die für mich zuständigen Vermittler,<br />
soweit dies der ordnungsgemäßen Durchführung meiner<br />
Versicherungsangelegenheiten dient;<br />
Allgemeine Hinweise<br />
Mir ist bekannt, dass die Vereinigung Versicherungsnehmerin<br />
ist. Sie handelt in meinem Auftrag. Ich bevollmächtige die Vereinigung<br />
zur Vertretung bei der Abgabe und Entgegennahme<br />
aller das Versicherungsverhältnis betreffenden Willenserklärungen<br />
(einschließlich der Kündigung der Sterbegeldversicherung<br />
beim Ausscheiden des Mitglieds aus der Vereinigung);<br />
die Vertretungsbefugnis erstreckt sich jedoch nicht<br />
auf die Empfangnahme von Versicherungsleistungen und<br />
die Änderung des Bezugsrechts.<br />
Versicherungsträger<br />
DBV-Winterthur Lebensversicherung Aktiengesellschaft<br />
Sitz: Wiesbaden (AG Wiesbaden - HRB 7501-)<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats: Herbert Falk<br />
40 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Widerrufsbelehrung auf Abschluss eines Versicherungsvertrages<br />
ausreichend. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die<br />
rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu<br />
richten an: DBV-Winterthur Lebensversicherung AG,<br />
Frankfurter Str. 50, 65170 Wiesbaden. Sofern der vorseitig<br />
genannte Versicherungsbeginn vor dem Ablauf der<br />
2. zur gemeinschaftlichen Führung von Datensammlungen<br />
der zur AXA Gruppe gehörenden Unternehmen (zu denen<br />
auch die DBV-Winterthur Gesellschaften zählen und die im<br />
Internet unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf<br />
Wunsch mitgeteilt werden), um die Anliegen im Rahmen der<br />
Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung schnell, effektiv<br />
und kostengünstig bearbeiten zu können (z.B. richtige<br />
Zuordnung Ihrer Post oder Beitragszahlungen). Diese Datensammlungen<br />
enthalten Daten wie Name,Adresse, Geburtsdatum,<br />
Kundennummer, Versicherungsnummer, Kontonummer,<br />
Bankleitzahl,Art der bestehenden Verträge, sonstige<br />
Kontaktdaten;<br />
3. durch andere Unternehmen/Personen (Dienstleister) innerhalb<br />
und außerhalb der AXA Gruppe, denen der Versicherer<br />
oder ein Rückversicherer Aufgaben ganz oder teilweise zur<br />
Erledigung überträgt. Diese Dienstleister werden eingeschaltet,<br />
um die Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung<br />
möglichst schnell, effektiv und kostengünstig zu<br />
gestalten. Eine Erweiterung der Zweckbestimmung der<br />
Datenverwendung ist damit nicht verbunden. Die Dienstleister<br />
sind im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung verpflichtet,<br />
ein angemessenes Datenschutzniveau sicher zu stellen,<br />
einen zweckgebundenen und rechtlich zulässigen Umgang<br />
mit den Daten zu gewährleisten sowie den Grundsatz der<br />
Verschwiegenheit zu beachten;<br />
4. zur Verhinderung des Versicherungsmissbrauchs und bei<br />
der Klärung von Ansprüchen aus dem Versicherungsverhältnis<br />
durch Nutzung konzerneigener Datenbestände sowie<br />
Nutzung eines Hinweis- und Informationssystems der Versicherungswirtschaft<br />
mit Daten, die der Gesamtverband<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) im Auftrag<br />
der Versicherer verschlüsselt.Auf Basis dieses Systems<br />
kann es zu einem auf den konkreten Anlass bezogenen<br />
Austausch personenbezogener Daten zwischen dem<br />
anfragenden und dem angefragten Versicherer kommen;<br />
5. zur Beratung und Information über Versicherungs- und<br />
sonstige Finanzdienstleistungen durch<br />
a) den Versicherer, andere Unternehmen der AXA Gruppe und<br />
den für mich zuständigen Vermittler;<br />
b) Kooperationspartner des Versicherers (die im Internet<br />
unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf Wunsch<br />
mitgeteilt werden); soweit aufgrund von Kooperationen mit<br />
Gewerkschaften/Vereinen Vorteilskonditionen gewährt<br />
werden, bin ich damit einverstanden, dass der Versicherer<br />
zwecks Prüfung, ob eine entsprechende Mitgliedschaft<br />
besteht, mit den Gewerkschaften/Vereinen einen Datenabgleich<br />
vornimmt;<br />
6. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />
der Versicherer Informationen über mein allgemeines<br />
Zahlungsverhalten einholt. Dies kann auch erfolgen durch<br />
ein anderes Unternehmen der AXA Gruppe oder eine Auskunftei<br />
(z.B. Bürgel, Infoscore, Creditreform, SCHUFA);<br />
7. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />
Bei höherem Eintrittsalter können die zu zahlenden<br />
Beiträge in ihrem Gesamtbetrag die versicherte<br />
Leistung unter Umständen übersteigen.<br />
Eine Durchschrift der Beitrittserklärung wird mir unverzüglich<br />
nach Unterzeichnung zugesandt.<br />
Auf diesen Vertrag findet das Recht der Bundesrepublik<br />
Deutschland Anwendung.<br />
Soweit Vorteilskonditionen gewährt werden, die vom<br />
Bestehen der Mitgliedschaft zu einer Gewerk-<br />
Vorstand: Dr. Frank Keuper (Vors.), Wolfgang Hanssmann,<br />
Ulrich C. Nießen, Anette Rosenzweig, Dr. Heinz-Peter Roß,<br />
Dr. Heinz-Jürgen Schwering, Dr. Patrick Dahmen (stv.)<br />
Widerrufsfrist liegt, bin ich damit einverstanden, dass der<br />
erste oder einmalige Beitrag (Einlösungsbeitrag) -<br />
abweichend von der gesetzlichen Regelung - vor Ablauf<br />
der Frist fällig d.h. unverzüglich zu zahlen ist.<br />
der Versicherer ein Unternehmen der AXA Gruppe oder<br />
eine Auskunftei eine auf der Grundlage mathematischstatistischer<br />
Verfahren erzeugte Einschätzung meiner<br />
Zahlungsfähigkeit bzw. der Kundenbeziehung (Scoring) einholt.<br />
III. Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung und<br />
Verwendung von Gesundheitsdaten<br />
Schweigepflichtentbindung<br />
Zur Bewertung unserer Leistungspflicht kann es erforderlich<br />
werden, dass wir die Angaben prüfen, die zur Begründung<br />
von Ansprüchen gemacht werden oder die sich aus eingereichten<br />
Unterlagen (z.B. Rechnungen,Verordnungen, Gutachten)<br />
oder Mitteilungen beispielsweise eines Krankenhauses<br />
oder Arztes ergeben. Diese Überprüfung unter Einbeziehung<br />
von Gesundheitsdaten erfolgt nur, soweit hierzu<br />
ein Anlass besteht (z.B. Fragen zu Unfalltod oder Selbsttötung).<br />
Um diese Prüfung und Bewertung zu ermöglichen, geben<br />
Sie folgende Erklärung ab:<br />
a) Zum Zweck der Prüfung der Leistungspflicht befreie ich<br />
von ihrer Schweigepflicht Ärzte, Pflegepersonen und Bedienstete<br />
von Krankenhäusern, sonstigen Krankenanstallten,<br />
Pflegeheimen, Personenversicherern, gesetzlichen<br />
Krankenkassen sowie von Berufsgenossenschaften und<br />
Behörden, soweit ich dort in den letzten 10 Jahren vor<br />
Antragstellung untersucht, beraten oder behandelt worden<br />
bin bzw. versichert war oder einen Antrag auf Versicherung<br />
gestellt habe.<br />
b) Die Angehörigen des Versicherers und seiner Dienstleistungsgesellschaften<br />
befreie ich von ihrer Schweigepflicht<br />
insoweit, als Gesundheitsdaten an beratende Ärzte oder<br />
Gutachter weitergegeben werden. Wir werden Gesundheitsdaten<br />
nach den Absätzen a) und b) nur erheben zur Leistungspflichtprüfung.<br />
Datenverwendung<br />
Um die Datenverwendung zu ermöglichen, geben Sie<br />
folgende Erklärungen ab:<br />
a) Ich willige in die Verwendung der von den vorstehenden<br />
Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />
zur Leistungsprüfung ein. Die Grundsätze der<br />
Datensparsamkeit und Datenvermeidung sind zu beachten.<br />
b) Ich willige ferner ein, dass die von den vorstehenden<br />
Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />
unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit<br />
und Datenvermeidung im Sinne der Ziffer II. Nr.<br />
1 (Vertragsabwicklung), Nr. 3 (Outsourcing an Dienstleister),<br />
Nr. 4 (Missbrauchsbekämpfung) und Nr. 5 (Beratung und<br />
Information) verwendet werden dürfen.<br />
Zur Missbrauchsbekämpfung im Rahmen einer besonderen<br />
Konzerndatenbank dürfen Gesundheitsdaten nur von<br />
Kranken-, Unfall- und Lebensversicherern eingesehen und<br />
verwendet werden (Ziffer II. 4).<br />
schaft/Vereinigung abhängig sind, erfolgt ein Datenabgleich<br />
mit dieser Organisation ohne Bekanntgabe der Versicherungsinhalte.<br />
Die für Ihre Versicherung zuständige Aufsichtsbehörde ist die<br />
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),<br />
Postfach 1308, 53003 Bonn, Internet: www.bafin.de.<br />
Unser Unternehmen ist Mitglied im Verein Versicherungsombudsmann<br />
e.V., Postfach 080632, 10006 Berlin.<br />
Anschrift:<br />
Frankfurter Straße 50<br />
65170 Wiesbaden
Trau dich!<br />
Rechtsextreme Symbole im Klassenzimmer,<br />
kollektives Mobbing<br />
im Internet – solche Konflikte gefährden<br />
die demokratische Kultur<br />
unserer Gesellschaft. Aber es<br />
geht auch anders: Einzelne junge<br />
Menschen, Klassen oder Jugendgruppen<br />
halten dagegen und beweisen<br />
Zivilcourage. Oft schlägt<br />
sich dieses Engagement in ganz<br />
konkreten Projekten nieder – Initiativen,<br />
die es verdient haben,<br />
sie einer größeren Öffentlichkeit<br />
bekanntzumachen.<br />
Die <strong>GEW</strong> sucht solche Projekte<br />
engagierten Handelns und hat einen<br />
Wettbewerb ausgeschrieben. Gesucht sind Projekte, die gesellschaftliche<br />
Missstände anprangern und beenden, die die Aufarbeitung der jüngeren<br />
Vergangenheit thematisieren, die den Schwachen und Benachteiligten<br />
in unserer Gesellschaft helfen, die sich für mehr Demokratie im<br />
Alltag junger Menschen engagieren.<br />
Wer kann teilnehmen?<br />
An dem Wettbewerb, den das Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong><br />
(BFW) finanziert, können sich junge Menschen aus Bayern im Alter von<br />
zwölf bis 20 Jahren beteiligen. Das Engagement Einzelner, ob in Schule,<br />
Ausbildungsbetrieb oder Jugendzentrum, ist dabei ebenso willkommen<br />
wie die Beteiligung ganzer Klassen, Gruppen oder Kurse.<br />
Was gibt es zu gewinnen?<br />
Die Gewinner des Wettbewerbs haben die Chance, vom 25. bis 28. April<br />
2009 an einem Workshop der politischen Bildung teilzunehmen. Dazu<br />
werden jeweils zwei Team-Mitglieder, eine Lehrkraft oder ein Betreuer der<br />
sechs interessantesten Projekte nach Nürnberg eingeladen. Außerdem<br />
gibt es für jedes Gewinner-Team eine digitale Videokamera – damit die<br />
Projektarbeit in Zukunft noch besser dokumentiert werden kann.<br />
Die Preisverleihung findet auf dem Gewerkschaftstag der <strong>GEW</strong> am 27.<br />
April 2009 in Nürnberg statt. Dort können sich die Projekte zudem in einer<br />
Ausstellung präsentieren.<br />
Interessierte Jugendliche oder Gruppen bewerben sich mit dem<br />
Anmeldebogen und einer Projektbeschreibung (nicht mehr als eine DIN<br />
A4-Seite). Um die Initiative anschaulicher zu machen, können Fotos,<br />
Dokumente und Zeitungsartikel angehängt werden.<br />
Die Bewerbungen müssen bis zum 19. <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong> eingegangen sein<br />
bei:<br />
<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand, Stichwort „Trau dich!“, Reifenberger Str. 21, 60489<br />
Frankfurt a.M.<br />
Den Flyer zum Wettbewerb gibt es im Internet unter: www.gew.de/<br />
Trau_dich.html<br />
Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten<br />
Am 1. September startete die 21. Ausschreibung des Geschichtswettbewerbs<br />
des Bundespräsidenten mit dem Thema „Helden: verehrt – verkannt<br />
– vergessen“. Der Wettbewerb richtet sich an alle Kinder und Jugendlichen<br />
zwischen acht und 21 Jahren. Teilnehmern winken Geld- und<br />
Sachpreise in Höhe von 250 000 Euro.<br />
Einsendeschluss ist der 28. Februar 2009.<br />
Ausrichter des Wettbewerbs ist seit 1973 die Körber-Stiftung in Hamburg,<br />
die 550 Preise für die besten Projekte auf Landes- und Bundesebene auslobt.<br />
Nähere Informationen unter: www.geschichtswettbewerb.de<br />
Foto: zplusz<br />
LesePeter<br />
MARKTPLATZ<br />
Der LesePeter ist eine monatliche Auszeichnung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Jugendliteratur und Medien (AJuM) der <strong>GEW</strong> für ein herausragendes aktuelles<br />
Buch der Kinder- und Jugendliteratur.<br />
Im <strong>Dezember</strong> erhält den LesePeter das Buch von Lorenz Pauli und Kathrin<br />
Schärer „Ich mit dir, du mit mir“. Zum Inhalt: Das Bilderbuch für Kinder<br />
ab vier Jahren erzählt eine wunderbare Geschichte über die Freundschaft<br />
sehr ungleicher Tiere und Menschen.<br />
Lorenz Pauli, Kathrin Schärer: Ich mit dir, du mit mir, Zürich: Atlantis<br />
bei Orell Füssli <strong>2008</strong>, 32 Seiten, 13,90 Euro<br />
Im Januar 2009 wird das Kinderbuch von Andreas Steinhöfel „Rico, Oskar<br />
und die Tieferschatten“ mit dem LesePeter ausgezeichnet. Zum Inhalt:<br />
Rico nennt sich selbst „tiefbegabt“. Er versteht in der Schule nicht immer<br />
gleich alles, hat aber einen unerschöpflichen Optimismus. Zusammen<br />
mit dem hochbegabten Oskar bildet Rico ein unschlagbares Team.<br />
Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten, Hamburg: Carlsen<br />
<strong>2008</strong>, 220 Seiten, 12,90 Euro, ab zehn Jahren<br />
Ausführliche Rezensionen mit pädagogischen Hinweisen sind im Internet<br />
unter www.ajum.de oder www.ajum.de/lespeter.html abrufbar.<br />
„Abitur in der Diskussion“<br />
Die <strong>GEW</strong>-Broschüre „Abitur in der Diskussion. Analysen und Positionen<br />
zum Zentralabitur“, herausgegeben von den Bundesfachgruppenausschüssen<br />
Gymnasien und Gesamtschulen der <strong>GEW</strong>, enthält neben<br />
Artikeln zu aktuellen Diskussionen (z. B. „Zentralabitur – ein Auswuchs<br />
neuer Steuerung im Bildungsbereich?“) eine Übersicht über die bundesweiten<br />
Regelungen sowie <strong>GEW</strong>-Positionen zum Thema. Zu beziehen ist<br />
die Broschüre für 9,80 Euro plus 2,10 Euro Versandkosten über den nds-<br />
Verlag, www.nds-verlag.de.<br />
Noch einmal 68<br />
Als Nachklapp zum 68er-Schwerpunkt in E&W 7-8/<strong>2008</strong> weisen wir auf<br />
folgende Bücher hin:<br />
In „Seid realistisch, verlangt das Unmögliche“ erhellen Erziehungswissenschaftler<br />
(Micha Brumlik, Lothar Böhnisch) und Soziologen (Oskar<br />
Negt), wie die herrschaftskritische 68er-Debatte über den Umgang mit<br />
Autorität zu einer „Wende“ in der Pädagogik führte. Das Buch, herausgegeben<br />
von Meike Sophia Baader, ist im Beltz Verlag <strong>2008</strong> erschienen und<br />
zum Preis von 16,90 Euro erhältlich.<br />
„Winter a. D.“ ist ein neuer Roman von Ulrich Zimmermann, der die aktuelle<br />
Bildungsdiskussion und Rückbesinnung auf 68 zusammenführt. Der<br />
Schriftsteller und Lehrer Zimmermann, selbst ein Alt-68er, schildert einen<br />
Tag im Leben des Realschullehrers Winter. Zimmermann hält in seinem<br />
Roman weder alte Erziehungsideale hoch, noch regt er sich sonderlich<br />
über den Zustand des Bildungssystems auf. Er schildert die Schule als<br />
Teil der menschlichen Komödie und nimmt dabei auch seinen Helden<br />
nicht aus.<br />
Ulrich Zimmermann: Winter a. D., Lindemanns Bibliothek Band 51, 204<br />
Seiten, 12,80 Euro<br />
„Wer zu spät kommt...“ von Doro Mayer-Hauth ist ein Roman, im Principal<br />
Verlag Münster erschienen, der Einblicke in den Lebensalltag der<br />
APO-Generation gibt: Mit gemischten Gefühlen erwartet Arno seinen<br />
Ziehsohn aus Australien. Der 25-Jährige hat Fragen angekündigt, die seine<br />
Jugend überschattet haben und auf deren Beantwortung er nun unmissverständlich<br />
drängt. Welchen Grund hatte sein Vater, sich noch vor<br />
seiner Geburt angeblich in die DDR abzusetzen? Dabei lässt der Vater die<br />
Ereignisse um die 68er-Generation Revue passieren und hat Gewissensbisse,<br />
dass er sein Geheimnis lange gehütet hat.<br />
Doro Mayer-Hauth: Wer zu spät kommt..., Principal Verlag Münster<br />
<strong>2008</strong>, 438 Seiten, 14,80 Euro<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 41
MARKTPLATZ/<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
„Wissen der Zukunft“<br />
Die Filmdokumentation „Wissen der Zukunft“ von Paul Schwarz zeigt,<br />
wie Naturwissenschaften erfolgreich unterrichtet werden können. Erfolgsmodelle<br />
aus fünf PISA-Ländern, u. a. Finnland, Japan, Kanada, Mexiko<br />
und Deutschland, werden präsentiert. Zunächst richtet Schwarz sein<br />
Augenmerk auf die „Sieger“ der PISA-Studie 2006: Finnland, Japan und<br />
Kanada. Er zeigt aber auch, wie in Mexiko unter sozioökonomisch<br />
schwierigen Bedingungen dank der Hilfe massiver Investitionen in die<br />
Bildung eine Aufbruchstimmung festzustellen ist.<br />
Wie wird in unterschiedlichen Schulformen mit der Heterogenität der<br />
Schüler umgegangen? Wie kann durch Alltagsbezug die Motivation zum<br />
Lernen gefördert werden? Der Film, der im Auftrag der OECD entstand,<br />
veranschaulicht, wie auch in bestehenden Strukturen erfolgreich gelernt<br />
werden kann.<br />
Paul Schwarz: Wissen der Zukunft. Wie Bildungsarbeit weltweit gelingt –<br />
Naturwissenschaften im internationalen Vergleich, DVD, Beltz Praxis<br />
<strong>2008</strong>, 19,90 Euro<br />
Heimat und Landschaft<br />
kjl&m, die von der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien<br />
(AJuM) der <strong>GEW</strong> herausgegebene Zeitschrift, hat in Heft 4/<strong>2008</strong> den<br />
Schwerpunkt „Heimat: Landschaft in der Kinder- und Jugendliteratur“.<br />
Thema sind „literarische Kindheitsorte“. Die Schweizer Kinderliteratur<br />
wird dabei ebenso in den Blick genommen wie skandinavische Landschaften,<br />
wie sie z. B. Selma Lagerlöf geschaffen hat. Oder Exil-Orte, wie<br />
sie Lisa Tetzner in ihrer Kinder-Odysee „Die Kinder aus Nr. 67“ entworfen<br />
hat. Darüber hinaus informieren zahlreiche Rezensionen in jedem Heft<br />
über Aktuelles vom Kinder- und Jugendbuchmarkt sowie aus der AJuM.<br />
Bezug/Abonnement bei: kopaed, Pfälzer-Wald-Str. 64, 81539 München;<br />
info@kopaed.de<br />
Einzelpreis elf Euro; Jahresabo 35,- Euro (vier Ausgaben à 96 Seiten jährlich<br />
im Februar, Mai, August, November); ermäßigtes Abo 28,- Euro (jeweils<br />
zuzügl. Versandkosten: Inland vier Euro, Ausland sechs Euro). Probeabo<br />
(zwei Ausgaben inkl. Versand) zwölf Euro.<br />
Buchtipp „Den Schleier lüften“<br />
Die Journalistin und E&W-Autorin Helga Ballauf hat unter dem Titel<br />
„Den Schleier lüften“, erschienen im Books on Demand Verlag, Norderstedt,<br />
ein ungewöhnliches Buch geschrieben: Sie blickt von der Gegenwart<br />
zurück auf die Geschichte Spaniens und das maurische Erbe. Die<br />
Autorin hat in Andalusien ein Jahr Spurensuche betrieben und die wechselhafte<br />
Geschichte zwischen Mauren,<br />
Christen und Juden detailliert recherchiert.<br />
Es entstand ein politisch-historisches,<br />
sehr lesbares Feature, das vom<br />
Frauenleben in al-Andalus ebenso erzählt<br />
wie vom heutigen Umgang der<br />
spanischen Bevölkerung mit Zuwanderern<br />
aus der muslimischen Welt. Wer<br />
nicht nur an der bedeutenden Architektur<br />
Spaniens, sondern auch an den kulturgeschichtlichen<br />
Hintergründen und<br />
Zusammenhängen interessiert ist, dem<br />
sei das Buch zur Lektüre empfohlen.<br />
Helga Ballauf: Den Schleier lüften. Spanien<br />
und sein maurisches Erbe. Ein politisch-historisches<br />
Feature, Books on<br />
Demand Verlag, Norderstedt <strong>2008</strong>, 192<br />
Seiten, 12,90 Euro.<br />
42 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
BNE-Literaturliste<br />
Hermann Schnorbach, aufmerksamer und kenntnisreicher Leser hat<br />
E&W zum Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) im<br />
Nachklapp zum Schwerpunkt (s. E&W 6/<strong>2008</strong>) eine differenzierte<br />
und facettenreiche Literaturliste zur Verfügung gestellt. Diese eignet<br />
sich für die Unterrichtspraxis, bedient aber auch das wissenschaftliche<br />
Interesse am Thema. Die Liste steht im Internet unter:<br />
www.gew.de/BNE_Link-_und_Literaturliste.html<br />
Demo in Straßburg<br />
Unter dem Motto „Vorrang für Arbeitnehmerrechte – Keine Verlängerung<br />
der Arbeitszeiten“ ruft der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB)<br />
am 16. <strong>Dezember</strong> <strong>2008</strong> zu einer Demonstration in Straßburg auf. Anlass:<br />
Das EU-Parlament wird am 17. <strong>Dezember</strong> über eine neue Arbeitsrichtlinie<br />
entscheiden, nach der künftig in Europa Wochenarbeitszeiten bis 65<br />
Stunden (!) erlaubt sein sollen. Die <strong>GEW</strong> unterstützt den Protest des<br />
EGB und ruft ihre Mitglieder auf, sich daran zu beteiligen.<br />
Nähere Informationen unter: www.gew.de/Europaeische_Demonstration_<br />
am_16.12._in_Strassburg.html<br />
Beitragsanpassung<br />
Hohe EU-Beamte informierten<br />
sich<br />
während des Seminars<br />
„Arbeit und Soziales“<br />
über die <strong>GEW</strong><br />
und deren Arbeitsschwerpunkte.<br />
Von<br />
links nach rechts: Ilse<br />
Schaad (<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand),<br />
Andra<br />
Reinomägi (Finnland),<br />
Agnieszka<br />
Brynda (Polen), Burak<br />
C. Dog˘an (Türkei), Joachim<br />
Lange (Goethe-<br />
Institut), Donatas<br />
Kus˘lys (Litauen).<br />
Alle Mitglieder im Bereich TVöD Bund und Kommunen sind betroffen<br />
Im Januar 2009 erfolgt für die Angestellten im öffentlichen Dienst,<br />
deren Entgelt sich nach dem neuen Tarifvertrag des öffentlichen<br />
Dienstes (TVöD) Bund oder Kommunen berechnet, der nächste<br />
Schritt des in <strong>2008</strong> erzielten Tarifergebnisses: Die Gehälter steigen ab<br />
Januar 2009 um 2,8 Prozent, außerdem wird eine Einmalzahlung in<br />
Höhe von Euro 225 gezahlt.<br />
Beide Bestandteile des Tarifergebnisses sind beitragswirksam. Daher<br />
erhöht sich der Mitgliedsbeitrag für Angestellte nach TVöD um 2,8<br />
Prozent. Zudem werden bei diesen Mitgliedern für die Einmalzahlung<br />
0,7 Prozent von 225 Euro (das sind Euro 1,58) mit dem nächsten<br />
Beitragseinzug einmalig berechnet.<br />
Beitragspflicht<br />
Ordnungsgemäß bezahlte Beiträge sind unabdingbare Voraussetzung<br />
für die Stärke und Durchsetzungsfähigkeit einer Gewerkschaft. Alle<br />
Mitglieder sind daher zu einer korrekten Beitragszahlung verpflichtet.<br />
Für eventuell notwendige Änderungen des <strong>GEW</strong>-Beitrags reicht<br />
wie bisher die Meldung an die Mitgliederverwaltung des zuständigen<br />
Landesverbandes.<br />
Petra Grundmann, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Finanzen<br />
Foto: Rödde
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 6/<strong>2008</strong><br />
STUNDENPLAN<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag<br />
Globalisierung<br />
Globalisierung<br />
Globalisierung<br />
Globalisierung<br />
Globalisierung<br />
Migration<br />
Migration<br />
Klimaschutz<br />
Klimaschutz<br />
Klimaschutz<br />
Klimaschutz<br />
Klimaschutz<br />
Ökosystem<br />
Ökosystem<br />
Lieber schwarz-weiß<br />
(E&W 6/<strong>2008</strong>:<br />
Beilage der Firma CTS)<br />
Als ich das erste Mal die Beilage<br />
„<strong>GEW</strong> Reisen“ in der „Erziehung<br />
und Wissenschaft“ sah, war ich<br />
einfach nur fassungslos. In Zeiten,<br />
in denen überall bekannt ist, dass<br />
Fliegen der Klimakiller Nummer<br />
1 ist, empfiehlt eine angeblich kritische<br />
Gewerkschaft ihren Mitgliedern<br />
einen sechstägigen Bankok-<br />
Hong Kong-Urlaub. Auch die<br />
zweiwöchige Chinareise mit mehreren<br />
Inlandsflügen kann eigentlich<br />
kein auch nur etwas nachhaltig<br />
denkender Mensch antreten.<br />
Nun gut, ich schrieb damals noch<br />
keinen Leserbrief, da ich das<br />
Ganze für einen einmaligen Ausrutscher<br />
hielt. Doch dann flatterte<br />
die Juni-Ausgabe ins Haus, in welcher<br />
man sofort auf die 32-seitige<br />
Broschüre der Firma CTS im Mittelteil<br />
des Heftes stößt. Angeboten<br />
werden wieder einmal Reisen,<br />
bei denen geflogen wird, was „das<br />
Zeug hält“.<br />
Wenn Druckkosten, die es durch<br />
Werbung wieder reinzuholen gilt,<br />
das einzige Gegenargument sind,<br />
gebe ich mich gerne mit einer abgespeckteren<br />
Zeitschrift in<br />
schwarz-weiß zufrieden, als weiterhin<br />
wütend solche Beilagen<br />
herausreißen zu müssen.<br />
Philipp Seefelder, Augsburg<br />
Unwort<br />
(E&W 6/<strong>2008</strong>)<br />
Menschenrechte<br />
Menschenrechte<br />
Menschenrechte<br />
Menschenrechte<br />
Menschenrechte<br />
Armut<br />
Armut<br />
„Dialog“ – Zeitung für Seniorinnen und Senioren<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Erneuerbare Energie<br />
Erneuerbare Energie<br />
Ernährung<br />
Ernährung<br />
Ernährung<br />
Ernährung<br />
Ernährung<br />
Konsum<br />
Konsum<br />
In der E&W 6/<strong>2008</strong> gibt es ein<br />
Unwort: Der Begriff „nachhaltig“<br />
erscheint bis zur Dialog-Seite<br />
60mal! In Wörterbüchern habe<br />
ich diesen Begriff nicht gefunden.*<br />
Waldemar Klemm, Berlin<br />
*Anm.d.Red.: Der Begriff Nachhaltigkeit<br />
stammt aus der Goethe-Zeit<br />
und wurde 1713 erstmals in Bezug<br />
auf Waldbewirtschaftung erwähnt.<br />
Nachhaltige Entwicklung ist die heute<br />
übliche Übersetzung des Begriffes<br />
sustainable development – sie bezeichnet<br />
eine Entwicklung, die den Bedürfnissen<br />
der jetzigen Generation entspricht,<br />
ohne die Möglichkeiten künftiger<br />
Generationen zu gefährden. (Definition<br />
nach dem Brundlandt-Bericht<br />
1987). Mit dem Erdgipfel 1992<br />
in Rio de Janeiro wurde Nachhaltigkeit<br />
als normatives internationales<br />
Leitprinzip der Staatengemeinschaft<br />
anerkannt und als Grundprinzip der<br />
Rio-Deklaration und der Agenda 21<br />
verankert.<br />
„Mehr Instinkt!“<br />
(E&W 7-8/<strong>2008</strong>, Seite 11:<br />
Anzeige)<br />
Ich möchte gerne wissen, weshalb<br />
ausgerechnet im Sommerheft der<br />
E&W die halbseitige Anzeige zur<br />
Lehrer-(Ab-)Werbung des Hessischen<br />
Kultusministers „Hauptrollen<br />
in Hessen gesucht“ abgedruckt<br />
wurde. Wir wussten doch<br />
bereits vor dem schönen Beitrag<br />
von Anja Dilk „Kampf um Köpfe“<br />
(E&W 9/<strong>2008</strong>) nebst treffender<br />
Karikatur, welche Problematik<br />
dahinter steckt. Ich erwarte künftig<br />
doch etwas mehr Instinkt von<br />
der „Anzeigenabteilung“.<br />
Karla Schmidt, Berlin<br />
Grafik verwundert<br />
(E&W 7-8/<strong>2008</strong>, Titelbild und Seite<br />
29: Campus-Maut abgeschafft)<br />
Als Student, der sich seit längerem<br />
gegen Studiengebühren engagiert,<br />
habe ich mich zunächst sehr<br />
über die Grafik zum Artikel von<br />
Felix Helbig gewundert. Rheinland-Pfalz<br />
ist gebührenfrei, entdeckte<br />
ich. Hat das Land neuerdings<br />
seine euphemistisch als Studienkonten<br />
bezeichneten Langzeitgebühren<br />
abgeschafft? Oder<br />
zählen diese heutzutage nicht<br />
mehr? Bei ihrer Einführung wurden<br />
sie zumindest heftig kritisiert:<br />
Wegen ihrer Türöffnerfunktion<br />
für allgemeine Studiengebühren<br />
und wegen der Stigmatisierung<br />
der „bösen“ Studierenden, die zu<br />
lange die Uni besuchen und damit<br />
nur allen auf der Tasche liegen.<br />
Frank Stutzmann (per E-Mail)<br />
„Einfach verleugnet“<br />
(E&W 10/<strong>2008</strong>, Seite 51:<br />
Leserbrief von Rudolf Teuffel)<br />
Ich arbeite an einer Lernhilfeschule<br />
und kann dem Kollegen Teuffel<br />
nur uneingeschränkt zustimmen.<br />
Für „normale“ (d. h. nicht bildungspolitisch<br />
informierte) Menschen<br />
sind „Sonderschüler“ heute<br />
veredelt: „Förderschüler“. Dass es<br />
auch noch Lernhilfeschüler unterhalb<br />
der Hauptschule gibt, ist<br />
weitgehend unbekannt.<br />
Die Schande beginnt dort, wo<br />
auch eine Bildungsgewerkschaft<br />
in ihren Publikationen die Lern-<br />
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 10/<strong>2008</strong><br />
Tarif- und Besoldungsrunde 2009: Start der Mitglieder-Kampagne „Auf einWort …“ – Seite 41<br />
hilfeschüler als Teil des in der Realität<br />
viergliedrigen Schulsystems<br />
einfach verleugnet – und sich<br />
„nur“ um die Hauptschüler sorgt.<br />
Zwischen Haupt- und Lernhilfeschule<br />
gibt es diagnostisch keine<br />
klare Abgrenzung, Merkmale sind<br />
eher der Zufall und/oder noch<br />
bildungsfernere Elternhäuser.<br />
Wer in der Lernhilfeschule landet,<br />
hat wirklich „verschissen“, ist Bildungsverlierer<br />
im Quadrat! Wenn<br />
man nur „unter sich ist“, bleibt jede<br />
Motivation auf der Strecke,<br />
daran können auch engagierte<br />
Lehrkräfte nicht wirklich etwas<br />
ändern. Das böse Erwachen<br />
kommt danach – auf dem Arbeitsmarkt,<br />
aber dann ist es für die<br />
meisten zu spät.<br />
Margrit Zeiser, Wetzlar<br />
Ungesunde Lernumwelt<br />
(E&W 10/<strong>2008</strong>, Seite 44: „Wenn<br />
Schule krank macht“)<br />
Mit Interesse habe ich das Interview<br />
mit Ludwig Bilz, TU Dresden,<br />
zur WHO-Studie „Gesund-<br />
LESERFORUM<br />
heit von Schülern“ gelesen. Im<br />
Fokus steht die psychische Entwicklung<br />
von Schülern. Hier<br />
greift die WHO-Studie wieder<br />
einmal zu kurz.<br />
Längst ist bekannt, dass zahllose<br />
Krankheiten von Schülern und<br />
auch Lehrern durch Schadstoffbelastungen<br />
an Schulen ausgelöst<br />
werden. Schüler können in diesen<br />
Schulen nicht lernen, Lehrer werden<br />
öfter und schneller krank<br />
(Burnout-Syndrom).<br />
Wolfgang Krug, Frankfurt a.M.<br />
„Stressfreie<br />
Urlaubstage“<br />
(E&W 10/<strong>2008</strong>, Beilage Urlaubsreisen)<br />
Allmonatlich erhalte ich die Mitgliederzeitschrift<br />
der <strong>GEW</strong>. Allmonatlich<br />
nehme ich die DDS-<br />
Beilage aus Bayern heraus, um<br />
diese zu lesen, da ich hier wertvolle<br />
Anregungen für meine tägliche<br />
Arbeit finde. Die bundesweite<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitschrift E&W wandert<br />
jedoch meist ungelesen in den Papierkorb.<br />
Unter dem Titel „Wenn<br />
Schule krank macht“, der symbolisch<br />
für viele Kommentare von<br />
mehr oder weniger bedeutsamen<br />
Schreibern zur Lage unseres<br />
Schulwesens gelten kann, werden<br />
in der Regel Problemfelder wiedergekäut,<br />
denen wir als Lehrer<br />
ohnehin täglich ausgesetzt sind<br />
und die, von anderen bestätigt zu<br />
finden, eigentlich keinen vernünftigen<br />
Kollegen interessiert. Die<br />
andere Hälfte des Blattinhaltes besteht<br />
regelmäßig, sehr gutes Beispiel<br />
in Heft 10/<strong>2008</strong>, – kaum<br />
sind die Sommerferien vorbei –<br />
aus Informationen zu Urlaubsreisen<br />
für <strong>GEW</strong>-Mitglieder. Ich schäme<br />
mich, neue Mitglieder über eine<br />
Zeitschrift zu werben, die in ihrer<br />
Gesamtheit ein Bild von Lehrkräften<br />
vermittelt, welche, psychisch<br />
und physisch ausgelaugt,<br />
offenbar nur das Ziel kennen, an<br />
sämtlichen zur Verfügung stehenden<br />
Ferientagen stressfreie Urlaube<br />
zu verbringen.<br />
Claudia Eisinger-Schmidt,<br />
München<br />
„Beruf verfehlt“<br />
(SpartenzeitungSTARTinE&W<br />
10/<strong>2008</strong>,Seite3:„FitfürdieKlasse“)<br />
Im Artikel von Anja Dilk lese ich,<br />
dass der Seminarleiter eines Drei-<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 43
LESERFORUM<br />
Tage-Crash-Kurses Bioreferendarinnen<br />
rät, in einer Zoohandlung<br />
kleine Fische zu kaufen, diese<br />
dann von den Schülern „auseinandernehmen“<br />
zu lassen, um das<br />
Interesse der Schüler an Biologie<br />
zu erhöhen. Im Unterricht sollen<br />
also Tiere getötet werden? Wenn<br />
einem Lehrer nichts Besseres einfällt,<br />
um seinen Unterricht interessant<br />
zu gestalten, hat er seinen<br />
Beruf verfehlt.<br />
Rosanna Lucchi (per E-Mail)<br />
„Phänomenal“<br />
Der Vorschlag des Kollegen Ulrich<br />
Gospodar, Fische in der Biologiestunde<br />
auseinandernehmen zu<br />
lassen, ist „phänomenal“. Dürfen<br />
die in einer Zoohandlung gekauften<br />
Fische vorher an der Luft ersticken?<br />
Christine Bolten, Bielefeld<br />
„Widerwärtig“<br />
Widerwärtig der Chrash-Kurs-Rat<br />
Ulrich Gospodars: „Kleine Fische<br />
aus der Zoohandlung kaufen und<br />
in der ersten Stunde von den Kin-<br />
44 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
dern auseinandernehmen lassen.“<br />
Folgen danach Vögel, Katzen,<br />
Hunde,...Menschen?<br />
Herr Gospodar hätte in mir als<br />
Schülerin/Referendarin/Lehrerin<br />
eine nachhaltige Revolte ausgelöst.<br />
Roswitha Haala, Warmsen<br />
„Passendere<br />
Vorschläge“<br />
Vielen Dank für den im Ganzen<br />
tollen Artikel, der kurz und prägnant<br />
wesentliche Elemente der<br />
Klassenführung auf den Punkt<br />
bringt. Aber: Gibt es für Berufsanfänger<br />
nicht auch andere, passendere<br />
Vorschläge, wie man Schüler<br />
zum Staunen bringt? Schließlich<br />
kann es ja nicht im Unterricht<br />
darum gehen, um jeden Preis ein<br />
Highlight zu setzen.<br />
Adelheid Schelkle-Danneck,<br />
VS-Villingen<br />
Zu voreilig?<br />
In dem Artikel wird Nachwuchslehrkräften<br />
von Ulrich Gospodar<br />
geraten, „in einer Zoohandlung<br />
kleine Fische zu kaufen...“ Mit<br />
Verlaub: Nach fast 40 Jahren<br />
Lehrtätigkeit (Biologie und Französisch,<br />
Höheres Lehramt, Studiendirektor,<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglied seit<br />
1973) wüsste ich gerne, wo in der<br />
Republik Wirbeltiere zu Unterrichtszwecken<br />
getötet werden dürfen<br />
– wie sinnvoll das auch immer<br />
sein mag. War da eine freie Journalistin<br />
zu voreilig? oder hat die<br />
Redaktion geschlafen?<br />
Wolfgang Heiss (per E-Mail)<br />
Literaturhinweise<br />
(E&W 11/<strong>2008</strong>, Seite 22: „Allein<br />
in die Fremde“)<br />
Der Artikel des Kollegen Tomas<br />
Unglaube erinnert erfreulicherweise<br />
an die Rettung von 1000 jüdischen<br />
Kindern durch Kindertransporte,<br />
die nicht nur nach England,<br />
sondern auch nach Schweden<br />
gingen. Es gibt Literatur zum<br />
Thema, die sich auch für junge<br />
Leserinnen und Leser eignet. Ein<br />
Hinweis auf zwei Buchtitel:<br />
Annika Thor: Eine Insel im Meer.<br />
Eine Bank am Seerosenteich. In<br />
der Tiefe des Meeres. Offenes<br />
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 11/<strong>2008</strong><br />
Tarif- und Besoldungsrunde 2009:<strong>GEW</strong>-Mitglieder-Kampagne „Auf einWort …“ – siehe Heftmitte<br />
Meer. Vier Bände. Aus dem Schwedischen<br />
von Angelika Kutsch.<br />
Anne C. Voorhoeve: Liverpoolstreet.<br />
Rezensionen dieser Bücher sind<br />
zu finden unter www.ajum.de in<br />
der Datenbank wie im Julim-Journal.<br />
Ute Wolters, AJuM Berlin<br />
E &W-Briefkasten<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M.,<br />
E-Mail: renate.koerner@gew.de<br />
Die Anschlagtafel ist im Internet<br />
unter www.gew.de/ Anschlagtafel. html<br />
zu finden.
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 45
46 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong>
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 47
Erziehung und Wissenschaft<br />
Diesmal<br />
48 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
Cartoon: Freimut Woessner