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Trauerkiste und Co - Dr. Dietmar Weixler

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6. Interdisziplinärer Palliativlehrgang an der Kardinal König Akademie/ Wien 2002/03<br />

Projektarbeit<br />

Basismodul 1<br />

<strong>Trauerkiste</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong><br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod von<br />

wichtigen Bezugspersonen<br />

von<br />

Christa Plazet, DKKS St. Anna Kinderspital, Wien<br />

Andrea Prinz, DKKS, Univ. Kinderklinik, Wien<br />

Bettina Soucek-Hadwiger, <strong>Dr</strong>. med., 3. Med. KFJ, Wien<br />

Margot Weidinger-Strasser, DSA, Wr. Rotes Kreuz - VISITAS, Wien<br />

<strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong>, <strong>Dr</strong>. med., WVK Horn, Niederösterreich<br />

10. Mai 2003


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung<br />

1.1 Problemstellung<br />

1.2 Abstract<br />

1.3 Das Team – individuelle Projektmotivation<br />

1.3.1 Bettina Soucek<br />

1.3.2 Andrea Prinz<br />

1.3.3 <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

1.3.4 Margot Weidinger-Strasser<br />

1.3.5 Christa Plazet<br />

1.4 Ziel unserer Arbeit<br />

1.5 Methoden<br />

2 Expertenr<strong>und</strong>e<br />

2.1 Entwicklung eines Gesprächsleitfadens<br />

2.2 Organisation des Abends<br />

2.3 Praktische Durchführung<br />

2.4 Zusammenfassung<br />

3 Persönliche Beiträge<br />

3.1 Wie erkläre ich einem Kind die Begriffe Sterben <strong>und</strong> Tod?<br />

3.2 Kann Kindern die Wahrheit zugemutet werden?<br />

3.3 Wie soll ein Kind in den Krankheitsverlauf <strong>und</strong> Sterbeprozess eines Angehörigen<br />

einbezogen werden.<br />

3.4 Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn ein Geschwisterkind stirbt?<br />

3.5 Sollen Kinder bei Begräbnissen dabei sein?<br />

3.6 Wie kann ich wahrnehmen, wenn ein Kind trauert? Wie trauern Kinder?<br />

3.7 Welche Bedürfnisse haben trauernde Kinder? (Angebote, Rituale)<br />

3.8 Gibt es kindliche Verhaltensauffälligkeiten, die auf unbewältigte Trauer zurückzuführen<br />

sind? Gibt es bei Kindern psychische Störungen, die besonders beachtet werden müssen?<br />

3.9 Gibt es Möglichkeiten im Alltag mit diesem Thema präventiv umzugehen?<br />

4 Zusammenfassung<br />

4.1 Gruppenprozess<br />

4.2 Kernaussagen<br />

4.3 Persönliche Schlussbemerkung<br />

5 Anhang<br />

5.1 Literaturliste<br />

5.2 Betreuungsliste<br />

5.3 Geschichte<br />

5.4 Aschenputtel<br />

5.5 Einladung – Liste<br />

5.6 Bilder<br />

5.7 Folder (Prototyp)


1. Einleitung<br />

Liebe Eltern, . .<br />

Tod in der Familie<br />

. . glaubt nicht, dass ich die Wahrheit über den bevorstehenden Tod nicht ertragen kann. Ich<br />

werde auch mit der Tatsache des Verlustes leben müssen.<br />

. . ich verstehe, dass Ihr Euch schonen wollt, meine Verzweiflung nicht mitansehen zu<br />

müssen, aber ich brauche die Zeit der Vorbereitung<br />

. . Ihr wisst, wie wichtig es ist, Abschied zu nehmen, das gilt auch für mich, euer Kind.<br />

. . auch wenn Ihr nichts sagt, spüre ich das Geheimnis – die Last, die auf unserer Familie liegt.<br />

- Wenn ich meinem Gefühl nicht glauben darf, weil Ihr es anders bestimmt, werde ich ihm<br />

später nicht mehr glauben können. Es ist ein Zwiespalt, der mich zerreißt.<br />

. . ich will mit Euch sprechen können über meine Ängste <strong>und</strong> Sorgen, wie es „danach“ sein<br />

wird. Ich habe viele Fragen.<br />

. . wenn ich mich über Euch geärgert habe, wünschte ich mir manchmal, es gäbe Euch nicht,<br />

ich hätte andere Eltern, andere Geschwister, eine andere Familie. Lasst mich mit meinen<br />

Gefühlen der Schuld nicht alleine. Sie erdrücken mich sonst.<br />

. . ich möchte Eure Trauer spüren <strong>und</strong> daran glauben können, dass Ihr sie auch tragen könnt.<br />

So kann auch ich meine Tränen zeigen.<br />

. . wenn Ihr es in Eurem eigenen Leid nicht schafft, für mich da zu sein in meinem Leid, helft<br />

mir bitte, jemanden zu finden, mit dem ich sprechen kann über das, was mich bewegt.<br />

. . meine Mutter wird immer meine Mutter bleiben, mein Vater – mein Vater, meine<br />

Schwester wird immer meine Schwester bleiben, mein Bruder – mein Bruder. Auch die<br />

Großeltern werden es bleiben – über den Abschied des Todes hinaus. Ich möchte über sie<br />

sprechen dürfen, das erhält sie in meinem Herzen lebendig <strong>und</strong> tröstet mich.<br />

. . ich brauche Eure Offenheit, Euer Verständnis <strong>und</strong> Eure Liebe. Dann wird es auch mit uns<br />

„Zurückgebliebenen“ gut weitergehen können.<br />

Aus der Zeitschrift: Hospiz – Bewegung Salzburg, 3/99


1.1. Problemstellung<br />

Im Zentrum palliativer Betreuung stehen der Schwerkranke <strong>und</strong> seine Angehörigen. Es ist<br />

selbstverständlich, Erwachsene als solche zu sehen <strong>und</strong> sich ihrer Bedürfnisse <strong>und</strong> Probleme<br />

zu widmen. Was aber passiert mit den Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, die Angehörige<br />

Schwerkranker <strong>und</strong> Sterbender sind? Aus persönlichen Erfahrungen , die wir in unserem<br />

beruflichen <strong>und</strong> privaten Umfeld machen mussten, , werden Kinder <strong>und</strong> Jugendliche sehr oft<br />

spät oder gar nicht in den Krankheits- <strong>und</strong> Sterbeprozess ihnen wichtiger Bezugspersonen<br />

einbezogen.<br />

Sind es Vorbehalte, Unsicherheit, Unwissenheit oder Zeitnot, die die Betreuenden in dieser<br />

Weise Handeln lassen? Ist es vielleicht die Angst vor der eigenen Auseinandersetzung mit<br />

dem Thema Sterben <strong>und</strong> Tod?<br />

Welche Bedürfnisse haben Kinder bis zum 14. Lebensjahr, die mit Krankheit, Sterben <strong>und</strong><br />

Tod eines ihnen nahestehenden Menschen konfrontiert sind? Was muss geändert werden, um<br />

diesen Bedürfnissen gerecht zu werden? Welche Hilfestellungen in der Bewältigung dieses<br />

Themas können den Betreuenden angeboten werden?


1.2 Abstract<br />

6. Interdisziplinärer Palliativlehrgang an der Kardinal König Akademie Wien<br />

PROJEKTGRUPPE 2<br />

Titel: <strong>Trauerkiste</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong><br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod von wichtigen<br />

Bezugspersonen<br />

Problemstellung:<br />

Im Zentrum einer Palliativbetreuung stehen der Schwerkranke <strong>und</strong> seine Angehörigen. Kinder<br />

als Angehörige Schwerkranker <strong>und</strong> Sterbender sind dabei kaum im Blickwinkel der<br />

Aufmerksamkeit von Betreuenden. Scheinbar gibt es ein Tabu, sie in den Prozess der<br />

Begleitung mit einzubeziehen. Sind es Ängste, Vorbehalte, Unsicherheiten, Unwissenheit,<br />

Zeitnot, welche die Betreuenden so handeln lassen ?<br />

Definition der untersuchten Gruppe: Menschen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, die<br />

betroffen sind vom Tod wichtiger Bezugspersonen<br />

Abstract:<br />

Die Zusammenarbeit mit Angehörigen, sowie die Beachtung deren Bedürfnisse stellen einen<br />

wichtigen Teil der Haltung „Palliativ Care“ dar. Nun sind auch Kinder Angehörige, die mit<br />

Krankheit, Sterben <strong>und</strong> Tod eines ihnen nahe stehenden Erwachsenen oder Geschwisters<br />

konfrontiert sind. Werden ihre Bedürfnisse gesehen, sind sie in die Begleitung eingeb<strong>und</strong>en?<br />

Was brauchen sie?<br />

Ziel unserer Arbeit ist es, über Bedürfnisse von Kindern als Angehörige zu informieren sowie<br />

mögliche Unterstützungen aufzuzeigen. Diese sollen in einer Boschüre zusammengefasst<br />

werden, welche Betreuenden <strong>und</strong> professionellen Helfern zugänglich gemacht wird.


Durch Gespräche <strong>und</strong> gezielte Fragen an Experten (Kinderpsychiater, KinderpsychologIn,<br />

etc.) <strong>und</strong> an Betroffene <strong>und</strong> das Studium der Fachliteratur versuchen wir die derzeitige Praxis<br />

zu beschreiben <strong>und</strong> die Bedürfnisse dieser Kinder herauszufinden. Es soll ein Versuch<br />

unternommen werden, ihre Erlebensweisen <strong>und</strong> Bewältigungsmechanismen zu beschreiben<br />

<strong>und</strong> festzuhalten, was Betreuende <strong>und</strong> professionelle Helfer tun können, um günstige<br />

Bewältigungsschritte zu fördern <strong>und</strong> ungünstige Einflussnahmen zu unterlassen.<br />

Ziel:<br />

Wir möchten eine Broschüre erstellen, die folgendes anbieten soll:<br />

• informativ zu beschreiben, wie Kinder Tod <strong>und</strong> Trauer erleben, um sich in ihre<br />

Erlebnisweisen einfühlen zu können<br />

• darzustellen, was die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Kinder in der<br />

Auseinandersetzung mit schwerer Krankheit <strong>und</strong> Tod von nahen Angehörigen sind<br />

• darüber zu informieren, wie man die Bedürfnisse der Kinder wahrnehmen <strong>und</strong><br />

erkennen kann<br />

• darüber Auskunft zu geben, was getan werden kann, um eine positive Bewältigung zu<br />

fördern<br />

• darzustellen, welche Handlungen von Betreuenden dazu neigen, einer Bewältigung im<br />

Wege zu stehen<br />

• eine Hilfestellung zu bieten in einem Entscheidungsprozess, unter welchen<br />

Bedingungen bei einem Kind eine spezielle therapeutische Interaktion sinnvoll ist<br />

• eine Auflistung empfehlenswerter Kinderbücher <strong>und</strong> Spiele<br />

• Information über Erwachsenenfachliteratur zum Thema<br />

• Hinweis auf bestehende Institutionen <strong>und</strong> Versorgungsangebote im Raum Wien <strong>und</strong><br />

Niederösterreich, die einfach, verlässlich <strong>und</strong> unbürokratisch erreichbar sind<br />

Methoden:<br />

- Beschreibungen der Wahrnehmungen des Umgangs mit Kindern als Angehörige im<br />

eigenen Tätigkeitsfeld<br />

- Expertenbefragung ( Kinderpsychologen, Kinderpsychiater <strong>und</strong> andere mit Kindern in<br />

Trennungssituationen befassten Personen) anhand eines Fragenkatalogs<br />

- Literatur <strong>und</strong> Internetrecherche<br />

- Informieren über bereits bestehende Angebote an Kinder <strong>und</strong> deren Betreuungspersonen<br />

von verschiedenen Institutionen.


- Verfassen einer ca. 15 bis 20-seitigen Broschüre<br />

- Organisation von Firmensponsoring für die Finanzierung der Broschüre<br />

- Auflage der Broschüre limitiert auf 1000 Stück<br />

- Verteilen der Broschüre in den Institutionen der teilnehmenden Mitarbeiter<br />

Eigene Beiträge:<br />

Gemeinsam: Erstellen eines Fragenkatalogs für die Expertenr<strong>und</strong>e<br />

<strong>Weixler</strong>: Organisation der Expertenr<strong>und</strong>e<br />

Soucek: Sponsoring, Fachliteratur<br />

Plazet: Kinderbücher, Kinderzeichnungen (für Folder/Präsentation), Gespräch mit<br />

Seelsorger<br />

Weidinger: Internetrecherche<br />

Literaturrecherche<br />

(� Kontakte, Vernetzung ? Kontaktaufnahme),<br />

Prinz: Recherche bestehender Versorgungsangebote, Kinderbücher, Gespräche mit<br />

betroffenen Kindern<br />

Projektteilnehmer:<br />

Christa Plazet, DKKS St. Anna – Kinderspital, externer onkol. Pflegedienst<br />

Andrea Prinz, DKKS, Univ. Kinderklinik, externer onkol. Pflegedienst<br />

Bettina Soucek, <strong>Dr</strong>. med., FA Innere Medizin, Allgemeinmedizin, III. Med, KFJ<br />

Margot Weidinger-Strasser, DSA, Wiener Rotes Kreuz, VISITAS<br />

<strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong>, <strong>Dr</strong>. med, FA Anästhesie <strong>und</strong> Intensivmedizin, Notarzt, WVK Horn<br />

Angenommen:<br />

2. November 2002-11-02<br />

Peter Fässler-Weibel


1.3 Das Team- individuelle Projektmotivation<br />

1.3.1 persönliche Projektmotivation <strong>Dr</strong>. Bettina Soucek- Hadwiger<br />

Arzt für Allgemeinmedizin<br />

Facharzt für Innere Medizin<br />

dzt. in Ausbildung im Zusatzfach<br />

Hämato-Onkologie KFJ. III. Med.<br />

Wenn der Tod zu mir kommt, will ich sagen.<br />

Ich habe in der Liebe gelebt <strong>und</strong> nicht in der Zeit.<br />

Tagore<br />

Als Mutter von drei Kindern, einer pubertierenden elfjährigen Tochter <strong>und</strong> einem<br />

Zwillingspärchen im Alter von vier Jahren bzw. als onkologisch tätige Ärztin hatte ich zu<br />

diesem Thema zwei unterschiedliche Zugänge.<br />

Zum einen kann ich an meinen eigenen Kindern immer wieder erleben, welch sensible <strong>Dr</strong>ähte<br />

diese besitzen, veränderte Lebenssituationen <strong>und</strong> –umstände wahrzunehmen <strong>und</strong> wie sehr<br />

Ungewissheit <strong>und</strong> fehlende Kommunikation bei ihnen Angst, Widerstand <strong>und</strong><br />

Verhaltensveränderungen auslösen können.<br />

Zum anderen erlebe ich im täglichen Berufsalltag an einer sehr onkologisch orientierten<br />

Internen Abteilung immer wieder, dass Kinder in die Betreuung Schwerkranker <strong>und</strong><br />

Sterbender, auch wenn es sich bei diesen um wichtige Bezugspersonen handelt, oft in einer<br />

sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsphase oder manchmal sogar erst in der Sterbephase<br />

einbezogen werden.<br />

Besonders betroffen hat mich ein Fall gemacht, bei dem es sich um eine junge Frau in<br />

meinem Alter handelte, Mutter von zwei Kindern im Alter von 5 <strong>und</strong> 7 Jahren, verheiratet<br />

<strong>und</strong> an einem äußerst seltenen, prognostisch sehr schlechten Urogenitaltumor erkrankt.<br />

Sie befand sich ein knappes Jahr in Behandlung an unserer Abteilung. Im Laufe dieser Zeit<br />

nahm die Frequenz ihrer stationären Aufenthalte aufgr<strong>und</strong> der Krankheitsprogression zu.<br />

Trotz dieser Tastsache habe ich ihre Kinder nie persönlich kennen gelernt, obwohl sie mir<br />

immer wieder von ihnen erzählte <strong>und</strong> Fotos bei sich trug. Der Ehemann verbrachte einen<br />

großen Teil seiner Freizeit im Krankenhaus, die Mutter der Patientin, selbst an einem Tumor<br />

erkrankt <strong>und</strong> eigentlich in Kärnten wohnhaft, half bei der Versorgung der Kinder so viel sie


konnte mit. Immer wieder versuchte ich die Patientin <strong>und</strong> die Großmutter auf die momentane<br />

<strong>und</strong> die bevorstehende Situation aufmerksam zu machen, nannte Betreuungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> evt. psychologische Hilfestellung. Intuitiv musste ich in dieser Situation in meine Rolle<br />

als Mutter schlüpfen. „Was würden meine Kinder wollen?“. „Wie würden sie reagieren?“.<br />

„Wie könnte ich ihnen bzw. meiner Familie helfen?“. „Wer könnte ihnen helfen?“. „Was<br />

würde ich mir für meine Kinder für die Zukunft wünschen?“. „Was würde ich ihnen noch<br />

gerne mitgeben wollen?“. „Welche Schritte könnten unternommen werden, damit aus dem<br />

Verlust für sie keine längere Traumatisierung resultieren würde?“ Je mehr dieser Fragen ich<br />

mir stellte, desto wichtiger schien es mir, auf dieses Problem aufmerksam zu manchen.<br />

Zu dieser Zeit hatte ich zu diesem Thema einen rein persönlichen, emotionalen Zugang <strong>und</strong> es<br />

fehlte mir jegliche fachliche oder wissenschaftliche Information. Ich fühlte mich einfach als<br />

Anwalt dieser Kinder.<br />

In einem Nachdienst, wenige Tage vor dem Ableben der Patientin, hatte ich die Gelegenheit,<br />

mit dem Gatten ein sehr persönliches <strong>und</strong> ehrliches Gespräch zu führen. Dabei wies ich ihn<br />

auf die meiner Meinung nach bestehende Notwendigkeit hin, die Kinder über die Schwere der<br />

Erkrankung der Mutter aufzuklären <strong>und</strong> sie auf ihren nahenden Tod vorzubereiten. Im<br />

Rahmen dieses Gespräches konnte ich dem Mann dann auch eine Adresse für eine<br />

psychologische Beratungsstelle <strong>und</strong> verschiedene Kinderbetreuungseinheiten nennen <strong>und</strong> wir<br />

konnten gemeinsam ohne Scham über die verzweifelte Situation weinen. Am nächsten Tag im<br />

Stiegenhaus gestand mir jener Mann, dass er selbst den bevorstehenden Tod seiner Frau nie<br />

wahrhaben wollte <strong>und</strong> alles was damit verb<strong>und</strong>en war, vor sich hergeschoben hatte. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> konnte <strong>und</strong> wollte er sich mit den Kindern nicht auseinandersetzen <strong>und</strong> vertagte<br />

ein Gespräch mit ihnen stets auf den folgenden Tag.<br />

Dieses Erlebnis <strong>und</strong> die immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit dem Tod anderer<br />

lösten in mir neue Entwicklungen aus.<br />

Wenn Kinder von Geburt an halten <strong>und</strong> festhalten können, mit unserer Hilfe teilen, schenken<br />

<strong>und</strong> loslassen lernen, sind wir dann nicht auch verpflichtet, unsere Ängste <strong>und</strong> Unsicherheiten<br />

mit ihnen zu teilen? Können wir uns auf diese Weise nicht gemeinsam an das Thema Sterben<br />

<strong>und</strong> Tod heranwagen? Wenn wir den Tod als Teil unseres Lebens einbeziehen, <strong>und</strong> Verluste<br />

nicht unbedingt immer nur negativ sehen, kann das dann nicht für unser Leben eine ganz<br />

w<strong>und</strong>erbare Bereicherung sein. Für meine Kinder <strong>und</strong> mich sind Themen wie Verlust <strong>und</strong><br />

Endlichkeit absolut kein Tabu <strong>und</strong> unter diesem Blickwinkel nimmt so manches eine andere<br />

Wendung.


Meine Motivation für dieses Projekt ist darin begründet, auch anderen die Scheu vor diesem<br />

Thema zu nehmen <strong>und</strong> den Mut zu finden, sich selbst <strong>und</strong> seine Kinder mit dem Thema<br />

Sterben <strong>und</strong> Tod zu konfrontieren <strong>und</strong> in dieser Auseinandersetzung einen anderen, vielleicht<br />

zufriedenstellenderen Lebenszugang zu finden. Die Endlichkeit unseres Lebens, das Wissen<br />

um die Begrenztheit , hilft uns , Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Wenn wir den<br />

Mut finden, uns mit dem Tod auseinanderzusetzen, können wir für unser Leben Lebendigkeit<br />

gewinnen <strong>und</strong> etwas von dieser Lebendigkeit an unsere Kinder weitergeben<br />

An dem Tag, wenn der Tod an Deine Tür klopfen wird,<br />

was wirst Du ihm anbieten?<br />

Ich werde meinem Gast<br />

das volle Gefäß meines Lebens vorsetzen.<br />

Ich werde ihn nicht mit leeren Händen gehen lasse.<br />

Tagore<br />

1.3.2 Persönliche Projektmotivation Andrea Prinz<br />

Mein recht früher Entschluss, mit Kindern zu arbeiten, hat damit zu tun, dass ich mich unter<br />

Kindern immer wohl gefühlt habe. Ich schätze ihre direkte Art auszudrücken, ob sie etwas<br />

möchten oder nicht <strong>und</strong> lasse mich gerne von ihnen zum Staunen verleiten. Die natürliche<br />

Neugier, mit der sie an neue Personen <strong>und</strong> Situationen herangehen, beeindruckt mich immer<br />

wieder. Und ich mag ihre Art, in Bildern zu denken.<br />

Auch im Umgang mit dem Tod erlebe ich sie in erster Linie neugierig <strong>und</strong> Fragen stellend.<br />

So auch die Kinder, die an Hirntumoren erkrankt sind <strong>und</strong> an der Ebene 9 der Kinderklinik im<br />

AKH behandelt werden, wo ich mit Unterbrechungen (zweieinhalbjähriger Aufenthalt in<br />

Vancouver <strong>und</strong> zwei Jahre an der Heilpädagogik im AKH) seit 1990 als diplomierte<br />

Kinderkrankenschwester arbeite. Seit Jänner 2002 bin ich im externen onkologischen<br />

Pflegedienst tätig <strong>und</strong> betreue im Rahmen dessen Kinder zwischen den Chemotherapien zu<br />

Hause <strong>und</strong> versuche bei sterbenden Kindern ein Betreuungsnetz am Wohnort der Familie<br />

aufzubauen, sodass sie zu Hause sterben können, wenn ihre Familien das möchten. In der<br />

mobilen palliativen Versorgung übernehme ich dann den Grossteil der Pflege.<br />

Nun erlebe ich in verschiedenen Varianten immer wieder den Versuch seitens der Eltern <strong>und</strong><br />

der professionellen Helfer, Kinder vor Wahrheiten schützen zu wollen, seien es nun die


erkrankten Kinder selbst oder ihre Geschwister. Auch bei Jugendlichen finden viele<br />

Gespräche ausschließlich mit den Eltern statt <strong>und</strong> häufig werden Entscheidungen über die<br />

Köpfe der Kinder hinweg gefällt.<br />

Es ist mir ein Anliegen, Kinder ihren Fähigkeiten gemäß in die Prozesse, die ja ihr Leben<br />

betreffen, einzubinden, <strong>und</strong> den Erwachsenen Mut zu machen, ihnen etwas zuzutrauen, Wege<br />

gemeinsam mit ihnen zu gehen <strong>und</strong> sie in ihren Verarbeitungsmöglichkeiten von Abschied<br />

<strong>und</strong> Trauer zu verstehen <strong>und</strong> zu unterstützen, anstatt sie aus Unsicherheiten heraus zu<br />

behindern.<br />

Während meiner Arbeit auf der Heilpädagogik habe ich einige Kinder kennen gelernt, die<br />

durch ihr Verhalten in mir den Eindruck erweckten, sie hätten Angst, übersehen zu werden. In<br />

ihren Lebensgeschichten hatten sie als Gemeinsamkeit den Tod eines Elternteils oder<br />

Geschwisters oder eine schwere Erkrankung ebenfalls eines Elternteils oder Geschwisters. Sie<br />

<strong>und</strong> auch Geschwister behinderter Kinder, die ich kennen lernte, scheinen tatsächlich<br />

„übersehen worden“ zu sein. Ich habe mich dann ausführlich mit Erwachsenen unterhalten,<br />

die als Kinder mit dem Tod eines Bruders oder einer Schwester konfrontiert waren, einige<br />

wurden auch erst nach diesem Ereignis geboren, <strong>und</strong> alle erzählten in der einen oder anderen<br />

Form davon, wenig „Platz“ gehabt zu haben, mit dem Gefühl gelebt zu haben, sie müssten<br />

etwas gutmachen, möglichst wenig brauchen <strong>und</strong> ihre Eltern durch unauffälliges Verhalten<br />

schonen. Und viele von ihnen leiden heute noch darunter.<br />

Ich wünsche mir, dass Geschwisterkinder den Anteil an Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Zuwendung<br />

bekommen, der ihnen zusteht! Dass Platz für ihre Bedürfnisse bleibt. Und dass sie nicht aus<br />

falsch verstandener Rücksicht alleine gelassen werden.<br />

Mein Sohn Vivian, mittlerweile sechseinhalb Jahre alt, wurde mit einer schweren<br />

Hirnmissbildung geboren. Er trotzt seiner schlechten Prognose, sitzt im Rollstuhl, besucht die<br />

Volkschule in einer Integrationsklasse, ist ein fröhlicher Schelm <strong>und</strong> hat mir eine Menge<br />

beigebracht. Er sagt „ich bin behindert“ mit einer Selbstverständlichkeit, wenn Kinder ihn<br />

darauf ansprechen, warum er nicht gehen kann. Es tut mir immer wieder weh zu sehen, wie er<br />

sich manchmal abmüht, aber ich kann es ihm nicht abnehmen. Ich kann ihm nur<br />

Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer er seinen eigenen Weg, sein Leben zu<br />

gestalten, finden kann. Und er findet großartige Möglichkeiten! Er weiß, dass ich da bin,<br />

wenn er mich braucht, so wie viele andere Menschen um ihn herum, <strong>und</strong> dass wir ihn nicht<br />

bedrängen, wenn er uns nicht braucht.<br />

Er <strong>und</strong> sterbende Kinder zeigen mir immer wieder wie kompetent sie sind!


1.3.3 Projektmotivation <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

Im Vorgang der Projektfindung, dem stummen Herumgehen im Palliativlehrgang mit einem<br />

Schild, auf dem die Themen des Interesses notiert waren, hatte ich auf mein Schild<br />

geschrieben: Humor.<br />

Manche lächelten bei der Begegnung mit mir <strong>und</strong> meinem Schild.<br />

Und die Kursteilnehmerinnen, die Kinder als Angehörige auf dem Schild stehen hatten, die<br />

lachten beim Aufeinandertreffen: <strong>und</strong> das war es! Das Lachen der Kindheit. Kinder lachen<br />

häufiger als Erwachsene, sie sind der Inbegriff des Lebendigen, des Chaotischen <strong>und</strong><br />

Unmittelbaren, des Echten, der Ungeschminktheit, des Wandelbaren, des Menschen in<br />

Entwicklung; neugierig, teilnehmend, kreativ <strong>und</strong> berührbar.<br />

Möglicherweise idealisiere ich. Kinder sind nicht nur w<strong>und</strong>erbar, sie können auch furchtbar<br />

lästig <strong>und</strong> störend sein, zu laut, zu wild, zu störrisch – aber alle „zu“ stehen immer in Bezug<br />

zu mir als Subjekt, das ist klar.<br />

Als Ältester von 3 Kindern, mit einem Bruder <strong>und</strong> einer Schwester hatte ich das Thema<br />

„Trennung“ im Alter von 9 Jahren anhand der Scheidung meiner Eltern erfahren, 2<br />

Halbschwestern kamen aus der neuen Beziehung meines Vaters – heute bin ich glücklich <strong>und</strong><br />

stolz, dass sie da sind.<br />

Als Kind war ich häufig im Krankenhaus, auch schon im Vorschulalter – ich erinnere mich an<br />

die stummen Begegnungen mit meinen Eltern durch die Glasscheibe des Isolationszimmers,<br />

in dem ich 3 Wochen meines Lebens dank einer Scharlacherkrankung verbracht habe. Es war<br />

naheliegend, später im Arztberuf daran zu denken, woher das Interesse an all diesen Themen<br />

rührte: Kranksein, Kindsein, Trennung, Isolation. Ich erinnere mich an<br />

Harnröhrenbougierungen im Wachzustand ohne jede Schmerzbehandlung, an Augen-<br />

Fremdkörperentfernungen in Lokalanästhesie, an mehrere Operationen in Allgemeinnarkose,<br />

an viele W<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Unfälle, an Dissimulation <strong>und</strong> Simulation, allein an 3 Verkehrsunfälle<br />

im Kindesalter, an Mitleid <strong>und</strong> das, was ich später als sek<strong>und</strong>ären Krankheitsgewinn<br />

verstehen lernte.<br />

Mit Univ.-Doz. <strong>Dr</strong>. Franz Rosenmayr, dem Neuropädiater der Universitätskinderklinik<br />

begegnete ich dem Lehrer meines Studiums, es gab unzählige Gespräche <strong>und</strong> Famulaturen an<br />

seiner Abteilung. Damals wollte ich Kinderarzt werden. Während der Arbeitslosigkeit nach<br />

dem Studium nahm ich an der großen österreichischen Kinderunfallstudie des KfV teil <strong>und</strong><br />

führte in einem Jahr mit über 1200 Kindern, Müttern, Familien <strong>und</strong> Vätern Gespräche im<br />

Unfallkrankenhaus Meidling über Ursachen <strong>und</strong> Vermeidung von Unfällen. Nach der


Begegnung mit all den Müttern hatte ich ein anderes Berufsbild von einem Kinderarzt vor<br />

mir, die Mütter waren mir schlicht zu anstrengend. In Horn, als Turnusarzt <strong>und</strong> später als<br />

Anästhesist hatte ich viele Begegnungen mit Kindern im Krankenhaus, es waren die berührendsten<br />

Begegnungen. Ich habe erfahren, dass viele Kollegen Angst vor Kindern haben –<br />

Angst, mit ihnen in Berührung zu kommen, Angst, sie zu schädigen, an Kindern schuldig zu<br />

werden. Das Beteiligtsein an Sterben <strong>und</strong> Tod eines 9-jährigen verunfallten Mädchens war<br />

mein entsetzlichstes Erlebnis als Arzt. Die Erinnerung an sie <strong>und</strong> alle Umstände lässt mich<br />

das erahnen, was manche jene Trauer nennen, die man nicht ver-arbeiten kann.<br />

Die Themen Sterben <strong>und</strong> Tod als Erfahrungen, die mich verstören <strong>und</strong> erschüttern, sind erst<br />

spät in meinem Leben aufgetaucht: im 19. Lebensjahr, als meine Großmutter, zu der ich eine<br />

sehr starke Bindung hatte, an einem Krebsleiden in einer Weise zugr<strong>und</strong>e ging, die mein<br />

Werden, Orientiertsein <strong>und</strong> Handeln bestimmt hat. Abgemagert auf 30 Kilogramm verbrachte<br />

sie die letzten beiden Nächte ihres Lebens im Morphindelir an jenem Ort, den sie mit größter<br />

Angst erwartet hatte: dem Badezimmer der Chirurgischen Station. Woher die Idee kam, sie in<br />

ihrer letzten Nacht um 4h im Badezimmer der Chirurgie 2 im Landeskrankenhaus Salzburg<br />

aufzusuchen, weiß ich nicht. Die Nachtdienstschwester hat mir damals Zwieback <strong>und</strong> Tee<br />

gebracht, als ich bei der Sterbenden im Dunkel saß. Die Angehörigen 1 , der Onkel <strong>und</strong> meine<br />

Mutter haben zuvor trotz Berufstätigkeit durch 9 Monate die Nächte bei ihr Sitzwache<br />

gehalten,.<br />

Es wird schon mit meiner Biographie zu tun haben, dass ich in dieser Gruppe <strong>und</strong> in diesem<br />

Kurs bin.<br />

Irgendjemand – ich weiß nicht wer – hat gesagt, es sei nie zu spät für eine glückliche<br />

Kindheit. Die Qualitäten in sich zu erhalten, am Leben zu erhalten, mit denen wir als Kinder<br />

auf so natürliche Weise ausgestattet sind, halte ich für extrem bedeutsam: um lebendig zu<br />

bleiben. Die Auseinandersetzung mit Kindern kann diesem Lebendigsein als Anschauung<br />

dienen, ihre Neugierde, Unbefangenheit <strong>und</strong> Kreativität sind inspirierend. Wenn Elisabeth<br />

Kübler-Ross sagt, dass die Geschwister von verstorbenen Kindern die einsamsten <strong>und</strong><br />

vergessensten aller Angehörigen sind, mag es sich lohnen, die Kinder als Angehörige nicht<br />

nur „nicht zu vergessen“, sondern aktiv auf sie zuzugehen. Die Hilflosigkeit, Machtlosigkeit<br />

<strong>und</strong> Sprachlosigkeit angesichts des Todes erhalten in der Begegnung mit Kindern, deren<br />

Sprache eine andere als die unsere ist, eine neue Dimension. Rituale schaffen Gemeinsamkeit,<br />

1<br />

kursiv, da das Wort Angehörige für mich als Arzt während des Palliativlehrgangs eine andere Bedeutung<br />

bekommen hat


gemeinsame Zeit, gemeinsames Handeln, Rituale geben Sicherheit, Struktur <strong>und</strong> äußere<br />

Gestalt. Die <strong>Trauerkiste</strong> 2 könnte die Brücke zu einer Begegnung sein.<br />

Meine berufliche Ausgangsposition vor Teilnahme am Projekt umfasst die Tätigkeit als<br />

Facharzt für Anästhesie <strong>und</strong> Intensivmedizin am WVK Horn, einem<br />

Schwerpunktkrankenhaus mit 310 systemisierten Betten (Intensivstation: 10), die Tätigkeit als<br />

Notarzt am Notarztwagen Horn <strong>und</strong> bei der Christophorus Flugrettung Krems (Christophorus<br />

2), die Leitung der Schmerzdienste am WVK Horn (Akutschmerzdienst, Schmerzambulanz)<br />

<strong>und</strong> zeitweilig die Teilnahme am Ärzte-Nachtdienst des Landes Niederösterreich. Während<br />

der Ausbildung wurde ich mit der Leitung <strong>und</strong> dem Aufbau eines Palliative Support Teams<br />

am WVK Horn beauftragt <strong>und</strong> beendete eine größere Buchpublikation (<strong>Weixler</strong> <strong>Dietmar</strong>,<br />

Paulitsch Klaus: Praxis der Sedierung, Facultas-WUV Wien, 4. April 2003).<br />

Das Bewahren einer gewissen Vielschichtigkeit <strong>und</strong> das Erleben fachübergreifender<br />

Kooperation sind mir sehr wichtig.<br />

1.3.4 Persönliche Motive, am Projekt „<strong>Trauerkiste</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong>“ mitzuarbeiten<br />

Christa Plazet<br />

Als es zur Projektgruppenfindung kam <strong>und</strong> jeder sein Stichwort auf einen Zettel schrieb,<br />

dachte ich mir als Kinderkrankenschwester hier in der absoluten Minderheit, würde wohl<br />

kaum eine Gruppe zustande kommen, die sich mit Kindern befasst. Als ich bei einer<br />

Medizinerin „Kinder als Angehörige von Sterbenden“ las, war ich überrascht. Im Gespräch,<br />

was uns zu dem Thema bewegt, war mir klar bei dieser Gruppe mitarbeiten zu wollen.<br />

Ich bin seit 1990 in der Kinderonkologie tätig, davon 4 Jahre auf einer Basisonkologie, 6,5<br />

Jahre auf der Knochenmarktransplantation <strong>und</strong> sei 2001 im externen onkologischen<br />

Pflegedienst des St. Anna Kinderspitals. In meiner Arbeit war <strong>und</strong> bin ich ständig mit diesem<br />

Thema konfrontiert <strong>und</strong> habe damit die verschiedensten Erfahrungen gemacht.<br />

Einige Erlebnisse aus meinen ersten Berufsjahren auf der Kinderonkologie haben sich<br />

besonders eingeprägt <strong>und</strong> mir deutlich die Problematik vom Schattendasein der<br />

Geschwisterkinder vor Augen geführt. Wie zum Beispiel eines Geschwisterkindes eines<br />

kurdischen Buben, der lange auf unserer Station in Behandlung war <strong>und</strong> dort auch verstarb.<br />

Der Bruder kam über Wochen täglich nach der Schule auf Besuch, als M. in der Früh verstarb<br />

2 hier synonym für alle Rituale


dachte niemand an den Bruder <strong>und</strong> so kam er wie jeden Tag, ging gleich ins erste Zimmer,<br />

das aber leer. Was wohl in ihm in diesem Moment vorgegangen ist? Die Schwestern <strong>und</strong><br />

Ärzte der Station mussten ihm damals die Nachricht überbringen.<br />

Aber ich durfte auch mehrmals miterleben, wie Geschwisterkinder auf den Tod ihrer<br />

Schwester oder ihres Bruders vorbereitet <strong>und</strong> in ihrer Trauer liebe- <strong>und</strong> verständnisvoll<br />

begleitet wurden.<br />

Im externen onkologischen Pflegedienst bekommen wir einen viel tieferen Einblick in die<br />

Familie. Nachdem wir die Kinder in ihrem eigenen vertrauten Lebensraum betreuen, nehmen<br />

wir sie <strong>und</strong> ihre Angehörigen manchmal ganz anders wahr, als das Stationsteam <strong>und</strong> können<br />

dadurch in einzelnen Fällen auch zu einem stimmigen Gesamtbild beitragen <strong>und</strong> auf die<br />

individuellen Bedürfnisse eingehen. Wenn Geschwister bei unserem Hausbesuch zugegen<br />

sind, beziehen wir sie spielerisch mitein <strong>und</strong> erklären ihnen was wir bei ihrer Schwester oder<br />

Bruder machen, sie können uns helfen, Fragen stellen <strong>und</strong> somit ein klein wenig mehr<br />

Verständnis aufbringen.<br />

Mein persönliches Ziel dieser Projektarbeit ist, einen Betrag zu leisten, dass auf die<br />

“vergessenen Geschwisterkinder“ gedacht wird <strong>und</strong> ihre Bedürfnisse wahrgenommen werden.<br />

Die “<strong>Trauerkiste</strong>“ ist eine Möglichkeit zum “Begreiflichmachen“ im wortwörtlichen Sinn.<br />

1.3.5 Projektmotivation<br />

Margot Weidinger-Strasser<br />

Nichts gräbt sich tiefer dem Herzen ein<br />

<strong>und</strong> haftet beharrlicher darin<br />

als Kindheitseindrücke.<br />

Erasmus von Rotterdam<br />

1469-1536<br />

Ein zweiter Anlauf <strong>und</strong> weitreichende Überlegungen ließen mich nun doch den Schritt wagen,<br />

an diesem Ausbildungsseminar teilzunehmen. Doch bereits am 2. Tag stand ich vor der<br />

nächsten Schwierigkeit: der Projektgruppenfindung. Es war nicht einfach, ein passendes<br />

Projektthema zu finden. Ich fühlte mich hin- <strong>und</strong> hergerissen zwischen beruflichem <strong>und</strong><br />

persönlichem Interesse.


Es stellte sich die Frage, ob das Seminar nur wertvoll ist, wenn ich es beruflich einsetzen<br />

kann, oder kann ich es mir erlauben, etwas ausschließlich für mich selbst zu tun. Ich will<br />

versuchen zu erklären, wie es mir gelang, eine Entscheidung für diese Projektgruppe zu<br />

treffen.<br />

Sehr oft werde ich gefragt, warum so ein junger Mensch wie ich, sich mit diesem Thema<br />

beschäftigt. Es war ein leichtes, diese Frage mit einem Lächeln unbeantwortet zu lassen. Doch<br />

warum ist es mir ein Anliegen <strong>und</strong> seit wann beschäftige ich mich nun tatsächlich mit<br />

Sterben, Tod <strong>und</strong> Trauer? Es ist nicht möglich, hier einen Punkt des Anbeginns auszumachen.<br />

Der Tod gehörte zum alltäglichen Leben <strong>und</strong> begegnet einem in ganz unterschiedlicher Form.<br />

Bestimmte Situationen, Empfindungen <strong>und</strong> Eindrücke der Kindheit sind mir davon sehr<br />

bleibend im Gedächtnis:<br />

Im allgemeinen sind es festliche Anlässe im Jahreskreis, kirchliche Feiertage <strong>und</strong> der<br />

Kreislauf der Natur.<br />

Bezogen auf das Thema Sterben denke ich an, die Andächtige Stimmung bei den<br />

Totenwachen, der emotionale Zusammenhalt der Menschen bei den Begräbnissen <strong>und</strong> das<br />

Lachen, Witze machen <strong>und</strong> Geschichten erzählen beim anschließenden Leichenschmaus.<br />

Das spezielle Totengebäck <strong>und</strong> das Gefühl, so traurig sein zu können, wie mir ist.<br />

Aber eines hat sich bis heute kaum verändert: Kinder werden von wichtigen Informationen<br />

r<strong>und</strong> um den Todesfall ferngehalten. Als Kind bemerkt man das Stimmengemurmel, die<br />

Blicke <strong>und</strong> Gesten der Erwachsenen, aber auf Fragen bekommt man keine Antwort. Mit<br />

dieser Projektarbeit will ich allen Erwachsenen Mut machen, mit ihren Kindern zu sprechen,<br />

sie einzubinden <strong>und</strong> ihnen auch etwas zuzutrauen. Nur Ahnendes <strong>und</strong> Spürendes macht viel<br />

mehr Angst <strong>und</strong> Sorgen, als es nützt weil es schwer verständlich, diffus, nebelig <strong>und</strong> nicht<br />

zuordenbar ist.<br />

Durch die eingehende Beschäftigung mit diesem Thema konnte ich persönlich viel davon<br />

profitieren. Auch glaube ich, eine Antwort auf die Frage gef<strong>und</strong>en zu haben, die mir, wie<br />

Eingangs erwähnt, viele Menschen stellen.<br />

Beruflicher Werdegang: Einen wichtigen Gr<strong>und</strong>stein für mein soziales Handeln legte ich, als<br />

ich die dreijährige Fachschule für Sozialberufe besuchte. In den dort notwendigen Praktika<br />

habe ich viele Situationen erlebt die mich sehr prägten. Weiters absolvierte ich die<br />

Ausbildung zur Diplomierten Sozialarbeiterin. Die nächsten 4 Jahre arbeitete ich mit


psychisch kranken Menschen <strong>und</strong> war in Oberösterreich <strong>und</strong> Niederösterreich tätig.<br />

Zahlreiche Seminare, Workshops <strong>und</strong> Kurse zum Thema "Lebens-, Sterbe- <strong>und</strong><br />

Trauerbegleitung bestärkten mich, mein Leben bewusster zu gestalten. Nach einer kurzen<br />

Evaluationstätigkeit in einem Verein begann ich beim Wiener Roten Kreuz als<br />

Projektkoordinatorin. Ein freiwilliges Jahr im Hospiz, das begonnene Psychologiestudium<br />

<strong>und</strong> die Begleitung von älteren Menschen bis zu deren Tod erweiterten meinen<br />

Erfahrungsschatz. Derzeit bin ich bei VISITAS einem Sozialökonomischen Betrieb des<br />

Wiener Roten Kreuzes als Leiterin der Sozialbetreuung tätig. Nebenbei arbeite ich noch als<br />

Sachwalterin von 4 Männern mit geistiger Behinderung. Die Ausbildung zur<br />

Validationsanwenderin <strong>und</strong> LIMA Trainerin habe ich 2002 abgeschlossen.


1.4 Ziel unserer Arbeit<br />

Das Ziel unserer Arbeit war es, die Bedürfnisse von Kindern im Alter bis zum 14. Lebensjahr<br />

im Umgang mit Sterben <strong>und</strong> Tod wichtiger Bezugspersonen zu evaluieren, auf diese<br />

hinzuweisen <strong>und</strong> Lösungsansätze zu bieten. Wir wollten in Form eines Folders einen kurzen<br />

Überblick über eben diese Bedürfnisse geben, Institutionen <strong>und</strong> Betreuungseinheiten nennen,<br />

die bei der Bewältigung dieses Problems hilfreich zur Seite stehen <strong>und</strong> eine Literaturliste<br />

unserer Meinung nach geeigneter Kinderbücher anbieten.<br />

Betreuende <strong>und</strong> professionelle Helfer sollten ermutigt werden, sich an das Thema Sterben <strong>und</strong><br />

Tod im Umgang mit Kinder heranzuwagen. Sie sollten darin bekräftigt werden , dass nicht im<br />

Reden sondern im (Ver-)Schweigen das Problem liegt. Gleichzeitig jedoch wollten wir die<br />

Betreuenden auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit<br />

aufmerksam machen, die eine wichtige Voraussetzung für die Bearbeitung dieses Themas<br />

darstellt.<br />

1.5. Methoden<br />

Mittels persönlicher Erfahrungen aus unserem privaten <strong>und</strong> beruflichen Umfeld, durch<br />

Gespräche <strong>und</strong> gezielte Fragen an namhafte Experten, die sich seit langer Zeit mit Kindern in<br />

Verlustsituationen beschäftigen <strong>und</strong> das Studium von Fachliteratur versuchten wir die<br />

kindlichen Bedürfnisse herauszufinden. Wir wollten einen Versuch unternehmen, ihre<br />

Erlebnisweisen <strong>und</strong> Bewältigungsmechanismen herauszufinden, um günstige<br />

Voraussetzungen für den Umgang von Betreuenden <strong>und</strong> professionellen Helfern mit dem<br />

Thema Sterben <strong>und</strong> Tod im Umgang mit Kindern zu schaffen.


2. Die Expertenr<strong>und</strong>e<br />

<strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

2.1 Entwicklung eines Gesprächstleitfadens<br />

Als Gesprächsleitfaden dienten die 9 Fragen (s. Tabelle 1), die wir aus dem Studium der<br />

Literatur <strong>und</strong> dem Internet als jene Fragen definiert hatten, von welchen wir dachten, dass sie<br />

Betreuern von Kindern in den Sinn kämen. Zur Entwicklung jener Fragen gab es ein<br />

Gruppentreffen am 25.11.2002 im St. Anna Kinderspital. Schwierig erwies es sich aus den<br />

erworbenen Kenntnissen, die aus der Literatur gezogen worden sind, sich in die „Gegenüber-<br />

Position“ des Fragenden einzufühlen. Schwierig war es auch, die Fragen klar zu formulieren<br />

<strong>und</strong> auf eine praktikable Anzahl zu reduzieren sowie Red<strong>und</strong>anz zu vermeiden. Die Fragen<br />

wurden an Peter Fässler-Weibel geschickt <strong>und</strong> von ihm durch zusätzliche Fragen erweitert.<br />

Tabelle 1: Die 9 Fragen<br />

1. Wie erkläre ich einem Kind die Begriffe „Sterben“ <strong>und</strong> „Tod“?<br />

2. Kann Kindern die Wahrheit zugemutet werden?<br />

Wie verhalten sich Kinder bei schlimmen Nachrichten?<br />

3. Wie soll ein Kind in den Krankheitsverlauf <strong>und</strong> Sterbeprozess eines Angehörigen einbezogen werden?<br />

Weshalb?<br />

4. Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn ein Geschwisterkind stirbt?<br />

5. Sollen Kinder bei Begräbnissen dabei sein?<br />

Wie muss man sich verhalten, wenn die Kinder Schwierigkeiten machen?<br />

6. Wie kann ich wahrnehmen wenn ein Kind trauert?<br />

Wie trauern Kinder?<br />

7. Was sind dabei typische kindliche Bedürfnisse? (Angebote, Rituale)<br />

8. Gibt es Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, die Sie auf unbewältigte Trauer zurückführen<br />

Gibt es bei Kindern psychische Störungen, die besonders beachtet werden müssen?<br />

9. Gibt es Möglichkeiten, mit diesem Thema im Alltag präventiv umzugehen?<br />

kursiv: Fragen, die Peter Fässler-Weibel hinzugefügt hat


2.2 Organisation des Abends<br />

Alle Mitglieder der Projektgruppe hatten die Aufgabe, in den für sie verfügbaren Quellen<br />

nach Experten zum Thema „Bedürfnisse von Kindern im Umgang von wichtigen<br />

Bezugspersonen“ zu suchen <strong>und</strong> sie <strong>und</strong> ihre Erreichbarkeit per email mitzuteilen. Die<br />

Quellen waren das Internet, Informationsbroschüren, persönliche Bekanntschaft oder der<br />

allgemeine Bekanntheitsgrad der relevanten Persönlichkeiten. Die Emailadressen bzw.<br />

Institutsadressen der Experten waren im internet (www.google.com) oder durch das Herold-<br />

OTB mit geringem Aufwand zu finden. Fast alle Experten waren mit email erreichbar, an sie<br />

wurde um den 2.11.2002 eine Einladung 1 zum Expertentreffen für den 8.12.2002 (den freien<br />

Montagabend des 2. Lehrgangsmoduls) geschickt. Die verbliebenen Experten wurden auf<br />

dem Postweg eingeladen. Fast alle haben kurz darauf telefonisch, durch email oder per Brief<br />

geantwortet:<br />

Tabelle 2: Personen, an die eine Einladung zum Expertentreffen ergangen ist<br />

Legende: g = geantwortet; z = zugesagt ; e = erschienen, � Einladung weitergereicht; Fettschrift:<br />

Expertenr<strong>und</strong>e<br />

<strong>Dr</strong>. Ruthmarijke Smeding, Norwegen g<br />

<strong>Dr</strong>. Gertrude Bogyi, Wien g<br />

<strong>Dr</strong>. Gabriele Visy, NÖ Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft g/z<br />

Peter F. Herdina, Verein für Existenz- <strong>und</strong> Familienberatung EXUF, Wien, g/z/e<br />

Univ. Doz. <strong>Dr</strong>. Franz Rosenmayr, Wien g/z/e<br />

Peter Fässler-Weibel g/z/e<br />

Mag. Marion Waldemair g/z/e<br />

Univ. Prof. <strong>Dr</strong>. Max Friedrich<br />

Sabine Janouschek � Mag. Hemma Bernhauser, Hospiz Steiermark g<br />

Prim. <strong>Dr</strong>. Werner Leixnering, Linz g<br />

Mag. Renate Fuiko, Wien g<br />

<strong>Dr</strong>. Roswitha Donner, Wien g/z<br />

SIDS – Forschungs-, Beratungs- <strong>und</strong> Koordinationszentrum an der Universitätskinderklinik<br />

Verein Kinderbegleitung, Wien � Verein emotion, Enns g<br />

Beratungsstelle Kinderdrehscheibe<br />

Es war nicht absehbar, wie viele der Eingeladenen tatsächlich kommen würden. Um die<br />

Anzahl der Personen nicht über eine kritische Menge zu bringen, die einem lebendigen<br />

1 s. Anhang


Gespräch abträglich ist (tatsächlich anwesende Personen = X +5 Gruppenmitglieder), wurde<br />

darauf verzichtet, eine Kumulation von Spezialisten heraufzubeschwören <strong>und</strong> mehr als die<br />

o.g. 15 Einladungen auszugeben. Als Organisator des Expertenabends hätte ich erwartet, dass<br />

die betroffene Personengruppe einschlägige psychosoziale Erfahrung (Gesprächsführung/leitung,<br />

Strukturierung, etc.) hätte <strong>und</strong> in zu großer Personenzahl unkoordinierbar wird.<br />

Die Rückmeldungen waren durchaus sehr positiv, so dass davon ausgegangen werden kann,<br />

dass es auch den Experten ein großes Anliegen ist, dieses Thema öffentlich zu diskutieren.<br />

Die ursprüngliche Idee (<strong>Weixler</strong>), den ORF einzuladen <strong>und</strong> mit dieser Aussicht die Publizität<br />

<strong>und</strong> die Motivation der Experten zur Teilnahme zu erhöhen, wurde wegen der Kurzfristigkeit<br />

des Termins, des damit verb<strong>und</strong>enen Aufwandes <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der Annahme, dass man mit<br />

diesem Schritt „die Regie“ aus der Hand gibt, wieder verlassen. Die Antworten mancher<br />

Eingeladener würden jedoch zu einem solchen Vorgehen (Radio/Fernsehen) <strong>und</strong> damit zu<br />

einer größeren Publizität ermutigen:<br />

Tabelle 3: Antworten (Auszüge) von Experten, die nicht teilnehmen konnten:<br />

„wäre gern gekommen ... über die Kinder lernt man nie aus .... würde mich freuen, Ihnen zu einem späteren<br />

Zeitpunkt noch einmal zu diesem wichtigen Thema zu treffen“ (Ruthmarijke Smeding)<br />

„... kann daher an Ihrem, wie ich denke sehr wichtigen <strong>und</strong> interessanten Expertengespräch nicht teilnehmen.<br />

Wenn es ein anderes Mal klappen sollte, stehe ich gern zur Verfügung.“ (Renate Fuiko)<br />

„Leider habe ich zu diesem Zeitpunkt einen anderen Termin, werde noch versuchen, ihn zu verschieben“<br />

(Gertrude Bogyi)<br />

„...prinzipiell sehr interessiert ... Termin leider zu knapp... (Werner Leixnering)<br />

„... Frau Mag. Bernhauser hat gr<strong>und</strong>sätzlich großes Interesse, kann aber aus terminlichen Gründen nicht<br />

teilnehmen..“ (Margit Lind, Hospizverein Steiermark)<br />

Aus den Rückmeldungen war zu entnehmen, dass ein Zeitraum von 5 Wochen von Annonce<br />

bis Termin für viele Eingeladenen einfach zu kurz ist. Die Termingebarung des<br />

Palliativlehrganges hat ein solches Zeitmanagement nahegelegt. Bei planbaren<br />

Veranstaltungen der Zukunft sollte man daher in weiteren Zeiträumen denken.<br />

Schon während des ersten Lehrgangsmoduls wurde an Hildegard Teuschl von der Kardinal-<br />

König-Akademie die Frage gestellt, ob wir für die Veranstaltung einen Raum der Akademie<br />

verwenden könnten. In einem email an Frau Leena Stachl <strong>und</strong> Hildegard Teuschl habe ich<br />

angefragt, ob uns die Akademie bei der Ausstattung des Raumes (Tische, Sessel, Flipchart,<br />

Stifte) unterstützen würde. Ich erhielt eine sehr fre<strong>und</strong>liche Zusage, in der die Überraschung<br />

Ausdruck fand, so umsichtige <strong>und</strong> gewissenhafte Lehrgangsteilnehmer anzutreffen. Die


Anfrage, ob die Küche der Akademie Brötchen <strong>und</strong> Getränke gegen Bezahlung bereitstellen<br />

könnte, wurde positiv beantwortet – Raummiete <strong>und</strong> Kosten für das Buffet wurden in<br />

entgegenkommender Weise von der Kardinal-König-Akademie übernommen.<br />

Auf Empfehlung eines Musikexperten 1 suchte ich ein Spezialgeschäft für Tontechnik in Wien<br />

auf, um ein Digitalaufnahmegerät mit Hochleistungs-Kondensatormikrophon um € 700.- zu<br />

erwerben. Dieses mit 4 Tonspuren ausgestattete Gerät sollte geeignet sein, das<br />

Expertengespräch aufzuzeichnen <strong>und</strong> es einer entsprechenden digitalen Weiterverarbeitung<br />

zuzuführen (CD-Produktion für alle Teilnehmer), Texttranskription durch Sekretärin.<br />

Die Projektteilnehmer wurden ersucht, trotz technischer Unterstützung handschriftliche<br />

Notizen zu machen.<br />

2.3 Praktische Durchführung<br />

Der Raum wurde so vorbereitet, dass die „Fragen an die Experten“ auf Flipchartbögen in<br />

großer Schrift notiert waren 2 , die Sitzpositionen wurden so gewählt, dass die Gäste der<br />

Projektgruppe ohne Mühe auf diese Fragen sehen konnten. Die Experten (Univ. Doz. <strong>Dr</strong>.<br />

Franz Rosenmayr, Mag. Marion Waldemair, Peter F. Herdina <strong>und</strong> Peter Fässler-Weibel 3 )<br />

versammelten sich im Raum Pro Oriente des Kardinal-König-Hauses <strong>und</strong> wurden<br />

miteinander bekannt gemacht.<br />

Die Moderation <strong>und</strong> Strukturierung des Abends wurde <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong> zugedacht. Nach<br />

einer kurzen Begrüßung <strong>und</strong> groben Erläuterung des Projekts wurden die Experten auf die<br />

Fragen des Interesses hingewiesen <strong>und</strong> gebeten sich zur Einleitung vorzustellen <strong>und</strong> die<br />

eigene berufliche <strong>und</strong> persönliche Position zum Thema „Bedürfnisse von Kindern als<br />

Angehörige von Schwerkranken <strong>und</strong> Sterbenden“ darzustellen. Es wurde ein Zeitrahmen von<br />

2 St<strong>und</strong>en für das Gespräch vorgeschlagen <strong>und</strong> akzeptiert.<br />

Sehr bewusst wurde versucht, die Flüssigkeit <strong>und</strong> den Ductus des Gespräches nicht durch<br />

moderatorische Interaktion zu stören. Der Fluss eines Gesprächs sollte nicht durch „Abhaken<br />

von erledigten Fragen im Interviewstil“ zergliedert werden. Dem Ziel, eine „gute bzw.<br />

wertvolle Zeit miteinander“ zu haben, wurde der Ehrgeiz auf Vollständigkeit/gleichwertige<br />

Behandlung der Fragen/Einhalten der Zeitdisziplin für die zu beantwortenden Fragen<br />

hintangestellt. Im Gespräch waren die anwesenden 4 Experten <strong>und</strong> 5 Gruppenmitglieder<br />

1 Prof. Gottfried Martin, Multi-Media-So<strong>und</strong>-Studio, Wr. Philharmoniker<br />

2 s. Anhang/Foto<br />

3 in order of appearence


miteinander sehr respektvoll. Es war befürchtet worden, dass Experten andere<br />

Gesprächsteilnehmer durch langwierige Monologe <strong>und</strong> Einnehmen von Gegenpositionen<br />

unter <strong>Dr</strong>uck bringen. Bei den Anwesenden war das Gegenteil der Fall, die Gesprächskultur<br />

kann als sehr behutsam <strong>und</strong> zuvorkommend bezeichnet werden, auch wenn längst nicht<br />

immer Übereinstimmung im Denken <strong>und</strong> Dafürhalten zu erkennen war. Die Auffassungen<br />

waren nuanciert verschieden, in den Hauptaussagen herrschte große Übereinstimmung,<br />

Details wurden mitunter energisch bzw. engagiert diskutiert.<br />

Peter Fässler-Weibel konnte mehrfach Gelegenheit finden, die wenig interagierende<br />

Moderation auf „mehr Struktur !“ hinzuweisen, es schien ihm dringlich zu sein.<br />

Aber es war ohne wesentlichen Effekt. <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong> hat in einem Nachsatz erwähnt, er<br />

erkenne, dass er wahrscheinlich der ungeeignetste Moderator sei, den man denken könne, weil<br />

er kein „Begrenzer“ sei – sei es aus Respekt oder aus Schwäche.<br />

Alle Fragen wurden im 2-stündigen Gespräch erörtert, wobei zu erkennen war, dass die<br />

Experten sich an den sichtbaren Fragen (flipchart) selbst orientiert haben. Die Experten<br />

stellten das Projekt während des Gesprächs nicht in Frage, sondern konzentrierten sich<br />

ausschließlich auf das gewählte Thema. Die eingeladenen Gäste der Gruppe haben durch ihr<br />

hohes Engagement unterstützt, sie haben die gebotene Struktur angenommen <strong>und</strong> sich daran<br />

gehalten.<br />

Die Tonaufnahme durch den Audiorecorder war erfolglos.<br />

Das Gerät zeigte während des Gesprächs zwar Eingangssignale, auf dem Speichermedium<br />

(128 MB-smart-media-card) waren jedoch nach 120 Minuten Aufzeichnung nicht einmal<br />

3MB belegt – das heißt, die Aufzeichnung war fehlgeschlagen.<br />

Zwei der anwesenden Experten gaben dann spontan positives feedback, Peter Fässler Weibel<br />

am nächsten Kurstag („ ... phantastisches Gespräch gestern Abend...“) <strong>und</strong> Franz Rosenmayr<br />

(„Gerne, etwas skeptisch bin ich nach Lainz gekommen. Das Vorhaben schien mir allzu groß;<br />

froh <strong>und</strong> zufrieden fuhr ich heim. Das engagierte persönliche Arbeiten war ein wohltuendes<br />

Erlebnis. Die Punktegliederung hilfreich“).<br />

Franz Rosenmayr gibt in einem Brief an <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong> 1 zu bedenken, dass eine schriftliche<br />

erläuternde Hilfe 2 , die für die Familie in Not, professionelle Helfer <strong>und</strong> Personen der<br />

Umgebung sinnvoll lesbar ist, aufgr<strong>und</strong> der so sehr unterschiedlichen Situation der 3<br />

Lesergruppen nicht möglich erscheint – sinnvoll sei nach seinem Dafürhalten A) eine Schrift<br />

für noch nicht Betroffene (Prophylaxe) <strong>und</strong> B) eine Schrift für professionelle <strong>und</strong><br />

nichtprofessionelle Helfer.<br />

1 persönlicher Brief vom 6.1.2003<br />

2 Folder


Die handschriftlichen Notizen der 5 Gruppenmitglieder wurden am nächsten Tag in sehr<br />

knapper Form zusammengefasst (siehe 2.4 )<br />

2.4 Zusammenfassung der Expertenr<strong>und</strong>e am 9.12.2002<br />

Christa Plazet<br />

Anwesende:<br />

• Univ. Doz. <strong>Dr</strong>. Franz Rosenmayr; PA, KFA, Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiater, ehemals<br />

beschäftigt an der Universitätskinderklinik Wien (R)<br />

• Mag. Marion Waldenmayer, Psychologin <strong>und</strong> Psychotherapeutin im St. Anna Kinderspital<br />

(M)<br />

• Peter F. Herdina, freier Psychotherapeut, Leiter der Beratungsstelle EXUF (Existenz- <strong>und</strong><br />

Familienberatung) 15 jährige Tätigkeit in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit (H)<br />

• Peter Fässler-Weibel, Paar- <strong>und</strong> Familientherapeut, Projektleiter für Katastrophen-<br />

Intervention, Kursleiter <strong>und</strong> Referent von Palliativlehrgängen (F)<br />

R: Vor dem 7. LJ hat Sterben keine Endgültigkeit, Übergangsstadium, erst ab 7. LJ erfolgt<br />

intensive Auseinandersetzung mit dem Tod<br />

Frage: Wie erkläre ich einem Kind die Begriffe Tod <strong>und</strong> Sterben?<br />

H: Man könne diesen Begriff nicht erklären <strong>und</strong> Metaphern wären eine Erweiterung der<br />

Verwirrung.<br />

Welche Bilder tragen Kinder über Tod <strong>und</strong> Sterben in sich?<br />

W: Man kann alle verwenden, die der erklärenden Person oder dem Kind vertraut sind, aber<br />

man muss als aufklärende Person sich selbst über den eigenen Begriff von Tod <strong>und</strong> Sterben<br />

im Klaren sein.<br />

H: Lebendiges definieren, Sterben als Beendigung des Lebendigen definieren <strong>und</strong> Tod als<br />

Ende des Lebendigen definieren.<br />

Ehrliche Antworten geben, Brauchtum


Im Vorschulalter verarbeiten Kinder mittels kognitivem Verständnis – wollen alles ganz<br />

genau wissen, Trauer fehlt <strong>und</strong> das emotionale Verständnis ist noch nicht entwickelt.<br />

Nur eine bedingungslose Ehrlichkeit ist hilfreich.<br />

Keine Hilfs- oder Überbrückungsangebote stellen, keine Lügen.<br />

Bsp.: Bub liegt tot im Sarg, Pfarrer sagt: „Er ist im Himmel <strong>und</strong> schaut von der Wolke herab.“<br />

Kind sagt: „Heute sind ja gar keine Wolken am Himmel.“<br />

Bezugsperson für das Kind suchen, die sich dieses Themas annimmt, wenn man als<br />

Aufklärender selbst stark betroffen ist. Wenn zum Bespiel ein Geschwisterkind stirbt, kann<br />

nicht gleichzeitig das sterbende <strong>und</strong> das lebende Kind betreut werden.<br />

Schuldfrage: Kinder suchen für alles, was in der Familie passiert, die Schuld bei sich.<br />

Schuldfrage aufarbeiten, aber die Schuld nicht konkret ansprechen, das erzeugt<br />

Schuldgefühle, sondern auf konkrete Reaktionen oder Fragen des Kindes reagieren.<br />

Bsp.: Der Mama am Vorabend keinen Kuss gegeben zu haben, ist nicht Schuld am<br />

plötzlichen Tod durch Hirnblutung.<br />

Überlebensschuld von Geschwisterkindern<br />

- in unserer Familie muss man erst tot sein, um geliebt zu werden<br />

- vielleicht hätte ich sterben sollen <strong>und</strong> nicht mein Bruder, dann wären die Eltern nicht<br />

so traurig<br />

Kinder sind gr<strong>und</strong>sätzlich neugierig, eine Traumatisierung soll beim Primärevent vermieden<br />

werden, Interesse des Kindes soll unterstützt werden.<br />

H: Kinder werden bei diesen Ereignissen oft affektiv ersäuft, zu viel materielle <strong>und</strong> zu viel<br />

emotionale Zuwendung.<br />

Wichtig ist die Erhaltung des normalen Tagesablaufes.<br />

Individualität in der Entscheidung, aber absolute Ehrlichkeit.<br />

Tod <strong>und</strong> Sterben sind eine unvermeidbare Lebenskrise. Kinder erleben Verwirrungszustand<br />

der Erwachsenen.


W: „Verlust von emotionaler Sicherheit ist das, was das Kind zu Verhaltensweisen provoziert,<br />

die das System stützen.“<br />

Der Großteil der Kinder reagiert mit Rückzug <strong>und</strong> Angepasstheit, jedes Verhalten eines<br />

trauernden Kindes ist möglich.<br />

Vor allem angepasste Kinder explodieren in der Pubertät.<br />

Verstörung des Systems ruft die jeweiligen kindlichen Verhaltensweisen hervor, nicht das<br />

Trauma an sich.<br />

R: 3-5jährige flüchten in Phantasienwelten.<br />

W: In der Störung liegt die Ressource. (reanimierter Großvater – am Thorax turnender Enkel)<br />

Sprache von Kindern <strong>und</strong> Erwachsenen sind unterschiedlich. Wenn ein Kind über Trauerfall<br />

nicht spricht, ist es ein eindeutiges Symptom für unbewältigte Trauer. Solange das Verhalten<br />

eines ist, das nicht zu Lasten einer einzelnen Person geht, ist es ein normales Verhalten.<br />

Kinder haben einen extremen <strong>Dr</strong>aht, wissen auf nicht kognitiver Ebene oft vieles im Voraus.<br />

Kinder kann alles zugemutet werden, weil sie auf nichtkognitiver Ebene schon alles erfahren<br />

haben, bevor ein Wort zu ihnen gesprochen wurde.<br />

Mit der Wahrheit nicht überfordern.<br />

Schlimme Nachricht ist die, die das Kind in der Unsicherheit lässt.<br />

Geheimnisse in der Gruppe werden oft besser getragen (Suizid)<br />

Nie Geheimnisse alleine tragen!<br />

Schädlich: Ausgrenzung, Verschonung, Tabuisierung, Isolation, Gettoisierung<br />

Förderlich: Offenheit, Ehrlichkeit, Klarheit, Direktheit, Zugeben der eigenen Begrenztheit<br />

Selbsthilfegruppen – Hilfe für Kinder mit Gleichgesinnten zu sprechen.


3. Persönliche Beiträge<br />

3.1 Wie erkläre ich einem Kind die Begriffe Sterben <strong>und</strong> Tod?<br />

Bettina Soucek-Hadwiger<br />

Die Auseinandersetzung mit Kindern über die Begriffe Sterben <strong>und</strong> Tod bedeutet eine<br />

intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Verlusterlebnissen, Reflexion des eigenen<br />

Umganges mit Verlust, Abschied <strong>und</strong> Trauer, sowie die Bereitschaft, eigene Trauer<br />

zuzulassen <strong>und</strong> wahrzunehmen. Erst wenn wir uns unserer eigenen Angst stellen, können wir<br />

Kinder förderlich begleiten <strong>und</strong> unterstützen.<br />

Oft versuchen Erwachsene dem Kind Leid <strong>und</strong> Schmerz zu ersparen <strong>und</strong> bedenken dabei<br />

nicht, dass durch diese wohlgemeinte Schonhaltung nicht selten die Trauerarbeit erschwert<br />

oder oft sogar unmöglich gemacht wird.<br />

Bei der Auseinandersetzung mit einem Verlust durch Tod sind folgende Dinge zu<br />

berücksichtigen:<br />

- Alter, Entwicklungsstufe, Persönlichkeitsstruktur <strong>und</strong> psychosoziales Umfeld des Kindes<br />

- Wie ist der Informationsstand bezüglich der Begriffe Sterben <strong>und</strong> Tod<br />

- An- bzw. Abwesenheit des Kindes beim Tod der Bezugsperson<br />

- Begleitumstände <strong>und</strong> Art des Todes- wie ist der Informationsstand des Kindes<br />

( Plötzlicher oder langsamer Tod, Suizid, Zeuge des Todes- vorbereitet oder unvorbereitet,<br />

Zeuge eines Mordes)<br />

- Art der Beziehung zwischen Kind <strong>und</strong> verstorbener Person<br />

- Anzahl der schwerwiegenden Verluste, die das Kind bereits bewältigen musste<br />

- Soziales Umfeld des Kindes bzw. des Verstorbenen<br />

Je jünger ein Kind zum Zeitpunkt des Verlustes einer primären Bezugsperson ist, desto größer<br />

können die späteren Auswirkungen sein. Das Ziel sollte sein, durch die Auseinandersetzung<br />

möglichst günstige Bedingungen für eine normale Weiterentwicklung zu schaffen. Der<br />

Meinung, dass Trennung <strong>und</strong> Verlust gr<strong>und</strong>sätzlich ungünstige Langzeitfolgen nach sich


ziehen, muss klar widersprochen werden z.B. wird der Verlust eines Elternteiles erst dann<br />

zum Risikofaktor für die weitere kindliche psychische Entwicklung, wenn er auf lange Sicht<br />

mit Traumatisierung verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Konzepte von Leben <strong>und</strong> Tod entwickeln sich erst nach <strong>und</strong> nach, weshalb altersabhängig das<br />

Todesverständnis unterschiedlich ist, wobei die Verarbeitung jeweils auf kognitiver <strong>und</strong><br />

emotionaler Ebene abläuft.<br />

Sehr wichtig in der Aufarbeitung dieses Themas ist auch die Berücksichtigung, welche Rolle<br />

die verstorbene Person im Leben des Kindes hatte - wie groß ist der Verlust bzw. was ist dem<br />

Kind für seine weitere Entwicklung verloren gegangen. So wird etwa die Entwicklung der<br />

Adoleszenz, die als Aufgabe die Ablösung von den Eltern hat, anders verlaufen, wenn ein<br />

Elternteil schon früh verstorben ist.<br />

Neben dem sozialen Umfeld, kultureller Einflüsse, der Religion <strong>und</strong> der Persönlichkeit<br />

des Kindes spielt besonders das Alter eine große Rolle bei der Reaktion <strong>und</strong><br />

Verarbeitung von Verlust- <strong>und</strong> Todeserlebnissen.<br />

In der Welt des Vorschulkindes wird kein Unterschied zwischen belebten <strong>und</strong> unbelebten<br />

Dingen gemacht. Ausgehend von sich werden allen Dingen ihrer Umgebung menschliche<br />

Eigenschaften zugeordnet : “Du böser Tisch, hast Lukas weh getan!“ Hexen, Zauberer <strong>und</strong><br />

andere Fabelwesen werden für all das verantwortlich gemacht, was nicht verstanden werden<br />

kann. Alle Dinge des Lebens sind gemacht – entweder vom lieben Gott oder von Wesen der<br />

Natur, vom Christkind, vom Nikolaus, vom Osterhasen ...<br />

Das Kind selbst sieht sich im Weltmittelpunkt. Es kann nur die Dinge verstehen, die es selbst<br />

sehen, hören, anschauen oder angreifen kann. Für Kinder in diesem Alter ist das emotionale<br />

Gedächtnis, die Gefühle, die im Zusammenhang mit einem Ereignis entstehen von besonders<br />

großer Bedeutung. Starke emotionale Erlebnisse bleiben so oft ein Leben lang gefühlsmäßig<br />

erhalten <strong>und</strong> können bei ähnlichen Erfahrungen wiederbelebt werden.<br />

Kinder in diesem Alter sind besonders darauf angewiesen zu erfahren, was sich für sie durch<br />

den Tod einer wichtigen Bezugsperson verändert bzw. dass sich an ihren täglichen<br />

routinemäßigen Abläufen so wenig wie möglich verändert- Kinder brauchen Sicherheit,<br />

welche durch Aufrechterhaltung der gewohnten Strukturen gewährleistet wird<br />

Kindern unter 3 Jahren fehlt die Möglichkeit, abstrakte Begriffe zu erfassen. Rational können<br />

sie die Bedeutung des Todes noch nicht erfassen, wohl aber emotional. Aufgr<strong>und</strong> ihres


emotionalen Gedächtnisses schwingen sie mit ihrer Umgebung gefühlsmäßig mit, spüren die<br />

Trauer <strong>und</strong> fühlen sich in ihrem positiven Lebensgefühl irritiert. Das äußert sich oft in<br />

erhöhter Reizbarkeit in Form von Quengelei, Essensverweigerung <strong>und</strong> Schlafstörungen. Die<br />

vertraute Welt ist auf einmal anders geworden. Gerade in solchen Situationen ist es besonders<br />

wichtig, dass der tägliche Rhythmus des Kleinkindes, falls erforderlich auch durch eine<br />

zusätzliche Bezugsperson, aufrecht erhalten wird. Eben durch diese Regelmäßigkeit des<br />

Tagesablaufes kann dem Kind Sicherheit <strong>und</strong> Geborgenheit vermittelt werden. Für<br />

Kleinkinder ist der Tod gleichbedeutend mit einer kurzdauernden Abwesenheit, die<br />

Endgültigkeit kann noch nicht erfasst werden.<br />

Im Alter von etwa 3 bis 5 Jahren entwickeln Kinder eine große Neugierde für alles, was sich<br />

in ihrer Umgebung abspielt. Sie wollen durch Erfragen alles begreifen, können allerdings mit<br />

dem abstrakten Begriff Tod noch immer nicht wirklich umgehen, allerdings sehr wohl,<br />

bedingt durch ihr emotionales Gedächtnis mit den damit verb<strong>und</strong>enen Gefühlen. Tod ist in<br />

diesem Alter sehr oft gleichbedeutend mit „Weg- Sein“. Der Tod trifft alte, kranke<br />

Menschen, nie jedoch das Kind selbst, das sich in diesem Alter für unsterblich hält. Der Tod<br />

ist immer der Tod anderer.<br />

Im Gr<strong>und</strong>schulalter beginnt das Kind langsam zwischen belebten <strong>und</strong> unbelebten Dingen zu<br />

unterscheiden: alles was sich bewegt, lebt.<br />

Die Kinder beginnen zu begreifen, dass mit dem Tod eines Menschen alles, was seine<br />

Lebendigkeit <strong>und</strong> Buntheit ausgemacht hat, aufhört zu existieren. Sie fangen langsam an zu<br />

verstehen, dass das Sterben ein Ereignis ist, das für alles Lebendige zutrifft – Pflanzen, Tiere<br />

<strong>und</strong> Menschen – auch die eigene Person ist sterblich. Oft beginnen Kinder in diesem Alter<br />

Fragen nach Verstorbenen zu stellen, nach dem , was uns diese hinterlassen haben an<br />

Erinnerungen, Ähnlichkeiten etc. Sie beginnen sich mit der Endgültigkeit des Todes, der<br />

eigenen Endlichkeit , dem Jenseits <strong>und</strong> der Leib- Seele- Problematik auseinanderzusetzen.<br />

Kinder durchlaufen wie Erwachsene einen Trauerweg, der allerdings oft viel „bunter“ , in<br />

einem anderen Tempo <strong>und</strong> andere Ausdrucksformen zeigt. Sie leben den Moment, den<br />

Augenblick <strong>und</strong> diese Eigenheit macht auch vor Zeiten der Trauer nicht Halt.<br />

- So kann es geschehen, dass Kinder tränenüberströmt in die Arme der Mutter flüchten,<br />

wenn ihr Lieblingsspielzeug kaputt geht, <strong>und</strong> im nächsten Augenblick können sie sich schon<br />

einer anderen Tätigkeit zuwenden.<br />

- Ebenso kann es passieren, dass ein Kind ganz untröstlich über den Tod seines Haustieres<br />

ist, <strong>und</strong> im nächsten Moment lachend mit seinen Fre<strong>und</strong>en spielen geht.


Typisch für Kinder in diesem Alter ist, dass es im Zusammenhang mit einem Todesfall sehr<br />

oft zur Entwicklung heftiger Schuldgefühle kommen kann. Die Kinder fühlen sich oft durch<br />

ihr eigenes „Fehl“verhalten Schuld am Tod <strong>und</strong> sie glauben gerade in diesem Alter sehr oft<br />

daran, dass man Situationen herbeidenken kann. Dieser Umstand erfordert oft intensive<br />

Auseinandersetzung <strong>und</strong> Trost.<br />

Im frühen Jugendalter, etwa zwischen 10 <strong>und</strong> 14 Jahren, wird der Zugang zu den Dingen des<br />

Lebens entsprechend dem Entwicklungsprozess der Kinder immer ähnlicher dem der<br />

Erwachsenen. Die Bedeutung des unmittelbaren Augenblicks tritt zurück <strong>und</strong> es löst sich das<br />

Denken <strong>und</strong> Fühlen immer öfter vom unmittelbar Erlebten <strong>und</strong> wendet sich mehr <strong>und</strong> mehr<br />

der Zukunft zu. Durch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte <strong>und</strong> der der Familie<br />

erlangen Kinder in diesem Alter die Erkenntnis, dass vor jedem Neubeginn ein Abschied<br />

liegt. Das Lebenswerk der verstorbenen Familienmitglieder war oft die Gr<strong>und</strong>lage für Dinge<br />

in ihrer unmittelbaren Lebensumgebung. Diese Lebensphase ist oft gekennzeichnet durch<br />

heftige Gefühlsschwankungen <strong>und</strong> jeder Verlust bringt seinerseits neue enorme seelische<br />

Spannungen mit sich. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist ein aktueller Verlust umso schwerer zu<br />

verarbeiten, je heftigeren Stimmungsschwankungen der Jugendliche zum Zeitpunkt des<br />

Ereignisses ausgesetzt ist. In solchen Situationen kann oft die Hilfestellung durch Eltern oder<br />

andere Begleiter erforderlich werden.<br />

Um etwa das 14. Lebensjahr sind die wesentlichen Prozesse in der emotionalen <strong>und</strong> geistigen<br />

Entwicklung abgeschlossen <strong>und</strong> es sind alle Voraussetzungen gegeben, um die Welt wie ein<br />

Erwachsener zu begreifen. Ab diesem Alter gibt es zwischen dem Todesverständnis älterer<br />

Jugendlicher bzw. junger Erwachsener <strong>und</strong> dem Erwachsenen kaum einen Unterschied.<br />

Literatur:<br />

Specht-Toman Monika, Tropper Doris: Zeit zu trauern; Patmos, 2000<br />

Jellenz-Siegel B.: Trauer von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen; in: Jellenz-Siegel B., Prettenthaler<br />

M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir; Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong><br />

Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft<br />

m.b.H., 2001


3.2 Kann Kindern die Wahrheit zugemutet werden?<br />

Bettina Soucek-Hadwiger<br />

Diese Frage birgt die Ermutigung an die Erwachsenen in sich, vor den Kindern ihre eigenen<br />

Gefühle <strong>und</strong> ihre Trauer zuzulassen. Schlimm ist nicht die Wahrheit, schlimm ist, wenn man<br />

nicht miteinander weinen darf.<br />

Kinder sind davon abhängig, wie <strong>und</strong> mit welchen Worten ihnen von einem schlimmen<br />

Ereignis berichtet wird <strong>und</strong> sie benötigen zu ihrer eigenen Sicherheit die Information, was<br />

sich für sie verändern wird.<br />

Klare eindeutige Formulierungen geben klare Informationen <strong>und</strong> unterstützen den kindlichen<br />

Trauer- <strong>und</strong> Abschiedsprozess. Auf diese Weise wird ihnen die Verarbeitung <strong>und</strong> Anpassung<br />

an neue Lebenssituationen erleichtert. Gr<strong>und</strong>lage für ein Gespräch über Tod <strong>und</strong> Sterben<br />

bildet das eigene Glaubens- <strong>und</strong> Weltbild, bzw. die eigene Auseinandersetzung <strong>und</strong> Reflexion<br />

mit dem Umgang mit Abschied <strong>und</strong> Trauer. Erwachsene sollen entsprechend der psychischen<br />

Entwicklung des Kindes unbedingte Gesprächsangebote stellen - Kinder wären überfordert,<br />

wenn man auf ein Gespräch durch sie warten würde. Die Formulierung in Form von<br />

Metaphern („Er ist heimgegangen“, „Sie ist eingeschlafen“, „ Gott hat ihn zu sich<br />

genommen“) kann bei Kindern zu Verwirrung führen <strong>und</strong> den Glauben wecken, man würde<br />

die Unwahrheit sprechen. Die Folge könnten Schlafstörungen, Ängste oder Hassgefühle sein.<br />

Sich zu erinnern ist eine Form aktiver Trauerarbeit <strong>und</strong> gelingt oft in der Gemeinschaft<br />

leichter. Gegenstände, mit denen Verstorbene in Verbindung gebracht werden, wie Fotos,<br />

Filme, Lieblingskleidungsstücke, Bücher etc. sowie gemeinsam durchlebte Begebenheiten<br />

bekommen in dieser Form der gemeinsamen Bearbeitung einen besonderen Wert <strong>und</strong> Platz.<br />

Kinder leben verstärkt in der Gegenwart, was oft zur Folge hat, dass Trauerphasen kürzer sind<br />

<strong>und</strong> ein rascher Wechsel zwischen belastender Situation <strong>und</strong> Alltag auftritt. Wichtig für<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche ist eine Unterstützung in ihrem Trauerprozess, wobei Rituale Halt<br />

geben z.B. Trauerfeierlichkeiten <strong>und</strong> die Gewissheit, dass alle Gefühle „richtig <strong>und</strong> erlaubt“<br />

sind. In der Auseinandersetzung mit der „Wahrheit“ ist es wichtig, die Möglichkeit des<br />

Aufbaues neuer Beziehungen zu geben <strong>und</strong> die Suche nach Menschen, die einfühlend <strong>und</strong><br />

wertschätzend dem Kind gegenübertreten, die Kinder auf dem Weg begleiten (z.B. Fre<strong>und</strong>e,


Nachbarn) zu unterstützen, denn „es führt kein Weg an der Trauer vorbei, sondern nur durch<br />

sie hindurch.“ (1)<br />

Durch den Tod einer wichtigen Bezugsperson, eines Elternteiles z.B. kommt es zu einer<br />

Veränderung im bestehenden Beziehungsdreieck <strong>und</strong> der Verlust eines Elternteiles wird erst<br />

dann zum Risikofaktor für die weitere psychische kindliche Entwicklung, wenn er mit einer<br />

langdauernden Traumatisierung verb<strong>und</strong>en ist. Kinder übernehmen oft<br />

Alltagsverpflichtungen, die zuvor der jetzt verstorbene Partner/in inne hatte, da sie sich für<br />

den verbliebenen Elternteil mitverantwortlich fühlen. Kindliche Schuldgefühle sind oft die<br />

Folge unzureichender Auseinandersetzung der Erwachsenen mit den Kindern, v.a. beim<br />

Suizid eines Elternteiles oder Tod eines Geschwisterkindes fühlen sich Kinder besonders<br />

schuldig. Es ist wichtig die Schuldfrage aufzuarbeiten, man sollte auf konkrete Reaktionen<br />

oder Fragen des Kindes reagieren, aber die Schuld nicht konkret ansprechen, da das<br />

seinerseits Schuldgefühle erzeugen kann. Die Identifikation mit dem verstorbenen Elternteil<br />

ist oft ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit <strong>und</strong> benötigt unsere einfühlsame<br />

Unterstützung.<br />

„Mitgefühl ist besser als Mitleid“- Kinder sollen die Möglichkeit erhalten, ihr Leben wie<br />

bisher mit den gewohnten Alltagsritualen weiterzuführen. Sie selbst wählen ihre<br />

Gesprächspartner, oft Außenstehende oder Gleichaltrige, Gleichgeschlechtliche. Kinder sind<br />

von den Reaktionen der sie umgebenden Erwachsenen abhängig, neigen jedoch oft dazu, ihre<br />

eigenen Bedürfnisse bezüglich Trauer zurückzustellen um die Erwachsenen zu schützen.<br />

Kinder sind gr<strong>und</strong>sätzlich neugierig, das Interesse des Kindes soll unterstützt werden,<br />

allerdings sollen sie nicht „ affektiv ersäuft“ werden (Herdina P. F., 2)<br />

Tod <strong>und</strong> Sterben sind unvermeidbare Lebenskrisen <strong>und</strong> Kinder erleben den<br />

Verwirrungszustand der Erwachsenen. Kindern kann alles zugemutet werden, weil sie schon<br />

lange vorher auf emotionaler Ebene erfahren haben, was sie oft auf kognitiver Ebene erst viel<br />

später begreifen (2).<br />

Somit stellt sich nicht die Frage- „Kann Kindern die Wahrheit zugemutet werden“, es ist<br />

vielmehr unsere Pflicht , uns mit ihnen über das Thema Tod <strong>und</strong> Sterben auseinanderzusetzen,<br />

sie allerdings mit der Wahrheit nicht zu überfordern.<br />

Schädlich sind Ausgrenzung, Verschonung, Isolation <strong>und</strong> Tabuisierung, förderlich sind<br />

Offenheit, Ehrlichkeit, Klarheit <strong>und</strong> das Zugeständnis der eigenen Begrenztheit (Fässler-<br />

Weibel, 2)<br />

Eine schlimme Nachricht ist nur die, die das Kind in Unsicherheit zurücklässt Fässler-Weibel,<br />

2).


Literatur:<br />

(1): Canacakis J.; Ich sehe deine Tränen; Kreuz, Stuttgart 1997<br />

(2): Fässler-Weibel P., Herdina P.F., Rosenmayr F., Waldenmayer M.: Expertengespräch:<br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen;<br />

Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

Specht-Toman Monika, Tropper Doris: Zeit zu trauern; Patmos, 2000.<br />

Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir;<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

3.3 Wie soll ein Kind in den Krankheitsverlauf <strong>und</strong> den Sterbeprozess eines Angehörigen<br />

einbezogen werden ? Weshalb ?<br />

<strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

Erwachsene, die Kinder betreuen oder erzieherische Funktionen ausüben, unterliegen häufig<br />

der wohlmeinenden, jedoch irrigen Überzeugung, man müsse ein Kind vor „schrecklichen<br />

Wahrheiten“ schützen, man müsse es schonen. Eltern <strong>und</strong> Erzieher möchten Sterben <strong>und</strong> Tod<br />

von ihren Kindern fernhalten (12). Die um das Kindeswohl besorgten Erwachsenen, geben<br />

häufig an, dass man die Kinder nicht mit dem Grauen einer Realität konfrontieren dürfe, das<br />

sie vielleicht nicht bewältigen können.<br />

Sich Gesprächen mit Kindern über Tod <strong>und</strong> Sterben zu stellen, setzt unweigerlich die<br />

Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen voraus, was von vielen Erwachsenen lieber<br />

vermieden wird (1). M. Leist (12) bemerkt zum Schweigen der Erwachsenen: „ Wir dürfen<br />

uns nicht damit trösten, dass das Kind schon nichts mitbekommen würde, weil wir in seiner<br />

Gegenwart unsere Ängste, Empfindungen <strong>und</strong> Befürchtungen nicht äußern. In Wirklichkeit<br />

weiß das Kind sehr genau, was vor sich geht, es respektiert aber das Tabu, darüber nicht zu<br />

sprechen. Wir lassen es durch unser Schweigen aber mit seiner Angst <strong>und</strong> Ungewissheit<br />

allein. Dadurch, dass wir unsere Sorge nicht mit ihm teilen, machen wir es ihm unmöglich,<br />

sich seinen eigenen Sorgen zu stellen. Es fühlt sich nicht nur von den kranken<br />

Familienmitgliedern verlassen <strong>und</strong> zurückgewiesen, sondern auch von denen, die ges<strong>und</strong> sind<br />

<strong>und</strong> deren Unterstützung es jetzt dringend bedarf. Das heißt aber nicht, dass wir dem Kind


schonungslos mitteilen, sondern, dass es die Tatsachen erfassen kann <strong>und</strong> die daraus<br />

entstehenden Gefühle mit der Zeit verarbeiten kann:“<br />

Die Annahme, dass einem Kind durch Vorenthalten, Beschwichtigungen, diffuse <strong>und</strong><br />

ausweichende Erklärungsversuche oder schlichtweg Lügen eine Unterstützung zuteil wird, ist<br />

ein Trugschluss. Die wohlmeinende Schonhaltung macht einem Kind nicht selten die<br />

Trauerarbeit schwer oder unmöglich (1). Kinder jeden Alters nehmen ihre Umgebung <strong>und</strong><br />

Veränderungen in ihrem Umfeld mit großem Interesse wahr. Das Unbewusste der Kinder<br />

nimmt sehr viel genauer, als wir zumeist denken, die versteckten Reaktionen seiner<br />

Umgebung wahr (12). Kinder wollen die Wahrheit wissen, wollen am Geschehenen teilhaben<br />

(1). Sie „wissen“ auf emotionaler Ebene schon sehr früh, was kognitiv noch lange nicht<br />

erfasst ist. Erwachsene unterschätzen, was Kinder sehen, hören, verstehen <strong>und</strong> fühlen (19).<br />

Eine der Hauptaussagen der Kommunikationsforschung lautet „Man kann nicht Nicht-<br />

Kommunizieren“ (Paul Watzlawick)(18). Jeder Mensch, der im Besitz einer Information ist,<br />

die ihn betroffen macht, wird in irgend einer Weise diese Betroffenheit vermitteln. Ein<br />

sensibles Gegenüber kann diese Signale, deren Äußerungen durch unser Bewusstsein kaum<br />

kontrollierbar sind, aufnehmen. Darüber hinaus nimmt der „Empfänger“ der Botschaft wahr,<br />

wenn die Inhalte der sprachlichen <strong>und</strong> nichtsprachlichen Äußerungen nicht kongruent sind,<br />

nicht „zusammenpassen“. Eine schwere Erkrankung <strong>und</strong> das Sterben eines Kindes-<br />

Angehörigen sind Angelegenheiten, welche die Wirklichkeit des Kindes schwerwiegend <strong>und</strong><br />

prozesshaft verändern. Der Versuch, ein Kind zu schonen, in dem man es von der Begegnung<br />

mit den unverrückbaren Tatsachen ausschließt <strong>und</strong> es auf diese Weise auch aus einer<br />

Gemeinsamkeit befördert <strong>und</strong> isoliert, ist definitiv schädlich (3). Daher werden<br />

Veränderungen <strong>und</strong> Tatsachen, die sich im Verlauf von schwerer Erkrankung eines<br />

Angehörigen ereignen, dem Kind in jedem Fall kommuniziert werden – die Frage ist nur wie.<br />

Eine wichtige Gr<strong>und</strong>bedingung für die Sicherheit, die das Kind in einer schweren Zeit<br />

braucht, ist eine Bezugsperson. Erwachsene haben die Erfahrung gemacht, dass sie in<br />

verschiedenen Phasen des Lebens ohne die kontinuierliche Hilfe eines anderen auskommen<br />

können, diese Erfahrung besitzen Kinder nicht (8). Kinder wählen die Personen, mit denen sie<br />

in Beziehung treten wollen, häufig selber aus (12). Die Bezugsperson soll erreichbar sein,<br />

anwesend sein, wenn sie das Kind braucht. Wenn Erwachsene Information suchen, können sie<br />

Information erhalten. Kinder haben jedoch keine Chance an Information zu kommen, wenn<br />

sie ein entsprechendes Bedürfnis haben: die Erwachsenen sind gleichsam die Kontrollorgane<br />

des Informationsflusses. Die Fragen des Kindes sollen beantwortet werden – in jenem<br />

Ausmaß, das von der Fragestellung umschrieben worden ist. Man muss sich nicht fürchten,


dass Kinder zu viel fragen <strong>und</strong> die Antworten dann nicht aushalten können. Manche<br />

Menschen neigen dazu, Antworten auf Dinge zu geben, die nicht gefragt worden sind. Es ist<br />

gut für alle Fragen offen zu sein, man soll jedoch die Kinder nicht in Diskussionen zwingen<br />

(14). Ehe man auf eine Frage antwortet, sollte man sich vergewissern, ob man die Frage<br />

richtig verstanden hat (14). Für die Beantwortung der Frage soll man sich Zeit lasen (14).<br />

Wichtig ist es zu wissen, dass die menschliche Psyche über enorme Schutzmechanismen<br />

verfügt. Man kann sich darauf verlassen, dass sich die kindliche Seele zu schützen weiß,<br />

vorrausgesetzt, die großen Menschen verlangen nicht mehr vom Kind, als es zu geben bereit<br />

ist („Geh, gib der Oma ein Bussi! ). Die Grenzen der Belastbarkeit sollen immer vom Kind<br />

definierbar sein, es „weiß“, was es nicht will, wann es nicht (mehr) will etc. Daraus resultiert,<br />

dass ein Betreuungssystem in schweren Zeiten ein gewisses Maß an Flexibilität <strong>und</strong><br />

Sensibilität aufbringen können muss. Man soll nie vom Kind etwas verlangen, was es nicht<br />

selbst wünscht, wir sollen ihm die Möglichkeiten geben, sich so zu verhalten, wie es möchte<br />

(12).<br />

Die sprachlichen <strong>und</strong> nichtsprachlich vermittelten Inhalte an Kinder sollen gemäß des o.g.<br />

kongruent sein, d.h. der geäußerte Sachinhalt (Information) <strong>und</strong> die Emotionalität des<br />

Erwachsenen sollen im Einklang sein <strong>und</strong> auch nicht im Widerspruch zu sonstigen Tatsachen<br />

stehen, die für das Kind wahrnehmbar sind. ∗ Der Erwachsene soll echt sein (authentisch).<br />

Eine große Hilfe für ein Kind ist es, wenn man seine eigene Betroffenheit zeigen <strong>und</strong> in<br />

kindgerechter Weise mitteilen kann. Die Hauptsache ist, dass das Kind weiß, dass es sich auf<br />

die Ehrlichkeit des Erwachsenen verlassen <strong>und</strong> Fragen stellen kann, wann immer es will (1,<br />

13). Die Sprache des Erwachsenen soll dem Reifezustand des Kindes angemessen sein, die<br />

Inhalte sollen klar, eindeutig, unmissverständlich, direkt <strong>und</strong> ehrlich transportiert werden.<br />

Erwachsene neigen – im Kontext einiger Themen (Liebe, Tod) im Besonderen - zu bildhafter<br />

<strong>und</strong> metaphernreicher Sprache. Metaphern werden von Kindern häufig wörtlich genommen<br />

<strong>und</strong> zu phantastischen Realitäten ausgebaut („Opa ist jetzt im Himmel <strong>und</strong> schaut auf dich<br />

herab“). Metaphern sollten vermieden werden, wie alle Umstände, die aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Unklarheit bzw. Zwiespältigkeit zu Verunsicherung führen kann, wie z.B. Euphemismen (14).<br />

Kinder wollen dazugehören. Sie wollen an der Gemeinschaft <strong>und</strong> ihren Handlungen Anteil<br />

nehmen <strong>und</strong> bemerken mit höchster Sensibilität, wenn sie ausgeschlossen werden (sollen).<br />

Isolation wird von jedem Menschen als Strafe aufgefasst (16) <strong>und</strong> in der Tat sind alle<br />

∗ Wenn wir an unsere Kindheit denken <strong>und</strong> all die Dinge, die man uns erzählt hat, werden wir uns im gegebenen<br />

Fall daran erinnern, dass wir das „Christkind“ zwar nie gesehen hatten, dass uns aber sonst einige<br />

Ungereimtheiten in dieser Zeit „irgendwie suspekt“ waren, weil sie mit unseren Wahrnehmungen kontrastiert<br />

hatten.


Disziplinierungs- , Straf- <strong>und</strong> Kontrollmaßnahmen der Menschheit Prozesse, die ein<br />

Individuum von der Sozietät isolieren, sei es Einzelhaft, Hausarrest, Mobbing etc.<br />

Wird ein Kind in der Annahme, dass es geschont werden muss, von Krankenbesuchen oder<br />

der Teilnahme an Gemeinschaftshandlungen ausgeschlossen, können wir davon ausgehen,<br />

dass es sich bestraft fühlt <strong>und</strong> sich ungerecht behandelt weiß. Kindliche Schuldgefühle („die<br />

Mama hat sich über mich geärgert, daher ist sie jetzt krank“) werden durch<br />

Ausgeschlossenwerden bestätigt, unterhalten oder verstärkt. Die Kinder sollen demnach in<br />

alle Handlungen einbezogen werden, wenn sie es wünschen <strong>und</strong> am aktuellen<br />

Informationsfluss teilhaben. Schuld- oder Verantwortungsgefühle treten bei Kindern so gut<br />

wie immer auf (8).<br />

Kinder wollen in den eigenen Wahrnehmungen bestätigt sein (12). Für einen Besuch am<br />

Krankenbett könnte das bedeuten, dass man zunächst das Kind auf das vorbereitet (14), was<br />

es sinnlich erfahren (sehen, hören, riechen, fühlen) kann. Krankenhäuser sind in ihrer<br />

Atmosphäre technisch, kalt, unsinnlich <strong>und</strong> unpersönlich (16). Das Kind wird eigenartigen<br />

<strong>und</strong> fremden Dingen begegnen. Das Fremde kann Interesse erregen oder auch Angst machen.<br />

Die Erfahrungen eines Menschen werden von seinen Erwartungen determiniert (10). Durch<br />

eine positive Vorbereitung auf die Begegnung mit ungewöhnlichen Dingen, kann dem Kind,<br />

das die Fähigkeit innehat, sehr rasch neue Wirklichkeiten anzunehmen, Hilfestellung gegeben<br />

werden. Im gemeinsamen Reflektieren der kindlichen Erfahrungen liegt eine Möglichkeit, das<br />

Bedürfnis des Kindes im Besitz einer stimmigen Wirklichkeit zu sein, zu erfüllen. Die<br />

Erwachsenen brauchen sich nicht scheuen, in Anwesenheit der Kinder über ihre<br />

Wahrnehmungen zu sprechen – das Kind hat ja auch Wahrnehmungen gemacht. Wenn man<br />

die Kinder aus solchen reflektierenden Gesprächen nicht ausschließt, gibt man ihnen<br />

Gelegenheit, darüber zu sprechen. Damit werden diese Wahrnehmungen nicht zu<br />

bedrückenden <strong>und</strong> belastenden Wirklichkeiten, deren Mitteilung verhindert wird (12). Im<br />

Aussprechen liegt ein heilender Faktor (12). Kinder werden von ihren Gefühlen<br />

„überschwemmt“ (9). Erst durch einen Erwachsenen, der sie versteht <strong>und</strong> mit ihnen spricht,<br />

werden ihnen ihre Gefühle klar (5). Werden gewisse Themen tabuisiert <strong>und</strong> bleiben die<br />

Fragen der Kinder unbeantwortet, so füllen Phantasien <strong>und</strong> Angstgedanken die leeren Räume<br />

(9). Die Phantasien (der Kinder) sind immer schlimmer als jede Wirklichkeit (4). Kinder<br />

sollen nicht „traurig sein müssen, sondern traurig sein dürfen“, das kann ein Trost sein (12).<br />

Wichtiger als die Betonung der Intellektualität ist es, Gefühle zuzulassen <strong>und</strong> deren<br />

individuellen Ausdruck auszuhalten. Das geschieht am ehesten dadurch, dass sich der


Betreuer selbst gestattet, Gefühle auszudrücken. Jemanden an seinen Gefühlen teilnehmen zu<br />

lassen, ist ein Angebot zu Nähe <strong>und</strong> Vertrauen.<br />

Kinder kommen viel besser mit der Erkrankung ihrer Eltern zurecht, wenn sie frei kommen<br />

<strong>und</strong> gehen können <strong>und</strong> sich mit dem Krankenhaus <strong>und</strong> den Menschen <strong>und</strong> Einrichtungen, die<br />

dort zu finden sind, vertraut machen dürfen (7). Das beste für die Kinder wäre ein Prozess, wo<br />

sie sich gemeinsam mit ihren Angehörigen auf die bevorstehende Veränderung bzw.<br />

Trennung vorbereiten können (8). Das schlimmste für Kinder ist es, wenn sie von diesem<br />

Prozess ausgeschlossen werden (3, 8). Sie können besser mit den Emotionen der Erwachsenen<br />

umgehen, wenn sie die Ursachen für diese Emotionen kennen (8). Eine Faustregel besagt,<br />

dass Kinder mit Verlusten gut zurechtkommen , wenn die Erwachsenen in ihrer Umgebung<br />

damit gut zurechtkommen (8). Das heißt nicht, dass man sich als Erwachsener<br />

„zusammenreißen muss“, sondern dass man einfach so ist, wie man eigentlich ist (echt,<br />

aufrichtig, kongruent, stimmig, authentisch). Verstellen <strong>und</strong> das Vorhalten von Schein <strong>und</strong><br />

Trug sind aufwendig, durchschaubar <strong>und</strong> gefährden die Vertrauenswürdigkeit. Das Mitteilen<br />

<strong>und</strong> Zeigen der eigenen Betroffenheit ist dem Kind eine große Hilfe (12). Kinder sollen<br />

frühzeitig in den Informationsfluss eingeb<strong>und</strong>en werden (8), am besten ab der<br />

Diagnosestellung (14). Werden sie spät eingeb<strong>und</strong>en, so sind Veränderungen geschehen, die<br />

sie nicht nachvollziehen können – als ob ein „Stück des Filmes“ herausgeschnitten wäre.<br />

Kinder benötigen Information, einerseits darüber, was sich ändert – aber auch darüber, was<br />

sich nicht ändert (9), d.h. dass es weiter Dinge gibt, auf die sie vertrauen können, an denen sie<br />

sich festhalten können, die ihnen Sicherheit <strong>und</strong> Konstanz vermitteln.<br />

Nicht nur die Bezugspersonen der Kinder können einen Beitrag leisten, dass die Kinder gut<br />

durch die schwere Zeit kommen, sondern vor allem die Ges<strong>und</strong>heitsinstitutionen, in dem jeder<br />

einzelne einen Beitrag zu einer offenen Gesprächskultur leistet <strong>und</strong> Möglichkeiten geschaffen<br />

werden, die den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden. Das beginnt mit dem offenen<br />

Krankenhaus. Ein offenes Krankenhaus ist eine Institution, welche die Kinder willkommen<br />

heißt. Altersbeschränkungen oder Restriktionen der Besuchszeiten angesichts der Behandlung<br />

von terminal Kranken gehören in vielen Institutionen bereits zu verlassenen Traditionen. Der<br />

freie Zugang zu den Angehörigen hat besonders bei erkrankten Geschwistern große<br />

Wichtigkeit (8). Es existieren keine rationalen Gründe, Kinder aus irgendwelchen Bereichen<br />

der Institutionen, wie z.B. Intensivstationen auszuschließen.<br />

Da das Kind ohnehin immer in Begleitung zum Kranken kommen wird, ist es auch unsinnig<br />

irgendwelche Beschränkungen auszusprechen. Alle menschlich-kommunikativen Handlungen<br />

wie Küssen, Streicheln, Umarmen, in den Arm nehmen etc. sind auch an Intensivstationen mit


nur wenigen rational begründbaren Einschränkungen möglich (Ausnahmen: wenige extrem<br />

kontagiöse Erkrankungen des Patienten (z.B. Meningokokkenmeningitis) oder<br />

Immunsupression des Patienten (z.B. Agranulozytose bei Leukosen)). Werden von den<br />

Verantwortlichen dennoch Bedenken geäußert oder Begrenzungen auferlegt, so liegt der<br />

Verdacht nahe, dass die Betreuer (Ärzte, Pflege) andere Umstände schützen als Interessen von<br />

Patienten <strong>und</strong> Angehörigen (eigene Ängste, Unsicherheit, Scham, Dominanzanspruch,<br />

Kontrollbedürfnis, etc.). Auch an einer Intensivstation kann mit geringem kreativen Aufwand<br />

etwas gef<strong>und</strong>en werden, was ein Kind als Angehöriger für den Patienten tun kann (Stirn mit<br />

kühlem Tuch abwischen, persönliche Gegenstände mitbringen <strong>und</strong> zum Patienten legen,<br />

frisieren etc.).<br />

Beispiel:<br />

Die 7-jährige Julia hat zu ihrem Großvater (55a) eine sehr starke Beziehung, die Großmutter erzählt, die beiden<br />

sind „der gleiche Typ: immer in Bewegung, sehr neugierig, manchmal aufbrausend, aber sehr sensibel“.<br />

Am Stefanitag bricht der Großvater bei einer Familienfeier bewusstlos zusammen, der Notarzt kommt <strong>und</strong><br />

nimmt ihn mit. Im CT wird ein ausgedehnter Schlaganfall festgestellt. Der Bewusstseinzustand verschlechtert<br />

sich, die Ärzte entschließen sich zur Intubation <strong>und</strong> Respiratortherapie. Da ein ausgeprägtes Hirnödem vorliegt,<br />

wird eine Hirndrucksonde (<strong>Co</strong>dman) zur Messung des Hirndruckes implantiert. Trotz maximaler<br />

hirndrucksenkender Maßnahmen steigt der Hirndruck ins unermessliche, sodass die Ärzte in ihrer<br />

Ausweglosigkeit eine sog. Entlastungstrepanation vornehmen. 3 Wochen lang schwebt der Großvater zwischen<br />

Leben <strong>und</strong> Tod. Täglich kommen die Großmutter <strong>und</strong> alle Verwandten außer Julia zum Bett des kritisch<br />

Kranken. Julia fragt immer nach dem Großvater <strong>und</strong> möchte ihn gerne an der Intensivstation besuchen, aber die<br />

ganze Familie ist der Ansicht, dass der Anblick des entstellten Großvaters (masive Schwellungen am Kopf) dem<br />

Kind nicht zuzumuten sei. Die Angehörigen des Großvaters suchen sogar eine Psychologin auf, um eine<br />

Spezialistin zu fragen, ob das Mitnehmen des Kindes an die Intensivstation sinnvoll sei oder eben schädlich, wie<br />

alle glauben. Die Psychologin rät von einem Besuch des Kindes beim erkrankten Großvater ab. Nun sieht sich<br />

die Familie in ihrer Annahme bestätigt. Bei einem Besuch berichtet die Großmutter, man habe letzthin den<br />

Großvater fotografiert <strong>und</strong> das Foto Julia gezeigt. Diese sei, als sie das Foto gesehen habe, sofort weggelaufen<br />

<strong>und</strong> habe gerufen: „Das ist nicht der Großvater, das ist ein anderer Mensch – der sieht ja viel älter aus!“ Es<br />

überrascht, dass die Familie nach diesen Ereignissen (Familiengespräche, Psychologin, Foto) einem Gespräch<br />

zugänglich ist, in dem ich ausdrücke, dass ich es begrüßen würde, wenn Julia den Großvater besuchen würde –<br />

vorrausgesetzt, der Wunsch käme von ihr selbst. Tage später ist es soweit. Julia möchte gerne kommen. Der<br />

Familie wird gesagt, sie könne dem Großvater etwas mitbringen, wenn sie will - sie werde schon eine Idee<br />

haben, was ihm eine Freude machen könnte... Ich hole die Familie vor der Schleuse zur Intensivstation ab <strong>und</strong><br />

frage Julia, was sie über die Krankheit des Großvaters wisse. Sie weiß so viel, dass alle Anwesenden erstaunt<br />

sind. Sie hat ihm eine Zeichnung mitgebracht. Diese stellt die Szene dar, wie Julia <strong>und</strong> der Großvater im Garten<br />

gespielt haben. Ich erzähle ihr, was sie sehen <strong>und</strong> hören wird: dass der Großvater jetzt zu schwach zum Atmen<br />

ist <strong>und</strong> dass ihm eine Maschine beim Atmen hilft, dass er nicht Schlucken kann <strong>und</strong> wir ihm daher die Nahrung


durch einen kleinen Schlauch direkt in den Magen geben (PEG) etc. Julia hört, dass sie machen kann, was sie<br />

will, bleiben <strong>und</strong> gehen kann, solange sie will <strong>und</strong> dass sie mir jede Frage stellen kann, die ihr einfällt.<br />

Sie nähert sich langsam an ihren Großvater an, sagt dabei nichts. Zunächst schaut sie nur, doch bald deutet sie<br />

auf einige Tatsachen, die ich zuvor nicht genau gesagt habe <strong>und</strong> fragt, was das sei (Tracheostoma,<br />

Arterienkanüle). Der Vater meint, Julia könne dem Großvater einen Kuss geben. Aber sie mag nicht. Der<br />

Großvater sieht sie nicht an. Speichel läuft aus seinem M<strong>und</strong>. Sie kann alles sehen <strong>und</strong> spricht es sofort an. Nach<br />

einer Weile ist ihr die ganze Stille <strong>und</strong> Passivität des Großvaters „zu fad“ <strong>und</strong> sie möchte lieber wieder gehen.<br />

Der Vater geht mit ihr nach außen.<br />

Tage später beginnt der Patient Kontakt mit seiner Umgebung aufzunehmen, 2 Wochen später verlässt er die<br />

Intensivstation, kann sprechen <strong>und</strong> selbständig essen – gegen jede Erwartung der Mediziner.<br />

Wenn das Kind am Krankenbesuch teilnimmt, ist es wie im o.g. Beispiel sinnvoll, wenn<br />

wenigstens ein zweiter Erwachsener mitgeht, der dann beim Kind bleiben kann, falls es sich<br />

vom Kranken distanzieren will. Rauch <strong>und</strong> Arnold (14) empfehlen, dass man den Kindern<br />

eine Möglichkeit einräumen soll, dem Kranken etwas Persönliches zurückzulassen (z.B. kann<br />

man Papier <strong>und</strong> Zeichenstifte mitnehmen).<br />

Manche Autoren vertreten die Ansicht, dass man Kindern den Anblick sehr entstellender<br />

Veränderungen vorenthalten sollte (12). Der Kranke <strong>und</strong> Sterbende wünscht mitunter, dass<br />

sein Zustand, seine äußerlich wahrnehmbaren Veränderungen, nicht (mehr) von den Kindern<br />

gesehen werden soll. Die Wünsche des Kindes sollten auf jeden Fall berücksichtigt werden,<br />

falls es den Kranken oder Sterbenden nicht mehr sehen will (11, 12). Wichtig ist es für beide,<br />

dass eine Beziehung aufrecht erhalten wird <strong>und</strong> den Beteiligten ermöglicht wird, miteinander<br />

in Kontakt kommen zu können. In der Auseinandersetzung mit diskrepanten Wünschen ist die<br />

Kreativität <strong>und</strong> Vermittlungsrolle der Betreuer gefordert, Entscheidungen sollten für alle<br />

Beteiligten tragbar sein. Gespräche über Krankheit <strong>und</strong> Tod sind für Kind <strong>und</strong> Kranken<br />

tröstlich (12). Auch Gespräche darüber, wie es nach dem Tod des Angehörigen weitergeht,<br />

sind wichtig. Es muss gewiss sein, dass das Leben des Kindes <strong>und</strong> der Familie weitergeht <strong>und</strong><br />

lebenswert bleibt, dass es Liebe empfangen wird <strong>und</strong> Betreuung hat wie bisher (12).<br />

Es geht viel an Gemeinsamkeit verloren. Die unbewussten Phantasien des Kindes müssen<br />

bedrohlich werden, wenn auf seine Vorbereitung auf den Tod eines nahen Angehörigen<br />

verzichtet wird. Verheimlichen <strong>und</strong> Verschweigen wirken auf das Kind wie eine Bestätigung,<br />

dass es nicht verdient hat, an der Sorge der Erwachsenen teilzunehmen, unter Umständen wie<br />

eine Bestätigung seiner Schuldphantasien (nach Leist, 12).<br />

Es sollten alle Anstrengungen getroffen werden, dem Wunsch des Patienten nach Autonomie<br />

(Selbstbestimmungsrecht) zu entsprechen. Mehr als die Hälfte aller terminal Kranken können<br />

die letzte Zeit ihres Lebens zuhause verbringen, wenn ein Betreuungssystem die notwendigen


Bedingungen schaffen kann (2). Nur zuhause erleben die Familienmitglieder ein Höchstmaß<br />

an Autonomie <strong>und</strong> Integrität. Mitunter beginnen die Kinder sehr rasch, an der Betreuung des<br />

Schwerkranken mitzuarbeiten, sie übernehmen gerne Verantwortung <strong>und</strong> Aufgaben.<br />

Beispiel:<br />

Der Vater des 9-jährigen Kurt, ein Brunnenbauer (49a), wird nach einem 6-wöchigen Krankenhausaufenthalt<br />

wegen eines inoperablen <strong>und</strong> fortgeschrittenen Bauchtumors nach Hause entlassen. Für die chirurgischen<br />

Kollegen ist dieses Ansinnen zunächst nicht vorstellbar, bestehen doch klinische Zeichen eines<br />

Darmverschlusses. Kurt hat den Vater nur 2x im Krankenhaus besucht, einerseits weil die Familie kein Auto hat<br />

<strong>und</strong> deshalb Schwierigkeiten hat, zum Vater zu kommen (ländliche Region, Distanz 15km), andererseits erzählt<br />

die Mutter von Kurt auch, dass er nicht ins Krankenhaus gehen wollte, Begründungen wurden nicht genannt. Das<br />

betreuende Team erwartet Schwierigkeiten mit dem Jungen in dieser Situation, da der Vater auch physisch sehr<br />

verändert erscheint, seine Rolle als „Chef der Familie“, Ernährer <strong>und</strong> Erhalter nicht mehr ausfüllen kann <strong>und</strong><br />

Kurt nichts über die Gewissheit des nahen Todes seines Vaters gesagt wurde.<br />

Zuhause ist Kurt nur in den ersten 10 Minuten der Begegnung scheu <strong>und</strong> beginnt dann sofort, mit Interesse<br />

Aufgaben aufzugreifen, die sich angesichts dieser Situation stellen. Zunächst nimmt er die Telefonanrufe<br />

entgegen <strong>und</strong> vermittelt sie. Kurt beobachtet alles sehr genau, das Zubereiten der Infusionen <strong>und</strong> das Befüllen<br />

der Spritzen. Schon bei meinem zweiten Besuch fragt er mich, ob nicht er die Ampullen aufbrechen <strong>und</strong> dann<br />

die Lösungen in die Spritzen ziehen dürfe. Er ist sehr aufmerksam <strong>und</strong> kann es auf Anhieb. Sein Vater sagt (<strong>und</strong><br />

diese Interaktion hätte es in einem Krankenhaus nie gegeben): „Ich bin stolz auf Kurt! Er lernt so schnell <strong>und</strong><br />

wird später nicht so schwer arbeiten müssen wie ich“. Bei den Besuchen ist häufig eine heitere Stimmung in der<br />

kleinen Wohnung, der Zusammenhalt der Familie wird richtiggehend zelebriert. Wenn Probleme auftauchen,<br />

erzählt Kurt seine Beobachtungen <strong>und</strong> macht mitunter Vorschläge, was getan werden könnte.<br />

Nur im Rahmen der Wohnsituation kann eine Nähe im Sinne des Für-einander-da-seins<br />

gelebt (1) werden.<br />

Das Kind kann ermutigt werden, dem Kranken kleine Handreichungen vorzunehmen (11,12),<br />

es wird ihm nicht an Kreativität mangeln. Der persönliche Kontakt soll so lange wie möglich,<br />

gefördert werden (11,12). Bei allem Involviertsein der Kinder an einer schweren Krankheit<br />

oder am Sterben eines Angehörigen, soll gewährleistet sein, dass dem Kind ein normales<br />

Leben ermöglicht wird (12). Gerade dieser Zeit braucht es Struktur, Konstanz <strong>und</strong> Ordnung in<br />

den äußeren Lebensbezügen der Kinder (14). Das bedeutet, dass man nicht Dinge<br />

unterbrechen soll, die dem Kind die Sicherheit der Normalität vermitteln, es z.B. aus dem<br />

Kindergarten zu nehmen oder in sonstigen gewohnte Dinge zu beschränken („Du kannst doch<br />

jetzt nicht mit Günter spielen gehen, siehst du nicht, wie schlecht es der Oma geht ?“). Man<br />

sollte darauf achten, dass wenigstens irgendetwas konstant bleibt (1), dass typische


Familienrituale erhalten bleiben (Sonntagsspaziergang, Pizza <strong>und</strong> gemeinsam Fernsehen am<br />

Samstag o. dgl.)(14). Kinder wollen kein Mitleid, sie wollen wie die anderen Kinder<br />

behandelt werden (1). Dennoch sollte Krankheit <strong>und</strong> Sterben auch in den pädagogischen<br />

Institutionen offen behandelt werden <strong>und</strong> darüber gesprochen werden (8), wenn die Themen<br />

„im Raum stehen“. Betreuer können auch aktiv auf Vertrauenslehrer oder den<br />

Klassenvorstand zugehen <strong>und</strong> ihn auffordern, zu berichten, falls das Kind in der Schule<br />

gewisse Sorgen äußert.<br />

Das Einbeziehen der Kinder wird auch Ausdrucksformen suchen, die anders sind, als die der<br />

Erwachsenen, deren Ausdruck sehr stark an Sprache geb<strong>und</strong>en ist: das Spiel <strong>und</strong> andere<br />

Ausdrucksformen, die auch abhängig sind von der Individualität <strong>und</strong> Sozialisation des Kindes<br />

(Zeichnen, Malen, Basteln, Bewegung, Sport etc.). Hilfreich ist es, Interesse am Tagesablauf<br />

der Kinder zu zeigen <strong>und</strong> sie zu fragen, ob man ihre Gedanken zur Krankheit <strong>und</strong> Sterben<br />

hören oder teilen darf. Tatsächlich ist es häufig so, dass Kinder bei diesen Ereignissen affektiv<br />

ersäuft werden <strong>und</strong> zu viel materielle <strong>und</strong> emotionale Zuwendung erhalten (P.F. Herdina, 4).<br />

Die Aufgabe der Erwachsenen soll nicht so aufgefasst werden, dass sie wissen, wie man sich<br />

„richtig“ verhält <strong>und</strong> dieses Verhalten auch von Kindern erwarten, vielmehr soll ihre Aufgabe<br />

darin bestehen, dem Kind seinen individuellen Weg (in seiner individuellen Zeit) in der<br />

Trauer <strong>und</strong> beim Abschied zu ermöglichen (12) – oder wie G. Bogyi es w<strong>und</strong>erbar formuliert:<br />

„Trauerarbeit ist ein individueller Prozess, setzt Vertrauen ins eigene Ich <strong>und</strong> eine<br />

verständnisvolle Umgebung voraus, die nicht einengt, sondern ermöglicht.“ (1).<br />

Literatur:<br />

(1) Bogyi G.: Kindliches Erleben <strong>und</strong> Psychosomatik bei Tod eines Elternteils. In:<br />

Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir.<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen; B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

(2) Ensink F.B., Bautz M.T., Hanekop G.G.: Optimierung der ambulanten<br />

palliativmedizinischen Betreuung terminal kranker Tumorpatienten am Beispiel<br />

SUPPORT – ethisch zu präferierende Alternative zur Forderung nach aktiver<br />

Sterbehilfe. 2001 AINS 36:530-7<br />

(3) Fässler-Weibel P., Expertengespräch: Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem<br />

Tod wichtiger Bezugspersonen, Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(4) Fässler-Weibel P., Herdina P.F., Rosenmayr F., Waldenmayer M.: Expertengespräch:


Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen;<br />

Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(5) Finger G. Mit Kindern trauern; Kreuz, Stuttgart, 1998, zitiert in (9).<br />

(6) Freud A. in: Vorwort zu Furmann E. Ein Kind verwaist; Klett, Stuttgart, 1977,<br />

zitiert in (1).<br />

(7) Gray R.E.: Adolescent response to the death of a parent. J Youth Adol 1987;16:511-525,<br />

zitiert in (8)<br />

(8) Husebö S.: Psychosoziale Fragen; in: Husebö S., Klaschik E.:<br />

Palliativmedizin, Springer-Verlag Heidelberg, 1998<br />

(9) Jellenz-Siegel B.: Trauer von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen; in:<br />

Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir;<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

(10) Kirsch I. (ed.): How expectancies shape experience; 1 st ed. Washington DC:<br />

American Psychological Association, 1999<br />

(11) Kliman G.: Seelische Katastrophen <strong>und</strong> Notfälle im Kindesalter, Stuttgart, 1973,<br />

zitiert in (12).<br />

(12) Leist M.: Kinder begegnen dem Tod; Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage,<br />

Gütersloh, 1999<br />

(13) Plank E.N.: Hilfen für Kinder im Krankenhaus; München <strong>und</strong> Basel, 1973, zitiert in<br />

(12)<br />

(14) Rauch P., Arnold R.: What do I tell the children ? Fast facts and concepts #47;<br />

J Palliat Med. 2002 Oct;5(5):740-1.<br />

(15) Ressler R., Shachtman T.: The Wimbledon <strong>Co</strong>mmon Murder. In: I have lived in the<br />

monster; St. Martin´s Press, New York, 1997<br />

(16) Richter H.E.: Flüchten oder Standhalten; 2. Aufl., Edition Psychosozial, Giessen,<br />

1998<br />

(17) Stehbens J.A., Lascari A.D.: Psychological follow-up of families with childhood<br />

leucemia; J Clin Psychol 1974 (30);394-7, zitiert in (8).<br />

(18) Watzlawick P., Beavin J. H., Jackson D. D. : Menschliche Kommunikation,<br />

Formen, Störungen, Paradoxien; 10. Aufl., Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen,<br />

Toronto, Seattle 2000<br />

(19) Yule W., Williams R.M.: Posttraumatic and stress reactions in children; J Trauma<br />

Stress, 1990;3:279-295, zitiert in (8)


3.4 Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn ein Geschwisterkind stirbt?<br />

Christa Plazet<br />

E. Kübler-Ross, die viele Jahre mit sterbenden Kindern gearbeitet hat, sagt, dass nicht die<br />

sterbenden Erwachsenen, nicht die sterbenden Kinder <strong>und</strong> nicht die Eltern von sterbenden<br />

Kindern die am meisten vernachlässigte Gruppe von Menschen sind, sondern die Geschwister<br />

von sterbenden Kindern (1975).<br />

Der Tod eines Geschwisterkindes hat große Auswirkungen auf die hinterbliebenen Kinder<br />

jedes Alters. Im Volksm<strong>und</strong> heißt es: „Fre<strong>und</strong>e kommen <strong>und</strong> gehen <strong>und</strong> Eltern sterben eines<br />

Tages, doch Geschwister bleiben einander ein Leben lang erhalten.“<br />

Das Kind verliert eine/n enge/n Verbündete/n, die/den es sein Leben lang vermissen wird.<br />

Es ist wichtig, dass die Geschwister in die Trauer der Familie einbezogen werden <strong>und</strong><br />

ebenfalls Abschied von dem verstorbenen Geschwister nehmen dürfen. Sie haben einen<br />

Verlust erlitten, der genauso schwer ist wie jener der Eltern, wenn nicht noch schwerer.<br />

“Junge Menschen, die um eine Schwester oder einen Bruder trauern, sind oft die sogenannten<br />

“doppelten Verlierer“: Zusätzlich zum Verlust ihres Geschwisters verlieren sie die Eltern, die<br />

ihnen im Wesen <strong>und</strong> Verhalten vertraut waren. Sie müssen vielmehr mit durch den Tod eines<br />

Kindes zunächst total veränderten Eltern zurechtkommen“. (Wiese, 2001)<br />

Der plötzlich, unerwartete Tod eines Geschwisterkindes stellt ein Schockerlebnis dar.<br />

Geht dem Tod des Geschwisters eine lange Erkrankung voraus, hat das hinterbliebene<br />

Geschwisterkind schon in dieser Zeit öfters Trennung <strong>und</strong> Alleingelassensein erfahren. Dem<br />

sterbenskranken Kind wurde meist mehr Zeit, Zuwendung <strong>und</strong> Aufmerksamkeit gewidmet ,<br />

durch lange <strong>und</strong> wiederholte Spitalsaufenthalte musste der Alltag umorganisiert werden,<br />

Mutter <strong>und</strong> Vater waren oft tagelang nicht zu Hause, alles drehte sich um das kranke Kind -<br />

Gespräche, Telefonate, Sorgen, Hoffnung, Geschenke,.....Geschwisterkinder stehen dann<br />

plötzlich im Schatten des erkrankten Kindes. Wer sorgt inzwischen daheim für die<br />

Geschwister? Wer geht in dieser Zeit auf ihre Bedürfnisse <strong>und</strong> Ängste ein? Wenn die Eltern<br />

zwischen den Krankenhausaufenthalten zu Hause sind, sind sie meist mit den Gedanken bei<br />

dem kranken Kind <strong>und</strong> das spüren Kinder ganz deutlich.


Diese Umstände können ganz natürlich dazu führen, dass Eifersucht, Wut, Rivalität <strong>und</strong><br />

sonstige Emotionen gegenüber dem erkrankten Geschwister aufkommen, die nicht gezeigt<br />

werden können oder dürfen um die Eltern zu schonen, aber gleichzeitig auch, um<br />

Ermahnungen <strong>und</strong> Zurechtweisungen zu entgehen.<br />

Stirbt das Geschwisterkind, sind die verschiedensten Gedanken, Gefühle <strong>und</strong> Emotionen<br />

möglich:<br />

- Schuldgefühle<br />

Weil sie sich das ein oder andere Mal vielleicht gewünscht haben, dass der Bruder oder die<br />

Schwester nicht mehr da ist <strong>und</strong> der Alltag so wie früher wieder einkehrt.<br />

Hat das Kind Knochenmark gespendet <strong>und</strong> das Geschwister die Transplantation nicht<br />

überlebt, können Schuldgefühle hochkommen, dass sie selbst versagt haben oder ihr<br />

Knochenmark nicht gut genug war.<br />

Gedanken, dass es vielleicht den Eltern lieber gewesen wäre, wenn es selbst verstorben wäre,<br />

können auftreten, besonders wenn Aussagen von den Eltern kommen, in denen es mit dem<br />

verstorbenen Kind verglichen wird.<br />

Diese Schuldgefühle können sich bis zur Überlebensschuld steigern. Folge davon können<br />

Störungen des Selbstwertgefühls sein.<br />

- Identifikation<br />

Geschwister identifizieren sich mit dem verstorbenen Kind, da sie glauben, Eltern lieben ihr<br />

verstorbenes Kind mehr <strong>und</strong> versuchen daher so zu sein wie dieses. Eine Folge dessen kann<br />

Identitätsverwirrung sein.<br />

Idealisieren die Eltern das verstorbene Kind übermäßig, kann ein extremer Leistungsdruck<br />

entstehen. Es kann aber auch sein, dass Geschwister aus einem inneren Bedürfnis heraus<br />

Aufgaben übernehmen, die bisher von dem verstorbenen Kind übernommen worden waren,<br />

diese Form von Identifizierung kann leicht zur Überforderung führen.<br />

- Erleichterung<br />

Anfänglich kann Erleichterung erlebt werden, da die Kinder jetzt wieder die ganze<br />

Aufmerksamkeit der Eltern bekommen <strong>und</strong> nicht mehr teilen oder darauf verzichten müssen.


- Überforderung<br />

Größere Kinder, speziell Jugendliche übernehmen oft mehr Verantwortung als sie tragen<br />

können, indem sie beispielsweise jüngere Geschwister versorgen, im Haushalt mehr<br />

Tätigkeiten übernehmen, versuchen in der Schule gute Noten zu bekommen um die Eltern zu<br />

schonen <strong>und</strong> zu entlasten. Das kann sich wiederum auf der psychosomatischen Ebene äußern,<br />

in Form von Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten in der<br />

Schule.<br />

- Verwirrtheit<br />

Überlebende Geschwister wissen plötzlich nicht, ob sie immer noch Bruder oder Schwester<br />

sind. Der Verstorbene hinterlässt eine Lücke. Die Rangordnung in der Familie hat sich<br />

plötzlich verändert. Besonders schwer haben es Kinder, die ihr einziges Geschwister<br />

verlieren <strong>und</strong> somit zu Einzelkinder werden. Die Rollen im Familiensystem müssen erst<br />

wieder neu verteilt werden. Eine Situation, die sie in Verlegenheit bringen kann, wäre zum<br />

Beispiel wenn sie spontan gefragt werden, ob sie Geschwister haben.<br />

- Eigene Todesangst<br />

Die Angst vor dem eigenen Tod führt dazu, dass kleinere Kinder Krankheit automatisch mit<br />

sterben müssen assoziieren. Das kann sich in einer übertriebenen Angst vor Ärzten <strong>und</strong><br />

Krankenhäusern bemerkbar machen. Die Angst, selbst sterben zu müssen, weil es krank war,<br />

hat ein 4jähriges Kind so ausgedrückt: „Holt mich der liebe Gott jetzt auch?“<br />

- Isolation <strong>und</strong> Rückzug<br />

Isolation <strong>und</strong> Rückzug können auftreten, wenn beispielsweise Eltern vom Verlustschmerz<br />

selbst so überfordert sind, dass sie dem hinterbliebenen Geschwisterkind keinen<br />

angemessenen Beistand leisten können. Kinder sind in dieser Beziehung sehr feinfühlig <strong>und</strong><br />

spüren ganz genau, ob sie die Eltern mit Fragen aus der Fassung bringen. Ist das der Fall, so<br />

werden sie über dieses Thema schweigen <strong>und</strong> mit diesem Verhalten sich selbst, aber<br />

gleichzeitig auch die Eltern schützen.<br />

- Erbfragen<br />

Was soll mit den kleinen Besitztümern des verstobenen Geschwisterkindes passieren?<br />

Gegenstände, Kleidungsstücke oder Spielsachen stellen eine Erinnerung an das verstorbene<br />

Kind dar. Bleiben dieses Sachen weiterhin in Verwendung, auch wenn es noch so schmerzt,


ist es ein Weg den Verlust allmählich zu akzeptieren. Warum sollen nicht die Geschwister mit<br />

diesen Sachen spielen <strong>und</strong> daran Freude haben? Vielleicht ergibt sich dadurch die Chance<br />

über den Verlust zu sprechen. Manche Eltern neigen jedoch dazu alle Sachen des<br />

verstorbenen Kindes wegzugeben, aus Angst vor ständiger Konfrontation, davon ist aber<br />

abzuraten, da das zu einer Verdrängung führen kann.<br />

Ach , ruf den Bruder mir zurück!<br />

Soll spielen ich allein?<br />

Allein in Sonnenschein <strong>und</strong> Glück?<br />

Wo wird mein Bruder sein?<br />

(Felicia Dorothea Hemens)<br />

Literatur<br />

Brocher, Tobias: Wenn Kinder trauern; Kreuz Verlag AG Zürich 1980<br />

Canacakis, Jorgos: Ich sehe deine Tränen; Kreuz Verlag, Stuttgart/Zürich, 1987<br />

Finger, Gertraud: Mit Kindern trauern; Kreuz Verlag, Zürich 1998<br />

Holzschuh, Wolfgang: Geschwistertrauer; Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2000<br />

Kübler-Ross, Elisabeth: Kinder <strong>und</strong> Tod; Kreuz Verlag Zürich 1984<br />

Leist, Marielene: Kinder begegnen dem Tod; 4. Aufl. – Gütersloher Verlagshaus 1999<br />

Tausch-Flammer Daniela, Bickel Lis.: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; 4. Aufl. –<br />

Verlag Herder spektrum 1998<br />

Wiese, Anja: Um Kinder trauern; Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001<br />

Wolfelt, Alan D: Für Zeiten der Trauer. Wie ich Kindern helfen kann; Kreuz Verlag<br />

GmbH &<strong>Co</strong> KG Stuttgart, Zürich 2002


3.5 Sollen Kinder bei Begräbnissen dabei sein?<br />

Andrea Prinz<br />

Immer wieder stellt sich bei einem Todesfall in der Familie die Frage, ob Kinder zum<br />

Begräbnis mitgenommen werden sollen: einerseits aus dem Wunsch heraus, das Kind nicht zu<br />

überfordern, andererseits aus der Sorge, es könnte mit seinen Reaktionen oder<br />

Verhaltensweisen stören.<br />

Ziemlich einig meinte die „Expertenr<strong>und</strong>e (1)“, Kinder sollten die Möglichkeit bekommen,<br />

bei einem Begräbnis dabei zu sein, wenn sie diesen Wunsch äußern. Sie brauchen<br />

Informationen darüber, was dabei passieren wird, die Ermunterung, ihre Gefühle, Gedanken<br />

<strong>und</strong> Sorgen auszudrücken <strong>und</strong> die ehrliche Beantwortung ihrer Fragen. Und da sie<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich neugierig sind, stellen sie Fragen!<br />

Für die Eltern ist wichtig, sich darüber klar zu sein, was sie „nicht versäumen möchten“ , da<br />

sie „als Betroffene nicht zwei schwierige Dinge gleichzeitig tun können ( Fässler-Weibel, 1)“<br />

Da sie selber emotional betroffen sind <strong>und</strong> trauern, können sie sich wahrscheinlich nicht<br />

gleichzeitig um die Bedürfnisse ihres Kindes kümmern. Das Kind braucht jedoch einen<br />

Erwachsenen, der DA ist. Es empfiehlt sich, mit ihm eine Person auszusuchen, die ihm<br />

während des Begräbnisses Unterstützung gewähren kann.<br />

Für das Kind ist es wichtig, begreifen zu können, was passiert. Vom Begräbnis<br />

ausgeschlossen zu werden, bedeutet an einem wichtigen Ritual nicht teilhaben zu dürfen.<br />

Sie sollen aber auch nicht gegen ihren Willen zur Teilnahme gezwungen werden. Das heißt,<br />

es braucht auch die Sicherheit der Erwachsenen , dass „Kinder wissen, was sie wollen <strong>und</strong><br />

brauchen ( Waldenmayr, 1).“<br />

Eine konkrete Verabschiedung sollte Kindern ermöglicht werden. Es ist für sie „meist eine<br />

große Hilfe, wenn sie den toten Körper gesehen haben <strong>und</strong> sich so verabschieden konnten“<br />

Dadurch können spätere Zweifel – „vielleicht ist der Papi gar nicht tot, sondern ist einfach<br />

weggegangen, weil er nicht mehr mit uns zusammensein wollte´- verhindert werden. (7)“<br />

„Besonders jüngere Kinder trauen sich“ dann auch, „ihre Gefühle zu leben“ <strong>und</strong> „sich<br />

spontan <strong>und</strong> unbedacht Ausgleich zu der Schwere“ zu suchen. „Ein siebenjähriger Sohn fragte<br />

bei der Beerdigung der Mutter: „Du Papi, wann ist denn das zu Ende? Und gehen wir dann


hinterher ins Schwimmbad?“ (8). Für Begleiter mögen solche Situationen schwierig sein oder<br />

sie verlegen machen, wenn Kinder sich nicht so verhalten, wie sie es von ihnen erwarten.<br />

Im Rahmen eines Vortrags erzählt der Paar- <strong>und</strong> Familientherapeut Peter Fässler-Weibel (2)<br />

von einer Situation, in der sich Kinder von ihrem verstorbenen Klassenkameraden Daniel<br />

verabschieden: Er liegt im Wohnzimmer der Familie, die Kinder gehen in kleinen Gruppen zu<br />

ihm. Eltern, die ihre Kinder begleiten <strong>und</strong> sich auch selbst verabschieden möchten, sind dabei,<br />

aber in einer anderen Gruppe als ihr eigenes Kind, da Kinder, wenn sie unbeobachtet sind,<br />

sich nicht den Erwartungen der Erwachsenen entsprechend verhalten, sondern ihre eigene Art<br />

des Abschieds leben. Sehr eindrucksvoll, mit Fotos untermalt, zeigt Peter Fässler-Weibel wie<br />

die Kinder vorsichtig ihren Fre<strong>und</strong> berühren, manche erst nach einiger Zeit. Sie tun dies sehr<br />

liebevoll, bringen Zeichnungen oder Gegenstände mit, zeigen keine Scheu vor dem Toten.<br />

Peter Fässler-Weibel ist die ganze Zeit anwesend, unterstützt, wenn es nötig ist. Spannend ist<br />

seine Beobachtung, dass eine Mutter den Anblick des toten Kindes nicht aushielt <strong>und</strong><br />

kollabierte. Die Vermutung liegt nahe, dass wenn Mutter <strong>und</strong> Tochter zur selben Zeit im<br />

Raum gewesen wären, die Tochter, die ihrerseits keine Probleme mit der Situation hatte ,<br />

eventuell die Scheu der erwachsenen Person gespürt <strong>und</strong> übernommen hätte. Die<br />

Klassenkameraden verbrachten noch einige Zeit bei Daniels Familie <strong>und</strong> erzählten von<br />

gemeinsamen Erlebnissen <strong>und</strong> tauschten Erinnerungen aus. Ein Foto des Buben, wie er<br />

inmitten der Abschiedsgeschenke seiner Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der Blumen, die deren Eltern gebracht<br />

haben, liegt, ist den Eltern <strong>und</strong> Geschwistern eine wertvolle Erinnerung geworden.(2)<br />

Auch Daniela Tausch-Flammer (9) plädiert dafür, „Kinder wählen“ zu lassen, „ob sie bei der<br />

Beerdigung dabei sein möchten“. Sie meint, es mache das Kind „einsamer <strong>und</strong> lässt es mit der<br />

Angst allein“ wenn man es „ausschließt“. Auch sie betont, dass „eine Person in dieser Zeit bei<br />

ihm sein“ sollte, „zu der es Vertrauen hat“. „Es ist wichtig, zu lernen, nicht nur Freude,<br />

sondern auch das Leid miteinander zu teilen. Zu schwer <strong>und</strong> zu belastend wird es meistens<br />

nur dann, wenn wir uns alleine <strong>und</strong> alleingelassen damit fühlen (10).“<br />

Prof. <strong>Dr</strong>. J.C. Student betont, dass “kein Kind für die Teilnahme an solchen Ritualen zu jung<br />

ist“ <strong>und</strong> „die Möglichkeit bekommen muss, sich von Verstorbenen zu verabschieden“, indem<br />

es ihnen erlaubt wird „den Toten noch einmal zu sehen <strong>und</strong>/oder an der Beerdigung<br />

teilzunehmen (wenn auch vielleicht nur für wenige Minuten) (5).“ Wichtig ist auch, nicht<br />

darauf zu bestehen, dass sie beim Begräbnis „irgendetwas tun, was sie nicht mögen“, sondern<br />

dass ihnen „die Entscheidung darüber, in welcher Weise sie daran teilnehmen wollen“<br />

überlassen bleibt. (6).“


„In den Befürchtungen“, dass Kinder „durch den Anblick des Toten vielleicht nicht mehr<br />

schlafen könnten“ oder dass sich „das Bild vom Sarg, der in das Grab sinkt, lebenslang<br />

einprägt, spiegeln sich nur `erwachsene Ängste´, nicht die des Kindes. Kinder sind, im<br />

Gegenteil, zu einer `natürlichen´ Trauer vielfach weitaus fähiger als Erwachsene (3).“<br />

Der Trauerbegleiter Alan D. Wolfelt (11), der sich auf die Begleitung trauernder Kinder<br />

spezialisiert hat, schreibt vom Recht des Kindes, an der Trauerfeier teilzunehmen: „Der<br />

Trauerfeier eines geliebten Menschen beizuwohnen ist mehr als ein Privileg, es ist ein Recht,<br />

das jeder hat. Und jeder, der die verstorbene Person liebte, sollte ermutigt werden, daran<br />

teilzunehmen – auch Kinder.“<br />

Kinder wissen oft nicht, was sie von einer Trauerfeier zu erwarten haben. Sie können ihnen<br />

helfen, indem Sie ihnen erklären, was vor, während <strong>und</strong> nach der Feier geschehen wird.<br />

Lassen Sie sich dabei von den Fragen des Kindes <strong>und</strong> seiner natürlichen Neugier leiten.<br />

Trauernde Kinder bekommen die Bestätigung, dass auch ihre Gefühle `eine Rolle spielen´,<br />

wenn sie im Rahmen der Trauerfeier eine ihrer liebsten Erinnerungen vortragen oder ein<br />

spezielles Gedicht vorlesen dürfen. Schüchternere Kinder können sich daran beteiligen, indem<br />

sie beispielsweise eine Kerze anzünden oder etwas Besonderes (ein Erinnerungsstück, ein<br />

Foto oder eine Zeichnung) in oder auf den Sarg legen (11).“<br />

„Nichts für Kinder“ heißt eine Geschichte von Hanna Hanisch (4):<br />

„ `Kinder können da nicht mit´, sagte die Mutter. `Ich möchte mal wissen, wie das gemacht wird´, sagte<br />

Krischi. `Es ist zu traurig für dich´, sagte die Mutter. `Ich heule bestimmt nicht´, sagte Krischi. Die Mutter sagte<br />

noch eine Menge. Dass es eine ernste Feier sei, bei der die Leute schwarze Kleider anhaben, dass Kinder dort<br />

stören <strong>und</strong> dass es gar keinen Gr<strong>und</strong> gäbe, Krischi mitzunehmen, weil sie mit dem alten Buschka von nebenan<br />

nicht einmal verwandt gewesen seien. `Aber er war mein Fre<strong>und</strong>´, sagte Krischi `<strong>und</strong> er hat mir immer<br />

Briefmarken geschenkt!´<br />

Dann drehte er sich um. Es hatte keinen Zweck, sie verstanden einen nie. Mit dem alten Opa Buschke hätte er<br />

darüber reden können. Von Mann zu Mann sozusagen. Aber der war ja nun tot.<br />

Dann saß er ganz hinten. Er war mit dem Roller gekommen, niemand beachtete ihn. Die Kapuze vom Anorak<br />

zog er über den Kopf. Ob er so schwarz genug angezogen war? Die Halle mit den bunten Fenstern gefiel ihm.<br />

Auch die Blumen <strong>und</strong> überhaupt alles. Er entdeckte einige Leute aus der Straße. Sie standen auf, als vier Männer<br />

einen großen Kasten hereintrugen.<br />

Der Pfarrer erzählte eine Menge über Opa Buschke. Manches davon hatte Krischi gar nicht gewusst. Dass Opa<br />

Buschke einmal jung gewesen war <strong>und</strong> in einen Krieg zog, wofür er ein Abzeichen oder so etwas ähnliches<br />

bekommen hatte. Darum also hatte Opa Buschke das kranke Bein gehabt? Manches wiederum wusste Krischi<br />

viel besser. Die Sache mit den Kohlen zum Beispiel, wo Opa Buschke sich einfach vom Bahndamm hatte rollen<br />

lassen, immer mit dem Sack auf dem Rücken, <strong>und</strong> sie hatten ihn nicht erwischt.


Als die Leute nach draußen gingen, schloss er sich an. Die Männer ließen den Kasten an Stricken in ein großes<br />

Loch. Er faltete die Hände, wie die anderen Leute das auch machten. Wie tief mochte das Loch wohl sein? Da<br />

hatten sie aber eine Menge zu graben gehabt! Er hätte es sich gerne genau angesehen. Aber die Leute standen so<br />

dicht vor ihm.<br />

Der Pfarrer betete <strong>und</strong> sagte, dass alles wieder zu Erde wird. Die Leute warfen Blumen <strong>und</strong> Erde in das Loch.<br />

Nachher würden die vier Männer wohl alles wieder zuschippen. Dann war es ein Grab. Opa Buschkes Grab.<br />

So war das also! Jetzt wusste er es. Leise schlich er zur Seite. Wie lang war der Weg zurück zur Halle! Er löste<br />

das Steckschloss vom Roller <strong>und</strong> fuhr nach Hause. Nicht besonders schnell, er musste nachdenken.<br />

Nein, er heulte nicht. Aber er hätte sich gerne mit jemand über das alles unterhalten. Von Mann zu Mann<br />

sozusagen. Zum Beispiel mit Opa Buschke (11).“<br />

In Gesprächen mit Eltern mache ich häufig die Erfahrung, dass es tatsächlich für viele nicht<br />

einfach ist, Kinder mit einer Selbstverständlichkeit zu Begräbnissen mitzunehmen oder ihre<br />

Wünsche, wie sie sich im Rahmen des Begräbnisses verabschieden möchten, ernst zunehmen<br />

<strong>und</strong> ihnen nachzugehen. Zu ungewöhnlich scheinen diese manchmal. Dabei erlebe ich gerade<br />

dann, wenn ein Kind gestorben ist <strong>und</strong> sich seine Fre<strong>und</strong>e eigene Rituale einfallen lassen, dass<br />

diese die betroffene Familie durch die Spontaneität <strong>und</strong> Echtheit sehr rühren <strong>und</strong> trösten.<br />

Offensichtlich fällt es schwer, unseren Kindern in diesem Bereich Kompetenz zuzutrauen.<br />

Wir möchten sie vor Schlimmem bewahren <strong>und</strong> schließen sie aber von Erfahrungen aus,<br />

anstatt sie mit ihnen zu teilen. Wenn ich mich darauf einlasse, im Umgang mit Abschied <strong>und</strong><br />

Trauer von Kindern zu lernen, finde ich es jedoch immer wieder lohnend.<br />

In dem Vertrauen, dass sie fähig sind, auf ihre Weise Abschied zu nehmen <strong>und</strong> mit<br />

entsprechender Begleitung sowie ehrlicher Beantwortung auftauchender Fragen gibt es keinen<br />

Gr<strong>und</strong>, Kinder, die das möchten, nicht bei Beerdigungen dabei sein zu lassen.<br />

Literatur<br />

(1) Fässler-Weibel P., Herdina P.F., Rosenmayr F., Waldenmayer M.: Expertengespräch:<br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen;<br />

Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(2) Fässler-Weibel Peter, 6. Interdisziplinärer Palliativlehrgang, Wien, Kardinal-König-<br />

Akademie, Vortrag am 13.3.2002<br />

(3) Jülicher J.: Es wird alles wieder gut, aber nie mehr wie vorher; Echter Verlag, 3.<br />

Auflage, Würzburg, 1999, Seite 83<br />

(4) Hanisch H.: Nichts für Kinder; in: Steinwede D.: Tod <strong>und</strong> Leben – erzählen <strong>und</strong>


verstehen; Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001, Seite 15<br />

(5) Student J.C.: Trauer über den Tod eines Kindes; Eugen Lamparter, 8.<br />

Auflage, Stuttgart, 1998, Seite 14<br />

(6) ebendort, Seite 7<br />

(7) Tausch-Flammer, D.: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Herder Verlag, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 61<br />

(8) ebendort, Seite 62<br />

(9) Tausch-Flammer D.: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Herder Verlag, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 106<br />

(10) ebendort, Seite 107<br />

(11) Wolfelt, A. D.: Für Zeiten der Trauer; Kreuz Verlag, Stuttgart, 2002, Seite 9<br />

3.6 Wie kann ich wahrnehmen wenn ein Kind trauert? Wie trauern Kinder?<br />

Christa Plazet<br />

“Trauer ist eine spontane, natürliche, normale <strong>und</strong> selbstverständliche Antwort unseres<br />

Organismus <strong>und</strong> unserer ganzen Person auf Verlust.“ (Jorgos Canacakis)<br />

Das Wort Trauer stammt vom altenglischen Begriff „drusian“ <strong>und</strong> bedeutet sinken, matt,<br />

kraftlos werden.<br />

Trauer ist eine notwendige Voraussetzung für die Heilung, aber sie tut weh, kennt keine Zeit,<br />

keine Grenzen <strong>und</strong> keine Gesetzmäßigkeiten. Sie macht hilfsbedürftig.<br />

Kinder leiden genauso unter dem Schmerz wenn ein geliebter Mensch stirbt wie Erwachsene.<br />

Wie Kinder auf den Tod reagieren, hängt von vielen Faktoren ab:<br />

- Einstellung der Eltern zu Sterben <strong>und</strong> Tod<br />

Eltern geben ihre Haltung <strong>und</strong> Einstellung gegenüber Sterben <strong>und</strong> Tod in ihrer Erziehung<br />

weiter <strong>und</strong> Kinder identifizieren sich mit ihren Eltern.<br />

- Entwicklungstand<br />

Die unterschiedlichen Todeskonzepte sind vom kognitiven <strong>und</strong> emotionalen Reifegrad<br />

der Kinder abhängig.<br />

- Beziehung zu dem Verstorbenen<br />

Welche Rolle hat die verstorbene Person im Leben des Kindes gespielt? Je nach dem wird<br />

die Trauer unterschiedlich intensiv erlebt. Hat ein Kind ein Elternteil verloren, stellt das


eine schwere Belastung dar, <strong>und</strong> es lebt in der Angst auch den zweiten Elternteil zu<br />

verlieren. Durch den Verlust beider Elternteile kann das Kind eine intensive existenzielle<br />

Krise kommen. Auch die Beziehungsqualität hat einen Einfluss auf den Trauerprozess, es<br />

macht einen Unterschied, ob die Beziehung positiv oder konfliktreich erlebt wurde.<br />

- Art des Todes<br />

Tritt der Tod plötzlich ein, zum Beispiel durch einen Unfall, wird das als Schock erlebt.<br />

Es fehlt die Möglichkeit der Vorbereitung <strong>und</strong> Verabschiedung. Geht dem Ereignis eine<br />

Erkrankung voraus, haben Eltern die Chance das Kind altersentsprechend vorzubereiten.<br />

- Frühere Erfahrungen mit dem Tod<br />

können den Trauerprozess positiv oder negativ beeinflussen.<br />

- Religiöse Vorstellungen<br />

In jeder Religion spielt Tod eine große Rolle <strong>und</strong> verschiedene Bilder vom Leben nach dem<br />

Tod werden überliefert. Es ist zu berücksichtigen, in welchem Kulturkreis <strong>und</strong> religiösen<br />

Rahmen Kinder aufwachsen.<br />

- Alter des Kindes<br />

Altersabhängige Trauerreaktionen von Kindern:<br />

Säuglinge<br />

Säuglinge haben zwar kein Verständnis von der Bedeutung des Todes, sie spüren jedoch die<br />

Traueratmosphäre in ihrer unmittelbaren Umgebung, indem sie die Veränderungen in den<br />

Stimmen, im Gesichtsausdruck <strong>und</strong> im Tagesrhythmus wahrnehmen. Sie reagieren deutlich<br />

auf Trauer, die sie im Verhalten zum Ausdruck bringen, wie z.B. durch Weinen, Schreien,<br />

erhöhte Reizbarkeit oder Veränderungen im Schlaf- <strong>und</strong> Essverhalten.<br />

In dieser Zeit ist es für Babys besonders wichtig, körperliche Nähe zu den Eltern zu haben<br />

<strong>und</strong> eine Stabilität im Tagesrhythmus sollte gewährleistet sein. Auch Säuglinge verstehen,<br />

wenn man zu ihnen spricht!<br />

Kinder zwischen 1 <strong>und</strong> 3 Jahren<br />

zeigen verändertes Verhalten, etwa Änderungen im Eß- <strong>und</strong> Schlafverhalten, vermehrtes<br />

Weinen <strong>und</strong> Unruhe. Alle Gefühle, die bei Trennung auftauchen - wie z.B. Wut, Zorn, Angst,<br />

Ärger, Ruhelosigkeit, Suchen, Warten, Protest – werden je nach Temperament <strong>und</strong><br />

Persönlichkeit des Kindes intensiv gezeigt <strong>und</strong> ausgelebt.


Handelt es sich bei dem Verlust um eine enge Bezugsperson, so kann nach anfänglichem<br />

Warten <strong>und</strong> Suchen tiefe Resignation <strong>und</strong> Apathie folgen. Das Kind verliert seine innere<br />

Lebendigkeit.<br />

Kinder zwischen 3 <strong>und</strong> 5 Jahren<br />

Das Bedürfnis, den Tod zu erforschen, steht im Vordergr<strong>und</strong>. Für sie ist der Tod reversibel<br />

<strong>und</strong> Fragen tauchen auf, wie zum Beispiel: „Wohin ist Opa jetzt gegangen? Wann kommt er<br />

wieder zurück? Ist er jetzt bei den Engeln im Himmel? Daraus lässt sich auch schließen, das<br />

Kinder in diesem Alter die Erklärungen der Erwachsenen bildlich übernehmen, daher sollte<br />

man mit Umschreibungen, wie z.B. „Die Oma ist eingeschlafen, auf eine lange Reise<br />

gegangen oder sie war sehr krank“ vorsichtig sein.<br />

Bei schweren Verlusten reagieren Kinder tief verstört, verwirrt <strong>und</strong> sind auf der Suche nach<br />

dem Verstorbenen. Ganz normale Ängste können nach einem Verlust im engsten Kreis<br />

verstärkt werden, zum Beispiel in Form von Alpträumen.<br />

Schon überw<strong>und</strong>ene Ängste <strong>und</strong> Schwierigkeiten können wiederbelebt werden, genauso sind<br />

Entwicklungsrückschritte möglich.<br />

Kinder zwischen 6 <strong>und</strong> 10 Jahren<br />

Sie haben bereits eine ausgeprägte nicht selten personifizierte Vorstellung vom Tod.<br />

Es wechseln unterschiedliche Vorstellungen ab, wie Pendeln zwischen Realität <strong>und</strong> Phantasie.<br />

Sie haben Angst vor Verlust <strong>und</strong> Trennung, die sich zum Beispiel äußert, indem sie nicht<br />

mehr alleine in die Schule gehen oder alleine im Kinderzimmer schlafen wollen.<br />

Trennungsschmerz kann körperlich abgeführt werden in Form von psychosomatischen<br />

Erscheinungen. Immer wieder zu beobachten sind sozialer Rückzug <strong>und</strong> aggressives<br />

Verhalten. Es können Konzentrationsschwierigkeiten auftreten <strong>und</strong> somit schulischer<br />

Leistungsabfall.<br />

Sie zeigen Interesse an allen Dingen r<strong>und</strong> um den Tod in Form von Geschichten,<br />

Überlieferungen <strong>und</strong> Erzählungen, sie denken nach über die Endgültigkeit, die eigene<br />

Endlichkeit, das Jenseits <strong>und</strong> die Leib-Seele Frage.


Kinder zwischen 10 <strong>und</strong> 14 Jahren<br />

fragen nach dem Sinn des (eigenen) Lebens, spirituelle Fragen nach einem „Leben nach dem<br />

Tod“ tauchen auf.<br />

Können die eigenen Emotionen nicht ausgedrückt werden, kann es zu psychosomatischen<br />

Beschwerden kommen - häufig Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Gliederschmerzen,<br />

Magenschmerzen usw.<br />

Die Gestaltung der Trauer <strong>und</strong> Trauerarbeit erfolgt individuell, beispielsweise suchen sie sich<br />

Gegenstände vom Verstorbenen aus <strong>und</strong> benützen diese als Übergangsobjekt.<br />

Phasen der Traurigkeit <strong>und</strong> Phasen, in denen Lebenslust voll ausgekostet wird, wechseln sich<br />

ab.<br />

Jugendliche (gilt teilweise auch für jüngere Kinder)<br />

Wir können körperliche Reaktionen auf Trauer, wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen,<br />

Muskelverspannungen, Herzrasen, Appetitmangel oder Störungen im Verdauungstrakt sehen.<br />

An psychisch-emotionalen Reaktionen können Angst, Trauer, Aggression, Sorge, Dysphorie /<br />

Euphorie, Schock, Leere, Gleichgültigkeit, Wut, Einsamkeit, Verzweiflung, Zorn oder Starre<br />

zu sehen sein.<br />

Als kognitive Trauerreaktionen sind beispielsweise Lernhemmung, Konzentrationsstörungen<br />

<strong>und</strong> veränderte Arbeitshaltung anzuführen.<br />

Jugendliche reagieren mit Zuwendung zu/Abwendung von. Das Hadern mit höheren Mächten<br />

<strong>und</strong> Sinnkrisen sind Ausdruck einer Reaktion auf einen Verlust auf der spirituellen Ebene.<br />

Bekommen Jugendliche von den Erwachsenen keine sinnhafte Unterstützung, ist es möglich,<br />

dass sie sich bestimmten Gruppen oder Sekten anschließen oder zu Suchtmittel greifen.<br />

Jugendliche wollen meist alleine mit dem Verlusterlebnis fertig werden <strong>und</strong> ziehen sich eher<br />

zurück. Sie bevorzugen Gespräche mit Gleichaltrigen, weil sie sich von ihnen besser<br />

verstanden fühlen als von Erwachsenen.<br />

Zusätzlich hat jedes Kind seine einmalige Persönlichkeit, die die Art des Trauerns auf seine<br />

Weise beeinflusst. Es gibt verschiedene Gesichter der Trauer, aber keine richtige Art zu<br />

trauern.<br />

Zusammenfassung allgemeiner Trauerreaktionen von Kindern:<br />

- Sprunghaft, punktuelles Trauern<br />

- Rascher Wechsel der Gefühle


- Weinen oft dann nicht, wenn es erwartet wird<br />

- Existentielle Fragen <strong>und</strong> Sachfragen tauchen auf<br />

- Vielschichtige Ängste wie Trennungsangst, Verlustangst, Bestrafungsangst, Angst selbst zu<br />

sterben<br />

- Wut, Aggression, Zorn<br />

- Leere, Traurigkeit, Depression<br />

- Schuldgefühle bis hin zur Überlebensschuld<br />

- Aktives Verdrängen (“nicht wahr haben wollen“)<br />

- Übertriebene Ausgelassenheit<br />

- Temperamentausbrüche<br />

- Sprachlosigkeit<br />

- Wunsch, dass alles “normal“ weitergeht<br />

- Suche nach Verursacher<br />

- Idealisierungstendenz des Verstorbenen<br />

- Körperliche Beschwerden wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen,<br />

Magenschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafprobleme, allgemeine Nervosität, Zittern<br />

Aus dieser Vielfalt von möglichen Trauerreaktionen ist ersichtlich, dass Kinder mehr durch<br />

Verhaltensweisen als durch Worte trauern. Aber genauso drücken sie ihre Trauer im Spiel,<br />

beim Malen, Tagebuchschreiben, Musizieren oder Basteln <strong>und</strong> in ihrem sozialen Verhalten<br />

mit anderen Kindern aus.<br />

Gründe für das punktuelle Trauern der Kinder sind, dass sie absolut in der Gegenwart leben,<br />

im Gegensatz zu den Erwachsenen. Genau in einem Moment geht ihnen die betrauerte Person<br />

ab <strong>und</strong> das drücken sie auch sofort aus. Im nächsten Moment lachen oder spielen sie weiter.<br />

Sie haben auch noch nicht gelernt ihre Gefühle zu unterdrücken.<br />

“Trauer ist keine Krankheit, kann aber krank machen, wenn wir sie in ihrem Ausdruck<br />

behindern.“ (Canacakis, 1992) Erwachsene sollten daher nicht versuchen Kinder vor traurigen<br />

Ereignissen fernzuhalten oder gar den Tod zu verschweigen, sondern sie viel mehr ermutigen,<br />

ihre Trauer auszuleben, indem wir als ein gutes Bespiel vorangehen. Das setzt aber voraus,<br />

dass wir uns mit dem Thema bereits beschäftigt haben <strong>und</strong> uns ganz auf die Fragen <strong>und</strong><br />

Reaktionen der Kinder einlassen können. Es ist wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass<br />

jederzeit über den Verstorbenen <strong>und</strong> auch allgemein über das Thema Sterben <strong>und</strong> Tod geredet<br />

werden kann. Merkt es einmal, dass es tabu ist darüber zu sprechen, kommt es nicht mehr mit


Fragen, sondern zieht sich zurück <strong>und</strong> bleibt mit seinen Schmerzen <strong>und</strong> Gefühlen alleine. So<br />

kann es leicht zur Bildung von Phantasien kommen, die vielleicht viel bedrohlicher sein<br />

können als die Wahrheit.<br />

Manchmal reifen Kinder in der Trauerphase in einer kurzen Zeit weit über ihr Alter hinaus.<br />

“Der Kult des Todes ist, wenn er tiefgründig <strong>und</strong> vollkommen ist, auch ein Kult des Lebens.<br />

Beide sind untrennbar. Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben.“<br />

(Octavio Paz)<br />

Literatur<br />

Bogyi, Gertrude: Tod & Kinder; Vortrag ,IPZ 1170 Wien Hernalser Hauptstr. 15/3/11, 2002<br />

Brocher, Tobias: Wenn Kinder trauern!; Kreuz Verlag AG Zürich 1980<br />

Canacakis, Jorgos: Ich sehe deine Tränen; Kreuz Verlag, Stuttgart/Zürich, 1987<br />

Finger, Gertraud: Mit Kindern trauern; Kreuz Verlag, Zürich 1998<br />

Kübler-Ross, Elisabeth: Kinder <strong>und</strong> Tod; Kreuz Verlag Zürich 1984<br />

Leist, Marielene: Kinder begegnen dem Tod; 4. Aufl. – Gütersloher Verlagshaus 1999<br />

Specht-Tomann D., Tropper D: Wir nehmen jetzt Abschied: Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

begegnen Sterben <strong>und</strong> Tod; Patmos-Verlag, Düsseldorf, 2000<br />

Tausch-Flammer D., Bickel L.: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; 4. Aufl. – Verlag<br />

Herder spektrum 1998<br />

Wiese, Anja: Um Kinder trauern; Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001<br />

Wolfelt, Alan D: Für Zeiten der Trauer. Wie ich Kindern helfen kann; Kreuz Verlag<br />

GmbH &<strong>Co</strong> KG Stuttgart, Zürich 2002


3.7 Welche Bedürfnisse haben trauernde Kinder?<br />

Margot Weidinger-Strasser<br />

Keiner wortgewaltigen Ausführung bedurfte die Beantwortung dieser Frage. Liegen doch die<br />

wichtigsten Bedürfnisse von Kindern sehr klar auf der Hand. Anhand neuerer Ansätze der<br />

Trauerarbeit werden die Bedürfnisse herausgearbeitet <strong>und</strong> aufgezeigt.<br />

Das Modell der „fortdauernden Bindung“ von Dennis Klass <strong>und</strong> das Modell „Trauer<br />

erschließen“ von Ruthmarijke Smeding werden hierfür vorgestellt. Als <strong>Dr</strong>itten theoretischen<br />

Input soll Tod <strong>und</strong> Sterben aus systemischer Sicht betrachtet werden <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en die<br />

Auswirkungen in der Familie.<br />

Aus diesen drei Modellen <strong>und</strong> Sichtweisen versuche ich, die Bedürfnisse von Kindern<br />

herauszuarbeiten. Es ist mir auch ein Anliegen, kurz etwas über Rituale <strong>und</strong> die Bibliotherapie<br />

zu erzählen <strong>und</strong> ihnen dann praktische Hilfsmittel, Tipps <strong>und</strong> Anregungen zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

„Der Tod hat keine Bedeutung -<br />

ich bin nur nach nebenan gegangen.<br />

Ich bleibe wer ich bin,<br />

<strong>und</strong> auch ihr bleibt dieselben.<br />

Was wir einander bedeuten, bleibt bestehen.<br />

Nennt mich bei meinem vertrauten Namen.<br />

Sprecht in der gewohnten Weise mit mir<br />

<strong>und</strong> ändert euren Tonfall nicht!<br />

Hüllt euch nicht in Mäntel des Schweigens <strong>und</strong> Kummer!<br />

Lacht wie immer über kleine Scherze, die wir teilen.<br />

Lacht, spielt <strong>und</strong> denkt an mich. Betet für mich.<br />

Wenn ihr von mir sprecht, so tut es ohne Befangenheit<br />

<strong>und</strong> ohne jegliche Traurigkeit.<br />

Leben bedeutet immer nur Leben -<br />

es bleibt so bestehen wie es immer war,<br />

ohne Unterbrechung.<br />

Ihr seht mich nicht,<br />

aber in Gedanken bin ich bei euch.<br />

Ich warte auf euch, gar nicht weit fort,<br />

ganz in der Nähe.<br />

Alles ist gut.“<br />

Henry Scott Holland (1847-1918)


Früher bevorzugte man phasenorientierte, psychoanalytische Modelle zum Verständnis von<br />

Trauerprozessen. Derzeit finden zielorientierte Modelle ihre Anwendung. Nicht das Loslassen<br />

aller Bindungen, sondern das Verbleiben einer Resttrauer wird beschrieben. Die Zeit ist nun<br />

kein Kriterium mehr, die bestimmt, ob Trauer als „normal“ oder als pathologisch zu bewerten<br />

ist. Bei einem Vortrag in der Kardinal König Akademie am 23.04.02 von Prof. Dennis Klass<br />

erhielt ich die Anregung, mich mit dem Modell der fortdauernden Bindungen näher zu<br />

beschäftigen.<br />

„Ein Herz, das trauert, ein Herz, das träumerisch mit dem Toten kommuniziert ist dagegen<br />

immun, sich aus Enttäuschung gleich wieder neu zu verlieben (1).“<br />

Klass, Nickman <strong>und</strong> Silverman haben 1996 in London <strong>und</strong> Philadelphia ein gemeinsames<br />

Buch mit dem Titel "<strong>Co</strong>ntinuing Bo<strong>und</strong>s" herausgegeben. Eine wichtige Gr<strong>und</strong>lage bildeten<br />

Forschungsinterviews mit Kindern, die einen Elternteil verloren hatten <strong>und</strong> Interviews mit<br />

jungen Frauen, die im Kindesalter zu Waisen wurden. Eine Erkenntnis dieser Untersuchungen<br />

war, „dass sowohl trauernde Kinder als auch trauernde Erwachsene darum kämpfen, eine<br />

Verbindung zu der oder dem Verstorbenen aufrecht zu erhalten (2).“<br />

Der Tod beendet ein Leben, aber nicht eine Beziehung. Eine Beziehung benötigt keine<br />

körperliche Anwesenheit, um fortbestehen zu können. Bei den untersuchten Gruppen erfolgte<br />

die Beendigung der Trauer nicht durch das Loslassen der betrauerten Beziehung. Vielmehr<br />

erfolgte eine Veränderung der Beziehung. Dem Verstorbenen wird eine neue Rolle, ein neuer<br />

Platz gegeben. Es sind fortdauernde Bindungen, die eine innere Wirklichkeit haben <strong>und</strong><br />

oftmals nur durch den Besuch einer Gruppe eine soziale Wirklichkeit bekommen. In der<br />

Gruppe darf ich den Namen, die Erinnerungen, die Worte aussprechen, ich darf an den<br />

Geburtstag, den Namenstag, den Todestag denken. Der Verstorbene hat seine eigene<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> wird nicht romantisiert. Die WissenschaftlerInnen sprechen „von einem<br />

Anpassungs- <strong>und</strong> Wandlungsprozess in der Beziehung nach dem Tod <strong>und</strong> der Konstruktion<br />

<strong>und</strong> Rekonstruktion neuer Verbindungen (3).“<br />

Die Beziehung zum Verstorbenen muss nicht beendet werden um weiterleben zu können.<br />

Trauer, nicht als Prozess in Phasen, sondern ein Aushandlungsprozess mit regelmäßiger<br />

Neudefinition des Verlustes. „Wenn Beziehungen zu den Toten aufrechterhalten werden, wird<br />

es unwahrscheinlicher, dass deren Bilder in der Form von Projektionen reinkarniert werden,


die dann unsere Beziehung zu anderen Menschen verzerren... (4).“ Die Trauer wird sich<br />

wandeln, aber nie abgeschlossen sein. Trotz fortdauernder Bindung sollte eines aber nicht<br />

passieren, was folgende Geschichte versucht zu verdeutlichen.<br />

„Trauer darf mich nicht am Leben hindern.“<br />

(Kyriakos Chamalides)<br />

Das frisch vermählte Ehepaar fühlte sich wirklich besonders glücklich. Die beiden<br />

liebten sich sehr <strong>und</strong> verbrachten soviel Zeit miteinander als ihnen die täglichen<br />

Verpflichtungen erlaubten. Keiner wollte ohne dem anderen sein <strong>und</strong> so gaben sie sich<br />

ein Versprechen. Wie lange sie auch leben werden, <strong>und</strong> unabhängig wer zuerst<br />

versterben mag, sie werden nicht mehr heiraten. Nach ein paar Jahren des<br />

gemeinsamen Lebens verstarb die Frau an einer Krankheit. Unendlich traurig war der<br />

Mann, <strong>und</strong> er konnte es einfach nicht fassen. Mühselig versuchte er seine täglichen<br />

Aufgaben zu erfüllen. Nach einem Jahr der tiefen Trauer lernte er bei einem<br />

Spaziergang eine andere Frau kennen. Diese Frau war im sehr sympathisch <strong>und</strong> er<br />

beschloss trotz des Versprechens nochmals zu heiraten. Doch wollte er sich nicht<br />

heimlich aus diesem Versprechen lossagen, <strong>und</strong> so ging er am Tag der Hochzeit zum<br />

Grab seiner ersten Frau. Der Hochzeitsgesellschaft sagte er, es werde ohnehin nur kurz<br />

dauern <strong>und</strong> sie mögen doch bitte vor der Kirche auf ihn warten. Am Grab seiner Frau<br />

begann er ihr alles zu erklären <strong>und</strong> sie um Verständnis zu bitten. Da öffnete sich der<br />

Sargdeckel <strong>und</strong> die Frau erinnerte ihn an das Versprechen <strong>und</strong> bat ihn sich zu ihr zu<br />

setzen. Sie hatte eine Flasche Wein dabei <strong>und</strong> so machten sie es sich gemütlich. Sie<br />

begann Geschichten aus ihrem gemeinsamen Leben zu erzählen, <strong>und</strong> auch er ließ sich<br />

mit den Gedanken forttragen in die Vergangenheit. Als die Flasche Wein geleert war<br />

verabschiedete er sich <strong>und</strong> ging zur Kirche zurück. Welche Augen machte er, als dort<br />

niemand auf ihn wartete <strong>und</strong> er ganz alleine dort stand. Es waren keine Minuten des<br />

Ausbleibens, er hatte 30 Jahre am Grab seiner Frau verbracht <strong>und</strong> in Erinnerungen<br />

geschwelgt. Unbemerkt sind diese Jahre vergangen <strong>und</strong> er zu einem alten Mann<br />

geworden.<br />

<strong>Dr</strong>ei Verhaltensweisen können helfen, diese fortdauernden Bindungen zu etablieren:<br />

• Verbindungsobjekte schaffen


• Religiöse Ideen, Verehrung <strong>und</strong> Riten<br />

• Erinnerung<br />

Als vierte Verhaltensweise kann auch noch genannt werden, „Identifikation, dass heißt die<br />

innere Repräsentation des [Verstorbenen] zu einem Teil des Selbstbildes machen (5).“<br />

Als Ziel einer Trauerbegleitung kann daher folgendes formuliert werden: den Trauernden<br />

dabei unterstützen, die innere Repräsentation des Verstorbenen zuzulassen <strong>und</strong> als normal zu<br />

erleben.<br />

In einer anderen Form setzt sich Ruthmarijke Smeding mit Trauer auseinander. Ein<br />

psychoedukatives Modell als "Ergänzung zu den eigenen Fähigkeiten der Trauernden (6)."<br />

"Trauer entwickelt sich nicht linear, eine Phase folgt nicht auf die andere, sondern<br />

spiralenförmig. Immer wieder (...) ganz am Anfang zu stehen (...) <strong>und</strong> doch (...) kleine<br />

Veränderungen werden sichtbar (7)."<br />

Trauer als Wellenbewegung, als zyklische Komponente. <strong>Dr</strong>ei Gezeiten kennt das Modell<br />

"Trauer erschließen"<br />

• die Januszeit + Einstieg in die Schleusenzeit<br />

• die Labyrinthzeit<br />

• die Regenbogenzeit<br />

Um eine Mitte - ein Loch - sind die Gezeiten angeordnet. Der Trauernde passiert die<br />

einzelnen Gezeiten, immer wieder, wie den Wechsel der Jahreszeiten.


sterbeseitige (erste) Tür beerdigungsseitige (zweite) Tür<br />

Angehörige Trauernde<br />

Kommunikationsraum schließt sich nur allmählich<br />

leibhaftige Anwesenheit wird immer geringer<br />

sterbende<br />

Person Toter<br />

Erste Tür wird `geschlossen` Zweite Tür wird `geschlossen` durch<br />

durch medizin. Todesfeststellung Beerdigungsritus<br />

für die Angehörigen ist sie für die Trauernden `schließt` sie sich<br />

noch offen erst im erlauf der Trauerzeit<br />

=objektive Tür =Erfahrungstür (subjektiv)<br />

(med., gesellsch. definiert)<br />

Trauerschleuse: Der Weg durch die Schleusenzeit<br />

Quelle: Smeding/ Weiher 1999, 169<br />

Aus dem Modell möchte ich die Schleusenzeit, den einmaligen Einstieg, näher erläutern. Als<br />

Schleusenzeit versteht man die Zeitspanne zwischen Todesfeststellung/Todeseintritt <strong>und</strong> der<br />

Beerdigung/Bestattung. Der Tod schließt die erste Tür <strong>und</strong> verändert die Möglichkeiten der<br />

Angehörigen in ihrem Umgang mit dem Verstorbenen. Gesetzliche Normen treten in Kraft<br />

<strong>und</strong> besondere Handlungen beginnen. Es vollzieht sich ein Statusübergang <strong>und</strong> sowohl der<br />

Angehörige wie auch der Verstorbene verlassen die Schleuse auf einer jeweils anderen Ebene.<br />

„Während dieser 'Zeit in der Schleuse' wird die leibliche Gestalt dieser Person, in der sie für<br />

ihre Mitmenschen sichtbar <strong>und</strong> identifizierbar war, zum 'Leichnam'; die irdische Existenz der<br />

bisherigen Person ist damit unwiderruflich beendet (8).“ Aus einer Ehefrau wird eine Witwe,<br />

aus den Kindern Halbwaisen <strong>und</strong> aus den Angehörigen die Trauergemeinde. Der<br />

Statusübergang ist für Außenstehende nur mehr schwer ersichtlich, denn fehlende äußerliche


Zeichen der Trauer erschweren das Erkennen (Trauerkleidung, Armbinde). Die zweite Türe<br />

der Schleuse wird durch die Bestattung geschlossen, der Leichnam des Verstorbenen wird<br />

„dem völligen biologischen <strong>und</strong> physikalischen Verfall überlassen (9).“<br />

Bei der Beerdigung erfolgt eine Fokussierung auf den Toten. Die Angehörigen werden in<br />

ihrer Trauer kaum wahrgenommen. In ihrem Schmerz <strong>und</strong> in der Ungewissheit, wie das<br />

Leben weitergehen soll, bleiben sie weitgehend alleine. „Den Abschied vom vorhergehenden<br />

Leben müssen sie dabei oft in die neue Zeit mit hinübernehmen (10).“<br />

Das ist der Eintritt in eine Lernzeit, gekennzeichnet durch das Abschiednehmen vom<br />

Vorhergelebten <strong>und</strong> dem Zustand der Neuorientierung. Diese Schleusenzeit wird begleitet von<br />

Menschen, welche als Schleusenwärter/wächter bezeichnet werden <strong>und</strong> eine wichtige Rolle,<br />

Funktion <strong>und</strong> Aufgabe haben. Dazu gehören Seelsorger, Bestatter, Krankenschwester, Arzt,<br />

Rettungsfahrer, Polizei, Feuerwehr, Pathologe,...<br />

Geh nicht vor mir her -<br />

ich könnte dir nicht folgen,<br />

denn ich suche meinen eignen Weg.<br />

Geh nicht hinter mir -<br />

ich bin gewiss kein Leiter!<br />

Bitte bleib an meiner Seite -<br />

<strong>und</strong> sei nichts als ein Fre<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> - mein Begleiter...<br />

Camus<br />

Sie sind „in einer Schlüsselfunktion im Umgang mit Trauernden (11), denn sie legen wichtige<br />

Trittsteine bei der Bewältigung von Trauer.“<br />

„Diese Zeit enthält einerseits wiederholte Chancen, diesen Abschied zu begreifen,<br />

andererseits die Chance, den weiteren Trauerweg besser zu gestalten (12).“<br />

„In der Schleusenzeit stehen öffentliche Trauer <strong>und</strong> private Trauer in hautnaher Berührung...<br />

(13).“


„Aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, dass die Schleusenwärter den Angehörigen in einer solchen<br />

krisenhaften Situation gegenübertreten, besteht die Vermutung, dass die Art <strong>und</strong> Weise dieser<br />

Begegnung entscheidenden Einfluss hat auf den weiteren Verlauf des Trauerweges der<br />

Angehörigen (14).“<br />

Nicht unerwähnt sollen die drei Möglichkeiten bleiben, wie Trauernde ihre aktive Trauerzeit<br />

beenden können.<br />

• Integrieren der Trauer:<br />

Es kann ein „sowohl als auch“ gelebt werden. Dennoch kann es immer wieder kleine<br />

Januszeiten <strong>und</strong> eine Zeit des Labyrinths geben.<br />

• Ritualisieren der Trauer<br />

Wie gehe ich meinen weiteren Trauerweg, wie feiere ich Weihnachten, den Todestag,<br />

Hochzeitstag? Es müssen für jeden passende Rituale gef<strong>und</strong>en werden.<br />

• Abschließen der Trauer<br />

Ein Abschlussritual am Ende des Labyrinths kann einen wichtigen Punkt setzen <strong>und</strong><br />

helfen, die Trauer abzuschließen. Das Gefühl, in der Trauer gut begleitet zu sein, kann es<br />

dem Trauernden ermöglichen, seine Wehmut auszuhalten. „Ich lasse dich zurück, lebe<br />

ohne dich weiter (15).“ Die Sinnlosigkeit der schweren Verluste wird aber deshalb<br />

niemals sinnvoll.<br />

Nehmen sie nun mit mir einen Blickwinkel ein, der es uns ermöglicht, Trauer aus<br />

systemischer Sicht zu betrachten.<br />

Familiensysteme funktionieren nicht in linearen Prozessen, sondern die Energie fließt immer<br />

zirkulär. Die Familienmitglieder beeinflussen einander, stehen in Austausch miteinander, mit<br />

ihrer Umwelt, eingebettet in einem Makrokosmos. „Durch den Tod eines Kindes gerät das<br />

gesamte Familiengefüge durcheinander (16).“ Die Trauergemeinde nimmt nicht immer alle<br />

Trauernden <strong>und</strong> betroffenen Personen der Trauerfamilie in ihrem Schmerz wahr. Vor allem<br />

Kinder kennen das Gefühl, nicht beachtet zu werden. Die Familie verliert ihr Gleichgewicht,<br />

eine Aufgabenteilung wie bisher kann nicht erfolgen. Rollen sind nicht mehr besetzt. Die<br />

Familien können auch schon vor dem Eintreten eines Todesfalles in ihrer Art des<br />

Kommunikationsstiles unterschieden werden.<br />

Mit Hilfe des Family Environment Scale (FES) konnten fünf Familientypen eingegrenzt<br />

werden.


• feindselige<br />

• mürrische (dysfunktionale)<br />

• konfliktlösende,<br />

• supportive<br />

• normale (funktionale)<br />

Erwähnenswert ist, dass bei den ersten beiden Familientypen die Mitglieder psychisch sehr<br />

belastet <strong>und</strong> gefährdet sind. Die Familien zeigten geringen emotionalen Zusammenhalt <strong>und</strong><br />

ein hohes Konfliktlevel. Diese Familien brauchen schon während der Erkrankungszeit <strong>und</strong><br />

auch bei Todeseintritt des Familienmitgliedes dringend therapeutische Unterstützung (17).<br />

Das Verhalten der Familienmitglieder ist eine wechselseitige Beziehung <strong>und</strong> kann nicht<br />

isoliert betrachtet werden. Strukturen, Störpotentiale, Fähigkeiten, ausgesprochene <strong>und</strong><br />

unausgesprochene Regeln <strong>und</strong> Ressourcen sollen in diesem Kontext erkannt <strong>und</strong><br />

wahrgenommen werden. Mit diesem Wissen „kommt in erster Linie der Familie als engstem<br />

sozialem Kontext eine besondere Bedeutung bezüglich der Beeinflussung des<br />

Trauerverhaltens ihrer einzelnen Familienmitglieder zu (18).“<br />

„Es kann davon ausgegangen werden, dass zwischen der Trauer um ein verstorbenes<br />

Familienmitglied <strong>und</strong> den in dem sozialen System der Familie daraufhin ablaufenden<br />

Prozessen ein interdependentes Verhältnis besteht (19).“ Die Familienmitglieder können sich<br />

gegenseitig unterstützen <strong>und</strong> durch die entstandene Nähe in einem intensiven Austausch die<br />

Gefühle <strong>und</strong> Bedürfnisse des Anderen wahrnehmen <strong>und</strong> verstehen. Die obere Schicht des<br />

Trauerweges, „die Tragödie des Todes“, ist für die Umwelt sichtbar, „die innerpsychischen<br />

Prozesse, die die Familie in tiefen Schichten durchleiden, finden häufig im Verborgenen statt<br />

(20).“ Das soziale System wird als Ganzes in seiner Anpassungsfähigkeit herausgefordert <strong>und</strong><br />

muss im Laufe des Trauerns neu strukturiert werden, um eine neue Aufgaben- <strong>und</strong><br />

Rollenverteilung zur Bewältigung der anstehenden Probleme zu entwickeln. Für Goldbrunner<br />

ist die Offenheit des familiären Systems sowohl innerhalb, als auch in Bezug auf die Umwelt<br />

die wichtigste systemische Bedingung für einen positiven Trauerverlauf <strong>und</strong> es ermöglicht,<br />

den Verlust in das Leben zu integrieren. Faktoren, welche eine offene <strong>und</strong> aufrichtige<br />

Kommunikation untersagen oder erschweren:<br />

• Tabuisierung des Todes in unserer Leistungs- <strong>und</strong> Funktionsgesellschaft. Die Belastung<br />

darf gegenüber Anderen nicht eingestanden werden.


• Der Glaube, dass es hilfreich ist, so wenig wie möglich über den Toten <strong>und</strong> die<br />

Todesursache zu sprechen.<br />

• Unverarbeitete frühere Verluste „Ich kann nur bestehen, wenn ich auch diesen Schmerz<br />

verleugne <strong>und</strong> unterdrücke.“<br />

• Eingefahrene Muster der Konfliktbewältigung.<br />

Die Ungewissheit, ob es der Familie gelingt, den Alltag trotz diesem einschneidenden<br />

Erlebnis zu organisieren, erzeugt Angst. Die Familienmitglieder kontrollieren sich in ihren<br />

Trauerreaktionen. „Diese Kontrollfunktion (...) dient nicht primär dem Zweck, Trauer zu<br />

verhindern, sondern das Funktionieren des Systems auch in der Trauerkrise<br />

aufrechtzuerhalten (21).“ Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt folgende Aussage an<br />

Bedeutung. „In der Trauer [hat] der Trauernde eine stärkere Nähe zum Toten als zum<br />

lebenden Menschen (22).“ Ist es stark trauernden Menschen nicht möglich, Aufgaben des<br />

Familienlebens zu übernehmen oder anfallende Entscheidungen zu treffen, so müssen dies<br />

andere tun. Wenig trauernde Menschen neigen dann dazu, ihre Trauer zu Gunsten der<br />

Alltagsbewältigung zu unterdrücken <strong>und</strong> sich diesen Aufgaben verstärkt anzunehmen. Dieses<br />

Spannungsverhältnis ist eine Bedrohung für die Trauer des gesamten Familiensystems. Die<br />

systemische Sicht ist einer individuumszentrierten vorzuziehen, zumal isoliert betrachtetes<br />

Verhalten pathologisch erscheinen mag <strong>und</strong> zu einer Symptom- <strong>und</strong> Störzuschreibung der<br />

einzelnen Person führt. Betrachte ich hingegen die Familien mit ihren Bedingungen <strong>und</strong><br />

Strukturen, kann ich das Verhalten einer einzelnen Person als systemimmanent einordnen.<br />

Dem Modell von Dennis Klass entnehme ich die Wichtigkeit Abschied zu nehmen, Zeit zu<br />

haben <strong>und</strong> Rituale zu finden. Ruthmarijke Smeding lenkt mein Augenmerk auf die Zeitspanne<br />

zwischen Todeseintritt <strong>und</strong> Begräbnis <strong>und</strong> betont somit, wie wichtig es ist, alle<br />

Familienmitglieder mit einzubeziehen. Durch die systemische Sichtweise wurde mir die<br />

Auswirkungen von Krankheit, Tod <strong>und</strong> Verlust eines Einzelnen auf das gesamte<br />

Familiensystem erneut bewusst. Kindern bleibt nichts verborgen. Kinder brauchen<br />

Ansprechpersonen. Kinder müssen ernstgenommen werden, Halt, Liebe <strong>und</strong> Geborgenheit<br />

finden. Folgende Bedürfnisse sind eine Aufzählung ohne einer hierarchischen Ordnung <strong>und</strong><br />

können als gleichwertig angesehen werden:


a) Zeit zum Abschiednehmen<br />

Carpe diem: Helfen sie anderen wichtigen Erwachsenen im Leben des Kindes zu verstehen,<br />

dass der Trauerprozess sehr, sehr lange dauern kann.<br />

T r ä n e n<br />

Ich bin so<br />

voller Tränen<br />

die ich mich nie<br />

weinen ließ:<br />

wie ich es gelernt hatte.<br />

Manchmal weine ich jetzt<br />

einfach so<br />

wenn ich mich<br />

danach fühle<br />

doch ich habe<br />

Angst<br />

in all diesen Tränen<br />

zu ertrinken<br />

Ich habe noch Tränen<br />

für h<strong>und</strong>ert Jahre<br />

in mir.<br />

Hans-Curt Flemming<br />

„Das Kind braucht Zeit zum Trauern <strong>und</strong> Zeit zum Abschiednehmen. Erwachsene sollten<br />

nicht glauben, dass Kinder schnell vergessen <strong>und</strong> deshalb hastig alle Erinnerungsspuren<br />

wegwischen. Wenn dem Kind geholfen wird, sich an den Verstorbenen zu erinnern, wird ihm<br />

auch geholfen, die Tatsache des Todes anzuerkennen <strong>und</strong> zu verarbeiten (23).“<br />

b) Menschliche Wärme, Kuschelst<strong>und</strong>en, körperlicher Kontakt, geliebt werden, sich geliebt<br />

fühlen.<br />

Carpe diem: Achten sie darauf, dass Kind oft zu liebkosen <strong>und</strong> zu umarmen. Spielen sie<br />

heute einmal Huckepack mit ihm.


„Geliebt <strong>und</strong> geachtet zu werden um seiner selbst, um seiner Einzigartigkeit willen, nicht als<br />

Ersatz oder Kopie ... (24)“.<br />

c) Viel Aufmerksamkeit<br />

Carpe diem: Tragen sie jetzt, da sie gerade darüber nachdenken, diese besonderen Tage in<br />

ihrem Kalender ein, mit dem Vermerk, das Kind an diesen Tagen auf irgendeine Weise zu<br />

unterstützen.<br />

Nicht immer wollen Kinder sprechen <strong>und</strong> nicht immer wollen sie berührt werden, aber die<br />

Aufmerksamkeit, die man ihnen entgegenbringt, kann sich in vielen kleinen Dingen zeigen.<br />

Zum Beispiel einen Spaziergang machen, beim Kuchenbacken helfen, Haare frisieren,<br />

Blumen pflücken <strong>und</strong> Witze erzählen,...<br />

d) Rituale<br />

Carpe diem: Wenn sie sich mit dem Kind unterhalten, dann kommen sie auf das Thema einer<br />

Zeremonie zu sprechen. Sofern es interessiert zu sein scheint, beginnen sie eine Zeremonie<br />

mit ihm zu planen.<br />

Verschiedene Symbole können für ein Ritual verwendet werden. Achten sie darauf, dass das<br />

Kind das Ritual, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, alleine durchführen kann. Bedenken sie<br />

die Gefahr bei Kerzen oder Feuerritualen.<br />

e) Klarheit über die Schuldfrage<br />

Carpe diem: Fragen sie das Kind, warum der geliebte Mensch seiner Meinung nach<br />

gestorben ist. Diese Frage kann etwaige Schuldgefühle offen legen.<br />

„Das Bedürfnis nach Befreiung von der qualvollen Hochspannung der Gefühle von Trauer,<br />

Schuld <strong>und</strong> Zorn <strong>und</strong> das Bedürfnis, diese Gefühle zu teilen (25).“<br />

f) Nonverbale Kommunikation<br />

Carpe diem: Mitfühlend sein heißt, etwas „mit Gefühl“ zu tun. Sorgen sie heute „mit<br />

Gefühl“ für das Kind.<br />

g) Heilenden Rhythmus, geregelter Tagesablauf, Normalität, Ernährung, Bewegung<br />

Carpe diem: Verwöhnen sie das Kind heute mit einer selbstgekochten Mahlzeit.<br />

Für Kinder ist es hilfreich, gewohnte Aktivitäten des Tages, wie Schule, externe<br />

Freizeitaktivitäten,... auch im Trauerfall beizubehalten. Sie ermöglichen dem Kind, auch an


etwas anderes zu denken. Sie geben Stabilität <strong>und</strong> sie vermitteln das Gefühl, die Welt steht<br />

nicht still!<br />

h) Dass Erwachsene ihre Trauer nicht verbergen<br />

Carpe diem: Wie fühlen Sie sich heute im Zusammenhang mit dem Todesfall? Bringen Sie<br />

ihre Gefühle dem Kind gegenüber zum Ausdruck. Teilen Sie mit dem Kind entsprechende<br />

Gedanken <strong>und</strong> Gefühle. Als Erwachsener ist man dem Kind auch immer Vorbild. Ein offener<br />

Umgang mit den eigenen Gefühlen ist angebracht. Kinder müssen in dieser Situation nicht<br />

„groß <strong>und</strong> stark“ sein, „tapfer sein“, oder „die Zähne zusammenbeißen“,...<br />

„...Gram, der nicht spricht, presst das beladne Herz, bis das es bricht.“ (William Shakespeare)<br />

i) Die Erlaubnis, sich hilfsbereit <strong>und</strong> fürsorglich zeigen zu dürfen.<br />

Carpe diem: Sprechen sie mit dem Kind, wem es gerne helfen möchte. Beginnen sie heute,<br />

entsprechende Pläne zu schmieden.<br />

j) Menschen um sich haben, die die starken Gefühle aushalten (Wut, Zorn)<br />

Carpe diem: Kaufen sie dem Kind einen kleinen Punchingball für sein Zimmer. Seine Wut<br />

abzureagieren, indem es auf den Punchingball einboxt ist nicht nur eine gute Therapie,<br />

sondern auch ein gutes Körpertraining. Es hilft dem Kind, diese schwierigen Zeiten zu<br />

überleben, wenn es seine Wut angemessen ausdrücken darf.<br />

Die Moralvorstellung, über Tote darf man nicht schlecht sprechen, ist für Kinder nicht<br />

hilfreich. Verletztheit, Gekränktheit, Traurigkeit <strong>und</strong> Verlustangst sind oft hinter<br />

Kraftausdrücken, Wutausbrüchen <strong>und</strong> Entwertungen gut versteckt.<br />

k) Die Erlaubnis, ehrlich mit anderen darüber reden zu dürfen, Schule <strong>und</strong> Kindergarten<br />

informieren, genügend Raum haben, um sich offen austauschen zu können.<br />

Carpe diem: Erstellen sie eine Liste aller Personen, die im Leben des Kindes eine Rolle<br />

spielen. Einige davon sind möglicherweise nicht einmal über den Todesfall informiert. Rufen<br />

sie heute an, <strong>und</strong> schließen sie auf diese Weise den Kreis der Liebe.<br />

Besonders schwer ist es, diese Offenheit zu wahren, wenn der Verstorbene „unehrenvoll“ aus<br />

dem Leben geschieden ist (Suizid). Die Familien sind mit gesellschaftlicher Verurteilung <strong>und</strong><br />

Ächtung konfrontiert. Ist das Kind über die Todesursache <strong>und</strong> den Tod ehrlich <strong>und</strong> offen<br />

informiert worden, so können Konfrontationen mit Gleichaltrigen besser ausgehalten werden.<br />

Tragisch ist es, wenn das Nachbarskind genaueres zu wissen scheint, <strong>und</strong> das betroffene Kind


loßgestellt wird <strong>und</strong> sich mit seinen Fragen an niemanden wenden kann. „Wörter wie Tod,<br />

Sterben <strong>und</strong> Trauer dürfen keine Tabuwörter sein... (26)“.<br />

Besonders zu beachten ist, „...dass die Verdrängung des Schmerzes, das Verbot seiner<br />

öffentlichen Äußerung <strong>und</strong> der Zwang, allein <strong>und</strong> im Verborgenen zu leiden, das vom Verlust<br />

eines geliebten Wesen herrührende Trauma verschärfen (27)“ kann.<br />

l) feste <strong>und</strong> sichere Beziehung<br />

Carpe diem: Widerstehen sie das nächste Mal, wenn das Kind weint, dem natürlichen <strong>Dr</strong>ang,<br />

es beruhigen zu wollen, damit es zu weinen aufhört. Halten sie es stattdessen liebevoll im<br />

Arm, <strong>und</strong> lassen sie es so lange <strong>und</strong> so heftig (<strong>und</strong> so oft) weinen wie es möchte.<br />

„Familiäre Unterstützung, die nicht einengt, auf die man sich aber immer wieder verlassen<br />

kann (28)“.<br />

Wenn es möglich ist, sollten in dieser Zeit die Beziehungen <strong>und</strong> die sozialen Kontakte<br />

aufrecht bleiben. Vermeiden sie daher, wenn sie die Wahl haben, Ortsveränderungen,<br />

Umzüge, Schul- oder einen etwaigen Kindergartenwechsel.<br />

m) Keine langen Erklärungen, besser sind kleine Häppchen <strong>und</strong> ehrliche Antworten.<br />

Carpe diem: Es ist wichtig, was die Art des Todes angeht, dem Kind gegenüber ehrlich zu<br />

sein. Erklären sie ihm, wie die betreffende Person starb <strong>und</strong> warum - so gut wie möglich.<br />

Beantworten sie seine Fragen aufrichtig.<br />

In besonderer Weise sind Kinder auf Aufklärung der Zusammenhänge angewiesen, die ihre<br />

Geschwister durch Krankheit verloren haben. Entstehende Informationslücken werden „oft<br />

auf verhängnisvolle, ja phantastische Weise (29)“ gefüllt.<br />

Ihre Autorität, ihre Stellung ist nicht in Gefahr, es ist keine Schwäche <strong>und</strong> kein<br />

Persönlichkeitsverlust, wenn sie dem Kind gegenüber eine Frage nicht beantworten können.<br />

Es ist gut nur Vorstellungen vom Tod weiterzugeben, die man selber vertreten kann.<br />

„Kinder ahnen oder wissen die Wahrheit immer. Diese barmherzige Lüge ist für die Kinder<br />

ein zusätzlicher Schock, ein Vertrauensbruch... (30)“.<br />

„Der Legende nach steckt vor der Geburt der Engel ein Licht über der Seele auf,<br />

das die Seele von einem Ende der Welt zur anderen schauen lässt,... sie schauen<br />

lässt, wo sie leben <strong>und</strong> wo sie sterben wird,... <strong>und</strong> er führte sie durch die ganze<br />

Welt <strong>und</strong> zeigt ihr die Gerechten <strong>und</strong> die Sünder <strong>und</strong> alle Dinge.“ Bei der Geburt<br />

aber „löscht der Engel das Licht, <strong>und</strong> das Kind vergisst alles, was seine Seele


gesehen <strong>und</strong> gelernt hat, <strong>und</strong> weinend kommt es in die Welt, denn es verliert<br />

einen Ort der Geborgenheit <strong>und</strong> der Sicherheit <strong>und</strong> der Ruhe.“ Ist sie jedoch<br />

einmal ins irdische Leben, „flieht die Seele jede Nacht aus dem Körper, steigt<br />

zum Himmel auf <strong>und</strong> holt von dort neues Leben...“<br />

Vielleicht versuchen wir uns beim Träumen an das zu erinnern, was unsere Seele<br />

immer gewusst hat.“<br />

n) In der Familie über den Toten sprechen können, sich erinnern.<br />

Carpe diem: Ermuntern sie das Kind, ihnen von einer Erinnerung an die verstorbene Person<br />

zu erzählen. Oder bitten sie es, ihnen einen Schnappschuss von der verstorbenen Person zu<br />

zeigen <strong>und</strong> ihnen dann zu erzählen, bei welchem Anlass das Photo gemacht wurde.<br />

Die Anregungen "Carpe diem" sind dem Buch "Für Zeiten der Trauer" (31) entnommen.<br />

W-Fragen:<br />

Die unvermittelten Kinderfragen verleiten Erwachsene zu einer oberflächlichen Beantwortung<br />

<strong>und</strong> die versteckten Botschaften werden nicht wahrgenommen oder herausgehört. Sind es die<br />

Fragen nach der Ursache, nach der Bedeutung, nach dem Sinn oder dem Weg, welche<br />

eigentlich im Raum stehen? Einzig das eigene Unvermögen, die Unsicherheit <strong>und</strong> das Gefühl<br />

selbst keine Antworten zu haben führen zu dieser vorschnellen Entgegnung. Das Warum, das<br />

Wozu <strong>und</strong> das Wohin sind gewichtige Fragen die man sich zur Bewältigung eines Verlustes<br />

stellt. Geben wir uns die Zeit in die Antwort hinein zu leben.<br />

„Warum?“ - die Frage nach Ursache <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong><br />

Diese Frage impliziert unterschiedliche Absichten, die herausdifferenziert werden müssen.<br />

Eine Beantwortung auf der reinen Sachebene stillt nicht das Bedürfnis des Fragenden, <strong>und</strong><br />

ermöglicht keine ganzheitliche Wahrnehmung. Hilfreich ist es, neben den verbalen auch alle<br />

nonverbalen Zeichen, wie Gestik, Mimik, Stimmlage, Körperhaltung, Ausdruck der Augen,...<br />

zu beachten.<br />

„Wozu?“ - die Frage nach Bedeutung <strong>und</strong> Sinn<br />

Es ist ein gemeinsames Suchen nach Antworten, bei dem die Kategorien „Richtig oder<br />

Falsch“ nicht vorhanden sind. Der Antwortende muss sich auf ungewöhnliche Denkprozesse


einlassen, <strong>und</strong> auch genügend Offenheit <strong>und</strong> eigene Erfahrung haben <strong>und</strong> dies in dem Prozess<br />

mit einbringen. Ziel ist es, plausible Antworten zu finden <strong>und</strong> nicht am Schluss viele offene<br />

Fragen zu hinterlassen.<br />

„Wohin?“ - die Frage nach Weg <strong>und</strong> Ziel<br />

Oftmals wird die Frage des Wohin beantwortet, ohne gestellt worden zu sein. Die Frage nach<br />

dem Warum <strong>und</strong> dem Wozu wird dadurch abgewürgt. Hoffnung kann nur geben, wer nicht<br />

einfach etwas vorplappert, sondern authentisch eine Perspektive anbietet. Das Erleben einer<br />

Gemeinschaft kann hier stabilisierend wirken <strong>und</strong> hilfreich sein.<br />

Rituale:<br />

Bei der Literaturrecherche konnte ich zum Teil sehr widersprüchliche Haltungen zum Thema<br />

Rituale finden. Als Ritual wird ein gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer<br />

festgelegten Ordnung verstanden. Eine Wiederholbarkeit sollte gewährleistet sein. Persönlich<br />

unterscheide ich zwei Arten von Ritualen:<br />

a) Rituale mit starker traditioneller Komponente<br />

b) Rituale, welche einem individuellen Bedürfnis erwachsen<br />

ad a) Die Starrheit, mit der Traditionen oft durchgeführt werden, bietet Kindern wenig<br />

Möglichkeit, einen „geerdeten Halt“ darin zu finden. Kindgerechte Rituale fehlen gerade in<br />

unserer Art der Bestattung <strong>und</strong> Trauerbegleitung (automatisierte, sinnentleerte Handlungen).<br />

ad b) Kinder haben Phantasie <strong>und</strong> können viel zur Gestaltung einer schönen Zeremonie<br />

beitragen. Ihre unkonventionelle <strong>und</strong> spontane Art, ihre Gefühle auszudrücken, ist auch für<br />

Erwachsene hilfreich. Das Gefühl, die Freiheit zu haben, ein Ritual zu erweitern oder<br />

abzuändern, zeigt von einem stabilen Selbst mit ausreichend Mut, den nächsten Schritt zu<br />

gehen.<br />

Vielfach ist das Wissen um die regionale Gepflogenheit verloren gegangen. (Patenausträger,<br />

Todeslicht, Trauerschmuck,...)<br />

Nicht alle alten Rituale sind verschw<strong>und</strong>en, aber Unterschiede zwischen Stadt <strong>und</strong> Land<br />

können festgestellt werden.<br />

Schön ist es, wenn ein Ritual eine bewusst vorbereitete <strong>und</strong> vollzogene symbolische<br />

Handlung ist, das traditionelle Elemente enthalten kann, <strong>und</strong> durch dessen Regelhaftigkeit<br />

Schutz bietet in dieser Zeit der chaotischen Gefühle <strong>und</strong> Empfindungen, aber nicht erstarrt


<strong>und</strong> zum Selbstzweck eingesetzt wird. Übergangsriten können nach Arnold von Gennep (32)<br />

in 3 Phasen eingeteilt werden:<br />

a) Trennung<br />

b) Liminalität (Schwelle, Zustand des „Niemand- <strong>und</strong> Nirgendwo-Seins)“<br />

c) Wiedereingliederung<br />

Es ist gut, ein Trauerseminar unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte aufzubauen um<br />

somit Folgendem Platz zu geben:<br />

a) Raum zum Klagen <strong>und</strong> Weinen<br />

b) Iststanderhebung, Standortbestimmung, Selbstwahrnehmung<br />

c) Was hat sich verändert, wie sind die Beziehungen in der Familie<br />

d) Kräfte Ressourcenerhebung, Perspektiven erarbeiten<br />

Rudi, die Raupe<br />

Auf der Pusteblumenwiese lebten einst viele Bienen, Heuschrecken, Grashüpfer, Spinnen <strong>und</strong><br />

andere Tiere, die eben auf einer solchen Wiese anzutreffen sind. Viele von ihnen trafen sich<br />

täglich zu lustigen Tänzen, Spielen <strong>und</strong> Unterhaltung, wie es auch Asah, der Marienkäfer,<br />

Max, die Stubenfliege, Roli, die Weinbergschnecke, Uli, die Biene <strong>und</strong> Rudi, die Raupe<br />

gewohnt waren. Es gab nichts Schöneres für sie, als den ganzen Tag mit Tänzen <strong>und</strong> Spielen<br />

zu verbringen. Sie lebten sehr glücklich, nur manchmal gab es Streitigkeiten, doch man<br />

versöhnte sich bald wieder.<br />

Eines Tages aber bemerkten die Tiere, dass sich Rudi die Raupe so eigenartig benahm.<br />

Während er sonst sehr vergnügt <strong>und</strong> heiter dreinblickte, schien er sehr traurig <strong>und</strong><br />

niedergeschlagen zu sein. Roli, die Weinbergschnecke, ließ sich einen Witz einfallen, um<br />

Rudi ein wenig zu erheitern, doch Rudi verzog seine M<strong>und</strong>winkel nicht ein bisschen. Uli, die<br />

Biene, trällerte Rudis Lieblingslied - aber auch das half nicht. Ja, nicht einmal das Rutschen<br />

von Löwenzahnhalmen, ein Spiel, das Rudi besonders gern mochte, konnte ihn begeistern.<br />

Schließlich befragten die Tiere ihn wegen seines Kummers. Rudi wusste es selbst nicht genau,<br />

außerdem war es zu schwierig, den Gr<strong>und</strong> für sein Verhalten zu erklären. Rudi bat seine<br />

Fre<strong>und</strong>e um Geduld <strong>und</strong> so blieb ihnen wohl nichts übrig, als eine Besserung abzuwarten.<br />

Doch nur zu warten <strong>und</strong> dabei zusehen zu müssen, wie schlecht es ihrem Fre<strong>und</strong> ging, fiel den


Tieren nicht leicht. Indes verstärkte sich Rudis Verhalten mehr <strong>und</strong> mehr, er verschlang<br />

Unmengen von Grünzeug, brummte gereizt vor sich hin <strong>und</strong> schlief die meiste Zeit, während<br />

die anderen spielten <strong>und</strong> sangen. Schließlich webte er einen Seidenschlauch, in welchem er<br />

sich verkroch. Seine Fre<strong>und</strong>e hielten an diesem Abend Nachschau, doch ihr Schrecken war<br />

groß, als sie den leblosen Körper von Rudi fanden. Auch der klügste Grashüpfer, den sie um<br />

Rat fragten, wusste auf eine solche Tatsache keine Antwort. Er erklärte den Tieren, dass Rudi<br />

der Tod ereilt hatte, <strong>und</strong> dass sich seine Fre<strong>und</strong>e damit abfinden sollten. Die Tiere waren<br />

traurig, hielten Totenwache <strong>und</strong> schworen ihrem Fre<strong>und</strong> Rudi Treue über den Tod hinaus.<br />

Außerdem besuchten sie von nun an täglich seinen seidenartigen Grabschlauch.<br />

Eines Morgens jedoch, es waren etwa vierzehn Tage seit Rudis Tod vergangen, hörten sie<br />

eine ihren Ohren vertraute Stimme singen. Konnte es möglich sein, dass Rudi doch nicht tot<br />

war? Schnell eilten sie aus ihren Schlupflöchern <strong>und</strong> fanden einen zerrissenen Grabschlauch.<br />

Über dem Schlauch aber schwebte ein schönes, in allen möglichen Farben schimmerndes<br />

Wesen mit schlagenden Flügeln. Noch nie hatten die Tiere ein solches Tier <strong>und</strong> eine solche<br />

Farbenpracht gesehen. Asah, der gutbelesene Marienkäfer meinte, das es sich bei diesem Tier<br />

um einen Schmetterling handeln müsse. So war es auch. Der Schmetterling flatterte einige<br />

Male um sie herum, als wenn er sich verabschieden wolle. Und sie erkannten ihren Fre<strong>und</strong><br />

Rudi, der einst als Raupe bei ihnen gelebt hatte. Schließlich flatterte der Schmetterling davon,<br />

um sich seiner neuen Aufgabe, die Blumen zu bestäuben, zu widmen.<br />

Noch lange Zeit, dachten die Tiere an Rudi <strong>und</strong> es tat ihnen im Herzen weh, dass er nicht<br />

mehr bei ihnen war. Aber sie freuten sich auch für Rudi, für sein neues, buntes <strong>und</strong><br />

glückliches Leben.<br />

Symbole, welche oft die Gr<strong>und</strong>lage für Rituale bilden, sind wirklich vielseitig einsetzbar.<br />

Besonders schöne Beispiele mit Aussagekraft entnehme ich dem Buch „Um Kinder Trauern<br />

(33).“<br />

� Brücke: Als Zeichen des Überganges, es verbindet das Diesseits mit dem Jenseits<br />

� Hände: Viele Emotionen können damit ausgedrückt werden. Sie stehen für Verbindung<br />

<strong>und</strong> Zusammenhalt <strong>und</strong> zeigen auf, wie viel eine Familie an Trauer des Einzelnen aushält.<br />

� Wüste: Durststrecke, Leere, Sinnlosigkeit, Leblosigkeit, ein geschärftes Auge für das<br />

Wesentliche, die Suche nach Oasen


� Vögel: Als Sinnbild für die Seelen der Toten. Die Mittler zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde. Als<br />

Verkünder eines neuen Tages, Wesen des Lichtes, der Sonne, der Kraft.<br />

� Kreuz: Ausdruck für Leid <strong>und</strong> Schmerz. "Wer hilft mir, das Kreuz zu tragen?" Erlösung<br />

� Baum: Neubeginn, Kreislauf des Lebens, Wachstum. Der Baum als Lebensbaum, ist<br />

Symbol für die Welt; Wurzeln - die Frage nach Verwurzelung, was oder wer verhindert<br />

Wachstum (Bonsai)<br />

� Brunnen: Lebensspender, Ausdruck für Tiefe, steht für Wandlung <strong>und</strong> Transformation.<br />

� Herzen: Ort der Seele, Zeichen tiefster Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Sinnbild für starke Emotionen<br />

wie Liebe, Schmerz, Wut, Hass, ...<br />

� Schmetterlinge: Metamorphose, Weiterentwicklung <strong>und</strong> Wandlung.<br />

� Spirale: Hält an zur Innenschau, kann sich in ungeahnte Höhen schwingen, Sinnbild für<br />

Leben <strong>und</strong> Wachstum (DNA, Jahresringe der Bäume)<br />

� Getreide: Brot des Lebens, einen Keim in sich tragen, Loslassen lernen,<br />

<strong>Trauerkiste</strong> - die Schachtel für Erinnerungen - meine Schatzkiste<br />

In der psychosozialen Beratungsstelle arbeitete ich auch mit Kindern welche<br />

Verlusterlebnisse hatten.<br />

Bei diesen sehr intensiven Begleitungen kam mir einmal der Gedanke, mit einem kleinen<br />

Mädchen eine Kiste für die Erinnerungen an eine geliebte Person zu entwickeln <strong>und</strong> in die Tat<br />

umzusetzen. Später fand ich eine Bestätigung bei Alan D. Wolfelt, der es so formuliert:<br />

"Andenken können in einer speziell für das Kind angelegten Erinnerungskiste oder -schachtel<br />

aufbewahrt werden (34)".<br />

Was muss ich bedenken:<br />

Hat das Kind nur wenig Erinnerungsgegenstände zur Verfügung, wirkt eine zu große<br />

Schachtel bedrückend.<br />

Die Farbe hat einen großen symbolischen Charakter. Es ist daher ratsam, sich mit dem<br />

Kind auszutauschen, welche Farbe <strong>und</strong> welches Muster es bevorzugt.<br />

Es ist nicht damit getan nur eine Schachtel zukaufen <strong>und</strong> zu hoffen, das das Kind sich<br />

selbst damit beschäftigt.<br />

Die Schachtel ist eine kleine Schatzkiste <strong>und</strong> darf nicht ohne Wissen des Kindes<br />

geöffnet werden.


Das Mädchen machte sich auch Gedanken, wie es die Schachtel innen ausgekleidet haben<br />

möchte. Mit Stoff oder einem kleinen Tuch, mit Seidenpapier oder Blütenblättern, Gräsern<br />

oder auch duftenden Dingen,... Schlagen sie ruhig verschiedene Sachen vor, aber lassen sie<br />

das Kind entscheiden.<br />

Was soll die <strong>Trauerkiste</strong> nicht sein:<br />

Ein Ort der destruktiven Gedanken<br />

Ein Platz, an dem über Richtig oder Falsch entschieden wird.<br />

Ein Platz an dem moralische Regeln <strong>und</strong> Pathos das freie Äußern von Gefühlen<br />

verhindern.<br />

Besonders spannend ist es auch, die Schachtel außen weiß zu kaufen oder zu überziehen. Es<br />

besteht dann die Möglichkeit, sie ganz individuell <strong>und</strong> in einem Prozess der intensiven<br />

Auseinandersetzung zu verzieren.<br />

Wie kann die <strong>Trauerkiste</strong> verziert werden:<br />

Verschiedenstes aufkleben, wie zum Beispiel: Zapfen, Moosgummi, Holzteilchen,<br />

Kork, Gräser,...<br />

Mit Kreide, Wasserfarben, Acryl, Tusche, Filzstifte, Farbstifte,... bemalen<br />

Mit Sprays besprühen<br />

Durch einen Kleister, Wasserfarben <strong>und</strong> Kämme können w<strong>und</strong>erbare Muster<br />

angebracht werden.<br />

Fingerabdrücke, Kussmünder sehen auch w<strong>und</strong>erschön aus,......<br />

Was erfordert es, den Gedanken einer Erinnerungskiste umzusetzen:<br />

Zeit für Gedanken, Geschichten, Spaziergänge, Gedichte <strong>und</strong> Materialsuche<br />

Liebe<br />

Verständnis für das Kind <strong>und</strong> seine Bedürfnisse<br />

Mut, zur eigenen Trauer zu stehen<br />

Neugier, Verschiedenes auszuprobieren<br />

Vertrauen , das Kinder für sich selbst gut entscheiden<br />

Bereitschaft, sich vom Kind auch führen zu lassen


Eingebettet in verschiedene Rahmenhandlungen, die ritualisiert zelebriert werden, ist die<br />

Erinnerungszeit eine wirklich kraftspendende Form Abschied zu nehmen.<br />

Ich kann alles über die Person sagen, es darf Positives wie Bedrückendes oder auch<br />

Wütendmachendes geäußert werden, es gibt Platz für Tränen <strong>und</strong> Hoffnung,...<br />

Rahmenbedingungen:<br />

Niemand stört uns bei dieser „Arbeit“<br />

Es gibt eine Kuscheldecke <strong>und</strong> genügend Polster<br />

Fotoalben sind griffbereit<br />

Der Duft im Raum ist angenehm<br />

Es gibt keine ungestillten Gr<strong>und</strong>bedürfnisse wie Hunger, Durst oder Kälte<br />

Technische Geräte stehen zur Verfügung ( Radio/CD, Videorecorder,...)<br />

Rahmenhandlungen können sein:<br />

Wir haben ein Eingangslied gef<strong>und</strong>en<br />

Eine kleine Phantasiereise lässt den Alltag draußen<br />

Der Zaubertee gibt Kraft <strong>und</strong> schmeckt gut<br />

Naschwerk <strong>und</strong> Taschentücher haben einen guten Platz<br />

Wenn das Kind sich mit Leben <strong>und</strong> Sterben so intensiv beschäftigt, kann man auch die<br />

Beobachtung von Erwachen <strong>und</strong> Wachsen ermöglichen. Man könnte Kresse in Eierschalen<br />

ansetzen oder Blumenzwiebeln ins Wasser pflanzen. Nicht immer sind die Augen auf die<br />

Vergangenheit gerichtet. Das Kind bestimmt das Tempo <strong>und</strong> auch das Thema. In die<br />

Schachtel der Erinnerung können neben verschiedenen Andenken an die verstorbene Person<br />

auch die Dinge gegeben werden, welche während des Prozesses des Abschiednehmens an<br />

Bedeutung gewonnen haben. Witze erzählen <strong>und</strong> Briefe an die verstorbene Person schreiben<br />

oder unendlich falsch Lieder singen hat hier ebenfalls seinen Platz gef<strong>und</strong>en. Die Tasse Tee<br />

<strong>und</strong> das bewusste Schließen der Kiste haben eine St<strong>und</strong>e beendet.<br />

Trauern heißt nicht nur lautes Klagen,<br />

Trauern heißt liebevolles Erinnern.<br />

Je schöner <strong>und</strong> voller die Erinnerung,<br />

desto schwerer die Trennung.<br />

Aber die Dankbarkeit


verwandelt die Qual der Erinnerung<br />

in die Stille Freude.<br />

Man trägt das vergangene Schöne<br />

nicht wie einen Stachel,<br />

sondern wie ein kostbares Geschenk.<br />

Dietrich Bonhoeffer<br />

...als wär´s ein Teil von mir<br />

„In einer Welt, die den Tod nun miteinschließt, suchen auch Geschwister Trost in<br />

verbindenden Gegenständen, religiösen Vorstellungen, Erinnerungen...(35)“<br />

Zerrissenheit<br />

Trauern heißt: Zerrissen sein.<br />

Auf der einen Seite der Wunsch, sich an<br />

die geliebte Person zu erinnern.<br />

Auf der anderen Seite der Schmerz, der<br />

mit dieser Erinnerung einhergeht <strong>und</strong> dem<br />

man entrinnen will.<br />

Das Entrinnen geschähe auf Kosten der<br />

Erinnerung.<br />

Doch diese ist das Einzige was bleibt.<br />

Schreuer<br />

Beitrag zur Bibliotherapie:<br />

1916 wird zum ersten Mal der Begriff „Bibliotherapie“ verwendet. Woher der Begriff genau<br />

kommt ist nicht bekannt. Man weiß aber, dass bereits vor 3000 Jahren Bücher zur geistigen<br />

Genesung eingesetzt wurden. Später gab es eine Strömung, bei der versucht wurde, alle<br />

Gefängnisse <strong>und</strong> Psychiatrischen Anstalten mit zielgerichteten Büchern zu bestücken.


Heutzutage wird in allen Büchern über Trauerarbeit mit Kindern hilfreiche Literatur<br />

vorgestellt. Sehr treffend drückt deren Nützlichkeit M.-T. Schrins aus:<br />

„Kinder schaffen es, ganz in die Literatur einzutauchen, wobei sich ihre Seele entspannen <strong>und</strong><br />

entlasten kann. Dadurch wiederum können sie psychische Kraft schöpfen <strong>und</strong><br />

zurückgewinnen, die sie stärker macht in ihrer Auseinandersetzung mit der Realität. Aber es<br />

können auch Spannungen entstehen, wenn das Kind allein mit seiner Lektüre nicht fertig<br />

wird. In der Trauer braucht das Kind die Hilfe von Erwachsenen, die seine Bücher ebenfalls<br />

gelesen haben. (36).“<br />

Bemerkenswert fand ich auch, dass viele Erwachsene die realistische Form der Erzählungen<br />

gegenüber der Symbolsprache, z.B. in Märchen, bevorzugen. Wichtig erscheint es mir hier<br />

zwischen Anlassfall- <strong>und</strong> Interessensbüchern zu unterscheiden. Die Aussagekraft von<br />

Märchen, die den Tod, das Abschiednehmen, die Wandlung, das Loslassen zum Thema<br />

hatten, haben die Kindheit geprägt <strong>und</strong> sind bis dato unvergessen geblieben. (Aschenputtel,<br />

der Gevatter Tod, das Mädchen mit den Schwefelhölzern, der Teufel mit den drei goldenen<br />

Haaren,...)<br />

Eine neuartige Geschichte, die besonders eindrücklich ist, möchte ich hier einbringen.<br />

Die Geschichte von der jungen Eiche (37)<br />

Es war einmal eine junge Eiche. Ihre Rinde war zart, der Stamm dünn. Sie wusste noch nicht<br />

viel vom Leben. Sie freute sich über die Frühlingssonne <strong>und</strong> ihre grünen Blätter. Im Sommer<br />

hatte sie viele Fre<strong>und</strong>e, oft waren Waldtiere ihre Gäste. Irgendwann wurden die Tage kürzer,<br />

der Herbst kam.<br />

Die Eiche w<strong>und</strong>erte sich, wo die Vögel <strong>und</strong> Schmetterlinge blieben. Eine dicke Amsel sagte<br />

ihr: „Bald kommt der Winter, da wird es still im Wald.“ Eines Morgens wachte die Eiche auf<br />

<strong>und</strong> bekam einen fürchterlichen Schreck. Ihre Blätter hatten rote Punkte! „Ich bin krank, ich<br />

bin krank!“, weinte sie. „Quatsch“, sagte ein Nachbarbaum. „Du bist nicht krank. Im Herbst<br />

werden deine Blätter rot, gelb oder braun. Dann verlierst du sie, damit du deine Winterruhe<br />

halten kannst. Der Baumsaft zieht sich aus deinen Ästen <strong>und</strong> deinem Stamm zurück. Der<br />

Frost kann dir so nicht wehtun.“


Nach einiger Zeit war die Eiche ein w<strong>und</strong>erschöner Herbstbaum. Nein, diese Blätter wollte sie<br />

nicht loslassen! Die wollte sie behalten. Eine alte Eiche in der Nähe murmelte: „Es gibt<br />

Dinge, die kann niemand behalten. Doch es kommt wieder ein Frühling.“ Dann schlief sie ein.<br />

Der Winter kam mit Kälte, Frost <strong>und</strong> Schnee. Die Eiche hielt ihre Blätter mit aller Kraft fest.<br />

Das Eichhörnchen sagte: „Was du tust, ist nicht gut für dich!“ Die dicke Amsel warnte: „Du<br />

kannst ja gar nicht schlafen <strong>und</strong> ausruhen, wenn du Tag <strong>und</strong> Nacht deine Blätter festhältst.“<br />

Spaziergänger meinten: „Was für ein verrückter Baum, im Dezember noch bunt!“ Der<br />

Silbermond in der Nacht fragte: „Kennst du den Kreislauf des Lebens nicht?“ Es kostete<br />

immer mehr Kraft, die Blätter festzuhalten. Der Frost konnte der jungen Eiche wehtun, da sie<br />

die Winterruhe nicht hielt. Sie hatte Schmerzen. Ein Stück Rinde platzte sogar auf. Die kluge<br />

Eule sagte: „Gib doch endlich auf. Fühlst du nicht, dass es keinen Sinn hat?“ Aber der Baum<br />

wollte auf niemanden hören. Mit der Zeit wurde er immer schwächer. Alle machten sich<br />

Sorgen. „Wenn das nur gut geht“, ächzte die alte Nachbareiche.<br />

Als die ersten Frühlingsboten kamen, wurden die Schmerzen noch schlimmer. Eines Tages<br />

zitterte <strong>und</strong> weinte der Baum, alles tat weh. Aber seine Blätter wollte er immer noch nicht<br />

loslassen. Die Eule sagte: „Was dir jetzt noch wehtut, sind deine Knospen. Sie wollen<br />

aufspringen <strong>und</strong> zu neuen Blättern wachsen. Nur, wo sollen sie hinwachsen? Du hast ja<br />

keinen Platz gemacht.“ „Neue Blätter?“, fragte die junge Eiche. „Ja, neue Blätter. Du<br />

bekommst jeden Frühling neue Blätter, wenn du deine alten fallen lässt. Nun, dieses Jahr<br />

werden es wohl nicht viele sein. Du hast dich ja im Winter nicht ausgeruht, keine neue Kraft<br />

gesammelt.“<br />

„Ich bekomme wirklich neue Blätter?“ Endlich war die junge Eiche bereit, ihre alten Blätter<br />

herzugeben. Der Aprilsturm meckerte. „Blätter wirbeln ist die Arbeit des Herbstwindes! Nun,<br />

ich will eine Ausnahme machen...“ Tat das gut, als die Blätter endlich weg waren ...<br />

Erst jetzt merkte die Eiche, wie schwer diese Last gewesen war. Die Eiche fühlte sich wohl.<br />

Sie war allerdings ein wenig besorgt. „Wachsen wirklich Blätter?“ Aber nach einer Woche<br />

war es so weit: Sie war wieder grün! Das schönste Grün, das man sich vorstellen kann.<br />

Was wird die junge Eiche wohl im nächsten Herbst tun?<br />

Stellvertretend für viele Funktionen, die Literatur erfüllen kann, möchte ich hier folgendes<br />

festhalten (38):<br />

1. Modellfunktion. Geschichten als Vorbilder.


2. Erholungsfunktion. In eine andere Welt versinken.<br />

3. Überlieferungsfunktion. Von den Alten lernen.<br />

4. Vermittlungsfunktion. Über den Zaun blicken.<br />

5. Spiegelfunktion. In den Spiegel schauen.<br />

6. Depotfunktion. Im Herzen tragen.<br />

7. Regressionsfunktion. In die Kindheit fliehen.<br />

8. Alternativfunktion. Einen neuen Weg finden.<br />

9. Mobilisierungsfunktion. Den nächsten Schritt wagen.<br />

10. Das Buch als Begleiter.<br />

Für Erwachsene können Kinderbücher eine Hilfestellung sein, um mit Kindern ins Gespräch<br />

zu kommen. Es ist eine Möglichkeit, sehr gezielt <strong>und</strong> unbefangen ein Thema aufzugreifen um<br />

die Gefühle von Kindern besser zu verstehen. Ich kann als Eltern etwas über Kinder lernen,<br />

wie sie denken, wie sie fühlen, mit welchen Dingen sie sich beschäftigen, wie sie bestimmte<br />

Situationen erleben, ohne psycho-pädagogisch belehrt zu werden.<br />

Die Blätter fallen, fallen wie von weit.<br />

Als welkten in dem Himmel ferne Gärten.<br />

Sie fallen mit verneinender Gebärde.<br />

Und in den Nächten fällt die schwere Erde<br />

aus allen Sternen in die Einsamkeit.<br />

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.<br />

Und sieh dir andre an: es ist in allen.<br />

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen<br />

Unendlich sanft in seinen Händen hält.<br />

R.M. Rilke<br />

Literaturverzeichnis<br />

Baßler Margit, Schins Marie-Thérése (Hrsg.): Warum gerade mein Bruder?; Trauer<br />

um Geschwister; Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 1992<br />

Beck, Rainer (Hrsg.): Der Tod. Ein Lesebuch von den letzten Dingen; München,<br />

Beck´sche Verlagsbuchhandlung, 1995


Daiker, A., Smeding Ruthmarijke: Selig sind die Trauernden; Stuttgart,<br />

Schwabenverlag, 1999<br />

Diderich, Anne: Die Trauer um den Tod eines nahe stehenden Menschen aus dem<br />

Blickwinkel traditioneller sowie neuer Wege der Trauerforschung.;<br />

Katholische Fachhochschule Mainz, Diplomarbeit, 2002<br />

Finger, Gertraud: Mit Kindern trauern; Zürich, Kreuz - Verlag, 1998<br />

Friederich, Bärbel: Evangelischer R<strong>und</strong>brief; Hamburg, Verein "Verwaiste Eltern"<br />

August, 1999<br />

Goldbrunner, Hans: Trauer <strong>und</strong> Beziehung. Systemische <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Dimension der Verarbeitung von Verlusterlebnissen; Mainz, Matthias -<br />

Grünewald - Verlag, 1996<br />

Gruber, U.: Palliative Psychoonkologie - Trost <strong>und</strong> Trauer; Hrsg: Tumorzentrum<br />

München, W. Zuckerschwerdt Verlag, 2002<br />

Holzschuh, Wolfgang (Hrsg.): Geschwister-Trauer. Erfahrungen <strong>und</strong> Hilfen aus<br />

verschiedenen Praxisfeldern; Regensburg, Verlag Friedrich Pustet, 2000<br />

Internationale Gesellschaft für Sterbebegleitung <strong>und</strong> Lebensbeistand (Hrsg.): Mit<br />

Kindern sterben lernen. Hospiz-Ratgeber; Bingen, IGSL Juli, 1999<br />

Paul, Chris (Hrsg.): Neue Wege in der Trauer- <strong>und</strong> Sterbebegleitung. Hintergründe<br />

<strong>und</strong> Erfahrungsberichte für die Praxis; Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus,<br />

2001<br />

Programmheft der Kardinal König Akademie Lainz. Bildungszentrum der Jesuiten,<br />

Wien, Seite 7, Ausgabe 01/2002<br />

Rauwolf, Ulrike: Trauer-Raum. Die ureigene Trauer leben; Wien, Frauensache-<br />

Zeitung 4, Jahrgang Nr.1/2003<br />

Reschke, Edda: Bunter Schmetterling <strong>und</strong> Schwarzer Vogel; Limburg, Lahn-Verlag,<br />

1999<br />

Sendak, Maurice: Märchen der Brüder Grimm; Zürich, Diogenes - Verlag, 2000<br />

Smeding, Ruthmarijke: Das Loch, in das ich fiel, wurde zur Quelle, aus der ich lebe.<br />

Wege durch die Trauer. Entnommen aus: Daiker, Angelika (Hrsg.): Selig<br />

sind die Trauernden, Trauer- <strong>und</strong> Gedenkgottesdiente; Ostfildern,<br />

Schwabenverlag, Seite 13-24, 2. Aufl., 2000<br />

1. Online im Internet:<br />

http://server1.nibis.ni.schule.de/~as-ver/index.htm<br />

Hausarbeit zum Thema "Wie trauern Kinder"(Stand 24.02.2003)<br />

2. Online im Internet:<br />

http://www.evlka.de/extern/ez/leib/84-index.html


Evangelische Zeitung-Online.Bock, Heidemarie: Das Sterben gehört zum<br />

Leben, 01.04.2001<br />

3. Online im Internet:<br />

http://www.oif.ac.at/presse/bzw/artikel.asp?Rubrik=3&BZWArtikel=88<br />

Wenn die Toten nicht sterben können; Infodienst - beziehungsweise:<br />

28.12.1995<br />

4. Online im Internet:<br />

http://www.mfjfg.nrw.de<br />

Bürger- <strong>und</strong> ServiceCenter des Landes Nordrhein-Westfalen. Kinder <strong>und</strong><br />

Trauer; (Stand März 2002)<br />

Weiher, Erhard: Die Religion, die Trauer <strong>und</strong> der Trost. Seelsorge an den Grenzen<br />

des Lebens; Mainz, Matthias - Grünewald - Verlag, 1999<br />

Wiese, Anja: Um Kinder trauern. Eltern <strong>und</strong> Geschwister begegnen dem Tod;<br />

Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 2001<br />

Wolfelt, Alan D.: Für Zeiten der Trauer. Wie ich Kindern helfen kann; Zürich, Kreuz<br />

- Verlag, 2002<br />

Anmerkungen<br />

1) PROGRAMMHEFT, 7<br />

2) zitiert nach: DIDERICH, 42<br />

3) zitiert nach: DIDERICH, 44<br />

4) HOLZSCHUH, 71<br />

5) HOLZSCHUH, 74<br />

6) SMEDING; 15<br />

7) RAUWOLF, 9<br />

8) WEIHER, 169<br />

9) WEIHER, 170<br />

10) DAIKER, 16<br />

11) ONLINE 2, 2<br />

12) WEIHER, 170<br />

13) WEIHER, 173<br />

14) DIDERICH, 49f<br />

15) DAIKER, 22<br />

16) WIESE, 40<br />

17) GRUBER, 140<br />

18) DIDERICH, 57<br />

19) DIDERICH, 57<br />

20) WIESE, 25<br />

21) GOLDBRUNNER, 45<br />

22) ONLINE 1, 2<br />

23) FINGER, 65f<br />

24) BASZLER, 29<br />

25) BASZLER, 29<br />

26) ONLINE 1, 3<br />

27) BECK, 245


28) BASZLER, 29<br />

29) BASZLER, 21<br />

30) BASZLER, 235<br />

31) vgl. WOLFELT<br />

32) WIESE, 70ff<br />

33) WIESE, 72ff<br />

34) WOLFELT, 10<br />

35) HOLZSCHUH, 77<br />

36) BASZLER, 172<br />

37) RESCHKE, 49f<br />

38) BASZLER, 221f


8. Gibt es Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, die auf unbewältigte Trauer<br />

zurückführen sind ?<br />

Gibt es bei Kindern psychische Störungen, die besonders beachtet werden müssen?<br />

<strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

Es gibt keine spezifischen Verhaltensauffälligkeiten, die gerade auf unbewältigte Trauer<br />

zurückzuführen sind (4).<br />

Jedes Kind reagiert so, wie es seiner augenblicklichen Verfassung <strong>und</strong> seinem Reifezustand<br />

entspricht (12). Das Kind verarbeitet einen Schock auf jene Weise, die seiner eigenen<br />

psychischen Struktur entspricht (12). Den idealen Verlauf der Trauerarbeit gibt es nicht, die<br />

Gleichzeitigkeit widerstreitender Gefühle (Schmerz, Sehnsucht, Schuld, Wut, Enttäuschung,<br />

Hoffnung) ist charakteristisch <strong>und</strong> zeigt sich bei Kindern wesentlich deutlicher als bei<br />

Erwachsenen (1). Die Reaktion eines Kindes auf das Sterben <strong>und</strong> den Tod einer nahen<br />

Bezugsperson hängt davon ab, zu welcher Zeit das Ereignis eingetreten ist: ob er plötzlich<br />

oder vorhersehbar war, ob das Kind auf den Tod vorbereitet werden konnte oder ob es davon<br />

überrascht worden ist; ob er es in einer Phase getroffen hat, wo es sich gut mit dem später<br />

Gestorbenen verstanden hat, oder in einer Phase, in der sie ihn aus allen Kräften bekämpften<br />

(12) (gleichgeschlechtlicher Elternteil, Rivalität/Eifersucht unter Geschwisterkindern). Nicht<br />

zu vernachlässigen ist die aktuell bestehende individuelle Situation des Kindes (1), die<br />

jeweilige aktuelle Entwicklungsproblematik (einerseits das vorherrschende individuelle<br />

Thema, abhängig von Alter <strong>und</strong> Reife: z.B. Vertrauen/Abhängigkeit, Konkurrenz,<br />

Individualisierung/Ablösung etc. – andererseits die unmittelbar aktuellen Umstände: z.B.<br />

Beginn des Schulbesuches, Geburt eines Geschwisters, Erkrankung). Anna Freud schreibt:<br />

„Der endgültige Ausgang ist einerseits vom Gesamtcharakter <strong>und</strong> der Persönlichkeit des<br />

Kindes, andererseits von der Gesamtheit der äußeren Umstände abhängig. Wie auf allen<br />

Gebieten des kindlichen Lebens entscheidet auch hier die Wechselwirkung zwischen äußeren<br />

<strong>und</strong> inneren Kräften, ob es zur normalen Weiterentwicklung, zu einer pathologischen<br />

Fehlentwicklung oder zu einer mehr oder weniger totalen Entwicklungshemmung kommt.“<br />

(6).<br />

Das sehr kleine Kind steht in Gefahr, die objektive Realität des Todes in der Sicht seiner<br />

eigenen phasenspezifischen Problematik zu sehen (12). Wesentlich in der Bewältigung eines<br />

kindlichen Traumas sind die Umstände, unter denen der Tod eines Kindesangehörigen eintritt<br />

(1). Extreme Belastungen für ein Kind sind interpersonelle Gewalt (Mord, Totschlag,<br />

„Familientragödien“ etc.) oder der gewaltsame <strong>und</strong> plötzliche Tod beider Elternteile, was als


existentielle Bedrohung die Persönlichkeit eines Kindes schwer erschüttert (1). Die<br />

Bedrohung ergreift über die emotionale Belastung hinaus alle Seinsqualitäten eines Kindes<br />

( Verlust der materiellen Sicherheit, der Verwurzelung, alle sozialen Bezüge, des Vertrauens<br />

etc.). Interpersonelle Gewalt dürfte die größte Belastung für ein Kind sein, wenn es z.B.<br />

Zeuge des Vorfalles wird <strong>und</strong> wahrnimmt, wie ein geliebtes Objekt zum Täter, das andere<br />

zum Opfer wird (1), oder wenn es Zeuge oder Beteiligter eines Vorfalls wird, der Gewalt <strong>und</strong><br />

(eine unverständliche) Sexualität verknüpft (15).<br />

Der Verlust der emotionalen Sicherheit ist das, was Kinder zu Verhaltensweisen provoziert,<br />

die das System (Familie, Gemeinschaft) stützen sollen (4). Die Verstörung des Systems ruft<br />

die jeweiligen kindlichen Verhaltensweisen hervor, nicht das Trauma an sich (4). In der<br />

Störung liegt auch die Ressource (3). Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Erlebnis- <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen eines Kindes ist die Reaktion seiner Umwelt auf die stattgehabten<br />

Umstände (1).<br />

Gertrude Bogyi fasst alle maßgeblichen Faktoren zusammen (1):<br />

- Alter des Kindes, Entwicklungsstufe, Persönlichkeitsstruktur<br />

- Entwicklung des Todesbegriffs, Informationsstand<br />

- An/Abwesenheit des Kindes beim Tod der Bezugsperson<br />

- Begleitumstände <strong>und</strong> Art des Todes – Informationsstand des Kindes<br />

- Rolle der verlorenen Person im Leben des Kindes (Alleinerzieher ?)<br />

- Art der Beziehung zwischen verstorbener Person <strong>und</strong> Kind<br />

- Anzahl der schwerwiegenden Verluste, die das Kind bisher bewältigen musste<br />

- soziales Umfeld des Kindes bzw. des Verstorbenen<br />

Der Großteil der Kinder reagiert mit Rückzug (4, 9) <strong>und</strong> Angepasstheit (4), andere suchen<br />

wiederum Kontakte <strong>und</strong> haben das Bedürfnis, ständig über das Unbegreifliche zu sprechen<br />

(9).<br />

Kinder reagieren viel sensibler als Erwachsene auf die Begleitumstände des erlittenen<br />

Verlusts (1), sie trauern anders als Erwachsene: punktueller, d.h. Gefühlsschwankungen<br />

scheinen weitaus intensiver zu sein <strong>und</strong> in schnellerer Abfolge einzutreten (1). Die Zeit der<br />

Trauer kann als Zeit der Gefühlsausbrüche beschrieben werden, mit Stimmungsschwankungen<br />

<strong>und</strong> Reizbarkeit (9). Rasche Stimmungswechsel zwischen traurig <strong>und</strong> heiter sind nicht<br />

ungewöhnlich (8). Manchmal verhalten sich trauernde Kinder übertrieben ausgelassen,<br />

übermäßig aktiv, überdurchschnittlich aggressiv (1). Meist tritt eine vermehrte<br />

Angstbereitschaft auf (1), z.B. Verlassenheitsängste, Dunkelheitsängste, Angstträume,


Trennungsängste, Angst vor weiteren Verlusten – in der Folge eines Elterntodes kann es sein,<br />

dass sich das Kind sehr an einen verbliebenen Elternteil klammert, in der Angst, auch ihn bald<br />

verlieren zu müssen (1). Schuldgefühle sind ein wesentlicher Bestandteil kindlicher Trauer (1,<br />

12). Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es wichtig, aus den Todesursachen kein Geheimnis zu<br />

machen (12). Reale, nachvollziehbare Ursachen sind z.B. „zu schnelles Fahren auf glatter<br />

Strasse“ – werden sie vorenthalten, können sich Phantasien um Schuld <strong>und</strong> Kausalität<br />

verdichten <strong>und</strong> eine Entwicklung hemmen (12).<br />

Manchmal erscheint es so, dass ein Kind nach dem Tod einer nahen Bezugsperson in keiner<br />

Weise reagiert (12). Verleugnung, Affektisolierung (Verhalten, als ob nichts geschehen sei)<br />

<strong>und</strong> Affektdistanzierung sind typische Abwehrmechanismen. Abwehrmechanismen sind in<br />

erster Linie protektiv, d.h. sie sollen ein Weiterleben sichern <strong>und</strong> können als Etappen auf dem<br />

Weg der Trauer-Bearbeitung aufgefasst werden. Sie dienen einer inneren Distanzierung vom<br />

Grauen, vom Entsetzlichen, Undenkbaren, Ungeheuerlichen, Unsagbaren. Sie schaffen den<br />

Raum einer Notwendigkeit. Entwertung des Verstorbenen (z.B. Wut, alleingelassen worden<br />

zu sein) ist ebenfalls eine Möglichkeit, emotionale Distanz zu gewinnen (1). Die Nüchternheit<br />

bzw. Sachlichkeit, die in Folge eines Traumas bei Kindern Ausdruck finden kann, ist für<br />

Erwachsene z.T. schwer verständlich oder auch belastend (Thomas, 5 Jahre:“ Warum sind die<br />

Hähnchen tiefgefroren ? – Ich weiß schon, damit sie tot bleiben.“ (12);)<br />

Beispiel:<br />

Die Tante von Theo, 5 Jahre, verstarb unerwartet <strong>und</strong> plötzlich nach einem sehr dramatischen Unfall. Da sie zu<br />

Lebzeiten einmal geäußert hat, sie wolle im Falle ihres Todes eine Feuerbestattung haben, organisiert der Bruder<br />

der Verstorbenen, Theos Vater, die Zeremonie. Tage danach hört Theo, wie die Großmutter mit der 8-jährigen<br />

Schwester spricht. Auf die Frage der Schwester, ob die Großmutter im Falle ihres Todes lieber begraben oder<br />

verbrannt sein wolle, antwortet die Großmutter nach einigem Überlegen, sie wünsche lieber begraben zu sein.<br />

Theo, der bisher nicht am Gespräch teilzunehmen schien, sagt plötzlich zur Großmutter: „Ich möchte auch nicht<br />

verbrannt werden: wer begraben ist, ist tot. Wenn man verbrannt wird, ist man noch toter.“<br />

Das Beispiel zeigt, welchen Einfluss die Entwicklung des kindlichen Todesbegriffs auf die<br />

Gedanken <strong>und</strong> Gefühle der Kinder hat. Tod hat bei Theo noch nicht die Bedeutung des<br />

Absoluten, dürfte aber mit Zerstörung bzw. Veränderung assoziiert werden.<br />

Identifikation (z.B. Übernahme von Tätigkeiten, Haltungen, Zielen des Verstorbenen) ist der<br />

Ausdruck des Bedürfnisses, sich dem Verstorbenen anzunähern: wenn man so ist wie er, hat<br />

man ihn nicht verloren – ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit (1). Von einer Verschiebung<br />

des Affekts könnte gesprochen werden, wenn der Tod einer Bezugsperson zu keiner äußerlich


sichtbaren Betroffenheit führt, es jedoch bei einem ungleich geringfügigerem Anlass zu einem<br />

Affektausbruch kommt (z.B. beim Tod des Meerschweinchens)(nach G. Bogyi, 1).<br />

Der seelische Schmerz nach dem Tod eines Angehörigen kann auch bei Kindern körperlichen<br />

Ausdruck finden: Schmerzen, Ess- <strong>und</strong> Verdauungsstörungen, Schlafstörungen, Bettnässen (1,<br />

8). Diese Störungen können auftreten <strong>und</strong> sind typischerweise kurz anhaltend, nur bei 3% von<br />

Geschwistern verstorbener Leukämiekinder konnten über längere Zeit emotionale Störungen<br />

nachgewiesen werden (17). Regression (Rückkehr) in frühere Entwicklungsstadien mit<br />

Einbußen von Fähigkeiten, Aufgeben von erreichten Entwicklungsschritten (Sprache, Stuhl-,<br />

Blasenkontrolle, soziale Anpassung), Probleme in Schule oder Kindergarten <strong>und</strong> alle anderen<br />

denkbaren sozialen Probleme (Rückzug, Gewaltakte, Delinquenz etc.) können auftreten, sind<br />

aber wie o.g. keine Reaktionen, die typisch für unbewältigte Trauer sind. Es seien besonders<br />

jene Fähigkeiten dazu disponiert, aufgegeben oder beeinträchtigt zu werden, die kurz vor dem<br />

belastenden Ereignis gewonnen werden konnten (11). Tod <strong>und</strong> Strafe werden bei kleinen<br />

Kindern häufig verknüpft, Todesängste bzw. Todeswünsche können auf unbewusste<br />

Schuldgefühle oder mangelnde Geborgenheit hinweisen (12). Beinahe alle typisch-kindlichen<br />

Verhaltensauffälligkeiten wie Daumenlutschen, Nägelkauen, Hautkratzen, Zähneknirschen<br />

etc. können auch nach kindlichen Todeserfahrungen auftreten, sie kommen jedoch auch<br />

infolge anderer Entwicklungsstörungen oder Traumata vor <strong>und</strong> geben daher keinen kausalen<br />

ätiologischen Hinweis. 3-5jährige flüchten in Phantasienwelten, angepasste Kinder<br />

„explodieren“ vor allem in der Pubertät (4). Die Phantasien könnten z.B. sein, dass die Eltern<br />

noch am Leben wären, aber verreist sind oder dass sich das Kind im Besitz magischer Kräfte<br />

weiß, <strong>und</strong> die Eltern wiederkommen, wenn bestimmte Vorraussetzungen hergestellt sind.<br />

Leist (12) sagt aus, dass in solchen Fällen notwendige Reifungsschritte blockiert werden<br />

können, wenn ein Kind diese Phantasien, die es häufig nicht mitteilt, hegt. Nach Bogyi (1) ist<br />

es therapeutisch wichtig, sich mit den Kindern in diese Phantasien zu begeben, gleichzeitig<br />

aber dennoch die Wahrheit nicht zu leugnen.<br />

Wir können einem Kind nur helfen, wenn wir sehr viel über seine augenblickliche<br />

Entwicklungsphase, mit den spezifischen Problemen innerhalb der Familie Bescheid wissen<br />

(12).<br />

Marielene Leist (12) stellt in Berufung auf Kliman (11) einen Katalog vor, der die Betreuer<br />

von Kindern dazu anleiten soll, welche Umstände oder Äußerungen des Kindes dazu führen<br />

sollten, unbedingt professionelle psychotherapeutische Hilfe einzubeziehen – dieser Katalog<br />

wurde erweitert (<strong>Weixler</strong>, Kursivschrift)


- Selbstmord eines Elternteils, Gewalt in/an der Familie (Mord, „Familientragödien“)<br />

- sehr schlechtes Verhältnis zwischen Kind <strong>und</strong> lebendem oder verstorbenem Elternteil<br />

- Geisteskrankheit des verstorbenen oder überlebenden Elternteils (lebt/e bei Familie)<br />

- Tod der Mutter eines weniger als 8 Jahre alten Mädchens<br />

Eine Häufung der u.a. Faktoren lassen nach Kliman (11) ein präventives psychologisches<br />

Eingreifen wünschenswert erscheinen:<br />

- plötzlicher <strong>und</strong> unerwarteter Tod<br />

- Tod zwingt zu Wohnortwechsel oder verursacht materielle Not<br />

- Elternteil lebt in zunehmender physischer Intimität mit dem Kind<br />

- Tod der Mutter, wenn das Kind ein Mädchen ist <strong>und</strong> der Tod mit dem Frausein verknüpft ist<br />

(Tod bei/nach Geburt, Malignome von Brust oder Genitalorganen)<br />

- Tod des Vaters, wenn das Kind männlich <strong>und</strong> in der Adoleszenz ist<br />

- Krankheit zum Tod dauerte länger als 6 Monate<br />

- tödliche Krankheit ungewöhnlich entstellend, physisch verstümmelnd oder geistig zerrüttend<br />

- Krankheit wurde dem Kind verborgen oder nicht erklärt<br />

- mehr als 4-jähriges Kind spricht nicht über die toten Eltern oder die Tatsachen des Todes<br />

- mehr als 5-jähriges Kind weigert sich, am Begräbnis/Gottesdienst teilzunehmen<br />

- mehr als 8-jähriges Kind, das in den ersten Wochen nach dem Tod eines Elternteils nicht<br />

weint<br />

- Kind ist zu Beginn der ersten Woche nach dem Tod der Eltern ungewöhnlich guter Laune<br />

- der überlebende Elternteil trauert in pathologischer Weise<br />

Rauch <strong>und</strong> Arnold (14) empfehlen in einem rezenten Artikel darüber hinaus, professionelle<br />

psychologische Hilfe für folgende Konstellationen in Anspruch zu nehmen:<br />

- wenn Symptome von Angst oder Depression auftreten, die zu Problemen in Schule,<br />

Wohngemeinschaft oder unter den Fre<strong>und</strong>en führen<br />

- wenn bei den Kindern Verhalten von Risikobereitschaft auftritt (risk-take-behaviour)<br />

- wenn eine schwere Beziehungsstörung zwischen überlebendem Elternteil <strong>und</strong> Kind auftritt<br />

- wenn eine schwere Beziehungsstörung zwischen den Eltern auftritt<br />

- wenn das Kind sagt, es wolle mit jemandem außerhalb der Familie sprechen


Je älter, reifer <strong>und</strong> seelisch gesünder ein Kind ist, desto größer ist seine Chance, einen Verlust<br />

zu bewältigen (nach E. Furmann, zitiert in (12)).<br />

Literatur:<br />

(1) Bogyi G.: Kindliches Erleben <strong>und</strong> Psychosomatik bei Tod eines Elternteils. In:<br />

Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir.<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen; B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

(2) Ensink F.B., Bautz M.T., Hanekop G.G.: Optimierung der ambulanten<br />

palliativmedizinischen Betreuung terminal kranker Tumorpatienten am Beispiel<br />

SUPPORT – ethisch zu präferierende Alternative zur Forderung nach aktiver<br />

Sterbehilfe. 2001 AINS 36:530-7<br />

(3) Fässler-Weibel P., Expertengespräch: Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem<br />

Tod wichtiger Bezugspersonen, Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(4) Fässler-Weibel P., Herdina P.F., Rosenmayr F., Waldenmayer M.: Expertengespräch:<br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen;<br />

Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(5) Finger G. Mit Kindern trauern; Kreuz, Stuttgart, 1998, zitiert in (9).<br />

(6) Freud A. in: Vorwort zu Furmann E. Ein Kind verwaist; Klett, Stuttgart, 1977,<br />

zitiert in (1).<br />

(7) Gray R.E.: Adolescent response to the death of a parent. J Youth Adol 1987;16:511-525,<br />

zitiert in (8)<br />

(8) Husebö S.: Psychosoziale Fragen; in: Husebö S., Klaschik E.:<br />

Palliativmedizin, Springer-Verlag Heidelberg, 1998<br />

(9) Jellenz-Siegel B.: Trauer von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen; in:<br />

Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir;<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

(10) Kirsch I. (ed.): How expectancies shape experience; 1 st ed. Washington DC:<br />

American Psychological Association, 1999<br />

(11) Kliman G.: Seelische Katastrophen <strong>und</strong> Notfälle im Kindesalter, Stuttgart, 1973,<br />

zitiert in (12).<br />

(12) Leist M.: Kinder begegnen dem Tod; Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage,


Gütersloh, 1999<br />

(13) Plank E.N.: Hilfen für Kinder im Krankenhaus; München <strong>und</strong> Basel, 1973, zitiert in<br />

(12)<br />

(14) Rauch P., Arnold R.: What do I tell the children ? Fast facts and concepts #47;<br />

J Palliat Med. 2002 Oct;5(5):740-1.<br />

(15) Ressler R., Shachtman T.: The Wimbledon <strong>Co</strong>mmon Murder. In: I have lived in the<br />

monster; St. Martin´s Press, New York, 1997<br />

(16) Richter H.E.: Flüchten oder Standhalten; 2. Aufl., Edition Psychosozial, Giessen,<br />

1998<br />

(17) Stehbens J.A., Lascari A.D.: Psychological follow-up of families with childhood<br />

leucemia; J Clin Psychol 1974 (30);394-7, zitiert in (8).<br />

(18) Watzlawick P., Beavin J. H., Jackson D. D. : Menschliche Kommunikation,<br />

Formen, Störungen, Paradoxien; 10. Aufl., Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen,<br />

Toronto, Seattle 2000<br />

(19) Yule W., Williams R.M.: Posttraumatic and stress reactions in children; J Trauma<br />

Stress, 1990;3:279-295, zitiert in (8)<br />

3.9 Gibt es Möglichkeiten, mit diesem Thema im Alltag präventiv umzugehen?<br />

Andrea Prinz<br />

Wir leben in einer Gesellschaft, die trotz oft betonter Offenheit Themen wie „Sterben, Tod<br />

<strong>und</strong> Trauer“ nach wie vor eher tabuisiert. Jugendlichkeit, Erfolg, Machbarkeit <strong>und</strong> ähnliche<br />

Schlagworte nähren die Vorstellung einer „Unverw<strong>und</strong>barkeit der Tüchtigen.“. Diverse<br />

Erfahrungen von Begrenztheit <strong>und</strong> Unkontrollierbarkeit machen Angst. Und da, wo wir<br />

Erwachsene Angst haben, können wir auch unseren Kindern den Raum für unbefangene,<br />

natürlich neugierige Auseinandersetzung mit dem Tod nicht ermöglichen. Und sie, die unsere<br />

Befangenheit <strong>und</strong> Ängste spüren, fragen dann zu diesem Thema, das sie eigentlich von sich<br />

aus häufiger aufgreifen würden, immer weniger.<br />

Soweit meine persönlichen Eindrücke. Wie ist es aber möglich, Kindern diesen Erfahrungs<strong>und</strong><br />

Erlebnisraum offen zu halten, sie in ihrer Herangehensweise an diese Lebensthemen nicht<br />

zu blockieren?


Unsere „Expertenr<strong>und</strong>e (1)“ meint dazu, dass „Kinder auf nicht kognitiver Ebene oft vieles im<br />

voraus wissen“, <strong>und</strong> so auch „vieles schon erfahren haben, bevor darüber ein Wort zu ihnen<br />

gesprochen wurde (Waldenmayer, 1)“. Will man ihre natürliche Neugierde nicht hemmen, so<br />

sind „Offenheit, Ehrlichkeit, Klarheit, Direktheit <strong>und</strong> das Zugeben der eigenen Begrenztheit<br />

förderlich.“ Schädlich dagegen wirken sich „Verschonung, Ausgrenzung, Tabuisierung,<br />

Isolation <strong>und</strong> Gettoisierung (Fässler-Weibel, 1)“ aus.<br />

In den Bildern, Begriffen <strong>und</strong> Metaphern unserer Kinder steckt „große Kreativität“ , all diese<br />

Ausdrucks- <strong>und</strong> Denkformen sind „nicht ident mit dem Erwachsenendenken (Rosenmayr, 1)!“<br />

Sie haben gute „Filter, wie sie mit Wahrheit umgehen(Waldenmayer, 1)“, schafft es ein<br />

Erwachsener, auf ihre Erfahrungen <strong>und</strong> Bilder einzugehen, werden sie nicht überfordert. Oft<br />

ist nicht ein Ereignis belastend, sondern sie reagieren auf die „emotionale Verunsicherung<br />

einer wichtigen Bezugsperson (Waldenmayer, 1)“.<br />

Das bedeutet für uns Erwachsene die Herausforderung, uns mit unseren eigenen Ängsten <strong>und</strong><br />

Verunsicherungen auseinander zu setzen <strong>und</strong> „die Sicherheit zu gewinnen, dass Kinder mit<br />

dem Thema kein Problem haben“ (Fässler-Weibel, 1). Es geht letztendlich um die<br />

„Angstschwelle der Erwachsenen (Fässler-Weibel, 1)!“<br />

Im Alltag gibt es unzählige Möglichkeiten, mit Kindern über den Tod ins Gespräch oder mit<br />

ihm in Berührung zu kommen. Ein aufmerksames Beobachten der Natur etwa zeigt den<br />

Rhythmus von Leben <strong>und</strong> Sterben. „Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende (13).“<br />

„Mit der frühen Einsicht in Endlichkeit, Wandlung <strong>und</strong> Neubeginn“ muss nicht zwingend ein<br />

„lastendes oder schweres Gefühl“ verb<strong>und</strong>en sein, sondern es kann „im Gegenteil ein<br />

Vertrauen in die Geborgenheit der Lebensprozesse wachsen. Gleichzeitig kann es schon<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen möglich werden, Achtung <strong>und</strong> Ehrfurcht gegenüber dem Leben<br />

<strong>und</strong> jedem einzelnen Lebewesen zu entwickeln (14).“ Das bedeutet, dass Kinder das Werden<br />

<strong>und</strong> Vergehen in der Natur deutlich erleben <strong>und</strong> es auch oft zum Thema machen. Sie fragen<br />

nach, was z. B. mit Blättern passiert, die von den Bäumen fallen, oder ob Blumen, die<br />

verwelken, wiederkommen. Warum sie eigentlich verwelken <strong>und</strong> ob ihnen das wehtut? Es ist<br />

ungeheuer spannend, sich von ihren Wahrnehmungen leiten zu lassen <strong>und</strong> Dinge, die wir für<br />

selbstverständlich <strong>und</strong> kaum beachtenswert halten, aus ihrer Sicht zu betrachten.<br />

Dass ein Tier ein anderes frisst ist sicher ein Sachverhalt, mit dem sich Eltern<br />

auseinandersetzen müssen, weil ihre Kinder es beobachten <strong>und</strong> diese Beobachtung an sie<br />

herantragen. Ob das nun gemein ist oder grausam oder notwendig, was sich die Tiere dabei<br />

denken könnten <strong>und</strong> ob sie überhaupt etwas denken, sich damit zu beschäftigen laden unsere


Kinder uns ein. Häufig ergeben sich daraus Gespräche, z.B. wie denn das nun ist, wenn wir<br />

Fleisch essen, die zeitweise eine Wendung nehmen können, mit der wir uns nicht mehr so<br />

wohl fühlen. Ich denke an ein kleines Mädchen aus meinem Bekanntenkreis, die beim<br />

Weihnachtsessen (Forellen) in Tränen ausbrach <strong>und</strong> meinte „ich möchte, dass die Fische auch<br />

Weihnachten feiern können“. Sie konnten es offensichtlich nicht mehr <strong>und</strong> wir mussten ihr<br />

erklären, warum wir sie getötet hatten, auch auf die Gefahr hin, dass sie böse auf uns war.<br />

Einige St<strong>und</strong>en später hatte sie uns verziehen.<br />

Zwischen dem Tier am Bauernhof <strong>und</strong> dem Mittagessen steht ein Akt des Tötens, das Tier ist<br />

gestorben. Ein Baum muss gefällt werden, möchten wir sein Holz nutzen. Ein Haus wird<br />

abgerissen <strong>und</strong> ein neues gebaut. Kinder nehmen das wahr <strong>und</strong> erinnern uns daran. „Stirbt die<br />

Wolke, wenn es regnet ?“ (Vivian, 4 Jahre alt)<br />

„Kinder erleben den Tod … zwangsläufig im Bereich ihrer unmittelbaren Umwelt“…“Wenn<br />

Kinder dann nicht die Möglichkeit haben, mit Erwachsenen offen darüber zu sprechen, wenn<br />

sie nur das Unbehagen <strong>und</strong> ängstliches Zögern spüren, führt das bei ihnen zu Unsicherheit, zu<br />

Phantasievorstellungen, Verwirrung <strong>und</strong> Angst. Die Folge ist dann oftmals die, dass die<br />

Befürchtungen <strong>und</strong> das Schweigen der Erwachsenen von den Kindern übernommen werden<br />

(3).“ Gute Beispiele dafür sind z.B. im Umgang mit dem Tod eines Haustieres beobachtbar.<br />

Kinder nehmen wahr, dass das Tier sich nicht mehr bewegt, sie nicht begrüßt, anders ist. Es<br />

ist eine Möglichkeit, tot zu begreifen als das Gegenteil von lebendig. Wenn Erwachsene sie<br />

nun vor der Trauer über den Verlust ihres Haustieres schützen möchten <strong>und</strong> dieses schnell<br />

ersetzen, enthalten sie den Kindern die Verabschiedung vor. „…es geschah beim Verlust des<br />

geliebten Hamsters: Wir wollten ihn eigentlich beerdigen, Abschied nehmen – aber die Mutter<br />

hatte den Hamster schon in den Abfall getan <strong>und</strong> dachte daran, schnell wieder einen neuen zu<br />

kaufen. Wir hatten keine Zeit, keine Möglichkeit, über unseren Hamster, dem wir alle Ängste<br />

sagen <strong>und</strong> alle unsere Kindersorgen anvertrauen konnten, zu trauern. Wir durften nicht<br />

weinen <strong>und</strong> klagen, weil ja schon wieder ein neuer Hamster da war. Dass dieser aber eben<br />

nicht unser Hamster war, das verstanden die Erwachsenen nicht (15).“<br />

Gemeinsam ein Haustier zu beerdigen, wobei Kinder sehr kreativ ihre Form des Abschieds<br />

finden, kann Anlass zu weiteren Fragen sein, die Tod <strong>und</strong> Sterben betreffen. Sehr schön wird<br />

diese Situation in dem Bilderbuch „Leb wohl, Chaja!“ (10) beschrieben: „Chaja wacht nicht<br />

mehr auf, sagte Valentin plötzlich, <strong>und</strong> dann weinte er <strong>und</strong> streichelte ihr goldgelbes Gefieder.<br />

Oma legte ihren Arm um Valentin. Alle waren traurig. Dann holte Oma ihr schönstes<br />

Spitzentaschentuch <strong>und</strong> breitete es über Chaja. Papa grub unter der Fichte ein tiefes Loch im<br />

Garten. Oma hatte ihren Wintermantel angezogen <strong>und</strong> ihre Pelzmütze aufgesetzt. Valentin


legte Chaja behutsam in die Erde, <strong>und</strong> Papa deckte sie mit Erde <strong>und</strong> Schnee zu. `Du lieber<br />

goldener Vogel´ sagte Valentin leise. In der Küche war es jetzt ganz still geworden. Den<br />

Käfig hatte Mama in den Schuppen gestellt. Nun saß Oma allein am Fenster. Valentin sah<br />

hinaus zur Fichte, wo Chaja begraben war. `Oma´, sagte Valentin, `stirbst du auch einmal? ´.<br />

Oma nickte (10).“<br />

„Im Gegensatz zu uns Erwachsenen verstummen Kinder nicht, wenn sie dem Tod in<br />

irgendeiner Form begegnen. Sie setzen sich damit auseinander, was Sterben <strong>und</strong> Tod auch für<br />

sie persönlich bedeuten kann. In ihrer kindlichen Vorstellungswelt entstehen häufig konkrete<br />

Bilder, mit denen sie versuchen, das Erfahrene zu verarbeiten. Spontan stellen sie ihre Fragen<br />

dazu, einfach <strong>und</strong> sachlich, manchmal unvermittelt … oder ganz direkt in einer aktuell<br />

erfahrenen Verlustsituation. Unsere Aufgabe als Erwachsene besteht darin, den Kindern<br />

offene <strong>und</strong> ehrliche Antworten zu geben <strong>und</strong> sie einfühlsam in ihren jeweiligen Prozessen zu<br />

begleiten (9).“ Wir können diesbezüglich der Fähigkeit von Kindern, Fragen zu stellen,<br />

vertrauen <strong>und</strong> es bedarf eigentlich nur eines Zulassens dessen, was vom Kind kommt. In<br />

diesem Zusammenhang wird wieder die Bedeutung der eigenen Auseinandersetzung mit dem<br />

Tod deutlich, um Fragen zulassen zu können <strong>und</strong> sie nicht abwehren zu müssen. Es ist nötig,<br />

„sich der eigenen Haltung bewusst“ zu „werden, bevor man sich darüber mit den ´Kids´<br />

auseinandersetzt, denn man kann nur das glaubhaft weitergeben, was man selbst durchlebt<br />

hat. Gerade Kinder haben ein ausgesprochenes Feingefühl dafür, ob jemand echt oder<br />

aufgesetzt reagiert. „Fehler machen ist nicht so schlimm, schlimm ist vielmehr ein Mangel an<br />

Echtheit (6).“ „Kinder fragen nach dem Tod. Sie fragen einfach <strong>und</strong> sachlich. Und sie<br />

bedürfen einfacher <strong>und</strong> sachlicher Antworten (11).“<br />

Dazu rät Daniela Tausch-Flammer: „Bekennen Sie ihrem Kind gegenüber ruhig, dass dieses<br />

Thema auch für Sie schwierig ist, <strong>und</strong> es möglicherweise auch bei Ihnen Zweifel,<br />

Unsicherheiten oder Ängste …gibt (16).“<br />

Wir sind zu Ehrlichkeit aufgefordert. Kinder „erfahren von den Ereignissen“ (Todesfall) „vor<br />

allem durch `Erzählungen <strong>und</strong> Berichte´. Ihr inneres Bild davon wird zum großen Teil durch<br />

die Sprache der Erwachsenen geformt. So sind Kinder <strong>und</strong> ihre Verarbeitungsmechanismen<br />

…davon abhängig, wie <strong>und</strong> mit welchen Worten ihnen von dem Ereignis berichtet wird.“<br />

„Wir Erwachsenen sind …oft gewillt, Metaphern zu verwenden ohne zu bedenken, dass diese<br />

von den Kindern oft wörtlich aufgefasst werden. So können Formulierungen … bei den<br />

Kindern zu Verwirrungen (`er ist heimgegangen´), zu Ängsten oder Schlafstörungen (`sie ist


eingeschlafen´) oder zu Hassgefühlen (`Gott hat ihn zu sich genommen´) führen (4).“ Wir<br />

meinen oft, „unsere Kinder dadurch zu schützen, dass wir ihnen ausweichende Antworten auf<br />

ihre Fragen geben. Diese Antworten verwirren unsere Kinder aber oft <strong>und</strong> vermehren ihre<br />

Angst <strong>und</strong> ihre Unsicherheit.“ Sie neigen dazu Dinge „wörtlich“ zu nehmen. Wenn wir<br />

unseren Kindern sagen, dass jemand auf eine lange Reise gegangen ist , erwarten sie, dass er<br />

zurückkommt <strong>und</strong> fühlen sich vielleicht schuldig, dass sie den Menschen davon getrieben<br />

haben…Wenn wir ihnen sagen `Michael war so gut, dass Gott ihn zu sich genommen hat´<br />

dann werden unsere Kinder vielleicht beschließen, böse zu werden, damit es ihnen nicht<br />

ebenso geht (12).“<br />

Kinder neigen auch dazu „fehlende Informationen durch Fantasien <strong>und</strong> Angstgedanken<br />

aufzufüllen, bei Zweideutigkeiten oder unvereinbaren Informationen länger zu verweilen.<br />

Klare Informationen unterstützen den kindlichen Trauer- <strong>und</strong> Abschiedsprozess (5).“<br />

Um Fragen stellen zu können brauchen Kinder also Erwachsene, die diese Fragen auch<br />

aushalten!<br />

Jochen Jülicher meint, dass „Trauererziehung sehr wichtig“ ist, nicht unbedingt ein „eigenes<br />

Kapitel im gesamten Erziehungsprozess darstellen“ …, „sondern ähnlich wie die<br />

Sexualerziehung von Anfang an ein integrierter Bestandteil“ sein soll. „Sterben <strong>und</strong> Tod“<br />

sollen aus dem „Sichtfeld“ des Kindes „nicht ausgeschlossen“ werden. „Das bedeutet nicht,<br />

dass Sterben, Tod <strong>und</strong> Trauer permanent ein Thema sein müssen. Vielmehr sollen Sterben<br />

<strong>und</strong> Tod als in den natürlichen Ablauf des Lebens gehörend vermittelt werden (7).“<br />

Findet diese Art der Trauererziehung im Unterricht statt? Im Lehrplan der ersten Klasse<br />

Volkschule beginnt Sexualerziehung mit dem Thema „Mädchen – Bub“, zu den Themen Tod,<br />

Sterben <strong>und</strong> Trauer sind im ganzen Volkschullehrplan keine Angaben zu finden. Es ist dem<br />

Ermessen des Lehrers/ der Lehrerin überlassen, ob es im Unterricht dafür Raum gibt oder<br />

nicht. Und somit wieder deren eigener Auseinandersetzung damit. Aschi Zach, eine Lehrerin,<br />

berichtet über ihre Erfahrung, dass „diese Themen von den Unterrichtenden offenbar nur in<br />

Ausnahmefällen herbeigezogen werden. (17).“ Sie meint auch, dass „ obwohl der Tod uns in<br />

der Schule immer wieder aufsucht“ <strong>und</strong> „ sich in allen Klassen… Möglichkeiten …ergeben<br />

… das Thema zu behandeln“ Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer „wohl mehrheitlich… Sterben, Tod <strong>und</strong><br />

Trauer verdrängen (18).“ Es gibt laut ihrem Bericht auch die Vermutung, dass „viele Eltern<br />

offenbar unsicher seien dem Tod gegenüber <strong>und</strong> es deshalb nicht gern sähen, wenn im<br />

Unterricht der Tod thematisiert würde (19).“


Dazu hat mir auch eine Volkschullehrerin aus Wien ihre Erfahrungen zur Verfügung gestellt:<br />

„ Ausdrücklich ist Tod <strong>und</strong> Trauer nicht im Lehrplan erwähnt. Unser Lehrplan ist ein<br />

Rahmenlehrplan, wo solche Themen nach eigenem Ermessen hinzugefügt werden können. Im<br />

Lehrplan der Religionsgemeinschaften scheint dieses Thema allerdings sehr wohl auf.. Auch<br />

in den `inoffiziellen´ Lehrstoffverteilungen ,die uns Lehrern zur Verfügung stehen, wird<br />

dieses Thema nicht angeschnitten. Ich erinnere mich aber an meine ersten Dienstjahre, wo wir<br />

regelmäßig um den Allerseelentag auf den Friedhof gegangen sind <strong>und</strong> das Thema behandelt<br />

haben. Mir sind auch in der Lehrerfortbildung keine Veranstaltungen dazu aufgefallen, sehr<br />

wohl aber im therapeutischen Bereich <strong>und</strong> in der Heilpädagogik. Ich mache es so, dass es<br />

meist Gelegenheitsunterricht ist – wenn z.B. ein Kind in der Schule stirbt oder es in der<br />

Familie eines Mitschülers einen Todesfall gegeben hat (2).“<br />

Gibt es nun für Kinder ein großes „ Informationsdefizit“, was den „nahen Tod“ betrifft,<br />

worunter Jochen Jülicher den Tod versteht, „der uns persönlich angeht“ , im Unterschied zum<br />

„fernen Tod, der uns tagtäglich über die Medien erreicht <strong>und</strong> vorgeführt wird“ <strong>und</strong> wegen<br />

dem er für eine „offene <strong>und</strong> integrierte Erziehung (8)“ plädiert?<br />

Kinder beschäftigen sich mit dem Tod <strong>und</strong> fordern uns dazu heraus, uns auf ihre Sicht <strong>und</strong> ihr<br />

Verständnis der Dinge einzulassen. Sie sind, wie auch wir, häufig mit dem Tod konfrontiert,<br />

begegnen dabei auch angstmachenden <strong>und</strong> grausigen Bildern, die aus realen Erlebnissen<br />

resultieren, wie einem „ausgedörrten Tierschädel im trockenen Flussbett“, einer „ „elend an<br />

einem Gift sterbenden Katze im Nachbargarten“, „gruseligen Berichten <strong>und</strong> Erzählungen von<br />

anderen Kindern“ <strong>und</strong> „gerade in unserer heutigen Zeit den vielfältigen <strong>und</strong> erschreckenden<br />

Bildern, die uns über die Medien erreichen (20).“. „Wenn sie nun fragend <strong>und</strong> erzählend zu<br />

uns kommen, wie sollen wir ihnen begegnen? Zunächst einmal können wir ihr Vertrauen zu<br />

uns spüren, das es ihnen möglich macht, sich mit ihren quälenden Fragen an uns zu wenden.<br />

Ganz sicher wäre es aber keine Hilfe, ihnen die Fragen ausreden zu wollen. „Ach, das hast du<br />

dir nur eingebildet, vergiss es“ oder „na ja, so ist das halt, geh jetzt wieder spielen“ oder<br />

„ich habe jetzt wirklich keine Zeit für so etwas!“ Vielleicht müssen wir ehrlich feststellen,<br />

dass wir selber diese schwierigen <strong>und</strong> schwer anzunehmenden Bilder gerne umgehen würden.<br />

Für die Kinder ist es noch viel schwerer, mit ihnen allein zu bleiben. Auch bei dieser<br />

Thematik wird es manchmal so sein, dass wir keine Antwort, keinen beruhigenden Trost<br />

finden. Möglich ist uns vielleicht, trotz unserer Hilflosigkeit mit den Kindern vielleicht in<br />

einer körperlich nahen Atmosphäre über das Erlebte zu sprechen, sie einfach erzählen <strong>und</strong><br />

nicht allein mit ihren `Ungeheuern´ zu lassen. Wir können auch das von den Kindern<br />

Beobachtete einfach mit Erklärungen ergänzen, so dass es als ein natürlicher Prozess des


Lebens verstanden werden kann. „Weißt du, ein Skelett ist eigentlich etwas<br />

W<strong>und</strong>erbares…stell dir vor, diese vielen, vielen kleinen <strong>und</strong> großen Knochen machen es<br />

möglich, dass Tiere <strong>und</strong> Menschen gehen, stehen <strong>und</strong> sich bewegen können (21).“<br />

Im Sinne eines natürlichen Umganges mit dem Tod ist es die Aufgabe von uns Erwachsenen<br />

Kindern in ihrem Erleben nicht mit unseren eigenen Ängsten im Weg zu stehen, <strong>und</strong> Fragen,<br />

die für sie daraus erwachsen, ehrlich zu beantworten, bzw. unser Nichtwissen einzugestehen<br />

<strong>und</strong> sie nicht daran zu hindern, den Tod als Teil des Lebens zu erfahren. Und für uns könnte<br />

es sehr lohnend sein, sie zu begleiten <strong>und</strong> dabei von ihnen zu lernen.<br />

Literaturangaben/Zitate:<br />

(1) Fässler-Weibel P., Herdina P.F., Rosenmayr F., Waldenmayer M.: Expertengespräch:<br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen;<br />

Wien, Kardinal-König-Haus, 8.12.2002<br />

(2) Graafar Anneliese, Schule Hernalser-Hauptstraße 222, persönlicher Brief<br />

(3) Internationale Gesellschaft für Sterbebegleitung <strong>und</strong> Lebensbeistand (IGSL): Dafür seid<br />

ihr noch zu klein; Bingen (Broschüre)<br />

(4) Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir;<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

(5) Jellenz-Siegel B., Prettenthaler M., Tuider S. (Hg.): ... <strong>und</strong> was ist mit mir;<br />

Kinder im Blickpunkt von Trennungs- <strong>und</strong> Verlusterlebnissen, B<strong>und</strong>esverein<br />

Rainbows Österreich, Steirische Verlagsgesellschaft m.b.H., 2001<br />

Seite 46<br />

(6) Jülicher, J: Es wird alles wieder gut, aber nie mehr wie vorher; Echter, 3. Auflage,<br />

Würzburg, 1999, Seite 85<br />

(7) Jülicher, J: Es wird alles wieder gut, aber nie mehr wie vorher; Echter, 3. Auflage,<br />

Würzburg, 1999, Seite 84<br />

(8) Jülicher, J: Es wird alles wieder gut, aber nie mehr wie vorher; Echter, 3. Auflage,<br />

Würzburg, 1999, Seite 84<br />

(9) Moritz A: Tod <strong>und</strong> Sterben Kindern erklärt; Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2001,<br />

Seite 6<br />

(10) Schneider, A: Leb wohl, Chaja!; Nord-Süd Verlag, Zürich 1998<br />

(11) Steinwede D: Tod <strong>und</strong> Leben, erzählen <strong>und</strong> verstehen; Gütersloher Verlagshaus,


Gütersloh, 2001, Seite 3<br />

(12) Student, J.C.: Trauer über den Tod eines Kindes; Eugen Lamparter, 8.Auflage,<br />

Stuttgart, 1998<br />

(13) Tausch-Flammmer, D: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Verlag Herder, Freiburg<br />

im Breisgau,1994, Seite 105<br />

(14) ebendort, Seite 106<br />

(15) Tausch-Flammer, D: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Verlag Herder, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 20<br />

(16) Tausch-Flammer, D: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Verlag Herder, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 91<br />

(17) Tausch-Flammer, D: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Verlag Herder, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 240<br />

(18) ebendort, Seite 241<br />

(19) ebendort, Seite 244<br />

(20) Tausch-Flammer, D: Wenn Kinder nach dem Sterben fragen; Verlag Herder, Freiburg<br />

im Breisgau, 1994, Seite 83<br />

(21) ebendort, Seite 84


4. Zusammenfasung<br />

4.1 Gruppenprozess / Tagebuch unserer Projektarbeit<br />

9.10.02<br />

Projektfindungsprozess<br />

Bettinas Thema ist klar: „Kinder als Angehörige“, sie bleibt aber alleine. Peter fragt<br />

nach anderen Interessenten.<br />

Christa <strong>und</strong> Andrea entschließen sich doch, zum Thema „Kinder“ zu arbeiten.<br />

<strong>Dietmar</strong> stößt dazu, hat auf seinem Schild „Humor“ stehen.<br />

Margot ist lange hin- <strong>und</strong> hergerissen, lässt sich dann aber vom Thema überzeugen.<br />

Austausch der Motivationen <strong>und</strong> Vorstellungen<br />

schnelle Einigung über Titel, Vorgehensweise <strong>und</strong> Aufgabenteilung<br />

10.10.02<br />

Abendtreffen zur Planung einer Expertenr<strong>und</strong>e<br />

Welche Experten?<br />

Form der Einladung<br />

Fragen an Experten<br />

Räumlichkeit<br />

Zeitpunkt<br />

<strong>Dietmar</strong> übernimmt die Organisation<br />

25.11.02<br />

Gruppentreffen (Arbeitsstelle Christa)<br />

Umformulierung der Fragen an die Experten<br />

Zusammentragen von Literatur (Bücher, Internetrecherchen)<br />

9.12.02


Expertenr<strong>und</strong>e im „Pro oriente“ der Kardinal König Akademie<br />

Fehlschläge: trotz mitgebrachtem Fotoapparat in Aufregung zu fotografieren vergessen<br />

teures Aufnahmegerät (extra gekauft) funktioniert nicht<br />

keine strukturierte Moderation, glücklicherweise orientieren sich alle Experten<br />

an den vorgegebenen Fragen (Plakat an der Wand)<br />

Ergebnis trotzdem zufriedenstellend<br />

Anschließendes gemeinsames Essen der Gruppenmitglieder beim Italiener, um zu feiern.<br />

11.12.02<br />

Treffen nach dem Kurs<br />

Aufteilung auszuarbeitenden Fragen (anhand von Expertentreffen, Literatur, eigenen<br />

Erfahrungen)<br />

grobe Struktur der Projektarbeit<br />

Motivation bei allen noch sehr groß<br />

28.2.03<br />

missglücktes Treffen (Arbeitsstelle Margot) - Andrea <strong>und</strong> Bettina kamen nicht,<br />

aus email-Kontakten ist erkennbar, dass alle mit Arbeit <strong>und</strong> Terminen überhäuft sind <strong>und</strong> die<br />

Projektarbeit als zusätzliche Belastung erleben.<br />

allgemeine Müdigkeit <strong>und</strong> Unlust, aufgeteilte Arbeitsaufträge können nicht eingehalten<br />

werden<br />

10. bis 14.3.03<br />

Wiedersehen steht unter dem Zeichen von großer Frustration <strong>und</strong> auch Ärger aufeinander,<br />

angespanntes Klima<br />

Missverständnis: alle waren der Meinung, Do Vormittag könnte zur Arbeit an den Projekten<br />

verwendet werden.<br />

Panik, als wir realisieren, dass wir die Arbeit schon vorstellen sollen<br />

Intervention Peter: Dynamik unserer Gruppe sei der eines Behandlungssystems bei<br />

Krebserkrankung eines Kindes ähnlich :


Zuerst Ratlosigkeit <strong>und</strong> Verunsicherung bis zur Diagnose<br />

Danach rasches Handeln, große Motivation<br />

im Verlauf plötzlich Stagnation, Probleme im Betreuerteam oder innerhalb der Familie,<br />

verschiedene Vorstellungen <strong>und</strong> Bedürfnisse, Probleme in Kommunikation<br />

nach Krisenintervention oft wieder gemeinsames Vorgehen möglich<br />

nach Klärung unserer Gruppendynamik durch intensive, ehrliche Gespräche sehr produktive<br />

St<strong>und</strong>e in gemeinsamer Arbeit, viel Spaß!!!<br />

doch noch Präsentation in Großgruppe möglich<br />

Vereinbarung von drei weiteren Terminen zwecks gemeinsamer Treffen<br />

29.3.03<br />

Treffen (Wohnung Margot)<br />

Zusammenfassung der Einzelarbeiten<br />

Formatieren, weitere Planung<br />

<strong>Trauerkiste</strong> zusammenstellen<br />

aktualisierte Aufgabenverteilung<br />

gute Stimmung!<br />

16.4.03<br />

Treffen (Praxis Andrea)<br />

Arbeit am Folder (Text, Format, Bild, Fragen zur Herstellung <strong>und</strong> Finanzierung).<br />

Bezüglich des Inhalts gibt es rasche Einigung, die Formulierungen nehmen viel Zeit in<br />

Anspruch<br />

5.5.03<br />

Gruppentreffen (Wohnung <strong>Dietmar</strong>)<br />

Welche Bilder für die Titelseite der Arbeit <strong>und</strong> den Folder?<br />

Mittlerweile haben alle sämtliche Dateien gemailt bekommen, jetzt geht es darum, Fehler<br />

auszubessern, zu ergänzen,…<br />

Die Zeit wird knapp, aber unsere Arbeit wird termingerecht fertig werden!


Warum es anders wurde – von einer Broschüre zum Folder<br />

Zu Beginn unseres gemeinsamen Projektes planten wir die Erstellung einer 15 –20 seitigen<br />

Broschüre. Sie sollte die zusammengefassten Antworten zu den Fragen an die Experten<br />

beinhalten, sowie Literaturangaben, Beispiele für Rituale in der Trauerarbeit mit Kindern <strong>und</strong><br />

Kontaktadressen.<br />

Im Laufe der Zeit wurde uns klar, dass es unser Hauptanliegen ist, Erwachsene, die Kinder<br />

bei deren Begegnung mit Krankheit <strong>und</strong> Tod wichtiger Bezugspersonen begleiten, zu<br />

ermutigen. Dazu, Kindern zu vertrauen, sie in Verabschiedungen miteinzubeziehen, ihre<br />

Fragen zu beantworten <strong>und</strong> Gespräche mit ihnen zu suchen. Zu diesem Zweck schien uns eine<br />

eher umfangreiche Broschüre doch nicht so gut geeignet wie ein Folder, der durch seine<br />

Kürze eher dazu anregt, hineinzulesen. Die wichtigsten Anregungen sollten darin knapp <strong>und</strong><br />

verständlich dargestellt werden. Für Personen, die sich intensiver mit dem Thema „Kinder,<br />

Tod <strong>und</strong> Trauer“ auseinandersetzen möchten, finden sich im Folder auch Literaturhinweise<br />

<strong>und</strong> Kontaktadressen. So machten wir uns an die Kürzung des geplanten Inhalts <strong>und</strong> an neue<br />

Formulierungen.<br />

Der Prototyp des Folders (siehe Anhang) konnte Ende April fertiggestellt werden. Wir baten<br />

<strong>Dr</strong>. Bogyi Stellung zu nehmen. Sie zeigte sich sehr beeindruckt. Auf ihre Anregung hin<br />

änderten (ein Institutsname) bzw. ergänzten wir einige Details (Kinderaussagen <strong>und</strong><br />

Verhaltenshinweise für Erwachsene). Zum Zeitpunkt der Abgabe der Projektarbeit gibt es<br />

eine vage, aber noch nicht konkrete Zusage eines Sponsors für den <strong>Dr</strong>uck des Folders. Die<br />

Auflage soll etwa 1000 Stück betragen. Diese werden an den 5 Institutionen der<br />

Projektteilnehmer aufgelegt werden.<br />

Über die weiteren Entwicklungen werden wir bei der Vorstellung unserer Projektarbeit<br />

berichten.


4.2 Kernaussagen<br />

- Erwachsene ermutigen, Fragen der Kinder zu beantworten: ehrlich, offen, klar, direkt<br />

- keine Metaphern verwenden („Oma ist für immer eingeschlafen“)<br />

- eigene Unsicherheiten eingestehen <strong>und</strong> kommunizieren<br />

- authentisch sein<br />

- Kinder wissen, was sie brauchen<br />

- frühzeitiges Einbeziehen der Kinder in Abschiedsprozesse<br />

- bewusster Umgang mit Abschied, Vergänglichkeit <strong>und</strong> Tod im Alltag – nicht ausblenden<br />

- Auseinandersetzung mit der Angst vor der eigenen Endlichkeit<br />

- Kinder reagieren auf emotionale Verunsicherung <strong>und</strong> versuchen ein System zu stützen<br />

- Sicherheit <strong>und</strong> Geborgenheit geben durch Erhalten von Alltagsstrukturen<br />

- Hilfe in Anspruch nehmen (Bücher, Fre<strong>und</strong>e, Familie, Institutionen, ...)<br />

- Rituale sind hilfreich, gemeinsames Erinnern kann trösten<br />

- „Richtiges Trauern“ gibt es nicht, jeder trauert individuell – alle Emotionen kommen vor<br />

4.3. Persönliche Schlussbemerkungen<br />

Allen Teilnehmern der Projektarbeit war <strong>und</strong> ist das gewählte Thema ein Anliegen,<br />

bestehende Kenntnisse konnten vertieft <strong>und</strong> neue gewonnen werden. Die Annäherung <strong>und</strong><br />

Auseinandersetzung mit den komplexen <strong>und</strong> wichtigen Inhalten führte im Arbeitsalltag wie<br />

auch privat bei den Gruppenmitgliedern zu mehr Sicherheit. Im Zuge der Betrachtungen<br />

kindlicher Bedürfnisse r<strong>und</strong> um Sterben <strong>und</strong> Tod lernten wir mehr über Bedürfnisse von<br />

Kindern im Allgemeinen. An den Reaktionen unserer Umgebung konnten wir erkennen, dass<br />

dieses Thema vielen ein großes Anliegen ist, jedoch auch Angst macht: einerseits aus der<br />

eigenen Betroffenheit heraus, andererseits aus Furcht vor Konsequenzen.<br />

Wir wurden auch schon von Menschen, die wissen, dass wir uns mit diesem Thema<br />

auseinandersetzten um Rat gebeten. Ebenso scheint bei namhaften Experten großes Interesse<br />

zu bestehen, dieses Thema immer mehr an die Öffentlichkeit zu bringen <strong>und</strong> dadurch zu<br />

enttabuisieren.<br />

Insgesamt sind wir mit unserer Arbeit zufrieden, zumal wir es geschafft haben, aus „5<br />

Palliativrambos“ eine interdisziplinäre Gruppe zu bilden. Unser gemeinsames Ziel verloren<br />

wir trotz Höhen <strong>und</strong> Tiefen nicht aus den Augen. Rückblickend blieben auch für<br />

Individualität, Humor <strong>und</strong> kulinarische Genüsse genug Raum.


5. Anhang<br />

5.1 Literaturempfehlungen<br />

Andrea Prinz<br />

Bücher zu den Themen „Sterben, Tod <strong>und</strong> Trauer“<br />

Bilderbücher für das Vor- <strong>und</strong> Volkschulalter<br />

„Abschied von Rune“ von Wenche Oyen, Marit Kaldhol, Verlag Ellermann 1987<br />

Saras Fre<strong>und</strong> Rune ertrinkt beim Spielen. Die Endgültigkeit von Runes Tod ist für das kleine<br />

Mädchen unfassbar. Mutter <strong>und</strong> Großmutter begleiten Sara liebevoll durch die Schmerzen<br />

ihrer Trauer, bis Sara langsam die schreckliche Wahrheit annehmen <strong>und</strong> sich mit ihr<br />

aussöhnen kann.<br />

„Du wirst immer bei mir sein“ von Inger Hermann, Carme Sole Vendrell, Patmos Verlag,<br />

1999<br />

Auf der Fahrt in den Urlaub stirbt der Vater vom 5-jährigen Peter bei einem Unfall. Peter, der<br />

eine ganz besondere Beziehung zu seinem Vater hatte, nimmt langsam die Realität des Todes<br />

an. Die Liebe zu seinem Vater lebt weiter.<br />

„Hat Opa einen Anzug an?“ von Amelie Fried, Jacky Gleich, Verlag Carl Hanser, 1997<br />

Opa hat Bruno immer alles erklärt <strong>und</strong> gezeigt. Aber jetzt ist er fort. Xaver behauptet auf dem<br />

Friedhof, Papa sagt im Himmel. Beides gleichzeitig geht ja wohl nicht. Wenn Bruno doch<br />

Opa fragen könnte! Bruno ist wütend <strong>und</strong> traurig. Vor dem Schlafengehen sieht er immer<br />

Opas Bild an <strong>und</strong> spricht mit ihm <strong>und</strong> es ist, als würde Opa ihm von weit her zulachen.<br />

„ Julia bei den Lebenslichtern“ von Angela Sommer-Bodenburg, The Tjong Khing, Verlag<br />

C. Bertelsmann, 1989<br />

Nach dem Tod ihrer Oma geht Julia allein auf den Friedhof. Plötzlich verändert sich alles <strong>und</strong><br />

sie steht vor einem See mit vielen Lichtern, dem See der Lebenslichter. Eine Stimme weist ihr<br />

den Weg zum Licht ihrer Oma <strong>und</strong> Julia sieht, dass ihr eigenes Licht ganz dicht daneben<br />

schwimmt. So weiß sie, dass Oma ihr immer nahe sein wird.


„Leb wohl, Chaja“ von Antonie Schneider, Maja Dusikova, Nord-Süd Verlag, 1997<br />

Oma wohnt jetzt bei Papa, Mama, Mira <strong>und</strong> Valentin. In einer Schachtel hat sie den kleinen<br />

Vogel Chaja mitgebracht. Chaja zwitschert <strong>und</strong> singt, <strong>und</strong> alle haben sie lieb. Eines Tages<br />

stirbt Chaja. Mira <strong>und</strong> Valentin sind traurig. Mit Oma zusammen denken sie über das Sterben<br />

nach. Das hilft ihnen, als sie bald auch von Oma Abschied nehmen müssen.<br />

„Leb wohl, lieber Dachs“ von Susan Varley, Anette Betz Verlag, 1984<br />

Der von allen Tieren geliebte <strong>und</strong> geachtete Dachs weiß, dass er bald sterben muss. Eines<br />

Tages beginnt er seinen Weg „durch den langen „Tunnel“. Er hat damit die Tiere für immer<br />

verlassen. Zuerst ist die Trauer bei ihnen groß. Mit der Zeit aber kommt eine Phase der<br />

dankbarer Erinnerung <strong>und</strong> sie erzählen sich fröhliche Geschichten, die sie mit dem Dachs<br />

zusammen erlebt haben.<br />

„Meine Schwester ist ein Engel“ von Ulf Stark, Anna Högl<strong>und</strong> , Verlag Carlsen 1997<br />

Ulfs Schwester ist vor ihrer Geburt in Mamas Bauch gestorben, aber sie ist immer in seiner<br />

Nähe, <strong>und</strong> nur er kann sie sehen.<br />

„Schwesterchen Rabe“ von Käthe Recheis, Angelika Kaufmann, Verlag Kerle, 1998<br />

Schwesterchen Raabe ist das kleinste Rabenkind <strong>und</strong> kann nicht fliegen. Als Jäger in den<br />

Wald kommen kehren die Eltern der Rabenkinder nicht mehr zum Nest zurück, die Kinder<br />

sind auf sich gestellt. Es wird Winter <strong>und</strong> Schwesterchen Rabe stirbt. Auf ihre Art bleibt sie<br />

dennoch bei ihrer Familie.<br />

„Was ist das ? fragt der Frosch?“ (ab 3 Jahren) von Max Velthuijs Verlag Sauerländer,<br />

1998<br />

Der Frosch entdeckt im Gras eine tote Amsel. Auf sehr schöne, einfache Weise beginnen<br />

er <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e zu verstehen, was Tod bedeutet <strong>und</strong> wie schön das Leben sein kann.


Bücher für Kinder ab 8 Jahren<br />

„ Birgit“ von Gudrun Mebs, Unionsverlag Sansibar, 2000<br />

Ein Mädchen erzählt vom langsamen Sterben seiner älteren Schwester, die an einem<br />

Hirntumor leidet, sowie ihre damit verb<strong>und</strong>enen Beobachtungen <strong>und</strong> Gefühle. So findet sie<br />

einen Weg, diese seelische Erschütterung zu verarbeiten.<br />

„Die Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren, Verlag Oetinger, 1973<br />

Krümel ist klein, ängstlich <strong>und</strong> todkrank. Sein großer Bruder Jonathan erzählt ihm von dem<br />

Land Nangijala, wohin Krümel nach seinem Tod gehen wird <strong>und</strong> wo sie sich wieder treffen<br />

werden. Unerwartet stirbt Jonathan vor Krümel. Als dann auch Krümel stirbt, treffen sie sich<br />

in Nangijala wieder <strong>und</strong> erleben viele Abenteuer.<br />

„ Pelle <strong>und</strong> die Geschichte mit Mia“ von Kari Vinje, Vivian Zahl Olsen, Brunnen Verlag,<br />

2000<br />

Pelle mag seine kleine Schwester Mia. Manchmal muss er sie auch ärgern. An einem<br />

Sonntagmorgen rührt sich Mia nicht, auch wenn er sie noch so sehr kitzelt. Mia ist tot.<br />

Wie er sich von ihr verabschieden kann , das Begräbnis erlebt, mit Schuldgefühlen umgeht<br />

<strong>und</strong> sich letztlich auch darüber freuen kann, dass Mama wieder schwanger ist, erzählt Kari<br />

Vinje in einfühlsamer, kindgerechter Sprache.<br />

„Servus Opa, sagte ich leise“ von Elfie Donelly, Verlag dtv junior, 1984<br />

Bei Opa gefällt es Michi viel besser als bei den übrigen Familienmitgliedern. Opa sammelt<br />

ganz verrückte Sachen <strong>und</strong> erzählt Michi immer so tolle Geschichten. Doch Opa ist schon alt,<br />

kann nicht mehr richtig gehen <strong>und</strong> hat Krebs. Vorsichtig bereitet er Michi auf seinen, Opas,<br />

Tod vor.<br />

Bücher für Kinder ab 10 Jahren<br />

„Auf der Suche nach den Regenbogentränen“ von Jorgos Canacakis, Verlag Bertelsmann<br />

1994<br />

Nikolas <strong>und</strong> Angelina treffen eine alte, weise Frau, mit der sie sich ins Land der Abschiede<br />

begeben. Sie lernen, dass alles auf der Welt mit allem verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> sich das Ganze aus


einer Kette von Trennungen <strong>und</strong> Abschieden entwickelt hat. Sie müssen die alles erlösenden<br />

Regenbogentränen finden.<br />

„ Es geschah an einem Sonntag“ von Marie-Therese Schins, Verlag rotfuchs, 1988<br />

Mieke erlebt den plötzlichen Tod ihres geliebten Bruders Marcel. Als Mieke es nicht mehr<br />

aushält, geht sie zu ihrer Großmutter, mit der sie endlich reden kann.<br />

„ Warte nicht auf einen Engel“ von Else Breen, Verlag dtv. junior, 1989 Die 15- jährige Mia<br />

weiß, dass ihre Mutter nicht mehr lange leben wird. Sie berichtet über diese schwere Zeit,über<br />

das Alleinsein unter Geschwistern <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en, aber auch über die Hilfe, die ihr die Mutter<br />

ihnen durch ihr Verhalten gibt.<br />

Bücher, die Erwachsenen helfen, Kinder zu begleiten<br />

„Bist du jetzt für immer weg?“ von Christine Reitmeier, Waltraud Stubenhofer, Verlag<br />

Christophorus 1998<br />

Das Buch hilft einfühlsam <strong>und</strong> sorgfältig, Kindern Trost <strong>und</strong> Halt zu geben. Durch<br />

altersgemäße Antworten auf drängende Fragen. Durch das Verständnis, auf welche Art<br />

Kinder mit Trauer <strong>und</strong> Tod umgehen. Durch gemeinsames Spielen, Geschichten, Bilder,<br />

Entspannungsübungen <strong>und</strong> gemeinsame Unternehmungen.<br />

„ Da war es auf einmal so still“ von Linde von Keyserlingk, Verlag Herder 1997<br />

Geschichten, die vom Abschiednehmen erzählen. Sie tun dies behutsam uns ehrlich, geben<br />

den Kindern dadurch Raum für eigene Gedanken, die eigene Trauer. So können sie trösten,<br />

ohne zu verdrängen.<br />

„Für Zeiten der Trauer“ von Alan D. Wolfelt, Verlag Kreuz, 2001<br />

100 praktische Anregungen für den Alltag, wie ich Kindern helfen kann<br />

„Warum gerade mein Bruder?“ von Margit Baßler, Marie-Therese Schins, Verlag Rowohlt<br />

Sachbuch, 1992, vergriffen, Bezug über Verwaiste Eltern Hamburg e.V., Esplanade 15, 20354<br />

Hamburg


Trauer um Geschwister. Erfahrungen, Berichte, Hilfen.<br />

„Wenn Kinder nach dem Sterben fragen“ von Daniela Tausch-Flammer, Lis Bickel, Verlag<br />

Herder 1994<br />

Dieses Buch gibt Hilfestellung bei der Beantwortung der Fragen von Kindern nach Tod <strong>und</strong><br />

Sterben. Ein Begleitbuch für Kinder, Eltern <strong>und</strong> Erzieher.<br />

„Wenn Kinder trauern. Wie Eltern helfen können“ von Tobias Brocher, Verlag Rowohlt<br />

TB, 1985<br />

Am Beispiel von Kinderzeichnungen zeigt T. Brocher, wie phantasievoll <strong>und</strong> zugleich<br />

ernsthaft der Umgang von Kindern mit dem Tod ist. Er gibt Anleitungen, wie Eltern mit ihren<br />

Kindern über Tod <strong>und</strong> Sterben sprechen können<br />

„Zeit zu trauern. Kinder <strong>und</strong> Erwachsene verstehen <strong>und</strong> begleiten“ von Monika Specht-<br />

Toman, Doris Tropper, Patmos Verlag 2001<br />

Die beiden Autorinnen zeigen in eindrucksvoller <strong>und</strong> mutmachender Weise wie Kinder <strong>und</strong><br />

Erwachsenen in ihren kleinen <strong>und</strong> großen Trauerprozessen begleitet werden können<br />

Videos zum Thema Kinder <strong>und</strong> Tod<br />

„Mama ist tot. Wie Kinder trauern“<br />

„In der Nacht – Kinder verabschieden sich von ihrem toten Fre<strong>und</strong>“<br />

Beide Videos sind über das katholische Filmwerk, Postfach 111152, 60046 Frankfurt<br />

erhältlich. Jeder Videocassette liegt eine Arbeitshilfe bei. Sie sollen helfen, mit Kindern über<br />

die „letzten Dinge“ ins Gespräch zu kommen.<br />

5.2 Betreuungsliste<br />

RAINBOWS-Koordinationsstelle Wien <strong>und</strong> NÖ-Ost<br />

Träger: Katholische Aktion Wien / Kontaktstelle für Alleinerziehende<br />

Adresse: 1010 Wien, Stephansplatz 6 /Stg. 2 /5.Stock /Zimmer 31


Tel: (01) 51 552 / 3393, Fax:( 01) 51 552 /20 70<br />

E-mail: ka.alleinerziehende@edw.or.at<br />

Bürozeiten: MO bis DO, 9-12, DO 14-17 Uhr<br />

ALFRED ADLER - INSTITUT<br />

Hernalser Hauptstraße 15/3/11, 1170 Wien<br />

Fr. Elisabeth Mörl<br />

Mittwoch 15.00 - 17.00 Uhr<br />

Tel. Nr.: 01 / 406 66 02 - 12<br />

Fax Nr.: 01 / 406 66 02 – 22<br />

COSIP<br />

Ein Beratungsangebot für betroffene Frauen, deren Partner <strong>und</strong> ihre Kinder bis zum 18<br />

Information <strong>und</strong> Voranmeldung unter<br />

Telefon: 01/40 400-2304<br />

E-Mail: cosip@univie.ac.at<br />

Allgemeines Krankenhaus Wien<br />

Universitätsklinik für Neuropsychiatrie<br />

des Kindes- <strong>und</strong> Jugendalters<br />

Währinger Gürtel 18-20<br />

1090 Wien<br />

offene Sprechst<strong>und</strong>e:Dienstags von 14.00 bis 15.30 Uhr (auch ohne Voranmeldung)<br />

IGSL<br />

Internat. Gesellschaft für Sterbebegleitung <strong>und</strong> Lebensbeistand<br />

1090 Wien, Gilgegasse 11<br />

Tel.: 01- 969 11 66<br />

e-Mail: igsl-hospizinitiative@chello.at<br />

Helene Mayer, DGKS (Vorsitzende)<br />

Bildungsangebote, Beratung, Patientenverfügung


5.3 Geschichte: Andreas (1)<br />

Andreas ist vier Jahre alt als sein Opa stirbt. Für den kleinen Jungen ereignet sich etwas , das<br />

er nicht versteht. Jeden Sonntag ist der Opa zu Besuch gekommen, er hat mit seinem Enkel<br />

gespielt, hat ihm Geschichten vorgelesen <strong>und</strong> ihn auch mal auf eine Radtour mitgenommen.<br />

Das war für Andreas überhaupt das Schönste! Wie herrlich war es doch da oben auf dem Rad,<br />

wenn der Wind um die Ohren blies <strong>und</strong> die Bäume vorbei tanzten! Die letzten paar Monate<br />

wollte Opa nicht mehr mit dem Rad fahren. Andreas hat das nicht verstanden. „Opa, bitte<br />

fahren wir mit dem Rad weg, bitte!“ „Andreas, ich bin zu schwach, meine Beine wollen nicht<br />

mehr...!“ Der Opa nahm seinen Enkel in die Arme, doch Andreas war böse. Die dummen<br />

Beine vom Opa. Warum wollten die denn nicht mehr Radfahren. Und warum war der Opa so<br />

langweilig <strong>und</strong> so oft müde?<br />

Die Krankheit des alten Mannes nahm einen raschen Verlauf. Die Eltern erklärten Andreas,<br />

dass der Opa nun nicht mehr am Sonntag kommen könne. Statt dessen wollten sie ihn<br />

besuchen gehen. Als Andreas seinen Opa im Bett liegen sah, setzte er sich gleich zu ihm <strong>und</strong><br />

streichelte seine Hand. „Opa, du wirst bald wieder ges<strong>und</strong>, du musst nur brav im Bett<br />

bleiben.“ Der Opa lächelte müde. „Andreas, ich bin zu alt <strong>und</strong> auch zu krank.“ Der kleine<br />

Junge malte seinem Opa Bilder, er brachte ihm Steine <strong>und</strong> Kuscheltiere mit. Andreas wollte<br />

doch, dass sein Opa wieder mit ihm lustig sein konnte. Dann starb der Großvater.<br />

Die Mutter nahm Andreas in die Arme. Sie wiegte ihn sanft <strong>und</strong> sagte in ruhigen, klaren<br />

Worten: „Andreas, heute Nacht ist Opa gestorben.“<br />

Andreas schaute auf <strong>und</strong> sah die Tränen der Mutter. „Mama...?“<br />

Die Mutter erklärte Andreas, dass sie traurig sei, weil der Opa gestorben war.<br />

Mit einem Mal war es so still im Raum. Andreas wurde es ganz unheimlich. Er glitt vom<br />

Schoß seiner Mutter. Er lief in sein Zimmer. Dort nahm er seine Spielautos <strong>und</strong> ließ sie alle<br />

ganz wild herumfahren. Laut <strong>und</strong> wild, rasend schnell sollten sie fahren....Er stieß die Autos<br />

herum, dann warf er eines in die Ecke, noch eines <strong>und</strong> noch eines. Immer heftiger schleuderte<br />

er die Autos im Zimmer herum, bis er plötzlich in Tränen ausbrach.<br />

Seine Mutter kam zu ihm ins Zimmer. Sie setzte sich zu ihm auf den Boden schaute in sein<br />

kleines verheultes Gesicht. Sie strich ihm sanft übers Haar.<br />

„Wann kommt der Opa wieder, Mama?“ „Andreas, der Opa ist tot. Er kommt nicht mehr.“<br />

Andreas schmiegt sich an die Mutter. „Warum kommt er nicht mehr, Mama?“ „Der Opa ist<br />

tot.“


Frau S. fiel es schwer, auf die immer wiederkehrenden Fragen ihres Sohnes ruhig <strong>und</strong><br />

geduldig zu antworten. Sie war ja selbst so traurig! Und im Gr<strong>und</strong>e konnte sie es ja auch<br />

nicht recht begreifen, dass ihr Vater, dieser große, starke Mann tot war.<br />

Als das Begräbnis näher rückte, überlegte die Familie, ob es sinnvoll sei, Andreas mit zur<br />

Beerdigung zu nehmen. Tante Andrea meinte, dass sei doch nichts für Kinder; die Oma aus I.<br />

fand, der Kleine könne in der Zeit doch besser im Kindergarten bei den anderen Kindern<br />

spielen; Onkel Hans wollte, dass Andreas ganz vorne beim Trauerzug dabei sein sollte.<br />

Da erinnerte sich die Mutter von Andreas, wie traurig sie als Kind war, als sie beim Begräbnis<br />

ihrer Oma „verschickt“ wurde <strong>und</strong> wie böse sie damals auf ihre Eltern war. Sie erzählte das<br />

ihrem Mann <strong>und</strong> die beiden beschlossen, Andreas mitzunehmen.<br />

Die Vorbereitungen für das Begräbnis nahmen ihren Lauf. Die Karten wurden gedruckt <strong>und</strong><br />

in einer großen Familier<strong>und</strong>e wurde eine lange Adressenliste erstellt. Tante Andrea kochte<br />

Kaffee <strong>und</strong> gemeinsam ging man an das Beschriften der Briefumschläge. Dabei tauchten<br />

einige Geschichten über Opa auf, man kam ins Erzählen, war traurig, dann wieder löste sich<br />

die Spannung in einem gemeinsamen Lachen über Heiteres aus der Vergangenheit.<br />

Einen Tag vor dem Begräbnis ging die Mutter mit Andreas spazieren. Sie erklärte ihm, was<br />

beim Begräbnis alles geschehen werde. Sie fragte ihn, ob er vielleicht ein Bild für Opa malen<br />

wolle, das er dann mit den Blumen zusammen dem Opa auf den Sarg legen könne.<br />

Die St<strong>und</strong>en vor dem Begräbnis war Andreas sehr aufgeregt. Die angespannte Atmosphäre zu<br />

Haus übertrug sich auf das Kind. Zum Glück war Sarah da, die junge Nachbarin.<br />

Frau S. war über dieses Angebot der Nachbarin, Andreas in der Zeit r<strong>und</strong> um das Begräbnis<br />

zu betreuen, sehr froh <strong>und</strong> sie konnte es dankbar annehmen.<br />

Am Friedhof war Andreas von den vielen schwarz gekleideten Menschen, den Blumen <strong>und</strong><br />

den Tränen überwältigt. Er suchte die Nähe seiner Mutter. Für einige Zeit war er nicht von<br />

ihrer Seite zu bringen. Doch schließlich konnte er sich lösen <strong>und</strong> stand an der Hand von Sarah<br />

dicht neben den Eltern. In seiner kleinen Hand hielt er ein Bild. Er hatte dem Opa ja ein Bild<br />

gemalt – ein Fahrrad! „Sarah, ich hab dem Opa ein Bild gemalt. Schau, das tolle<br />

Fahrrad....Jetzt kann er auch im Himmel Radfahren“, fügte er leise hinzu. Sarah drückte seine<br />

Hand <strong>und</strong> lächele.<br />

Etwas scheu <strong>und</strong> zögernd stand Andreas dann vor dem offenen Grab <strong>und</strong> warf sein Bild auf<br />

den Sarg von Opa. Dann wollte er rasch weg. Er zog Sarah an der Hand <strong>und</strong> wollte<br />

weglaufen. Sarah mache mit Andreas einen kleinen Spaziergang durch die angrenzenden<br />

Grabreihen. Sie entdeckten schöne Blumen, kleine Figuren <strong>und</strong> langsam löste sich die große<br />

innere Spannung des Kindes.


Die folgende Zeit war schwer. Frau S. litt selbst sehr unter dem Tod ihres Vaters. Sie war<br />

traurig. Die Kinderfragen ihres Sohnes waren nicht leicht zu beantworten.<br />

„Wo ist Opa jetzt?“ – „Sein Körper ist begraben, sein Lachen ist im Himmel.“<br />

„Warum ist Opa tot?“ – „Opa war sehr, sehr, sehr krank.“<br />

Immer wieder kamen die gleichen Fragen <strong>und</strong> Frau S. musste viel Geduld aufbringen, ihrem<br />

Kind immer wieder die gleichen Antworten zu geben.<br />

Es konnte passieren, dass Andreas sein Spiel plötzlich unterbrach <strong>und</strong> zu seiner Mutter<br />

stürzte:<br />

„Mami, aber zu meinem Geburtstag, da wird der Opa schon wiederkommen. Wir werden<br />

Radfahren.“ – „Nein, Andreas, der Opa wird nicht kommen. Der Opa ist tot.“<br />

Immer wieder störten die Fragen von Andreas, seine Schwierigkeiten, die Endgültigkeit des<br />

Todes seines geliebten Großvaters zu verstehen, die Mutter im Erleben ihres einen<br />

Trauerprozesses.<br />

Sie war froh, dass es Sarah gab! Die junge Nachbarin war der ganzen Familie eine Stütze. Ihr<br />

einfaches Da-sein erleichterte die Situation.<br />

Sie sorgte dafür, dass Andreas seine lieben kleinen Gewohnheiten beibehalten durfte, für die<br />

die Mutter weder Kraft noch Nerven aufbringen konnte. Sie schaute, dass Frau S. genügend<br />

Zeit hatte, für sich allein zu sein, um sich in Ruhe innerlich von ihrem Vater verabschieden zu<br />

können.<br />

Manchmal gingen alle gemeinsam auf den Friedhof <strong>und</strong> stellten eine Kerze ans Grab des<br />

Großvaters. Der Vater hatte ein kleines Rosenbäumchen gekauft, das sie nun aufs Grab<br />

pflanzten. „Das gefällte dem Opa!“ jubelte Andreas!<br />

Dann rücke der Geburtstag von Andreas immer näher. Das Kind freute sich schon sehr darauf.<br />

Eines Tages fragte er: „Du Mami, wird der Opa wirklich nicht mehr kommen?“ – „Nein, der<br />

Opa ist tot.“<br />

„Auch nicht an meinem Geburtstag ?“- „Nein, Liebes, der Opa kann nicht mehr kommen, er<br />

ist tot. Aber im Himmel wird er an dich denken, bestimmt!“<br />

Die Mutter nahm Andreas an die Hand <strong>und</strong> führte ihn ins Wohnzimmer. Da stand ein Bild<br />

vom Opa auf dem Regal. Das Foto zeigte den Opa, wie er mit seinem Enkel auf dem Rad<br />

unterwegs war. Gemeinsam schauten Andreas <strong>und</strong> die Mutter das Bild an. Andreas weinte<br />

<strong>und</strong> auch Frau S. kamen die Tränen.<br />

Sie umarmten sich. Eine kurze Zeit standen sie eng aneinander geschmiegt <strong>und</strong> schauten das<br />

Foto an. Dann löste sich Andreas von der Mutter <strong>und</strong> sprang sichtlich erleichtert zurück in<br />

sein Zimmer...


(1) zitiert aus Specht-Tomann, M., Tropper, D.: „Wir nehmen jetzt Abschied: Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche begegnen Sterben <strong>und</strong> Tod“, Patmos-Verlag, Düsseldorf, 2000<br />

Was hat die Mutter getan, um ihren Sohn in dieser Situation gut zu begleiten? Welche<br />

Impulse sind von dieser Geschichte auch auf andere Situationen zu übertragen?<br />

• Mit klaren, einfachen Worten über die Tatsache des Todes sprechen: „Tod ist tot.“<br />

Geduld gegenüber den immer wiederkehrenden Fragen. Einfache immer<br />

gleichlautende Antworten.<br />

• Körperliche Nähe spüren lassen.<br />

• Die eigenen Gefühle <strong>und</strong> Reaktionen dem Kind gegenüber beim Namen nennen.<br />

„Mama weint, weil Opa tot ist. Mama ist traurig.“<br />

• Gute Wahrnehmung der kindlichen Gefühle <strong>und</strong> Verständnis für unterschiedliche<br />

Reaktionsweisen (z.B. Aggression als eine Form der Trauer).<br />

• Den eigenen Kindheitserinnerungen nachspüren.<br />

• Einstimmung auf die Rituale, an denen das Kind teilnehmen wird <strong>und</strong> Einbeziehen des<br />

Kindes bei den Vorbereitungen (z.B. Anbieten von Möglichkeiten, für die verstorbene<br />

Person noch „etwas zu tun“).<br />

• Suche nach Unterstützung im sozialen Umfeld für sich selbst <strong>und</strong> für das Kind<br />

(„Soziales Netz“).<br />

• Gemeinsames Tun (z.B. Grabbesuche, Kerzen aufstellen).<br />

Hilfestellung, dass die verstorbene Person zu einer inneren Figur werden kann<br />

(Erinnerungsarbeit).


5.4 Bilder


5.4 Aschenputtel (1)<br />

Es war einmal ein reicher Mann, der lebte lange Zeit<br />

vergnügt mit seiner Frau, <strong>und</strong> sie hatten ein einziges<br />

Töchterlein zusammen.<br />

Da wurde die Frau krank, <strong>und</strong> als sie<br />

todkrank ward, rief sie ihre Tochter <strong>und</strong> sagte:<br />

„Liebes Kind, ich muss dich verlassen,<br />

aber wenn ich oben im Himmel bin,<br />

will ich auf dich herabsehen,<br />

pflanz ein Bäumlein auf mein Grab,<br />

<strong>und</strong> wenn du etwas wünschest, schüttle daran<br />

so sollst du es haben,<br />

<strong>und</strong> wenn du sonst in Not bist, so will ich dir Hilfe<br />

schicken. nur bleib fromm <strong>und</strong> gut.““<br />

Nachdem sie das gesagt hatte, tat sie die Augen zu <strong>und</strong><br />

starb; das Kind weinte <strong>und</strong> pflanzte ein<br />

Bäumlein auf das Grab <strong>und</strong> brauchte kein Wasser<br />

hinzutragen, um es zu begießen,<br />

denn es war genug mit seinen Tränen. –<br />

(1): Aschenputtel. Märchen der Gebrüder Grimm, 1812.<br />

günstig:<br />

Ankündigung des<br />

Abschiedes<br />

Auftrag<br />

gute Zukunft (Himmel)<br />

ich schaue auf dich -<br />

Ich kann <strong>und</strong> werde dir<br />

helfen<br />

Empfehlung<br />

(Religion, Moral)<br />

Trauer<br />

Friedhof: Ort des Trostes<br />

Baum der Hoffnung<br />

Vorgetragen <strong>und</strong> interpretiert von Univ.-Doz. <strong>Dr</strong>. Franz<br />

Rosenmayr beim Expertentreffen im Kardinal-König-<br />

Haus, 8.12.2002


5.5 Einladung zum Expertengespräch<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

FA für Anästhesie <strong>und</strong> Intensivmedizin<br />

Waldviertelklinikum Horn<br />

Spitalgasse 10<br />

3580 Horn<br />

Tel.: 02982-2661<br />

mobil: 0676-6306101<br />

Fax.: 02982-2661-1350<br />

email: d.weixler@wvk.at<br />

Horn, 2.11.2002<br />

Betreff: Einladung zum Expertengespräch.<br />

Thema: Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger<br />

Bezugspersonen<br />

Sehr geehrte ________________________<br />

im Rahmen des Palliativlehrganges an der Kardinal-König-Akademie haben sich 2<br />

Kinderkrankenschwestern (Kinderonkologie), 1 Sozialarbeiterin <strong>und</strong> 2 Ärzte (Onkologie,<br />

Intensivmedizin) zu einer Projektgruppe formiert, die sich mit dem Thema „Bedürfnisse von<br />

Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen“ befassen will. Wir wollen<br />

dieses Thema anhand der Fachliteratur, durch Beobachtung <strong>und</strong> Fragen Betroffener <strong>und</strong> durch<br />

ein „Expertengespräch“ erhellen, in unseren Institutionen bewusst machen <strong>und</strong> für die<br />

Betroffen ein Medium zu ihrer Information erarbeiten.<br />

Sie haben den Ruf, eine anerkannte Expertin zu sein, was die Seele <strong>und</strong> das Wesen der Kinder<br />

betrifft, daher würden wir Sie <strong>und</strong> mehrere andere Fachmänner/frauen gerne zu unserem<br />

Expertengespräch<br />

zum Thema<br />

Bedürfnisse von Kindern im Umgang mit dem Tod wichtiger Bezugspersonen<br />

Mit der Bitte um eine kurze Nachricht,<br />

ob Sie kommen wollen<br />

verbleibt hochachtungsvoll<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Dietmar</strong> <strong>Weixler</strong><br />

am 9.12. 2002 um 19h30<br />

in der Kardinal-König-Akademie<br />

1130 Wien, Lainzer Straße 138<br />

Saal Pro Oriente<br />

herzlich einladen

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