SPECTRUM #5 2017
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Das Bünzlitum spielend bekämpfen<br />
Jeder Mensch verspürt manchmal den Wunsch,<br />
Dinge zu sagen, die politisch inkorrekt und verpönt<br />
sind. Dieses Bedürfnis kann nun befriedigt<br />
werden. Schon seit einigen Jahren ist das Spiel<br />
Cards against Humanity auf dem Markt. Dabei<br />
werden lückenhafte Sätze auf schwarzen Karten<br />
mit Ausdrücken und kurzen Sätzen auf weissen<br />
Karten kombiniert und ein Schiedsrichter bestimmt<br />
die beste Kombination. Die Sätze, die<br />
dabei entstehen, sollten lustig und möglichst makaber<br />
sein. Ein simples Konzept, welches Jugendlichen<br />
und Erwachsenen auf der ganzen Welt gefällt.<br />
Nun gibt es davon eine Schweizer-Version:<br />
Angela Vögtli und ihr Team entwickelten eine<br />
Version, die fast nur Schweizer Begriffe enthält.<br />
Dies macht das Spiel für uns besonders interessant<br />
und unterhaltsam. Kampf gegen das Bünzlitum<br />
wurde die Neuentwicklung genannt und<br />
der Name hält, was er verspricht. Ausdrücke<br />
wie „Schellen-Ursli“ und „Cervelat-Prominenz“<br />
werden durch originelle Kombinationen mit<br />
lückenhaften Sätzen auf roten Karten zu einem<br />
unterhaltsamen und von schwarzem Humor geprägten<br />
Spielerlebnis, welches gegen das stiere<br />
Bünzlitum der Schweizer anzukämpfen versucht.<br />
Dabei entstehen Sätze wie: „Die SVP will mit Aids<br />
das Flüchtlingsproblem in den Griff kriegen.“<br />
Das Einzige, was zu bemängeln ist, ist die Tatsache,<br />
dass die Insider-Witze nur aus der Deutschschweiz<br />
stammen. Es gibt keine Version für die<br />
französisch- oder die italienischsprachige Bevölkerung<br />
der Schweiz. Dies haben wir an unserem<br />
Spielabend bemerkt. Zum Beispiel mussten die<br />
oben genannten Begriffe den Westschweizern erklärt<br />
werden, damit auch sie die Witze verstehen<br />
konnten. In einer bilingualen Stadt wie Freiburg<br />
ist dies ein Nachteil. Ausserdem wird empfohlen,<br />
das Spiel mit einer grossen Gruppe zu spielen, in<br />
der sich die Mitspieler gut kennen. Nicht jeder<br />
verträgt den gleichen schwarzen Humor und es<br />
ist lustiger, wenn man ohne Hemmungen die<br />
bösesten Karten spielen kann, ohne von anderen<br />
verurteilt zu werden. Man könnte das Spiel<br />
natürlich auch zum Einsatz bringen, um schon<br />
zu Beginn das Eis zu brechen und sich besser<br />
kennenzulernen. Kampf gegen das Bünzlitum<br />
ist also so oder so eine sehr zu empfehlende Anschaffung<br />
für jede WG, da es das ideale Spiel für<br />
einen gemütlichen Spieleabend ist, an dem alle<br />
Tabus gebrochen werden dürfen.<br />
Auf dem Sofa zeitgenössischer<br />
Hoffnungslosigkeit – eine Buchkritik<br />
Céline Zuffereys Sauver les meubles, französisch<br />
für „Retten, was zu retten ist“, ist die<br />
Geschichte enttäuschter artistischer Ambitionen<br />
eines namenlosen Ich-Erzählers. Anstatt grosse<br />
Kunst zu produzieren, muss er sein photographisches<br />
Geschick für die Produktion von Möbelkatalogen<br />
verwenden. Er ist gefangen in einer stereotypischen<br />
Beziehung, bis er schliesslich einen<br />
Befreiungsversuch wagt und Fotograph wird für<br />
die Porno-Seite eines Freundes. Diese Tätigkeit<br />
scheint ein Lichtblick zu sein, die Kunst, von jeher<br />
ein Ort der Freiheit, hat ihn wieder. Kurz davor<br />
seine Beziehung zu beenden, erfährt er, dass<br />
die Erotik-Seite zu wenig Umsatz einwirbt und<br />
nun dort Werbung geschaltet werden muss. Seine<br />
Kameralinse muss sich nun wieder Gegenständen<br />
widmen, wodurch sich die Arbeiten im Möbelhaus<br />
und bei den kopulierenden Menschen<br />
immer mehr angleichen. Ernüchterung befällt<br />
den Ich-Erzähler, der nun liiert bleibt, mit dieser<br />
Frau, die ferner seinem auf Befreiung drängenden<br />
Wesen nicht sein könnte. Der Versuch, ein<br />
künstlerisches Bild von ihr zu machen, endet<br />
beinahe mit einer Nacht auf dem Sofa. Sauver les<br />
meubles beschreibt das Lebensgefühl einer Zeit,<br />
die schon zu lange in postmoderner Orientierungslosigkeit<br />
herumtreibt, um den Gräbertanz<br />
modernistischer Illusionen noch feiern zu können<br />
und stattdessen verzweifelt versucht, dessen<br />
Schäden in Grenzen zu halten – das Lebensgefühl<br />
in einer Welt, in der das Klischee immer mehr die<br />
Sache selbst verdrängt. So wird auch die Doppeldeutigkeit<br />
des französischen Titels am Ende des<br />
Buches, wo die Körper der Pornodarsteller den<br />
Möbeln immer ähnlicher werden, wie für einen<br />
Zweck konzipierte Objekte, zu einer einheitlichen<br />
Botschaft dessen, was Leserinnen und Leser<br />
im Laufe der Lektüre immer wieder fühlen.<br />
Gerade gegen den Schluss des Textes, wo die Seiten<br />
nur noch mit einigen Sätzen bedruckt sind,<br />
befällt einen das Gefühl, sich in einem Tunnel zu<br />
befinden, in dem nur hie und da ein Blinklicht<br />
zu sehen ist. Einige Worte genügen darin, um die<br />
Klischees anzudeuten, die immer mehr die Welt<br />
des Protagonisten bevölkern.<br />
„Es ist nicht fünf vor zwölf, mehr ein sanftes Gleiten<br />
in den Abgrund“, meint man zu vernehmen.<br />
„Les clichés qu’on construit sont plutôt confortables.“<br />
Ihr Preis scheint die Authentizität unserer<br />
Lebenswelt zu sein. Und trotzdem keimt<br />
noch einmal eine lächerliche Hoffnung auf, als<br />
der Protagonist am Schluss meint: „Que tout va<br />
bien aller.“<br />
KRITIK<br />
ALINE ZENGAFFINEN<br />
„Kampf gegen das<br />
Bünzlitum“, zu kaufen<br />
auf www.kampfgegendasbuenzlitum.ch<br />
für 43.50.-<br />
TIMOTHY KLAFFKE<br />
„Sauver les meubles“<br />
von Céline Zufferey<br />
Éditions Galimard<br />
240 Seiten<br />
11-12/ <strong>2017</strong><br />
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