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1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas

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55 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 56<br />

nun vorliegt. Angekündigt sind Bde über Altertum und Frühmittelalter<br />

(Bd l, ebenfalls vom Hg.), das Reformationszeitalter (Bd 3: A.<br />

Burkardt), das Zeitalter des Konfessionalismus (Bd 4: K. v. Greyerz),<br />

die Periode von 1750±1900 (Bd 5: M. Pammer). Bd 6 über das 20. Jh.<br />

ist offenbar noch nicht vergeben.<br />

Der stattliche, auf schweres Papier gedruckte Bd 2 enthält neben dem Text<br />

53 Schwarzweiû-Abb. sowie auf 20 S. in der Mitte hervorragend reproduzierte<br />

Farbtafeln. Ein umfangreicher Anmerkungsteil (396±488), der Bildnachweis,<br />

30 S. Bibliographie sowie ein nach Personen, Orten, Titeln und Sachen unterteiltes<br />

Register bilden den wissenschaftlichen Apparat. Der Inhalt gliedert sich<br />

in einen historischen und einen ¹phänomenologischenª Teil; ersterer ist nochmals<br />

unterteilt in ¹Hochmittelalterª (Investiturstreit bis Auftreten der Bettelorden)<br />

und ¹Spätmittelalterª. Daniel Krochmalnik hat einen (vergleichsweise)<br />

kurzen Aufsatz über die ¹askenasische Spiritualitätª am Ende des Textteils beigesteuert<br />

(376±396).<br />

Im ersten Teil skizziert der Vf., der sich der Schule Friedrich Heilers<br />

verpflichtet weiû, die politischen, religiösen und theologischen<br />

Komponenten der frömmigkeitsgeschichtlich auûerordentlich und<br />

auûergewöhnlich reichen Epoche, die den Nachfahren oft nostalgisch<br />

als die goldene Zeit des Christentums erscheint. In der Tat werden<br />

damals alle Existenzfragen unter geistlichem Gesichtspunkt wie gestellt<br />

so beantwortet. Die Menschen leiten dabei kaum die von der<br />

sich gerade ausbildenden wissenschaftlichen Theologie erstellten<br />

Kriterien, Normen und Vorgaben als vielmehr die vornehmlich emotional<br />

aufgefüllte Erfahrung des Numinosum, des Heiligen und Göttlichen<br />

also. Von Anfang an macht D. freilich unmiûverständlich klar:<br />

Nicht alles ist das Gold lauterer christlicher Spiritualität, was uns in<br />

der Gegenwart aus der damaligen Epoche so glanzvoll erscheint.<br />

Werke der Frömmigkeit waren nicht selten erzwungen, ihre Ableistung<br />

wurde kontrolliert (die Inquisition kommt auf, die Hexen werden<br />

verbrannt, die Ketzer um ihres ewigen Heiles willen zeitlichen<br />

Feuerqualen unterworfen); gewöhnlich war (nicht nur seinerzeit)<br />

geldlicher Profit damit herauszuschlagen durch die Verwalter des<br />

geistlichen Lebens. Hinter allem stand eine existentielle Angst, die<br />

zwar von den Organisatoren der Spiritualität ausgenutzt wurde, der<br />

sie aber selber nicht minder unterworfen waren. Der zweite Teil füllt<br />

mit staunenswerter Abundanz den historischen Rahmen aus. Nahezu<br />

alle denkbaren Bereiche des geistlichen Lebens werden anhand der<br />

literarischen und künstlerischen Quellen wenigstens paradigmatisch<br />

so ausgeleuchtet, daû nahezu kein Phänomen unerwähnt bleibt, welches<br />

sachdienlich wird. Unter dem Titel ¹Vorstellungsweltª etwa<br />

werden die wesentlichen Impulse aus Gotteslehre, Eschatologie,<br />

Geschichtstheologie, Sakramententheologie, Psychologie, Realienkunde<br />

(Waffen, Kleidung, Pflanzen, Tiere usw.) erörtert. Ein eigenes<br />

Kap. ist der Anthropologie reserviert mit den Stichworten Charismatik,<br />

Amtsheiligkeit, heilige Gemeinschaften, Zauberer etc. Die dank<br />

des flüssigen Stils und der hervorragenden didaktischen Vermittlung<br />

des immensen Materials an jeder Stelle anregende (nicht selten auch<br />

aufregende) Lektüre gibt Einblick in mittelalterliche Passageriten,<br />

Mariodulie, Tabuzeiten, apotropäische Riten, die do-ut-des-Mentalität,<br />

die Sakrallandschaften ± es können nur einige ganz wenige jener<br />

Themen herausgegriffen werden, über die man kundig informiert<br />

wird. Das ¹Handbuchª beschränkt sich bei den Recherchen nicht<br />

nur auf die orthodoxe Religiosität, sondern wirft an den entscheidenden<br />

Stellen wenigstens einen kurzen Blick auf die devianten Formen<br />

des Christentums. Besonderen Dank verdient der Exkurs über die<br />

Spiritualität der deutschen Juden in der behandelten Epoche (D.<br />

Krochmalnik), von der auch der theologisch instruierte Normalleser<br />

höchst wenig Ahnung hat, die aber im untersuchten Raum sehr wohl<br />

nachhaltig gewirkt hat.<br />

D.s Blick auf die mittelalterliche Frömmigkeitslandschaft ist durchgehend<br />

sehr kritisch. Immer wieder deckt er aus der Sicht des postmodernen Religionswissenschaftlers<br />

Bedenklichkeiten, Abnormitäten und Abstrusitäten auf,<br />

nennt die Machtmiûbräuche bei Namen, demaskiert hohles Pathos. Was entzaubert<br />

werden kann, wird entzaubert. Das kann alles prinzipiell nicht nochmals<br />

der Kritik unterworfen werden. Wenn beispielsweise kolportiert wird,<br />

daû Maria ihren Sohn von der Gicht geheilt hat (!), weil sie allein über die dessen<br />

mächtigen Engel gebietet ± übrigens nicht ohne sich vorher den halben<br />

Himmel und die halbe Erde als Einfluûsphäre zu sichern ±, dann ist das auch<br />

von innertheologischen Kriterien der damaligen Zeit her abzulehnen (vgl. 145<br />

f). Gleichwohl überkommt einem beim Studium des Werkes ein ungutes Gefühl:<br />

Kann man wirklich und (v. a.) wahrhaftig die mittelalterliche Religiosität<br />

mehr oder weniger total unter dem Lemma Kuriositäten abheften ± dieser Eindruck<br />

drängt sich immer wieder auf? Steht nicht hinter den Unbeholfenheiten<br />

und Mangelhaftigkeiten der Gottesverehrung auch und nicht an letzter Stelle<br />

ein Wissen um die konstitutive Relation des Menschen zum erschaffenden<br />

und erlösenden Gott? Und vermittelte sie bei aller Bedenklichkeit in den Formen<br />

und Gestalten, die wir heute unterdrücken nicht können und nicht wollen<br />

müssen, nicht vielleicht doch ein später kaum mehr erfahrbares Sensorium für<br />

die Geborgenheit des homo religiosus in und bei seinem Gott? Es soll nicht behauptet<br />

werden, daû sich das ¹Handbuchª dessen gar nicht bewuût ist; man<br />

wünschte sich trotzdem eine deutlichere Akzentuierung des Faktenbestandes<br />

auch in diese Richtung. Daû ein so tatsachenreiches und materialgefülltes Buch<br />

den einen oder anderen sachlichen und dokumentarischen Fehler nicht vermieden<br />

hat, kann ernstlich nicht angekreidet werden. Am störendsten erweisen<br />

sich die gelegentlichen Lakunen in der bibliographischen Dokumentation<br />

(Wie heiût das Werk von Maschek wirklich?: 424, Anm. 406). Ein Manko, das<br />

nicht verhehlt werden darf, ist der Mangel eines Glossars in der Weise, wie es<br />

der Beitrag von D. Krochmalnik musterhaft anbietet. D. gebraucht eine Reihe<br />

von (meist volkskundlichen) Termini, die nicht ausreichend eingeführt werden.<br />

Was, exempli gratia, ist ein ¹Atzmannª (317) oder ein ¹Bilwisª (146, 165)?<br />

Mit solchen Ausstellungen kann und soll die eminente Leistung<br />

nicht geschmälert werden, die der Vf. erbracht hat. Nicht nur die<br />

Frömmigkeitsgeschichte und die Volkskunde, auch die Dogmengeschichte,<br />

die Geschichte von Pastoral und Katechese profitieren<br />

von diesem Buch, das alle Anzeichen vermittelt, daû mit dem ¹Handbuch<br />

der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raumª ein Standardwerk<br />

im Werden ist, auf das man zukünftig nicht verzichten können<br />

wird. Wir wünschen uns ein unverzügliches Erscheinen der anderen<br />

fünf Bde!<br />

Pentling Wolfgang Beinert<br />

Huxel, Kirsten: Die empirische Psychologie des Glaubens. Historische und<br />

systematische Studien zu den Pionieren der Religionspsychologie. ± Stuttgart:<br />

W. Kohlhammer 2000. 448 S., kt DM 79,80 / e 40,80 ISBN:<br />

3±17±016301±9<br />

Versammeln sich im disparaten Feld ¹Religionspsychologieª zwei<br />

Disziplinen, Psychologie und Theologie, oder nicht eher Vertreter aus<br />

(mindestens) zwei Fächerspektren, aus vielerlei Psychologien im akademischen<br />

und klinisch-therapeutischen Feld einerseits und aus<br />

dem Spektrum konfessioneller Theologien sowie vergleichender Religionswissenschaften<br />

andererseits? In welchem Frage- und Deutehorizont<br />

bestimmen sie den Gegenstand von ¹Religionspsychologieª,<br />

das subjektive religiöse (Er-)Leben, und ihre Forschungsmethoden?<br />

Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Fragen sind aufs engste<br />

verknüpft; ihre Behandlung hängt ab von den Optionen der Forschenden<br />

und, im Falle interdisziplinären Dialogs, der Dialogpartner.<br />

An sie richten sich für verantwortete Forschung und Rezeption notwendig<br />

epistemologische und hermeneutische Ansprüche, die sich<br />

in diesem interdisziplinären Feld idealiter aus philosophischer, theologischer<br />

und psychologischer Sachkenntnis speisen. Von der Theologie<br />

ist ein selbstbewuût stimulierender, kritisierender und integrierender<br />

philosophisch-theologischer Beitrag gefordert samt Fragen<br />

nach dem epistemischen Status vorgetragener Ergebnisse, leitenden<br />

Vorverständnissen wie anthropologischen Prämissen und deren Ausgewiesenheit<br />

wie Legitimität (vgl. z. B. K. Demmer, Fundamentale<br />

Theologie des Ethischen, Freiburg 1999, 109±116).<br />

Kirsten Huxel legt in ihrer Diss. im Fach Systematische Theologie<br />

an der Ev.-Theol. Fak. in Tübingen einen theol. Beitrag von exemplarischer<br />

Qualität zu den Arbeiten amerikanischer Pioniere der Religionspsychologie<br />

vor. Ihr Doktorvater E. Herms hatte über William<br />

James habilitiert (Radical Empiricism. Studien zur Psychologie, Metaphysik<br />

und Religionstheorie William James', Gütersloh 1977). An<br />

dessen empiristischem Werk stellte er die ¹Unverzichtbarkeit der Metaphysik<br />

für die szientifische Arbeit in einem mehrfachen Sinneª<br />

(ebd. 290) heraus und betonte: ¹Ohne einen reinen ¸Normbegriff<br />

von Religion bekommt keine empirische Untersuchung Religiosität<br />

auch nur in den Blickª (ebd. 292).<br />

So geschult kritisiert H., ¹daû die Religionspsychologie (. . .) bis heute weder<br />

eine gründliche Bestandsaufnahme ihrer eigenen historischen Ursprünge<br />

vorgelegt hat noch zu einer überzeugenden Klärung ihrer wissenschaftstheoretischen<br />

Grundlagen, und damit auch ihrer Verhältnisbestimmung zur Theologie,<br />

vorgestoûen istª (27). Als Beitrag gegen diese historischen und systematischen<br />

Mängel bearbeitet H. die Lebenswerke von James' Zeitgenossen, die<br />

¹empirischenª Religionspsychologien Granville Stanley Halls (1844/46±1924;<br />

S. 33±174), James Henry Leubas (1868±1946; S. 175±295) und Edwin Diller<br />

Starbucks (1866±1947; S. 296±413). Hall ist bis heute durch seine Einladung<br />

an S. Freud und C. G. Jung zu ihrem für die Psychoanalyse historischen Besuch<br />

von 1909 in die USA an die von ihm mitaufgebaute Clark-Univ. bekannt. Hier<br />

arbeiteten in den 1890er Jahren sowohl Leuba als auch Starbuck zeitweise bei<br />

ihm. Sie übernahmen auf je eigene Weise sein von der amerikanischen Erwekkungsbewegung<br />

stimuliertes Interesse an Bekehrungserfahrungen und die Hervorhebung<br />

der Adoleszenz für die religiöse Entwicklung der Persönlichkeit<br />

(Halls ¹Adoleszenztheseª). Ehrgeizig reklamierten alle drei gegeneinander<br />

und gegen W. James für sich, die empirische Religionspsychologie begründet

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