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rebecca horn (II) - Zeit Kunstverlag

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Diese räumliche, von allen hergebrachten Konventionen<br />

befreite Malerei hat ihre Vorläufer im Werk von Rebecca<br />

Horn: Wenn die Malmaschinen aus den 1980er Jahren<br />

Fontänen von Farbe über die Wände spritzten oder Pigmentstaub<br />

aufschichteten, dann probten sie eigentlich<br />

nichts anderes als eben dies, eine Malerei im Raum, die<br />

sich unmittelbar vollzog und vor den Augen des Betrachters<br />

erst ereignete. In seligem Triumph schreit der „Pinselvogel“<br />

in dem Gedicht, das die Installation An Art<br />

Circus begleitet: „Keilrahmen! hier, reine Verschwendung!<br />

die Gedankenstriche im Satz des Bildes.“<br />

6 <strong>rebecca</strong> <strong>horn</strong><br />

r ü c k g r a t d e s<br />

r a u m e s<br />

In ähnlicher Weise lassen sich manche frühen Arbeiten<br />

von heute aus in größeren Zusammenhängen verstehen.<br />

Erst im Vergleich mit jüngeren und jüngsten Arbeiten<br />

wird deutlich, welche zentrale Bedeutung der Performance<br />

Ein<strong>horn</strong> für das heutige Werk zukommt. Denn als<br />

könne man sich auf das definierte Raumgefüge, auf das<br />

gewohnte <strong>Zeit</strong>gewebe nicht verlassen, als gelte es, „im<br />

leeren Nichts-Abgrund unter der <strong>Zeit</strong> und unter den<br />

<strong>Zeit</strong>en, den die <strong>Zeit</strong> ängstlich und haardünn, Augenblick<br />

um Augenblick aneinanderreihend zu überbrücken<br />

trachtet“ 12 , eine neue Welt zu vermessen, so baut Rebecca<br />

Horn mit dieser Performance eine eigene bewegliche<br />

axis mundi: Eine Frau trägt einen langen Stab senkrecht<br />

auf dem Kopf, schreitet wie eine wandelnde Verbindung<br />

zwischen Himmel und Erde durch Feld und Wald und<br />

misst sich „mit jeder Baumkrone und jeder Wolke“ 13 . Der<br />

mit weißer Gaze ummantelte Stab, der die Frau in ein<br />

Wesen aus einer anderen Welt transformiert, entspricht<br />

genau der Hälfte ihrer Körperlänge. Die Transgression<br />

von physischer Reichweite im Raum, das Verlängern von<br />

physischer Dimension, bleibt – unabhängig vom Ausmaß<br />

der Extension – gebunden an körperliche Proportion.<br />

Die Vorstellung einer menschlichen Gestalt als Gravitationsachse<br />

schwingt auch dann noch mit, wenn 30 Jahre<br />

später eine Raumkomposition in den Dimensionen einer<br />

Welt und All umspannenden Kosmogonie gedacht ist. Wie<br />

kaum eine andere hebelt die Installation Moon Mirror<br />

(2003, Abb. 12) unser gewohntes Koordinatensystem<br />

aus den Angeln und erinnert uns wieder einmal daran,<br />

dass wir es sind, die Vertikale und Horizontale in den<br />

Raum einschreiben. In einer Klosterkirche im Norden<br />

von Mallorca 14 entfesselt ein kreisendes Spiegelsystem<br />

einen Schwindel erregenden Tanz der Kuppeln, Bögen,<br />

Wände, Fußböden, des Altars und der Seitenaltäre. Zwei<br />

entgegengesetzte Pole bestimmen den Raum: Unter der<br />

zentralen Deckenkuppel kreist ein goldener Lichtwirbel,<br />

der von einem frei im Raum aufgehängten Trichter projiziert<br />

wird. Auf dem Fußboden ist ein brunnenartig<br />

runder Bodenspiegel aufgebaut, der über sich in einen<br />

zweiten, in mittlerer Raumhöhe befestigten Spiegel<br />

schaut und mit ihm eine Endlos-Reflexion öffnet. Der<br />

Bodenspiegel hat eine schwankend kreisende Innenfläche<br />

und einen festen Außenrand.<br />

Unwillkürlich beugen sich die Besucher über diesen<br />

Rand, als würden sie in eine Brunnentiefe schauen. Wer<br />

den Blick in den spiegelnden Abgrund aushält, kann sein<br />

Konterfei suchen, das sich unendlich wiederholt auf den<br />

kreisend leuchtenden Bahnen einer sich in die Tiefe<br />

schraubenden Spirale. Bei aller Grenzüberschreitung<br />

des Raumes und seiner Koordinaten aber gibt es einen<br />

Halt: Und das ist die Spannungsachse zwischen den beiden<br />

Polen, die, wenn auch unsichtbar, für jeden Besucher<br />

unmittelbar spürbar ist. Unwillkürlich zieht der Betrachter<br />

die Linie dieser Achse mit seiner Körperbewegung<br />

nach, wenn er sich mal vornüber neigt und in die<br />

Tiefe des Brunnens schaut, oder sich dann wieder reckt,<br />

den Kopf in den Nacken legt, um in der Höhe den Lichtvortex<br />

zu beobachten. Der extrem gedehnte Raum bleibt<br />

als Einheit erfahrbar durch dieses vertikale, magnetische<br />

Spannungsfeld, das alle Elemente und Bewegungen<br />

verbindet.<br />

e n e r g i e s ä u l e<br />

Rebecca Horn spricht von einer „Energiesäule“. 15 In dem<br />

zur Arbeit gehörenden Gedicht schreibt sie vom Rückgrat<br />

einer Gestalt, die mit den Füßen auf dem Meeresgrund<br />

steht und ihren Kopf im Lichtwirbel hat. 16 Die Vorzeichnung<br />

zu dieser Arbeit zeigt diese Raumachse in drehenden<br />

Spiralringen, die ebenso nach oben in ein<br />

Lichtzentrum steigen wie nach unten auf tiefen Grund<br />

und den gesamten Raum durchmessen. Deutlich ist auf<br />

der Zeichnung abzulesen, dass in dieser Raumkomposition<br />

eine Kosmogonie mitgedacht ist: nämlich eine Unterwelt,<br />

eine Welt der Lebenden – hier der Bereich der<br />

Betrachter – und eine Lichtwelt. Aus der wandelnden<br />

axis mundi, aus dem Ein<strong>horn</strong>, ist ein metaphysischer<br />

Körper geworden, in dem Raum und <strong>Zeit</strong> in eins zu fallen<br />

scheinen, eine Achse, die erinnern mag an die griechische<br />

Vorstellung des Aion, einer personifizierten Unendlichkeit.<br />

Das Großartige an der Arbeit von Rebecca<br />

Horn ist, dass, wann immer die Künstlerin sich bewusst<br />

oder unbewusst einem Ideenkomplex auf künstlerischem<br />

Weg nähert, die Bildlogik präzis bis ins letzte Detail<br />

nachzuvollziehen ist: In der griechischen Medizin<br />

war etwa die Wirbelsäule gleichbedeutend mit dem Begriff<br />

Aion.

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