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Rotary Magazin 09/2023

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ROTARY SUISSE – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – SEPTEMBRE 2023

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Diese divergierenden Ansätze sind erklärungsbedürftig.

Stephanie Theobald ist

im Europa / Afrika-Büro von RI in Zürich

als kompetente und zuvorkommende

Ansprechpartnerin auch der Distrikte und

Clubs in der Schweiz und in Liechtenstein

tätig. Sie bestätigt, der Gesetzgebende

Rat 2016 habe den Clubs eine grosse

Flexibilität eingeräumt. Der damalige Beschluss

habe aber nicht dazu geführt, dass

die einheitliche Clubverfassung keine

Präsenzrichtlinien mehr enthalte. In ihrer

Antwort auf unsere Fragen verweist sie

auf den neuen Absatz 7 «Ausnahmen»,

der 2016 dem Artikel 10 beigefügt wurde:

«Die Satzung [der Clubs] kann Bestimmungen

enthalten, die nicht mit Artikel 10

übereinstimmen.» Gleichermassen wurde

der Artikel 13 Absatz 4 um den Abschnitt

c ergänzt: «Die Satzung kann Bestimmungen

enthalten, die nicht mit Artikel 13

Absatz 4 übereinstimmen.»

«Die erwähnten Prozentsätze beziehen

sich auf zwei verschiedene Aspekte»,

erklärt Stephanie Theobald. Bei den 60

Prozentpunkten gehe es darum, wie lange

man an einem Meeting dabei sein müsse,

um eine offizielle Präsenz zu erwirken. Der

Artikel 13 definiere die Anzahl der besuchten

Clubtreffen pro Halbjahr (mindestens

50 Prozent generell und mindestens 30

Prozent der Treffen des eigenen Clubs). Bei

all diesen Zahlen handle es sich um Richtwerte,

die vom Club in eigener Kompetenz

angepasst werden könnten.

EIN REGLEMENT ALS

PRAXISTAUGLICHES MITTEL

Die «Einheitliche Verfassung für Rotary

Clubs» etwas zu entschlacken wäre angezeigt.

In diesem Regelwerk sind auf fünfzehn

DIN-A4-Seiten zu viele, teils spitz -

findige Paragrafen aufgelistet. Ob es

zweckmässig ist, diese eins zu eins in

Clubstatuten zu adaptieren, darf hinterfragt

werden. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch

(ZGB) führt unter den Artikeln 60

bis 79 auf, was in Vereinssatzungen zwingend

enthalten sein muss. Rotary Clubs

können in den Statuten den Präsenzpflichten

ihrer Mitglieder zwar ein eigenes

Kapital widmen, praxistauglicher wäre es

jedoch, diese in einem separaten Reglement

zu umschreiben. Für Statutenänderungen

braucht es bekanntlich Zweidrittelmehrheiten,

Reglemente können

mit dem einfachen Mehr der Stimmenden

korrigiert werden.

Rotary International vertritt den

Standpunkt, dass Passagen in Clubstatuten,

welche den Verfassungsdokumenten

nicht entsprechen, nicht bindend seien.

«Die Vorgaben der einheitlichen Clubverfassung

gehen den Vorgaben in Clubstatuten

vor.» Deshalb empfiehlt RI den

Clubs, die Richtlinien der einheitlichen

Clubverfassung als integralen Teil der

Clubstatuten zu erwähnen. Welches

Recht – Normen einer weltweiten Servicebewegung

oder schweizerisches Recht –

im Falle von Streitigkeiten Priorität hat,

müsste situativ beurteilt werden. Gerichte

anzurufen, statt eine gütliche Einigung zu

erzielen, würde rotarischen Gepflogenheiten

allerdings krass zuwiderlaufen.

Past-RI-Direktor Urs Klemm (RC Aarau)

appelliert, den Stellenwert eines Querverweises

auf diese «Einheitliche Verfassung

für Rotary Clubs» nicht zu unterschätzen.

Ohne deren Einschluss würde das Risiko

bestehen, dass die Clubstatuten nicht

mehr mit den Regularien von Rotary International

übereinstimmen würden, insbesondere

wenn diese im Rahmen eines

CoL revidiert worden seien. Das könne in

einem Zivilprozess dazu führen, dass die

Bestimmungen der einheitlichen Clubverfassung

nicht anerkannt würden. Das sei

beispielsweise in Deutschland im Rah -

men eines Ausschlussverfahrens, dessen

Ausgang für die Clubverantwortlichen

unangenehme Konsequenzen hatte, eingetreten.

In diesem Zusammenhang drängt sich

der Hinweis auf, dass die Übersetzung von

RI-Akten zu unterschiedlichen Interpretationen

verlockt. Ein Beispiel dafür ist die

deutschsprachige Fassung der Musterstatuten.

Unter den allgemeinen Bestimmungen

zur Präsenz heisst es in Artikel 10

Absatz 1: «Jedes Mitglied sollte an den

regulären Zusammenkünften dieses Clubs

oder an denen des Satellitenclubs teilnehmen

und sich bei den Dienstprojekten und

anderen Veranstaltungen und Aktivitäten

dieses Clubs einbringen.» PDG Rocco Olgiati,

CoL-Delegierter des Distrikts 1980,

Rechtsanwalt und Mitglied des RC Lugano-Lago,

hat verschiedene Sprachversionen

miteinander verglichen. In der

englischen Variante lautet der entsprechende

Begriff «should», in der italienischen

«deve», in der französischen «doit»,

in der spanischen «déberan». Sollen oder

müssen? Englisch ist die offizielle Sprache

des Council on Legislation. Rotary International

besteht darauf, dass massgebend

sei, was in englischsprachigen Dokumenten

veröffentlicht werde. RI bewertet die

Wörter «should» und «must» als gleichwertig,

die Übersetzung von «should»

mit «sollte» sei in diesem Kontext nicht

adäquat.

PRÄSENZRECHT STATT

PRÄSENZPFLICHT

Mit seiner Aufnahme in einen Rotary Club

hat sich jedes Mitglied bereit erklärt,

Verpflichtungen zu akzeptieren, sich mit

rotarischen Werten zu identifizieren,

Projekte mitzutragen, Chargen zu übernehmen.

Rotarierinnen und Rotarier profitieren

in einem ausgewogenen Verhält nis

zu ihrem persönlichen Commitment

jedoch auch von Privilegien. Sie erhalten

etwa den Zutritt zu einem breit gefächerten

gesellschaftlichen und beruflichen

Netzwerk, wie es nur ein Serviceclub offerieren

kann. Und sie sind legitimiert, überall

auf der Welt an Meetings von Clubs, von

Distrikten, von Rotary International teilzunehmen,

Kontakte mit Menschen aus

anderen Kulturen, Sprachregionen und

Generationen zu pflegen, auf diese Weise

ihren Horizont zu erweitern. Der Begriff

«Präsenzpflicht» entpuppt sich in diesem

Sinn als Unwort. Das Wort «Präsenzrecht»

müsste signifikant höher gewichtet werden.

Ein Recht, das man nie genug beanspruchen

kann. Die Erfahrungen zeigt leider

das Gegenteil: Vielen von uns fehlt die

Courage, über den eigenen Tellerrand

hinauszuschauen, eigene Clubgrenzen zu

überschreiten. Das ist bedauerlich.

Wenn in einem Club das Thema «Präsenzen»

zu einem Dauerbrenner ausartet,

ist das kein Zeichen von Stärke, sondern

von Schwäche. «Auf ihren Treffen kommen

die Mitglieder freundschaftlich zusammen,

man spricht über anliegende

Dinge, bildet sich fort durch anregende

Vorträge und tauscht Ideen zum humanitären

Engagement aus», schreibt RI auf

seiner Webseite rotary. org. Um Freundschaften

zu fördern, ist persönliche Anwesenheit

geboten. Wie sagte doch einst der

unvergessliche, vor vier Jahren verstorbene

PDG Carlo Michelotti vom RC Bellinzona:

«Mit einem leeren Stuhl kann man

keine Freundschaft schliessen.»

K PDG Paul Meier | A zvg

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