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1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas

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67 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 68<br />

chen (21±25). Diese Perspektive wird aber zunächst nicht weiterverfolgt, sondern<br />

einer Reflexion zum Metaphysikbegriff nachgeordnet, die auf die kontrastive<br />

Darstellung der Metaphysikkritik Derridas zielt. Präzise wird hier die<br />

Kritik am binär-hierarchischen Denken der traditionellen griechischen<br />

Metaphysik sowie die damit verbundene Unterordnung der Absenz unter die<br />

Präsenz, der Materialität der Sprache unter den Logos und folglich der Schrift<br />

unter das gesprochene Wort vorgestellt (30ff). Anschlieûend wird intensiv auf<br />

die Spezifika der Dekonstruktion eingegangen: die Spur (43ff), die diffØrance<br />

(50ff), die Auseinandersetzung Derridas mit Husserls Phänomenologie des<br />

inneren Zeitbewuûtseins (55ff) sowie das umstrittene Verhältnis der Dekonstruktion<br />

zur Hermeneutik (59ff). Diese Ausführungen geben Einblick in die<br />

zentralen Motivationen und Motive der Dekonstruktion, wie Derrida sie u. a.<br />

in Anlehnung an Heidegger und Husserl entwickelt hat.<br />

Im zweiten Hauptteil der Arbeit erörtert V. das Verhältnis Derridas zum Judentum.<br />

Hierbei geht er im besonderen auf Selbstaussagen Derridas (75±86),<br />

auf die Auseinandersetzung Derridas mit den ebenfalls jüdischen Vf.n E. LØvinas,<br />

P. Celan und E. Jab›s (87±118) sowie auf das Schriftverständnis der Rabbiner<br />

und des Talmud (119±148) ein. Im Mittelpunkt dieses Groûkapitels steht<br />

zum einen die Erfahrung von Alterität, Ausgrenzung und Beschneidung als<br />

Kontrapunkt zum griechischen Einheits-, Ursprungs- und Präsenzdenken und<br />

dem damit verbundenen Subjektbegriff, wobei insbesondere die ethischen<br />

Implikationen der Differenz, Alterität und Spur hervorgehoben werden. Zum<br />

anderen werden der spezifisch jüdische Schriftbegriff und die daraus resultierende<br />

Interpretationsweise erläutert, um deren deutliche Nähe zum Konzept<br />

der diffØrance aufzuzeigen.<br />

Schlieûlich korreliert V. im dritten und zentralen Hauptteil die Dekonstruktion<br />

mit der griechisch-christlichen Tradition Negativer Theologie. Nach einer<br />

Abgrenzung der Negativen Theologie von Formen der Mystik (152ff) und im<br />

Anschluû an einen Exkurs zum Bilderverbot im Ersten Testament (155ff) sowie<br />

bei Kant (159ff) und Adorno (161ff) wird die Negative Theologie Dionysios<br />

Areopagitas und Meister Eckharts in ihren Grundzügen vorgestellt (166±176).<br />

Vor dem Hintergrund dieser Form Negativer Theologie und in bezug auf zwei<br />

ausführliche Stellungnahmen Derridas zur Negativen Theologie, nämlich Wie<br />

nicht sprechen. Verneinungen (117±191) und Auûer dem Namen (Post-Scriptum)<br />

(191±209), versucht V. die Dekonstruktion als Form negativer Theologie<br />

zu präsentieren (177ff) bzw. die Negative Theologie als Dekonstruktion affirmativer<br />

Theologie auszuweisen (183). Er betont, daû es nur eine bestimmte Tradition<br />

der Negativen Theologie sei, welche dem Derridaschen Denken nahestehe<br />

und einen neuen Modus des Sprechens (über Gott) etabliere (178f/213), nämlich<br />

die jenseits einer binären Logik und letzten Affirmation befindliche Negative<br />

Theologie Dionysios Areopagitas und Meister Eckhards.<br />

Hinsichtlich der Frage nach Übereinstimmungen zwischen Dekonstruktion<br />

und Negativer Theologie ergeben sich v.a. bei der Lektüre von Wie nicht sprechen<br />

allerdings diverse Verkürzungen, die nicht unproblematisch sind. Daû in<br />

der Tat die Dynamik der Negation und endlosen Verschiebung in ihrem gleichzeitigen<br />

Mangel und Überschuû eine Transzendenzerfahrung markiert, welche<br />

theologische Implikationen zuläût, gesteht Derrida durchaus zu. Diese Tatsache<br />

wird aber weniger zum Anlaû genommen, die möglichen Affinitäten zu<br />

bestätigen und so einer Parallelisierung von Negativer Theologie und Dekonstruktion<br />

Vorschub zu leisten. Im Gegenteil wird eben diese Möglichkeit als<br />

das eigentliche Problem aufgefaût, das es zu unterminieren gilt, um eindeutige<br />

Kategorisierungen zu verunmöglichen. Verfehlt V. nicht die eigentliche Intention<br />

Derridas, indem er die luzide Textstrategie von Wie nicht sprechen auûer<br />

acht läût? Derridas Aufsatz handelt nämlich nicht (nur) vom Problem des ¹Wie<br />

nicht sprechenª (von Gott) der Negativen Theologie und Dekonstruktion, sondern<br />

auch davon, wie er (Derrida) es vermeiden könne, von jenen unterstellten<br />

Parallelen zwischen der griechisch-christlichen Tradition der via negativa und<br />

seinem eigenen Denken, also der Dekonstruktion und einer jüdisch-arabischen<br />

Tradition, zu sprechen, um so vielmehr eine subversive ¹Leereª oder ¹Wüsteª<br />

in den griechisch-christlichen Diskurs einzuführen. Derrida nimmt mit Wie<br />

nicht sprechen keineswegs (explizit) Stellung, sondern er dekonstruiert und<br />

verschiebt diese Stellungnahme permanent, um nicht zu sprechen. Sein Aufsatz<br />

generiert sich nicht primär als Kommentar zur Negativen Theologie, sondern<br />

± wie in anderen Texten Derridas auch ± als Dekonstruktion in praxi, welche<br />

die dekonstruktiven Strategien thematisiert und zugleich durchführt.<br />

Aus dieser Auslassung resultiert ein Defizit: V. geht nicht auf das<br />

zentrale Motiv der Khora ein. So kommt er zu dem problematischen<br />

Schluû, Derrida habe einen ¹radikalisierten Begriff Negativer Theologieª<br />

entwickelt (213), während die eigentlichen Differenzierungen<br />

und Entwürfe Derridas hinsichtlich eines Denkens der diffØrance,<br />

Spur und Khora unberücksichtigt bleiben.<br />

Insgesamt kann V.s Buch aufgrund der breiten Einführung in die<br />

Biographie und das Werk Derridas jedoch als eine erhellende und<br />

viele Perspektiven aufzeigende Arbeit gewertet werden, die v.a. einen<br />

wichtigen theologischen Annäherungsversuch darstellt, um die<br />

noch immer bestehenden Vorbehalte der Theologie gegenüber Derrida<br />

und dem Poststrukturalismus insgesamt abzubauen und die Basis<br />

für eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung zu schaffen.<br />

Gleichwohl scheint sich V. nicht radikal auf Derridas Denken eingelassen<br />

zu haben, da er dessen Intention einem ± bei aller Vorläufigkeit<br />

± Streben nach Identität und Kontinuität zuordnet (50) und Derrridas<br />

Thesen dahingehend würdigt, den ¹Wert von Nichtverstehen positiv<br />

zu denken, nämlich als Wahrung des Geheimnissesª (63), statt die<br />

zuvor geschilderten Aspekte und Konsequenzen der Dekonstruktion<br />

in ihrer Radikalität wahrzunehmen. So erscheint die Dekonstruktion<br />

ausschlieûlich als Kritik an einem totalisierenden und vereinnahmenden<br />

Denken, ohne die am Motiv der diffØrance illustrierte konstitutive<br />

Unmöglichkeit eindeutigen und endgültigen Verstehens (theologisch)<br />

zu bedenken, welche die gesamte Theoriebildung und philosophische<br />

Rede affiziert.<br />

Vor dem Hintergrund einer ¹radikalisierten Grundsituationª für<br />

eine Theologie der späten Moderne (15), die insbesondere durch<br />

Auschwitz markiert ist, bleibt zudem das theologische Grundkonzept<br />

V.s schwierig, da er verkennt, daû die Negativität der Gottesrede und<br />

die Gotteskrise unserer Zeit nicht (nur) in einem unzulänglichen oder<br />

aber totalisierenden Zugriff auf Gott begründet sind (20/244), sondern<br />

in der Erfahrung einer radikalen Gottverlassenheit, die vielleicht<br />

nur noch ein ¹Gott vermissenª zu artikulieren vermag. Daû<br />

angesichts dieser Gotteskrise und mit Derrida gefragt werden soll,<br />

wie man die Abwesenheit Gottes positiv(!) denken könne, ist nicht<br />

einsichtig; noch weniger aber jene angebliche, die christologische<br />

Perspektive abschlieûend erneut verstärkende ¹Notwendigkeit, Gott,<br />

wenn personal, dann trinitarisch zu denkenª (255).<br />

Die im einzelnen sehr interessante Untersuchung zu Derrida zielt<br />

letztlich immer wieder darauf ab, das logozentrismuskritische Denken<br />

Derridas wie auch die mit ihm in Verbindung zu bringende jüdische<br />

Tradition (Erfahrung des Bruchs und der Andersheit, spezifische Gottesrede,<br />

Thora- und Textverständnis, Zimzum) in einen spezifisch<br />

christlichen Rahmen einzubinden, statt sich gerade der Differenzen<br />

bewuût zu werden und diese als Anfragen an die Theologie zu formulieren.<br />

Auch ist an dieser Stelle zu bedenken, daû V. nicht explizit<br />

unterscheidet zwischen Bilderverbot und Negativer Theologie. Vom<br />

biblischen Bilderverbot ausgehend wäre ihm die dezidiert geschichtliche<br />

Dimension erkenntnistheoretischen Fragens sicher deutlicher<br />

geworden. Der christozentrische Einschlag und die Suche nach Gemeinsamkeiten<br />

drohen somit das wichtige Anliegen der Vermittlung<br />

zwischen Theologie und Dekonstruktion sowie christlichem und jüdischem<br />

Denken zu relativieren. Die Arbeit oszilliert letztlich unentschieden<br />

zwischen dekonstruktiver Nichtidentität und christlichtheologischem<br />

Sicherungsbedürfnis, statt sich der Negativität ± auch<br />

jenseits sprachlicher und totalitätskritischer Aspekte ± theologisch zu<br />

stellen. Gleichwohl schmälert die hier geäuûerte Kritik nicht die Leistung<br />

V.s, sondern sie will im Gegenteil und im besten Sinne des Wortes<br />

auf die Kritikwürdigkeit dieser Diss. aufmerksam machen.<br />

Münster Michaela Willeke / Jürgen Manemann<br />

Sozialwissenschaften<br />

Zukunftsfähigkeit der Theologie. Anstöûe aus der Soziologie Franz-Xaver<br />

Kaufmanns, hg. v. Karl G a b r i e l / Johannes H o r s t m a n n / Norbert M e t t e .<br />

± Paderborn: Bonifatius 1999. 170 S. (Einblicke, 2) kt DM 29,80 / e 15,23<br />

ISBN: 3±89710±056±8<br />

Dieser Bd (Nr. 2 einer neuen Reihe der Katholischen Akademie<br />

Schwerte, ¹Einblickeª) dokumentiert ein Symposion, das die Akademie<br />

Schwerte anläûlich des 65. Geburtstags von Franz-Xaver Kaufmann<br />

veranstaltet hat. Eingeleitet wird das Buch von dem profiliertesten<br />

Schüler Kaufmanns, dem Münsteraner Sozialethiker und Religionssoziologen<br />

Karl Gabriel, der das Thema des Bdes angeht, indem er<br />

¹Anstöûe aus der Soziologie Franz-Xaver Kaufmannsª ins Spiel<br />

bringt, jenes Religionssoziologen, der (da die katholische Kirche<br />

kein eigenes pastoralsoziologisches Institut besitzt) für Deutschland<br />

gewissermaûen zur Institution geworden ist. Besonders interessant<br />

ist in diesem Beitrag auch eine Auflistung der Themenbereiche, die<br />

nach Hermann J. Pottmeyer die theologische Dimension der Arbeit<br />

Kaufmanns charakterisieren, eine Auflistung, der Gabriel zustimmend<br />

folgt. Am Ende dieses Abschnitts bietet der Vf. eine Übersicht<br />

über die Beiträge des Buches und charakterisiert diese kurz: Karl Lehmann,<br />

¹Religion als Privatsache und als öffentliche Angelegenheit.<br />

Die Kirche in pluralistischer Gesellschaftª, Trutz Rendtorff, ¹Theologie<br />

als Kulturwissenschaftª, Peter Hünermann, ¹Theologie als<br />

Kulturwissenschaft. Inkulturation im Horizont der Christentumsgeschichte<br />

zwischen Anerkennung und Transformationª, Johannes<br />

A. von der Ven, ¹Theorie der Kirche. Zwischen sozialwissenschaftlicher<br />

Empirie und theologischer Ekklesiologieª, Hermann J. Pottmeyer,<br />

¹Theorie der Kirche zwischen sozialwissenschaftlicher Empirie<br />

und theologischer Ekklesiologie. Fundamentaltheologische Überlegungen<br />

und Anfragenª, Hermann Steinkamp, ¹Belastbare Solidari-

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