E&W Dezember 2008 - GEW
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PISA-E<br />
Schulleiterin<br />
Petra Perplies-<br />
Voet: „PISA war<br />
ein heftiger<br />
Schock, aber<br />
dadurch entstand<br />
ganz viel Aufbruchstimmung.“<br />
intensiver mit Grundschulen zusammen.<br />
Das Ziel: ein möglichst „bruchloser<br />
Übergang“ für die Kinder.<br />
Schritt in richtige Richtung<br />
Dass Bremer Haupt- und Realschüler<br />
jetzt bis Ende der 8. Klasse gemeinsam<br />
lernen (sie heißen seitdem „Sekundarschüler“),<br />
ist für Perplies-Voet ein Schritt<br />
in die richtige Richtung – aber ein halbherziger.<br />
Denn die besonders leistungsstarken<br />
Kinder landen weiterhin auf<br />
dem Gymnasialzweig und fehlen im<br />
Sekundarschulbereich.<br />
Zum Glück hat das Olbers-Schulzentrum<br />
schon lange vor PISA eine enge interne<br />
Kooperation angeschoben: Zwei<br />
bis drei Klassen aus den verschiedenen<br />
Schulzweigen bilden jeweils kleine Gemeinschaften<br />
(„Häuser“) und bekommen<br />
möglichst benachbarte Räume.<br />
Zum Teil kooperieren sie zudem mit<br />
Sonderschulklassen eines „Förderzentrums“,<br />
das hier eine Art Außenstelle<br />
unterhält. Die Lehrkräfte eines „Hauses“<br />
arbeiten im Team. In Fächern wie<br />
Kunst, Sport oder Arbeitslehre lernen<br />
die Sekundarschüler und Gymnasiasten<br />
gemeinsam.<br />
Weiterhin separiert wird dagegen in den<br />
Leistungsfächern. Hier ist der Druck<br />
zum getrennten Unterrichten noch gestiegen,<br />
seitdem auch Bremen das Abitur<br />
nach zwölf Jahren eingeführt hat.<br />
Perplies-Voet hält die „heftige Verdichtung“<br />
des Stoffes für ein großes Problem<br />
12 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />
– ausgerechnet in dem Alter, „in dem die<br />
Kinder im Wesentlichen aus Östrogen<br />
und Testosteron bestehen“. Seitdem<br />
stünden nicht nur die Gymnasiasten,<br />
sondern auch ihre Lehrkräfte „richtig<br />
unter Dampf“. Aber vielleicht sei das<br />
nur ein Übergangsproblem.<br />
Mit Übergängen haben auch manche<br />
Schüler ein Problem: Sie sind versetzungsgefährdet.<br />
Seit PISA wird ihnen in<br />
Bremen mit „Ostercamps“ geholfen: In<br />
den Ferien erhalten sie an ausgewählten<br />
Schulen Nachhilfe – so auch an der Olbers-Schule.<br />
„Ich finde das genial“, sagt<br />
die Direktorin.<br />
„Wir reparieren spät...“<br />
Überhaupt wird dank PISA besonders<br />
viel für leistungsschwache Schülerinnen<br />
und Schüler getan. So bietet die Olbers-<br />
Schule gleich in der 5. Klasse Lese-Intensivkurse<br />
an. Drei Lehrerinnen aus<br />
Russland, der Türkei und dem Iran unterrichten<br />
Deutsch für Migranten und<br />
zudem deren Muttersprache. „Das alte<br />
deutsche Problem“, sagt die Schulleiterin:<br />
„Wir reparieren spät, statt früh<br />
Prävention zu betreiben.“<br />
Zu reparieren gibt es aber noch genug.<br />
Mancher Abgänger hat das Wissen eines<br />
Viertklässlers. Deshalb bemüht sich die<br />
Schule um eine intensive Begleitung in<br />
die Berufswelt, etwa mit Praktika oder<br />
Beratungsangeboten.<br />
Neben dem Fördern kommt auch das<br />
Fordern nicht zu kurz. Perplies-Voet ou-<br />
tet sich als Anhängerin der nach PISA<br />
eingeführten zentralen Vergleichstests<br />
und Abschlussprüfungen: „Es muss verbindliche<br />
Standards geben. Wir müssen<br />
raus aus den Beliebigkeiten.“<br />
Dass in Bremen die Macht der Schulleitungen<br />
gestärkt wurde, hält die Direktorin<br />
für sinnvoll. Aber sie weiß auch:<br />
„Schulentwicklung ist nur gemeinsam<br />
mit dem Kollegium möglich.“<br />
Skeptisch äußert sich Perplies-Voet über<br />
das Vorhaben der neuen rot-grünen Koalition<br />
und der Lemke-Nachfolgerin Renate<br />
Jürgens-Pieper (SPD), das gerade erst<br />
reformierte Schulsystem schon wieder<br />
umzubauen. Neben den Gymnasien<br />
soll es dann anstelle von Gesamtschulen<br />
und Schulzentren nur noch „Oberschulen“<br />
geben. „Ich fürchte, damit wird die<br />
Zweigliedrigkeit festgeschrieben“, sagt<br />
Perplies-Voet. Sie wünscht sich langfristig<br />
„eine Schule für alle Kinder bis zur 9.<br />
Klasse“, weiß aber auch, dass die sich<br />
nicht so schnell realisieren lässt.<br />
Bereits jetzt klagen viele über zu häufige<br />
Umbrüche. Perplies-Voet: „Das ist für<br />
die Eltern und das Kollegium sehr verunsichernd.“<br />
Die Lehrkräfte hätten oft<br />
das Gefühl, bei Änderungen der Schulstruktur<br />
„mit ihren Erfahrungen nicht<br />
mit einbezogen zu werden“.<br />
Schon die bisherigen PISA-Maßnahmen<br />
haben allen Beteiligten viele zusätzliche<br />
Belastungen gebracht. Elke<br />
Baumann, eine der drei <strong>GEW</strong>-Landesvorstandssprecher/innen,<br />
die ebenfalls<br />
an der Olbers-Schule arbeitet, hat den<br />
Eindruck, dass der Leistungsdruck nicht<br />
nur für die Schülerinnen und Schüler,<br />
sondern auch für die Lehrkräfte wesentlich<br />
größer geworden ist – wegen der<br />
neuen Förderangebote und Vergleichsarbeiten,<br />
aber auch durch die zusätzlich<br />
vorgeschriebenen Präsenzzeiten an<br />
Nachmittagen und in den Ferien, die erweiterten<br />
Fortbildungspflichten, Evaluationen,<br />
Jahresplanungen. Auch<br />
durch mehr Bürokratie: So muss beispielsweise<br />
die Klassenkonferenz nach<br />
jeder „Vier minus“ eine Förderempfehlung<br />
formulieren. „Das alles wird einfach<br />
oben draufgepackt“, zusätzlich<br />
zum bereits früher erhöhten Stundensoll,<br />
kritisiert Baumann.<br />
Aber immerhin zeigen sich erste Erfolge.<br />
Perplies-Voet erzählt, dass die Olbers-Schule<br />
seit zwei Jahren stärkeren<br />
Zulauf von Gymnasiasten erlebt. Früher<br />
schickten bildungsnahe Eltern ihre Kinder<br />
lieber auf entferntere Gymnasien<br />
statt ins lokale Schulzentrum. „Inzwischen<br />
haben wir sie wohl überzeugt,<br />
dass es hier eine Schule gibt, in der die<br />
Kinder gut aufgehoben sind.“<br />
Eckhard Stengel, freier Journalist