1902±2002 - Universidad Pontificia Comillas
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11 2002 Jahrgang 98 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 1 12<br />
zeptionsprozeû. In diesem Zusammenspiel ist die Freiheit des Geistes<br />
gewahrt. Im Hören auf die eine Instanz muû man darum jeweils<br />
die anderen mithören und alle zusammen hören. Die Wahrheit ist<br />
nicht monoton, sondern ± wie Hans Urs von Balthasar formulierte ±<br />
symphonisch.<br />
Johann Adam Möhler hat diesen Sachverhalt so ausgedrückt:<br />
¹Zwei Extreme im kirchlichen Leben sind aber möglich; sie sind:<br />
wenn ein jeder oder wenn einer alles sein will; im letzteren Fall<br />
wird das Band der Einheit so eng und die Liebe so warm, daû man<br />
sich des Erstickens nicht erwehren kann; im ersteren fällt alles auseinander,<br />
und es wird so kalt daû man erfriert; der eine Egoismus erzeugt<br />
den anderen; es muû aber weder einer noch alle alles sein wollen;<br />
alles können nur alle sein, und die Einheit aller nur ein Ganzes.<br />
Das ist die Idee der katholischen Kircheª (Die Einheit in der Kirche,<br />
237).<br />
Die katholische Identität ist also etwas Ganzheitliches; sie ist<br />
keine beliebige Verfügungsmasse; aber sie ist eine geschichtlich offene<br />
Identität, entwicklungsfähig in dem Sinn wie John Henry<br />
Newman das in seinem ¹Essay on the Development of Christian Doctrineª<br />
(1845) gezeigt hat, nämlich in der Spannung von bleibendem<br />
Wesen und geschichtlicher Gestalt, durchhaltendem Typos und dessen<br />
geschichtlicher Ausprägung. Das gilt in ähnlicher Weise für alle<br />
Kirchen.<br />
Die Gruppe von Dombes hat in einem 1991 veröffentlichten Text<br />
darauf hingewiesen, daû solche geschichtlichen Prozesse jeweils Prozesse<br />
der Umkehr und der Erneuerung sein müssen. Ihr Dokument<br />
trägt den Titel: ¹Pour la conversion des Eglisesª, ¹Für die Umkehr<br />
der Kirchen. Identität und Wandel im Vollzug der Kirchengemeinschaftª.<br />
Die entscheidende These lautet: ¹Unter konfessioneller Umkehr<br />
verstehen wir das ökumenische Bemühen, durch das eine christliche<br />
Konfession ihr eigenes Erbe reinigt und bereichert mit dem Ziel,<br />
die volle Kirchengemeinschaft mit den anderen Konfessionen wiederzufindenª<br />
(40).<br />
Selbstverständlich ist die volle Kirchengemeinschaft nicht ein<br />
Ziel in sich. Alle sollen eins sein, ¹damit die Welt glaubeª (Joh 17,21).<br />
Der Prozeû kirchlicher Erneuerung und Annäherung soll die Kirche<br />
befähigen, sich gemeinsam den Fragen der Gerechtigkeit und des<br />
Friedens in der Welt sowie dem Gespräch mit anderen Religionen zuzuwenden.<br />
Das sind überaus drängende Probleme; sie müûten jedoch<br />
eigens behandelt werden.<br />
Was aus der metanoia und anakainosis der Umkehr und Erneuerung,<br />
am Ende hervorgehen wird, kann man nicht a priori am grünen<br />
Tisch festlegen. Die Eule der Minerva beginnt nach Hegel erst in der<br />
Abenddämmerung, also post festum und a posteriori, ihren Flug. Als<br />
Katholiken sind wir überzeugt, daû sich der Grundtypos des Katholischen<br />
in gereinigter, bereicherter und gewandelter Form durchhal-<br />
Was und wer waren im Jahre 1900 hier in Münster die Universität,<br />
die Studenten und Professoren? Wer und was auch die Stadt Münster<br />
und überhaupt der deutsche Katholizismus?<br />
Die Universität gab es, als das erste Heft der Revue erschien, noch<br />
nicht. Noch war es eine ¹Königliche Akademieª mit gerade zwei Fakultäten,<br />
der philosophisch-philologischen und der katholisch-theologischen.<br />
Aber die Zahl der Studenten hatte die 500 überstiegen,<br />
und so durfte sich die ¹Königliche Akademieª zum 1. Juli 1902, also<br />
im Gründungsjahr unserer Revue, die Bezeichnung Universität zulegen.<br />
Seine Majestät, Wilhelm II., geruhte 1907 sogar, den Titel Westfälische<br />
Wilhelms-Universität zu gewähren. 1905 wurde die medizinische<br />
Fakultät gegründet und 1914 die evangelisch-theologische Fakultät.<br />
Die Stadt Münster war in einem sprunghaften Wachstum, nämlich<br />
von 1890 knapp 50 000 Einwohnern auf 1910 gut 90 000, also in 20<br />
Jahren fast verdoppelt. Die Stadt war jung im demographischen Profil<br />
und weitaus überwiegend katholisch, mit 1910 zu über 80 Prozent<br />
Katholiken. Politisch-mental stimmte die Stadt nach 1900 in den allgemeinen<br />
Wilhelminismus ein. Beim Kaiserbesuch 1907 erscholl der<br />
* Kurzvortrag zu den Gründungsjahren, gehalten am 1. 2. 2002 in der Aula<br />
des Schlosses zu Münster, anläûlich des 100jährigen Bestehens der Theologischen<br />
Revue.<br />
Hundert Jahre ¹Theologische Revueª *<br />
Arnold Angenendt<br />
ten wird. Ich halte aber wenig von Sandkastenspielen mit konkreten<br />
Modellen künftiger Einheit. Da sollten wir dem Geist Gottes Spielraum<br />
lassen, er ist immer wieder für Überraschungen gut. Wir sollten<br />
das hier und heute Mögliche tun. Auch kleine Schritte führen voran.<br />
VI. Einige Konkretionen<br />
Bei der letzten Vollversammlung des Päpstlichen Einheitsrates im<br />
vergangenen November haben wir die These aufgestellt, daû der Ökumenismus<br />
in der Wahrheit und der Liebe noch mehr zu einem Ökumenismus<br />
des Lebens werden muû. Wir haben das diesen Ökumenismus<br />
des Lebens eigene ¹Ethosª unter anderem folgendermaûen umschrieben:<br />
Verzicht auf alle Formen des offenen oder verdeckten Proselytismus;<br />
Bewuûtsein, daû alle internen Entscheidungen unsere Partner<br />
mitbetreffen; Heilung der Wunden unserer Geschichte; Rezeption<br />
der Ergebnisse der bisherigen Dialoge. Schon heute ist mehr möglich<br />
als was wir gewöhnlich gemeinsam tun: Gemeinsames Lesen der Bibel;<br />
Austausch geistlicher Erfahrungen; Sammlung liturgischer Texte;<br />
gemeinsame Wortgottesdienste; besseres Verständnis unserer gemeinsamen<br />
Tradition wie der noch bestehenden Unterschiede; Zusammenarbeit<br />
in der Theologie, der Mission, im kulturellen und sozialen<br />
Zeugnis, im Bereich der Entwicklungshilfe, der Bewahrung<br />
der Schöpfung, der Massenmedien usw.<br />
Die Vollversammlung hat vor allem den spirituellen Ökumenismus<br />
als das Herz aller ökumenischen Bemühungen herausgestellt.<br />
Sie hat von der Förderung der Begegnung und Beziehung zwischen<br />
ökumenisch aufgeschlossenen Kloster- und Ordensgemeinschaften,<br />
neueren Bewegungen, Bruderschaften und Gruppen gesprochen. Besondere<br />
Beachtung sollten den Erfahrungs- und Ausdrucksweisen<br />
von Frauen sowie der jüngeren Generation und ihrer unverbrauchten<br />
Sicht und Vitalität geschenkt werden. Der heilige Benedikt hat in seiner<br />
Ordensregel (3. Kap.) vermerkt, daû der Abt auch auf den Jüngsten<br />
der Brüder hören solle, ¹weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart,<br />
was das Bessere istª.<br />
Die Vollversammlung hat abschlieûend das hoffnungsvolle Motto<br />
des Papstes für das neue Jahrtausend aufgenommen, mit dem ich<br />
schlieûen möchte: ¹Duc in altum!ª ¹Fahr hinaus auf die hohe See!ª<br />
Saint ExupØry hat bemerkt, daû es bei der Seefahrt nicht zuerst auf<br />
das Holz für gut gebaute Schiffe ankommt, sondern auf die Sehnsucht<br />
nach der unendlichen Weite des Meeres. So ist es das Vordringlichste<br />
in der gegenwärtigen Situation, die konfessionelle Selbstgenügsamkeit<br />
aufzubrechen und die Sehnsucht nach der unendlichen Weite<br />
und Fülle der Wahrheit in der gröûeren ökumenischen Gemeinschaft<br />
neu wachzurütteln. ¹Hab Mut und faû Vertrauen!ª ¹Duc in altum!ª<br />
¹Fahr hinaus auf die hohe See!ª<br />
Jubel erstmals vorbehaltlos, ja lauthals, und Münsters Fuûball-Club<br />
nannte sich sogar ¸Preuûen .<br />
Auf dem Katholizismus insgesamt lastete um 1900 immer noch<br />
das Trauma des Kulturkampfes. Die Katholiken, ein Drittel im Reich,<br />
lebten sozusagen mit eingezogenem Kopf, immer argwöhnisch um<br />
sich blickend, ob nicht von neuem Prügel bevorstünden. Die Beschimpfung<br />
als ¹vaterlandslose Gesellenª war normal, und die Deklassierung,<br />
nichts zur deutschen Kultur beigetragen zu haben, so allgemein<br />
wie verletzend.<br />
Die Generation der Theologie-Professoren um 1900 hatte den Kulturkampf<br />
zumeist in der eigenen Studentenzeit erfahren, sah sich<br />
nun aber mehr und mehr positiv herausgefordert. Das Gebot der<br />
Stunde sei, endlich einen katholischen Nachweis der Ebenbürtigkeit<br />
zu liefern.<br />
Münsters akademische Fakultät wuûte sich mit 13 Lehrstühlen<br />
normal, ja gut ausgestattet. Die Zahl der Theologie-Studenten, allesamt<br />
Priesteramtskandidaten, bewegte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
auf respektabler Höhe; jährlich lieûen sich 40 bis 60 Abgänger<br />
der Fakultät weihen. Die überragende Persönlichkeit war der Moraltheologe<br />
Josef Mausbach, der 1892 mit 31 Jahren berufen worden<br />
war. Für knapp 40 Jahre war Mausbach der ruhende Pol im Kollegium<br />
und der allgegenwärtige Vertreter katholischer Belange in der Öffentlichkeit,<br />
immer auch der Mann, der in prekären Situationen die Kohlen<br />
aus dem Feuer holen muûte. Seine gröûte Stunde schlug 1919, als