Ausgabe 05/2009 - Wagner-Joos Rechtsanwälte
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RA Dr. Klaus von Brocke Anmerkung zu BFH, Urteil v. 22. April <strong>2009</strong>, Aktenzeichen I R 53/07<br />
unbegrenzt fortdauert, wenn die Steuerfahndungsprüfung<br />
nicht zu steuerlich erheblichen Feststellungen geführt hat<br />
und deshalb im Anschluß an die Prüfung keine Änderungsbescheide<br />
erlassen werden. Der Bundesfinanzhof schließt<br />
sich jedoch nicht der im Schrifttum vertretenen Ansicht<br />
an, daß im Rahmen des § 171 Abs. 5 AO die Regelung in §<br />
171 Abs. 4 Satz 3 AO analog anwendbar sei. 6 Der Bundesfinanzhof<br />
sieht im Ergebnis vielmehr die zeitliche Grenze für<br />
den Erlaß von Änderungsbescheiden im Anschluß an die<br />
Ermittlungsmaßnahmen durch den Eintritt der Verwirkung<br />
gezogen. 7 Eine solche setzt indessen über den Zeitablauf hi-<br />
steueranwaltsmagazin 5 /<strong>2009</strong><br />
� Beiträge<br />
nausgehende Umstände voraus, die die verspätete Rechtsausübung<br />
als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen<br />
lassen. 8<br />
6 Söffing, DStZ 1996, 713 und DStZ 2001, 739; Offerhaus/Kiesel, DB<br />
2000, 1984, 1987 f.; Beermann/Hartmann, Steuerliches Verfahrensrecht,<br />
§ 171 AO, Rdnr. 62; Klein/Rüsken, AO, § 171, Rdnr. 82.<br />
7 BFH Urt. v. 24.04.2002 – I R 25/01; Ruban in Hübschmann/Hepp/<br />
Spitaler, AO-FGO, § 171, Rdnr. 79b; Rößler, DStZ 1997, 117 f.<br />
8 BFH Urt. v. 09.08.1988 – VII R 40/85, BFH/NV 1989, 260, 261; BFH<br />
BFH/NV 1999, 1186, 1187.<br />
Anmerkung zu BFH, Urteil v. 22. April <strong>2009</strong>, Aktenzeichen I R 53/07<br />
Dr. Klaus von Brocke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Ernst & Young AG, München<br />
Mit Urteil vom 22. April <strong>2009</strong> hat der BFH entschieden, daß<br />
eine schweizerische Muttergesellschaft mit einer Beteiligung<br />
von 10,5% an einer deutschen Kapitalgesellschaft entgegen<br />
der Denkavit-Rechtsprechung des EuGH keinen Anspruch<br />
auf Rückerstattung der deutschen Kapitalertragsteuer über<br />
den durch das DBA Deutschland-Schweiz reduzierten Steuersatz<br />
auf 15% hinaus innehat. Eine Vorlage an den EuGH<br />
lehnte der BFH unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung<br />
nach den Vorgaben der Rs. C.I.L.F.I.T. ab.<br />
Nach Auffassung des BFH verstößt der Einbehalt von<br />
Kapitalertragsteuer auf Dividenden einer im Inland ansässigen<br />
Kapitalgesellschaft an eine in der Schweiz ansässige<br />
Kapitalgesellschaft nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit;<br />
eine etwaige doppelte Besteuerung sei nach Art. 24 Abs. 2<br />
Nr. 2 DBA-Schweiz 1971 durch entsprechende steuerliche<br />
Entlastungsmaßnahmen in der Schweiz zu vermeiden. Der<br />
BFH sah damit keine Veranlassung, dem hilfsweise von der<br />
Klägerin gestellten Antrag, das Verfahren auszusetzen und<br />
dem EuGH im Weg eines Vorabentscheidungsersuchens<br />
nach Art. 234 EG anzurufen, zu folgen. Die Klägerin hatte<br />
diesen Antrag damit begründet, daß die abgeltende Kapitalertragsteuerbelastung<br />
nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. S. 3 EStG<br />
2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 u. 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002<br />
gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG) verstoße, weil<br />
inländische Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 bei<br />
der Ermittlung des Einkommens einer Kapitalgesellschaft<br />
außer Ansatz blieben.<br />
Einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit lehnt<br />
der BFH ab, weil die Situation eines dividendenbeziehenden<br />
Anteilseigners, der in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht<br />
mit der eines dividendenbeziehenden Anteilseigners, der in<br />
einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, vergleichbar sei.<br />
Der BFH beruft sich insoweit auf eine „mittlerweile gefestigte<br />
Rechtsprechung des EuGH“ und zitiert aus dem EuGH-Urteil<br />
vom 12. Dezember 2006 in der Rs. Test Claimants in Class IV<br />
of the ACT Group Litigation. 1 Danach sei „der Mitgliedstaat<br />
des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft, d.h. der Mitgliedstaat<br />
der Quelle der Gewinne, in Bezug auf die Vermeidung<br />
oder Abschwächung der mehrfachen Belastung und der wirtschaftlichen<br />
Doppelbesteuerung nicht in der gleichen Lage<br />
wie der Mitgliedstaat, in dem der dividendenbeziehende Anteilseigner<br />
ansässig ist.“<br />
Mit der Berufung des BFH auf das Urteil Test Claimants<br />
in Class IV of the ACT Group Litigation unterliegt der BFH<br />
einer offensichtlichen Fehlinterpretation der Rechtsprechung<br />
des EuGH. Bereits bei dem zuvor genannten Zitat<br />
hätten die Richter über das Wort „wirtschaftliche Doppelbesteuerung“<br />
stolpern müssen. Denn die Klägerin wendete<br />
sich nicht gegen eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung.<br />
Von wirtschaftlicher Doppelbesteuerung spricht man<br />
dann, wenn derselbe Wirtschaftsvorgang oder Vermögenswert<br />
nicht bei demselben Steuerpflichtigen sondern bei verschiedenen<br />
Steuerpflichtigen in verschiedenen Staaten besteuert<br />
wird. 2 In dem Rechtsstreit ging es aber darum, ob es<br />
gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn Deutschland bei<br />
beschränkt Steuerpflichtigen Dividendenbezüge mit einer<br />
abgeltenden Kapitalertragsteuer besteuert, Dividendenbezüge<br />
unbeschränkt Steuerpflichtiger aber von der Besteuerung<br />
ausnimmt und die zuvor erhobene Kapitalertragsteuer<br />
auf die Steuerschuld anrechnet oder erstattet. Die Erhebung<br />
der Kapitalertragsteuer hätte also lediglich einen Fall der<br />
„juristischen Doppelbesteuerung“ darstellen können, d.h.<br />
1 EuGH, Urteil vom 12. 12. 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT<br />
Group Litigation, C-374/04.<br />
2 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer MA Vor Art. 1 Rz. 3<br />
m.w.N.<br />
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