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FREIBURG<br />
Phantastische Tierwesen in Freiburg<br />
Der Film „Phantastische Tierwesen 2“ war ein weltweiter Kinohit. Dass auch Freiburg in diesem Film eine<br />
Rolle spielt, dürfte jedoch den wenigsten bekannt sein. Das will <strong>Spectrum</strong> ändern.<br />
NATALIE MELERI<br />
© Photo: Armand Fardel<br />
©Fotos: Wikimedia Commons<br />
Wer den neusten Film des Harry-Potter-Universums<br />
gesehen hat, erinnert<br />
sich bestimmt an die Statue, die als<br />
Eingang zum Zaubereiministerium in Paris<br />
dient. Ebendiese Statue wurde von einer<br />
Freiburger Bildhauerin namens Marcello<br />
angefertigt. Das Original kann noch heute<br />
in der Opéra Garnier in Paris bewundert<br />
werden. Wer nicht ganz so weit reisen<br />
möchte, findet im Museum für Kunst und<br />
Geschichte in Freiburg eine Replik, die auf<br />
Wunsch in Marcellos Testament angefertigt<br />
wurde. Wer aber war Marcello zu ihren<br />
Lebzeiten?<br />
Die Enthüllung von Marcello<br />
Hinter dem Künstlernamen Marcello verbirgt<br />
sich die Freiburger Bildhauerin und<br />
Malerin Adèle d’Affry. Sie stammt von<br />
einer alten Freiburger Patrizierfamilie ab.<br />
Bereits ihr Vater war ein talentierter Zeichner<br />
und Aquarellist. Zu ihren Lebzeiten vor<br />
knapp zweihundert Jahren war es schwierig,<br />
sich als weibliche Künstlerin zu etablieren,<br />
weshalb sie ihre Werke unter dem<br />
Pseudonym Marcello ausstellte.<br />
Adèle d’Affry wird in der Obhut mehrerer<br />
Gouvernanten ausgebildet und erlernt dabei<br />
auch das Zeichnen und Aquarellieren.<br />
Zum ersten Mal in Kontakt mit der Bildhauerei<br />
kommt sie im Alter von 18 Jahren<br />
in Rom. Mit zwanzig heiratet sie den<br />
Italiener Don Carlo Colonna und wird so<br />
zur Herzogin. Die beiden reisen nach Paris.<br />
Das junge Glück ist jedoch nicht von<br />
Dauer, denn ihr Ehemann verstirbt nur<br />
gerade neun Monate nach der Hochzeit.<br />
Um den Nachlass ihres Mannes mit seiner<br />
Familie zu regeln, kehrt sie nach Rom zurück.<br />
Während dieser Zeit beginnt sie sich<br />
vor allem für die Werke von Michelangelo<br />
zu interessieren und nimmt ihre Modellierungskurse<br />
wieder auf. Die erste Büste, die<br />
sie anfertigt, ist das Bildnis ihres verstorbenen<br />
Mannes.<br />
Adèle d’Affry gemalt von Gustave Coubert (1870)<br />
Trotz gesellschaftlicher Normen zum<br />
Erfolg<br />
Später zieht Adèle d’Affry nach Paris und<br />
widmet sich fortan ganz ihrer Karriere als<br />
Künstlerin. Zu dieser Zeit nimmt sie auch<br />
den Künstlernamen Marcello an, der nicht<br />
nur ihr Geschlecht, sondern auch ihren sozialen<br />
Status verbirgt, um Vorurteilen vorzubeugen.<br />
Adèle d’Affrys Interessen sind vielfältig und<br />
reichen von Politik über Literatur bis hin<br />
zu Religion. Ihr Gesuch zur Aufnahme an<br />
die Ecole des Beaux-Arts in Paris wird aufgrund<br />
ihres Geschlechts abgelehnt und<br />
so bildet sich Adèle d’Affry fortan selbst<br />
weiter. Schon während ihrer Kindheit<br />
zeichnete sie sich durch ihre überragenden<br />
autodidaktischen Fähigkeiten aus. Im<br />
Jahr 1863 stellt die Künstlerin zum ersten<br />
Mal drei ihrer Werke in Paris aus. Die Ausstellungsstücke<br />
erregen gar die Aufmerksamkeit<br />
von Kaiserin Eugénie, Frau von<br />
Napoleon III. Ihr Pseudonym kann die<br />
Kritikerinnen und Kritiker jedoch nicht<br />
täuschen und so bleibt ihre Identität nicht<br />
lange unerkannt.<br />
Die Künstlerin dringt nicht nur erfolgreich<br />
in eine Männerdomäne ein, sie verkehrt<br />
ausserdem am Hof von Napoleon<br />
III. und hat viele einflussreiche Bekannte.<br />
So korrespondiert sie zum Beispiel mit<br />
dem französischen Schriftsteller Prosper<br />
Mérimée, dessen Erzählung „Carmen“<br />
von Georges Bizet zur weltberühmten<br />
Oper umgearbeitet wurde. Ihr Kontakt zu<br />
den einflussreichsten Kreisen in Paris ist<br />
sowohl ihrem künstlerischen Geschick als<br />
auch ihrem Stand als Herzogin geschuldet.<br />
Die Erschaffung eines Meisterwerks<br />
Adèle d’Affrys grösstes Werk ist ebenjene<br />
Skulptur, die auch in „Phantastische Tierwesen<br />
2“ ihren Auftritt hatte: die Pythia. In<br />
der griechischen Mythologie ist die Pythia<br />
die amtierende weissagende Priesterin im<br />
Orakel von Delphi.<br />
Die Skulptur wird vom Architekten Charles<br />
Garnier zur Ausschmückung des neuen<br />
Opernhauses in Paris erworben, was der<br />
Schweizerin berufliche Anerkennung einbringt.<br />
An der Eröffnung der Oper wird die<br />
Pythia gar als eines der originellsten Stücke<br />
bezeichnet.<br />
Adèle d’Affry verbringt ihre letzten Jahre<br />
an der Südküste Frankreichs und verstirbt<br />
im Alter von gerade einmal 43 Jahren an<br />
Tuberkulose. Adèle d’Affry war ein Multitalent:<br />
Nebst der Bildhauerei und der Malerei<br />
schrieb sie auch mehrere Novellen und ihre<br />
Memoiren, die jedoch unvollendet blieben.<br />
Ihre Erfolge in der Bildhauerei brachten ihr<br />
viel Lob, aber auch Neid ein. Sie war auf vielen<br />
Gebieten eine Pionierin, konnte jedoch<br />
ihr Talent aufgrund ihres frühen Todes nicht<br />
vollständig ausschöpfen.<br />
Teile ihrer Werke können heute im Museum<br />
für Kunst und Geschichte in Freiburg betrachtet<br />
werden, das der herausragenden<br />
Künstlerin eine Dauerausstellung gewidmet<br />
hat.<br />
Die Pythia von Marcello (1870)<br />
02.<strong>2019</strong><br />
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