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Spectrum #1 2019

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Kunst kommt nicht von Können<br />

DOSSIER<br />

Heutzutage ist alles Kunst: eine blaue Leinwand, nackte Menschen auf öffentlichen Plätzen und leere<br />

Räume. Kunst scheint frei von Regeln zu sein. Die Frage bleibt: Was darf moderne Kunst und wo liegen ihre<br />

Grenzen?<br />

ALINE ZENGAFFINEN<br />

„Das könnte ich auch.” Diesen stillen<br />

Vorwurf an die Kunst hat sicherlich jede<br />

und jeder schon mal gehört, gesagt oder<br />

zumindest für sich gedacht. Möglicherweise<br />

auch bei der Betrachtung einer<br />

von Yves Klein ganz blau bemalten Leinwand<br />

namens IKB79 oder von Jackson<br />

Pollocks berühmten Drip Paintings wie<br />

Lavendelnebel. Und trotzdem werden<br />

diese „Kleckse“ für viele Millionen Dollar<br />

verkauft.<br />

Moderne Kunst wird oft hinterfragt und<br />

kritisiert, wird als hässlich, simpel und<br />

nur provokativ abgestempelt. Kunst ist<br />

Geschmackssache, aber gleichzeitig<br />

wird sie oft missverstanden. Denn so<br />

einfach, wie die Kunstwerke scheinen<br />

mögen, sind sie selten.<br />

Der Teufel steckt im Detail<br />

Manche Kunstwerke verbergen mehr<br />

im Hintergrund als man von aussen<br />

sieht. Das Kunstwerk Clara Clara von<br />

Richard Serra ist ein Beispiel dafür.<br />

Betrachtet man Fotos der Installation,<br />

sieht man nur zwei grosse, im Boden eingelassene<br />

Metallplatten. Auf den ersten<br />

Blick scheint diese Konstruktion nichts<br />

Besonderes zu sein, aber wenn man das<br />

Kunstwerk betritt, werden die zwei Platten<br />

zu einem Kanal von Geräuschen und<br />

Eindrücken, welcher die eigene Wahrnehmung<br />

verändert. Somit zeigt sich das<br />

Kunstwerk nicht im Betrachten, sondern<br />

beim Erleben. Ein anderes Beispiel ist<br />

die abstrakte Kunst von Pablo Picasso.<br />

Viele wissen nicht, dass Picasso die<br />

Technik der klassischen Malerei perfekt<br />

beherrschte. Doch er entschied sich bewusst<br />

dafür, die Kunst zu abstrahieren.<br />

Wie Picasso beherrschen viele Künstler<br />

und Künstlerinnen das Handwerk der<br />

Kunst, wollen aber nicht ein reines Abbild<br />

einer Sache zeigen, sondern den<br />

Hintergrund thematisieren.<br />

Kunst ist Provokation<br />

Heutzutage hat man das Gefühl, dass<br />

Kunst nur noch provozieren will. Nacktkünstler<br />

wie Thomas Zollinger stellen<br />

sich unbekleidet auf öffentliche Plätze<br />

und bilden unterschiedliche Formationen<br />

und Posen. Es geht darum, lebende<br />

Skulpturen herzustellen, welche mit<br />

der jeweiligen Architektur des Platzes<br />

spielen. Dabei sollen nicht die nackten<br />

Künstlerinnen und Künstler im Mittelpunkt<br />

stehen, sondern die Problematik,<br />

dass Nacktheit im Internet als selbstverständlich<br />

gilt, im öffentlichen Raum<br />

aber verpönt ist.<br />

Ist das noch Kunst oder nur noch die<br />

Suche nach Aufmerksamkeit? Eine klare<br />

Antwort darauf gibt es nicht. Denn was<br />

die einen als reine Provokation sehen,<br />

wird von Kritikern und Kritikerinnen<br />

hoch gelobt. Kunst ist und bleibt kontrovers<br />

und irgendwie soll es das auch sein.<br />

Denn schon zu Zeiten Picassos wurde<br />

sein Kubismus von der Öffentlichkeit wie<br />

auch von Kritikern und Kritikerinnen als<br />

skandalös bezeichnet, seine Darstellungen<br />

von nackten Damen in Les Demoiselles<br />

d’Avignon als vulgär. Was heute als<br />

Grossereignis der modernen Kunst angesehen<br />

wird, galt früher als reine Provokation<br />

und der Bezeichnung „Kunstwerk“<br />

nicht würdig.<br />

Grenzen der Kunst<br />

Man kann sich aber durchaus fragen, ob<br />

alles Kunst wird, sobald man es auf ein<br />

Podest stellt. Man könnte einen angebissenen<br />

Apfel in einem Museum platzieren<br />

und ihn als Kommentar zu unserem Konsumverhalten<br />

ansehen. Somit zählt in<br />

der Kunst nicht mehr nur das technische<br />

Können der Künstlerinnen und Künstler,<br />

sondern es geht vielmehr um die Überlegungen<br />

und Planung, welche dahinterstecken.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung<br />

Das Geld der Kunsthalle Bern von Maria<br />

Eichhorn. In dieser Ausstellung blieb das<br />

ganze Museum leer und man betrachtete<br />

die kahlen Räume. Das Geld, welches für<br />

die eigentliche Ausstellung gedacht war,<br />

wurde dazu verwendet, die Kunsthalle zu<br />

renovieren. Das Thema: Die Infrastruktur,<br />

die Objekte in Kunstwerke verwandelt, hat<br />

kein Geld, diese im Stand zu halten.<br />

Leere Räume, nackte Menschen, einfarbige<br />

Leinwände: Grundsätzlich sind in<br />

der Kunst keine Grenzen gesetzt. Als Betrachterin<br />

oder Betrachter kann man für<br />

sich entscheiden, was man als Kunst anerkennen<br />

möchte und was reine Spielereien<br />

sind. Technik, Qualität und Kunst bedeuten<br />

nicht immer das Gleiche und setzen einander<br />

nicht voraus. Denn das Wort Kunst<br />

kommt nicht von Können. Kunst hält unserer<br />

Welt einen Spiegel vor und sollte die<br />

Freiheit besitzen dürfen, keine Grenzen<br />

zu haben.<br />

© Photo: Lydiane Lachat et imgflip<br />

©Foto: Wikimedia commons<br />

Moderne Kunst hält der Gesellschaft einen Spiegel vor. Dabei scheint es keine Grenzen zu geben.<br />

02.<strong>2019</strong> spectrum<br />

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