07.03.2019 Views

Spectrum #1 2019

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

FREIBURG<br />

Phantastische Tierwesen in Freiburg<br />

Der Film „Phantastische Tierwesen 2“ war ein weltweiter Kinohit. Dass auch Freiburg in diesem Film eine<br />

Rolle spielt, dürfte jedoch den wenigsten bekannt sein. Das will <strong>Spectrum</strong> ändern.<br />

NATALIE MELERI<br />

© Photo: Armand Fardel<br />

©Fotos: Wikimedia Commons<br />

Wer den neusten Film des Harry-Potter-Universums<br />

gesehen hat, erinnert<br />

sich bestimmt an die Statue, die als<br />

Eingang zum Zaubereiministerium in Paris<br />

dient. Ebendiese Statue wurde von einer<br />

Freiburger Bildhauerin namens Marcello<br />

angefertigt. Das Original kann noch heute<br />

in der Opéra Garnier in Paris bewundert<br />

werden. Wer nicht ganz so weit reisen<br />

möchte, findet im Museum für Kunst und<br />

Geschichte in Freiburg eine Replik, die auf<br />

Wunsch in Marcellos Testament angefertigt<br />

wurde. Wer aber war Marcello zu ihren<br />

Lebzeiten?<br />

Die Enthüllung von Marcello<br />

Hinter dem Künstlernamen Marcello verbirgt<br />

sich die Freiburger Bildhauerin und<br />

Malerin Adèle d’Affry. Sie stammt von<br />

einer alten Freiburger Patrizierfamilie ab.<br />

Bereits ihr Vater war ein talentierter Zeichner<br />

und Aquarellist. Zu ihren Lebzeiten vor<br />

knapp zweihundert Jahren war es schwierig,<br />

sich als weibliche Künstlerin zu etablieren,<br />

weshalb sie ihre Werke unter dem<br />

Pseudonym Marcello ausstellte.<br />

Adèle d’Affry wird in der Obhut mehrerer<br />

Gouvernanten ausgebildet und erlernt dabei<br />

auch das Zeichnen und Aquarellieren.<br />

Zum ersten Mal in Kontakt mit der Bildhauerei<br />

kommt sie im Alter von 18 Jahren<br />

in Rom. Mit zwanzig heiratet sie den<br />

Italiener Don Carlo Colonna und wird so<br />

zur Herzogin. Die beiden reisen nach Paris.<br />

Das junge Glück ist jedoch nicht von<br />

Dauer, denn ihr Ehemann verstirbt nur<br />

gerade neun Monate nach der Hochzeit.<br />

Um den Nachlass ihres Mannes mit seiner<br />

Familie zu regeln, kehrt sie nach Rom zurück.<br />

Während dieser Zeit beginnt sie sich<br />

vor allem für die Werke von Michelangelo<br />

zu interessieren und nimmt ihre Modellierungskurse<br />

wieder auf. Die erste Büste, die<br />

sie anfertigt, ist das Bildnis ihres verstorbenen<br />

Mannes.<br />

Adèle d’Affry gemalt von Gustave Coubert (1870)<br />

Trotz gesellschaftlicher Normen zum<br />

Erfolg<br />

Später zieht Adèle d’Affry nach Paris und<br />

widmet sich fortan ganz ihrer Karriere als<br />

Künstlerin. Zu dieser Zeit nimmt sie auch<br />

den Künstlernamen Marcello an, der nicht<br />

nur ihr Geschlecht, sondern auch ihren sozialen<br />

Status verbirgt, um Vorurteilen vorzubeugen.<br />

Adèle d’Affrys Interessen sind vielfältig und<br />

reichen von Politik über Literatur bis hin<br />

zu Religion. Ihr Gesuch zur Aufnahme an<br />

die Ecole des Beaux-Arts in Paris wird aufgrund<br />

ihres Geschlechts abgelehnt und<br />

so bildet sich Adèle d’Affry fortan selbst<br />

weiter. Schon während ihrer Kindheit<br />

zeichnete sie sich durch ihre überragenden<br />

autodidaktischen Fähigkeiten aus. Im<br />

Jahr 1863 stellt die Künstlerin zum ersten<br />

Mal drei ihrer Werke in Paris aus. Die Ausstellungsstücke<br />

erregen gar die Aufmerksamkeit<br />

von Kaiserin Eugénie, Frau von<br />

Napoleon III. Ihr Pseudonym kann die<br />

Kritikerinnen und Kritiker jedoch nicht<br />

täuschen und so bleibt ihre Identität nicht<br />

lange unerkannt.<br />

Die Künstlerin dringt nicht nur erfolgreich<br />

in eine Männerdomäne ein, sie verkehrt<br />

ausserdem am Hof von Napoleon<br />

III. und hat viele einflussreiche Bekannte.<br />

So korrespondiert sie zum Beispiel mit<br />

dem französischen Schriftsteller Prosper<br />

Mérimée, dessen Erzählung „Carmen“<br />

von Georges Bizet zur weltberühmten<br />

Oper umgearbeitet wurde. Ihr Kontakt zu<br />

den einflussreichsten Kreisen in Paris ist<br />

sowohl ihrem künstlerischen Geschick als<br />

auch ihrem Stand als Herzogin geschuldet.<br />

Die Erschaffung eines Meisterwerks<br />

Adèle d’Affrys grösstes Werk ist ebenjene<br />

Skulptur, die auch in „Phantastische Tierwesen<br />

2“ ihren Auftritt hatte: die Pythia. In<br />

der griechischen Mythologie ist die Pythia<br />

die amtierende weissagende Priesterin im<br />

Orakel von Delphi.<br />

Die Skulptur wird vom Architekten Charles<br />

Garnier zur Ausschmückung des neuen<br />

Opernhauses in Paris erworben, was der<br />

Schweizerin berufliche Anerkennung einbringt.<br />

An der Eröffnung der Oper wird die<br />

Pythia gar als eines der originellsten Stücke<br />

bezeichnet.<br />

Adèle d’Affry verbringt ihre letzten Jahre<br />

an der Südküste Frankreichs und verstirbt<br />

im Alter von gerade einmal 43 Jahren an<br />

Tuberkulose. Adèle d’Affry war ein Multitalent:<br />

Nebst der Bildhauerei und der Malerei<br />

schrieb sie auch mehrere Novellen und ihre<br />

Memoiren, die jedoch unvollendet blieben.<br />

Ihre Erfolge in der Bildhauerei brachten ihr<br />

viel Lob, aber auch Neid ein. Sie war auf vielen<br />

Gebieten eine Pionierin, konnte jedoch<br />

ihr Talent aufgrund ihres frühen Todes nicht<br />

vollständig ausschöpfen.<br />

Teile ihrer Werke können heute im Museum<br />

für Kunst und Geschichte in Freiburg betrachtet<br />

werden, das der herausragenden<br />

Künstlerin eine Dauerausstellung gewidmet<br />

hat.<br />

Die Pythia von Marcello (1870)<br />

02.<strong>2019</strong><br />

21

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!