Ausgabe 05/2009 - Wagner-Joos Rechtsanwälte
Ausgabe 05/2009 - Wagner-Joos Rechtsanwälte
Ausgabe 05/2009 - Wagner-Joos Rechtsanwälte
- TAGS
- www.wagner-joos.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Leitender Oberstaatsanwalt Folker Bittmann Rechtssicherheit contra Dynamik der Rechtsentwicklung<br />
Rechtssicherheit contra Dynamik der Rechtsentwicklung<br />
Leitender Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, Dessau – Roßlau<br />
I. Mit Urteil vom 02.12.2008 1 stellte der seit Mitte 2008<br />
für sämtliche Steuerstrafsachen zuständige 1. Strafsenat<br />
des Bundesgerichtshofs Maßstäbe für die Strafbemessung<br />
bei Steuerhinterziehung auf. Es handelt sich dabei<br />
allerdings keineswegs um eine allein am eingetretenen<br />
Steuerschaden orientierte ‚Tarifliste‘. Vielmehr bleiben<br />
sämtliche Umstände des Einzelfalles strafzumessungsrelevant.<br />
2 Alles andere würde der Bindung der Justiz und<br />
damit auch der höchsten Gerichte an das Gesetz, hier §<br />
46 StGB, nicht gerecht. Gleichwohl setzte der BGH einige<br />
von der Schadenshöhe abhängige Orientierungsmarken.<br />
3<br />
Bei sechsstelligem Steuerschaden kommt demnach nur<br />
beim Vorliegen gewichtiger Milderungsgründe noch eine<br />
Geldstrafe in Betracht. 4 Bei einem Hinterziehungsbetrag<br />
in Millionenhöhe erfordert die Festsetzung einer aussetzungsfähigen<br />
Freiheitsstrafe das Vorliegen besonders gewichtiger<br />
Milderungsgründe. 5 Das ist eher milde, galt bei<br />
einigen Gerichten doch vor ca. 20 Jahren noch die Faustregel,<br />
daß bei einem Steuerschaden von 1 Million – seinerzeit<br />
noch: DM – mit einer Freiheitsstrafe von ca. 3<br />
Jahren zu rechnen sei! 6<br />
II. Hier soll eine andere Vorgabe des 1. Strafsenats im Mittelpunkt<br />
der Überlegungen stehen. Nach Wiederabschaffung<br />
des Verbrechenstatbestands der ‚Gewerbsmäßigen<br />
oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung‘<br />
gemäß § 370a AO durch das ‚Gesetz zur Neuregelung<br />
der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter<br />
Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung<br />
der Richtlinie 2006/24/EG‘ zum 01.01.2008 ist nunmehr<br />
wieder allein zwischen dem Grundtatbestand der Steuerhinterziehung<br />
gemäß § 370 Abs. 1 AO und dem Vorliegen<br />
der zur Annahme eines besonders schweren Falles<br />
nach § 370 Abs. 3 AO qualifizierenden Umstände zu differenzieren.<br />
Eines der Regelbeispiele, § 370 Abs. 3 S. 2<br />
Nr. 1 AO, stellt darauf ab, ob durch die Tat Steuern in<br />
großem Ausmaß verkürzt wurden.<br />
1. Diesen unbestimmten Rechtsbegriff konkretisierte der<br />
BGH unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Betrug.<br />
7 Wegen eines Schadens von weniger als 50.000 EUR<br />
liegt kein großes Ausmaß i.S. des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr.<br />
2, 1. Alt. StGB und damit kein besonders schwerer Fall<br />
dieses allgemeinen Vermögensdelikts vor. 8 Aufgrund der<br />
Betrugsnähe des Tatbestands der Steuerhinterziehung9 übertrug der BGH diese Grenze auch auf § 370 AO. Das<br />
ist konsequent, obwohl der Betrug anders als die Steuer-<br />
steueranwaltsmagazin 5 /<strong>2009</strong><br />
1 BGH, NJW <strong>2009</strong>, 528, 530 ff., Rn. 19 ff.<br />
2 Ebd., Rn. 20, 24, 41, 44 f, 49 f.<br />
3 Ebd., Rn. 25.<br />
4 Ebd., Rn. 42.<br />
5 Ebd., Rn. 42.<br />
� Beiträge<br />
hinterziehung zusätzlich das Vorliegen des subjektiven<br />
Moments der Absicht rechtswidriger Bereicherung verlangt<br />
und der Grenzwert bei Schuldnern hoher Steuern<br />
schneller als im Betrugswege erreicht wird.<br />
Der BGH hatte den Grenzwert von 50.000 EUR zuvor<br />
aber nicht allein für den Betrugstatbestand, sondern<br />
auch für Computerbetrug, Untreue 10 und Subventionsbetrug<br />
11 anerkannt. Da jedoch das Merkmal rechtswidriger<br />
Bereicherungsabsicht für die Tatbestände der §§ 264<br />
und 266 StGB überhaupt keine Rolle spielt, wäre es nicht<br />
verständlich, zwar für die allgemeinen Vermögensdelikte<br />
eine einheitliche, für die Steuerhinterziehung aber eine<br />
höhere Schadensgrenze für maßgeblich zu halten. Zu bedenken<br />
ist überdies, daß der Betrug auch fremdnützig begangen<br />
werden kann. Wollte man also auf unterschiedliche<br />
Schadenshöhen abstellen, so müßte die Grenzlinie<br />
innerhalb des § 263 StGB gezogen werden. Es stünden<br />
sich dann eigennütziger Betrug auf der einen Seite und<br />
auf der anderen Seite fremdnütziger Betrug, Steuerhinterziehung,<br />
Untreue, Subventionsbetrug und vielleicht<br />
auch noch Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 2<br />
StGB) und Beitragsvorenthaltung (§ 266a Abs. 4 S. 2 Nr.<br />
1 StGB) gegenüber. Wie aber wollte man entscheiden,<br />
wenn letztgenannte Delikte eigennützig begangen wurden?<br />
Unterschiedliche Grenzen innerhalb jedes einzelnen<br />
Tatbestands können wohl kaum als sachgerechte Abgrenzung<br />
angesehen werden. Es ist deshalb richtig, wenn<br />
der BGH eine einheitliche Größe für alle einschlägigen<br />
Bestimmungen für maßgeblich hält. Besonderheiten lassen<br />
sich mit den allgemeinen Strafzumessungskriterien<br />
ausreichend berücksichtigen, schließlich handelt es sich<br />
ja in allen Fällen lediglich um Regelbeispiele, deren Indizwirkung<br />
von schwerwiegenden Milderungsgründen<br />
entkräftet werden kann.<br />
6 Gleichwohl befürchtet Joecks, JZ <strong>2009</strong>, 531 f., daß die Justiz auf die<br />
Vorgaben des 1. Strafsenats nicht vorbereitet ist, sondern mit deren<br />
Einhaltung überfordert wäre.<br />
7 A.a.O., Fn. 1, Rn. 26 ff.<br />
8 BGH, NJW 2004, 169 ff.<br />
9 A.a.O., Fn. 1, Rn. 31 ff.<br />
10 Ebd., Rn. 26.<br />
11 BGH, NJW 2004, 169, 171 m.N.<br />
167