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E&W Dezember 2008 - GEW

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menarbeit mit dem Pädagogisch-Psychologischen<br />

Dienst an, wie auch Projekte<br />

in der Mädchen- und Jungenarbeit.<br />

Darüber hinaus sollen die Schülerinnen<br />

und Schüler in einem Haushaltspass<br />

den Nachweis unterschiedlicher<br />

Tätigkeiten erbringen, vom Nagel in die<br />

Wand schlagen bis zum Toilette putzen.<br />

Regelmäßig finden Mädchen- und Jungenkonferenzen<br />

statt, in denen die Jugendlichen<br />

geschlechtersensible Themen<br />

besprechen.<br />

„Unser Lehrpersonal wird entsprechend<br />

geschult“, erklärt Lehrerin Gundula Jasper,<br />

Koordinatorin für Mädchen- und<br />

Jungenarbeit. Dass dazu alle Lehrkräfte<br />

verpflichtend an einer Fortbildung zu<br />

Gender-Themen teilnehmen müssen,<br />

sei wichtig. „Damit wir erfolgreich geschlechterbewusst<br />

arbeiten können,<br />

müssen alle einbezogen werden.“<br />

Kühne These<br />

Eine über das Schulsystem hinausreichende<br />

– etwas kühne – These vertritt<br />

Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum<br />

Berlin für Sozialforschung (WZB).<br />

„Eine geschlechtergerechte Gesellschaft,<br />

die weniger mit Stereotypen arbeitet,<br />

kommt auch im Bildungssystem<br />

zu anderen Ergebnissen.“ Helbig nennt<br />

als Beleg die PISA-Studie. In Deutschland<br />

erzielen Jungen in Mathe etwas<br />

bessere Ergebnisse als Mädchen (s. Seiten<br />

13 f.). Beim Lesen erreichen hierzulande<br />

Schülerinnen deutlich bessere<br />

Werte als Schüler (vgl. die Befunde der<br />

PISA-E-Studie 2006). Für den jungen<br />

Wissenschaftler ein Indiz von ausgeprägter<br />

Geschlechterungerechtigkeit.<br />

Auch innerhalb Deutschlands seien die<br />

Unterschiede groß. „In Ostdeutschland<br />

liegt die ohnehin gute Abiturquote von<br />

Frauen um 5,5 Prozent höher als im<br />

Westen“**, so Helbig. 1995 habe die<br />

Differenz allerdings noch zehn Prozent<br />

betragen. Bei Männern sei die Quote<br />

vergleichbar. Island sei hingegen ein<br />

gutes Beispiel für ein geschlechtergerechtes<br />

Land. „Mädchen und Jungen<br />

schneiden dort im Matheunterricht<br />

gleich gut ab, auch ohne Geschlechtertrennung.“<br />

Ein gendergerechter Unterricht, darin<br />

sind sich die Wissenschaftler einig, könne<br />

nicht einfach durch Geschlechtertrennung<br />

erreicht werden. Er müsse methodisch-didaktisch<br />

die individuellen<br />

Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen<br />

berücksichtigen. Empirisch habe<br />

sich gezeigt, dass ein „guter“ naturwissenschaftlicher<br />

Unterricht den Ausschlag<br />

gebe, ob sich Jugendliche und<br />

speziell Mädchen dafür interessieren.<br />

Britta Jagusch, freie Journalistin<br />

*Marcel Helbig ist wissenschaftlicherMitarbeiter<br />

im Team der<br />

WZB-Direktorin Prof.<br />

Jutta Allmendinger und<br />

promoviert über „Geschlechterspezifische<br />

Unterschiede in der Bildung“.<br />

**2007 haben im Westen<br />

28,5 Prozent der<br />

Mädchen Abitur gemacht,<br />

im Osten 32<br />

Prozent. Angaben: Statistisches<br />

Bundesamt.<br />

Eine Schule für<br />

Mädchen und Jungen<br />

Praxishilfe mit Unterrichtskonzepten<br />

für eine<br />

geschlechtergerechte<br />

Bildung.<br />

Studie im Auftrag der<br />

Max-Traeger-Stiftung erstellt<br />

von Prof.Dr. Friederike<br />

Heinzel, Rabea<br />

Henze und Sabine<br />

Klomfaß an der Universität<br />

Kassel.<br />

Die Broschüre erhalten<br />

Sie im <strong>GEW</strong>-Shop<br />

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Einzelbestellungen an:<br />

sekretariat.frauen<br />

politik@gew.de<br />

Wir brauchen genderkompetente<br />

Lehrkräfte<br />

Kommentar zum geschlechtergetrennten Unterricht<br />

Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses<br />

Ulla Burchardt<br />

(SPD) spricht nach der Äußerung von<br />

Bildungsministerin Annette Schavan<br />

(CDU) (s. Seite 32), Jungen und<br />

Mädchen teilweise<br />

wieder getrennt zu<br />

unterrichten, von einem<br />

„Rückfall in finstere<br />

Zeiten“ und erinnert<br />

sich an ihre eigene<br />

Schulzeit auf einer<br />

Mädchenschule.<br />

Andere Politiker und<br />

Bildungsexperten befürworten<br />

den getrennten<br />

Ansatz wiederum,<br />

um den<br />

Schulerfolg von Jungen<br />

gezielter fördern<br />

zu können.<br />

Zunächst einmal: Auf<br />

dem Bildungsgipfel<br />

spielte das Thema kei-<br />

Anne Jenter<br />

ne Rolle. Angesichts von Fachkräftemangel<br />

und hoher Schulabbruchquote<br />

wäre es aber wichtig gewesen, über<br />

innovative Wege in der Pädagogik zu<br />

diskutieren. Ein geschlechtersensibler<br />

Unterricht fördert den einzelnen Jungen<br />

und das einzelne Mädchen in ihrer<br />

Individualität – also gerade nicht<br />

als Jungen oder Mädchen – und eröffnet<br />

ihnen vielfältige Möglichkeiten<br />

der Identifikation.<br />

Dabei geht es weder um nach Geschlechtern<br />

getrennte Schulen, wie<br />

wir sie von früher kennen und in denen<br />

Mädchen geringer qualifiziert<br />

wurden. Noch geht es darum, pauschal<br />

eine Problemgruppe auszumachen<br />

und diese besonders zu fördern.<br />

Denn es gibt keine einheitliche Gruppe<br />

von männlichen Schulverlierern.<br />

Die Lernerfolge variieren je nach sozialem<br />

Hintergrund und Bildung der<br />

Eltern. Im Schnitt sind Jungen zwar<br />

schlechter in der Schule als Mädchen,<br />

haben aber im späteren Berufsleben<br />

die Nase vorn – vor allem sie lernen<br />

zukunftsträchtige technische Berufe.<br />

Gerade in der Pubertät findet die Zementierung<br />

der Geschlechterrollen<br />

statt, die sich auf die spätere Schulund<br />

Berufslaufbahn auswirkt. Ein<br />

zeitweise getrennter Unterricht – vor<br />

GENDER<br />

allem an weiterführenden Schulen –<br />

bietet die Möglichkeit, in verschiedenen<br />

Fächern an die diversen Interessen<br />

und Lebenswelten der Jungen und<br />

Mädchen anzuknüpfen. Er bietet zudem<br />

die Chance,<br />

über Rollenstereotype<br />

und Selbstwahrnehmung<br />

zu reflektieren,<br />

mit dem Ziel,<br />

die einengende Geschlechterrolleabzulegen<br />

und die individuelle<br />

Person in den<br />

Mittelpunkt zu<br />

rücken. Auch bei der<br />

Berufswahl ist es<br />

sinnvoll, teilweise in<br />

geschlechtergleichen<br />

Gruppen zu diskutieren,<br />

um das Rollenverständnis<br />

in Frage<br />

zu stellen.<br />

Ein geschlechtergerechter<br />

Unterricht setzt jedoch eine<br />

entsprechende Aus- und Fortbildung<br />

der Lehrerinnen und Lehrer voraus.<br />

Nur wenn sie ihre eigenen Rollenerwartungen<br />

an Frauen und Männer reflektieren,<br />

sind sie in der Lage, Genderkompetenz<br />

im Unterricht einzubringen.<br />

Das Selbstbild der Jungen und ihre<br />

Schulprobleme durch mehr Männer<br />

in Erziehungsberufen und insbesondere<br />

an Grundschulen ändern zu wollen,<br />

greift zu kurz. Zum einen werden<br />

größere Leistungsunterschiede zwischen<br />

den Geschlechtern erst in der<br />

Pubertät – also an weiterführenden<br />

Schulen – festgestellt. Zum anderen<br />

sind nur männliche Vorbilder von<br />

Vorteil, die Geschlechtergerechtigkeit<br />

leben. Die gesellschaftliche Norm<br />

von Männlichkeit, die auch vielen<br />

Jungen nicht gut tut, muss reflektiert<br />

werden. Oder anders ausgedrückt:<br />

Wenn Männer in der Schule für Sport,<br />

Physik, Werkbank oder Schulleitung<br />

zuständig sind, während sich die Frauen<br />

ums Singen und Basteln sowie das<br />

„Soziale“ im Kollegium kümmern, ist<br />

das mit Sicherheit der falsche Weg.<br />

Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />

Anne Jenter, Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />

12/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 33

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