Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

gen“ in der PPS offen zutage, die eine Kaderpartei geworden war und die wichtigsten
Städte und Industriebetriebe Kongreßpolens mit einem organisatorischen Netz überzogen
hatte. Da die „Jungen“ immer stärkeren Einfluß gewannen, gelang es Piłsudski
und seinen Parteifreunden nach seiner Rückkehr aus St. Petersburg nicht mehr, sich
ihnen gegenüber durchzusetzen. Piłsudski engagierte sich daraufhin vor allem für den
weiteren organisatorischen Aufbau der Partei und war publizistisch tätig, um seinen
Einfluß in der PPS wieder zu stärken. Der russisch-japanische Krieg, der im Februar
1904 ausbrach, ließ Hoffnungen auf die Realisierung der Vorstellungen Piłsudskis
keimen, durch einen Aufstand die Unabhängigkeit Polens zu erreichen. Nach Kontakten
zu den japanischen Gesandten in Wien, Paris und London reiste Piłsudski mit Tytus
Filipowicz ohne Mandat der PPS-Gremien nach Tokio, um dort für die finanzielle
Unterstützung einer zu schaffenden Legion zu werben, in der die PPS eine maßgebliche
Rolle spielen und die der japanischen Armee angeschlossen werden sollte. Dort
traf Piłsudski den Repräsentanten der polnischen Nationaldemokratie, Roman
Dmowski, der seinerseits die japanische Regierung davon überzeugen wollte, daß ein
polnischer Aufstand nur brutal unterdrückt werden und einen sozialen Zusammenbruch
im Lande mit sich bringen würde. Trotz regelmäßiger finanzieller japanischer
Zuwendungen bis Kriegsende endete die Japanmission Piłsudskis letztlich mit einem
Fiasko, weil der japanische Generalstab, der nur an geheimdienstlichen Aktionen und
Sabotageakten interessiert war, die Vorschläge Piłsudskis schließlich ablehnte. 17
Da sich die PPS im Laufe des Jahres 1904 immer häufiger gegenüber den spontanen
und sich radikalisierenden Demonstrationen der Arbeiter unvorbereitet zeigte und
der politischen Entwicklung nicht folgen konnte, wandte sich Piłsudski den Kampfverbänden
zu, die zur Verteidigung der demonstrierenden Arbeiter im Jahre 1904 gegründet
worden waren. Nach Massendemonstrationen gegen die Mobilisierung von
Reservisten im Herbst 1904 und dem Ausbruch der Revolution im Jahre 1905 widmeten
sich Piłsudski und seine Anhänger seit dem Frühjahr 1906 dem Aufbau dieser
Kampforganisationen. Sie sollten einerseits die Position der „Alten“ in der PPS stärken
und andererseits Offizierskader für den zukünftigen Aufstand ausbilden, während
die „Jungen“ ihre Selbständigkeit einschränken wollten. Wegen dieser gegensätzlichen
Auffassungen spaltete sich die PPS auf dem IX. Parteikongreß im November
1906. Anschließend wurden die PPS-Lewica (PPS-Linke) der „Jungen“ und die PPS-
Frakcja Rewolucyjna (PPS-Revolutionäre Fraktion) der „Alten“ unter der faktischen
Führung Piłsudskis gegründet. Er engagierte sich nun nicht in ihr, sondern interessierte
sich weiterhin vor allem für den Aufbau von Kampfverbänden.
Da Piłsudski in dieser Phase einen nationalen Aufstand nur für möglich hielt,
wenn Rußland durch eine Revolution oder einen Krieg im Inneren geschwächt würde,
wollte er den zunehmenden russisch-österreichischen Gegensatz ausnutzen. Er bot
daher dem österreichisch-ungarischen Geheimdienst vergeblich seine Zusammenar-
17 Ausführlich dazu: ŚWIĘTEK, Ściana, S. 98-350.
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