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Kolumne ANGELIKA HAGER

Kolumne ANGELIKA HAGER DER SPIELPLATZ DER BOHÈME Als Michael Heltau in der Kabane philosophierte und Philipp Hochmair seine Badehose verlor – der „Schwimmende Salon“ in Bad Vöslau ist viel mehr als ein Theaterfestival. Über meine Liebesgeschichte mit dem Thermalbad. Beim Durchschwimmen des Quellbeckens hielt ich manchmal die Augen geschlossen und stellte mir die Wiener Jahrhundertwende-Bohème bei allerlei Unfug im Vöslauer Bad vor – wie Arthur Schnitzler einer seiner vielen „Mizzis“ das Blaue vom Himmel log, indem er ihr ewige Treue schwor: „Glaube mir, es hat sich nicht das geringste Dienstmädchen ereignet.“ Wie Alma Mahler mit einem Federhut, groß wie ein Kutschenrad, ihre Verehrer gleich einer Zirkus dompteuse in Schach hielt. Wo der junge Hugo von Hofmannsthal, der mit seinen Eltern in der Villa „Zur schönen Aussicht“ abgestiegen war, seine Sehnsüchte zu Gedichten formte. Es wunderte mich, dass der Theatermagier Max Reinhardt, der aus dem benachbarten Baden stammte, auf der steinernen Insel im Quellbecken nie Shakespeares „Sommernachtstraum“ inszeniert hatte. Erstaunlicherweise war noch niemand zuvor auf die Idee gekommen, das nostalgische Ambiente als Naturkulisse für Theater oder Lesungen zu benutzen. Ich schlug meine Vision den Eigentümern vor und bekam grünes Licht, ein Festival gestalten zu dürfen. Was für ein Luxus! Die Idee konnte zur Tat schrumpfen. Rauf auf die Spielwiese, um die dem Himmel sei Dank keine Verbotstafeln errichtet waren. Meine Liebesgeschichte mit dem Bad hatte ein Jahr zuvor begonnen. Die Einladung, einen Sommer in einer Kabane im Föhrenwald zu verbringen und in dieser Zeit einen Roman zu schreiben, in der das Ambiente eine wie immer geartete Rolle spielen sollte, nahm ich gerne an. Am Ende dieses Sommers hatte ich den Selbstfindungstrip von Mimi Stein, einer jungen Frau in einer Lebenskrise, die im Bad biografische Spurensuche betreibt und dabei tief in die versunkene Epoche der Jahrhundertwende und das Leben ihrer exzentrischen Tante Lou taucht, beendet. Der Roman heißt „Wer jung bleiben will, muss früh damit anfangen“ und erschien unter meinem Pseudonym Polly Adler. Im ersten Festivaljahr klingelte ich die Künstler durch, die ich durch meine Arbeit als Journalistin und Drehbuchautorin der TV-Serie „Polly Adler“ kennengelernt hatte: Philipp Hochmair, der das Publikum mit einer Extremvariante von Goethes „Leiden des jungen Werther“ anfangs irritierte, dann provozierte und letztendlich begeisterte. Er ist inzwischen Stammgast beim Festival; jeder seiner Auftritte zieht eine Fanmeile aus Damen der unterschiedlichsten Generationen nach sich. Beim ersten Auftritt zeigte sich eine Besucherin entsetzt. Sie war Kurgast und flüsterte mir verzweifelt ins Ohr: „Hören Sie, ich hab’s mit dem Herz. Ich vertrag keine Aufregung.“ Ich retournierte ihr damals das Eintrittsgeld. Die Arme sollte den besten Teil des Abends versäumen: Illustration: Roland Vorlaufer; Fotos: Niederösterreich Werbung/Romeo Felsen, Katharina Schiffl 70 Servus

Vöslauer Momente. Im historischen Thermalbad (links) üben sich Petra Morzé und Manuel Rubey (rechts oben) in Herzensschlampereien von Arthur Schnitzler. Philipp Hochmair setzt das Bad regelmäßig unter Strom. Hochmairs Werther entschied sich für einen Selbstmord durch Ertrinken und verlor beim Sprung ins Wasser seine Badehose. Das Festival war damit auch irgendwie „defloriert“ worden. Inzwischen hat sich eine regelrechte Künstlerkolonie formiert, die sich immer wieder in den Ferienmonaten in der Milchbar oder dem Restaurant „Kabane 21“ sammelt: Maria Happel, die komödiantische Supermacht des Burgtheaters. Harald Schmidt, die deutsche Late-Night-Legende, der einen Narren an Vöslau gefressen hat: „Tatsächlich ist Salzburg Bad Vöslau für Arme.“ Petra Morzé, Manuel Rubey, Stefanie Reinsperger, Roland Koch, der mit seiner Frau Nicola Kirsch inzwischen die mir benachbarte Kabane bewohnt. Kochs Auftritte mit Michael Maertens, der mir unlängst schrieb „Ein Sommer ohne Vöslau – inzwischen undenkbar!“, sind inzwischen legendär. Einer der magischsten Momente in diesem Jahrzehnt Festival war, als Nicola Kirsch in der Rolle der Zelda Fitzgerald einen Totentanz hinlegte. Auf einem Holzboot, das von zwei Feuerwehrtauchern unter Wasser manövriert wurde, drehte sie sich zu melancholischer Rapmusik unter dem Himmel, der sich plötzlich dunkelpink verfärbte. Solche Augenblicke kann kein Regisseur der Welt in dieser Intensität inszenieren. Der „Schwimmende Salon“ wurde auch vom damals jüngsten 82-Jährigen der Welt beehrt: Michael Heltau, für den ich eine Lesung aus Emigrantenbriefen zusammengestellt hatte, saß mit uns nach seinem Auftritt bis halb drei Uhr nachts in der „Kabane 21“. Am Tag danach rief ich ihn an und sagte: „Wenn ich groß bin, möchte ich auch einmal so 82 werden.“ Er lachte nur: „Gell, ich bin ein Tier!“ Und jedes Jahr denke ich im Frühling an Arthur Schnitzler, der gegen Ende seines Lebens über seine Zeit in Vöslau notierte: „Schöne Gegend […] Badeleben […] Kindheitserinnerungen“. Man könnte noch „Zeitreise“ und „Geborgenheit“ hinzufügen. Angelika Hager ist Journalistin, Autorin und Intendantin des Theaterfestivals „Schwimmender Salon“. Zuletzt erschienen: Polly Adler, „Echt. Jetzt!“ (K&S). Servus 71

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