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CHANDOS

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CHAN 3119 BOOK.qxd 20/9/06 12:00 pm Page 30zur gleichen Zeit aufkamen wie die maritimenGruselgeschichten über den Holländer. BeideThemenstränge spielen mit dem Gedankender Totenerweckung oder der Verdammungzum ewigen Leben, bis eine Untat in derVergangenheit gesühnt ist. Edward Fitzball,der Autor des Singspiels Phantom Shipbemerkte in seinen Memoiren: “Diese Art vonDrama war damals sehr beliebt, und Derfliegende Holländer stand selbst Frankensteinoder dem Freischütz an Grausen undIrrlichtern um nichts nach.”Wagners Libretto übernimmt Elemente, dievielen Varianten des Geisterschiffthemasgemein sind: die Versuche vonBesatzungsmitgliedern, an Menschen zuschreiben, die seit langem tot sind (Anlass zumSpott für die norwegischen Matrosen imHafen), die magischen Eigenschaften desverwunschenen Schiffes (vom Holländer selbstin der Sandwike-Szene angesprochen) und dasalte Familienbildnis des Holländers (bei allenSzenen in Dalands Haus gegenwärtig). Es warbahnbrechend für die Entwicklung einerneuen Opernform, dass Wagner nicht nur eineandere Harmoniesprache zur individuellenCharakterisierung einsetzen, sondern auch mitdem Einblick eines belesenen Autoren kreativkombinieren konnte, was an literarischenEinflüssen und Bezügen auf ihn einwirkte. Diewissenschaftlichen Experimente Mesmers mitdem Magnetismus, die noch nicht allzu langezurücklagen, und die Begeisterung desromantischen Zeitalters für Träume undTrancen finden ihren Ausdruck auch imLibretto Wagners: in der Versunkenheit Sentasvor dem Porträt des Holländers und ihrerReaktion auf Eriks Erzählung von seinemTraum, der die restliche Handlung vorausahnt.Weit über den einfachen ErlösungsschlussHeines (ein Leben für ein Leben)hinausgehend, erfasst Wagner aufpsychoanalytische Weise den Kern derHolländer-Legende. Bei ihm wird daraus eineGeschichte der Wiederherstellung, wobei derTräumer (der verwunschene Seefahrer) inseinen ursprünglichen, “rechten”Geisteszustand, den vor seinem überheblichenWahnsinnsakt (dem Schwur, das Vorgebirge zuumschiffen, “und sollte er auch bis zumjüngsten Tage segeln müssen”), zurückversetztwerden muss. Diese Wiederherstellung kannnur gelingen, wenn ein “normaler” Mensch dieHandlung und das Leid des Träumers vollbegreift und Mitgefühl zeigt.Wagner verarbeitete auch Einflüsse ausweniger spezifischen Quellen. Die frustriertenSelbstmordversuche von Ahasverus, demewigen Juden in Nikolaus Lenausgleichnamigem Gedicht, spiegeln sich imUnvermögen des Holländers (das er in seinemeinleitenden Monolog beklagt), den eigenenTod zu finden, indem er sich in die Flutenstürzt, sein Schiff zum Klippengrund treibtoder die Piraten verhöhnt. Sentas Ballade –eines der ersten, in Paris entstandenen Stückefür die Oper – hat sich in Anordnung undInhalt bei Boieldieus Oper La Dame blanchezu bedanken, deren Ballade im zweiten Aktsogar mit einer Szene am Spinnrad beginnt.Marschner, ein Zeitgenosse, dessen MusikWagner sowohl kannte als auch dirigierte, ließseine Oper Der Vampyr in Schottland spielen.Dort singt ein Mädchen eine Ballade von derVampirlegende, in der sie den Antihelden mitden gleichen Worten beschreibt wie Senta denHolländer, nämlich als “den bleichen Mann”(ein in der Literatur des 19. Jahrhundertsgängiger Ausdruck für sexuell begehrenswerteUntote).Dank seiner Belesenheit und seinermusikalischen Erfahrungen konnte Wagner denHolländer nicht nur zu einem Klassiker jenesGenres erheben, das als Schauerromantikbekannt wurde, sondern auch seineZeitgenossen in vielfacher Hinsicht überragen –ähnlich wie im Fall von Shakespeares Hamletund der jakobinischen Tragödie oder PuccinisTosca und der Verismo-Oper. Im Laufe seinerweiteren Entwicklung kehrte Wagner gerne zurHolländer-Partitur zurück, auch wenn die vonihm geleiteten Aufführungen nie ohneÄnderungen abliefen. Zunächst nahm er derOriginalpartitur einiges an Sprödigkeit,besonders bei den Blechbläsern (Hector Berliozhatte in seiner ansonsten positiven Rezensioneiner frühen Dresdner Aufführung dieAbhängigkeit von Tremolando-Effekten undverminderten Septimen kritisiert). Dann schrieber das Ende der Ouvertüre und der Oper selbstim Lichte seiner “neuen” Transformationsmusik(à la Tristan) um und machte denVerklärungsschluss musikalisch stärkeranschaulich. Bei der Arbeit an einerModellaufführung für König Ludwig II. inMünchen kam er schließlich auf den Gedanken,Sentas Ballade völlig umzuschreiben, doch gingdieser Ansatz über eine Skizze nicht hinaus.Wagner selbst war es nicht versagt, seineIdealvorstellung von dieser Oper als Einakterzu relisieren. Dies wird in der vorliegendenEinspielung, die alle von Wagner vollendetenÄnderungen an der Partitur berücksichtigt,nachgeholt.© 2004 Mike Ashman30 31

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