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SPECTRUM #5 2017

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Sparsam leben:<br />

eine ernsthafte Einführung für Unbedarfte<br />

DIE ANDERE<br />

Was für Uneingeweihte wie ans Lächerliche grenzender Geiz wirkt, ist für den einsichtigen<br />

Studenten oft nur die einzige richtige Verhaltensweise im Kampf gegen das sich oft allzu schnell<br />

erschöpfende Monatsbudget: Möbel nicht kaufen, sondern von der Strasse holen, sich das<br />

Besteck aus den Gabeln und Messern der Uni-Mensa zusammenstellen oder den Dachboden<br />

der Eltern plündern.<br />

TIMOTHY KLAFFKE<br />

Den Möglichkeiten kostengünstiger<br />

Objekt- oder Essensbeschaffungen<br />

scheinen keine Grenzen gesetzt zu<br />

sein. Dennoch gilt es gewisse Umstände<br />

zu beachten, wie sich im Coop beim<br />

Hamstern des gesamten Häppchen-Tellers<br />

vor Ladenpersonal zu hüten oder<br />

das Entwenden der Toiletten-Papier Vorräte<br />

der Uni-WCs heimlich geschehen<br />

zu lassen. Ersteres verstösst wohl gegen<br />

die Hausordnung, zweiteres zumindest<br />

gegen die manchmal sehr rigiden Grenzen<br />

der sozialen Akzeptanz.<br />

© Illustration : Daniel Morgan<br />

Brockenhäuser als<br />

Gold-und Dreckgruben<br />

Unter die weniger geächteten Wege,<br />

sich kostengünstig Waren zu verschaffen,<br />

fällt zum Beispiel der Besuch eines<br />

Brockenhauses. Bei Bedarf eines neuen<br />

Bettgestells, Regals, Tischs, Geschirrs<br />

oder ähnlichem bieten sich diese wunderbar<br />

an, wenngleich man aber punktuell<br />

Abstriche machen muss bei der<br />

Attraktivität des Klamottenangebots,<br />

Stichwort Inkontinenz (dass besonders<br />

hippe Menschen sich in Brockenhäusern<br />

ausstaffieren, ist ein weit verbreitetes<br />

aber grundfalsches Klischee, das<br />

wohl von den Brockenhaus-Betreibern<br />

selbst in die Welt gesetzt wurde, analog<br />

zum Valentinstag der Floristen). Als<br />

Faustregel kann gelten, dass vom Kauf<br />

aller Objekte, die man lieber neu als geerbt<br />

hätte, im Brockenhaus abzusehen<br />

ist.<br />

Das Erbe an sich ist sogar noch budgetschonender,<br />

fordert aber oft einen Tribut<br />

anderer Art.<br />

So kann sich Omas Ableben vielleicht<br />

positiv auf die eigene Haushaltsausstattung<br />

auswirken, schwerlich aber auf die<br />

Heiterkeit des eigenen Gemüts (böse<br />

Zungen behaupten, dass man mit dem<br />

Tod der Schwiegermutter das „Weggli<br />

ond de Füfliber“ zusammen hat, die<br />

wenigsten Studierenden werden sich<br />

allerdings schon in der (un)glücklichen<br />

Position wissen, eine solche zu haben).<br />

Für Kavaliers-Parasiten<br />

Für Leute, die lieber etwas mehr wagen,<br />

statt für den schnöden Mammon<br />

Abstriche bezüglich sozialer Akzeptanz,<br />

persönlicher Hygiene oder dem Respektieren<br />

eigener moralischer Standards<br />

zu machen, gibt es noch eine weitere<br />

Option: Als Frau verkleidet kann man<br />

von der in chauvinistischen Kreisen<br />

geltenden Regel profitieren, dass bei<br />

amourös gewollten Verabredungen stets<br />

der männliche Part (in diesem Kontext<br />

meist ein aufgeblasener, angeberischer<br />

Sack) die Rechnung übernimmt. So lassen<br />

sich – Tinder sei gepriesen – pro Woche<br />

sicher zwei bis drei Einladungen zu<br />

Abendessen erhalten. Diese Taktik ist im<br />

Allgemeinen für Männer zwar schwierig<br />

anwendbar, könnte aber im Einzelfall<br />

gute Ergebnisse erzielen. Für Frauen<br />

wäre sie zwar einfacher praktizierbar,<br />

würde selbige aber zwingen, ihre eigenen<br />

emanzipatorischen Bestrebungen<br />

zu verraten – und seien wir ehrlich, das<br />

ist es nicht wert.<br />

Sparen als Politikum<br />

Zu viel des Obenstehenden könnte wie<br />

eine Anleitung für egoistische Schnorrer<br />

scheinen, würde man sich nicht bewusstmachen,<br />

dass die Emanzipation<br />

von Warenpreisen ein politisches Recht<br />

darstellt, unabdingbar für die politische<br />

Klasse der Zahlungsunfähigen und –unwilligen.<br />

Wie uns die Kritische Theorie,<br />

nun die des Fiat-Geldes, eröffnet, handelt<br />

es sich bei Geld um eine soziale<br />

Konstruktion. Wie ihre Theoretikerinnen<br />

und Theoretiker es uns auch schon für<br />

vielerlei von ihr als soziale Konstruktion<br />

entlarvte Dinge, neuerdings auch Tierarten<br />

und Pfannen, gezeigt hat, dienen<br />

solche zur Herstellung gesellschaftlicher<br />

Machtasymmetrien. In unserem Fall der<br />

von Käufer und Verkäufer. Ein Diktum<br />

des Preises, das als normative Weisung<br />

diskriminativ die Kaufmöglichkeiten<br />

des Ersteren einschränkt. (Avantgardistische<br />

Theoretiker meinen sogar, dass<br />

das Material sowohl des Geldes als auch<br />

der Waren selbst eine soziale Konstruktion<br />

sei, theoretische Konsequenzen für<br />

Sparwillige sind noch auszuarbeiten).<br />

Sich der Herrschaftslogik des Geldes zu<br />

entziehen ist also nicht nur kostengünstiger,<br />

sondern auch im Sinne einer Direkten<br />

Aktion das Pflasterstein-Werfen von heute.<br />

11-12/ <strong>2017</strong><br />

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