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1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas

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63 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 64<br />

des Empirismus ist. Wenn man es als Jh. der Methode bezeichnet, dann überdeckt<br />

eine solche Auskunft die tiefen Meinungsverschiedenheiten, die es in<br />

puncto Methode in diesem Jh. gab. Schlieûlich ist es auch problematisch, das<br />

17. Jh. ausschlieûlich unter dem Titel ¸Aufstieg der Wissenschaft oder ¸Kritik<br />

der überlieferten Religion abzuhandeln. Statt solcher Absolutsetzungen eines<br />

Grundzugs hält K. es für sinnvoller, von dominierenden Strömungen und charakteristischen<br />

Zügen der Philosophie des 17. Jh.s zu sprechen. Zu diesen rechnet<br />

er auch ¹die Diskreditierung der Autoritätª (12) sowie ¹ein starkes Interesse<br />

an Problemen der Metaphysik bzw. an solchen der heute so genannten theoretischen<br />

Philosophieª (13), das Fragen der praktischen Philosophie in den Hintergrund<br />

treten läût. K. äuûert sich in seiner Einleitung auch zum Problem der<br />

zeitlichen Abgrenzung. Selbst wenn er zugibt, daû die runden Jahreszahlen<br />

nicht einfach mit inhaltlichen Zäsuren der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte<br />

koinzidieren, so sieht er doch die Möglichkeit einer solchen<br />

Abgrenzung, denn es sei durchaus ¹sinnvoll, das 17. Jh. sowohl von der Renaissance<br />

als auch von dem nachfolgenden Jh. der Aufklärung abzugrenzen und als<br />

Epoche der frühneuzeitlichen Philosophie zu fassenª, in der sich nachdrücklich<br />

¹das moderne (Selbst-) Bewuûtsein (...) artikuliertª (14f) und auf<br />

den verschiedensten Betätigungsfeldern der Vernunft schlieûlich auch durchsetzt.<br />

Die einzelnen Beiträge des vorliegenden Sbdes sind so konzipiert, daû sie<br />

anhand von repräsentativen Philosophengestalten des 17. Jh.s zu verdeutlichen<br />

suchen, ¹auf welchen Gebieten, mit welchen argumentativen Mitteln<br />

und mit welcher Zielsetzungª (15) eine solche Artikulation geschieht. Eine eingehende<br />

Würdigung der einzelnen Beiträge ist in dem vorliegenden Rahmen<br />

nicht möglich. Der Rez. muû sich auf Schlaglichter beschränken.<br />

W. Krohn zufolge kann man Bacon nicht lesen, ohne an drängende Probleme<br />

der gegenwärtigen Gesellschaft zu denken. Denn bereits bei Bacon gehe<br />

es ¹um Fortschrittsorientierung und Traditionsverlust (...) um die Verzahnung<br />

von Wissenschaft und Industrie (. ..) um die fragwürdige Hoffnung, die materielle<br />

Not des Menschen durch Einsatz immer neuer Techniken zu bewältigenª<br />

sowie ¹um die Frage, wieweit der Mensch berechtigt ist, Herrschaft über die<br />

Natur auszuübenª (23). W. Kersting sieht die Bedeutung von Hobbes darin,<br />

daû er der politischen Philosophie der Neuzeit die Sprache gegeben hat. Hobbes'<br />

bleibende Modernität liegt für ihn ¹in der rechtfertigungstheoretischen Erfindung<br />

des Gesellschaftsvertragsª, denn in diesem ¹individualistische(n), egalitaristische(n)<br />

und prozeduralistische(n) Begründungsmodellª (66) komme bis<br />

heute das Selbstverständnis der politischen Moderne genuin zum Ausdruck. D.<br />

Perler rückt Descartes erkenntnistheoretische Leistung in den Mittelpunkt.<br />

Descartes, so schreibt er, ¹leitete die Überwindung des aristotelisch-scholastischen<br />

Erkenntnismodells zugunsten eines repräsentationalistischen Modells<br />

ein. Erkenntnis wurde nicht mehr als das Angleichen des Erkennenden an<br />

den Erkenntnisgegenstand aufgefaût, sondern als das Bilden und Erfassen von<br />

repräsentierenden Ideen.ª (88) R. Puster geht in seinem Beitrag von einer Dialektik<br />

in Lockes Denken aus, die darin bestand, daû er den Empirismus, um ihn<br />

auf einer tieferen Ebene seiner metaphysischen Fundierung vor dem Abgleiten<br />

in einen Idealismus zu retten, auf der Oberflächenebene seiner Durchführung<br />

mitunter verletzenª (111) muûte, und glaubt, daû sich nicht wenige der oft kritisierten<br />

Inkonsistenzen des ¸Essay auf diese Weise erklären lassen. Für W.<br />

Schmidt-Biggemann ist Pufendorf ¹ein wesentlicher Vertreter der politischen<br />

Philosophie an der Schwelle von Barock und Aufklärungª, dessen Verdienste<br />

¹in der Theorie und Theoriegeschichte des Staatsrechts, in naturrechtlich<br />

grundgelegter Ethik und Politik sowie in der Lehre von der religiösen Toleranz<br />

im Staateª (115) liegen. Im übrigen ist er der Meinung, es gebe ¹vor Kant keinen<br />

deutschen Politik- und Rechtstheoretiker, der einen vergleichbaren Einfluû auf<br />

die Entwicklung der Staatsphilosophie in Europa gehabt hätte wie Pufendorfª<br />

(ebd.). R. Schnepf sieht die Bedeutung Spinozas darin, daû dieser ¹gegen eine<br />

Theorie, die, vom menschlichen Selbstbewuûtsein ausgehend, den Menschen<br />

als Substanz deutet und ihm Willensfreiheit zusprichtª, eine Metaphysik stellt,<br />

¹die den endlichen Menschen konsequent aus dem ihm vorgegebenen Unbedingten<br />

deutetª (154). Dieser Ausgang von einer Theorie des Unbedingten ermögliche<br />

es ihm, perspektivische Verzerrungen zu vermeiden, zu denen der<br />

cartesische Ausgang vom endlichen Ich verführe. Für das Freiheitsproblem ergibt<br />

sich im Kontext des spinozistischen Ethikkonzepts: ¹Willensfreiheit<br />

kommt weder Gott noch dem einzelnen Menschen zuª (154). Allerdings steht<br />

und fällt Spinozas Ethik damit, daû sich der formale ontologische Rahmen, der<br />

mit den ersten Lehrsätzen der Ethik entworfen wird und Grund aller weiteren<br />

Argumentationen Spinozas bildet, als ¹der einzig vernünftige erweistª (155). R.<br />

Specht möchte dem Leser den Zauber der heute weithin vergessenen Philosophie<br />

Malebranches nahebringen, den noch der späte Kant für ¹eine der exemplarischen<br />

Gestalten der Philosophiegeschichteª (174) gehalten hatte, und<br />

skizziert anhand von Malebranches Werk ¹Recherche de la VØritت die ¹Umwandlung<br />

der Philosophie des Cartesianismus in eine Philosophie der Alleintätigkeit<br />

Gottesª (157). M. Carrier sieht die folgende Gemeinsamkeit ¹zwischen<br />

dem Newton der mathematischen Deduktion der Planetenbewegungen und der<br />

experimentellen Aufdeckung der Erscheinungen des Lichts einerseits und dem<br />

Newton der hermetischen, alchemistischen und bibelchronologischen Studien<br />

andererseitsª (196): Es ging Newton stets ¹um klare Erkenntnis, nicht um<br />

Schwärmerei und Obskurantismusª (ebd.). Auf sämtlichen Gebieten zeigte er<br />

¹die gleiche nüchterne, auf Vernunft und Erfahrung setzende Haltung, die das<br />

Bestreben erkennen läût, zunächst verwirrende und dunkle Befunde mit Sorgfalt<br />

und Sachverstand in eine durchsichtige Sprache zu übertragen und einsichtig<br />

werden zu lassenª (ebd.). Im Hintergrund steht dabei die Vorstellung,<br />

¹daû sich Gott sowohl in seinem (...) Wort als auch in seinem Werk äuûert<br />

und daû eine Erkenntnis des göttlichen Bauplans nur durch Verfolgen einer<br />

doppelsträhnigen, auf Textauslegung und Erfahrung setzenden Strategie gelin-<br />

gen kannª (ebd.). Für Th. Leinkauf hatte Leibniz schon früh drei zentrale metaphysische<br />

Intuitionen, die er in seinem Werk systematisch entfaltete. Als erstes<br />

nennt er hier die Individuations-Intuition, die besagt, daû alles Wirkliche ausschlieûlich<br />

als ein individuiertes, durchgängig bestimmtes und unverwechselbares<br />

Sein zu denken ist. Da aber alles, was ist, ¹nicht nur individuelle Substanzª<br />

ist, ¹sondern zugleich Teil eines Ganzenª und ¹die Welt als Inbegriff<br />

alles Seienden die Totalität solcher vollständig bestimmter (...) individueller<br />

Existenzen istª (ebd.), kann man zweitens von einer enzyklopädisch-kombinatorischen<br />

Einheitsintuition sprechen, die Leibniz der Individualitätsintuition<br />

zur Seite stellt. Schlieûlich ist ¹dieses aus individuellen Substanzen bestehende<br />

Ganze (. ..) ein in mikro- und makroskopischer Hinsicht unendliches<br />

und zugleich ins Unendliche bestimmtes Seinskontinuumª (199). Diese ebenfalls<br />

frühe Einsicht des Leibniz bezeichnet Leinkauf als Unendlichkeitsintuition.<br />

Im Fortgang der philosophischen Reflexion erschloû sich Leibniz Leinkauf<br />

zufolge ¹die tiefere Dimension und der unaufhebbare Zusammenhang der Intuitionen<br />

durch eine beharrliche Korrektur des gängigen Verständnisses von<br />

Substanzª (200). S. Neumeister betont, daû Bayle in seinem Kampf für die religiöse<br />

und politische Toleranz von einer Glaubenszuversicht getragen blieb und<br />

nicht etwa dem Skeptizismus oder dem Pessimismus anheimfiel. M. Albrecht<br />

schlieûlich verbindet die Würdigung von Thomasius als Begründer der deutschen<br />

Aufklärung mit einer kurzen Darstellung seines philosophischen Systems.<br />

Im ganzen vermittelt der Sbd durchaus einen Eindruck von der<br />

Bandbreite der Philosophie des 17. Jh.s, die sich eben nicht allein<br />

auf Vf. wie Hobbes und Locke oder Descartes, Spinoza und Leibniz<br />

beschränkt, die in diesem Zusammenhang meist genannt werden.<br />

Die einzelnen Beiträge erfüllen durchweg ihren Zweck und bieten<br />

auf engem Raum eine solide Einführung in das Denken zentraler Gestalten<br />

der Philosophie des 17. Jh.s, wenngleich in dem einen oder<br />

anderen Fall sicher auch andere Akzentuierungen denkbar gewesen<br />

wären. So betont etwa Perler in seinem Beitrag v.a. die Bedeutung der<br />

cartesischen Philosophie für die Entwicklung der neuzeitlichen Erkenntnistheorie,<br />

man hätte aber genausogut, wie K. es in seiner Einleitung<br />

auch tut, darauf abheben können, daû Descartes ¹v.a. einer<br />

der groûen Metaphysikerª (17) ist. Der Vermutung Krohns, daû die<br />

moderne Gesellschaft vielleicht tiefer in den Baconismus verstrickt<br />

sei als in jede andere Philosophie, kann man mit Henrich entgegenhalten,<br />

daû die moderne Grunderfahrung vielschichtig ist und unter<br />

vielerlei Aspekten betrachtet werden kann. Henrich wendet sich daher<br />

gegen eine Überbewertung des Baconismus, ohne dessen Bedeutung<br />

freilich leugnen zu wollen. Der Feststellung des Hg.s, daû man<br />

Schwierigkeiten habe, das Proprium der neuzeitlichen Philosophie<br />

exakt zu bestimmen, wird man gewiû zustimmen können. Auch sein<br />

eigener Versuch, das Proprium speziell der Philosophie des 17. Jh.s<br />

zu bestimmen, zeugt von dieser Schwierigkeit. Denn der Hinweis<br />

auf verschiedene dominierende Strömungen und charakteristische<br />

Züge der Philosophie des 17. Jh.s versucht, gewissermaûen aus der<br />

Not, daû sich für diesen Zeitraum eine griffige Formel nicht finden<br />

läût, eine Tugend zu machen. Selbst wenn man für die Herausbildung<br />

des modernen Bewuûtseins noch andere Theorietraditionen bemüht<br />

als die Philosophie des 17. Jh.s, wird man K. doch zweifellos darin<br />

zustimmen können, daû die eigentlich neuzeitliche Philosophie im<br />

17. Jh. beginnt.<br />

Frankfurt/Main Hans-Ludwig Ollig<br />

Philosophische Disziplinen. Ein Handbuch, hg. v. Annemarie P i e p e r. Leipzig:<br />

Reclam 1998. 479 S. (Reclam-Bibliothek, 1643), kt DM 25,00 / e 12,78<br />

ISBN: 3±379±01643±8<br />

Dieses Handbuch behandelt 20 philosophische Disziplinen und<br />

beinhaltet neben einem Vorwort ein Personen- und Sachregister sowie<br />

Angaben zu den Vf.n. Da die Beiträge zu den einzelnen Disziplinen<br />

¹einfach nurª alphabetisch angeordnet sind, folgt die Grundkonzeption<br />

dieses Werkes offensichtlich dem Programm ¹Philosophie als<br />

Enzyklopädieª: Enzyklopädie verstanden als ein Projekt, in dem ¹unter<br />

den Bedingungen des Pluralismus mögliche Welten koexistieren<br />

und scheinbar chaotische Vielheit in eine Einheit gebracht wird, die<br />

nicht von dem Einen beherrscht istª (Sandkühler). Diese Schluûfolgerung<br />

hinsichtlich des Ansatzes dieses Werkes drängt sich bei aller<br />

Vorsicht (ex nihilo nihil sequitur) auf, auch wenn oder gerade weil<br />

keine tiefergehenderen Reflexionen geboten werden über das jeweils<br />

Philosophische all dieser Fächer gegenüber der einzelwissenschaftlichen<br />

Forschung oder über ein derzeit nicht mehr zu etablierendes<br />

Philosophie-System im alten Sinne, wie es der ¹Neu-Thomismusª<br />

vielleicht als letztes im 20. Jh. war.<br />

Die einzig erkennbare Zuordnung der einzelnen Disziplinen, von der die<br />

Hg.in im Vorwort spricht, ist eine eher äuûerliche Dreiteilung: Erstens gibt es<br />

alte Disziplinen wie die Ethik (Pieper, Basel), die Logik (Stuhlmann-Laeisz,

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