KVBW-Magazin 1003 - Bushido Oberkirch
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NACHRICHTEN<br />
26 www.karate-kvbw.de • Ausgabe 03/2010<br />
Kata Bunkai - Methoden zur Interpretation der Kata (Teil 2)<br />
Sebastian Gunreben, Nicolas Hofele<br />
Uni Karate Dojo Stuttgart e.V.<br />
Der erste Teil dieser Trilogie zeigte auf, dass die Kata wertvolle Informationen zur<br />
Selbstverteidigung enthalten müssen, die aber mit der Zeit in Vergessenheit geraten sind. Der<br />
vorliegende zweite Teil klassifiziert Situationen der Selbstverteidigung nach Häufigkeit und Technik.<br />
Er beschreibt damit das Umfeld in dem Anwendungen der Kata gesucht werden sollten und welche<br />
Anforderungen diese Anwendungen bestehen müssen.<br />
Verteidigung ja - aber gegen was?<br />
Im Folgenden gehen wir – wie im ersten Teil beschrieben – davon aus, dass Karate zur<br />
Selbstverteidigung bis ins 18. Jahrhundert angewandt und dass das Wissen um die<br />
Selbstverteidigung, die Techniken und Prinzipien, in den Kata verankert wurden. Wenn wir im 21.<br />
Jahrhundert Selbstverteidigungstechniken aus dem 18. Jahrhundert rekonstruieren und anwenden<br />
wollen, stellen sich zwei Fragen:<br />
� Wie sehen die Techniken im 18. Jahrhundert aus und gegen welche Bedrohungen wurde sich<br />
überhaupt verteidigt?<br />
� Sind die Bedrohungen aus dem 18. Jahrhundert mit denen des 21. Jahrhunderts vergleichbar,<br />
so dass man das Wissen von damals einfach anwenden kann?<br />
Um beide Fragen zu beantworten, betrachten wir zunächst die Qualität der Angriffe aus dem 21.<br />
Jahrhundert. Rick Clark [1] und John Titchen [2] haben Kriminalstatistiken der Sichheitsbehörden<br />
aus den USA und GB aus den Jahren von 1978-2001 untersucht 1 . Titchen klassifiziert körperliche<br />
Angriffe nach den Umständen, den Angriffen, der Zeit, dem Ort und dem Zustand der Angreifer.<br />
Clark wertet die tätlichen Angriffe auf Vollstreckungsbeamte statistisch aus. Beide Autoren<br />
kommen unabhängig voneinander auf sehr ähnliche Ergebnisse: In ca. 80% der Fälle von<br />
körperlicher Auseinandersetzung waren es Angriffe ohne Waffen 2 . Die restlichen 20% entfallen auf<br />
Angriffe mit Schusswaffen, Messern und sonstigen Gegenständen. Differenziert man die<br />
waffenlosen Angriffe weiter, erhält man das überraschende Ergebnis, dass in ca. 70% der Fälle<br />
zuerst in irgendeiner Form gegriffen bzw. (fest-)gehalten wurde (Greifen, Fassen, Klammern). In<br />
nur ca. 10% der Fälle setzten die Angreifer direkt schlagende Techniken ein. Der Rest entfällt auf<br />
andere Aktionen wie Spucken, Kratzen, Beissen, etc. Schläge, Tritte und Würgetechniken sind<br />
wesentlich seltener oder folgen erst nach den oben genannten Angriffen als Folgetechniken.<br />
Die genannten Statistiken werten Angriffe auf bewaffnete Vollstreckungsbeamte aus. Angriffe auf<br />
unbewaffnete Zivilpersonen sind dabei sehr ähnlich gelagert, wie Bill Burgar in [4] schreibt. Er<br />
gelangt zu den gleichen Angriffsmustern für den rein zivilen Bereich.Obige Angaben spiegeln die<br />
statistischen Daten aus zwei Ländern in einem bestimmten Zeitraum wieder. Für den japanischen<br />
oder auch deutschsprachigen Raum liegen den Autoren zwar keine Daten vor, allerdings stellt sich<br />
berechtigterweise die Frage, ob die Unterschiede wirklich signifikant wären, da beide Länder<br />
soziokulturell und ökonomisch vergleichbar sind. Die einzelnen Prozentzahlen mögen leicht<br />
variieren, die Angriffsmuster wie Greifen, Fassen, Schubsen, Schlagen würden wohl ebenfalls<br />
ersichtlich sein.<br />
Diese Daten gestatten ein Bild von körperlichen Auseinandersetzungen des 21. Jahrhundert.<br />
Selbstverständlich ist die Anzahl möglicher Angriffe sehr groß, effektive Selbstverteidungstraining<br />
soll sich daher mit den wahrscheinlichen und nicht zwingend mit allen möglichen Angriffen<br />
befassen. Rick Clark [1] argumentiert dabei mit der 80/20 Regel. Sie besagt, dass ca. 80% aller<br />
Angriffe lediglich ca. 20% aller hierfür möglichen Angriffstechniken verwenden. Bill Burgar [4]<br />
1 In 2001 wurden in GB nur 3% aller Erwachsenen Opfer einer tätlichen Auseinandersetzung [3]<br />
2 Die Medien greifen in der Regel die spektakulären weniger die alltäglichen Fälle auf