1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas
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7 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 8<br />
schluû an Ignatius von Antiochien im Sinn eines Vorsitzes in der<br />
Liebe. Oft wird dies als Primat der Ehre (time) bezeichnet; diese Formel<br />
darf jedoch nicht bloû im Sinn eines äuûerlichen Ehrerweises<br />
verstanden werden. In den ökumenischen Diskussionen machen die<br />
orthodoxen Partner jeweils klar, daû die Frage des Petrusamtes im<br />
Rahmen und nach Analogie des Kanon 34 der ¹Apostolischen Kanonesª<br />
(4. Jahrhundert) diskutiert werden muû. Danach soll es in jeder<br />
Provinz einen ersten unter den Bischöfen geben, der nichts ohne die<br />
Zustimmung der anderen Bischöfe entscheiden kann, ohne dessen<br />
Zustimmung aber auch die anderen nichts Wesentliches entscheiden<br />
sollen. Kurzgesagt also eine Balance von primatialer und synodaler<br />
Ordnung.<br />
In die gleiche Richtung geht der Dialog mit der anglikanischen Gemeinschaft<br />
(¹The Gift of Authorityª, 1999) und die Antwort des<br />
¹House of Bishopsª der ¹Church of Englandª und der Schwedischen<br />
Bischofskonferenz (1999) auf die Enzyklika ¹Ut unum sintª (1995).<br />
Die Frage ist also, ob und inwiefern eine solche Balance in einer<br />
neuen Form der Primatsausübung, nach welcher der gegenwärtige<br />
Papst in der genannten Ökumene-Enzyklika ausdrücklich gefragt<br />
hat, verwirklicht werden kann. Diese Frage richtet sich nicht nur an<br />
die orthodoxe und an die anglikanische Seite; sie stellt auch eine<br />
Hausaufgabe für die katholische Seite dar. Die katholische Seite muû<br />
im hermeneutischen Horizont der Ekklesiologie des ersten Jahrtausends<br />
eine Neu-Interpretation und Re-Rezeption der Dogmen des<br />
I. Vatikanischen Konzils in die Wege leiten. Dazu hält uns der Text<br />
des I. Vatikanums selbst an. Das I. Vatikanische Konzil will nämlich<br />
seine Lehre vom Primat definieren ¹secundum antiquam atque constantem<br />
universalis Ecclesiae fidemª (DS 3052; vgl. 3059). Es macht<br />
damit die alte und gemeinsame Tradition zu einem hermeneutischen<br />
Prinzip seiner Auslegung.<br />
Diese Aufgabe ist nicht nur ein akademisches, sondern noch mehr<br />
ein lebenspraktisches Problem. Ost und West haben sich nicht aus<br />
dogmatischen Gründen getrennt; sie haben sich lebens- und mentalitätsmäûig<br />
auseinandergelebt und entfremdet. Trotzdem ist die gemeinsame<br />
Grundstruktur der Kirchengemeinschaft erhalten geblieben.<br />
Volle Kirchengemeinschaft läût sich deshalb nur auf dem Weg<br />
eines praktischen Wiederzusammenlebens und durch Wiederherstellung<br />
des gegenseitigen Vertrauens erreichen.<br />
Nach maûgebenden katholischen Autoren brauchte sich an der<br />
Rechtsstruktur der orthodoxen Kirchen kaum etwas ändern (vgl. Art.<br />
Primat: LThK VIII, 2. Aufl, 761±763). Im Ökumenismus-Dekret des<br />
II. Vatikanums heiût es: ¹So erklärt das Heilige Konzil feierlich, um<br />
jeden Zweifel auszuschlieûen, daû die Kirchen des Orients im Bewuûtsein<br />
der notwendigen Einheit der ganzen Kirche, die Fähigkeit<br />
haben, sich nach ihrer eigenen Ordnung zu regierenª (UR 16). Es gilt<br />
also das Prinzip, auf das man sich bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts<br />
in den Mecheler Gesprächen mit der anglikanischen Kirche<br />
geeinigt hat: ¹Uni, pas absorbeª, ¹vereint, aber nicht absorbiertª.<br />
Noch ein Wort zu den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der<br />
Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind: Auch mit ihnen<br />
verbindet uns eine strukturelle Gemeinsamkeit. Auch diese Kirchengemeinschaften<br />
verstehen sich nicht als Zusammenschlüsse<br />
¹von untenª. Vielmehr besteht nach CA VII Kirche überall dort, wo<br />
das Evangelium gepredigt und die Sakramente evangeliumsgemäû<br />
verwaltet werden. Kirche versteht sich also als Anteilhaben an Wort<br />
und Sakrament. Dabei wird nach reformatorischem Verständnis dem<br />
Wort ein Vorrang eingeräumt; Kirche wird als ¹creatura verbiª verstanden<br />
(WA 6,561). Entsprechend wird ¹communio sanctorumª in<br />
den Bekenntnisschriften mit ¹Gemeinschaft der Glaubendenª übersetzt.<br />
Doch dieser Punkt stellt inzwischen keine grundsätzliche Kontroverse<br />
mehr dar. Die pauschale Gegenüberstellung einer ¹Kirche<br />
des Wortesª und einer ¹Kirche der Sakramenteª sollte endgültig überholt<br />
sein. Die Kirche lebt aus Wort und Sakrament.<br />
Der Unterschied kommt dagegen zum Vorschein, wenn man sieht,<br />
daû der Schwerpunkt reformatorischer Ekklesiologie auf der konkreten<br />
Ortsgemeinde, in der das Wort verkündet und die Sakramente<br />
verwaltet werden, liegt; sie ist der Haftpunkt und das Gravitationszentrum<br />
der Ekklesiologie. Luther bevorzugt das Wort ¹Gemeindeª<br />
anstelle des ¹blinden und undeutlichenª Wortes ¹Kircheª (WA<br />
50,625). Das schlieût übergemeindliche Strukturen und ¾mter nicht<br />
aus; aber sie sind funktionale Ausfaltungen des Pastorenamtes auf<br />
kirchenleitender Ebene. Die Reformatoren beriefen sich dafür auf<br />
den Kirchenvater Hieronymus und dessen Wirkungsgeschichte in<br />
der mittelalterlichen Scholastik.<br />
Mit der Konfessionsbildung auf der Ebene von Landeskirchen geriet<br />
die universale Dimension der Kirche zunächst weithin aus dem<br />
Blick, obwohl sie doch für das Neue Testament, und dort nicht erst in<br />
den Gefangenschaftsbriefen, wesentlich ist; erst in der neueren ökumenischen<br />
Diskussion. Trotz allen inzwischen erreichten Annäherungen<br />
ist die Frage des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession<br />
noch immer ein Kontroverspunkt, dieser steht jedoch in einem umfassenderen<br />
Zusammenhang, nämlich im Zusammenhang einer Bestimmung<br />
der Kirchengemeinschaft, welche von den Ortskirchen<br />
bzw. Ortsgemeinden ausgeht.<br />
Dies ist auch in der für den kontinental-europäischen Raum maûgebenden<br />
Leuenberger Konkordie der Fall, auf welche das eingangs<br />
genannte Votum der EKD zurückgeht. Kirchengemeinschaft beschränkt<br />
sich hier auf Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft, sowie<br />
auf die gegenseitige Anerkennung der ¾mter; sie läût jeder Konfessionskirche,<br />
letztlich jeder Landeskirche, ihre Eigenständigkeit.<br />
Findet man sich mit den geschichtlich gewachsenen Kirchenstrukturen<br />
einfach ab? Bleibt mehr oder weniger alles beim alten?<br />
Handelt es sich um ein Status-quo-Modell? Der reformatorische Reformimpuls<br />
scheint hier irgendwie stillgelegt zu sein. Denn den Reformatoren<br />
ging es ± wenn ich recht sehe ± ursprünglich nicht um die<br />
Gründung separater Konfessionskirchen, sondern um die Reform der<br />
bestehenden universalen Kirche. Daû es nachträglich zur Konfessionsbildung<br />
kam, bedeutet, wenn ich Wolfhart Pannenberg, Günther<br />
Wenz und anderen folge, nicht einen Erfolg, sondern das Scheitern<br />
des ursprünglichen reformatorischen Anliegens. Die Herausbildung<br />
getrennter Konfessionskirchen bedeutet aber auch eine Katastrophe<br />
und eine tiefe Wunde für die katholische Kirche. Denn auch sie<br />
kann unter den Bedingungen der Trennung ihre Katholizität nicht<br />
mehr in ihrer ganzen Fülle konkret verwirklichen (UR 4).<br />
So ist die ökumenische Bewegung für beide Seiten die Chance, ja<br />
ein Segen. Beide können sich durch eine konstruktive Aufnahme der<br />
Anliegen des jeweiligen anderen gegenseitig bereichern und so Katholizität<br />
in ihrer Fülle konkret zu verwirklichen suchen. Ob wir<br />
diese vielleicht nicht so schnell wiederkehrende Chance wahrnehmen,<br />
oder ob wir uns ängstlich und rechthaberisch wieder im Konfessionalismus<br />
verhärten und uns darin einmauern, ist eine Frage,<br />
an der unsere geschichtliche Verantwortung einmal gemessen werden<br />
wird.<br />
Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage nach dem katholischen<br />
Verständnis von Kirchengemeinschaft. Kann sich die katholische<br />
Kirche auf einen solchen ökumenischen Prozeû überhaupt einlassen?<br />
Phänomene der Verhärtung gibt es zweifellos auch hier. Sie<br />
sind teilweise eine Reaktion bzw. eine Überreaktion gegen einen wilden,<br />
oberflächlichen ± weil wahrheitsvergessenen ± Ökumenismus.<br />
Amtlich gilt jedoch, was der Papst jüngst nochmals ausdrücklich betont<br />
hat: daû das II. Vatikanum, der Kompaû für den Weg in die Zukunft<br />
und die Entscheidung für die Ökumene, unwiderruflich und<br />
unumkehrbar ist.<br />
Wenn wir das Bild vom Kompaû ernst nehmen, dann ist das Konzil<br />
nicht im Sinn eines ¹non plus ultraª zu deuten, sondern als ein<br />
Richtungsanzeiger, der uns auf die richtige Spur setzt. Die Erklärung<br />
¹Dominus Jesusª hindert uns daran, wenn man sie genau liest und<br />
richtig interpretiert, in keiner Weise. Sie verläût nicht den Boden des<br />
Konzils. Die Interpretation, die ich dazu vorgetragen habe, und die<br />
zunächst zur Rechten und zur Linken Stirnrunzeln und die Frage<br />
ausgelöst hat, ob man dieser offenen Deutung trauen könne, hat inzwischen<br />
im wesentlichen breite Zustimmung gefunden.<br />
Die erste wichtige Grundentscheidung des Konzils war eine<br />
Selbstunterscheidung. Das Konzil hält zwar daran fest, daû die Kirche<br />
Jesu Christi in der katholischen Kirche subsistiert, d. h. konkret<br />
wirklich ist; aber die katholische Kirche setzt sich nicht mit der Kirche<br />
Jesu Christi identisch (LG 8; UR 3). Damit ist Spielraum für andere<br />
Kirchen und Kirchengemeinschaften, in denen die eine Kirche<br />
Jesu Christi in unterschiedlichen Graden wirklich ist. Damit ist auch<br />
Spielraum für einen Prozeû der purificatio, reformatio und innovatio<br />
± alles Begriffe, die sich in den Konzilstexten finden (LG 8; UR 3; 6) ±<br />
der katholischen Kirche. Das Konzil (UR 7), und noch deutlicher der<br />
gegenwärtige Papst (Ut unum sint, 15; 33±35), betonen ausdrücklich,<br />
daû es keine ökumenische Annäherung ohne persönliche wie strukturelle<br />
conversio und innovatio geben kann.<br />
Wohlgemerkt, es geht um Bekehrung zu Jesus Christus, und nicht<br />
um Konversion zu einer anderen Kirche oder Konfession; letzteres ist<br />
als persönliche Gewissensentscheidung zu achten, aber nicht das<br />
Ziel der Ökumene. Keine Kapitulation also vor der ecclesia reformanda<br />
et purificanda. Anders ausgedrückt: Es gibt nicht nur den<br />
Ökumenismus ¹ad extraª, es gibt als dessen Voraussetzung auch den<br />
Ökumenismus ¹ad intraª.