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1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas

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31 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 32<br />

wenn er aus den zurückliegenden synchronen Deutungsversuchen<br />

die Konsequenz zieht, daû sich eine lediglich von der Endgestalt des<br />

Buches ausgehende Würdigung angesichts der durch seine Genese<br />

bedingten divergierenden kompositionellen Signale nur gewalttätig<br />

vornehmen läût. Daher ist er das Wagnis eingegangen, sich über viele<br />

Einzelprobleme hinwegzusetzen und einen Entwurf vorzulegen, der<br />

den Anspruch erhebt, ebenso ein genetisches Gesamtbild der Komposition<br />

wie eine Interpretation der Endgestalt des Jesajabuches vorzulegen.<br />

Der im 1. Kap. (11±49) kenntnisreich in die Versuche der<br />

Gesamtdeutung des Buches eingeführte Leser ist daher gespannt, ob<br />

und wie es dem Vf. gelingt, die von ihm selbst aufgezeigten Defizite<br />

seiner Vorgänger zu vermeiden.<br />

B. verfolgt das Wachstum des Buches und seine darin beschlossenen Strukturierungen<br />

und Neuakzentuierungen in den Kap. 2±7, die der Reihe nach Jes<br />

1±12 (50±138); 13±27 (139±198); 28±35 (199±265); 36±39 (266±321); 40±55<br />

(322±413) und 56±66 (414±534) behandeln. Dabei kommt er zu den Ergebnissen,<br />

daû 1.) der Weg in den c.1±12 ¹von der Beschreibung des aktuellen sündigen<br />

zum Ausblick auf einen gereinigten Zion als Ziel der Völkerwallfahrt führt,<br />

wo die Pilger ¸voll Freude aus den Quellen des Heils schöpfen (12,3)ª (136).<br />

Dann geleiten 2.) die c.13±27 den Leser vom Fall der als Symbol aller menschlichen<br />

Hybris und staatlichen Vergottung verstandenen Stadt Babel (21,9) und<br />

der Vernichtung der Sünder unter den Erdbewohnern zum Antritt der Königsherrschaft<br />

Jahwes auf dem Zion (197). 3.) geht es in der Endgestalt der durch<br />

fünf Weherufe strukturierten c.28±32 um die Zubereitung der Zionsgemeinde<br />

auf die anbrechende Königsherrschaft Jahwes, an deren Schwelle in c.33 ein 6.<br />

Weheruf gegen einen namenlosen, wohl mit den Persern identischen Bedrükker<br />

steht, eine Wir-Gruppe ihre durch die sofortige Vernichtung der Sünder in<br />

Zion erhörte Klage zu Jahwe erhebt und schlieûlich die Königsproklamation<br />

dieses Gottes erfolgt (263f). 4.) sind die in c.36±39 eingeschalteten Hiskia-Jesaja-Erzählungen,<br />

die gegenüber ihrer Vorlage in 2 Kön 18±20 modifiziert sind,<br />

von den Tradenten deshalb in die Mitte der bereits die c.1±66* umfassenden<br />

Jesajarolle gestellt, weil sie einerseits die jesajanische Orakeltradition der<br />

c.28±31 historisch fortsetzen und eine (hinter c.33 bzw.34) weitere Brücke zu<br />

den c.40±66 bieten. Kontextuell ist die Bewahrung des Zion 701 zum Paradigma<br />

seiner eschatologischen Rettung und der in seiner Krankheit betende<br />

Hiskia zur Identifikationsgestalt für alle Leidenden geworden (317±319). 5.) besitzen<br />

die c.40±55 eine Dreiteilung: a) Die c.40±48* sind um die Proklamation<br />

des Perserkönigs Kyros als des Gesalbten Jahwes zentriert und bezeugen die<br />

Zuversicht der Gola auf das künftige Heilshandeln Jahwes. b) Die 1., von den<br />

Heimkehrern aus der Gola veranstaltete Jerusalemredaktion bearbeitete die<br />

c.40±48* und führte sie bis c.52 weiter: Sie identifizierte sich mit dem getreuen<br />

Knecht Jahwes und schloû mit dem an die Diaspora gerichteten Aufruf zur<br />

Heimkehr. c) Die 2. Jerusalemredaktion erweitere das Buch durch den Anschluû<br />

der c.54f und proklamierte angesichts der Heilsverzögerung an Anfang<br />

und Ende der deuterojesjanischen Sammlung die Gültigkeit des Gotteswortes.<br />

Schlieûlich würde d) im 4. Gottesknechtslied das leidende, aber nicht dem Tod<br />

ausgelieferte Zion als der Ebed verkündet, der die Schuld der Diasporajuden<br />

bezahlt habe, so daû diese heimkehren können (411±412). Während die<br />

c.40±55 sich als eine Kette von Bearbeitungen und Fortschreibungen erweist,<br />

sind die c.56±66 konzentrisch strukturiert. In ihrer Mitte steht die in den<br />

c.60±62 enthaltene Heilsankündigung für ein durch den Reichtum der Völker<br />

beglücktes Jerusalem. Angesichts des Ausbleibens des Heils wird dieses einerseits<br />

durch eine Umkehr-Redaktion in 56,9±59,21 auf die Umkehrwilligen des<br />

Hauses Jakob beschränkt, durch eine weitere auf alle Umkehrwilligen entschränkt.<br />

Diese Redaktion hatte ihre ¹inklusive Exklusivitätª bereits in 1,27f<br />

und 2,2±5 eingetragen. Das Ringen um eine völkeroffene Israel-Konzeption<br />

spiegelt sich in den c.63±66: Die Redaktion der Knechtsgemeinde erklärt den<br />

Kampf Jahwes gegen die Frevler für eröffnet und unterstreicht durch die Übernahme<br />

einer exilischen Volksklage in 63,7±64,11 ihre Solidarität mit dem Volk.<br />

Jahwe, scheidet aber die Frevler von seinen Knechten, zu denen nach 56,1±8<br />

und 66,18ff auch die Fremden gehören, die sich Israels Gott angeschlossen haben:<br />

Mit ihrer Anbetung des Herrn ist nicht nur 2,1ff, sondern auch der Gottesschwur<br />

45,23b erfüllt (524±534). Der eilige Leser, mit dem sich heute die Mehrzahl<br />

selbst der Kollegen identifizieren dürfte, kann das Gesamtergebnis in der<br />

Zusammenfassung des Schluûkapitels bequem nachlesen.<br />

Der Rez. kann dieses umfang- und facettenreiche Werk nicht mit<br />

einem fortlaufenden, seine Zustimmung oder Kritik notierenden<br />

Kommentar begleiten. Er verspricht dem Leser des Buches vorab,<br />

daû er trotz des nicht ausbleibenden ¾rgers an allzu eleganten Sprüngen<br />

über die Hürden anderer Meinungen und gelegentlich auch Verwirrungen<br />

durch nicht immer durchsichtige Texte auf seine Kosten<br />

kommt, weil das Buch viele ihn überraschende, ihm den Aufbau erschlieûende<br />

Einzelbeobachtungen enthält. Er wird es voraussichtlich<br />

v.a. als Nachschlagewerk benutzen, um sich über B.s Auslegungen<br />

partieller Texte und Textzusammenhänge zu informieren.<br />

Der Rezensent muû es aus Raumgründen bei einigen wenigen, paradigmatisch<br />

gemeinten Bemerkungen zu Einzelproblemen belassen.<br />

Zum einen möchte er zu erkennen geben, daû auch er unter dem Einfluû<br />

der divergierenden Untersuchungen von Friedhelm Hartenstein,<br />

die sich auf Jes 6 beschränkt, 1 und der weiter ausgreifenden von Uwe<br />

Becker 2 bereit ist, Jes 6 trotz ihrer offensichtlichen exilisch-nachexi-<br />

lischen Nachinterpretationen als Anfang einer nicht nur die Botschaft<br />

des Propheten gegen Israel und Damaskus, sondern freilich<br />

auch die Worte aus der Zeit der philistäischen und des hiskianischen<br />

Aufstandes umfassenden vorexilischen Jesajarolle zu verstehen. Im<br />

übrigen ist ihm nicht ganz klar geworden, wie sich B. den Rückgriff<br />

in der Manassezeit auf 5+9,7±10,4 auf jesajanisches Gut vorstellt 3<br />

und schon gar nicht, wo die nachexilische Edition 1,21±26 und<br />

2,12±17 als solches hätte beziehen können (68f bzw. 76). Wer heute<br />

noch das Gedicht von der ausgestreckten Hand Jahwes dem Propheten<br />

zuschreibt (88f), müûte erst einen Gegenbeweis gegen Hans Walter<br />

Wolffs und Jörg Jeremias' 1969 bzw. 1995 vorgelegte Atheteses von<br />

Am 4,6±11 liefern. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, sich<br />

zumindest mit dem jeweils zeitlich nächsten Gegenvotum in sorgfältiger<br />

Prüfung der Argumente auseinanderzusetzen. Auch wenn es<br />

nachvollziehbar ist, daû B. aus arbeitsökonomischen Gründen darauf<br />

immer wieder verzichten muûte, liegt darin eine Schwäche des Buches.<br />

Daû er den Zusammenhang zwischen der Botschaft von dem<br />

Reinigungsgericht Jahwes in 1,21ff und den späten Erwartungen eines<br />

selektiven Gerichtshandelns Jahwes verkannt hat, ist erstaunlich.<br />

Andererseits hat sich der Rez. natürlich gefreut, daû B. Kaisers Ansichten<br />

über den jesajanischen Grundbestand der c.28±31 teilt und<br />

nicht nur 7,9 (107), sondern auch 28,16±17a und 30,15b athetiert<br />

(209, vgl. auch 224). Bei der Behandlung von 7,1±9* hätten die mit<br />

den Legenden in 2 Kön 18±20 par Jes 36±39 verwandten Züge ihn<br />

vorsichtiger gegenüber dem vermeintlichen Grundtext stimmen sollen<br />

(106). Ob man statt c.35, wie es O. H. Steck sorgfältig begründet<br />

hat, 4 c.33 als zeitlich erste Brücke zwischen einem bis c.32* angewachsenen<br />

Proto- und einem bis c.52* reichenden Deuterojesajabuch<br />

betrachten darf (242ff), hängt von der Beurteilung der Zeitstellung<br />

beider Kap. ab. Das vorausgehende ist nicht eo ipso das ältere, und<br />

in diesem Fall spricht die Erwartung eines innerisraelitischen Gerichts<br />

eher dagegen als dafür. Aus der Freude über die von ihm entdeckten<br />

kontextuellen Bezüge kommt B. zu einer etwas verwunderlichen<br />

Deutung der einleitenden Verse der zur Botschaft des Weltgerichts<br />

ausgestalteten Ankündigung der Vernichtung Babels durch<br />

die Meder, die er ebenso wie die Stadtlieder der sog. Jesaja-Apokalypse<br />

auf die dort durch Xerxes 482 angerichteten Zerstörungen bezieht.<br />

Er deutet 13,2f, als proleptische Aufforderung an die Edlen<br />

der Völker, in die Gottesstadt einzuziehen (159ff), um weiterhin zu<br />

behaupten, daû die nach 25,6 an dem Königsmahl Jahwes teilnehmenden<br />

Völker auch die Stadtlieder mitsingen (vgl. 185, 187 und<br />

190f). Man bewundert B.s kombinatorische Fähigkeiten, aber so wie<br />

er selbst erkennt, daû es eine Spannung zwischen universalen und<br />

partikularen Tendenzen im Jesajabuch gibt, hätte er auch hier die universale<br />

Linie besser nicht so groûzügig verfolgt. Um die Liste der Bedenken<br />

in vertretbaren Grenzen zu halten, sei abschlieûend festgestellt,<br />

daû es dem Rez.en nicht gelungen ist, die Angaben des Vf.s<br />

über den Zeitpunkt der Verbindung des die c.1±32* enthaltenden<br />

Protojesaja- mit dem die c.40±52* umspannenden Deuterojesajabuch<br />

nachzuvollziehen: Nach S. 248 soll sie in der 2. Hälfte des 5. Jh.s erfolgt<br />

sein. Nach S. 430 sollen die c.60±62* als Fortsetzung von c.54f<br />

verfaût worden sein, deren Entstehung nach der Tabelle S. 549 in die<br />

Mitte des 5.Jh.s fällt. Entweder hat der Rez. trotz mehrfacher Lektüre<br />

S. 248 nicht richtig verstanden oder es ist dem Vf. bei der eigenen<br />

Schluûredaktion ein Widerspruch entgangen. Insgesamt erlaubt sich<br />

der Rez. hinter die von B. vertretene Datierung der wesentlichen redaktionellen<br />

Vorgänge in das 6. und 5. Jh. ein Fragezeichen zu setzen.<br />

Stecks Spätdatierungen der ein Scheidungsgericht anvisierenden<br />

Texte haben gegenüber den von B. versehenen den Vorteil, 5 daû sie<br />

diese in die Nähe ihrer chasidischen Aufnahme und Ausgestaltung<br />

zwischen der Mitte des 3. und 2. vorchristlichen Jh.s rücken.<br />

Das Buch verlangt einen kritischen Leser, der die Bibel neben es<br />

aufgeschlagen auf den Schreibtisch legt, um selbst zu entscheiden,<br />

wo die Grenzen der Interpretation eingehalten und wo sie überschritten<br />

werden. Gelegentlich wird er vermutlich wie der Rez. verwirrt,<br />

gelangweilt wird er sicher nicht werden.<br />

Marburg Otto Kaiser<br />

1<br />

Vgl. Hartenstein, F.: ¹Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtumª, in:<br />

WMANT 75, 1997.<br />

2<br />

Becker, U.: ¹Jesaja ± von der Botschaft zum Buchª, in: FRLANT 178, 1997.<br />

3<br />

Vgl. S. 88f.<br />

4<br />

Steck, O. H.: ¹Bereite Heimkehr. Jesaja 35 als redaktionelle Brücke zwischen<br />

dem Ersten und dem Zweiten Jesajaª, in: SBS 121, 1985.<br />

5<br />

Vgl. Steck, O. H.: ¹Der Abschluû der Prophetie im Alten Testamentª, in:<br />

BThSt 17, 1991.

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