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Beiträge zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen 2 ... - cibedo

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titäten berührt wird. Es kann gewiss kein<br />

EU-weites Patentrezept geben. Politiken<br />

des Multikulturalismus stehen gegenwärtig<br />

nicht zu Unrecht in der Kritik, weil<br />

die Gefahr besteht, dass die »positive Diskriminierung«<br />

partikularer Minoritäten<br />

den Gr<strong>und</strong>satz staatsbürgerlicher Gleichheit<br />

<strong>und</strong> staatlicher Neutralität gegenüber<br />

Religionen, Kulturen <strong>und</strong> Weltanschauungen<br />

aushebeln kann. 15 Die Entwicklung<br />

in Großbritannien sollte uns<br />

hierzulande ein warnendes Beispiel sein. 16<br />

Zu Recht mahnen die Imame an, dass<br />

bei der »Definition <strong>und</strong> Verwendung des<br />

Begriffs ‚Parallelgesellschaft’ … mehr Sorgfalt<br />

gehegt« werde. In der Tat ist der<br />

Begriff »Parallelgesellschaft« im politischen<br />

Diskurs streckenweise zu einem<br />

Kampfbegriff verkommen. Gelegentlich<br />

gewinnt man den Eindruck, dass bereits<br />

eine gewisse sozialräumliche Konzentration<br />

von <strong>Muslimen</strong> <strong>und</strong> die häufig damit<br />

einhergehende Ausbildung einer eigenen<br />

Infrastruktur im Blick auf wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Dienstleistungen, Medienkonsum,<br />

Kultur- <strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen<br />

zu einer demokratiegefährdenden<br />

Segregation hochstilisiert wird, ohne dass<br />

<strong>zwischen</strong> ethnischen Kolonien, »Ghettos«<br />

<strong>und</strong> Parallelgesellschaften unterschieden<br />

wird. Die Imame merken an:<br />

»Die berechtigte Pflege von Kultur <strong>und</strong><br />

Religion innerhalb eines geschützten Raumes<br />

soll nicht bereits unter den Generalverdacht<br />

von bewusster Abkapselung gestellt<br />

werden. Die Querverbindungen, Vernetzungen<br />

<strong>und</strong> der Dialog nach draußen zeigen,<br />

dass es hier nicht um eigene Abschottung,<br />

sondern um ‚community’-Bildung<br />

geht, deren Ziele etwa in der Wahrnehmung<br />

sozialer Aufgaben der Gesellschaft<br />

zugute kommen können.« Sicherlich ist die<br />

»berechtigte Pflege von Kultur <strong>und</strong> Reli-<br />

CIBEDO-<strong>Beiträge</strong> 2/2006<br />

gion« ein demokratisches Recht von Individuen<br />

<strong>und</strong> Kollektiven <strong>und</strong> hat durch<br />

die Bestrebungen der UNESCO, das<br />

Recht auf »kulturelle Vielfalt« als Menschenrecht<br />

zu definieren, besondere Förderung<br />

erfahren. 17 Das Problem liegt darin,<br />

was unter »kultureller Vielfalt« verstanden<br />

<strong>und</strong> in welchem Umfang sie<br />

geschützt werden soll. Wie soll ferner der<br />

geforderte »geschützte Raum« aussehen?<br />

Der Kopftuchstreit in Deutschland hat<br />

z.B. sehr deutlich gemacht, dass die<br />

Gefahr besteht, unter Verweis auf den<br />

Schutz »kultureller Vielfalt« nur eine<br />

bestimmte Interpretation islamischer<br />

Bekleidungsvorschriften zu schützen.<br />

Der Staat hat hier faktisch einen »Orthodoxieschutz«<br />

übernommen, grenzt die<br />

Vertreter anderer Interpretationen aus<br />

<strong>und</strong> ermutigt jene, die ihre ultrakonservative<br />

Lesart des Koran zur allein Wahren<br />

erheben <strong>und</strong> in Anspruch nehmen für<br />

alle Muslime zu sprechen. 18<br />

Ferner sollte geklärt werden, was unter<br />

»Parallelgesellschaften« tatsächlich verstanden<br />

werden soll. Es gibt zunächst eine<br />

große Diskrepanz <strong>zwischen</strong> einer »gefühlten«<br />

Parallelgesellschaft (»die schotten sich<br />

ab«, »die Mehrheitsgesellschaft will uns<br />

nicht«) <strong>und</strong> den tatsächlichen objektiven<br />

Bef<strong>und</strong>en. Über »Parallelgesellschaften«<br />

wird intensiver seit Ende der neunziger<br />

Jahre im Diskurs über die »multikulturelle<br />

Gesellschaft« diskutiert. Der globale<br />

Terrorismus, vor allem aber der Mord an<br />

Theo van Gogh (November 2004) <strong>und</strong><br />

die Terroranschläge in London (7. Juli<br />

2005), die von jungen <strong>Muslimen</strong> der<br />

zweiten, bzw. dritten Generation von<br />

Einwanderern begangen wurden, die in<br />

den Niederlanden, bzw. Großbritannien<br />

aufwuchsen, haben die Diskussion über<br />

die Entwicklung kulturell abgeschotteter<br />

Gegenwelten <strong>und</strong> »Parallelgesellschaften«<br />

überall in Europa kräftig angeheizt. Doch<br />

was sind eigentlich »Parallelgesellschaften»?<br />

»Parallelgesellschaften« sind soziale<br />

Räume, in denen die Kommunikation<br />

<strong>zwischen</strong> »Mehrheitsgesellschaft« <strong>und</strong><br />

relativ homogenen sozialen Kollektiven<br />

(ethnisch, kulturell <strong>und</strong> oder religiös definiert)<br />

gestört oder gar schon abgebrochen<br />

ist. In »Parallelgesellschaften« werden<br />

gezielt Gegeninstitutionen in Wirtschaft,<br />

Arbeitsmarkt, Bildung <strong>und</strong> Freizeit aufgebaut.<br />

Soziale Kontrolle, ausgeübt von<br />

dominanten Führungspersönlichkeiten<br />

innerhalb der ethnischen, religiösen <strong>und</strong><br />

kulturellen Gruppen, verdichtet sich zu<br />

psychischem <strong>und</strong> physischem Zwang<br />

gegenüber einzelnen »Abweichlern« <strong>und</strong><br />

Gruppen. In Parallelgesellschaften gelten<br />

die individuellen Menschenrechte praktisch<br />

nicht mehr, weil die dominanten<br />

Gruppen <strong>und</strong> ihre Eliten verhindern, dass<br />

die Menschen sie in Anspruch nehmen.<br />

Vollständige Parallelgesellschaften sind<br />

dann erreicht, wenn sie auch noch eine<br />

eigene Rechtsordnung ausbilden. Insofern<br />

widersprechen »Parallelgesellschaften«<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich dem Leitbild einer<br />

demokratischen Zivilgesellschaft <strong>und</strong><br />

bedrohen die individuellen Menschenrechte,<br />

den gesellschaftlichen Zusammenhalt<br />

sowie die Integration. Nach dieser<br />

Definition sehe ich für Deutschland<br />

<strong>und</strong> Österreich zwar noch keine voll ausgebildeten<br />

Parallelgesellschaften, aber<br />

Ansätze in einzelnen urbanen Regionen.<br />

19<br />

Die Imame fordern die weitere »Institutionalisierung«<br />

des Islam, d.h. die Schaffung<br />

eigener Einrichtungen, <strong>und</strong> sie warnen<br />

davor, solche als »antiintegratives<br />

Gegenmodell« mit einer »Vorverurteilung«<br />

zu belegen. Die Warnung ist sicher<br />

15 Es gibt im wissenschaftlich-politischen Diskurs erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, was Minderheitenrechte sind <strong>und</strong> welche gesellschaftlichen Folgen es hat, wenn der Staat<br />

ethnische, kulturelle <strong>und</strong> religiöse Rechte von Minoritäten anerkennt. JAKOB T. LEVY, The Multiculturalism of Fear. Oxford, 2000. S. 127 ff. entwickelt ein nützliches Kategorienschema<br />

kultureller Rechte (»cultural rights-claims«). Ferner: CLAUS OFFE. »Homogenität« im demokratischen Verfassungsstaat – Sind politische Gruppenrechte eine adäquate Antwort auf Identitätskonflikte?<br />

In: Peripherie – Demokratie <strong>und</strong> Minderheitenrechte, Nr. 64, 1996. UNNI WIKAN, Generous Betrayal. Politics of Culture in the New Europe. Chicago/London, 2002. Siehe auch<br />

die Debatte zu »affirmative action« in den USA. Profiliertester Kritiker einer Politik des Multikulturalismus ist der britische Philosoph BRIAN BARRY, Culture and Equality. Cambridge, 2002.<br />

16 Siehe zu Großbritannien v.a. MELANIE PHILLIPS, Londonistan. How Britain Is Creating A Terror State Within. London, 2006.<br />

17 Universal Declaration on Cultural Diversity vom 2. November 2001. Die Erklärung sieht aber sehr klar die Spannung <strong>zwischen</strong> der Berufung auf das Recht auf »kulturelle Differenz« <strong>und</strong><br />

konkurrierende individuelle Menschenrechte: »No one may invoke cultural diversity to infringe upon human rights guaranteed by international law, nor limit their scope.« (Article 4).<br />

18 Monika Wohlrab-Sahr, in der wissenschaftlichen community durch eine Arbeit über Konvertiten bekannt geworden, kommentiert genau diese Problematik sehr korrekt <strong>und</strong> beschreibt die<br />

gesellschaftlichen Wirkungen von Gerichtsurteilen: »Eine problematische Folge der Gerichtsurteile <strong>zum</strong> Islam – sei es <strong>zum</strong> Kopftuch oder <strong>zum</strong> Schächten ohne Betäubung – allerdings ist,<br />

dass sie – auch im öffentlichen Bewusstsein – zwangsläufig eine traditionalistische Form des Islam festschreiben, die aus dem Koran oder der muslimischen Tradition eine bestimmte, historisch<br />

invariante Konsequenz literalistisch ableitet. Der Verfassungsrechtler Dieter Grimm hat in diesem Zusammenhang von der Gefahr des Orthodoxieschutzes gesprochen. In Ermangelung<br />

objektiver Kriterien dafür, was zu einer Religion gehört <strong>und</strong> was nicht, sind die Richter auf die überzeugenden Selbstbeschreibungen derjenigen verwiesen, die ihr Verhalten mit dem<br />

Anspruch rechtfertigen, es sei von ihrer Religion zwingend vorgeschrieben.« MONIKA WOHLRAB-SAHR, So sichtbar unsichtbar. In: Freitag, 24. Oktober 2003. Monika Wohlrab-Sahr ist<br />

Professorin für Religionssoziologie an der Universität Leipzig. Sie veröffentlichte u.a. das Buch: Konversion <strong>zum</strong> Islam in Deutschland <strong>und</strong> den USA, Frankfurt a. M., Campus, 1999.<br />

19 Eine wirklich substantielle Definition von »Parallelgesellschaften« versucht THOMAS NEYER, Identitätspolitik. Vom Missbrauch kultureller Unterschiede. Frankfurt/Main, 2002, S. 208ff.<br />

Siehe das Themenheft der B<strong>und</strong>eszentrale für Politische Bildung: Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte, 1-2/2006, 2. Januar 2006 zu »Parallelgesellschaften«. Ansätze für Parallelgesellschaften<br />

werden in zwei Berliner Regionalstudien festgestellt, der so genannten »Mitte« <strong>und</strong> »Kreuzberg-Friedrichshain« Studie des Zentrums für Demokratische Kultur. Zentrum Demokratische Kultur<br />

(Hrsg.), Aspekte der Demokratiegefährdung im Berliner Bezirk Mitte <strong>und</strong> Möglichkeiten der demokratischen Intervention, Berlin, 2004.<br />

Kandel, Die »Wiener Erklärung« der Konferenz der Imame <strong>und</strong> SeelsorgerInnen<br />

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