E&W Dezember 2008 - GEW
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fensichtlich in den vergangenen Jahren<br />
in Vergessenheit. Die neu strukturierten<br />
Finanzmarktprodukte erweckten die Illusion,<br />
dass Risiken auf diese Weise<br />
„homöopathisiert“** und so zum Verschwinden<br />
gebracht würden. Tatsächlich<br />
wird zwar das Risiko einer einzelnen<br />
Anlage für den Erzeuger der Finanzanlage<br />
(Originator) vermindert. Dies erwies<br />
sich jedoch wie im Fall der Subprime-Kredite***<br />
in den USA als Anreiz,<br />
größere Risiken als früher einzugehen.<br />
Gleichzeitig werden diese sogar über die<br />
Verbreitung durch Verbriefungen in<br />
Form von Wertpapieren noch weiter gestreut.<br />
Die Risiken bleiben erhalten,<br />
wenn auch jeweils in kleineren Dosierungen.<br />
Werden, wie im Fall der Subprime-Produkte,<br />
die Risiken relevant,<br />
bleiben die Schäden nicht auf die ursprünglichen<br />
Risikonehmer begrenzt,<br />
sondern weiten sich rasch über den gesamten<br />
globalen Finanzmarkt aus. Damit<br />
schwindet dann aber das Vertrauen<br />
in alle möglichen Produkte, die Kurse<br />
fallen und Kapital wird vernichtet.<br />
Folgen für die Realwirtschaft<br />
Es wird zunehmend deutlicher, dass –<br />
ausgehend vom Zusammenbruch des<br />
US-amerikanischen Subprime-Immobilienmarktes<br />
– sich die realwirtschaftlichen<br />
Folgen der Übersteigerungen auf<br />
den Finanzmärkten in immer höheren<br />
Wellen weltweit ausbreiten. Nicht nur<br />
die USA, sondern auch Europa und viele<br />
Schwellenländer stehen mittlerweile<br />
am Rande einer Rezession oder befinden<br />
sich bereits mittendrin. Banken und<br />
Finanzmarktinvestoren gehen nur noch<br />
geringere Risiken ein. Weltweit wird die<br />
Kreditvergabe restriktiver. Das gilt auch<br />
für die Banken untereinander. Der Interbankenmarkt<br />
(der Geldhandel zwischen<br />
den einzelnen Banken – Anm. d.<br />
Red.) ist zum Erliegen gekommen und<br />
damit stockt der Geldkreislauf. Dies<br />
trifft zunehmend die Finanzierung von<br />
realwirtschaftlichen Investitionen, die<br />
entsprechend gesenkt werden. Ein globaler<br />
Investitionseinbruch ist zu befürchten,<br />
wahrscheinlich bereits im Entstehen<br />
begriffen. Generell gilt, dass die<br />
Instabilität der Finanzmärkte sich auf<br />
diese Weise zunehmend negativ auf die<br />
Stabilität der Konjunktur auswirkt und<br />
Aufschwünge und damit auch die Beschäftigungsdynamik<br />
zum Erliegen<br />
bringen. Die Zeche zahlen am Ende die<br />
Arbeitnehmer.<br />
Was ist zu tun?<br />
Die Verschärfung der Finanzmarktkrise<br />
hat die nationalen Regierungen zum<br />
massiven Einschreiten gezwungen. Eu-<br />
ropas Regierungen haben Rettungspakete<br />
im Gesamtumfang von über zwei<br />
Billionen Euro geschnürt (ohne erhöhte<br />
Einlagensicherung). Fast täglich werden<br />
Banken teilverstaatlicht. Auch die Bundesregierung<br />
hat 500 Milliarden Euro<br />
zur Stabilisierung des Finanzsektors zur<br />
Verfügung gestellt. Nach der Erleichterung<br />
über die groß angelegte globale Initiative<br />
zur Stabilisierung der Kreditwirtschaft<br />
und der Finanzmärkte ist mittlerweile<br />
eine gewisse Ernüchterung festzustellen.<br />
Aktien haben weiterhin weltweit<br />
an Wert verloren, und wenig deutet bisher<br />
darauf hin, dass sich das Vertrauen<br />
zwischen den Banken wieder hergestellt<br />
hätte. Noch immer kann der komplette<br />
Zusammenbruch des Finanzsystems<br />
nicht völlig ausgeschlossen werden.<br />
Abgestimmte Rettungsaktion<br />
In den vergangenen Wochen ist es aber<br />
gelungen, eine international abgestimmte<br />
Rettungsaktion für den Bankensektor<br />
in Gang zu setzen. Was allerdings<br />
noch fehlt, sind international koordinierte<br />
kräftige konjunkturpolitische<br />
Maßnahmen gegen die weltwirtschaftliche<br />
Rezession. Diese zweite Komponente<br />
muss in einem Konjunkturprogramm<br />
bestehen, das die Wirtschaft insgesamt<br />
stimuliert und nicht nur einzelne<br />
Sektoren. Zwar dürfte der finanzielle<br />
Aufwand für den Staat bei einer aktiven<br />
Konjunktur- und Wachstumspolitik<br />
und durch die Staatsgarantien zunächst<br />
höher sein als ohne diese, aber im Laufe<br />
der Zeit müsste sich der höhere Anfangsaufwand<br />
mehr als ausgleichen.<br />
Denn die Banken erholen sich rascher<br />
aufgrund der schneller wieder Fuß fassenden<br />
Konjunktur. Damit werden sie<br />
ihre Vorsicht bei der Kreditvergabe<br />
schneller überwinden und den Unternehmenssektor<br />
hierdurch stimulieren.<br />
Es entsteht in der Folge eine positive<br />
Wechselwirkung zwischen Konjunktur<br />
und Konsolidierung des Finanzsystems.<br />
Dies führt auch zu höheren Steuereinnahmen<br />
des Staates. Gleichzeitig erlaubt<br />
die raschere Konsolidierung des<br />
Bankensektors einen schnelleren Verkauf<br />
der staatlichen Anteile am Bankensystem<br />
sowie der übernommenen Finanztitel<br />
zu einem höheren Preis. Damit<br />
kann die Schuldenlast wieder reduziert<br />
werden.<br />
Wachstumspaket schnüren<br />
Ein Vorschlag ist:<br />
1. Die Finanzpolitik muss die automatischen<br />
Stabilisatoren voll wirken lassen,<br />
d. h. sie muss konjunkturbedingte Defizite<br />
hinnehmen und darf ihnen nicht<br />
hinterher sparen. Anders ausgedrückt:<br />
Mit dem Abschwung sinken die Einnahmen<br />
des Staates, während seine Ausgaben<br />
z. B. für Arbeitslosengeld steigen.<br />
Werden also weniger Steuern gezahlt<br />
und wird dafür mehr Arbeitslosengeld<br />
ausgezahlt, „stabilisiert sich zwar automatisch“<br />
die Wirtschaft, aber zugleich<br />
vergrößert sich das Haushaltsdefizit des<br />
Staates. Nur so lässt sich der Abwärtstrend<br />
durchbrechen. Diese Entwicklung<br />
darf man allerdings nicht durch<br />
Sparprogramme konterkarieren.<br />
2. Über diese automatischen Stabilisatoren<br />
hinaus bedarf es eines zusätzlichen<br />
kräftigen fiskalischen Impulses durch<br />
ein Wachstumspaket. Um eine spürbare<br />
Wirkung zu entfalten, sollte der gesamtstaatliche<br />
Impuls angesichts der Schärfe<br />
des zu erwartenden Abschwungs im<br />
nächsten Jahr nicht schwächer als 25<br />
Milliarden Euro (ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
[BIP]) sein. Auch<br />
dieser Impuls darf nicht durch Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen<br />
an<br />
anderer Stelle konterkariert werden.<br />
3. Das Wachstumspaket sollte Maßnahmen<br />
aus vier Teilbereichen kombinieren,<br />
die sich sowohl zeitlich als auch<br />
hinsichtlich ihrer Wirkung optimal ergänzen.<br />
Bei den Teilbereichen handelt<br />
es sich um<br />
● die konjunktur- und wachstumspolitisch<br />
besonders effektive dauerhafte<br />
Aufstockung der öffentlichen Investitionen<br />
in Bildung und ökologische Infrastruktur,<br />
● die Stützung des privaten Konsums<br />
durch zeitlich befristete breite Entlastungen<br />
für die privaten Haushalte,<br />
● selektive zeitlich befristete Kredithilfen<br />
sowie Investitions- und Beschäftigungsanreize<br />
im Bereich der ökologischen<br />
Modernisierung und zur Förderung<br />
von Handwerksdienstleistungen,<br />
● enge Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften,<br />
insbesondere finanzielle<br />
Unterstützung der Gemeinden,<br />
damit diese als zentrale öffentliche<br />
Investoren ihre Investitionen bei konjunkturbedingten<br />
Einnahmeausfällen<br />
nicht kürzen müssen.<br />
Im Rahmen eines solchen Programms<br />
kann sich die Konjunktur im Lauf des<br />
kommenden Jahres wieder erholen. Voraussetzung<br />
hierfür ist aber auch, dass in<br />
allen Ländern des Euroraums ähnliche<br />
Maßnahmen ergriffen werden und die<br />
Geldpolitik diesen Kurs auch unterstützt.<br />
Nur koordiniert kann sich Europa<br />
aus dieser Krise befreien. Auch dies<br />
ist eine Lehre aus <strong>2008</strong>, das ein besonderes<br />
Jahr ist.<br />
Gustav A. Horn, Finanzexperte,<br />
Hans-Böckler-Stiftung<br />
WIRTSCHAFTSPOLITIK<br />
12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 27