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E&W Dezember 2008 - GEW

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BILDUNGSPOLITIK<br />

„Vor allem Migrantenkinder<br />

sind die Verlierer<br />

unseres Bildungswesens.<br />

Sie verlassen<br />

die Schule<br />

doppelt so häufig<br />

wie ihre deutschen<br />

Mitschüler<br />

ohne Abschluss.“<br />

Migrantenkinder<br />

massiv fördern<br />

Nach dem Bildungsgipfel – wie weiter?<br />

Die PISA-Daten für die Bundesländer<br />

stellen dem deutschen Schulsystem erneut<br />

ein miserables Zeugnis aus. Sie zeigen,<br />

dass es bei der Frage der sozialen Auslese<br />

in unserem Bildungswesen kaum eine<br />

Besserung gibt (siehe S. 13 f.).<br />

Dieser Befund liegt im Trend<br />

zahlreicher nationaler und<br />

internationaler Studien<br />

über unser Schulsystem:<br />

Hauptschüler haben zunehmend<br />

schlechte Chancen,<br />

den Sprung in Ausbildung und Beruf<br />

zu meistern. Unser gegliedertes<br />

Schulsystem gleicht einer Rutschbahn,<br />

auf der soziale Auslese „nach unten“<br />

bestens funktioniert. Vor allem Migrantenkinder<br />

sind die Verlierer unseres Bildungswesens.<br />

Sie verlassen die Schule<br />

doppelt so häufig wie ihre deutschen<br />

Mitschüler ohne Abschluss. Von „stabilen<br />

Problemlagen“ spricht eine von der<br />

Kultusministerkonferenz (KMK) unter<br />

Verschluss gehaltene Studie renommierter<br />

Bildungsforscher um Jürgen Baumert<br />

(s. E&W 9/<strong>2008</strong>). Angesichts der engen<br />

Kopplung von sozialer Herkunft und<br />

Bildungserfolg, der hohen Abbrecherquote<br />

im Schulwesen und der großen<br />

Zahl so genannter Risikoschüler sei ein<br />

28 Erziehung und Wissenschaft 12/<strong>2008</strong><br />

Foto: imago<br />

grundlegender<br />

Strategiewandel in<br />

der Bildungspolitik<br />

notwendig. Dabei<br />

liegt auf der<br />

Hand, was viele<br />

Wissenschaftler<br />

von der Politik verlangen:Insbesondere<br />

die Verlierer<br />

des Schulsystems<br />

Ulrich Thöne müssen „massiv<br />

und systematisch“<br />

gefördert werden!<br />

Gerade das hatte vielleicht Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel (CDU) im Blick, als<br />

sie im Sommer diesen Jahres die „Bildungsrepublik<br />

Deutschland“ ausrief –<br />

und die Ministerpräsidenten der Bundesländer<br />

zum Gipfel nach Dresden einlud.<br />

Angesichts der gravierenden Probleme<br />

des Bildungswesens und des<br />

Kompetenzgerangels zwischen Bund<br />

und Ländern geriet der groß angekündigte<br />

Gipfel leider zu einer Pleite. Bund<br />

und Länder verabschiedeten am Ende<br />

ein kleinteiliges 52-Punkte-Papier, das<br />

im Grunde eine Bestandsaufnahme bereits<br />

beschlossener Maßnahmen sowie<br />

ein Sammelsurium vager Zielformulierungen<br />

und politischer Absichtserklärungen<br />

ist. Inhaltliche Substanz hat<br />

der Beschluss nur dort, wo es um Maßnahmen<br />

geht, die längst „abgemachte<br />

Sache“ sind. Den Rechtsanspruch auf<br />

einen Krippenplatz etwa hat man in<br />

dem Gipfelpapier erneut festgeschrieben,<br />

er ist aber nicht dessen Ergebnis,<br />

sondern wurde von Bundesrat und Bundestag<br />

längst auf den Weg gebracht.<br />

Eher ist zu fragen, welche Projekte man<br />

ohne den Gipfel nicht in Angriff genommen<br />

hätte?<br />

Foto: christian v. Polentz / transit Berlin<br />

Politische Ignoranz<br />

Trotz aller Skepsis hatte die <strong>GEW</strong> begrüßt,<br />

dass es überhaupt zum Treffen in<br />

Dresden kam. Endlich kehrte die Bildungspolitik<br />

wieder auf die nationale<br />

Bühne zurück, bestand die Chance,<br />

dass Bund und Länder wieder mehr gemeinsame<br />

Verantwortung für das deutsche<br />

Bildungswesen übernehmen. Die<br />

<strong>GEW</strong> hat sich immer dafür eingesetzt,<br />

einen „Wettbewerbsföderalismus“ zu<br />

überwinden – zugunsten einer nationalen<br />

Bildungsstrategie, die auf einer vernünftigen<br />

Kooperation aller staatlichen<br />

Ebenen beruht. Doch letztlich konnte<br />

selbst die Bundeskanzlerin die Unions-<br />

Ministerpräsidenten nicht zu einer konstruktiven<br />

Zusammenarbeit bewegen.<br />

Das ganze Dilemma des deutschen<br />

Bildungsföderalismus zeigt sich in einer<br />

Äußerung des Ministerpräsidenten<br />

Sachsen-Anhalts, WolfgangBöhmer (CDU):<br />

„Ich erwarte, dass der Bildungsgipfel<br />

nach drei Stunden vorbei ist. Ich habe<br />

ihn nicht erfunden.“ Deutlicher lässt<br />

sich die Ignoranz gegenüber den dramatischen<br />

Problemen an unseren Kindergärten,<br />

Schulen und Hochschulen nicht<br />

formulieren.<br />

Welche Konsequenzen müssen die Gewerkschaften<br />

aus dem Scheitern des Bildungsgipfels<br />

ziehen? Immerhin haben<br />

Bund und Länder ein paar hehre Absichten<br />

beschlossen: Die Zahl der<br />

Schul- und der Ausbildungsabbrecher<br />

soll bis 2015 halbiert, die Beteiligung an<br />

der Weiterbildung erhöht sowie die<br />

Quote der Studienanfänger auf 40 Prozent<br />

eines jeden Jahrgangs angehoben<br />

werden. Auch hier ist Skepsis angebracht.<br />

Beispiel Schulabbrecher: Schon<br />

im Rahmen der europaweiten „Lissabon-Strategie“<br />

hat sich die Bundesrepublik<br />

verpflichtet, die Zahl der Jugendlichen<br />

ohne Schulabschluss bis 2010 zu<br />

halbieren. Beim Integrationsgipfel im<br />

Bundeskanzleramt verständigte man<br />

sich im Herbst darauf, die Zahl der jungen<br />

Migranten ohne Schulabschluss bis<br />

zum Jahr 2012 um die Hälfte zu senken.<br />

In Dresden ist dieses Ziel auf das Jahr<br />

2015 verschoben worden. So sinken von<br />

Gipfel zu Gipfel die eigenen Ansprüche.<br />

Bildungsgipfel-Monitor<br />

Die Gewerkschaften müssen diese Strategie<br />

öffentlich durchkreuzen. Denn die<br />

Menschen brauchen Lösungen! Wir<br />

sollten Bund und Länder an ihren eigenen<br />

Zielen messen. Mein Vorschlag: Jedes<br />

Jahr im Herbst veröffentlichen<br />

DGB und Gewerkschaften gemeinsam<br />

einen „Bildungsgipfel-Monitor“. Dort<br />

soll für alle Menschen sichtbar dokumentiert<br />

werden, welche Fort- und<br />

Rückschritte Bund und Länder bei der<br />

Umsetzung ihrer ureigenen Versprechen<br />

machen. Bestandteil dieses Monitors<br />

sollte eine Prioritätenliste der gravierendsten<br />

Mängel sein, die es dringend<br />

zu beseitigen gibt. Wir sollten den<br />

Druck auf Kanzlerin und Ministerpräsidenten<br />

so konkret wie möglich machen<br />

und ihn damit erhöhen!<br />

Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender

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