Vector 2 - Kolleg Schöneberg
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geben. War nicht sie es, die uns erst<br />
in diese missliche Situation gebracht<br />
hatte? Hatte nicht alles Übel erst mit<br />
ihren Versuchen, die Würde des Skelettes<br />
wieder herzustellen, einen Anfang<br />
genommen?<br />
Der Instinkt, zu fliehen war da und<br />
wären meine bisher angehäuften Fehlzeiten<br />
noch in irgendeiner Form tragbar<br />
gewesen, hätte mich die nächste<br />
U-Bahn sicher in die heimatliche Geborgenheit<br />
befördert. So aber blieb<br />
mir der Weg in die Flucht versperrt<br />
und ich musste mich dem stellen, was<br />
nun kommen sollte.<br />
Vielleicht ließ die bisherige Anwesenheit<br />
und Teilnahme am Schulgeschehen<br />
den anderen Zuhörern unserer<br />
Runde mehr Raum zur Individualität,<br />
vielleicht siegte der Selbsterhaltungstrieb<br />
über das Pflichtbewusstsein –<br />
nach Sekunden war der Platz, auf dem<br />
wir gestanden hatten, leer und lediglich<br />
Elsa und ich fanden uns etwas<br />
verloren wieder.<br />
Elsa wäre nicht Elsa, wenn sie nicht<br />
schon einen einigermaßen stichhaltigen<br />
Plan gehabt hätte, in den sie<br />
mich nun einweihte. ” Wir müss’n Manni<br />
find’n. Nur er kann uns saren, wat<br />
sich jenau zujetraren hat. Wenn’t jemand<br />
wiss’n kann, denn Manni.“Ihre<br />
Worte waren einleuchtend, trotzdem<br />
oder gerade deswegen erschauderte<br />
ich bei dem Gedanken, mich noch einmal<br />
in dieser Schule einschließen zu<br />
lassen, dieses Mal, um einem Phantom<br />
hinterher zu jagen, von dessen Friedfertigkeit<br />
ich nicht mehr überzeugt<br />
war.<br />
Auch ihre weiteren Ausführungen waren<br />
nicht dazu geeignet, meine Nerven<br />
zu beruhigen: Wir ham noch zwee<br />
”<br />
Tare Zeit, um uns zu übalejen, wie wa<br />
jenau vorjeen woll’n.“<br />
” Zwei Tage? In zwei Tagen ist Frei...“,<br />
wollte ich einwerfen, als ich schon ihre<br />
Erklärung vernahm: Dit Woch’nende<br />
”<br />
bietet sich an, wir müss’n uns nur Freitach<br />
vor’m Hausmeesta vasteck’n und<br />
wenn wa’t tatsächlich schaff’n, unentdeckt<br />
zu blei’m, ham wa bis Montach<br />
Zeit, Klasse, wa?“<br />
Mein Enthusiasmus hielt sich in Grenzen.<br />
Begeisterung hätten in diesem<br />
Moment ganz andere, zugegebener<br />
Maßen profanere Dinge bei mir ausgelöst,<br />
wie etwa Unterrichtsausfall<br />
oder jemanden zu finden, bei dem<br />
ich auf die Schnelle noch die Hausaufgaben<br />
abschreiben konnte. Aber<br />
von solchen selbstsüchtigen Gedanken<br />
durfte ich mich nun wohl nicht leiten<br />
lassen.<br />
Das erlösende Klingeln zur nächsten<br />
Stunde schuf mir zumindest für die<br />
kommenden neunzig Minuten den<br />
nötigen Freiraum, um alles in Ruhe<br />
zu überdenken. Während ich darum<br />
bemüht war, den Anschein zu erwecken,<br />
interessiert dem Unterricht zu<br />
folgen, ohne mich dabei von meinen<br />
Tagträumen ablenken zu lassen, schlichen<br />
sich meine Gedanken wie so oft<br />
in letzter Zeit zu meinem Großvater.<br />
Ich war mir sicher, würde er noch leben,<br />
er hätte mit der Situation umzugehen<br />
gewusst. Doch so sehr ich<br />
auch grübelte und nach einem Ausweg<br />
suchte, die rettende Idee blieb<br />
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