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Für andere und für mich, Band 2 - Arbeitsgemeinschaft der ...

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aejn -<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong><br />

<strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />

Postfach 265 – 30002 Hannover<br />

Tel.: 0511/1241-571 • Fax: 0511/1241-492<br />

aejn.ev@kirchliche-dienste.de • www.aejn.de<br />

Gegen den Trend 2009 – <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> • <strong>Band</strong> 2<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

<strong>Band</strong> 2<br />

Gegen den<br />

Trend 2009<br />

aejn -<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Evangelischen Jugend in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.


GEGEN DEN TREND<br />

-<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

(<strong>Band</strong> 2)<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> Evangelischen Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen (aejn) e. V.<br />

Postfach 265 • 30002 Hannover •Telefon: 0511 1241-572/-571 • Fax: 0511 1241-492<br />

aejn.ev@kirchliche-dienste.de • http://www.aejn.de<br />

Redaktion:<br />

Christine Ingrid Kiem, Christin Plath, Manfred Neubauer<br />

Satzerfassung:<br />

Christine Ingrid Kiem, Christin Plath<br />

Layout:<br />

s•form<br />

Druck:<br />

Hahn-Druckerei GmbH & Co, Hannover<br />

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier, Recycling<br />

Hannover, im Januar 2009


Autorenverzeichnis<br />

Martin Bauer, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Kirchenkreisjugendwart, Nienburg<br />

Wolfgang Blaffert, Pastor im Landesjugendpfarramt<br />

Hannover, Referent<br />

<strong>für</strong> Theologie, Jugendforschung <strong>und</strong><br />

Fortbildung<br />

Andreas Hagedorn, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Dipl.-Sozialpädagoge,<br />

Stadtjugenddiakon, Bremerhaven<br />

Susanne Korf, Dipl.-Pädagogin,<br />

Schaumburg-Lippe<br />

Manfred Neubauer, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Dipl.-Supervisor, DGSv,<br />

Geschäftsführer <strong>der</strong> aejn e. V., Jugendbildungsreferent,<br />

Landesjugendpfarramt<br />

Hannover<br />

Joachim Neumann-Borutta, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Dipl.-Sozialpädagoge,<br />

Stadtjugenddiakon, Bremerhaven<br />

Sabine Richter, Dipl.-Sozialpädagogin,<br />

Referentin <strong>für</strong> Jugendsozialarbeit, Evangelische<br />

Jugend in <strong>der</strong> Ev.-luth. Landeskirche<br />

in Braunschweig<br />

Thomas Ringelmann, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Referent <strong>für</strong> Evangelische<br />

Schülerinnen- <strong>und</strong> Schülerarbeit im<br />

Landesjugendpfarramt Hannover<br />

Clarissa Schöller, Öffentlichkeitsarbeit<br />

JUGEND HILFT!, Studentin Medien<br />

<strong>und</strong> Kommunikation B. A., Universität<br />

Augsburg<br />

Daniel Tietjen, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Dipl.-Sozialpädagoge, Stadtjugenddiakon,<br />

Bremerhaven<br />

Tanja von Rüsten, Dipl.-Religionspädagogin,<br />

Dipl.-Sozialarbeiterin/-pädagogin<br />

im Anerkennungsjahr im Kirchenkreisjugenddienst<br />

Nienburg<br />

Volker Jörn Walpuski, Master of Arts in<br />

Diaconic Management, Dipl.-Religionspädagoge,<br />

Mediator<br />

Christine Ingrid Kiem, Satzerfassung<br />

Christin Plath, Satzerfassung


1_ Impressum<br />

2_ Autorenverzeichnis<br />

6_ Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin <strong>für</strong> Soziales,<br />

Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

7_ Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

Die Aktion: Manfred Neubauer<br />

9_ Die Aktion <strong>und</strong> ihr Thema<br />

10_ Die Arbeitshilfe <strong>und</strong> ihre Zielgruppen<br />

12_ Darstellung <strong>der</strong> Themen in sieben Schritten<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> –<br />

eine thematische Einführung<br />

Wolfgang Blaffert & Manfred Neubauer<br />

14_ Christliche Nächstenliebe in Abgrenzung<br />

vom pseudoromantischen Liebesverständnis<br />

15_ Kirche in Zukunft – vier Kernthemen<br />

17_ Unverzichtbare Dimensionen humaner<br />

Bildung: Religion <strong>und</strong> Ethik<br />

18_ Bildung – Schlüsselqualifikationen – soziales<br />

Lernen<br />

19_ Praktizierte christliche Nächstenliebe am<br />

Beispiel des barmherzigen Samariters<br />

24_ Literatur<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. TEIL: LERNEN ... ALLEINE<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>:<br />

Wolfgang Blaffert<br />

28_ Erste Einfälle zum Thema<br />

29_ Was sagen <strong>an<strong>der</strong>e</strong>? (F<strong>und</strong>sachen, Assoziationen,<br />

Kontexte) / Zuspitzung – Thema<br />

entfalten unter einem Blickwinkel<br />

30_ Vom Beten. Die Witwe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Richter.<br />

32_ Farbe bekennen (Meinungen, Überzeugungen,<br />

Ideen aus Sicht <strong>der</strong> Verfasserin/<br />

des Verfassers<br />

33_ Transfer, Vermittlung, Umsetzung, ( Projektbeschreibungen,<br />

Praxisbeispiele,<br />

Gottesdienste, Gruppenst<strong>und</strong>en, St<strong>und</strong>en-<br />

Entwürfe)<br />

Engel gesucht!: Susanne Korf<br />

36_ Sie sind überall!<br />

36_ „Aktion Schutzengel“ von Missio<br />

37_ Jugendliche <strong>und</strong> ihre Vorstellungen von<br />

Engeln<br />

39_ Engel als Vorbild<br />

40_ Die Bibel kennt verschiedene Vorstellungen<br />

von Engeln<br />

40_ Engel gesucht!<br />

45_ Literatur<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20<br />

Uhr): Volker Jörn Walpuski<br />

48_ Zukunftsprogramm: Vaterschaft<br />

48_ Aufgeschnappt!<br />

49_ Vaterschaft – ein Thema <strong>für</strong> Jungen!<br />

50_ Der neue Mann<br />

54_ Und was hat das mit dem Glauben zu tun?<br />

56_ Mehr als ich: Die Gesellschaft<br />

56_ Materialien <strong>und</strong> Literatur<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_3<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

2. TEIL: LERNEN ... MIT UND IN<br />

SCHULE<br />

Helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong><br />

Welt. Finden wir auch!: Clarissa<br />

Schöller<br />

62_ Soziales Engagement von Jugendlichen –<br />

eine Win-Win-Situation<br />

62_ Soziales Engagement von Jugendlichen<br />

– ein Thema in <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung<br />

63_ Wie kann soziales Engagement von Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen aussehen?<br />

64_ Was versteht JUGEND HILFT! unter sozialem<br />

Engagement? Welche Projekte werden<br />

geför<strong>der</strong>t?<br />

64_ Wie kann ich <strong>mich</strong> bei JUGEND HILFT! bewerben?<br />

Was erwartet <strong>mich</strong>?<br />

66_ Verschiedenheit ist bei JUGEND HILFT! Programm<br />

66_ Wie kann ich <strong>mich</strong> als Jugendlicher sozial<br />

engagieren?<br />

66_ Studien <strong>und</strong> Initativen<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist –<br />

das Projekt”????: Thomas<br />

Ringelmann, Daniel Tietjen, Joachim<br />

Neumann-Borutta, Andreas Hagedorn<br />

70_ Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt????<br />

70_ Arbeitsseminare im Freizeitheim Drangstedt<br />

<strong>und</strong> im Ev. Jugendhof Spiekeroog – Nicht<br />

nur mit dem Kopf arbeiten<br />

72_ Arbeitsseminare im Ev. Jugendhof Sachsenhain<br />

73_ Praxisseminare im Sachsenhain<br />

4_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

3. TEIL: LERNEN ... IN DER<br />

GRUPPE<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf<br />

frisst“. Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt<br />

Nienburg: Martin Bauer<br />

78_ Die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

79_ Die haben es doch selber so gewollt ...!<br />

80_ So viel Erziehung wie möglich<br />

80_ Es ist gar nicht schlimm <strong>und</strong> macht auch<br />

noch Spaß<br />

81_ Die wöchentliche Gesprächsgruppe<br />

83_ „Du sollst nicht begehren deines Nächsten<br />

...“ – o<strong>der</strong> „Du brauchst nicht ...“<br />

85_ Wie können wir als Jugendgruppe o<strong>der</strong> als<br />

Schulklasse Kontakt zu einer Jugendarrestanstalt<br />

aufnehmen?<br />

86_ Arbeitsmaterialien, Literaturangaben,<br />

Spiele, Video „Dienstag – Gewalt in <strong>der</strong> U-<br />

Bahn“ <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Gruppenübungen<br />

Letzter Ausweg Jugendknast!?:<br />

Tanja von Rüsten<br />

92_ Erziehungswille auch im Jugendknast<br />

92_ Selber schuld?<br />

93_ Klartext: Zahlen, Daten <strong>und</strong> Fakten<br />

93_ Erziehung zur Gesellschaftsfähigkeit o<strong>der</strong><br />

Anpassung an die Lebenswelt „Knast“?<br />

94_ Praxisideen<br />

97_ Wer von euch ohne Sünde ist, <strong>der</strong> werfe<br />

den ersten Stein (Joh 7,53 – 8,11)<br />

98_ Immer schlimmer = immer härter!?<br />

98_ Literatur


Deutsch-indische Jugendbegegnung<br />

in Tamil Nadu/Kerala:<br />

Sabine Richter<br />

100_ Das Vorbereitungsmarathon – gespannte<br />

Erwartungen<br />

102_ Einblicke <strong>der</strong> Jugendlichen in das gelebte<br />

Christentum in Tamil Nadu<br />

108_ Die Stellung <strong>der</strong> Frau in Indien<br />

109_ „Gen<strong>der</strong>“ versus „Verhaltenskodex Manu“<br />

– eine Beobachtung<br />

110_ „Keinem von uns ist Gott fern“/Der Gottesdienstbesuch<br />

– ein Erlebnis<br />

110_ Aufschwung – ja, aber (wie) profitiert <strong>der</strong><br />

Großteil <strong>der</strong> Bevölkerung?<br />

111_ Literatur<br />

Leben! Und wie!?: Wolfgang Blaffert<br />

114_ Eine Studie mit Folgen<br />

116_ Informationen über die Arbeit <strong>der</strong> aejn e. V.<br />

118_ Veröffentlichungen „Gegen den Trend“<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_5<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin <strong>für</strong> Soziales, Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

Mit ihrer Fastenaktion „Gegen den Trend: <strong>Für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>mich</strong>“ hat die <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Evangelischen Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen ein Thema<br />

aufgegriffen, das bei den jungen Menschen auf<br />

ein vielfältiges Echo gestoßen ist. Das wird an <strong>der</strong><br />

Fülle engagierter Beiträge deutlich, die in dieser<br />

Arbeithilfe veröffentlicht werden. Sie spiegeln<br />

hohe Sensibilität gegenüber ethischen Fragen <strong>und</strong><br />

Verantwortungsbewusstsein wi<strong>der</strong>.<br />

Demgegenüber entsteht in <strong>der</strong> Öffentlichkeit allzu<br />

häufig noch <strong>der</strong> Eindruck, dass junge Menschen<br />

nicht bereit seien, sich <strong>für</strong> die Allgemeinheit<br />

einzusetzen, Verantwortung <strong>für</strong> sich selbst <strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> zu übernehmen. Tatsache ist: Die so<br />

genannte Null-Bock-Generation hat längst ausgedient.<br />

Ohne das große ehrenamtliche Engagement<br />

junger Menschen in Sportvereinen, in<br />

Jugendverbänden, bei <strong>der</strong> Freiwilligen Feuerwehr,<br />

in Kirchen, im Freiwilligen Sozialen o<strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Ökologischen Jahr, würde in unserer Gesellschaft<br />

vieles gar nicht möglich sein.<br />

Auch Jugendstudien belegen, dass junge Menschen<br />

gerne ihre Kraft <strong>und</strong> Kenntnisse <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

Menschen einsetzen, wenn sie gezielt angesprochen<br />

werden. Gerechtigkeitssinn <strong>und</strong> das Eintreten<br />

<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> haben <strong>für</strong> die jüngere Generation einen<br />

sehr hohen Stellenwert. Im Sinne einer aktiven<br />

Bürgergesellschaft setzen sie sich ganz konkret<br />

zum Beispiel <strong>für</strong> Gleichaltrige mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

ein, kümmern sich um Menschen mit<br />

Behin<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> sozial benachteiligte Jugendliche.<br />

6_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Mit ihrem Engagement <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> tun junge Menschen<br />

gleichzeitig etwas <strong>für</strong> sich selbst. Getreu<br />

dem Motto „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>mich</strong>“, setzen sie<br />

nicht nur ein Zeichen gegen gesellschaftlichen<br />

Egoismus. Sie lernen unterschiedliche Menschen<br />

kennen <strong>und</strong> erfahren dabei neue Seiten von sich<br />

selbst. Sie werden dabei auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung,<br />

in ihrem Selbstvertrauen gestärkt<br />

<strong>und</strong> erlangen soziale Kompetenzen, die sie<br />

konflikt- <strong>und</strong> teamfähiger machen.<br />

Das F<strong>und</strong>ament hier<strong>für</strong> wird in den Familien gelegt.<br />

Sie sind <strong>der</strong> zentrale Ort, an dem Eltern ihren Kin<strong>der</strong>n<br />

durch Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Wertschätzung<br />

einen Wertekanon vermitteln können, <strong>der</strong> sie zu<br />

selbstbewussten Persönlichkeiten mit Respekt vor<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Menschen reifen lässt. Das Familienleben<br />

prägt ganz wesentlich Normen, Einstellungen,<br />

Handlungsmuster, soziale <strong>und</strong> kulturelle Kompetenzen<br />

sowie religiöse Wertvorstellungen. Deshalb<br />

unterstützt das Land mit <strong>der</strong> von Familienbildungsstätten<br />

getragenen Initiative „Kin<strong>der</strong> brauchen<br />

Werte“ Eltern <strong>und</strong> Erziehende bei <strong>der</strong> Suche nach<br />

neuen Wegen in <strong>der</strong> Erziehung. Sie sollen ganz bewusst<br />

auf die Bedeutung <strong>und</strong> Notwendigkeit einer<br />

auf feste Werte gegründeten Erziehung aufmerksam<br />

gemacht werden.<br />

Die Fastenaktion 2009 ist dazu angetan, gespeist<br />

aus christlichen Wertvorstellungen eine zivilgesellschaftliche<br />

Kultur des Zusammenhalts zu för<strong>der</strong>n,<br />

die auf wechselseitiger Achtung beruht <strong>und</strong> auf<br />

<strong>der</strong> Bereitschaft, etwas <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> damit <strong>für</strong><br />

unser Gemeinwesen zu tun.<br />

In diesem Sinne wünsche ich <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong><br />

<strong>der</strong> Evangelischen Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

viel Erfolg <strong>und</strong> eine rege Teilnahme.<br />

Mechthild Ross-Luttmann<br />

Nie<strong>der</strong>sächsische Ministerin <strong>für</strong> Soziales,<br />

Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit


<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

Zugegeben, das haben wir zum ersten Mal gemacht.<br />

Ein Thema <strong>für</strong> eine Arbeitshilfe, das in zwei<br />

Bänden erscheint <strong>und</strong> <strong>für</strong> zwei Jahre eine inhaltliche<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung darstellt: „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>mich</strong>“. Lediglich beim Thema „Gewalt“ (1993<br />

„Gewaltfrei leben“ <strong>und</strong> 2001 „Zwischen Begeisterung<br />

<strong>und</strong> Gewalt“) haben wir in <strong>der</strong> Reihe „Gegen<br />

den Trend“ ein Thema erneut aufgenommen,<br />

aktualisiert <strong>und</strong> mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n inhaltlichen Schwerpunkten<br />

aufbereitet. Sonst gab es über die Jahre<br />

hinweg die Bearbeitung wechseln<strong>der</strong> Themen. Mit<br />

<strong>der</strong> vorliegenden Arbeitshilfe, <strong>der</strong> Achtzehnten,<br />

legen wir den zweiten <strong>Band</strong> vor, <strong>der</strong> eine Ergänzung<br />

<strong>der</strong> inhaltlichen Themen aus 2008 vornimmt,<br />

aber beileibe nicht alle Bereiche von Engagements<br />

in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend abdeckt <strong>und</strong><br />

dies auch nicht will <strong>und</strong> kann. Evangelische Jugendarbeit<br />

in den unterschiedlichen Facetten ist<br />

werteorientiert, basiert auf einem christlichen<br />

Menschenbild <strong>und</strong> übernimmt gesellschaftspolitische<br />

Verantwortung. Die Arbeit lebt von dem Engagement<br />

<strong>der</strong> Teilnehmenden, <strong>der</strong> „Produzenten,<br />

Co-Produzenten“ (vgl. „Realität <strong>und</strong> Reichweite<br />

von Jugendverbandsarbeit“), <strong>der</strong> ehrenamtlich<br />

Engagierten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hauptberuflichen, die gemeinsam<br />

in den jeweiligen Rahmenbedingungen<br />

Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

aus Orten, Gelegenheiten <strong>und</strong> Finanzen etwas zu<br />

Wege bringen.<br />

Junge Menschen haben ein großes Interesse daran,<br />

ihr Lebensumfeld aktiv mit zu gestalten <strong>und</strong><br />

wollen sich engagieren. Laut <strong>der</strong> letzten Shell-<br />

Jugendstudie sind 33 % <strong>der</strong> Jugendlichen oft <strong>und</strong><br />

weitere 48 % gelegentlich engagiert. 1 Diese Einschätzung<br />

wird vom 2. Freiwilligen-Survey geteilt.<br />

Die Verfasser-innen dieser Studie bescheinigen,<br />

dass „junge Menschen zwischen 14 <strong>und</strong> 24 Jahren<br />

[...] eine <strong>der</strong> aktivsten Gruppen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

mit einer stabilen Engagementquote” 2 sind <strong>und</strong><br />

dass das Engagementpotenzial in dieser Altersgruppe<br />

ganz beson<strong>der</strong>s groß ist. Im Freiwilligen-<br />

Survey wird die Erkenntnis formuliert, dass „von<br />

den bereits engagierten Jugendlichen [...] sich beson<strong>der</strong>s<br />

viele <strong>für</strong> weitere Aufgaben” 3 interessieren.<br />

Das hohe Engagement junger Menschen belegt<br />

<strong>der</strong>en Mitgestaltungswillen <strong>und</strong> ihr Interesse <strong>für</strong><br />

gesellschaftliche Prozesse.<br />

Dieses Interesse gilt auch <strong>für</strong> politische Prozesse.<br />

So kommt die Bertelsmann Stiftung in <strong>der</strong> Auswertung<br />

einer Befragung von 16.000 Jugendlichen<br />

von 12 bis 18 Jahren zu dem Ergebnis, dass fast<br />

70 % <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>der</strong> Meinung sind, dass junge<br />

Menschen in <strong>der</strong> Politik mehr zu sagen haben<br />

sollten <strong>und</strong> sogar 78 % zu mehr Mitwirkung bereit<br />

wären. 4<br />

Bei Erwachsenen geht es häufig auch um <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

Blickwinkel: „<strong>Für</strong> das Gefühl von Wohlbefinden<br />

<strong>und</strong> Lebensqualität ist vor allem die richtige Balance<br />

zwischen Stress- <strong>und</strong> Erholungs-Phasen<br />

wichtig. Daher ist das Hauptziel eines wirksamen<br />

Work-Life-Balance Programms das Erarbeiten,<br />

1 Vgl.: Jugendwerk <strong>der</strong> dt. Shell (Hrsg.): Shell Jugendstudie 2006; Hauptergebnisse im Internet abrufbar unter: www.shell.com/home/content/de-de/<br />

society_environment/jugendstudie/2006/jugendstudie2006_engagement.html<br />

2 BMFSFJ (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004. Kurzfassung; München 2005; Seite 6<br />

3 BMFSFJ (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004. Kurzfassung; München 2005; Seite 6<br />

4 vgl.: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Junge Menschen wollen sich beteiligen; Gütersloh 2006, Seite 4; online abrufbar unter: www.bertelsmann-stiftung.de/<br />

cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-5053D266/bst/Jugendbericht_Internet.pdf<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_7<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

systematische Üben <strong>und</strong> Erfahren des individuellen,<br />

inneren Gleichgewichts. Der Schwerpunkt<br />

liegt dabei auf einem ganzheitlichen Ges<strong>und</strong>heits-<br />

Management <strong>und</strong> Lebensstil-Design, unterstützt<br />

durch mentales Training, Fitness- <strong>und</strong> Entspannungsprogramme<br />

<strong>und</strong> Ernährungstipps.“ So<br />

gelesen im Internet: „Gut <strong>für</strong> <strong>mich</strong>, gut <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>,<br />

Work-Life-Balance, Erfolgsmagazin-BLOG“.<br />

Und weiter heißt es:<br />

„Die Aufmerksamkeit wird immer wie<strong>der</strong> nach<br />

innen gelenkt, auf die Bedürfnisse von Seele <strong>und</strong><br />

Körper. Dabei wächst Kraft, Klarheit <strong>und</strong> Wohlbefinden.<br />

Mit ein bisschen Übungen kann sich ein<br />

innerer Raum von entspannen<strong>der</strong> Stille <strong>und</strong> Wohlgefühl<br />

etablieren. Ein erfrischend <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r Zugang<br />

zu sich selbst <strong>und</strong> ein neues Verständnis von innerem<br />

Gleichgewicht entstehen <strong>und</strong> das weitgehend<br />

unabhängig von externen Einflüssen. Destruktive<br />

Denkmuster <strong>und</strong> geistige Ruhelosigkeit lösen sich<br />

auf, neue Energien stehen zur Verfügung. Darüber<br />

hinaus entwickelt sich ein neues Lebensgefühl, geprägt<br />

von Kraft, Selbstbewusstsein <strong>und</strong> Vitalität.“<br />

Wie eine Umsetzung <strong>der</strong> Idee <strong>und</strong> Überzeugung<br />

„<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>mich</strong>“ in <strong>der</strong> praktischen Arbeit<br />

mit Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen aussehen kann,<br />

zeigt uns exemplarisch die Evangelische Jugend<br />

Georgsmarienhütte. In <strong>der</strong> inhaltlichen Vorbereitung<br />

<strong>der</strong> Sommerfreizeit entwickelten die Mitarbeitenden<br />

ein gemeinsames Gr<strong>und</strong>verständnis,<br />

das in den Teamregeln aufging.<br />

Teamregeln <strong>für</strong> die Jugendfreizeit Spanien 2008:<br />

• Wir lassen die <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n aussprechen.<br />

• Wir bieten <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Hilfe an <strong>und</strong> sind aufmerksam,<br />

um uns gegenseitig zu unterstützen.<br />

• Wir äußern untereinan<strong>der</strong> sofort Kritik – aber<br />

nicht vor den Teilnehmenden.<br />

• Wir reden miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> sind mit allen in Kontakt.<br />

• Wir halten uns an Absprachen.<br />

• Wir sind pünktlich.<br />

8_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

• Wir nehmen aufeinan<strong>der</strong> Rücksicht.<br />

• Wir akzeptieren die <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n <strong>und</strong> das, was sie<br />

können – <strong>und</strong> respektieren Schwächen.<br />

• Wir fassen Verbesserungsvorschläge als solche<br />

auf – <strong>und</strong> nicht als Kritik.<br />

<strong>Für</strong> den Redaktionskreis<br />

Manfred Neubauer


Die Aktion <strong>und</strong> ihr Thema<br />

Fasten ist mehr als nur Verzichten! Mit dem Fasten<br />

steigen Menschen vorübergehend aus ihren alltäglichen<br />

Gewohnheiten aus, wodurch sich ihnen<br />

neue Möglichkeiten eröffnen können, das eigene<br />

Leben zu reflektieren. Ausgelöst durch das reduzierte<br />

Konsumverhalten tut sich während des<br />

Fastenzeit eine äußere, vor allem jedoch innere<br />

Leere auf, die heilsam wirken kann, wenn sie dazu<br />

genutzt wird, sich auf das eigene Verhältnis zu<br />

Gott <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zu besinnen.<br />

In <strong>der</strong> diesjährigen Fastenzeit will unsere "Gegenden-Trend-Aktion"<br />

das Thema „<strong>Für</strong> <strong>mich</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>“ in den Mittelpunkt des Nachdenkens<br />

stellen. Die einzelnen Artikel <strong>der</strong> hier vorliegenden<br />

Broschüre geben Impulse zur inhaltlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Fragen <strong>der</strong> individuellen<br />

Lebensplanung <strong>und</strong> auch mit Aspekten zur Zukunftsorientierung<br />

in unserer Gesellschaft. Mit<br />

dieser Arbeitshilfe soll beim Publikum die Bereitschaft<br />

geweckt werden, persönliche Geisteshaltungen<br />

o<strong>der</strong> auch lieb gewonnene tradierte<br />

Verhaltensmuster auf ihre Bedeutung <strong>für</strong> die<br />

eigene Lebensgestaltung zu überprüfen. So kann<br />

vielleicht sogar „ein Stein ins Rollen“ gebracht<br />

werden, die eigene Lebensführung dauerhaft<br />

(also über die Fastenzeit hinaus) positiver zu<br />

gestalten.<br />

Selbst religiös nicht engagierte Menschen<br />

können so einen Sinn darin sehen, ihre Orientierung<br />

in <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Maßstäben zu finden als in<br />

dem Schema "Nehmen ist seliger als Geben"<br />

(in Umkehr zu einer in <strong>der</strong> Christenheit verwurzelten<br />

Einstellung). Eine befriedigende Lebensgestaltung<br />

kann eben nicht durch Egoismus <strong>und</strong><br />

Kosten-Nutzen-Denken gef<strong>und</strong>en werden. In <strong>der</strong><br />

(Evangelischen) Jugend liegt das Potential zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung, zum Ausprobieren, zum Protest.<br />

Dies lässt sich auch <strong>für</strong> solch eine Fastenaktion<br />

nutzbar machen.<br />

Die Aktion<br />

Der biblische Anknüpfungspunkt kann z. B. mit<br />

einem Text aus <strong>der</strong> Bergpredigt benannt werden:<br />

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie<br />

die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um<br />

sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten.<br />

Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.<br />

Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt <strong>und</strong><br />

wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den<br />

Leuten zeigst mit deinem Fasten, son<strong>der</strong>n vor deinem<br />

Vater, <strong>der</strong> im Verborgenen ist; <strong>und</strong> dein Vater,<br />

<strong>der</strong> in das Verborgene sieht, wird’s dir vergelten.<br />

Mth.6,16-18<br />

Der christliche Gehalt des Fastens ist die Wendung<br />

nach innen. Wichtig ist das, was im Verborgenen,<br />

in <strong>der</strong> eigenen Person, geschieht: die Reflexion<br />

über die eigene Existenz, über Träume, Zukunftswünsche<br />

<strong>und</strong> die persönliche Lebensgestaltung,<br />

über all das, was hält <strong>und</strong> trägt <strong>und</strong> was die Beziehung<br />

zu Gott ausmacht. Dies ist oftmals von<br />

Unsicherheiten geprägt, gleichsam einer Art Suchbewegung.<br />

Träumen bedeutet ja zumeist, dass<br />

man seinen inneren Wünschen freien Lauf lässt,<br />

dass man die eigentlichen Gefühle allerdings nicht<br />

nach außen hin zeigt. Vielleicht kann Fasten auch<br />

als Befreiung zu einem „realen Traum“ verstanden<br />

werden, als Befreiung zu einem Selbstvertrauen,<br />

das sich nicht verstecken muss, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Zukunft mutig ins Auge sieht. Aber ohne die<br />

Besinnung auf Gott (bzw. ohne mein Akzeptieren<br />

des von Gott gegebenen Abhängig-, Geschaffen-<br />

<strong>und</strong> Geliebtseins) kann <strong>für</strong> <strong>mich</strong> nichts Positives<br />

(wie Selbstvertrauen/das Annehmen <strong>der</strong> eigenen<br />

Persönlichkeit/Freiheit) dabei herausspringen;<br />

die Befreiung zum eigenen Ich im Fasten hat ihren<br />

Gr<strong>und</strong> in Gott.<br />

1. Sich selbst verlieren im Fasten.<br />

2. Gott dabei finden.<br />

3. Daraus sich selbst ganz neu begreifen.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_9<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Die Aktion<br />

Die Arbeitshilfe (Broschüre) <strong>und</strong><br />

ihre Zielgruppen<br />

Die Arbeitshilfe versucht, die weit gestreute Bezugs -<br />

gruppe "Jugendliche" in den Blick zu nehmen; <strong>für</strong><br />

SchülerInnen ab <strong>der</strong> 5. Klasse bis hin zu AbiturientInnen<br />

sollen die Unterthemen aufgegriffen,<br />

weiterentwickelt <strong>und</strong> weitergegeben werden.<br />

Dabei sind auch Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>der</strong><br />

Berufsbildenden Schulen im Blick. Die Entfaltung<br />

<strong>der</strong> Einzelthemen geschieht jedoch nicht schematisch,<br />

so dass nacheinan<strong>der</strong> alle Schul- <strong>und</strong> Altersstufen<br />

gleichmäßig angesprochen werden.<br />

Außerdem spielt es eine Rolle, aus welchem Bereich<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit bzw. Schule <strong>der</strong> jeweilige<br />

Autor bzw. die jeweilige Autorin kommt. Das wie<strong>der</strong>um<br />

macht (hoffentlich auch) den Reiz dieser<br />

Arbeitshilfe aus, dass sie von verschiedenen<br />

Seiten her einen Zugang anbietet, dass sie in <strong>der</strong><br />

Auswahl des Stoffes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Methoden dementsprechend<br />

vielfältig ist. Einen Anspruch auf Vollständigkeit<br />

<strong>der</strong> Themen wie <strong>der</strong> Materialien kann<br />

<strong>und</strong> will die Broschüre nicht erheben.<br />

Das Jahresthema 2009 „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“<br />

wurde (wie auch schon das Jahresthema 2008)<br />

in Anlehnung an die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt<br />

„Realität <strong>und</strong> Reichweite von<br />

Jugendverbandsarbeit“ gewählt, da es ein Hauptergebnis<br />

dieser Studie ist, dass Jugendliche sich<br />

vorrangig deshalb engagieren, weil sie etwas<br />

Sinnvolles <strong>für</strong> sich selbst <strong>und</strong> synchron <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

machen wollen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Motivationskombination<br />

finden Sie hier eine Sammlung<br />

unterschiedlichster Textbeiträge.<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich wird das Thema „etwas <strong>für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> zu tun“ in den Artikeln über<br />

„Helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden<br />

wir auch!“, über das „Wer einmal aus dem Blechnapf<br />

frisst“ o<strong>der</strong> auch „Kin<strong>der</strong>programm (täglich<br />

07.00-20.00 Uhr)“ dokumentiert. In den Berichten<br />

10_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

über eine „Deutsch-indische Jugendbegegnung<br />

in Tamil Nadu/Kerala“, „Beten: <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>mich</strong>“ bzw. „Engel gesucht“ werden ebenfalls die<br />

zwei Seiten <strong>der</strong> Medaille sichtbar. Darüber hinaus<br />

gibt es eine Vorschau auf eine interaktive Aus-<br />

stellung „Leben. Und wie!?“, die aktuell von Jugend-<br />

gruppen zu unterschiedlichen Themen entwickelt<br />

wird <strong>und</strong> im Rahmen des Deutschen Evangelischen<br />

Kirchentages (DEKT) vom 20. - 24.05. 2009 in Bremen<br />

im Zentrum Jugend zu sehen sein wird.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> uns vorliegenden umfangreichen<br />

Textfülle hatten wir uns dazu entschieden, das<br />

Thema „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ in zwei aufeinan<strong>der</strong><br />

folgenden Gegen-den-Trend-Heften aufzuarbeiten.<br />

Die Leserschaft wird bei <strong>der</strong> Betrachtung bei<strong>der</strong><br />

Broschüren feststellen, dass es den einzelnen<br />

Autoren <strong>und</strong> Autorinnen nicht nur um eine sachgemäße<br />

Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Problematik <strong>und</strong> eine<br />

saubere Exegese <strong>der</strong> Texte geht, son<strong>der</strong>n durchaus<br />

auch darum, persönliche Ansichten zur Diskussion<br />

zu stellen. Hier <strong>und</strong> da wird es gewiss Wi<strong>der</strong>spruch<br />

geben – dies ist bewusst einkalkuliert <strong>und</strong> kann<br />

sicher auch zu weiterführen<strong>der</strong> Bearbeitung bzw.<br />

zu Diskussionen innerhalb <strong>der</strong> jeweiligen Zielgruppe<br />

führen.<br />

Natürlich ist es die Absicht sowohl Jugendliche in<br />

verschiedenen Jugendgruppen <strong>und</strong> Verbänden als<br />

auch die Interessen von Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />

unterschiedlicher Schulstufen zu berücksichtigen.<br />

Allerdings konnte bei <strong>der</strong> jeweiligen Auswahl nicht<br />

nach Proportionen <strong>und</strong> Quantitäten entschieden<br />

werden (also kein einheitlicher Seitenumfang <strong>für</strong><br />

jede Alters- bzw. Zielgruppe). Vielmehr wird mit<br />

dieser Art <strong>und</strong> Weise <strong>der</strong> Darbietung vielleicht<br />

die Möglichkeit eröffnet, einen größeren Entscheidungs-<br />

<strong>und</strong> Spielraum <strong>der</strong> Verwendbarkeit<br />

zuzulassen (z. B., was zunächst <strong>für</strong> 13-/14-Jährige<br />

entworfen wurde, mag evtl. auch <strong>für</strong> 11-/12-Jährige<br />

in Frage kommen usw.).


Diese Arbeitshilfe ist vorrangig <strong>für</strong> die Hand des<br />

Gruppenleiters/<strong>der</strong> Gruppenleiterin, des Lehrers/<br />

<strong>der</strong> Lehrerin bestimmt. Natürlich – so hofft die<br />

Redaktion - werden auch interessierte Jugendliche<br />

Anregendes <strong>und</strong> Interessantes darin finden,<br />

aber die Lektüre <strong>und</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Themen <strong>und</strong> ihrer Materialien erfor<strong>der</strong>t trotz aller<br />

redaktioneller Sorgfalt doch noch eine Menge<br />

an Eigenarbeit, an Reflexion <strong>und</strong> an persönlicher<br />

Entscheidung darüber, was mit welchem Material<br />

gemacht <strong>und</strong> wie es eingesetzt werden soll.<br />

Manfred Neubauer<br />

Die Aktion<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_11<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Die Aktion<br />

Darstellung <strong>der</strong> Themen<br />

in sieben Schritten<br />

In <strong>der</strong> Reihe „Gegen den Trend“ wagen sich seit<br />

mehr als einem Jahrzehnt PraktikerInnen aus <strong>der</strong><br />

außerschulischen Jugendbildung an ein jeweils aktuelles<br />

Thema heran, versuchen es unter Einbezug<br />

<strong>der</strong> Perspektive von Jugendlichen zu entfalten <strong>und</strong><br />

geben damit einen Impuls zur inhaltlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit einer bestimmten Thematik.<br />

Dabei wird auf den Praxisbezug immer beson<strong>der</strong>er<br />

Wert gelegt. Die Sichtweise zu einem Thema ist<br />

dabei stets individuell, nämlich aus dem Blickwinkel<br />

<strong>der</strong> Verfasserin o<strong>der</strong> des Verfassers.<br />

Vor vier Jahren wurde in <strong>der</strong> Projektgruppe erstmals<br />

ein Siebener-Schritt verabredet <strong>und</strong> umgesetzt,<br />

<strong>der</strong> gleichzeitig eine gemeinsame Struktur<br />

in <strong>der</strong> Bearbeitung des Themas <strong>und</strong> auch einen<br />

Wie<strong>der</strong>erkennungswert darstellt. Erfahrungen<br />

führten zu einer weiteren Verän<strong>der</strong>ung: Der Siebener-Schritt<br />

wird in den einzelnen Beiträgen nicht<br />

immer in <strong>der</strong> gleichen Abfolge umgesetzt. Manchmal<br />

ist es sinnvoll, z. B. die „Theologische Betrachtung“<br />

zu Beginn eines Artikels zu platzieren<br />

<strong>und</strong> nicht erst an <strong>der</strong> (s. u.) sechsten Stelle. Alle<br />

Beiträge haben allerdings das gleiche inhaltliche<br />

Gerüst, „Materialien <strong>und</strong> Literatur“ werden (überwiegend)<br />

außerhalb <strong>der</strong> Zählweise angegeben.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist <strong>der</strong> Siebener-Schritt wie folgt<br />

strukturiert:<br />

Erste Einfälle zum Thema<br />

Was sagen <strong>an<strong>der</strong>e</strong>? (F<strong>und</strong>sachen, Assoziationen,<br />

Kontexte)<br />

Zuspitzung – Thema entfalten unter einem<br />

Blickwinkel<br />

12_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Farbe bekennen (Meinungen, Überzeugungen,<br />

Ideen aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Verfasserin/des Verfassers)<br />

Transfer, Vermittlung, Umsetzung (Projektbeschreibungen,<br />

Praxisbeispiele, Gottesdienste,<br />

Gruppenst<strong>und</strong>en, St<strong>und</strong>en-Entwürfe)<br />

Theologische Betrachtung<br />

Weiterführende Fragestellungen<br />

Materialien <strong>und</strong> Literatur<br />

Ziel hierbei ist es, <strong>für</strong> die LeserInnen einen schnelle -<br />

ren Zugang zum Text <strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeitshilfe zu schaffen<br />

<strong>und</strong> ihnen weiterhin einen „Wie<strong>der</strong>erkennungswert“<br />

zu ermöglichen. Hintergr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> ist beispielswei se<br />

die Erfahrung, dass einzelne Beiträge heraus -<br />

genommen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Praxis genutzt werden –<br />

dies ist auch gut so. Wir wissen, dass ein solches<br />

Vorgehen in verschiedenen Arbeitsfel<strong>der</strong>n praktiziert<br />

wird, sei es bei einer Projektwoche, bei einem Gottes-<br />

dienst, bei einer Schulung zum Erwerb <strong>der</strong> JugendleiterInnen-Card<br />

(JuLeiCa), im Religionsunterricht<br />

o<strong>der</strong> bei einem thematischen Teil einer Freizeit. In<br />

den vergangenen Jahren konnten wir beobachten,<br />

dass gerade auf Freizeiten mit Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

die thematischen Vorschläge verstärkt<br />

eingesetzt wurden. Manchmal auch Themen, die in<br />

vergangenen Jahren bearbeitet wurden. Vielleicht<br />

auch deshalb, weil einzelne Themen weiterhin<br />

aktuell sind. Darüber haben sich die AutorInnen<br />

beson<strong>der</strong>s gefreut.<br />

Die AutorInnen dieser Arbeitshilfe wissen, dass die<br />

ausgewählten Themen inhaltlich ineinan<strong>der</strong>greifen<br />

können <strong>und</strong> manchmal nicht ganz trennscharf zu be-<br />

handeln sind. Trotzdem hat sich die Projektgruppe<br />

erneut auf dieses Experiment eingelassen <strong>und</strong> hofft,<br />

dass das Ergebnis in ähnlicher Weise angenommen<br />

wird wie die Arbeitshilfen <strong>der</strong> vergangenen Jahre.<br />

Manfred Neubauer


›› <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> -<br />

eine thematische Einführung


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Christliche Nächstenliebe in<br />

Abgrenzung vom pseudoromantischen<br />

Liebesverständnis<br />

Kürzer <strong>und</strong> verständlicher kann man wesentliche<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> großen Studie zu Realität<br />

<strong>und</strong> Reichweite von Jugendverbandsarbeit nicht<br />

zusammenfassen. Wir verstehen den Titel „<strong>Für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ so, dass es um zwei Blickrichtungen<br />

geht, die sich nach außen <strong>und</strong> nach<br />

innen wenden. Außenwahrnehmung verlangt von<br />

vornherein nach Beweglichkeit. Ich muss rausgehen,<br />

um zu erfahren, um kennen zu lernen <strong>und</strong><br />

zu kommunizieren, <strong>der</strong> Titel „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>mich</strong>“ sagt uns, dass wir das nicht absichtslos<br />

tun. Wir verfolgen ein bestimmtes Ziel, nämlich<br />

<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> da zu sein. Unsere Bewegung ist also<br />

kein „beliebiges Umherstreunen“, son<strong>der</strong>n sie<br />

geschieht absichtsorientiert. <strong>Für</strong> uns gehört dazu,<br />

dass wir die Realität kritisch analysieren <strong>und</strong> uns<br />

fragen, warum bestimmte Verhältnisse, die uns<br />

nicht gefallen, so sind, wie sie sind. Im nächsten<br />

Schritt müssen wir uns fragen, was wir dagegen<br />

tun können <strong>und</strong> was wir <strong>für</strong> jene tun können, die<br />

von solchen Verhältnissen bestimmt werden.<br />

Denn unser Blick ist ja kein objektiver, son<strong>der</strong>n ein<br />

anteilnehmen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> solidarischer. Wer etwas <strong>für</strong><br />

14_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> tun will, ergreift Partei <strong>und</strong> bezieht Stellung.<br />

Den Blick nach innen halten wir <strong>für</strong> ebenso wichtig.<br />

Denn mein Ich verschwindet ja nicht, es bleibt<br />

im Spiel <strong>und</strong> hat gleichfalls ein Recht auf Freiheit,<br />

auf Erfüllung <strong>und</strong> Glück. In <strong>der</strong> Binnenwahrnehmung<br />

spiele ich sozusagen die Hauptrolle. Es ist<br />

legitim, danach zu fragen, ob mein Engagement<br />

mir gut tut o<strong>der</strong> nur aus Pflichtgefühl auferlegt ist.<br />

Wir behaupten, dass je<strong>der</strong> Einsatz, <strong>der</strong> nicht wenigstens<br />

ein Quäntchen an persönlichem Gewinn<br />

einfährt, auf Dauer sein Ziel verfehlt <strong>und</strong> vielleicht<br />

sogar ins Gegenteil umschlägt. Es ist erlaubt, nach<br />

dem eigenen Lust- o<strong>der</strong> Spaßfaktor zu fragen.<br />

Das ist nicht blanker Egoismus, son<strong>der</strong>n unserer<br />

Ansicht nach ein ausgezeichneter Lackmustest <strong>für</strong><br />

den Sinn einer Aktion.<br />

Wir merken, je länger wir über den diesjährigen<br />

Trendtitel „<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ nachdenken,<br />

dass uns an ihm noch etwas fehlt: das Gemeinschaftsmoment.<br />

Darum denken wir uns im Stillen<br />

einfach eine kleine Erweiterung dazu: „Mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>mich</strong>.“ Es geht ja schließlich<br />

nicht um Einzelkämpfertum. Ich brauche Verbündete,<br />

um wirksam etwas <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> tun zu können.<br />

Also: Wenn ich rausgehe <strong>und</strong> weiß wohin, ist es<br />

gut, wenn ich Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e mitnehme<br />

o<strong>der</strong> Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen, wenn also <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

meine Ziele <strong>und</strong> Absichten teilen. Mag sein, dass<br />

ich zunächst allein losziehe. Aber ich muss zusehen,<br />

dass sich <strong>an<strong>der</strong>e</strong> mir anschließen.<br />

Letzter Gedanke: Uns fiel sofort das Gebot <strong>der</strong><br />

Nächstenliebe ein (Lk. 10,27), das wir im Titel<br />

zeitgemäß übersetzt finden. Im Lukasevangelium<br />

schließt sich diesem Gebot die Geschichte vom<br />

barmherzigen Samariter an, die wenig Gefühl<br />

zeigt, da<strong>für</strong> umso mehr umsichtiges Handeln. Wir<br />

träumen davon, endlich einmal deutlich zu machen,<br />

worum es bei „Nächstenliebe“ eigentlich<br />

geht <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> christliche Liebesbegriff absolut


nichts mit dem pseudoromantischen Liebesverständnis<br />

zu tun hat, mit dem wir seit mehr als<br />

einem Jahrh<strong>und</strong>ert berieselt werden: von Courths-<br />

Mahler bis Hollywood.<br />

Christliche Liebe hat unserer Meinung nach nichts<br />

mit Bindung zu tun. Es geht vielmehr darum,<br />

Menschen wie<strong>der</strong> in die Lage zu bringen, ihr Leben<br />

(wenigstens halbwegs) selbständig zu führen. So<br />

verstehen wir auch das „<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>“ im Titel.<br />

Kirche in Zukunft –<br />

vier Kernthemen<br />

In Kirche wird viel über die Zukunft nachgedacht.<br />

Dabei scheint nicht immer <strong>der</strong> (junge) Mensch im<br />

Mittelpunkt zu stehen, <strong>der</strong> getreu dem Motto <strong>der</strong><br />

Arbeitshilfe versucht, sich als soziales Wesen in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft zu organisieren. Im Gegensatz zur<br />

Jugendarbeit werden in verschiedenen Studien zur<br />

Zukunft <strong>der</strong> Kirche immer wie<strong>der</strong> vier Kernthemen<br />

benannt:<br />

1. Freiwilliges bzw. ehrenamtliches Engagement<br />

för<strong>der</strong>n durch Verbesserung <strong>der</strong> Kommunikation<br />

mit den (potenziell) Engagierten sowie Entwicklung<br />

engagementfre<strong>und</strong>licher Strukturen in den<br />

Kirchengemeinden <strong>und</strong> Einrichtungen.<br />

Dabei wird an Ehrenamtlichenpools, -agenturen,<br />

aber auch Eliteschulung gedacht. Wie die<br />

Gewinnung von Ehrenamtlichen, gerade auch<br />

jungen Menschen, aus <strong>der</strong> Sicht von Kirche aussehen<br />

kann, wird eher nicht formuliert. Werden<br />

junge Menschen mit ihren Bedürfnissen, Erwartungen,<br />

Sehnsüchten <strong>und</strong> Wünschen abgeholt?<br />

Hier hat die evangelische Jugendarbeit aufgr<strong>und</strong><br />

ihres Selbstverständnisses, ihres Leitbildes <strong>und</strong><br />

ihrer Praxis etwas zu bieten: Sie stellt Kin<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Jugendliche in den Mittelpunkt, versucht sie<br />

als Subjekte wahrzunehmen <strong>und</strong> versteht sie im<br />

Sinne <strong>der</strong> „R&R-Studie“ („Realität <strong>und</strong> Reichweite<br />

von Jugendverbandsarbeit“) als Produzenten<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

bzw. Co-Produzenten des Geschehens im Jugendverband.<br />

2. Erschließung neuer Finanzquellen durch eine<br />

offene Kommunikation mit den Kirchenmitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> (potenziellen) För<strong>der</strong>ern kirchlicher<br />

Arbeit.<br />

Sponsoring, Stiftungen <strong>und</strong> F<strong>und</strong>raising sind<br />

Begriffe, die Konjunktur haben, auch deshalb<br />

weil die Kirchensteuermittel rückläufig sind <strong>und</strong><br />

Arbeitsbereiche neu begründet <strong>und</strong> finanziert<br />

werden müssen. Jugendverbandsarbeit setzt<br />

allerdings auch weiterhin mehrheitlich auf die<br />

gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage, wie sie im Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

Jugendhilfegesetz (KJHG) beschrieben ist:<br />

Auszüge aus dem KJHG<br />

§ 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung,<br />

Jugendhilfe<br />

(1) Je<strong>der</strong> junge Mensch hat ein Recht auf För<strong>der</strong>ung<br />

seiner Entwicklung <strong>und</strong> auf Erziehung<br />

zu einer eigenverantwortlichen <strong>und</strong> gemeinschaftsfähigen<br />

Persönlichkeit.<br />

(2) Pflege <strong>und</strong> Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> sind das<br />

natürliche Recht <strong>der</strong> Eltern <strong>und</strong> die zuvor<strong>der</strong>st<br />

ihnen obliegende Pflicht. Über ihre<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_15<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.<br />

(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des<br />

Rechts nach Absatz 1 insbeson<strong>der</strong>e<br />

1. junge Menschen in ihrer individuellen <strong>und</strong><br />

sozialen Entwicklung för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> dazu<br />

beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden<br />

o<strong>der</strong> abzubauen<br />

2. Eltern <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Erziehungsberechtigte<br />

bei <strong>der</strong> Erziehung beraten <strong>und</strong> unterstützen<br />

3. Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche vor Gefahren <strong>für</strong><br />

ihr Wohl schützen<br />

4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen<br />

<strong>für</strong> junge Menschen <strong>und</strong> ihre<br />

Familien sowie eine kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Umwelt zu erhalten o<strong>der</strong> zu<br />

schaffen.<br />

Evangelische Jugendarbeit versteht somit<br />

die gesamtgesellschaftliche Aufgabe in<br />

<strong>der</strong> finanziellen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arbeit mit<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen sowie in Bezug<br />

auf die entsprechenden inhaltlichen Angebote<br />

<strong>und</strong> auch hinsichtlich <strong>der</strong> Strukturför<strong>der</strong>ung.<br />

3. Verstärkung <strong>der</strong> internen <strong>und</strong> externen Kommu -<br />

nikation <strong>der</strong> Anliegen <strong>der</strong> Kirche: Das Evangelium<br />

ist öffentlich <strong>und</strong> stellt Kommunikationsstrukturen<br />

in Frage, die in <strong>der</strong> Gefahr einer<br />

Milieuverengung stehen.<br />

Evangelische Jugendarbeit legt Wert auf Freiwilligkeit,<br />

Autonomie, Selbstbestimmung <strong>und</strong><br />

Selbstorganisation, auf Emanzipation <strong>und</strong><br />

Partizipation. Evangelische Jugendarbeit bietet<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Mitbestimmung in den Räumen<br />

„Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft“. Dabei ist evangelische<br />

Jugendarbeit einem zweifachen Auftrag<br />

verpflichtet: Sie achtet einerseits die Interessen<br />

junger Menschen <strong>und</strong> nimmt sie ernst <strong>und</strong> sieht<br />

sich <strong>an<strong>der</strong>e</strong>rseits als Interessensvertreterin <strong>der</strong><br />

Jugendlichen gegenüber Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

16_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Gleichzeitig will sie Jugendlichen Werte vermitteln<br />

<strong>und</strong> ihre Fähigkeiten för<strong>der</strong>n. Evangelische<br />

Jugendarbeit ist akzeptierende Jugendarbeit <strong>und</strong><br />

somit nicht an Leistung orientiert.<br />

4. Der Glaube initiiert einen fortwährenden Prozess<br />

<strong>der</strong> Menschwerdung <strong>und</strong> Bildung. Da<strong>für</strong> Anlässe<br />

<strong>und</strong> gute Unterstützung zu bieten, ist eine <strong>der</strong><br />

wesentlichen Zukunftsaufgaben <strong>der</strong> Kirche in<br />

einer Situation vielfältigster Manipulationen.<br />

Wir haben in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend aufgr<strong>und</strong><br />

unseres christlichen Selbstverständnisses einen<br />

eigenen Bildungsauftrag. Bildung ist <strong>für</strong> uns<br />

mehr als nur etwas zu lernen. Bildung ist Teil<br />

des Alltags <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freizeit von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Jugendlichen. Sie erfolgt z. B. auch in Gesprächen<br />

zwischen Tür <strong>und</strong> Angel, in Gruppen, auf


Freizeiten, bei Seminaren, Projekten <strong>und</strong> in vielen<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Situationen des täglichen Lebens.<br />

Bildung in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend meint:<br />

• religiöse Bildung, durch die die eigene Religion<br />

kennen gelernt, die Frage nach Transzendenz<br />

geweckt <strong>und</strong> die Dialogfähigkeit im<br />

Austausch mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Religionen geför<strong>der</strong>t<br />

wird,<br />

• soziale Bildung, die die Gruppenfähigkeit, die<br />

Kompromissbereitschaft <strong>und</strong> den Umgang mit<br />

Aggressionen för<strong>der</strong>t,<br />

• ethische Bildung, die Wertebewusstsein,<br />

moralisches Verhalten <strong>und</strong> ein persönliches<br />

Verantwortungsbewusstsein för<strong>der</strong>n will,<br />

• politische Bildung zum Einüben eines demokratischen<br />

Umgangs miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Erziehung zum Frieden <strong>und</strong> zur Gerechtigkeit,<br />

• interkulturelle Bildung, mit <strong>der</strong> die Bereitschaft<br />

zum Zusammenleben mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Kulturen unterstützt wird,<br />

• ästhetische <strong>und</strong> kulturelle Bildung, um einen<br />

Sinn in kulturellen Zeugnissen zu entdecken<br />

<strong>und</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> eigenen musisch-kreativen<br />

Gestaltungsfähigkeit,<br />

• medienkritische Bildung <strong>für</strong> einen besonnenen<br />

Umgang mit Medien,<br />

• ökologische Bildung mit ökologischen Fragestellungen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bereitschaft zum persönlichen<br />

Handeln,<br />

• geschichtliche Bildung zum Erinnern, Gedenken<br />

<strong>und</strong> Lehren aus <strong>der</strong> Geschichte ziehen,<br />

• zukunftsfähige Bildung, mit Platz <strong>für</strong> Offenes<br />

<strong>und</strong> Unerwartetes <strong>und</strong> För<strong>der</strong>ung des kreativen<br />

Handelns.<br />

Diese vier Kernthemen <strong>und</strong> Aufgaben kommen<br />

in <strong>der</strong> kirchlichen Arbeit auf allen Ebenen immer<br />

schon vor, sind aber selten strategisch geplant <strong>und</strong><br />

konzeptionell durchdrungen. Mögliche Antworten<br />

zu den inhaltlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong><br />

Perspektive <strong>der</strong> Evangelischen Jugend haben eher<br />

wenig Konjunktur.<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Unverzichtbare Dimensionen<br />

humaner Bildung: Religion<br />

<strong>und</strong> Ethik<br />

EKD veröffentlicht „10 Thesen zu Religion, Werten<br />

<strong>und</strong> religiöser Bildung im Elementarbereich“<br />

"Religion <strong>und</strong> Ethik sind auch im Elementarbereich<br />

unverzichtbare Dimensionen humaner Bildung.<br />

Dort wo <strong>der</strong> Elementarbereich staatlich geprägt<br />

<strong>und</strong> institutionalisiert wird, ist darauf zu achten,<br />

dass sich vergleichbar zur Schule auch hier alle<br />

Kin<strong>der</strong> religiös <strong>und</strong> ethisch orientieren können",<br />

betont <strong>der</strong> Vorsitzende des Rates <strong>der</strong> EKD, Bischof<br />

Wolfgang Huber, im Vorwort zu "Religion, Werte<br />

<strong>und</strong> religiöse Bildung im Elementarbereich. 10 Thesen<br />

des Rates <strong>der</strong> EKD". Der Rat <strong>der</strong> EKD sieht in<br />

diesen Thesen einen spezifischen Beitrag zur vom<br />

B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen<br />

<strong>und</strong> Jugend gegründeten "Initiative Verantwortung<br />

Erziehung", die zuvor als "Bündnis <strong>für</strong> Erziehung"<br />

gemeinsam mit den Kirchen in Gang gesetzt worden<br />

war.<br />

Worte zum Tag:<br />

„Befre<strong>und</strong>e dich mit dem Bruchstück. Manches<br />

Fragment spiegelt mehr von einem Menschen als<br />

ein strahlen<strong>der</strong> Erfolg.“<br />

Oliver Kohler, Historiker <strong>und</strong> Schriftsteller<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_17<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Bildung – Schlüsselqualifikationen<br />

– soziales Lernen<br />

Jugendliche mit schlechten Bildungs- <strong>und</strong> Berufsperspektiven<br />

werden laut b<strong>und</strong>esweiter Studien<br />

weitaus häufiger krank als Gleichaltrige mit besseren<br />

Aussichten. Die verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen erfor<strong>der</strong>n vom<br />

Bildungssystem in Deutschland eine Orientierung,<br />

die geeignet ist, auch zukünftigen nationalen <strong>und</strong><br />

internationalen Verän<strong>der</strong>ungen gewachsen zu<br />

sein. Da<strong>für</strong> ist es notwendig, eine ausreichende<br />

finanzielle <strong>und</strong> personelle Ausstattung von Schulen<br />

<strong>und</strong> Hochschulen vorzuhalten <strong>und</strong> junge Menschen<br />

auf die Erfor<strong>der</strong>nisse des Arbeitsmarktes<br />

gut vorzubereiten: sowohl im Hinblick auf die Allgemeinbildung<br />

als auch auf das Erlernen <strong>und</strong> die<br />

Ausübung sozialer Kompetenzen. Die Realität je-<br />

doch ist eine <strong>an<strong>der</strong>e</strong>: Kürzungen im Schulbereich,<br />

Streichung <strong>der</strong> Lehrmittelfreiheit, Einführung von<br />

Studiengebühren.<br />

Die Leistungen <strong>der</strong> Jugendverbände mit ihrem<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungsauftrag sind in diesem<br />

Zusammenhang häufig zu wenig im Blick. Die Vielzahl<br />

von Bildungsangeboten, Projekten, Freizeiten,<br />

Internationalen Begegnungen, die Möglichkeiten<br />

18_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

<strong>der</strong> Mitgestaltung <strong>und</strong> Verantwortungsübernahme<br />

im Jugendverband <strong>und</strong> die Teilhabe an <strong>der</strong><br />

gesellschaftlichen Weiterentwicklung unserer<br />

Demokratie skizzieren nur einen Ausschnitt aus<br />

dem Aktivitätenkanon von Jugendverbänden <strong>und</strong><br />

machen lediglich ansatzweise ihre spezifischen<br />

Leistungen deutlich.<br />

In <strong>der</strong> außerschulischen Jugendarbeit steht erfahrungsbezogenes<br />

Lernen <strong>und</strong> das Lernen am<br />

Modell im Zentrum, sei es in erlebnispädagogischen<br />

Ansätzen o<strong>der</strong> im eigenen Ausprobieren<br />

im Umgang mit Jugendlichen einer Jugendgruppe.<br />

Freude am Lernen, das Entdecken von Neuem, das<br />

„praktische Erfahrungen sammeln“ <strong>und</strong> sich auf<br />

lebenspraktische Situationen adäquat vorzubereiten,<br />

sind Gr<strong>und</strong>fel<strong>der</strong>, welche Jugendverbände<br />

bieten. Jugendliche sind dabei Subjekte ihres<br />

eigenen Lernprozesses, <strong>der</strong> mit Methoden <strong>der</strong><br />

Selbstüberprüfung des eigenen Handelns auf ein<br />

lebenslanges Lernen vorbereitet <strong>und</strong> die eigene<br />

Handlungs-, Urteils- <strong>und</strong> Reflexionsfähigkeit<br />

erhöht.<br />

In <strong>der</strong> Bildungsarbeit von Jugendverbänden wird<br />

versucht, Mädchen <strong>und</strong> Jungen, junge Frauen<br />

<strong>und</strong> junge Männer in <strong>der</strong> Entwicklung ihrer individuellen<br />

Persönlichkeit zu unterstützen <strong>und</strong> zu<br />

för<strong>der</strong>n. Dies geschieht im Sinne von § 9 Abs. 3<br />

KJHG, lt. welchem unterschiedliche Lebenslagen<br />

von Mädchen <strong>und</strong> Jungen berücksichtigt werden<br />

sollen <strong>und</strong> als Ziel <strong>der</strong> Abbau von Benachteiligung<br />

steht bei gleichzeitiger För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gleichberechtigung<br />

von Mädchen <strong>und</strong> Jungen. Dazu ist<br />

es notwendig, geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen<br />

zu benennen <strong>und</strong> zu bearbeiten, um<br />

Verän<strong>der</strong>ungen im oben genannten Geist erzielen<br />

zu können.<br />

Jugendverbände bieten Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

die Chance, eigenverantwortliches Handeln zu<br />

erlernen <strong>und</strong> umzusetzen, Verantwortung zu übernehmen<br />

<strong>und</strong> somit ihre sozialen Kompetenzen zu


erweitern <strong>und</strong> anzuwenden. Kommunikations- <strong>und</strong><br />

Kooperationsfähigkeit, Team- <strong>und</strong> Entscheidungsfähigkeit,<br />

Leitungs- <strong>und</strong> Führungsverhalten werden<br />

vermittelt <strong>und</strong> Konfliktmanagement mit dem<br />

Ziel <strong>der</strong> Kompromiss- bzw. Konsensfähigkeit eingeübt.<br />

Eine Voraussetzung da<strong>für</strong> ist das Erlernen<br />

des Umgangs mit komplexen Situationen, die u. a.<br />

Unsicherheiten <strong>und</strong> Ängste verursachen können.<br />

Partnerschaftliches Verhalten zwischen den Geschlechtern<br />

macht ebenfalls eine soziale Kompetenz<br />

aus. Die Leistungen <strong>der</strong> Jugendverbände<br />

im pädagogischen Bereich, die sowohl im Privatleben<br />

als auch insbeson<strong>der</strong>e im Beruf immer wichtiger<br />

werden <strong>und</strong> die in fortschrittlichen Bereichen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft inzwischen anerkannt sind, gilt<br />

es weiterhin finanziell angemessen zu för<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> sie inhaltlich zu unterstützen. In Jugendverbänden<br />

findet weiterhin <strong>der</strong> wichtige Bereich <strong>der</strong><br />

Wertorientierung statt, ein Bereich, <strong>der</strong> in den<br />

Schulen <strong>und</strong> im Elternhaus immer weniger vermittelt<br />

wird.<br />

Jugendverbände bilden außerdem eins <strong>der</strong> wenigen<br />

demokratischen Lernfel<strong>der</strong> <strong>für</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche, die ihnen Beteiligungsmöglichkeiten<br />

in allen Bereichen eröffnen <strong>und</strong> so die Möglichkeit<br />

bieten, Demokratie unmittelbar zu erleben.<br />

Auch da<strong>für</strong> gibt es in unserer Gesellschaft kaum<br />

Alternativen. Der Wert ehrenamtlicher Arbeit, die<br />

in Jugendverbänden geleistet <strong>und</strong> zu <strong>der</strong> motiviert<br />

wird, steht außer Frage. Diese beispielhaft genannten<br />

Bereiche gewinnen in einer Gesellschaft,<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

die immer weniger in <strong>der</strong> Lage ist, Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Jugendlichen ausreichende soziale Kompetenzen<br />

zu vermitteln, zunehmend an Bedeutung. Die Vermittlung<br />

sozialer Verhaltensweisen wird aus den<br />

verschiedensten Gründen sowohl in den Elternhäusern<br />

als auch in den Schulen immer schwieriger.<br />

Somit übernehmen die Jugendverbände<br />

maßgebliche Sozialisationsaufgaben. Der Erwerb<br />

dieser Schlüsselqualifikationen im Rahmen von<br />

sozialer Kompetenz, stellt eine wesentliche Ergänzung<br />

zu dem Erlernen <strong>der</strong> Kulturtechniken Lesen,<br />

Rechnen, Schreiben, verschiedene Sprachen sprechen<br />

<strong>und</strong> Umgang mit dem Computer dar.<br />

Fazit:<br />

Schule, Universität <strong>und</strong> Berufsausbildung können<br />

Jugendlichen Lernerfahrungen nur unvollständig<br />

vermitteln. Außerschulische Jugendarbeit nimmt<br />

keine Lückenbüßerfunktion ein, son<strong>der</strong>n setzt<br />

Standards. Lebenslanges Lernen braucht verschiedene<br />

Anregungsmilieus. Evangelische Jugend ist<br />

dabei nicht nur lebensabschnittsbegleitend, son<strong>der</strong>n<br />

markiert Erfahrungen <strong>für</strong> die Zukunft.<br />

Lernen am Modell ist angesagt. Evangelische Jugend<br />

arbeitet we<strong>der</strong> inhalts- noch beziehungslos.<br />

Das personale Angebot von Hauptamtlichen ist<br />

ein Pf<strong>und</strong>, mit dem wir wuchern können. Unsere<br />

pädagogischen <strong>und</strong> theologischen Zielformulierungen<br />

können sich hören <strong>und</strong> sehen lassen. Die<br />

Aussage: “ Unsere Konzeption ist unsere Konzeptionslosigkeit”<br />

trifft <strong>für</strong> die Evangelische Jugend<br />

nicht zu.<br />

Praktizierte christliche<br />

Nächstenliebe am Beispiel<br />

des barmherzigen Samariters<br />

Es findet sich im Neuen Testament kein Aufruf zu<br />

Bildung <strong>und</strong> Lernen, doch stößt man auf zahlreiche<br />

Begegnungen zwischen Lehrern <strong>und</strong> Schülern.<br />

Jesus selbst wurde von seinen Jüngern als Lehrer<br />

verstanden. Auf sehr verschiedene Weise hat er<br />

seine Botschaft unter die Menschen gebracht, in<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_19<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Geschichten, Gleichnissen, symbolischen Handlungen<br />

<strong>und</strong> Verkündigungen. Und immer wie<strong>der</strong><br />

wird dabei deutlich, dass diese Botschaft nicht<br />

einfach in die Köpfe fällt. Sie muss „erlernt“ werden,<br />

allmählich verstanden <strong>und</strong> angeeignet. Bis<br />

heute.<br />

Wir kehren zu unserem Ausgangspunkt zurück,<br />

zum Titel, <strong>der</strong> über unseren Ausführungen liegt.<br />

Und wir wählen uns ein problematisches Thema<br />

aus, das Jesus gelehrt hat: Nächstenliebe.<br />

„Nächstenliebe“ also, dieses so breit getretene<br />

<strong>und</strong> meist missverstandene Wort. Soll man es<br />

überhaupt noch gebrauchen? Wir versuchen es<br />

trotzdem, in <strong>der</strong> Hoffnung zur Klärung beitragen zu<br />

können.<br />

Zuerst die Geschichte:<br />

Lukas 10, 25-29<br />

25 Da kam ein Toralehrer <strong>und</strong> wollte Jesus prüfen;<br />

er fragte ihn: »Lehrer, was muss ich tun, um das<br />

ewige Leben zu bekommen?« 26 Jesus antwortete:<br />

»Was steht denn im Gesetz? Was liest du dort?«<br />

27 Der Toralehrer antwortete: »Liebe den Herrn,<br />

deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen<br />

<strong>und</strong> mit aller deiner Kraft <strong>und</strong> deinem ganzen<br />

20_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Verstand! Und: Liebe deinen Nächster wie dich<br />

selbst!« 28 »Du hast richtig geantwortet«, sagte<br />

Jesus. »Handle so, dann wirst du leben.«<br />

29 Aber <strong>der</strong> Toralehrer wollte seine Frage rechtfertigen,<br />

<strong>und</strong> er fragte weiter: »Wer ist denn mein<br />

Nächster?«7<br />

Die Tora umfasst die fünf Bücher Mose. „Tora“<br />

bedeutet „Lehre“, „Unterweisung“, „Gesetz“. Sie<br />

ist das F<strong>und</strong>ament des israelitischen Glaubens damals<br />

so wie des jüdischen heute. Insgesamt zählt<br />

man 613 Tora-Gebote.<br />

Jesus trifft in dieser Erzählung also nicht auf einen<br />

Laien, son<strong>der</strong>n auf einen absoluten Spezialisten,<br />

einen Lehrer, <strong>der</strong> sich genauestens auskennt.<br />

In dem folgenden Gespräch geht es ums Eingemachte.<br />

Das ist kein intellektueller small talk, wo<br />

man dem Gegenüber mal zeigt, wie schlau man<br />

ist. Nein, <strong>der</strong> Toralehrer will es wirklich wissen.<br />

Er „prüft“ Jesus aus existentiellem Interesse.<br />

Die Frage nach dem „ewigen Leben“ ist eine<br />

Frage nach Alles o<strong>der</strong> Nichts. Dabei steht das<br />

Hier im Mittelpunkt, nicht das Jenseits. Der Lehrer<br />

fragt nach dem ultimativ besten Leben, das er<br />

schon jetzt haben will, wenigstens in Anfängen.


Von Jesus erhofft er sich weiterreichende Antworten.<br />

Die Unterhaltung zwischen den beiden ist ein<br />

typisches Lehrgespräch. Jesus antwortet nicht<br />

einfach. Er bringt den Fragenden dazu, selbst zu<br />

einer Antwort zu gelangen <strong>und</strong> verweist ihn dabei<br />

an die Tora zurück. Und sofort kann <strong>der</strong> Lehrer<br />

zusammenfassend die 3 Säulen des Liebesgebots<br />

benennen: Gottesliebe, Selbstliebe, Nächstenliebe<br />

(dazu sagen wir jetzt nichts, weil das zu weit<br />

führen würde).<br />

Das heißt, eigentlich weiß er längst, wonach er<br />

Jesus fragt, weshalb <strong>der</strong> ganz simpel nachlegen<br />

kann mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, das dann auch zu praktizieren.<br />

Uups, ertappt! Hier landen wir mitten in <strong>der</strong> Gegenwart.<br />

Zwischen Erkennen <strong>und</strong> Handeln besteht<br />

ein Zusammenhang, den viele gerne übersehen. Es<br />

ist natürlich auch einfacher, schöne Einsichten zu<br />

formulieren o<strong>der</strong> flammende Appelle an wen auch<br />

immer zu richten <strong>und</strong> dann wie<strong>der</strong> nach Hause<br />

zu fahren. Jesus macht auf trockene Art deutlich,<br />

dass Denken <strong>und</strong> Tun zusammengehören.<br />

Der Lehrer jedenfalls fühlt sich bloßgestellt <strong>und</strong><br />

versucht, sein Gesicht zu wahren, indem er weiterfragt<br />

<strong>und</strong> nun konkret wissen will: wer ist denn<br />

mein(e) Nächste(r)?<br />

Daraufhin erzählt Jesus die Geschichte vom Samaritaner:<br />

Lukas 10, 30 - 37<br />

30 Jesus nahm die Frage auf <strong>und</strong> erzählte die<br />

folgende Geschichte: »Ein Mann ging von Jerusalem<br />

nach Jericho hinab. Unterwegs überfielen ihn<br />

Räuber. Sie nahmen ihm alles weg, schlugen ihn<br />

zusammen <strong>und</strong> ließen ihn halb tot liegen. 31 Nun<br />

kam zufällig ein Priester denselben Weg. Er sah<br />

den Mann liegen <strong>und</strong> ging in großem Bogen vorbei.<br />

32 Genauso machte es ein Levit, als er an die<br />

Stelle kam: Er sah ihn liegen <strong>und</strong> ging in großem<br />

Bogen vorbei. 33 Schließlich kam ein Reisen<strong>der</strong><br />

aus Samarien. Als er den Überfallenen sah, ergriff<br />

ihn das Mitleid. 34 Er ging zu ihm hin, behandelte<br />

seine W<strong>und</strong>en mit Öl <strong>und</strong> Wein <strong>und</strong> verband sie.<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier <strong>und</strong><br />

brachte ihn in das nächste Gasthaus, wo er sich<br />

weiter um ihn kümmerte. 35 Am <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Tag zog<br />

er seinen Geldbeutel heraus, gab dem Wirt zwei<br />

Denare <strong>und</strong> sagte: Pflege ihn! Wenn du noch<br />

mehr brauchst, will ich es dir bezahlen, wenn ich<br />

zurückkomme.« 36 »Was meinst du?«, fragte Jesus.<br />

»Wer von den dreien hat an dem Überfallenen als<br />

Nächster gehandelt?« 37 Der Toralehrer antwortete:<br />

»Der ihm geholfen hat!« Jesus erwi<strong>der</strong>te:<br />

»Dann geh <strong>und</strong> mach du es ebenso!«<br />

„Nächstenliebe“ wird von Außenstehenden oftmals<br />

so begriffen, als müssten Christinnen <strong>und</strong><br />

Christen jedem Menschen dieser Welt in Sanftheit,<br />

Harmoniebedürftigkeit <strong>und</strong> weichgespülter<br />

Fre<strong>und</strong>lichkeit gegenübertreten. Schon komisch,<br />

was manche unter „Liebe“ verstehen.<br />

Aber auch, wer sich um eine Einlösung dieses Gebots<br />

bemüht, kann <strong>für</strong>chten, dabei aus <strong>der</strong> Puste<br />

zu kommen. Bereits in <strong>der</strong> Frage des Toralehrers<br />

steckt diese Angst vor Überfor<strong>der</strong>ung, die noch<br />

heute lebendig ist. Ja, wie soll das denn gehen, die<br />

ganze Welt <strong>und</strong> alle Menschen zu umarmen?<br />

„Gar nicht“, sagt Jesus.<br />

Und das wird auch nirgends gefor<strong>der</strong>t!<br />

Wir alle kennen sehr verschiedene Arten zu lieben.<br />

Wir lieben unsere(n) Partner(in) an<strong>der</strong>s als unsere<br />

Eltern, unsere Großeltern, unsere Geschwister,<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_21<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

unsere Kin<strong>der</strong>, unsere Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e.<br />

Und Nächstenliebe ist noch einmal etwas ganz<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>s!<br />

Die Frage des Toralehrers nach dem Nächsten führt<br />

auf gefährliches Gelände. Denn nach dem Hören<br />

<strong>der</strong> Geschichte vom Samariter ist es nicht mehr<br />

möglich, die drei Säulen des Liebesgebots bequem<br />

auseinan<strong>der</strong> zu halten <strong>und</strong> sich nur an eine<br />

von ihnen zu lehnen. Gottesliebe, Selbstliebe <strong>und</strong><br />

Nächstenliebe gehören zusammen. Sie lassen sich<br />

nicht trennen.<br />

Am spannendsten aber ist die Antwort, die Jesus mit<br />

<strong>der</strong> Geschichte auf die Frage nach dem Nächsten<br />

gibt.<br />

Jericho <strong>und</strong> Jerusalem liegen, je nach Wegstrecke,<br />

zwischen 30 – 40 km auseinan<strong>der</strong>. In Jericho<br />

lebten viele Priester <strong>und</strong> Leviten, die zum achttägigen<br />

Tempeldienst nach Jerusalem wan<strong>der</strong>ten.<br />

Der Weg dorthin führte aus <strong>der</strong> Jordansenke,<br />

250 m unter dem Meeresspiegel, ins 750 m hoch<br />

gelegene Jerusalem über Serpentinen <strong>und</strong> steile<br />

Anstiege. Ein ideales Gebiet <strong>für</strong> Raubüberfälle<br />

<strong>und</strong> in damaliger Zeit auch berüchtigt da<strong>für</strong>. Die<br />

Handelsstrecke Jericho – Jerusalem litt unter den<br />

zahllosen Attacken auf Kaufleute <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>, die<br />

nach Besitz aussahen.<br />

So passiert dem Mann, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Geschichte überfallen<br />

wird, das, was vielen dort real passiert ist.<br />

Er wird schwer verletzt, ausgeraubt <strong>und</strong> dann sich<br />

selber überlassen.<br />

Priester <strong>und</strong> Levit, die seinen Weg kreuzen, reagieren<br />

beide auf die gleiche Weise: sie machen<br />

einen Bogen um den Überfallenen. Sie gehen auf<br />

Distanz, um nur ja nicht in diesen Fall verwickelt zu<br />

werden. Sie verweigern sich einer Begegnung, die<br />

bindet <strong>und</strong> eine Beziehung herstellt. Sie verweigern<br />

dem Verletzten das Recht, ein Mensch zu sein<br />

(über Priester <strong>und</strong> Levit wäre noch viel mehr zu<br />

sagen, wo<strong>für</strong> hier nicht <strong>der</strong> Platz ist.).<br />

Der Reisende aus Samarien, dem nördlichen Teil<br />

des heutigen Westjordanlands, <strong>der</strong> als letzter auf<br />

den Ausgeraubten stößt, hat eigentlich am wenigsten<br />

Gr<strong>und</strong> einzuschreiten. Samaritaner waren<br />

22_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Israeliten, die sich im Laufe <strong>der</strong> Geschichte mit<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Völkern vermischt hatten <strong>und</strong> da<strong>für</strong> von<br />

den übrigen Israeliten verachtet wurden. Außerdem<br />

waren sie weniger streng im Befolgen <strong>der</strong><br />

Reinheitsgebote.<br />

Bürger zweiter Klasse also, religiöse Parias dazu.<br />

In <strong>der</strong> Gegend zwischen Jericho <strong>und</strong> Jerusalem<br />

dürften sich nicht all zu viele Samaritaner aufgehalten<br />

haben. Der Überfallene wird damit zu<br />

denen gehört haben, die auf die „Halbisraeliten“<br />

herabgesehen haben. Warum sollte man so einem<br />

auch noch beistehen? Eigentlich müsste er ihm<br />

zum Fernsten werden.<br />

Doch dem Reisenden sind solche Überlegungen<br />

in diesem Augenblick vollkommen fremd. Er lässt<br />

sich anrühren von <strong>der</strong> Situation des Hilflosen. Er<br />

setzt sich über alle nationalen, ethischen o<strong>der</strong><br />

religiösen Grenzen hinweg. Denn vor ihm liegt<br />

kein Judäer o<strong>der</strong> Galiläer o<strong>der</strong> religiöser first class<br />

man, son<strong>der</strong>n schlicht <strong>und</strong> einfach ein Mensch. Ein<br />

Mensch, <strong>der</strong> Hilfe braucht.<br />

Nach dem ersten Moment persönlicher Berührung<br />

<strong>und</strong> Erschütterung handelt <strong>der</strong> Samaritaner sehr<br />

pragmatisch <strong>und</strong> realitätsnah. Er verzichtet darauf,<br />

dem Überfallenen zu erklären, wie sehr dessen<br />

Situation ihn betroffen mache. Stattdessen greift<br />

er auf die medizinischen Gr<strong>und</strong>kenntnisse zurück,<br />

die in damaliger Zeit praktiziert wurden. Er reinigt<br />

die W<strong>und</strong>en schonend mit Öl <strong>und</strong> desinfiziert sie


dann mit Wein, um sie zuletzt zu verbinden. Anschließend<br />

bringt er den Verw<strong>und</strong>eten an einen<br />

sicheren Ort, wo er die Pflege fortsetzen kann.<br />

Falsch verstandene Nächstenliebe würde nun erwarten,<br />

dass <strong>der</strong> Mann aus Samarien seine eigenen<br />

Interessen zurückstellt <strong>und</strong> so lange bei dem<br />

Verw<strong>und</strong>eten bleibt, bis <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> vollständig geheilt<br />

ist. Richtig verstandene Selbstliebe lässt ihn<br />

dagegen am nächsten Tag aufbrechen <strong>und</strong> seinen<br />

eigenen Geschäften nachgehen. Vorher aber regelt<br />

er die weitere Versorgung finanziell <strong>und</strong> delegiert<br />

die Hilfe an einen <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n. Nächstenliebe schließt<br />

nicht aus, dass ich <strong>mich</strong> um Mithilfe kümmere.<br />

Es ist vielleicht nicht ganz so glanzvoll <strong>und</strong> edel,<br />

wenn ich <strong>für</strong> sie bezahle, aber da<strong>für</strong> in manchen<br />

Fällen zweckmäßig. Der Samaritaner jedenfalls<br />

weiß genau, wie er den Wirt dazu bewegen kann,<br />

dem Ausgeraubten weiter<br />

beizustehen. Gewissensappelle<br />

hätten nicht geholfen.<br />

Wenn man sich die Geschichte<br />

noch einmal ansieht, kann<br />

man feststellen, dass <strong>der</strong><br />

Samaritaner an keiner Stelle<br />

etwas tun muss, das über<br />

seine Kräfte geht. Bei näherer<br />

Betrachtung lässt sich nur<br />

konstatieren: Er tut, was zu<br />

tun ist. Kein Gesülze, keine<br />

Psychoshow, son<strong>der</strong>n Handfestes.<br />

Nächstenliebe tut das<br />

Naheliegende.<br />

Jesus zeichnet hier ein Modell,<br />

das niemanden überfor<strong>der</strong>t, aber jede <strong>und</strong> jeden<br />

dazu anhält, existentiell hellwach zu bleiben.<br />

Das wichtigste Wort in <strong>der</strong> Samaritanergeschichte<br />

ist das Wort „zufällig“. Zufällig stoßen die drei<br />

Personen <strong>der</strong> Erzählung auf den Überfallenen,<br />

um sich darauf sehr unterschiedlich zu verhalten.<br />

Wer also konkret nach dem Nächsten fragt, muss<br />

wissen: wer die o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nächste ist, das ereignet<br />

sich. Wir suchen uns unseren Nächsten nicht aus.<br />

Er begegnet uns. Wir können nicht bestimmen, wer<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

unsere Nächste wird. Sie stößt uns zu. Wir haben<br />

keine Wahl, können uns nicht vorher herauspicken,<br />

wer uns am besten passen würde.<br />

Wer unsere Nächsten sind, ist unvorhersehbar <strong>und</strong><br />

überraschend. Doch es werden immer Menschen<br />

sein, die in eine Situation geraten sind, aus <strong>der</strong><br />

sie allein nicht mehr herausfinden. Nächstenliebe<br />

bedeutet, mit da<strong>für</strong> zu sorgen, dass Menschen<br />

wie<strong>der</strong> fähig werden, selbständig leben zu können.<br />

Mehr nicht, aber auch nicht weniger.<br />

Wir finden, dass sich mit einem solchen Verständnis<br />

von Nächstenliebe freier atmen lässt – <strong>und</strong><br />

schwerer nach Ausflüchten suchen, um nichts zu tun.<br />

Nächstenliebe ist immer auch ein Aufstand gegen<br />

jede Form von Nationalismus, religiöser Überheblichkeit<br />

<strong>und</strong> sozialer Deklassierung. Über<br />

alle Normen <strong>und</strong> Schranken setzt sie sich fe<strong>der</strong>-<br />

leicht hinweg. Sie ist ein Herzweg von Mensch<br />

zu Mensch <strong>und</strong> damit auch zu Gott. Denn Gottesliebe<br />

ist ohne Nächstenliebe nicht zu haben <strong>und</strong><br />

Nächs tenliebe nicht ohne Liebe zu sich selbst.<br />

„Bildung“, so verstanden, käme ohne ein System<br />

aus, das Menschen klassifiziert <strong>und</strong> von vornherein<br />

die Chancen ungleichmäßig verteilt.<br />

An dieser Stelle verzichten wir aus Gründen<br />

des Umfangs dieses Beitrages auf die Themen<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_23<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

„Transfer, Vermittlung, Umsetzung (Projektbeschreibungen,<br />

Praxisbeispiele, Gottesdienste,<br />

Gruppenst<strong>und</strong>en, St<strong>und</strong>en-Entwürfe)“ <strong>und</strong> „Weiterführende<br />

Fragestellungen“, so wie sie in dem<br />

verabredeten Raster des 7-er-Schrittes vorgesehen<br />

sind. Sie sind in den weiteren Beiträgen dieser<br />

Arbeitshilfe praxisnah dargestellt.<br />

Literaturverzeichnis<br />

• Corsa, M./Nörber, M./Sturzenhecker, B.: Realität<br />

<strong>und</strong> Reichweite von Jugendverbandsarbeit.<br />

Vorläufiger Abschlussbericht <strong>für</strong> das B<strong>und</strong>esministerium<br />

<strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />

Jugend/<strong>Band</strong> 5/Bericht <strong>der</strong> Praxisentwicklung,<br />

Hannover, Berlin 2006 (unveröff.)<br />

• Fauser, Katrin & Münchmeier, Richard & Fischer,<br />

Arthur (Hrsg.) Jugendliche als Akteure<br />

im Verband Ergebnisse einer empirischen Untersuchung<br />

<strong>der</strong> Evangelischen Jugend (<strong>Band</strong><br />

1) 3-86649-065-8 Erscheinungsjahr: 10/2006<br />

354 Seiten<br />

Das Buch stellt die Ergebnisse einer umfangreichen<br />

Jugendstudie zum Thema „Jugend im<br />

Verband“ vor. Junge Menschen – so <strong>der</strong> Bef<strong>und</strong><br />

- sind nicht bloß Adressaten o<strong>der</strong> Konsumenten.<br />

<strong>Für</strong> sie ist <strong>der</strong> Jugendverband ein Ort von Sel-<br />

24_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

bermachen <strong>und</strong> aktiv sein können. Sie nutzen<br />

ihn, um „etwas <strong>für</strong> sich selber zu tun“, „an sich<br />

wachsen zu können“ <strong>und</strong> zugleich, um „etwas<br />

Sinnvolles <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>“ zu tun. Die zentralen<br />

subjektorientierten Perspektiven <strong>und</strong> Fragestellungen<br />

<strong>der</strong> Untersuchung waren: Wie erleben Jugendliche<br />

die Angebote eines Jugendverbands?<br />

Wie eignen sie sich seine Gelegenheitsstruktur<br />

an? Was machen sie aus dem Verband? Die<br />

Bef<strong>und</strong>e des aufwändigen Forschungsprojekts<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Evangelischen Jugend erläutern<br />

die Rolle <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e im Jugendverband,<br />

die zentrale Bedeutung von Gemeinschaft, die<br />

leitenden Teilnahmemotive, die Aktivitäts- <strong>und</strong><br />

Gestaltungsbedürfnisse von jugendlichen Teilnehmern.<br />

• Fauser, Katrin & Münchmeier, Richard & Fischer,<br />

Arthur (Hrsg.) "Man muss es selbst<br />

erlebt haben..." Biografische Porträts Jugendlicher<br />

aus <strong>der</strong> Evangelischen Jugend (<strong>Band</strong> 2)<br />

3-86649-066-6 Erscheinungsjahr: 10/2006 318<br />

Seiten<br />

In diesem Buch drücken Jugendliche <strong>und</strong> junge<br />

Erwachsene in Wort <strong>und</strong> Bild aus, was „ihr“<br />

Jugendverband <strong>für</strong> sie <strong>und</strong> ihre Entwicklung<br />

bedeutet. Jugendverbände können <strong>für</strong> biografisch<br />

bedeutsame Selbstbildungsprozesse<br />

überaus wichtig sein. Über diese biografischen<br />

Wirkungen ist bisher aber nur sehr wenig bekannt.<br />

Das Buch präsentiert biografische Porträts<br />

Jugendlicher <strong>und</strong> junger Erwachsener <strong>und</strong><br />

schließt damit diese Lücke: Hier werden die<br />

subjektiven lebensweltlichen <strong>und</strong> biografischen<br />

Bedeutungen sichtbar. Die Porträts vollziehen<br />

nach, wie junge Menschen das Leben <strong>und</strong> die<br />

Aktivitäten in <strong>und</strong> mit Jugendverbänden – in<br />

unserem Fall in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend – erleben<br />

<strong>und</strong> gewähren ganz konkrete <strong>und</strong> häufig<br />

überraschende Einblicke. So entsteht ein anschaulicher<br />

<strong>und</strong> einfühlbarer Bil<strong>der</strong>bogen, wie<br />

unterschiedlich <strong>und</strong> erstaunlich mannigfaltig


das sein kann, was Jugendliche dort <strong>für</strong> ihr Leben<br />

gewinnen.<br />

• Corsa, Mike (Hrsg.): Praxisentwicklung im Jugendverband<br />

Prozesse - Projekte – Module<br />

(<strong>Band</strong> 3) ISBN 978-3-86649-67-3 Erscheinungsjahr:<br />

5/2007 220 Seiten<br />

Aus <strong>der</strong> umfangreichen Jugendstudie zum<br />

Thema „Jugend im Verband“ sind drei Bände<br />

hervorgegangen. Der dritte <strong>Band</strong> liefert anhand<br />

plastischer Beispiele motivierende Impulse <strong>für</strong><br />

die subjektorientierte – also an den Ideen <strong>und</strong><br />

Bedürfnissen <strong>der</strong> Jugendlichen selbst orientierte<br />

– Praxis <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendarbeit. Der<br />

<strong>Band</strong> liefert professionelle Information über den<br />

Ansatz subjektorientierter Praxisentwicklung,<br />

Reflexionen darüber <strong>und</strong> eine anwendungsorientierte<br />

Darstellung von Instrumenten <strong>und</strong><br />

Impulsmodulen <strong>für</strong> subjektorientierte Praxisentwicklung.<br />

Ein Buch <strong>für</strong> PraktikerInnen.<br />

Aus dem Inhalt:<br />

Einführung<br />

• Mike Corsa, Was soll das Buch? Subjektorientierte<br />

Praxisentwicklung<br />

• Richard Münchmeier, Vom Sinn <strong>und</strong> Unsinn<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen Forschung <strong>und</strong><br />

Praxis<br />

• Welche Impulse kann Forschung <strong>für</strong> die Praxis<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendarbeit geben?<br />

Impulsmodule aus <strong>der</strong> Praxis<br />

Vertiefende Ausführungen<br />

• Fischer: Vertiefung <strong>der</strong> Regionalstudien<br />

• Schlottau: Auswertung einer Regionalen Studie<br />

• Sturzenhecker: Gruppendiskussionen mit<br />

Ehrenamtlichen<br />

• Breer: Vom Sinn überörtlicher Zusammenarbeit<br />

• Neubauer: Aus einer Chance wird eine Bewegung<br />

– die innerverbandliche Wirkung des<br />

Projektes (...)<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> - eine thematische Einführung<br />

• „Forschungsergebnisse: Wir machen was draus!<br />

- Zur Studie: Realität <strong>und</strong> Reichweite von Jugendverbandsarbeit“<br />

Flyer <strong>der</strong> Landesjugendkammer <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Jugend in <strong>der</strong> Evangelisch-lutherischen<br />

Landeskirche Hannovers<br />

• Mitarbeiten 2/2006: Ende offen – Praxisentwicklung<br />

in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

(Forschungsprojekt „Realität <strong>und</strong> Reichweite<br />

von Jugendverbandsarbeit“)<br />

Hrsg.: Haus kirchlicher Dienste <strong>der</strong> Evangelischlutherischen<br />

Landeskirche Hannovers (E-Mail:<br />

landesjugendpfarramt@kirchliche-dienste.de)<br />

• Materialien 9/2007: Aufgehorcht! Praxisprojekte<br />

in <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

(Forschungsprojekt „Realität <strong>und</strong> Reichweite<br />

von Jugendverbandsarbeit“)<br />

Hrsg.: Haus kirchlicher Dienste <strong>der</strong> Evangelischlutherischen<br />

Landeskirche Hannovers (E-Mail:<br />

landesjugendpfarramt@kirchliche-dienste.de)<br />

Wolfgang Blaffert<br />

Manfred Neubauer<br />

Fotos: www.pixelio.de<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_25<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


1. TEIl:<br />

lERNEN … AllEINE


›› Beten –<br />

<strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

Erste Einfälle zum Thema<br />

Hände falten statt anpacken - Untätigkeit statt<br />

Aktion: Sollte sich da etwa ein neuer Trend abzeichnen<br />

in „Gegen den Trend“?<br />

Auf den ersten Blick scheint es ein wenig seltsam,<br />

sich in dieser Publikation ausgerechnet mit solch<br />

einem Thema auseinan<strong>der</strong> zu setzen. „Beten“ hat<br />

<strong>für</strong> viele doch eher etwas mit Problemvermeidung<br />

zu tun, mit Wirklichkeitsflucht <strong>und</strong> Weicheigehabe.<br />

An<strong>der</strong>erseits: Fast jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> besitzt Gebetserfahrungen,<br />

nicht nur kindliche. Eine beträchtliche<br />

Anzahl betet regelmäßig.<br />

Also reicht es wohl kaum aus, sich mit allgemeinen<br />

(Vor-)Urteilen zufrieden zu geben. Im Beten<br />

scheint mehr zu stecken.<br />

Das erste, was mir einfiel, waren die Gebetszeiten<br />

im katholischen Kin<strong>der</strong>garten. Wir mussten die<br />

Handflächen zusammenlegen (so wie auf dem<br />

berühmten Gemälde von Albrecht Dürer) <strong>und</strong> die<br />

Fingerspitzen nach oben richten. Wer sie erdwärts<br />

bewegte, zeigte auf den Teufel <strong>und</strong> bekam augenblicklich<br />

etwas auf die Finger. Unser mittägliches<br />

Abenteuer bestand nun darin, möglichst unbemerkt<br />

auf den Fußboden zu weisen, was beinahe<br />

nie gelang. Beten wurde zu etwas Aufregendem<br />

<strong>und</strong> Gefährlichem. Es war wie auf den höchsten<br />

Baum klettern.<br />

Was sagen <strong>an<strong>der</strong>e</strong>?<br />

(F<strong>und</strong>sachen, Assoziationen,<br />

Kontexte) / Zuspitzung –<br />

Thema entfalten unter einem<br />

Blickwinkel<br />

Im Zeitalter <strong>der</strong> permanenten Multikommunikation,<br />

die selbst vor den privatesten Bereichen nicht<br />

halt macht, son<strong>der</strong>n alles <strong>und</strong> nichts im Licht des<br />

öffentlichen Geredes verbleichen lässt, ist „Beten“<br />

beinahe die letzte Bastion des Intimen geworden.<br />

28_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Man praktiziert es, aber man redet nicht darüber.<br />

Das berührt einen Bereich <strong>der</strong> Persönlichkeit,<br />

<strong>der</strong> nicht zur Schau gestellt werden soll. Diese<br />

Tabu isierung ist ein neues Phänomen, das tiefe<br />

Auswirkungen haben wird auf das allgemeine<br />

Gebetsverständnis. Aber zugleich deutet sich hier<br />

bereits an, dass es im Beten um mehr geht als um<br />

eine Kleinkindveranstaltung. Harmlos ist echtes<br />

Beten nie! Limitiert in seinen Formen aber ebenfalls<br />

nicht:<br />

„Selbst Rauchen kann Beten sein“!<br />

(Dom Hel<strong>der</strong> Camara)<br />

„Wie man beten soll, das steht in <strong>der</strong> Bibel; <strong>und</strong><br />

was man beten soll, das steht in <strong>der</strong> Zeitung.“<br />

(Karl Barth)<br />

„Die Gabe des Betens ist nicht den beson<strong>der</strong>en religiösen<br />

Genies vorbehalten. Spiritualität ist nicht<br />

die Delikatessen-Ecke <strong>für</strong> religiöse Feinschmecker-<br />

Beter in unserer Kirche. Beten ist keine Kunst,<br />

son<strong>der</strong>n ein Handwerk. Der durchschnittliche<br />

Mensch kann es lernen, wie er lesen, schreiben<br />

<strong>und</strong> kochen lernen kann.“<br />

(Fulbert Steffensky).<br />

Beten ist einfach – <strong>und</strong> trotzdem ein Tun, das ich<br />

einüben <strong>und</strong> vertiefen kann. So wird es zu mehr


als einem spontanen Gefühlsausdruck. Es ist eine<br />

uralte Handlung. Ich greife auf Erfahrungen von<br />

Menschen zurück, die vor mir gelebt haben. Ich<br />

reihe <strong>mich</strong> ein in einen unübersehbaren Strom von<br />

Empfindungen, Gedanken <strong>und</strong> Begegnungen.<br />

Das mag gegenwärtig die größte Schwierigkeit<br />

sein, da „Tradition“ <strong>und</strong> „Geschichte“ vielfach<br />

nicht als Orientierung <strong>und</strong> Entlastung betrachtet<br />

werden, son<strong>der</strong>n als Einengung <strong>der</strong> persönlichen<br />

Freiheit.<br />

Beten ist lange etwas Selbstverständliches gewesen,<br />

elementar <strong>und</strong> alltäglich wie Brot essen o<strong>der</strong><br />

Wasser trinken . Es war etwas so Selbstverständliches,<br />

dass es in Israel ursprünglich kein eigenes<br />

Wort da<strong>für</strong> gegeben hat. Beten war Rufen, Lachen,<br />

Weinen, Schimpfen, Flehen - je nach den Umständen.<br />

Feststehende Riten, Orte o<strong>der</strong> Zeiten hat es<br />

in Israel anfangs kaum gegeben. Alles war erlaubt<br />

- das ist das wichtigste Merkmal dieses Volkes im<br />

Umgang mit seinem Gott.<br />

Beten war in je<strong>der</strong> Haltung <strong>und</strong> Tonlage möglich.<br />

Kein Wort wäre zu <strong>der</strong>b o<strong>der</strong> zu spontan gewesen.<br />

Alles war denkbar.<br />

Das ist heute meist an<strong>der</strong>s. Jahrzehntelang war<br />

das offizielle Gebet in die Hände <strong>der</strong> Tugendwächter<br />

<strong>und</strong> Wohlerzogenen gefallen, die es übel zugerichtet<br />

haben. Manches Wäldchen könnte noch<br />

stehen, wenn es nicht als unsägliches Gebetbuch<br />

hätte enden müssen. Ich schäme <strong>mich</strong> bis heute<br />

<strong>für</strong> die Gebetbücher, die mir als Vikar empfohlen<br />

wurden. Noch mehr schäme ich <strong>mich</strong> da<strong>für</strong>, dass<br />

ich sie verwendet habe. Und noch immer sind viele<br />

Kirchengebete oftmals nicht mehr als sprachliche<br />

Laubsägearbeiten, die stets brav die vorgegebene<br />

Linie einhalten, ohne das geringste Gespür da<strong>für</strong>,<br />

dass Beten sich um die Regeln <strong>der</strong> Etikette nicht<br />

zu scheren hat.<br />

Ein temperiertes Beten gibt es nicht!<br />

Vor 40 Jahren wurde in Rom die Laiengemeinschaft<br />

Sant’Egidio gegründet, ursprünglich eine Schüler-<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

<strong>und</strong> Studentenbewegung, die mittlerweile auch<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> Altersgruppen erfasst hat <strong>und</strong> in 70 Län<strong>der</strong>n<br />

vertreten ist. Im Mittelpunkt steht das Gebet,<br />

das sich aber nicht selbst genügt, son<strong>der</strong>n die<br />

Mitglie<strong>der</strong> dazu bringt, eine konkrete Solidarität<br />

mit den Armen zu leben, sich <strong>für</strong> den Frieden in<br />

<strong>der</strong> Welt einzusetzen <strong>und</strong> gegen die Todesstrafe<br />

vorzugehen <strong>und</strong> in verschiedenen afrikanischen<br />

Län<strong>der</strong>n die weitere Ausbreitung von HIV-Erkrankungen<br />

zu bekämpfen. 2003 wurde Sant’Egidio<br />

<strong>für</strong> den Friedensnobelpreis vorgeschlagen <strong>und</strong><br />

ist mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet<br />

worden. Ein Leitsatz <strong>der</strong> Arbeit von<br />

Sant’Egidio lautet: „Der Krieg ist die Mutter aller<br />

Armut.“<br />

Es gibt einen engen Zusammenhang von Beten<br />

<strong>und</strong> Engagement. Der interessiert <strong>mich</strong>!<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_29<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

Theologische Betrachtung<br />

Vom Beten. Die Witwe <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Richter.<br />

Kein <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r Evangelist ist so sehr mit <strong>der</strong> Thematik<br />

des Betens beschäftigt wie Lukas. Insgesamt<br />

widmet er dem Thema sieben zentrale Abschnitte,<br />

beginnend mit dem Vaterunser (Kapitel 11), endend<br />

mit dem Sterbegebet Jesu (Kapitel 23). Das<br />

18. Kapitel behandelt durchlaufend die Frage<br />

nach dem Verhältnis von Mensch <strong>und</strong> Gott, dies<br />

aber nicht unverbindlich-abgehoben, son<strong>der</strong>n in<br />

ständigem Bezug zu jenen Strukturen, welche die<br />

innermenschlichen Beziehungen bis in die Gegenwart<br />

hinein entscheidend prägen: Macht – Ohnmacht;<br />

Reichtum – Armut.<br />

Lukas eröffnet dieses Kapitel mit zwei Gleichnissen,<br />

die sich als generelle Gebetsanleitungen<br />

verstehen lassen, zugleich aber auch die damaligen<br />

sozialen Verhältnisse sehr klar ausleuchten,<br />

beson<strong>der</strong>s im ersten Gleichnis. Jesus erzählt eine<br />

(unmögliche) Armutsgeschichte, die seiner Zuhörerschaft<br />

in vielen Zügen vertraut gewesen sein<br />

wird:<br />

2 »In einer Stadt lebte ein Richter, <strong>der</strong> nicht nach<br />

Gott fragte <strong>und</strong> alle Menschen verachtete. 3 In<br />

<strong>der</strong> gleichen Stadt lebte auch eine Witwe. Sie kam<br />

30_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

immer wie<strong>der</strong> zu ihm gelaufen <strong>und</strong> bat ihn: Verhilf<br />

mir zu meinem Recht! 4 Lange Zeit wollte <strong>der</strong> Richter<br />

nicht, doch schließlich sagte er sich: Es ist mir<br />

zwar völlig gleichgültig, was Gott <strong>und</strong> Menschen<br />

von mir halten; 5 aber weil die Frau mir lästig wird,<br />

will ich da<strong>für</strong> sorgen, dass sie ihr Recht bekommt.<br />

Sonst kratzt sie mir noch die Augen aus.« 6 Und<br />

<strong>der</strong> Herr fuhr fort: »Habt ihr gehört, was dieser<br />

korrupte Richter sagt? 7 Wird dann nicht Gott erst<br />

recht seinen Erwählten zu ihrem Recht verhelfen,<br />

wenn sie Tag <strong>und</strong> Nacht zu ihm schreien? Wird er<br />

sie etwa lange warten lassen? 8 Ich sage euch: Er<br />

wird ihnen sehr schnell ihr Recht verschaffen.«<br />

(Lukas 18, 2-8a)<br />

Jesus greift in seinem Gleichnis auf ein Personal<br />

zurück, das in <strong>der</strong> Erzähltradition Israels geläufig<br />

ist: Witwe <strong>und</strong> Richter. Schon die Propheten haben<br />

oftmals die Korruptheit <strong>und</strong> Rechtsverdrehung <strong>der</strong><br />

Richter kritisiert, die gerade auf die Schwachen<br />

keine Rücksicht nehmen, son<strong>der</strong>n schamlos <strong>der</strong>en<br />

Ohnmacht ausnutzen. „Richter“ übernehmen in<br />

solchen Geschichten häufig die Rolle des „bad<br />

guy“, sicher ein Echo auf reale Zustände. Der<br />

Richter in dem vorliegenden Gleichnis scheint<br />

auf den ersten Blick ebenfalls solche Erwartungen<br />

zu erfüllen: er ist so mächtig, dass er sich nicht<br />

einmal vor Gott <strong>für</strong>chtet, ein Zyniker, dem menschliche<br />

Schicksale gleichgültig sind, <strong>der</strong> sich bestechen<br />

lässt <strong>und</strong> das Recht nicht nach dem Gesetz,<br />

son<strong>der</strong>n nach den finanziellen Zuwendungen<br />

an ihn auslegt. Ein eindeutiger Bösewicht <strong>und</strong><br />

Fiesling also. Aber am Ende knickt er ein <strong>und</strong> gibt<br />

sich einer Frau geschlagen, die eigentlich keine<br />

Mittel hat, ihr Recht durchzusetzen. Wie ist das<br />

möglich?<br />

Seine Wi<strong>der</strong>sacherin ist eine Witwe <strong>und</strong> damit<br />

eine, die sich am untersten Ende <strong>der</strong> sozialen<br />

Rangskala befindet. Wer als Frau seinen Ehepartner<br />

verliert, <strong>und</strong> das ist damals keine Seltenheit<br />

gewesen, auch bei Jüngeren nicht, stürzt in freiem<br />

Fall mitten ins Elend. Ein soziales Netz gibt es


nicht, irgendwelche Hilfsorganisationen ebenso<br />

wenig. Witwen sind nicht die zahnlosen Mütterchen<br />

aus irgendwelchen langweiligen Moralgeschichten,<br />

son<strong>der</strong>n oft genug junge Frauen. Sie<br />

sind die personifizierte Armut. Je jünger, desto<br />

länger wird die Zeit ihres Elends währen!<br />

Es ist eigentlich <strong>und</strong>enkbar, dass solch eine Frau<br />

sich überhaupt auf einen Rechtsstreit einlassen<br />

kann. Wie in all seinen Gleichnissen dockt Jesus<br />

bei den Alltagserfahrungen seiner Zuhörerschaft<br />

an, um sie dann im entscheidenden Moment zu<br />

brechen. So auch hier. Welche Rechtsangelegenheit<br />

hier verhandelt wird, teilt Jesus nicht mit. Es<br />

ist nicht wichtig. Entscheidend ist das Verhalten<br />

<strong>der</strong> Frau: ihre unerschrockene Beharrlichkeit, mit<br />

<strong>der</strong> sie immer wie<strong>der</strong> den Richter darum bittet, ihr<br />

Recht zu verschaffen. Er <strong>für</strong>chtet sie nicht, er wird<br />

auch nicht von Gewissensbissen geplagt. Zu solch<br />

einem zuckersüßen Ende lässt Jesus sich nicht<br />

hinreißen. Es ist viel banaler: Die Frau geht dem<br />

Richter schlichtweg auf den Geist, sie wird ihm lästig.<br />

Er will sie sich schließlich vom Hals schaffen,<br />

indem er ausnahmsweise tut, was seine Aufgabe<br />

ist - Recht zu sprechen.<br />

Im Folgeschluss fragt Jesus die Zuhörenden am<br />

Ende, ob sie Gott nicht eine stärkere Zuwendung<br />

zutrauen zu denen, die ihn fortwährend um Hilfe<br />

anrufen. Wenn es schon <strong>der</strong> Witwe gelingt, diesen<br />

Richter zu bewegen, wie sollte Gott dann unbeteiligt<br />

bleiben, <strong>der</strong> sich in nichts mit dieser Richterfigur<br />

vergleichen lässt?<br />

Wie<strong>der</strong> einmal stehen sich Alltags- <strong>und</strong> Glaubensrealität<br />

gegenüber, sieht die eine sich von <strong>der</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n provoziert. Gleichnisse Jesu sind Zumutungen<br />

– aber eben solche, die Mut machen wollen.<br />

Auffällig ist die enge Verbindung von „Beten“ <strong>und</strong><br />

dem Verb „ekdikein“, das ein Begriff aus dem<br />

juristischen Bereich ist. Es gibt drei verschiedene<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

Bedeutungen <strong>für</strong> „ekdikein“: „jemandem Rechtshilfe<br />

gewähren“, „einen Prozess durchführen“ <strong>und</strong><br />

„Rache verschaffen“. Die meisten Übersetzungen<br />

gehen in <strong>der</strong> Regel einen Schritt weiter <strong>und</strong> wählen<br />

als Bedeutung: „Jemanden zu seinem Recht<br />

verhelfen“ o<strong>der</strong> „jemandem Recht verschaffen“.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e geht es genau darum, um die Aufhebung<br />

ungerechter Verhältnisse <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>herstellung<br />

eines Zustandes, in dem die<br />

verschiedenen Kräfte so ausbalanciert sind, dass<br />

die Waage sich nicht regelmäßig nur zu einer Seite<br />

neigt. „Gerechtigkeit“ ist eine Frage des Gleichgewichts.<br />

Wo sich zu viel Macht, zu viel Reichtum<br />

in wenigen Händen konzentriert, ist dieses Gleichgewicht<br />

zerstört. Wenn Armut <strong>und</strong> Schutzlosigkeit<br />

überhand nehmen, ist das Recht gebrochen, nicht<br />

allein das Menschliche, son<strong>der</strong>n eben auch das<br />

Göttliche. Nach prophetischem <strong>und</strong> jesuanischem<br />

Verständnis müssen gesellschaftliche <strong>und</strong> soziale<br />

Verhältnisse die göttliche Ordnung wi<strong>der</strong>spiegeln,<br />

die eine beson<strong>der</strong>e Verpflichtung beinhaltet: Das<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_31<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

Stärkere muss das Schwächere unterstützen <strong>und</strong><br />

schützen. Die Realität sah (immer schon) an<strong>der</strong>s<br />

aus!<br />

Jesus redet in schwierigen Zeiten, in denen es nur<br />

wenige gibt, die vermögend sind, während <strong>der</strong> Alltag<br />

von mehr als 90% <strong>der</strong> Bevölkerung ein Leben<br />

am Existenzminimum ist. Landverlust, Verschuldung,<br />

Verelendung – das sind die drei Schlagworte,<br />

mit <strong>der</strong> sich das Leben <strong>der</strong> überwiegenden<br />

Mehrheit beschreiben lässt.<br />

Die Leute, die Jesus zuhören, wollen keine Zerstreuung.<br />

Was ihnen erzählt wird, geht ihnen<br />

buchstäblich unter die Haut. Sie sind Entrechtete,<br />

Ausgenutzte, Verachtete, an den Rand Gedrängte.<br />

Ihnen kann man nicht mit Vertröstungen kommen.<br />

In dem Gleichnis von <strong>der</strong> Witwe <strong>und</strong> dem Richter<br />

zeigt Jesus eine gr<strong>und</strong>legende Dimension des<br />

Betens auf:<br />

„Beten“ heißt in diesem Fall, Gott zu seinem<br />

Rechtsbeistand zu machen <strong>und</strong> mit seiner Hilfe<br />

gegen das Unrecht einen Prozess zu führen. „Beten“<br />

ist (auch) eine Ohnmachtserfahrung, die nicht<br />

in Resignation mündet, son<strong>der</strong>n in dem Ruf nach<br />

Gerechtigkeit die eigene Machtlosigkeit überwindet.<br />

Im Beten steht auf, wer am Boden gelegen<br />

hat, um weiter zu machen <strong>und</strong> sich einzusetzen<br />

<strong>für</strong> das, was recht ist. „Beten“ ist somit keine<br />

isolierte Handlung, son<strong>der</strong>n eingeb<strong>und</strong>en in ein<br />

umfassen<strong>der</strong>es Tun, das den ganzen Menschen<br />

betrifft.<br />

Farbe bekennen (Meinungen,<br />

Überzeugungen, Ideen aus<br />

<strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Verfasserin/des<br />

Verfassers)<br />

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass das Gebet<br />

mit beson<strong>der</strong>en Augen auf die Welt schaut. Es ist<br />

niemals ein distanzierter Blick, son<strong>der</strong>n immer<br />

ein anteilnehmen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> wahrnimmt, was nicht in<br />

32_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Ordnung ist <strong>und</strong> das nicht aushalten mag. Es geht<br />

nicht um selbstzufriedene Erbauung, nicht um ein<br />

postmo<strong>der</strong>nes upgrade <strong>der</strong> eigenen Persönlichkeit,<br />

die noch ein wenig spirituell getunt werden<br />

muss. Es geht auch nicht darum, nichts zu tun.<br />

„Beten“ ist Teil eines komplexen Engagements.<br />

Wenn ich aufhöre zu beten, stirbt etwas in meinem<br />

Leben. Es wird leerer, weil es beziehungsärmer<br />

wird; es wird geheimnisloser, weil ich Gott als<br />

Gegenüber ausblende. Beten ist kein Monolog –<br />

es ist immer ein in Verbindung treten. Im Beten<br />

wird mir bewusst, dass ich nicht allein bin, nicht<br />

vereinzelt, son<strong>der</strong>n mit Gott <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt zusammenhänge.<br />

Je deutlicher mir das wird, desto mehr<br />

än<strong>der</strong>t sich auch mein Leben. Es öffnet Türen in<br />

die Wirklichkeitsräume, die mir sonst verschlossen<br />

blieben. Es lässt <strong>mich</strong> tiefer ins Leben eindringen,<br />

es macht <strong>mich</strong> wacher <strong>und</strong> weniger anfällig <strong>für</strong><br />

Propaganda <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Lügen. Es verhilft mir zu<br />

einem langen Atem. Ich bin davon überzeugt, dass<br />

Beten nicht folgenlos bleibt.<br />

„Beten verän<strong>der</strong>t nicht die Welt.<br />

Aber Beten verän<strong>der</strong>t die Menschen,<br />

<strong>und</strong> Menschen verän<strong>der</strong>n die Welt.“<br />

(Albert Schweitzer)<br />

Und mehr ist nicht zu sagen!


Transfer, Vermittlung, Umsetzung (Projektbeschreibungen, Praxisbeispiele,<br />

Gottesdienste, Gruppenst<strong>und</strong>en, St<strong>und</strong>en­Entwürfe)<br />

Gebetswerkstatt<br />

„Beten so einfach wie Atmen“<br />

Es gibt keine falschen Gebete. Es gibt nur ein<br />

Entwe<strong>der</strong> – O<strong>der</strong>: Entwe<strong>der</strong> man betet o<strong>der</strong> man<br />

tut es eben nicht. Manchmal ist Beten kaum mehr<br />

als ein Stammeln, manchmal ein langes Gespräch,<br />

manchmal ein Ausruf o<strong>der</strong> einfach nur andächtiges<br />

Schweigen. In dieser Gebetswerkstatt steht<br />

niemand unter Erfolgsdruck. Es geht um keinen<br />

Heiligkeitspreis, auch nicht um literarische Ehren,<br />

son<strong>der</strong>n um einfache, spontane, frische Texte,<br />

die sich ohne all zu große Mühe produzieren lassen.<br />

Beten so einfach wie Atmen – das stimmt tatsächlich!<br />

Jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> kann beten – jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong><br />

hat es sicher schon mehr als einmal im Leben<br />

getan. Das Schöne dabei ist: Ich muss <strong>mich</strong> noch<br />

nicht einmal anstrengen. Ich muss nichts leisten<br />

o<strong>der</strong> vorweisen. Es geht praktisch wie von selbst.<br />

Und auch Gebete schreiben ist nicht schwer. Das<br />

kann jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> selbst herausfinden. Einfach<br />

den Anweisungen <strong>und</strong> Vorschlägen folgen – <strong>und</strong><br />

los geht’s!<br />

Die verschiedenen Workshops<br />

I.) Workshop I<br />

Gebete zum Anfassen<br />

Verschiedene Gegenstände liegen aus (Rinde,<br />

Holz, Stein, Batterie, Muschel, Apfel, Weintraube,<br />

Papier usw.) <strong>und</strong> können „begriffen“<br />

werden. Jede/r Teilnehmer/in sucht sich einen<br />

Gegenstand aus <strong>und</strong> schreibt dazu ein Gebet.<br />

Anweisung: Such Dir einen Gegenstand aus.<br />

Nimm ihn in die Hand, ertaste <strong>und</strong> begreife<br />

ihn. Dann schreib ein Gebet dazu.<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

II.) Workshop II<br />

Bil<strong>der</strong>gebete<br />

Fotos liegen auf einem Tisch. Sie dienen als<br />

Impuls. Die TN suchen sich ihr Foto aus <strong>und</strong><br />

schreiben dazu ein Gebet.<br />

Anweisung: Such Dir ein Foto aus. Nimm Dir<br />

Zeit, betrachte es <strong>und</strong> lass Dich zu einem Gebet<br />

inspirieren.<br />

III.) Wegstation<br />

Gebetsteppich<br />

Auf einer großen Flipchart o<strong>der</strong> Endlosrolle<br />

steht als Überschrift: „Was <strong>mich</strong> im Leben<br />

trägt.“ Jede/r kann einen Satz, einen Gedanken<br />

darunter schreiben, eine Skizze zeichnen.<br />

Nach <strong>und</strong> nach füllt sich <strong>der</strong> „Teppich“ mit<br />

Ideen, Formulierungen, die später in einem<br />

Gottesdienst vorgelesen o<strong>der</strong> im Gemeindehaus<br />

/ Jugendraum ausgehängt werden.<br />

Diese Station kann immer wie<strong>der</strong> ange laufen<br />

werden.<br />

Anweisung: „Was <strong>mich</strong> im Leben trägt“. Formuliere<br />

eine Antwort <strong>und</strong> schreibe sie irgendwo<br />

auf den „Teppich“. Du kannst<br />

immer wie<strong>der</strong> dorthin zurückkehren <strong>und</strong> Deinen<br />

ersten Einfall ergänzen.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_33<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

IV.) Workshop IV<br />

Unvollendete Gebete<br />

Zettel liegen aus, die jeweils mit einer Kurzzeile<br />

beginnen <strong>und</strong> von den TN weitergeführt <strong>und</strong><br />

vervollständigt werden sollen.<br />

Die Kurzzeilen lauten:<br />

a) „Guter Gott, ich<br />

danke dir…<br />

b) Guter Gott, ich träume davon…<br />

c) Guter Gott, ich <strong>für</strong>chte <strong>mich</strong> vor…<br />

d) Guter Gott, hilf mir, dass…<br />

e) Guter Gott, ich sehne <strong>mich</strong> nach…<br />

Anweisung: Ergänze den begonnenen Satz<br />

<strong>und</strong> füge so viele Worte/Sätze hinzu, wie Du<br />

magst.<br />

V.) Workshop V<br />

Tischgebete<br />

Kurze, einprägsame Gebete <strong>für</strong> den täglichen<br />

Gebrauch.<br />

Auf dem Tisch liegt ein Laib Brot, daneben<br />

steht eine Karaffe mit Wasser.<br />

Anweisung: Essen <strong>und</strong> Trinken sind elementar.<br />

Schreibe einen kurzen, frischen Text, <strong>der</strong><br />

sich leicht merken lässt.<br />

VI.) Workshop VI<br />

Gebetselfchen<br />

Nach <strong>der</strong> Elfchen-Methode werden Gebete<br />

verfasst.<br />

Anweisung: Beten, Dichten <strong>und</strong> Spielen in<br />

einem! Ein Elfchen ist ein Spiel, ein kurzes Gedicht<br />

o<strong>der</strong> Gebet aus nur elf Worten, die sich<br />

nach einer einfachen Regel über fünf Zeilen<br />

verteilen. Elfchen müssen sich nicht reimen.<br />

Die „Elfchenmethode“ geht folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

1. Zeile: ein Wort<br />

2. Zeile: zwei Worte<br />

3. Zeile: drei Worte<br />

4. Zeile: vier Worte<br />

5. Zeile: ein Wort<br />

Wolfgang Blaffert<br />

34_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Zwei Beispiele:<br />

1.<br />

Blau<br />

Strahlen<strong>der</strong> Himmel<br />

Großes weites Meer<br />

Blick in die Unendlichkeit<br />

FREIHEIT!<br />

2.<br />

Gott,<br />

dieses Gebet,<br />

das ich spreche,<br />

ist wie eine Flaschenpost.<br />

Verborgen!<br />

VII.) Workshop VII<br />

Gebete <strong>für</strong> Fortgeschrittene<br />

Hier werden nur die Oberthemen angegeben:<br />

Eingang - Dank - <strong>Für</strong>bitte - Segen.<br />

Anweisung: Schreibe ein Gebet zu einem <strong>der</strong><br />

ausgelegten Themen.<br />

Diese Werkstatt lässt sich ohne allzu großen<br />

Aufwand durchführen. Der eigenen Fantasie sind<br />

dabei keine Grenzen gesetzt. Wer zusätzliche o<strong>der</strong><br />

alternative Ideen hat, sollte sie nach eigenem Belieben<br />

einfügen. Je nach Intensität kann man einen<br />

ganz- o<strong>der</strong> halbtägigen Workshop daraus machen.<br />

Die Ergebnisse sind in jedem Fall verblüffend <strong>und</strong><br />

absolut vorzeigbar. Es lohnt sich also!


›› Engel gesucht!


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

Sie sind überall<br />

Die Engel haben heute Einzug gehalten in die<br />

unterschiedlichsten Lebensbereiche. Sie werden<br />

in zahlreichen Popsongs besungen <strong>und</strong> sind<br />

Darsteller in Filmen. Wer kennt nicht die „Stadt<br />

<strong>der</strong> Engel“ mit Meg Ryan <strong>und</strong> Nicolas Cage? Auch<br />

in <strong>der</strong> Werbung werden sie eingesetzt, als Garant<br />

<strong>für</strong> leckeren Frischkäse o<strong>der</strong> als Schutzengel,<br />

<strong>der</strong> wie eine Versicherung vor Schaden bewahrt.<br />

Bekannt sind sie auch als blaue, weiße o<strong>der</strong> gelbe<br />

Engel.<br />

So hielt ich es <strong>für</strong> eine interessante Idee, in meiner<br />

Diplomarbeit zu untersuchen, welche Vorstellungen<br />

Jugendliche von Engeln haben <strong>und</strong> wie man<br />

diese Engelbil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> religiösen Jugendbildung<br />

einsetzen kann. Schon bei <strong>der</strong> Recherche fand ich<br />

einige Aktionen, in denen Engel als Vorbil<strong>der</strong> <strong>für</strong><br />

Hilfeleistungen <strong>und</strong> Begleitung eingesetzt werden.<br />

Ganz im Sinne von: <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>. Zwei<br />

Beispiele:<br />

„Aktion Schutzengel“<br />

Die Idee wurde im Jahre 1997 in Dänemark geboren.<br />

Anlass waren die hohen Verkehrsunfallzahlen<br />

unter <strong>der</strong> Beteiligung von jungen Menschen. Seit<br />

2003 läuft das Schutzengelprojekt sehr erfolgreich<br />

in Soltau/Fallingbostel <strong>und</strong> seit April 2006 im<br />

Landkreis Emsland/Grafschaft Bentheim, gemeinsam<br />

mit <strong>der</strong> dortigen holländischen Grenzregion.<br />

Untersuchungen <strong>der</strong> Polizei hatten gezeigt, dass<br />

die Altersgruppe <strong>der</strong> 16- bis 24-Jährigen durch<br />

Straftaten <strong>und</strong> schwere Verkehrsunfälle beson<strong>der</strong>s<br />

belastet ist.<br />

Ziel <strong>der</strong> Aktion „Schutzengel“ ist es, den Einfluss jun-<br />

ger Frauen auf ihre männlichen Begleiter zu nutzen,<br />

um die Anzahl <strong>der</strong> schweren Verkehrsunfälle<br />

36_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

junger männlicher Verkehrsteilnehmer zu senken<br />

<strong>und</strong> von <strong>der</strong> Begehung von Straftaten abzu-<br />

halten.<br />

Weitere Infos:<br />

http://www.aktion-schutzengel.de/<br />

„Engel gesucht“<br />

Unter dem Titel "Engel<br />

gesucht" läuft seit<br />

mehreren Jahren ein<br />

Wettbewerb, dessen<br />

Zielsetzung "Hilfe <strong>für</strong><br />

Helfer" ist. Der gemeinnützige<br />

Verein start social<br />

e. V. för<strong>der</strong>t soziale <strong>und</strong><br />

im Schwerpunkt ehrenamtlich<br />

getragene Projekte<br />

durch gezielten<br />

Wissenstransfer zwischen <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> dem<br />

sozialen Bereich. Startsocial wurde im Jahr 2001<br />

als Initiative <strong>der</strong> Wirtschaft zur För<strong>der</strong>ung sozialer<br />

Ideen <strong>und</strong> Projekte ins Leben gerufen. "Hilfe <strong>für</strong><br />

Helfer" – unter diesem Motto för<strong>der</strong>t startsocial<br />

den Wissenstransfer zwischen Wirtschaftsunternehmen<br />

<strong>und</strong> sozialen Unternehmun gen: Herausragende<br />

soziale Initiativen werden durch individuelle<br />

Beratung unterstützt <strong>und</strong> Netzwerke zwischen<br />

ihnen <strong>und</strong> Unternehmen geschaffen.<br />

(Mehr Informationen zum Wettbewerb:<br />

http://www.startsocial.de/)<br />

„Aktion Schutzengel“ von<br />

Missio (Internationales<br />

katholisches Hilfswerk)<br />

Bereits seit vielen Jahren engagiert sich das<br />

katholische Hilfswerk missio mit <strong>der</strong> Aktion<br />

Schutzengel. Die Aktionen haben zwei Themenschwerpunkte:


<strong>Für</strong> die Opfer von Sextourismus <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>prostitution<br />

Mit <strong>der</strong> Aktion Schutzengel kämpft missio gegen<br />

Sextourismus <strong>und</strong> unterstützt r<strong>und</strong> 30 Projekte<br />

<strong>der</strong> Kirche (u. a. in Thailand, Sri Lanka, Südafrika<br />

<strong>und</strong> auf den Philippinen). Die Projektpartner<br />

schützen Kin<strong>der</strong> vor sexueller Gewalt <strong>und</strong> ermöglichen<br />

ihnen den Ausstieg aus <strong>der</strong> Prostitution. Das<br />

philippinische Mädchen Pia ist ein erschütterndes<br />

(gleichzeitig aber auch ermutigendes) Beispiel:<br />

Seit ihrem achten Lebensjahr wurde sie von Erwachsenen<br />

missbraucht. Zu den Tätern gehörte<br />

ein deutscher Sextourist. Der missio-Projektpartner<br />

Shay Cullen rettete sie aus den Fängen <strong>der</strong><br />

Gewaltverbrecher <strong>und</strong> nahm sie in sein Kin<strong>der</strong>schutzzentrum<br />

auf. Wenig später gelang es sogar,<br />

den Sextouristen <strong>für</strong> seine Tat vor ein deutsches<br />

Gericht zu bringen. Heute kämpft Pia mit Hilfe von<br />

missio auch in Deutschland gegen die Täter.<br />

Aids & Kin<strong>der</strong><br />

Aids for<strong>der</strong>t<br />

mehr Tote als<br />

alle Kriege des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Allein<br />

in Afrika leben<br />

<strong>der</strong>zeit fast 30<br />

Millionen Menschen<br />

mit dem HI-Virus. Eine aktuelle UN-Studie<br />

schätzt, dass bis zum Jahre 2010 allein in Afrika<br />

etwa 20 Millionen Aids-Waisen leben werden.<br />

Der Schrei nach Leben ist unüberhörbar. Mit dem<br />

Schwerpunkt „Aids & Kin<strong>der</strong>“ will missio hierauf<br />

eine Antwort geben. Die zentrale Botschaft lautet:<br />

Kin<strong>der</strong> sind HIV/Aids <strong>und</strong> den Folgen hilflos<br />

ausgesetzt, sie sind beson<strong>der</strong>s schutzbedürftig.<br />

Kin<strong>der</strong> brauchen einen Schutzengel <strong>und</strong> unsere<br />

Solidarität! Die Aktion bietet verschiedene Formen<br />

<strong>der</strong> Unterstützung.<br />

Engel gesucht!<br />

Missio bietet zu den Aktionen reichhaltiges Arbeitsmaterial<br />

an, das sowohl in <strong>der</strong> Gemeinde, als<br />

auch in <strong>der</strong> Schule genutzt werden kann.<br />

Infos unter:<br />

http://www.missio-aachen.de/veranstaltungenaktionen/aktion/schutzengel/<br />

Jugendliche <strong>und</strong> ihre<br />

Vorstellungen von Engeln<br />

Die Vorstellungen von Engeln sind recht vielfältig.<br />

Und unter bestimmten Voraussetzungen können<br />

eben auch Menschen als Engel gelten. Um herauszubekommen,<br />

welche Vorstellungen Jugendliche<br />

von Engeln haben, führte ich von Juni bis August<br />

2006 eine Umfrage bei 200 Jugendlichen im Alter<br />

von 12 bis 19 Jahren durch. Die Ergebnisse waren<br />

sehr umfassend <strong>und</strong> vielschichtig, so dass sie an<br />

dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden<br />

können. Das Wichtigste: Das Aussehen von Engeln<br />

verbinden 75 % <strong>der</strong> Befragten mit Flügeln <strong>und</strong><br />

einer hell leuchtenden Gestalt in weißer Kleidung.<br />

Und auch <strong>der</strong> Bezug Gott/Engel liegt <strong>für</strong> die Jugendlichen<br />

nahe: So beschreiben 80 % <strong>der</strong> Befragten<br />

Engel als Gottes Boten, Diener, Helfer o<strong>der</strong><br />

Angestellte <strong>und</strong> sprechen ihnen eine sehr gute,<br />

enge Beziehung zu Gott zu.<br />

Generell bejahen 60 % <strong>der</strong> Jugendlichen den Glauben<br />

an Engel, wobei die einen auf einen direkten<br />

Gottesbezug hinweisen, <strong>an<strong>der</strong>e</strong> die Schutzfunktion<br />

betonen, wo<strong>für</strong> ein Gottesbezug nicht notwendig<br />

ist. Die Antworten von 25 % <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

lassen darauf schließen, dass sie nicht an Engel<br />

glauben. Aus einigen Antworten jedoch klingt die<br />

Offenheit durch, sich gerne vom Gegenteil überzeugen<br />

lassen zu wollen.<br />

Menschen als Engel<br />

Eine Frage meines Interviews lautete: „Können<br />

Menschen Engel sein? Auf welche Weise?“ Sie<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_37<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

wurde lediglich von zwei <strong>der</strong> Befragten nicht<br />

beantwortet, fünf Jugendliche gaben an, dass sie<br />

es nicht wissen. Ansonsten haben Jugendliche<br />

aber recht genaue Vorstellungen, wann Menschen<br />

Engel sein o<strong>der</strong> zumindest als solche bezeichnet<br />

werden können.<br />

Können Menschen Engel sein?<br />

Aussagen Anzahl<br />

Wenn sie gute Taten vollbringen 99<br />

Wenn sie gut sind, gute Eigenschaften haben 70<br />

Nein, Menschen können keine Engel sein 33<br />

Nach dem Tod 27<br />

Menschen können nur als Engel bezeichnet<br />

werden<br />

10<br />

Menschen mit bestimmten Berufen 4<br />

An<strong>der</strong>e Aussagen 7<br />

Wenn sie gute Taten vollbringen<br />

Die Jugendlichen geben mehrere Bedingungen<br />

an, unter denen Menschen Engel sein können. Es<br />

finden sich 99 Bemerkungen, die darauf hinweisen,<br />

dass es davon abhängt, was Menschen tun, z.<br />

B. wenn sie <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n helfen, sich um <strong>an<strong>der</strong>e</strong> sorgen<br />

(32), gute Taten vollbringen, Gutes tun (19), in<br />

schwierigen Situationen <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> da sind, ihnen<br />

in Zeiten großer Not zur Seite stehen (15) o<strong>der</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n das Leben retten (10).<br />

Die Befragten äußern sich sehr individuell darüber,<br />

was gute Handlungen beinhaltet.<br />

„Menschen, die an das Gute glauben <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Menschen Kraft, Hoffnung, Glück <strong>und</strong> Freude<br />

geben!“ (19/w)<br />

„Die Bezeichnung „Engel“ steht Menschen zu, die <strong>für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> da sind <strong>und</strong> nicht egoistisch handeln.“ (18/w)<br />

„Engel gibt es, wenn überhaupt, nur in Menschenform.<br />

Menschen sind Engel, sobald sie alle Vorurteile<br />

<strong>und</strong> egoistischen Aspekte aus ihrem Leben<br />

38_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

löschen <strong>und</strong> sich mit Freude <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> aufopfern.<br />

Wahre Fre<strong>und</strong>e sind Engel.“ (18/m).<br />

Eine Siebzehnjährige meint: „Das ist die einzige<br />

Weise, auf die ich an Engel glaube. Ich glaube,<br />

dass Gott mir Menschen über den Weg laufen<br />

lässt, die mir in schweren Situationen einen<br />

Ausweg weisen. Diese Personen sind es meiner<br />

Meinung nach wert, „Engel“ genannt zu wer-<br />

den.“<br />

Wenn sie gut sind, gute Eigenschaften haben<br />

70 Eigenschaften werden genannt, die Menschen<br />

zu Engeln machen. Die meistgenannten sind: sehr<br />

hilfsbereit, hilft <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n/ist <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> da (20);<br />

fre<strong>und</strong>lich, nett (12); wenn sie die Eigenschaften<br />

von Engeln haben (8).<br />

Nach dem Tod<br />

„Ja, wenn sie gestorben sind“, meinen 14 Jugendliche.<br />

Acht <strong>an<strong>der</strong>e</strong> ergänzen die Bedingung dazu:<br />

„Ja, wenn gute Menschen gestorben sind, leben<br />

sie als Engel weiter.“<br />

Ein Fünfzehnjähriger formuliert das so: „Wenn,<br />

dann nach dem Tod. Dann werden die Besten zu<br />

Engeln „ausgebildet“.“<br />

Eine Dreizehnjährige sagt: „Ja. Wenn Menschen/<br />

Tiere sterben, leben sie als Engel weiter. Also wird<br />

je<strong>der</strong> mal ein Engel.“<br />

Eine Fünfzehnjährige überlegt: „Wenn ein Mensch<br />

gut ist, könnte er in den Himmel kommen <strong>und</strong> ein<br />

Engel sein. Ich hoffe, dass ich auch ein Engel sein<br />

werde.“<br />

Menschen können nur als Engel bezeichnet<br />

werden<br />

Immer wie<strong>der</strong> wird darauf hingewiesen, dass einem<br />

bei guten, hilfreichen Taten o<strong>der</strong> Eigenschaften


Menschen wie Engel erscheinen o<strong>der</strong> sie Engel<br />

genannt werden. Dabei schwingt dann eine feine<br />

Unterscheidung mit, ob es „wirkliche“ Engel sind<br />

o<strong>der</strong> Menschen eben „nur“ als solche bezeichnet<br />

werden o<strong>der</strong> ihnen sehr ähnlich sind.<br />

Eine Fünfzehnjährige meint: „Nein. Man hört<br />

eventuell jemanden sagen „Du bist ein Engel“,<br />

aber <strong>der</strong> Mensch hat nur gerade in einem Moment<br />

geholfen. Ich denke, diese Macht geht nicht auf<br />

Menschen über.“<br />

Ein Jugendlicher ergänzt: „Nein, sie können nur<br />

<strong>der</strong>en Aufgaben übernehmen <strong>und</strong> wie Engel erscheinen.“<br />

Eine Dreizehnjährige wirft einen <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Aspekt<br />

auf. „Ja, manchmal sagt man, dass eine <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

schön ist wie ein Engel.“<br />

Nein, Menschen können keine Engel sein<br />

19 Jugendliche meinen schlicht: „Nein, Menschen<br />

können keine Engel sein.“<br />

Eine Sechzehnjährige begründet: „Ich glaube<br />

nicht, dass Menschen Engel sein können, weil ein<br />

Engel <strong>für</strong> <strong>mich</strong> etwas Unberührbares, Übernatürliches<br />

darstellt <strong>und</strong> absolut frei von je<strong>der</strong> Schuld<br />

ist. Ein Mensch hat auch immer irgendwelche<br />

schlechte Seiten.“<br />

Ein Jugendlicher stellt fest, dass auch eine gute<br />

Handlung nicht ausschlaggebend ist: „Nicht wirklich,<br />

Menschen können zwar Gutes tun, werden<br />

aber dadurch nicht zu Engeln.“ (18/m)<br />

Ein Neunzehnjähriger kommt zum Schluss: „Ich<br />

glaube nicht. Es wird den Kin<strong>der</strong>n erzählt, die nahe<br />

Verwandte verloren haben, damit sie getröstet<br />

sind <strong>und</strong> sich besser fühlen.“<br />

„Ich verbinde damit eher die Redewendung „Du<br />

bist ein Engel“, aber ich denke nicht, dass ein<br />

Mensch wirklich ein Engel sein kann.“ (17/m)<br />

Eine Dreizehnjährige stellt klar: „Menschen können<br />

<strong>für</strong> <strong>mich</strong> keine Engel sein, da Menschen nicht<br />

alles können. Ich stelle mir vor, dass die echten<br />

Engel im Himmel keine Grenzen haben.“<br />

Menschen mit bestimmten Berufen<br />

Vier Jugendliche äußern die Vorstellung, dass<br />

Menschen mit bestimmten Berufen Engel sind.<br />

Eine Jugendliche meint: „Gerade „normale“ Menschen<br />

können <strong>für</strong> <strong>mich</strong> „wahre Engel“ sein, z. B.:<br />

Krankenschwestern, Ärzte, Altenpfleger, Wohltäter.“<br />

(15/w)<br />

Ein Fünfzehnjähriger ergänzt: „In <strong>der</strong> Art von<br />

Schutzengeln auf jeden Fall, z. B. als Sanitäter, die<br />

Menschen retten o<strong>der</strong> Ärzte, Rettungsschwimmer<br />

usw./Reanimation, Hilfeleistung in Notsituationen,<br />

Retter in Notsituationen.“<br />

Engel als Vorbild<br />

Engel gesucht!<br />

Die Frage, ob Menschen Engel sein können, wirft<br />

viele Facetten auf. Daran kann gut erarbeitet werden,<br />

was Jugendliche mit Engeln verbinden. Und<br />

ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich<br />

darauf hinweisen, dass es gr<strong>und</strong>sätzlich nur<br />

positive Eigenschaften <strong>und</strong> Tätigkeiten sind, die<br />

Engeln zugeschrieben werden. <strong>Für</strong> die Jugendlichen<br />

sind es eben auch genau diese positiven<br />

Zuschreibungen, die das Engel-Dasein <strong>für</strong> sie so<br />

interessant macht. Engel werden so zu einem<br />

Vorbild <strong>für</strong> sie. Das machen sie auch bereits an<br />

Menschen fest, die diesem Vorbildcharakter entsprechen,<br />

das heißt, wenn Mitmenschen gut <strong>und</strong><br />

fre<strong>und</strong>lich sind <strong>und</strong> sich <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> einsetzen.<br />

Warum also nicht die Frage aufgreifen, ob die<br />

Jugendlichen nicht selbst Engel sein wollen, sei<br />

es in Aktionen, durch tätige Hilfsbereitschaft o<strong>der</strong><br />

sogar im Beruf wie es ja einige Jugendliche bereits<br />

vorschlagen.<br />

Die Frage, die sich daran anschließt, ist die Frage<br />

nach Gott. Ist er <strong>der</strong> „Auftraggeber“, also <strong>der</strong>jenige,<br />

<strong>der</strong> den Anstoß gegeben hat, <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n zu helfen?<br />

O<strong>der</strong> woher kommt das Bedürfnis, <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

da zu sein?<br />

Unterscheiden sich tatsächlich „menschliche Engel“<br />

von „wahren Engeln“?<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_39<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

Die Bibel kennt verschiedene<br />

Vorstellungen von Engeln<br />

Die Bibel spricht von Engeln meist als Boten<br />

Gottes (hebr.: mal’ak, griech.: angelos). Sie spielen<br />

an zahlreichen Stellen eine entscheidende<br />

Rolle: als Verkündigende o<strong>der</strong> Beschützende, als<br />

Begleiter o<strong>der</strong> Führende, als Kämpfer o<strong>der</strong> Strafende,<br />

als <strong>Für</strong>sprecher o<strong>der</strong> Ankläger. Damit kann<br />

ein überirdisches, jenseitiges Wesen gemeint sein,<br />

damit können aber auch Menschen bezeichnet<br />

werden, die als von Gott gesandt betrachtet werden,<br />

wie z. B. Propheten.<br />

Diese doch recht unterschiedlichen Engelvorstellungen<br />

<strong>der</strong> Bibel lassen darauf schließen, dass<br />

ihre Funktion nicht an eine bestimmte Gestalt, eine<br />

Wesensart o<strong>der</strong> ihr Herkommen geb<strong>und</strong>en ist. Das<br />

Entscheidende an Engeln ist ihr Auftrag, ihr Wirken<br />

<strong>und</strong> ihre Funktion.<br />

Beispielhafte Stellen sind: Die Berufung des Mose<br />

(Exodus 3,1-12), Gott zu Gast bei Abraham (Genesis<br />

18), Elia (1. Könige 19,1-18), Daniel in <strong>der</strong> Löwengrube<br />

(Daniel 6,20-24), Kerubim <strong>und</strong> Serafim<br />

(Jesaja 6), Weihnachtserzählung (Lk 1ff.), Engel<br />

am Grab (Mt 28,1-10), Befreiung des Petrus<br />

(Apg 12).<br />

Engel gesucht!<br />

Als Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> diesen<br />

Vorschlag dient<br />

das Poster, das im<br />

Rahmen einer Werbekampagne<br />

<strong>für</strong> ein<br />

Freiwilliges Soziales<br />

Jahr konzipiert wurde.<br />

Es for<strong>der</strong>t Jugendliche dazu auf, durch soziales<br />

Engagement selbst zum Engel zu werden.<br />

So soll in <strong>der</strong> Bearbeitung thematisiert werden,<br />

dass hier ein menschliches Engelbild genutzt wird,<br />

40_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

das nicht unbedingt religiös motiviert sein muss.<br />

Darauf verweist auch das Selbstverständnis <strong>der</strong><br />

Hilfsorganisation, das anhand des Symbols „Rotes<br />

Kreuz“ erarbeitet werden kann. Jedoch können die<br />

Gr<strong>und</strong>ideen <strong>der</strong> Nächstenliebe <strong>und</strong> Menschenwürde<br />

gut auf religiöse Wurzeln zurückgeführt werden.<br />

Auch die Bibel bietet das Bild eines helfenden<br />

Engels. Im Buch Tobit findet sich die Vorstellung,<br />

dass <strong>der</strong> Engel Rafael medizinische Kenntnisse<br />

weitergeben kann, mit denen Tobias seinen Vater<br />

vor einer Erblindung rettet. Nicht umsonst gilt<br />

Rafael u. a. als Patron <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong> Apotheker.<br />

Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

Mit dem Aufruf „Engel gesucht…!“ startete <strong>der</strong><br />

Landesverband Saarland des Deutschen Roten<br />

Kreuzes (DRK) im März 2006 die Werbekampagne<br />

<strong>für</strong> ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Rettungswesen.<br />

Die Aktion richtet sich an Jugendliche,<br />

denen dieses Jahr ganz unterschiedliche Möglichkeiten<br />

bietet: Sie können sich beruflich orientieren,<br />

ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz<br />

verbessern, die Wartezeit <strong>für</strong> ein Studium überbrücken<br />

<strong>und</strong> damit ihr soziales Engagement <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

verwirklichen.<br />

Als weiterer Schwerpunkt <strong>der</strong> Kampagne wird<br />

ein geschlechtsspezifischer Aspekt aufgezeigt.<br />

Die Arbeit im Rettungswesen sei eine Männerdomäne,<br />

in <strong>der</strong> Mitarbeit bei<strong>der</strong> Geschlechter sehe<br />

man aber große Vorteile gerade <strong>für</strong> die Patienten.<br />

Deshalb seien gezielt engagierte, selbstbewusste<br />

<strong>und</strong> durchsetzungsfähige junge Frauen gesucht,<br />

die ihre eigenen Meinungen <strong>und</strong> Einstellungen<br />

haben (vgl. http://www.lv-saarland.drk.de/html/<br />

body_presse_-_download.html).<br />

Die Aufmachung des Plakates zur Werbekampagne<br />

soll an die Serie „Drei Engel <strong>für</strong> Charlie“ aus den


Siebzigern erinnern. Das sind drei junge Frauen,<br />

die als engagierte Detektivinnen den Verbrechern<br />

das Handwerk legen. Durch das Remake, das im<br />

Sommer 2003 in den Kinos war, sind die drei Engel<br />

den Jugendlichen bekannt.<br />

Didaktische Überlegungen<br />

Dieser Vorschlag richtet sich an ältere Jugendliche,<br />

die sich vielleicht demnächst entscheiden<br />

müssen, was sie nach <strong>der</strong> Schule machen wollen.<br />

Diese Entscheidung bedarf nicht unbedingt einer<br />

ethischen Reflexion. Dennoch bietet sich eine<br />

gute Gelegenheit, die Jugendlichen in ihrer Entscheidungsfindung<br />

zu unterstützen <strong>und</strong> zu begleiten.<br />

Das Engelbild dieser Werbekampagne zu thematisieren,<br />

lässt sich in zwei Richtungen entfalten.<br />

Zum einen lernen die Jugendlichen mit <strong>der</strong> Arbeit<br />

im Rettungswesen eine Möglichkeit kennen, selber<br />

durch ihr Tätigwerden <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> zu werden<br />

„wie ein Engel“. Zum <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n können sie in <strong>der</strong><br />

biblischen Erzählung entdecken, dass Gott Menschen<br />

in einem schwierigen Lebensabschnitt einen<br />

Helfer zur Seite stellen kann, von dem einem erst<br />

im Nachhinein bewusst wird, wie sehr er geholfen<br />

hat.<br />

Intentionen<br />

Dieser Vorschlag spricht mehrere Kompetenzen<br />

an:<br />

1. Die Jugendlichen lernen, Entscheidungssituationen<br />

in ihrem Leben (Was mache ich nach <strong>der</strong><br />

Schule?) religiös zu hinterfragen (Kompetenz 3).<br />

2. Die verwendeten Symbole (Rotes Kreuz, Engel)<br />

werden auf ihren religiösen Gehalt geprüft<br />

(Kompetenz 4).<br />

3. Die Jugendlichen können Nächstenliebe <strong>und</strong><br />

Menschenwürde als religiöse Gr<strong>und</strong>idee identifizieren<br />

(Kompetenz 11)<br />

4. Engel als religiöses Motiv in dieser Werbung er-<br />

kennen <strong>und</strong> die Bedeutung klären (Kompetenz 12).<br />

Die Einordnung ins Kompetenzmodell richtet sich<br />

nach:<br />

Dietlind Fischer, Volker Elsenbast (Redaktion):<br />

Gr<strong>und</strong>legende Kompetenzen religiöser Bildung.<br />

Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunter-<br />

richts durch Bildungsstandards <strong>für</strong> den Abschluss<br />

<strong>der</strong> Sek<strong>und</strong>arstufe I. Münster: Comenius-Institut,<br />

2006<br />

Überlegungen zur Umsetzung<br />

Bildbetrachtung/-analyse<br />

Engel gesucht!<br />

Über die Betrachtung des Posters können die Anhaltspunkte<br />

herausgearbeitet werden, die in den<br />

nächsten Schritten thematisiert werden können.<br />

Auf <strong>der</strong> linken Bildhälfte stehen drei Jugendliche,<br />

die leicht von oben aufgenommen sind: ein Mädchen<br />

in Zivil bzw. Alltagskleidung, ein weiteres<br />

Mädchen <strong>und</strong> ein Junge mit <strong>der</strong> Bekleidung von<br />

Rettungssanitätern, <strong>der</strong>en Jacken in knallroter Farbe<br />

mit dem Emblem vom Deutschen Roten Kreuz<br />

auf <strong>der</strong> Schulter, große Kragen, schwarze Hosen<br />

mit reflektierenden Sicherheitsstreifen. Die Jugendlichen<br />

sind so in Szene gesetzt, dass sie sehr<br />

selbstbewusst <strong>und</strong> zufrieden wirken.<br />

Ein großes rotes Kreuz dominiert die rechte obere<br />

Ecke des Bildes. Dieses Symbol ist sicherlich<br />

bekannt, doch <strong>der</strong> Bedeutungsinhalt erschließt<br />

sich erst durch die Entstehungsgeschichte. 1863<br />

wurde unter <strong>der</strong> Leitung von Henri Dunant das<br />

„Internationale Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK)<br />

in Genf gegründet. Das Rote Kreuz macht es sich<br />

zur Aufgabe, im Krieg das Los <strong>der</strong> Kriegsopfer zu<br />

mil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> als neutraler Vermittler in allen Fragen<br />

zu wirken, die die Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Gefangenen<br />

betreffen. Bei <strong>der</strong> Schaffung des Symbols war<br />

die Flagge <strong>der</strong> Schweiz das Vorbild, allerdings<br />

in farblicher Umkehrung (also rotes Kreuz auf<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_41<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

weißem Hintergr<strong>und</strong> statt weißem Kreuz auf rotem<br />

Hintergr<strong>und</strong>). Dunant hatte dabei eher die Schweiz<br />

<strong>und</strong> ihre strikte Neutralität im Sinn, als christliche<br />

Ideale o<strong>der</strong> christliche Symbolik. In Deutschland<br />

engagiert sich das Deutsche Rote Kreuz (DRK) heute<br />

als nationale Hilfsgesellschaft <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege.<br />

Es ist u. a. durch Unfall- <strong>und</strong> Rettungsdienst, Katas-<br />

trophenhilfe, Krankentransport, Blutspendedienst<br />

<strong>und</strong> eine breit gefächerte Sozialarbeit bekannt.<br />

Im unteren Drittel weist die Schrift „Engel gesucht…!“<br />

darauf hin, dass diese drei Jugendlichen<br />

als Engel gelten <strong>und</strong> weitere Jugendliche gesucht<br />

werden, die Interesse daran haben, eine Aufgabe<br />

beim Roten Kreuz zu übernehmen. Wie das<br />

geschehen kann, wird durch die Bildunterschrift<br />

erläutert: „Das Freiwillige Soziale Jahr – denn es<br />

gibt Menschen, die euch brauchen!“ In diesem<br />

Zusammenhang wird deutlich, welche Vorstellung<br />

von Engeln vorrangig gemeint ist: Menschen, die<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n helfen <strong>und</strong> dadurch werden wie Engel.<br />

Auch wenn diese Formulierung ohne religiösen<br />

Hintergr<strong>und</strong> genutzt wird, lässt sich daraus <strong>der</strong> Gedanke<br />

<strong>der</strong> Nächstenliebe als religiöse Gr<strong>und</strong>idee<br />

herausarbeiten.<br />

Der Hinweis auf „Drei Engel <strong>für</strong> Charlie“ erklärt<br />

dabei die Anzahl <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> soll weibliche<br />

Jugendliche in beson<strong>der</strong>er Weise ansprechen.<br />

Die Frage, ob das tatsächlich geschieht, wäre an<br />

die Mädchen zurück zu geben. Insgesamt wäre es<br />

interessant zu erfahren, ob dieses Poster tatsächlich<br />

das Interesse <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>für</strong> ein mögliches<br />

soziales Engagement weckt. <strong>Für</strong> den Fall,<br />

dass das Interesse geweckt wurde, findet sich in<br />

<strong>der</strong> rechten unteren Ecke eine Kontaktmöglichkeit<br />

zum Deutschen Roten Kreuz.<br />

Zwischenergebnis<br />

Die Werbung <strong>für</strong> ein Freiwilliges Soziales Jahr<br />

beim Roten Kreuz arbeitet mit Elementen <strong>und</strong><br />

42_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Symbolen, die auch ohne religiösen Hintergr<strong>und</strong><br />

unter dem Stichwort Humanität <strong>und</strong> Solidarität<br />

interpretiert werden können. Darauf weist das<br />

Symbol „Rotes Kreuz“ hin, das an die Neutralität<br />

<strong>der</strong> Schweiz erinnern soll <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Wahrung<br />

<strong>der</strong> Menschenwürde verpflichtet weiß. Das<br />

Engelbild nutzt die Verstehensweise, dass Menschen<br />

einan<strong>der</strong> durch ihr Tun zum Engel werden<br />

können. Dennoch sind diese Elemente auf ihren<br />

religiösen Gr<strong>und</strong>gehalt hin zu untersuchen, wie<br />

z. B. Nächstenliebe <strong>und</strong> Menschenwürde. Auch<br />

die Vorstellung von einem helfenden Engel mit<br />

Kenntnissen in Medizin lässt sich in <strong>der</strong> biblischen<br />

Erzählung „Der Engel Rafael im Buch Tobit“ wie<strong>der</strong>finden.<br />

Arbeit mit <strong>der</strong> Bibel: Der Engel<br />

Rafael im Buch Tobit<br />

Das Buch Tobit zählt zu den apokryphen Schriften<br />

<strong>der</strong> Bibel. Es ist um die 200 v. Chr. geschrieben<br />

worden <strong>und</strong> ist literarisch als Novelle o<strong>der</strong> auch<br />

erbauliche Erzählung einzuordnen.<br />

Die Zitate des Tobit-Buches folgen <strong>der</strong> Einheitsübersetzung<br />

<strong>der</strong> Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt,<br />

Stuttgart, 1980.<br />

Der Inhalt des Tobit­Buches<br />

Beim Buch Tobit handelt es sich um eine Familiengeschichte.<br />

Tobit, ein in die Verbannung geführter<br />

Jude aus dem Stamme Naftali, ein frommer, gesetzeseifriger,<br />

mildtätiger Mann, ist in Ninive blind<br />

geworden. Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> ist nicht zuletzt sein unermüdlicher<br />

<strong>und</strong> mutiger Einsatz <strong>für</strong> das Begräbnis<br />

<strong>der</strong> Verstorbenen. Der nun blind Gewordene<br />

verzweifelt an seinem Leben <strong>und</strong> wünscht sich von<br />

Gott den Tod.<br />

Ebenso betet Sara, die Tochter eines Verwandten<br />

Tobits, nämlich des Raguëls aus Ekbatana, um den<br />

Tod. Sara war nacheinan<strong>der</strong> mit sieben Männern<br />

verlobt, die alle in <strong>der</strong> Hochzeitsnacht gestorben


Tobias <strong>und</strong> <strong>der</strong> Engel (Rembrandt)<br />

sind. Verantwortlich da<strong>für</strong> ist <strong>der</strong> Dämon Aschmodai.<br />

Sara ist von ihm besessen. Und er ist es,<br />

<strong>der</strong> am Abend <strong>der</strong> Hochzeit jeden Bräutigam ums<br />

Leben brachte. Diese beiden Schicksale sind <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> Tobit-Erzählung.<br />

Das Buch erzählt nun, wie Tobias, <strong>der</strong> Sohn<br />

Tobits, von seinem Vater zu Raguël gesandt wird.<br />

Dort soll er eine alte Schuld eintreiben, die die<br />

Familie des Tobits nun dringend <strong>für</strong> ihren Lebensunterhalt<br />

braucht. Da Tobias sich nicht allein<br />

auf den Weg machen will, sucht er sich einen<br />

Begleiter. Er trifft den Engel Rafael, <strong>der</strong> sich<br />

allerdings nicht als solcher zu erkennen gibt.<br />

Als Tobias bei einer abendlichen Rast von einem<br />

großen Fisch angegriffen wird, ruft Rafael ihm<br />

zu: „Pack ihn!“ Da packte <strong>der</strong> junge Mann zu <strong>und</strong><br />

warf den Fisch ans Ufer. Und <strong>der</strong> Engel sagte zu<br />

Tobias: „Schneide den Fisch auf, nimm Herz,<br />

Leber <strong>und</strong> Galle heraus <strong>und</strong> bewahre sie gut auf!“<br />

(Tob 6,3f). Die Frage, wo<strong>für</strong> das gut sei, beantwortet<br />

Rafael mit: „Zur Herstellung von Heilmitteln.“<br />

Auf dem weiteren Weg kündigt Rafael Tobias die<br />

Hochzeit mit <strong>der</strong> klugen <strong>und</strong> schönen Sara an.<br />

Tobias weiß um den Dämon <strong>und</strong> hat Angst um sich.<br />

Entgegen aller Be<strong>für</strong>chtungen gelingt die Vertreibung<br />

des Dämons durch das Verbrennen von Herz<br />

<strong>und</strong> Leber des Fisches, worauf die Brautleute Gott<br />

danken. Auf <strong>der</strong> baldigen Heimreise erinnert Rafael<br />

Tobias an das Augenleiden seines Vaters <strong>und</strong><br />

weist ihn an: „Streich ihm die Galle auf die Augen!<br />

Sie wird zwar brennen, aber wenn er sich die Augen<br />

reibt, wird er die weißen Flecken wegwischen<br />

<strong>und</strong> wird dich wie<strong>der</strong> sehen können.“ (Tob 11,8)<br />

So geschieht es auch, <strong>und</strong> während noch gefeiert<br />

wird, gibt sich Rafael als Engel zu erkennen.<br />

Er erklärt, dass die Gebete von Sara <strong>und</strong> Tobit<br />

erhört wurden <strong>und</strong> er von Gott geschickt wurde,<br />

um sie zu heilen. „Da erschraken die beiden <strong>und</strong><br />

fielen voller Furcht<br />

vor ihm nie<strong>der</strong>. Er<br />

aber sagte zu ihnen:<br />

„<strong>Für</strong>chtet euch<br />

nicht! Friede sei mit<br />

euch. Preist Gott in<br />

Ewigkeit! Nicht, weil<br />

ich euch eine Gunst Die Heilung von Tobit (Bernardo Strozzi)<br />

erweisen wollte,<br />

son<strong>der</strong>n weil unser Gott es wollte, bin ich zu euch<br />

gekommen. Darum preist ihn in Ewigkeit!“ (Tob<br />

12,16-18)<br />

Überlegungen zum Text<br />

Engel gesucht!<br />

Der Engel Rafael übernimmt innerhalb dieser<br />

Erzählung eine ganze Reihe von Aufgaben: Er ist<br />

Heiratsvermittler, Geldbote, Reisebegleiter. In<br />

erster Linie jedoch ist er Sachverständiger in <strong>der</strong><br />

Heilmittelk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> da vor Ort, wo seine Hilfe<br />

gebraucht wird. Deshalb wird Rafael gern als<br />

Beispiel <strong>für</strong> Schutzengel genannt. Dabei darf aber<br />

nicht übersehen werden, dass Rafael eindeutig<br />

darauf verweist, dass er von Gott gesandt wurde<br />

<strong>und</strong> diesem da<strong>für</strong> gedankt werden soll. Dass Gott<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_43<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

durch ihn handelt, wird auch durch seinen Namen<br />

ausgedrückt, Rafael bedeutet „Gott heilt“.<br />

Um sich <strong>der</strong> Intention des Buches zu nähern,<br />

gilt es, sich zunächst den (Lebens-)Erfahrungen<br />

anzunähern, die sich in dieser Erzählung wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

In welchen alltäglichen Situationen<br />

hatten Menschen Angst o<strong>der</strong> waren verzweifelt?<br />

Wie haben sie diese Begebenheiten erlebt, um<br />

sich <strong>der</strong> Gegenwart <strong>und</strong> Nähe Gottes im Nachhinein<br />

sicher zu sein? In dieser Erzählung sind<br />

es die Lebenslagen von unterschiedlichen Beteiligten<br />

(z. B. <strong>der</strong>en Verzweiflung wegen Krankheit,<br />

Furcht vor einer langen Reise, Bedenken<br />

vor <strong>der</strong> Eheschließung). Es ist zu hinterfragen,<br />

inwiefern Jugendliche diese Situationen nachvollziehen<br />

können. Es sollte aber möglich sein,<br />

Erfahrungen aus <strong>der</strong> eigenen Lebensgeschichte<br />

zu benennen, in denen man (wi<strong>der</strong> Erwarten)<br />

gut aufgehoben war o<strong>der</strong> Situationen zu formulieren,<br />

<strong>für</strong> die Hilfe wünschenswert (gewesen)<br />

wäre.<br />

Zusammenführung <strong>der</strong> Posteranalyse<br />

mit <strong>der</strong> Tobit­Erzählung<br />

Der Ausgangsgedanke <strong>für</strong> die Beschäftigung mit<br />

dem Engel Rafael war die Frage, ob dieser Engel<br />

mit seinen medizinischen Kenntnissen als religiöses<br />

Vorbild <strong>für</strong> Rettungssanitäter dienen könnte.<br />

<strong>Für</strong> einen entsprechenden Vergleich gilt es die<br />

Parallelen, aber auch die Unterschiede herauszuarbeiten.<br />

Anruf: Ein Sanitäter reagiert auf einen Notruf <strong>und</strong><br />

wird aktiv. Rafael beginnt sein Wirken, nachdem<br />

Tobit <strong>und</strong> Sara in ihrer Not Gott angerufen haben,<br />

zu ihm gebetet haben.<br />

Auftraggeber: Der Rettungssanitäter ist Angestellter,<br />

er hat einen Chef, <strong>der</strong> regelt, wann er wie arbeiten<br />

muss. Der Engel arbeitet in Gottes Auftrag,<br />

nur so wird er handlungsfähig.<br />

44_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Wegbegleitung: Auf dem Weg ins Krankenhaus ist<br />

<strong>der</strong> Sanitäter die ganze Zeit dabei <strong>und</strong> achtet auf<br />

den Verletzten. Rafael begleitet weniger den Kranken,<br />

also Tobit, son<strong>der</strong>n er steht Tobias zur Seite,<br />

den er dabei anweist, Hilfe zu sein.<br />

Medizinische Kenntnisse: Während <strong>der</strong> Ausbildung<br />

erlernen Rettungssanitäter medizinische<br />

Gr<strong>und</strong>kenntnisse, die sie vor Ort einsetzen. Rafael<br />

besitzt ebenso medizinische Kenntnisse, wendet<br />

sie aber nicht selbst an, son<strong>der</strong>n sagt Tobias sehr<br />

genau, mit welchen Teilen des Fisches <strong>und</strong> mit welcher<br />

Anwendung er das gewünschte Ziel erreicht.<br />

Es lässt sich hier eher von „Hilfe zu Selbsthilfe“<br />

sprechen.<br />

Lohn: <strong>Für</strong> einen Sanitäter geht es nicht nur um die<br />

finanzielle Entlohnung, son<strong>der</strong>n vor allem um eine<br />

Rückmeldung, dass es dem Patienten gut geht, ist<br />

ein nicht zu unterschätzen<strong>der</strong> Lohn! Rafael will von<br />

Geld nichts hören, statt dessen weist er darauf hin,<br />

dass <strong>der</strong> Dank da<strong>für</strong> Gott gebührt.<br />

Natürlich ist das Auftreten Rafaels nicht eins zu<br />

eins mit dem eines Angestellten im Rettungswesen<br />

gleichzusetzen, da<strong>für</strong> ist das Aufgabengebiet<br />

viel zu komplex, die Fälle zu individuell. Es fällt<br />

aber auf, dass Sanitäter <strong>und</strong> Engel beide in Notsituationen<br />

zur Stelle sind, weil sie den Auftrag dazu<br />

erhalten haben. Sie bringen ihre medizinischen<br />

Kenntnisse zum Einsatz <strong>und</strong> bleiben eine Zeit lang<br />

Begleiter.<br />

Unterschiede gibt es jedoch bei <strong>der</strong> Motivation.<br />

Rettungssanitäter üben diese Arbeit aus, um<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n zu helfen. Der Engel hilft Menschen<br />

ebenso, handelt dabei aber nicht aus eigenem<br />

Antrieb, beansprucht auch den Dank ausdrück -<br />

lich nicht <strong>für</strong> sich. Durch den Engel hindurch wird<br />

deutlich, dass Gott selbst <strong>der</strong> Initiator <strong>für</strong> die<br />

gute Wendung ist.<br />

Und dennoch, es gibt Momente, da übersteigt die<br />

Arbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einsatz eines Sanitäters das Norma-


le auf so unerwartete <strong>und</strong> w<strong>und</strong>erbare Weise, dass<br />

mit <strong>der</strong> Ansprache „Engel“ die (unbewusste o<strong>der</strong><br />

auch bewusste) Umschreibung <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

Gottes gemeint ist.<br />

Impulse zur Weiterarbeit<br />

Weitere Berufe/Hilfsmöglichkeiten sammeln <strong>und</strong><br />

überlegen, welche Punkte <strong>der</strong> Geschichte sich<br />

übertragen lassen.<br />

Konkrete Projekte überlegen, in denen die Jugendlichen<br />

selbst zu Engeln werden.<br />

Ausführliches Diskutieren <strong>der</strong> Frage, welche Rolle<br />

Gott o<strong>der</strong> <strong>der</strong> eigene Glaube dabei spielt, sich <strong>für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> einzusetzen <strong>und</strong> ihnen zu helfen.<br />

Unterstützend zur Arbeit mit dem Bibeltext können<br />

gut Bil<strong>der</strong> mit herangezogen werden, da die Erzählung<br />

zahlreichen Malern als Motiv diente. Eine<br />

kleine Zusammenstellung findet sich im Anhang<br />

<strong>der</strong> Arbeitshilfe (s. u.). Es lassen sich einzelne<br />

Bil<strong>der</strong> zur Bildbetrachtung herauslösen o<strong>der</strong> sie<br />

lassen sich als Impuls zu einer Nacherzählung<br />

verwenden.<br />

Literatur<br />

Zurzeit gibt es eine ganze Reihe guter Literatur <strong>für</strong><br />

Jugendliche, die zum Weiterfragen anregt <strong>und</strong> sich<br />

<strong>für</strong> den Unterricht anbietet. Darin werden Engel in<br />

ganz unterschiedlichen Facetten geschil<strong>der</strong>t. Es<br />

folgen die m. E. interessantesten Werke.<br />

Kurzgeschichten<br />

Werner Reiser: Vom Engel, <strong>der</strong> nicht mitsingen<br />

wollte. Brunnen Verlag, 3. Aufl., 2006<br />

Katharina Seidel: Engel haben keine Flügel <strong>und</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> kurze Geschichten <strong>für</strong> Gemeinde <strong>und</strong> Schule.<br />

Matthias-Grünewald-Verlag, 2002<br />

Willi Hoffsümmer: Kurzgeschichten 8. Matthias-<br />

Grünewald-Verlag, 2006. In diesem <strong>Band</strong> gibt es<br />

gleich eine ganze Reihe Geschichten, in denen Engel<br />

vorkommen. Hervorragend geeignet ist „Glauben<br />

Sie an Engel?“, erzählt nach Johannes Kuhn.<br />

Bücher <strong>für</strong> Jugendliche<br />

Karen Hesse: Hannah Gold. Zeit <strong>der</strong> Engel. Verlag<br />

Freies Geistesleben, 2002<br />

Filippas Engel. Aus den Tagebüchern von Filippa<br />

Sayn-Wittgenstein. Wilhelm Heyne Verlag, 2005<br />

Tanneke Wigersma: Acht Tage mit Engel. Sauerlän<strong>der</strong><br />

Verlag, 2005<br />

Arbeitshilfe<br />

Susanne Korf: Engelbil<strong>der</strong> als Thema religiöser<br />

Jugendbildung. Analyse, Kriterien <strong>und</strong> Bausteine<br />

<strong>für</strong> einen theologisch verantworteten Umgang.<br />

Hannover, 2007<br />

Diese Arbeitshilfe ist im Rahmen <strong>der</strong> Diplomarbeit<br />

in Ev. Theologie an <strong>der</strong> Philosophischen Fakultät<br />

<strong>der</strong> Universität Hannover entstanden <strong>und</strong> kann<br />

bei <strong>der</strong> Autorin erstanden werden (susanne.korf@<br />

teleos-web.de).<br />

Susanne Korf<br />

Engel gesucht!<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_45<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Engel gesucht!<br />

46_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


›› Kin<strong>der</strong>programm<br />

(täglich 7-20 Uhr)


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

O<strong>der</strong> warum Jungen rechtzeitig<br />

über ihre Elternzeit nachdenken<br />

sollten<br />

Zukunftsprogramm: Vaterschaft<br />

Eigentlich ein ungewöhnliches Thema <strong>für</strong> Jugendliche:<br />

Elternzeit <strong>für</strong> Väter. Vater wird man im<br />

Schnitt doch erst jenseits <strong>der</strong> 30. <strong>Für</strong> Jugendliche<br />

in Jugendverbänden <strong>und</strong> Schulen also ein völlig<br />

uninteressantes Thema?! Glaub ich nicht. Auch als<br />

Jugendlicher denkt man vielleicht schon mal an<br />

eigene Kin<strong>der</strong> – irgendwann, in einer nebulösen<br />

Zukunft. Wenn man sich über die eigenen Eltern<br />

mal wie<strong>der</strong> schwarz ärgert, weiß man ganz genau,<br />

was man alles an<strong>der</strong>s machen wird – bloß nicht<br />

vergessen! Wer sich in <strong>der</strong> Jugendarbeit <strong>für</strong><br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> engagiert, will das vielleicht auch mal<br />

Zuhause tun: Um dem Kind was weiterzugeben<br />

o<strong>der</strong> damit die Partnerin auch beruflich weiterkommt.<br />

Aber Engagement ist auch hier mit<br />

Eigennutz verb<strong>und</strong>en: Endlich wie<strong>der</strong><br />

ungestraft Sandburgen bauen <strong>und</strong><br />

auf Bäume klettern. Die Welt neu<br />

entdecken. Geduld lernen. Und<br />

Verantwortung übernehmen – nicht<br />

nur <strong>für</strong> das Familieneinkommen.<br />

Wahrscheinlich sind das alles ferne<br />

Zukunftspläne <strong>für</strong> Jugendliche.<br />

Manchmal kommt die Zukunft aber<br />

auch schneller als gedacht, <strong>und</strong> Min<strong>der</strong>jährige<br />

werden selbst Eltern. Und<br />

dann?<br />

Aufgeschnappt!<br />

• „Es gibt Reis, Baby. Ich koch ein<br />

einziges Mal <strong>für</strong> Dich, dann bist<br />

Du dran… Zeig mal deine Hände,<br />

sie sind kleiner wie meine. Damit<br />

kommst du besser in die Ecken zum<br />

Putzen.“ (Helge Schnei<strong>der</strong>)<br />

48_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

• Weichei, Warmduscher, Versager, Softie, …<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

• „In Island bleiben 90 Prozent <strong>der</strong> Väter mit dem<br />

Nachwuchs zu Hause.“, behauptet ein Vater.<br />

Ob’s stimmt? In Schweden sollen es immerhin<br />

r<strong>und</strong> 18% <strong>und</strong> die Elternzeit ein männliches Statussymbol<br />

sein.<br />

• 18% <strong>der</strong> deutschen Väter sind gegen eine Verän<strong>der</strong>ung<br />

traditioneller Geschlechterrollen: Sie<br />

wollen Geld verdienen, die Frauen sollen sich<br />

um die Kin<strong>der</strong> kümmern. 28% <strong>der</strong> Väter wollen<br />

Verantwortung <strong>für</strong> ihre Kin<strong>der</strong> übernehmen,<br />

erforschten Frankfurter Soziologen 2007.<br />

• „Ich find's toll, wie er alles managt, unsere<br />

Familie, den Haushalt, <strong>und</strong> wie w<strong>und</strong>ervoll er<br />

mit <strong>der</strong> Kleinen umgeht“, sagt eine Ehefrau<br />

über ihren Mann, <strong>der</strong> 12 Monate in Elternzeit<br />

ist.<br />

• Frankreichs Schreckensbild ist die „mère poule“,<br />

die Mutterglucke, die ihr Kind überbehütet.<br />

In Deutschland ist’s die „Rabenmutter“, die ihr<br />

Kind verlässt, um zu arbeiten.<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt, © F.A.Z.-Grafik Walter


• Ein neuer Begriff: R<strong>und</strong> 60 Prozent <strong>der</strong> Deutschen<br />

glauben, sehr viele o<strong>der</strong> viele Väter überließen<br />

die Erziehung allein den Müttern <strong>und</strong><br />

seien deshalb „Rabenväter“<br />

• Deutsche Männer gehen vor allem dann länger<br />

als zwei Monate in Elternzeit, wenn ihre beruflichen<br />

Perspektiven schlecht o<strong>der</strong> sie arbeitslos<br />

sind o<strong>der</strong> wenn ihre Frauen mehr verdienen.<br />

Vaterschaft – ein Thema <strong>für</strong><br />

Jungen!<br />

Mädchen denken angeblich viel intensiver über<br />

ihre spätere Mutterrolle nach als Jungen über eine<br />

Vaterschaft. Schon früh übernehmen einige Verantwortung<br />

<strong>für</strong> kleine Geschwister o<strong>der</strong> bessern<br />

ihr Taschengeld mit Babysitten auf. Entsprechend<br />

können sie sich viel besser vorstellen, was sie als<br />

Mütter erwartet. <strong>Für</strong> Jungen ist das oft viel unklarer.<br />

Sie orientieren sich an den Erfahrungen mit<br />

dem eigenen Vater, Patchwork-Ersatzvätern o<strong>der</strong><br />

an gesellschaftlichen Erwartungen.<br />

Jungen, die sich in <strong>der</strong> Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Jugendlichen engagieren, können viel darüber<br />

lernen, wie sie mit späteren eigenen Kin<strong>der</strong>n<br />

umgehen können. Sie können lernen, was Kin<strong>der</strong><br />

brauchen <strong>und</strong> können. Wie man Kin<strong>der</strong>n etwas<br />

erklärt <strong>und</strong> wie man Verantwortung trägt <strong>und</strong> Gefahren<br />

einschätzt. Und noch viel mehr.<br />

Dass Jungen sich nicht so intensiv mit Gedanken<br />

über eine Vaterschaft auseinan<strong>der</strong>setzen, mag<br />

auch an den Gen<strong>der</strong>-Zuschreibungen liegen: Das<br />

ist einfach kein Männerthema! Dabei kann es sein,<br />

dass die individuellen Fähigkeiten eines Mannes,<br />

die <strong>für</strong> die Kleinkindsorge notwendig sind, hervorragend<br />

sind. Und dann wäre es doch nur<br />

logisch, wenn <strong>der</strong> Mann seine Fähigkeiten auch<br />

einsetzte.<br />

Die Bereitschaft, Zeit <strong>für</strong> die Familie <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong><br />

zu investieren, hängt <strong>für</strong> Jungen <strong>und</strong> Männer auch<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Materialkasten 1: Die Zeit, Mai 2008, Seite 6<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_49<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

mit ihrem Selbstbild <strong>und</strong> ihren Vorstellungen von<br />

Männlichkeit zusammen. Was zählt eigentlich im<br />

Leben eines Mannes? Woran misst man ihn <strong>und</strong><br />

woran misst er sich selbst? Am Auto, Einkommen,<br />

Haus, den Frauen, dem Sport <strong>und</strong> Erfolgen? O<strong>der</strong><br />

auch an Familienkompetenz, hauswirtschaftlichen<br />

Fähigkeiten o<strong>der</strong> darant, da gewesen zu sein wenn<br />

sein Kind ein beson<strong>der</strong>es Erlebnis hatte?<br />

Diese Früchte erntet man vermutlich erst ganz spät<br />

in seinem Leben. Aber schon früher kann man das<br />

doch eigentlich auch einem Arbeitgeber verkaufen:<br />

Ein Mann, <strong>der</strong> gelernt hat, die Bedürfnisse<br />

seiner Kin<strong>der</strong> zu erkennen, reagiert sensibler auf<br />

die Wünsche von Geschäftsk<strong>und</strong>en. Er hat gelernt,<br />

wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden. Und<br />

wer schon einmal mit dem Baby auf dem Arm kochen<br />

<strong>und</strong> bügeln musste, ist auch bei <strong>der</strong> Erwerbsarbeit<br />

flexibel. Es lebe <strong>der</strong> „Manager eines kleinen<br />

Familienunternehmens“!<br />

Manager eines Familienunternehmens. © photocase/ CarlosMurphys<br />

Der neue Mann<br />

hieß schon in den 1980ern so. Der arme, immer<br />

muss er sich neu erfinden. Wer spricht aber von<br />

neuen Frauen? Der lange Weg von Frauen-Emanzipation<br />

über Gen<strong>der</strong> Mainstreaming bis Anti-<br />

Diskriminierungsgesetz <strong>und</strong> Elterngeld sind gute<br />

Vorlagen, die Männern viele Möglichkeiten bieten<br />

50_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

<strong>und</strong> Freiräume schaffen. Als Mann muss ich nicht<br />

mehr jeden Tag zur Arbeit gehen <strong>und</strong> Geld verdienen<br />

– wo <strong>der</strong> Spaß auf <strong>der</strong> Strecke bleibt <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Herzinfarkt o<strong>der</strong> die Staublunge kommt. Ich<br />

muss mir keine harte Schale mehr umlegen <strong>und</strong><br />

meinen weichen Kern verhüllen, son<strong>der</strong>n darf (mit<br />

dem Kind) ganz emotional sein, Gefühle haben<br />

<strong>und</strong> zeigen. Ich kann Dinge an<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> vielleicht<br />

sogar besser machen als mein Vater. Gleichzeitig<br />

muss ich aber auch aufpassen, dass ich <strong>mich</strong> nicht<br />

zwischen den Erwartungen meiner Partnerin <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Gesellschaft völlig aufreibe. Denn eins muss<br />

einfach gesagt werden: Die Sorge <strong>und</strong> Erziehung<br />

von (kleinen) Kin<strong>der</strong>n ist anstrengende Arbeit, <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Schlaf kommt in mancher Nacht zu kurz.<br />

Der neue Mann<br />

Mit Jungen über das Thema Vaterschaft zu arbeiten,<br />

ist mit Sicherheit spannend. Es kann hilfreich<br />

sein, wenn keine Mädchen in <strong>der</strong> Gruppe<br />

sind. Das befreit, auch mal Fragen zu stellen, die<br />

einem Jungen sonst noch peinlicher sind. Denn<br />

über Sexualität zu sprechen, wird sich kaum vermeiden<br />

lassen – <strong>und</strong> wenn es zunächst nur in<br />

Witzen geschieht. Bei Jugendlichen in <strong>der</strong> Gruppe<br />

ist es deshalb ratsam, vorher die Eltern zu informieren.<br />

Denn sobald es um Sexualität <strong>und</strong> Aufklärung<br />

geht, ist nicht nur viel Sensibilität <strong>und</strong> eine<br />

offene Gruppenatmosphäre gefor<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

auch Ausgewogenheit, damit es keine rechtlichen<br />

Probleme gibt.<br />

• Was würdest Du Deinem Kind beibringen o<strong>der</strong><br />

zeigen wollen? Was würdest Du an<strong>der</strong>s machen<br />

als Deine Eltern mit Dir? Was genau so?<br />

• Probier doch mal folgende Rollenspielsituationen<br />

aus: Du bist mit Deinem Kind im Kin<strong>der</strong>wagen<br />

unterwegs wie jeden Tag.<br />

- In <strong>der</strong> Straßenbahn erzählt Dir eine ältere<br />

Frau, dass das Kind doch um diese Zeit eigentlich<br />

ins Bett gehöre <strong>und</strong> die Mutter das<br />

eigentlich viel besser wüsste. Du selbst weißt<br />

aber, dass <strong>der</strong> Zug, mit dem Du von Deinen


Materialkasten 2:<br />

Franz, 23, Student,<br />

Vater von Charlotte, 9 Monate<br />

Ich studiere seit Oktober 2005 <strong>und</strong> habe gerade in<br />

meinem Studiengang Soziale Arbeit eine schriftliche<br />

Hausarbeit zum Thema „Ehe <strong>und</strong> eheähnliche<br />

Lebensgemeinschaften“ abgegeben. Nun sind<br />

Semesterferien, ich bin mit meiner Fre<strong>und</strong>in Josephine<br />

zu Hause <strong>und</strong> wir verbringen ganz viel Zeit<br />

mit unserer kleinen Tochter Charlotte.<br />

Unseren Tag gestalten wir ganz nach den Bedürfnissen<br />

von Charlotte. Sie hat einen festen<br />

Rhythmus: Frühstück, Spielen, Mittagessen. Den<br />

Mittagsschlaf verbringt sie bei mir im Tragetuch.<br />

Ein gemeinsamer Spaziergang bis zum Abend<br />

schließt sich an. Kurz vor dem Nachtschlaf spielt<br />

Charlotte eine St<strong>und</strong>e nackt auf dem Teppich,<br />

gegen 19.30 Uhr bekommt sie noch mal die Brust<br />

<strong>und</strong> dann legen wir sie in ihr Bettchen. Ich finde es<br />

schön, dass wir den ganzen Tag zusammen sind.<br />

[…]<br />

Die Geburt war neun Tage über dem Termin <strong>und</strong><br />

das Kind lag noch nicht richtig im Becken. Wir<br />

gingen ins Krankenhaus. Da ich die ganze Zeit<br />

bei Josephine im Kreißsaal war, bemerkte ich am<br />

Wehenschreiber, dass bei den Wehen die Herztöne<br />

des Kindes schwächer wurden. Ich alarmierte eine<br />

Schwester, <strong>und</strong> plötzlich war das ganze Zimmer<br />

voll Personal. Es war schrecklich, ich war auf einmal<br />

draußen <strong>und</strong> musste vor dem Kreißsaal warten,<br />

drei lange Minuten. Dann kam <strong>der</strong> Arzt <strong>und</strong><br />

erzählte von einem Kaiserschnitt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nabelschur<br />

vor dem Kopf.<br />

Ich bekam Charlotte auf den Arm <strong>und</strong> zerplatzte<br />

fast vor Glück. Ich traute <strong>mich</strong> nicht, <strong>mich</strong> zu rühren,<br />

weil sie so klein war, <strong>und</strong> ich hatte Angst, sie<br />

zu zerdrücken. Josephine lag noch im Kreißsaal.<br />

Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen soll.<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Doch als alles in Ordnung war, war ich unendlich<br />

glücklich. Von nun an ging ich nicht mehr zur<br />

Arbeit. Ich weiß nicht, was wir die ganze Zeit im<br />

Krankenhaus gemacht haben. Wir haben uns wohl<br />

die ganze Zeit Charlotte angesehen <strong>und</strong> waren<br />

überglücklich.<br />

Vater war ich gleich: Die Schwangerschaft, <strong>der</strong><br />

Geburtsvorbereitungskurs <strong>und</strong> jede Woche die<br />

Ultraschallbil<strong>der</strong> führten zu dieser Entwicklung.<br />

Ich bin jetzt viel verantwortungsbewusster, fahre<br />

an<strong>der</strong>s Auto, auch wenn Charlotte nicht dabei ist.<br />

Mein Blick hat sich verän<strong>der</strong>t. Ich merke viel eher,<br />

wenn etwas im Haushalt nicht in Ordnung ist. Ich<br />

bin auch allgemein ruhiger geworden.<br />

Meine eigene Kindheit <strong>und</strong> Erziehung finde ich<br />

durchweg positiv. <strong>Für</strong> <strong>mich</strong> war immer klar, dass<br />

ich eigene Kin<strong>der</strong> haben <strong>und</strong> sie zusammen mit<br />

<strong>der</strong> Mutter großziehen wollte. Ich möchte Charlotte<br />

eine schöne Kindheit <strong>und</strong> Familie geben <strong>und</strong><br />

wünsche mir, dass sie eine große „Toleranz im<br />

Kopf“ gegenüber <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n entwickelt.<br />

Große Angst habe ich, getrennt von Charlotte <strong>und</strong><br />

Josephine leben zu müssen. Dankbar bin ich <strong>für</strong><br />

die vielen glücklichen Momente <strong>und</strong> da<strong>für</strong>, dass<br />

ich ihre Entwicklung miterleben darf. Ich weiß,<br />

dass ich ein stolzer Vater bin.<br />

Daniel, 35, Umschüler zum Ergotherapeuten,<br />

Vater von Johanna, 13<br />

Aktuell erlebe ich das Erwachsenwerden meiner<br />

Tochter Johanna. Seit <strong>der</strong> Geburt bin ich <strong>für</strong> sie<br />

allein verantwortlich, da ihre Mutter kurz nach<br />

<strong>der</strong> Entbindung schwer krank wurde <strong>und</strong> es bis<br />

heute ist. Zunächst lebten wir als Familie, doch<br />

seit Johannas viertem Lebensjahr bin ich allein<br />

erziehen<strong>der</strong> Vater. Am Anfang hatte ich das<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_51<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Gefühl, Vater <strong>und</strong> Mutter zugleich zu sein. Jetzt bin<br />

ich mehr Vater <strong>und</strong> Gegenüber. Das verlangt viel<br />

Einfühlungsvermögen von mir.<br />

Gedanken gehen mir durch den Kopf, zum Beispiel:<br />

Wenn meine Tochter einen Fre<strong>und</strong> hat, wie<br />

begrüße ich ihn am Frühstückstisch? Ich merke,<br />

dass sie die bisherige behütete Umgebung verlässt.<br />

Das zu akzeptieren fällt mir schwer, weil ich<br />

nun nicht immer da sein kann, um sie zu beschützen,<br />

so wie es bislang <strong>der</strong> Fall war. Ich finde, Johanna<br />

ist selbstbewusster, als ich es in dem Alter<br />

war, <strong>und</strong> es ist gut, dass sie mir sagt, wenn sie<br />

„Mist gebaut“ hat. Diese Vertrauensebene gibt mir<br />

Sicherheit.<br />

Johanna war nicht geplant. Meine damalige Frau<br />

<strong>und</strong> ich wollten eigentlich in Schweden leben.<br />

In Göteborg ist Johanna auch geboren. Aber aus<br />

diesen Plänen wurde lei<strong>der</strong> nichts […]. Als junger<br />

Vater habe ich schnell den Unterschied gespürt,<br />

wie Mütter <strong>und</strong> wie Väter mit ihren Kin<strong>der</strong>n umgehen.<br />

Auf dem Spielplatz saßen die Mütter,<br />

klönten miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> ließen ihre Kin<strong>der</strong><br />

spielen, während ich als Vater mit meinem Kind<br />

durch die Klettergerüste krabbelte. Als Vater<br />

fühlte ich <strong>mich</strong> unter den Müttern in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit<br />

<strong>und</strong> nicht richtig angenommen. Es ist wohl<br />

auch so, dass Männer mehr körperlich mit Kin<strong>der</strong>n<br />

spielen.<br />

Verwandten gekommen bist, viel Verspätung<br />

hatte, <strong>und</strong> bist schon ärgerlich, weil Du längst<br />

zu Hause sein wolltest.<br />

- Du ziehst Deinem Kind die Winterjacke an,<br />

weil Ihr raus gehen wollt. Eine ältere Frau<br />

kommt vorbei <strong>und</strong> sagt, sie hätte das immer<br />

ganz an<strong>der</strong>s gemacht. Du sollest das man mal<br />

lassen, sie zöge eben das Kind an.<br />

- Du spazierst an einer Bushaltestelle vorbei.<br />

Aus dem Wartehäuschen rufen Dir Jungs mit<br />

Bierflasche spöttisch hinterher, dass es auch<br />

alle Umstehenden hören.<br />

52_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Als Johanna in die Schule kam, waren die Eltern<br />

<strong>der</strong> Klassenkameraden etwa zehn Jahre älter als<br />

ich, da ich früh Vater geworden bin. Das hat aber<br />

zur Folge, dass ich heute mit 35 Jahren, einen Lebensabschnitt<br />

verlasse, den viele in meinem Alter<br />

erst beginnen. Ich bin stolz auf diese Zeit, aber<br />

auch froh, wenn Johannas Pubertät vorbei ist. Froh<br />

bin ich auch, dass meine Fre<strong>und</strong>in keinen Kin<strong>der</strong>wunsch<br />

hat.<br />

Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern.<br />

Trotzdem habe ich versucht, meine Tochter an<strong>der</strong>s<br />

zu erziehen, als meine Eltern <strong>mich</strong> erzogen haben.<br />

Ich lasse meiner Tochter möglichst viel eigenen<br />

Raum, frage natürlich, lasse ihr aber die Freiheit<br />

auszuwählen, an was ich teilnehmen darf, an was<br />

nicht. Ich rede erst mir ihr, wenn es Probleme gibt,<br />

<strong>und</strong> dann suchen wir gemeinsam nach Lösungen.<br />

Wichtig finde ich auch, dass sie auf ihren „Bauch“<br />

hört <strong>und</strong> ihre Entscheidungen dann fällt, wenn ihr<br />

Gefühl Ja dazu sagt.<br />

Ich bin Johanna dankbar da<strong>für</strong>, dass ich die kleinen<br />

Dinge im Leben entdeckt habe. Sie hat <strong>mich</strong> gelehrt,<br />

die Welt aus ihrer Perspektive zu betrachten.<br />

Aus: Thomas-Wilhelm Becker, Väter. Mehr als Männer<br />

mit Kin<strong>der</strong>n, Hildesheim 2006, Seite 16-17 <strong>und</strong><br />

92-93. Abdruck mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung des<br />

Moritzberg Verlag, Hildesheim.<br />

- Du schiebst den Kin<strong>der</strong>wagen an einer engen<br />

Stelle über den Gehweg. Plötzlich brüllt Dir<br />

ein junger Mann mit Goldkettchen <strong>und</strong> Bizeps<br />

hinterher, Du hättest seinen Wagen zerkratzt.<br />

Er scheint richtig wütend zu sein <strong>und</strong> spurtet<br />

los, um Dich einzuholen.<br />

- Du sitzt im Zug im Kleinkindabteil. Ausgerechnet<br />

dort haben sich zwei übelriechende Kerle<br />

hingesetzt, um ein Bier nach dem <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n zu<br />

trinken.<br />

- Alle Omas starren Dich an, weil normalerweise<br />

Männer nicht allein mit dem Kind unterwegs sind.


• Sprich mit Männern, die Väter sind. Die gerade<br />

kleine Kin<strong>der</strong> haben o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en große Kin<strong>der</strong><br />

schon aus dem Haus sind. Die aus Deutschland<br />

stammen o<strong>der</strong> aus einem <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Land hierher<br />

gekommen sind. Wie haben sie ihre Vaterschaft<br />

erlebt? Was konnten, durften, mussten, wollten<br />

sie gern tun? Was nicht? Eine Hilfe, welche<br />

Fragen Du stellen kannst, können Dir die beiden<br />

Gesprächsaufzeichnungen aus dem Materialkasten<br />

2 sein.<br />

• Besucht doch mal eine Hebamme o<strong>der</strong> ladet<br />

eine Ärztin <strong>für</strong> Geburtshilfe ein, damit sie Euch<br />

von einer Geburt erzählen. Vielleicht könntet Ihr<br />

auch mal einen Kreißsaal besichtigen? In vielen<br />

Krankenhäusern gibt es Termine <strong>für</strong> werdende<br />

Eltern. Mit <strong>der</strong> Jugendgruppe macht die Teilnahme<br />

bestimmt Spaß!<br />

• Beratet Euch mit einem Schwangerschaftskonfliktberater.<br />

Fragt in einer Familienberatungsstelle,<br />

welche Unterstützungen es gibt.<br />

• Sprecht mal mit <strong>der</strong> Berufsberatung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit. O<strong>der</strong> einem Headhunter.<br />

Fragt einen Oberarzt im Krankenhaus. Einen<br />

Banker. Einen Selbstständigen. Den Landrat<br />

(Materialkasten 1). Darf man als Mann überhaupt<br />

in Elternzeit gehen? O<strong>der</strong> ist das das Ende<br />

<strong>der</strong> Karriere? Fragt in größeren Unternehmen<br />

mal in <strong>der</strong> Personalabteilung an, welche Unterstützungsangebote<br />

es <strong>für</strong> Mütter bzw. Väter<br />

gibt. Lassen sich Unterschiede feststellen?<br />

Mutter-Kind-Zone. O<strong>der</strong> amtliches Verkehrszeichen 242?<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

In Österreich tanzen Männer mit Kin<strong>der</strong>n auf dem Asphalt.<br />

© photocase/beenator<br />

• Ist die Babyklappe, wo man anonym ein Kind<br />

abgeben kann, das man zur Adoption frei gibt,<br />

eine Lösung <strong>für</strong> überfor<strong>der</strong>te Eltern? Diskutiert<br />

das <strong>Für</strong> <strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>! O<strong>der</strong> besucht eine Babyklappe,<br />

zum Beispiel im Frie<strong>der</strong>ikenstift Hannover.<br />

• Warum sind auf Verkehrsschil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Piktogrammen<br />

eigentlich immer Mütter mit Kind<br />

abgebildet (Bild 3)? Warum sind Wickeltische<br />

fast nur auf Damentoiletten? Sucht doch mal,<br />

wo überall nur Frauen mit Kind zugelassen<br />

sind. O<strong>der</strong> entwerft selbst Mann-mit-Kind-Piktogramme.<br />

Ein Beispiel fand sich in Österreich<br />

(Bild 4).<br />

• Gründet einen Babysitterclub: Jungen entlasten<br />

Väter (<strong>und</strong> Mütter) in <strong>der</strong> Elternzeit. Vielleicht<br />

könnt Ihr gemeinsam einen Kurs machen?<br />

O<strong>der</strong> ist das eine nur <strong>für</strong> Mädchen interessante<br />

Weise, das Taschengeld aufzubessern? Warum<br />

eigentlich?<br />

• Welche Berufe sind <strong>für</strong> Dich attraktiv? Hast Du<br />

schon mal über Tagesvater (Materialkasten 6),<br />

Erzieher, Gr<strong>und</strong>schullehrer o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>krankenpfleger<br />

nachgedacht? Warum denn nicht?<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_53<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Und was hat das mit dem<br />

Glauben zu tun?<br />

• In <strong>der</strong> Bibel ist die die Frage, ob Mann o<strong>der</strong><br />

Frau <strong>für</strong> die Kin<strong>der</strong> sorgt, kein Thema. Mal<br />

werden Kin<strong>der</strong> in Begleitung von Frauen, mal in<br />

Begleitung von Männern benannt. Aus <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Quellen wissen wir, dass in den biblischen<br />

Kulturen in <strong>der</strong> Regel Frauen <strong>für</strong> die Kin<strong>der</strong>-<br />

erziehung zuständig waren. Deshalb ist es<br />

schwierig, theologisch über dieses Thema<br />

nachzudenken.<br />

• Kin<strong>der</strong> sind wichtig: Jesus ruft die Kin<strong>der</strong> zu<br />

sich <strong>und</strong> segnet sie, denn „<strong>für</strong> Menschen wie<br />

sie steht Gottes neue Welt offen“ (Mt 19,13-15).<br />

• Kin<strong>der</strong> sind schutz- <strong>und</strong> <strong>für</strong>sorgebedürftig, man<br />

könnte auch sagen: Schwach. Die Sorge um <strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> Schwache ist ein großes Anliegen <strong>der</strong> Bibel.<br />

Jesus kümmert sich häufig um sie <strong>und</strong> hilft ihnen,<br />

darunter zum Beispiel auch kranke Kin<strong>der</strong><br />

(Mk 5,35-43; Lk 9,37-43).<br />

• Kin<strong>der</strong> sind ein Geschenk Gottes <strong>und</strong> ein W<strong>und</strong>er<br />

<strong>der</strong> Schöpfung. Wie je<strong>der</strong> Mensch sind sie<br />

Engel sein. <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>mich</strong>. © photocase/futurinka<br />

54_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

ein Ebenbild Gottes (Gen 1,26) <strong>und</strong> verdienen<br />

damit die Würdigung <strong>und</strong> Zuwendung. Je<strong>der</strong>,<br />

gleich ob Mann o<strong>der</strong> Frau ist aufgefor<strong>der</strong>t, ihnen<br />

Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

• Theologisch lässt sich zum Beispiel vom Brief<br />

an die Kolosser Kapitel 3 losdenken: Dort wird<br />

sehr deutlich, dass es <strong>für</strong> den neuen Menschen<br />

(nach <strong>der</strong> Taufe) keine Unterschiede mehr gibt,<br />

weil <strong>für</strong> jeden Mensch nur Christus „noch zählt,<br />

<strong>der</strong> in allen lebt <strong>und</strong> <strong>der</strong> alles wirkt“ (Kol 3,11).<br />

Vor Gott sind alle gleich wichtig: Mann <strong>und</strong> Frau<br />

in ihrer offensichtlichen Verschiedenheit. Keiner<br />

<strong>der</strong> beiden ist wichtiger o<strong>der</strong> nimmt einen Vorrang<br />

ein. Und beide haben Gaben, die sie einsetzen<br />

sollen zum Wohle des <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n <strong>und</strong> des<br />

Kindes.<br />

• Kirche muss <strong>für</strong> den Patriarchalismus, den sie<br />

über Jahrh<strong>und</strong>erte gepredigt hat, Verantwortung<br />

übernehmen. Immer wie<strong>der</strong> betonen Konservative<br />

die beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>der</strong> Frau, die in ihrem<br />

Verständnis <strong>der</strong> Schöpfungsberichte <strong>für</strong> das Gebären<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zuständig sei. 2007 hat bspw.<br />

<strong>der</strong> katholische Bischof von Augsburg, Walter<br />

Mixa, anlässlich<br />

<strong>der</strong> staatlichen<br />

Ankündigung die<br />

Krippenplätze<br />

auszubauen,<br />

davor gewarnt,<br />

Frauen zu „Gebärmaschinen“<br />

zu degradieren,<br />

indem sie mit<br />

staatlicher För<strong>der</strong>ung<br />

schnell<br />

wie<strong>der</strong> dem<br />

Arbeitsmarkt zugeführt<br />

werden.<br />

Diese <strong>und</strong> weitere<br />

Äußerungen<br />

führten zu<br />

starker öffentlicher<br />

Kritik.


Materialkasten 3<br />

Diakon Norbert Wolf ist einer <strong>der</strong> wenigen Männer<br />

in <strong>der</strong> Schwangerschaftskonfliktberatung. In seine<br />

Beratungsstelle im Diakonischen Werk Bremervörde<br />

kommen schwangere Frauen <strong>und</strong> junge Eltern.<br />

Gegen den Trend 2009 hat mit ihm über seine<br />

Arbeit gesprochen.<br />

Gegen den Trend 2009: Wie ist es, als Mann über<br />

Schwangerschaft zu beraten? Kommen Mütter zu<br />

Dir? Auch Väter? Gemeinsam?<br />

Norbert Wolf: Ich muss zugeben, dass <strong>mich</strong> die<br />

Frage, ob ich als Mann schwangere Frauen beraten<br />

kann, sehr beschäftigt hat. In meiner Beraterausbildung<br />

– da war ich <strong>der</strong> einzige Mann – haben<br />

<strong>mich</strong> die Frauen ermutigt: Männer sind in <strong>der</strong><br />

Beratung wichtig, weil ja auch Männer betroffen<br />

sind! Und wenn eine schwangere Frau nicht von<br />

einem Mann beraten werden möchte, geht sie zu<br />

einer <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Beratungsstelle. Beson<strong>der</strong>s junge<br />

Männer begleiten ihre Partnerin zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

<strong>und</strong> wollen auch aktiv<br />

an <strong>der</strong> Beratung teilhaben. Das finde ich gut <strong>und</strong><br />

sehr verantwortlich, gerade auch deshalb, weil<br />

beide Partner die Verantwortung <strong>für</strong> diese weit<br />

reichende Entscheidung treffen wollen. Aber oft<br />

kommen auch die Frauen alleine, <strong>und</strong> das hat die<br />

verschiedensten Gründe. In meiner Tätigkeit kam<br />

es bis jetzt selten vor, dass eine Konfliktberatung<br />

ohne Kenntnis des Mannes stattfand. Noch ist<br />

es bei mir nicht vorgekommen, dass sich Männer<br />

alleine zu einem Schwangerschaftsabbruch haben<br />

beraten lassen, obwohl ich durchaus die Fragen<br />

<strong>und</strong> Probleme auch bei Männern sehe. Dazu<br />

wüsste ich gern noch mehr: Wie sieht <strong>der</strong> Konflikt<br />

einer schwangeren Partnerin bei Männern aus?<br />

Gegen den Trend 2009: Hattest Du schon Teenagereltern<br />

in <strong>der</strong> Beratung? Was sind ihre Fragen?<br />

Was rätst Du ihnen?<br />

Norbert Wolf: Hier auf dem Lande meint man ja,<br />

dass es nicht so häufig Teenagereltern gibt. Aber<br />

doch. Auch hier werden hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> junge<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Mädchen Mütter. Wenn sie keinen stabilen Familienhintergr<strong>und</strong><br />

haben, dann kann eine ungewollte<br />

Schwangerschaft o<strong>der</strong> Geburt eine große<br />

Angst auslösen, die sich auch gegen das neue<br />

Leben richten kann. Da versuchen wir in <strong>der</strong> Beratung,<br />

Netzwerke zu initiieren, die diese Situation<br />

stützen. In Städten ist das leichter, da die Entfernungen<br />

zu Hilfeeinrichtungen kürzer sind <strong>und</strong><br />

Familien auch leichter anonym bleiben können.<br />

Wichtig ist, dass diese sehr jungen Eltern merken,<br />

dass sie nicht alleine gelassen werden, son<strong>der</strong>n<br />

ihnen viele Menschen zur Seite stehen wollen.<br />

Gegen den Trend 2009 fragt: Berätst Du auch Väter,<br />

Elternzeit zu nehmen? Verantwortung <strong>für</strong> das<br />

Kind zu übernehmen? Wie? Was <strong>für</strong> Erfahrungen<br />

machst Du mit Vätern?<br />

Norbert Wolf: Mit dem neuen Gesetz zur Elternzeit<br />

hat sich die Sicht junger Eltern tatsächlich<br />

erweitert. Im Rahmen einer Sozial- o<strong>der</strong> Schwangerenberatung<br />

bekommt diese Frage einen beson<strong>der</strong>en<br />

Stellenwert, <strong>und</strong> ich merke, dass junge<br />

Väter ihre Rolle in <strong>der</strong> Regel auch wahrnehmen<br />

wollen. Jedoch ist <strong>der</strong> zweite Blick dann immer auf<br />

das zu erwartende Einkommen in <strong>der</strong> Elternzeit<br />

gerichtet. Und bei mittleren <strong>und</strong> niedrigen Einkommen<br />

ist es dann wirklich eine Existenzfrage, ob<br />

die junge Familie es sich leisten kann, zwei o<strong>der</strong><br />

mehr Monate auf das meist höhere Einkommen<br />

des Mannes zu verzichten. Ich stelle aber fest,<br />

dass bei ungewollten <strong>und</strong> gewollten Schwangerschaften<br />

durchaus die jungen Männer Verantwortung<br />

<strong>für</strong> das neue Leben übernehmen wollen. In<br />

meiner Beratungspraxis habe ich es kaum erlebt,<br />

dass junge Männer die Frauen <strong>der</strong>art unter Druck<br />

gesetzt haben, dass <strong>der</strong> Konflikt einen Schwangerschaftsabbruch<br />

zur Folge hatte. Jedoch ist hier<br />

mein ländlicher Beratungskontext wohl auch zu<br />

beachten. In Städten sind <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Lebensentwürfe<br />

geballter zu finden <strong>und</strong> somit auch die Probleme<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>, unter denen es zu ungewollten Schwangerschaften<br />

kommt.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_55<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Mehr als ich: Die Gesellschaft<br />

Einige <strong>der</strong> Gedankenanstöße ziehen schon weitere<br />

Kreise um meine Person herum. Sie fragen nach<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft, in <strong>der</strong> wir leben (wollen). Wie<br />

än<strong>der</strong>t sich eigentlich die Gesellschaft, wenn<br />

Väter stärker die Erziehung übernehmen? Woher<br />

stammen die stereotypen Bil<strong>der</strong> vom Vater<br />

(„Warte nur, bis Vater nach Hause kommt!“) <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Mutter (<strong>für</strong>sorgend, liebevoll, beschützend,<br />

in Schürze am Herd, …)? Wie sieht das in <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Gesellschaften <strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n aus? Welche Unterschiede<br />

gibt es? Wie verän<strong>der</strong>n sich eigentlich<br />

unsere Kultur <strong>und</strong> unser Zusammenleben, die<br />

sich ursprünglich stark auf diese Stereotypen<br />

gründen? Wenn Gesellschaft sich verän<strong>der</strong>n soll,<br />

erfor<strong>der</strong>t das politisches Handeln. Damit sind<br />

nicht nur Gremien gemeint, son<strong>der</strong>n auch Aktionen,<br />

Leserbriefe/Online-Kommentare, Demonstrationen<br />

usw. von einzelnen. Und natürlich zählt<br />

auch, welche Partei mit welchem Programm man<br />

wählt. Und warum sind die Familienministerien<br />

seit Jahrzehnten eigentlich immer mit Frauen<br />

besetzt?<br />

Materialien <strong>und</strong> Literatur<br />

• Es gibt im Internet diverse Blogs (online-Tagebücher<br />

mit Bil<strong>der</strong>n) von Vätern, die aus ihrer<br />

Elternzeit berichten. Einfach mal die Suchmaschine<br />

bemühen!<br />

• Die Teppich- <strong>und</strong> Staubsaugerfirma Vorwerk finanziert<br />

unter http://www.familien-managerin.<br />

de eine Imagekampagne mit Familienstudien.<br />

Interessantes Material!<br />

• Statistik: Unter https://www-ec.destatis.de<br />

lassen sich mit dem Suchwort ‚Elterngeld‘ aktuelle<br />

Zahlen downloaden <strong>und</strong> auswerten. Zum<br />

Beispiel wie viel Elterngeld gezahlt wird, wie<br />

lange Väter Elterngeld beziehen, wie viele Väter<br />

überhaupt in Elternzeit gehen etc.<br />

56_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Materialkasten 4<br />

Jan-Olof Fechter lebt als Deutscher in Schweden<br />

<strong>und</strong> ist dort 2007 Vater geworden. Er erzählt:<br />

„Ich arbeite als Entwicklungsingenieur bei einem<br />

großen Möbelkonzern. Als ich um 7 Monate Elternzeit<br />

ansuchte, bekam ich sofort die Zustimmung<br />

meiner Chefin: ‚Das hat mein Mann damals auch<br />

so gemacht.‘ Ich arbeite 20%, um nicht ganz von<br />

<strong>der</strong> Entwicklung abgeschnitten zu sein. Meine<br />

Arbeit wird <strong>der</strong>weil von einem da<strong>für</strong> angestellten<br />

Diplomanden übernommen, zu dem ich einen<br />

guten Draht habe. Die älteren Kollegen waren<br />

größtenteils neidisch, sieben Monate ‚Ferien‘ im<br />

Sommerhalbjahr! Aber dass Elternzeit keine Ferien<br />

sind, habe ich mittlerweile auch erfahren: Während<br />

meine Frau wie<strong>der</strong> ihrer Arbeit nachgeht, bin<br />

ich ziemlich von unserer Tochter eingenommen,<br />

sodass ich bei einigen geplanten Bauprojekten an<br />

unserem neuen Eigenheim kräftig zurückstecken<br />

musste: Hier<strong>für</strong> war einfach keine Zeit. Unsere<br />

Tage füllen sich mit Spielen, Hausarbeit, Essen,<br />

Wickeln usw. <strong>und</strong> wir gehen auch regelmäßig zum<br />

Elternkreis <strong>und</strong> zur Krabbelgruppe. Dort war es<br />

nun schon einige Male so, dass ausschließlich<br />

Väter mit ihren Kin<strong>der</strong>n gekommen sind. Lustig,<br />

denn die Gesprächsthemen beschränkten sich<br />

dann nicht nur auf das Schlaf- <strong>und</strong> Spielverhalten<br />

<strong>der</strong> Kleinen. Insgesamt sehe ich die Vaterzeit als<br />

etwas sehr Positives, die <strong>der</strong> Mutter den beruflichen<br />

Wie<strong>der</strong>einstieg erleichtert, den eigenen<br />

Erfahrungsschatz erweitert <strong>und</strong> einfach auch eine<br />

Menge Spaß macht.“<br />

• Wissenschaft: Wenn Teenager Eltern werden…<br />

Lebenssituationen jugendlicher Schwangerer<br />

<strong>und</strong> Mütter sowie jugendlicher Paare mit Kind.<br />

Eine qualitative Studie <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eszentrale <strong>für</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitliche Aufklärung, Köln 2005, kostenloser<br />

Download unter http://www.bzga.de.<br />

Dort finden sich auch zahlreiche Materialien zu<br />

Sexualität, Familienplanung <strong>und</strong> Vaterschaft.


• Nur <strong>für</strong> Fans: Von seinem Vater-Dasein singt<br />

Reinhard Mey auf dem Album „Mein Apfelbäumchen“<br />

(1989), das Lied „Aller guten Dinge sind<br />

drei“ spiegelt seinen Alltag wi<strong>der</strong>.<br />

Materialkasten 5<br />

Zum Beispiel: Ein ganz normaler Tag mit Margarete<br />

(8 Monate)<br />

Zwischen 6:30 <strong>und</strong> 7:45 wacht Margarete auf.<br />

Mal mit einem Lachen, mal mit einem Schrei.<br />

Mit Milchpulver rühre ich eine Flasche an, die sie<br />

dann auf Ex trinkt. Die Windel platzt dann fast,<br />

nach einer ganzen Nacht. Also schnell auf den<br />

Wickeltisch, waschen <strong>und</strong> wickeln. Und dann die<br />

Frage: Was ziehe ich ihr nur an?! Nachdem ich<br />

auch gefrühstückt habe, gehen wir meist raus.<br />

Manchmal erledigen wir Sachen <strong>und</strong> kaufen ein.<br />

Manchmal treffen wir uns auch mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n El-<br />

tern auf dem Spielplatz o<strong>der</strong> in einem Café. Zurück<br />

in <strong>der</strong> Wohnung ist <strong>der</strong> Haushalt dran: Die<br />

Wasch maschine läuft fast jeden Tag, <strong>und</strong> auch<br />

<strong>der</strong> Fußboden kann eigentlich jeden zweiten Tag<br />

gesaugt werden. Damit die gute Laune erhalten<br />

bleibt, gibt’s zwischendurch mal eine ganze Banane.<br />

Margarete spielt währenddessen ein bisschen<br />

allein o<strong>der</strong> macht noch mal ein kurzes Nickerchen.<br />

Aus dem Auge lassen kann ich sie nicht, weil sie<br />

überall hin krabbelt. Wer weiß, was sie findet<br />

<strong>und</strong> in den M<strong>und</strong> steckt? O<strong>der</strong> wo sie hin greift?<br />

Die Steckdosen sind zwar alle kin<strong>der</strong>sicher, aber<br />

Gefahren gibt es im Haushalt viele. Um 12:30 Uhr<br />

gibt’s den Mittagsbrei. Wenn ich kein Gläschen<br />

füttere son<strong>der</strong>n selbst koche, dann muss ich extra<br />

ohne Gewürze <strong>und</strong> Salz <strong>und</strong> ganz weich kochen,<br />

damit sie das isst. Gut, dass es Pürierstäbe gibt!<br />

Nach dem Mittagessen schläft Margarete <strong>für</strong> 1,5<br />

bis zwei St<strong>und</strong>en. Das ist meine Freizeit! Jetzt kann<br />

ich zwar nicht aus <strong>der</strong> Wohnung, aber endlich mal<br />

ein Buch lesen, Musik hören o<strong>der</strong> an den PC. Wenn<br />

sie aufgewacht ist, gibt es schon fast wie<strong>der</strong> die<br />

nächste Mahlzeit: Getreide-Obst-Brei. Den mag<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

• Immer noch nicht veraltet: Dieter Schnack/<br />

Rainer Neutzling, Kleine Helden in Not. Jungen<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach Männlichkeit, Hamburg<br />

1990<br />

sie gern, vielleicht, weil er so fruchtig schmeckt?<br />

Danach gehen wir, wenn es nicht regnet, auf den<br />

Spielplatz. Noch kann Margarete mit dem Sand<br />

nicht so viel anfangen, weiß gar nicht, wie man die<br />

Schaufel hält. Aber größere Kin<strong>der</strong> findet sie total<br />

spannend <strong>und</strong> beobachtet sie mit großen Augen.<br />

Wenn wir unterwegs sind, dürfen wir Windeln,<br />

Tücher, einen Not-Keks, die Trinkflasche, Wechselkleidung<br />

<strong>und</strong> den Schnuller nicht vergessen, das<br />

wäre eine kleine Katastrophe! Denn ‚bald‘ o<strong>der</strong><br />

‚gleich‘ versteht Margarete noch nicht, <strong>und</strong> ein<br />

nasses Kind, das eingemacht hat <strong>und</strong> <strong>mich</strong> vollschmiert,<br />

mag ich auch nicht so gern auf den Arm<br />

nehmen. Rechtzeitig zum Abendbrei um 18:30 Uhr<br />

müssen wir wie<strong>der</strong> zu Hause sein. Danach spielt<br />

Margarete noch ein bisschen, ist manchmal richtig<br />

quirlig, so dass es schwer wird, sie um 20 Uhr ins<br />

Bett zu bekommen. Die Milchflasche hilft manchmal,<br />

sie zu beruhigen. Ich freue <strong>mich</strong> auf meinen<br />

Feierabend. Aber wehe, wenn sie nicht einschlafen<br />

kann, weil <strong>der</strong> neue Zahn, <strong>der</strong> gerade durchbricht,<br />

so schmerzt. O<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tag zu aufregend war. O<strong>der</strong><br />

überhaupt. Dann gehe ich mit Margarete manchmal<br />

ein o<strong>der</strong> zwei St<strong>und</strong>en auf dem Arm durch die<br />

Wohnung <strong>und</strong> hoffe, dass sie nachts nicht mehrmals<br />

aufwacht <strong>und</strong> ich das wie<strong>der</strong>holen muss.<br />

Denn dann bekomme ich am nächsten Morgen die<br />

Augen kaum auf. Nur, dass ich den Wecker Margarete<br />

nicht ausschalten kann…<br />

Ach, wo die Mutter ist? Bei <strong>der</strong> Arbeit natürlich!<br />

Aber ganz oft hilft sie mir <strong>und</strong> bringt Margarete<br />

ins Bett o<strong>der</strong> lässt <strong>mich</strong> morgens mal ausschlafen.<br />

Trotzdem werden die Tage wohl mal lang, <strong>und</strong> wir<br />

freuen uns, wenn Mama endlich wie<strong>der</strong> Zuhause<br />

ist.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_57<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

Materialkasten 6<br />

Familien-Managerin 2007: Wenn Heinz Bernd Bremer<br />

nach seinem Beruf gefragt wird, erntet er bei<br />

<strong>der</strong> Antwort entwe<strong>der</strong> ungläubiges Lachen o<strong>der</strong><br />

große Augen. Denn seine Antwort lautet: „Tagesmutter“.<br />

Als seine Frau Drillinge bekam, entschloss<br />

er sich, seinen Beruf als Koch aufzugeben,<br />

um <strong>für</strong> die Kin<strong>der</strong> da zu sein, während seine Frau<br />

ihre Vollzeit-Stelle behielt. Das tägliche Miteinan<strong>der</strong><br />

machte dem Vater so viel Spaß, dass er die <strong>für</strong><br />

Tagesmütter gefor<strong>der</strong>te Qualifizierung ablegte.<br />

Seitdem betreut er neben seinen quirligen Drillingen<br />

täglich noch zwei weitere Kin<strong>der</strong>. Zurück in<br />

den Beruf? „Nein! Dazu macht mir das Leben mit<br />

den Kin<strong>der</strong>n zu viel Spaß!“<br />

Ein Video-Porträt findet sich unter http://www.<br />

familien-managerin.de/presse/film_ab.php<br />

Volker Jörn Walpuski<br />

58_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


Kin<strong>der</strong>programm (täglich 7-20 Uhr)<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_59<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


2. TEIl:<br />

lERNEN … MIT<br />

UND IN SchUlE


›› helfen ist die<br />

schönste Sache<br />

<strong>der</strong> Welt.<br />

Finden wir auch!


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

Soziales Engagement von<br />

Jugendlichen – eine Win­Win­<br />

Situation<br />

Die Lebenswelt von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen hat<br />

sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verän<strong>der</strong>t.<br />

Die erste World Vision Kin<strong>der</strong>studie 2007<br />

zeigte, dass 17 Prozent <strong>der</strong> befragten Kin<strong>der</strong> (bis<br />

elf Jahre) nicht mit beiden Elternteilen aufwachsen.<br />

Die klassische Großfamilie, in <strong>der</strong> sich die Generationen<br />

unterstützen <strong>und</strong> schwache Mitglie<strong>der</strong><br />

von <strong>der</strong> Gemeinschaft getragen werden, existiert<br />

nur noch in Ausnahmefällen.<br />

Gleichzeitig wächst <strong>der</strong> Unterschied zwischen den<br />

sozialen Schichten. Kin<strong>der</strong> starten so unter völlig<br />

unterschiedlichen Voraussetzungen ins Leben.<br />

In einer Gesellschaft, in welcher alte Muster verschwinden<br />

<strong>und</strong> die Menschen mehr <strong>und</strong> mehr auf<br />

sich alleine gestellt sind, wächst die Rolle des<br />

sozialen Engagements eines jeden Individuums.<br />

Je früher Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche anfangen, sich<br />

sozial zu engagieren, desto selbstverständlicher<br />

werden sie soziales Engagement auch später in ihr<br />

Leben integrieren.<br />

Doch nicht nur <strong>für</strong> unsere Gesellschaft, auch <strong>für</strong><br />

die Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen selbst bringt soziales<br />

Engagement viele Vorteile. In ihrem sozialen Projekt<br />

haben junge Menschen die Möglichkeit Kompetenzen<br />

zu erwerben, von denen nicht-engagierte<br />

Altersgenossen noch weit entfernt sind. Sie lernen,<br />

ein komplexes Projekt zu planen <strong>und</strong> durchzuführen,<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong> zu begeistern <strong>und</strong> zu motivieren,<br />

auf Schwierigkeiten <strong>und</strong> Probleme zu reagieren<br />

<strong>und</strong> Ideen weiterzuentwickeln.<br />

Ganze 59 Prozent <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im Alter von 8 bis 11<br />

Jahren sind laut World Vision Kin<strong>der</strong> Studie schon<br />

einmal gesellschaftlich o<strong>der</strong> im Interesse <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r<br />

aktiv geworden sind. Bei den Jugendlichen scheint<br />

soziales Engagement einen ähnlich hohen Stel-<br />

62_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

lenwert zu haben: In <strong>der</strong> Shell-Jugendstudie 2006<br />

gaben 75 Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen an, gelegentlich<br />

o<strong>der</strong> oft (33 Prozent) ihre Freizeit mit sozialem<br />

Engagement zu verbringen.<br />

An dieser Stelle setzt die Initiative JUGEND HILFT!<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>hilfsorganisation CHILDREN for a better<br />

World e.V. an. Sozial engagierte Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche können bei JUGEND HILFT! bis zu<br />

2.500 Euro jährlich <strong>für</strong> ihr soziales Projekt beantragen.<br />

Der JUGEND HILFT! Wettbewerb zeichnet<br />

die besten Projekte öffentlich aus. Workshops <strong>und</strong><br />

Tagungen unterstützen die jungen Engagierten<br />

inhaltlich bei ihrer wichtigen Arbeit.<br />

Soziales Engagement von<br />

Jugendlichen –<br />

ein Thema in <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Wahrnehmung<br />

Soziales Engagement hat Tradition, doch gerade in<br />

den letzten Jahren wurde das Thema in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

immer stärker wahrgenommen. Aktionen<br />

wie die Woche des bürgerschaftlichen Engagements,<br />

die 2008 zum vierten Mal vom B<strong>und</strong>esnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement durchgeführt<br />

werden wird, weisen öffentlich auf die Wichtigkeit<br />

des sozialen Engagements hin <strong>und</strong> erhöhen die<br />

Sensibilität <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>für</strong> dieses Thema.<br />

Prominente Persönlichkeiten setzen sich gerne<br />

<strong>für</strong> die Sache ein: seit 2003 unterstützt die Gattin<br />

des jeweiligen B<strong>und</strong>espräsidenten JUGEND HILFT!<br />

als Schirmherrin. Bei <strong>der</strong> Preisverleihung werden


die Sieger des JUGEND HILFT! Wettbewerbs von<br />

prominenten Laudatoren geehrt. 2007 war Florian<br />

Henckel von Donnersmarck einer von ihnen. Der<br />

Oscar-Preisträger zeigte offen seine Bew<strong>und</strong>erung<br />

<strong>für</strong> die Leistungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen:<br />

„Solche Jugendlichen zeigen uns <strong>und</strong> Gleichaltrigen,<br />

dass wir wirklich die Möglichkeit haben,<br />

etwas zu verän<strong>der</strong>n.“<br />

Auch die engagierten Jugendlichen selbst können<br />

meist genau begründen, warum sie sich sozial engagieren.<br />

Die wenigsten verstehen sich dabei als<br />

Samariter, denen es einzig <strong>und</strong> allein darum geht,<br />

Gutes zu tun. Ihnen ist klar, dass sie von ihrem Engagement<br />

profitieren. JUGEND HILFT! Preisträger<br />

Cornelius Nohl, inzwischen 23 Jahre alt, engagierte<br />

sich jahrelang <strong>für</strong> das Projekt „Teens On Phone“<br />

in München. Bei „Teens On Phone“ beraten Jugendliche<br />

am Telefon ihre Altersgenossen. Inzwischen<br />

hat Cornelius in Regensburg ein ähnliches<br />

Projekt aufgebaut. Er erinnert sich gerne an seine<br />

aktiven Zeiten: „Soziales Engagement lohnt sich<br />

immer. Neben Gesprächsführung <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

lernt man so ungeheuer viel. Vor allem<br />

sich durchzusetzen <strong>und</strong> Verantwortung zu tragen.<br />

Erfahrungen die einem die Schule gar nicht bieten<br />

kann.“<br />

Wie kann soziales Engagement<br />

von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

aussehen?<br />

Die Möglichkeiten, sich sozial zu engagieren, sind<br />

vielfältig. Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen sollte dabei<br />

viel zugetraut werden. Immer wie<strong>der</strong> bewerben<br />

sich junge Menschen mit erstaunlichen Projekten<br />

bei JUGEND HILFT!<br />

Die Schülerfirma in Freiberg (Sachsen) „Namaste<br />

Nepal“ etwa finanziert mit den Erträgen aus <strong>der</strong><br />

schuleigenen Photovoltaikanlage drei Lehrer <strong>und</strong><br />

eine Kin<strong>der</strong>gärtnerin in einem nepalesischen Dorf.<br />

Außerdem organisierten die Jugendlichen ein<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

Augencamp – 173 Nepalesen konnten vom Grauen<br />

Star befreit werden.<br />

Natürlich muss man nicht ganz so weit reisen, um<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n zu helfen. In Neuburg engagieren sich 15<br />

Jugendliche einmal pro Woche als Klinikclowns.<br />

Auf <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>station zaubern sie schwerkranken<br />

Kin<strong>der</strong>n ein Lachen ins Gesicht.<br />

Auch ganz junge Kin<strong>der</strong> können schon sozial aktiv<br />

werden: An <strong>der</strong> Regenbogenschule in Krefeld<br />

bereiten Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>der</strong> dritten <strong>und</strong><br />

vierten Klasse jeden Tag Frühstücksbrote vor – <strong>für</strong><br />

Mitschüler, die ohne Frühstück in die Schule kommen.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_63<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

An Ideen mangelt es den jungen Engagierten also<br />

wirklich nicht. Weitere inspirierende Projekte<br />

finden sich auf unserer Internetseite www.jugendhilft.de.<br />

Was versteht JUGEND HILFT!<br />

unter sozialem Engagement?<br />

Welche Projekte werden<br />

geför<strong>der</strong>t?<br />

Der JUGEND HILFT! Fonds<br />

JUGEND HILFT! för<strong>der</strong>t soziale Projekte von Jugendlichen.<br />

Unter sozialem Engagement verstehen<br />

wir, dass die ProjektteilnehmerInnen die Situation<br />

von <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Menschen in Armut, Krankheit,<br />

Not o<strong>der</strong> schwierigen Lebenslagen verbessern.<br />

Um eine För<strong>der</strong>ung zu erhalten muss das Projekt<br />

hauptsächlich von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen organisiert<br />

<strong>und</strong> durchgeführt werden. Die Arbeit an<br />

dem Projekt erfolgt ehrenamtlich.<br />

Die JUGEND HILFT! Jury entscheidet alle drei Monate<br />

über die Anträge. So können Projekte zeitnah<br />

geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Der JUGEND HILFT! Wettbewerb<br />

Alle Projekte, die sich um eine För<strong>der</strong>ung bemühen,<br />

nehmen automatisch am JUGEND HILFT!<br />

Wettbewerb teil. Projekte, die keine finanzielle<br />

Unterstützung benötigen, können sich auch nur <strong>für</strong><br />

den Wettbewerb anmelden.<br />

Die Siegerprojekte werden von einer zehnköpfigen<br />

Jury ermittelt, <strong>der</strong> VertreterInnen aus Politik,<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur angehören. Die Hälfte <strong>der</strong><br />

Juroren sind Jugendliche, die sich selbst sozial<br />

engagieren. Schließlich wissen sie am besten, was<br />

es bedeutet, ein soziales Projekt erfolgreich umzusetzen.<br />

64_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Die Jury bewertet die Projekte dabei nach folgenden<br />

Kriterien:<br />

• Beteiligung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche im Alter von sechs<br />

bis 21 Jahre sind am Projekt maßgeblich beteiligt.<br />

Es ist „ihre" Idee, die sie gemeinsam<br />

verwirklichen. Das Projekt wird nicht von Erwachsenen<br />

dominiert, <strong>der</strong>en Rolle eher in <strong>der</strong><br />

Betreuung <strong>und</strong> einer kompetenten Begleitung<br />

liegt.<br />

• Wirksamkeit<br />

Das Projekt ist bereits in die Praxis umgesetzt<br />

worden. Dort hat es seine Wirksamkeit unter<br />

Beweis gestellt <strong>und</strong> die Situation zum Besseren<br />

verän<strong>der</strong>t. Es entspricht den konkreten Bedürfnissen<br />

<strong>der</strong> Zielgruppe.<br />

• Kreativität<br />

Die TeilnehmerInnen haben sich eine beson<strong>der</strong>e<br />

Idee einfallen lassen, um ihre Ziele zu erreichen.<br />

Ihre ungewöhnliche <strong>und</strong> kreative Lösung<br />

unterscheidet sich von <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n, ähnlichen <strong>und</strong><br />

bereits bekannten Projekten.<br />

• Persönlicher Einsatz<br />

Der außergewöhnliche Einsatz <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

prägt das Projekt von <strong>der</strong> Idee bis zur Umsetzung.<br />

Wie kann ich <strong>mich</strong> bei<br />

JUGEND HILFT! bewerben?<br />

Was erwartet <strong>mich</strong>?<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche, die sich bei JUGEND<br />

HILFT! bewerben wollen, besuchen am besten<br />

zuerst die Internetseite: www.jugend-hilft.de. Hier<br />

kann <strong>der</strong> Antrag online ausgefüllt <strong>und</strong> gesendet<br />

werden. Zur endgültigen Bestätigung des Antrags<br />

muss dieser ausgedruckt <strong>und</strong> in vierfacher Ausführung<br />

an uns geschickt werden. JUGEND HILFT!<br />

nimmt mit allen Bewerbern Kontakt auf – egal,


ob ihr Projekt geför<strong>der</strong>t wird o<strong>der</strong> nicht. Auch<br />

wenn die Jury eine För<strong>der</strong>ung ablehnt, bekommen<br />

die Jugendlichen ein Feedback <strong>und</strong> Tipps, wo<br />

sie sich noch um eine För<strong>der</strong>ung bemühen könnten.<br />

Ein Projekt kann bis zu 2.500 Euro von JUGEND<br />

HILFT! bekommen. Die acht besten Projekte dürfen<br />

am JUGEND HILFT! Camp teilnehmen, welches<br />

einmal im Jahr stattfindet. Im Rahmen des Camps<br />

werden die Siegerprojekte bei einer feierlichen<br />

Preisverleihung geehrt. Auch ein Empfang bei <strong>der</strong><br />

Schirmherrin Eva Luise Köhler im Schloss Bellevue<br />

steht auf dem Programm. Neben diesen Feierlichkeiten<br />

werden die Jugendlichen von Profis<br />

gecoacht: Themen wie Projektmanagement <strong>und</strong><br />

F<strong>und</strong>raising<br />

werden in<br />

Workshops erarbeitet<br />

<strong>und</strong> ermöglichen<br />

den<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Jugendlichen,<br />

ihr Projekt<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Die Siegerprojekte<br />

spiegeln<br />

die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Bewerber<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

wi<strong>der</strong>. So unterstützt JUGEND HILFT! schon seit<br />

Jahren ein Team von Jugendlichen aus Dettingen,<br />

die komplett in Eigenregie ein Wasserkraftwerk in<br />

Rumänien bauen. Das Kraftwerk wird Strom liefern<br />

<strong>für</strong> eine Ausbildungswerkstatt <strong>für</strong> benachteiligte<br />

Jugendliche. Von Anfang an mit dabei war Martin<br />

Werz (21): „JUGEND HILFT! hat unser Projekt von<br />

Anfang an unterstützt <strong>und</strong> jetzt noch ausgezeichnet.<br />

Das ist schon toll!“<br />

Ein weiteres Beispiel ist die Nussaktion: Vier<br />

Geschwister zwischen sechs <strong>und</strong> zehn Jahren<br />

sammelten <strong>und</strong> verkauften 55 Kilogramm Walnüsse.<br />

Den Erlös spendeten sie <strong>der</strong> Stiftung SOS Familie.<br />

Als jüngste Preisträger war das JUGEND HILFT!<br />

Camp <strong>für</strong> sie eine beson<strong>der</strong>e Erfahrung. Dominik<br />

(7) „Beson<strong>der</strong>s toll fand ich die Fahrten mit dem<br />

Doppeldecker!“<br />

Im Projekt Kehrtwende aus Kehl befassen sich Ju -<br />

gendliche mit den Problemen straffällig gewordener<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_65<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

Kin<strong>der</strong>. Auch<br />

die Schüler-<br />

Richter haben<br />

von ihrer<br />

Bewerbung bei<br />

JUGEND HILFT!<br />

profitiert. Sophie<br />

von Lossau<br />

(17) gefiel<br />

beson<strong>der</strong>s das<br />

Workshop-Programm:<br />

„Das<br />

hat riesigen<br />

Spaß gemacht <strong>und</strong> uns <strong>für</strong> unser Projekt richtig<br />

viel gebracht!“<br />

Verschiedenheit ist bei<br />

JUGEND HILFT! Programm<br />

Die Idee des sozialen Engagements findet sich in<br />

allen Weltreligionen wie<strong>der</strong>. Hinter einigen <strong>der</strong> von<br />

JUGEND HILFT! geför<strong>der</strong>ten Projekte steht auch<br />

eine religiöse Motivation.<br />

<strong>Für</strong> die Bewerbung bei JUGEND HILFT! spielt das<br />

allerdings keine Rolle. Genauso verschieden wie<br />

die Projekte sind auch die Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen.<br />

Gemeinsam ist ihnen ihr Wille, <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Menschen zu helfen.<br />

Wie kann ich <strong>mich</strong> als Jugendlicher<br />

sozial engagieren?<br />

Zum sozialen Engagement kommen Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche auf vielen Wegen: durch ein Schulprojekt,<br />

über Fre<strong>und</strong>e, die Kirche o<strong>der</strong> einen Verein.<br />

Nicht selten ergeben sich diese Wege eher zufällig.<br />

Doch was tun, wenn <strong>der</strong> Wunsch da ist, sich sozial<br />

zu engagieren, nicht aber die Idee? Am besten ist<br />

es in so einer Situation, sich erst einmal zu fragen,<br />

was man selbst am besten kann <strong>und</strong> was man gerne<br />

macht. Arbeite ich gerne direkt mit Menschen?<br />

66_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Habe ich Verkaufstalent? Macht es mir Spaß, etwas<br />

zu organisieren? Will ich alleine arbeiten o<strong>der</strong><br />

lieber im Team?<br />

Im nächsten Schritt lohnt es sich, in <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Umgebung Ausschau zu halten nach Problemen,<br />

die gelöst werden wollen. Gibt es zum<br />

Beispiel ein Altenheim in <strong>der</strong> Nähe, in dem viele<br />

Bewohner ohne Angehörige leben? O<strong>der</strong> eine Schule,<br />

in <strong>der</strong> viele Migrantenkin<strong>der</strong> Schwierigkeiten<br />

haben mit <strong>der</strong> deutschen Sprache? Gibt es zurzeit<br />

eine Krisenregion, in <strong>der</strong> Menschen dringend Hilfe<br />

benötigen? Und schließlich: Wie kann ich dieses<br />

Problem mit meinen Fähigkeiten am besten lösen?<br />

Nicht zuletzt lohnt es sich, zu prüfen, wie <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

vorher ähnliche Problemstellungen angegangen<br />

sind. Im Internet finden sich viele Beispiele <strong>für</strong> erfolgreiche<br />

soziale Projekte. Auf www.jugend-hilft.<br />

de sind alle geför<strong>der</strong>ten Projekte mit Kontaktdaten<br />

aufgelistet. Auch <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Organisationen bieten<br />

Hilfestellung an (siehe Materialien <strong>und</strong> Literatur).<br />

Letztendlich muss man nur eines: anfangen.<br />

Studien<br />

Studien <strong>und</strong> Initiativen<br />

• World Vision – Die Studie<br />

www.worldvisionkin<strong>der</strong>studie.de<br />

• Shell Jugendstudie 2006<br />

www.shell.com/home/content/de-de/society_<br />

environment/jugendstudie/2006/dir_jugendstudie.html<br />

Initiativen<br />

• Engagement macht stark<br />

www.engagement-macht-stark.de<br />

• JUGEND HILFT! - Projektideen <strong>und</strong> Kontaktbörse<br />

www.jugend-hilft.de


• Jugendpresse - Tipps <strong>und</strong> Workshopangebote<br />

zum Thema Pressearbeit<br />

www.jugendpresse.org<br />

• Servicestelle Jugendbeteiligung – Praxistipps,<br />

Checklisten von F<strong>und</strong>raising bis Projektmanagement<br />

www.jugendbeteiligung.info<br />

• Step 21 Jugendinitiative – Praxisideen <strong>und</strong> Tipps<br />

www.step21.de<br />

Clarissa Schöller<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_67<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

helfen ist die schönste Sache <strong>der</strong> Welt. Finden wir auch!<br />

68_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


›› „Das Wichtigste<br />

am Projekt ist –<br />

das Projekt”????


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

Mit diesem Satz warb vor einigen Jahren eine<br />

große Baumarktkette. Er könnte <strong>für</strong> einige Maßnahmen<br />

stehen, die mit ähnlicher Intention an<br />

verschiedenen Orten <strong>und</strong> mit unterschiedlichen<br />

Zielgruppen in unserer Landeskirche durchgeführt<br />

werden.<br />

Vorgestellt werden sollen<br />

• Arbeitsseminare des Ev. Stadtjugenddienstes<br />

Bremerhaven im Ev.-luth. Freizeitheim Drangstedt<br />

<strong>und</strong> im Ev. Jugendhof Spiekeroog<br />

• Arbeitsseminare des Ev.-luth. Landesjugenddienstes<br />

e.V. im Ev. Jugendhof Sachsenhain in<br />

Verden<br />

• Praxisseminare <strong>der</strong> Ev. SchülerInnenarbeit<br />

Allen Projekten gemeinsam ist die Absicht, auch<br />

Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene zu erreichen,<br />

die sich von (Bildungs-)Maßnahmen mit überwiegend<br />

kognitiven Zugängen nicht o<strong>der</strong> nur begrenzt<br />

ansprechen lassen. „Arbeit“ <strong>und</strong> „Seminar“ machen<br />

gleichzeitig deutlich, dass Bildung gewollt<br />

ist <strong>und</strong> Arbeit nicht lediglich zur Legitimation<br />

gemeinsam verlebter Zeit dient. Lust am gemeinsamen<br />

Leben <strong>und</strong> am Spaß miteinan<strong>der</strong>, Stolz auf<br />

die eigenen Fähigkeiten <strong>und</strong> Lernerfolge sollen<br />

ernst genommen werden <strong>und</strong> möglicherweise Ausgangspunkt<br />

<strong>für</strong> weitere Kontakte o<strong>der</strong> sogar ein<br />

Engagement sein.<br />

70_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Nicht nur mit dem Kopf arbeiten<br />

• Arbeitsseminare im Ev.-luth. Freizeitheim<br />

Drangstedt <strong>und</strong> im Ev. Jugendhof Spiekeroog<br />

„Sehen, was man geschafft hat.“ - „Mit Hand<br />

<strong>und</strong> Fuß arbeiten.“ - „Erschöpft <strong>und</strong> zufrieden<br />

einschlafen.“ - „Die Bereitschaft gegenseitig von<br />

einan<strong>der</strong> zu lernen.“<br />

Diese Aussagen stammen von Teilnehmern<br />

<strong>und</strong> Teilnehmerinnen von Arbeitsseminaren in<br />

Drangstedt <strong>und</strong> Spiekeroog. Seit 16 Jahren<br />

führt die Evangelische Jugend Bremerhaven<br />

Arbeitsseminare auf dem Gelände des Ev.-luth.<br />

Freizeitheims in Drangstedt <strong>und</strong> seit 2006 auch<br />

im Ev. Jugendhof auf Spiekeroog durch. Diese<br />

Seminare umfassen umfangreiche Maler- <strong>und</strong>


Renovierungsarbeiten, Entrümpelungsaktionen,<br />

Pflaster- <strong>und</strong> Schweißarbeiten, kleine Reparaturen<br />

bis hin zu aufwendigen Tischler- <strong>und</strong> Zimmermannsarbeiten.<br />

Die Teilnehmenden lernen dabei den richtigen Umgang<br />

mit elektrischen <strong>und</strong> mechanischen Werkzeugen<br />

<strong>und</strong> Geräten.<br />

Sie erlernen die Bearbeitung <strong>und</strong> Pflege verschiedener<br />

Werkstoffe wie Holz <strong>und</strong> Metall sowie die<br />

Verarbeitung unterschiedlicher Baustoffe. Sie<br />

erwerben sich dabei handwerkliche Gr<strong>und</strong>kenntnisse.<br />

Die Arbeit erzeugt körperliche <strong>und</strong> seelische<br />

Befriedigung.<br />

Jugendliche mit einer handwerklichen Ausbildung<br />

geben ihre Kenntnisse an Schüler weiter. Haupt-<br />

o<strong>der</strong> Realschüler werden dadurch plötzlich<br />

zu Fachleuten, zu „Profis“, zu Anleitern in <strong>der</strong><br />

Gruppe <strong>der</strong> Ehrenamtlichen. Sie erfahren beson<strong>der</strong>e<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung. Dies<br />

stärkt das Selbstbewusstsein <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>t ihren<br />

Status in <strong>der</strong> Gruppe. <strong>Für</strong> viele ist es das erste<br />

Mal, dass sie ein Zimmer renovieren o<strong>der</strong> mit<br />

elektrischen Werkzeugen arbeiten. Dabei kann<br />

auch mal leicht etwas schief gehen, <strong>und</strong> sie lernen<br />

dann, wie <strong>der</strong> Schaden wie<strong>der</strong> beseitigt werden<br />

kann.<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

Das gemeinsame Arbeiten schafft eine beson<strong>der</strong>e<br />

Verbindung, eine Identifikation mit dem Gelände,<br />

<strong>der</strong> Einrichtung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Natur. Eine Motivation ist,<br />

nicht nur mit dem Kopf arbeiten zu müssen, son<strong>der</strong>n<br />

mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n gemeinsam etwas zu schaffen.<br />

Ein o<strong>der</strong> mehrere klare Ziele, die es zu erreichen<br />

gilt, ist <strong>für</strong> viele Jugendliche immer wie<strong>der</strong> ein<br />

weiterer Anreiz an den Seminaren teilzunehmen.<br />

<strong>Für</strong> alle Teilnehmenden <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Leitung eines<br />

solchen Seminars stellt sich die Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

da<strong>für</strong> bereit sein zu müssen gleichzeitig Lehren<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Lernen<strong>der</strong> zu sein.<br />

Über das gemeinsame praktische Tun bieten<br />

Arbeitseminare die Möglichkeit, sich mit verschiedenen<br />

Fragestellungen <strong>und</strong> Interaktionsübungen<br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Als beson<strong>der</strong>s gewinnbringend<br />

haben sich hier Fragestellungen betreffs individueller<br />

Zukunftsplanung erwiesen:<br />

• Welche Rolle spielt Arbeit in meinem bisherigen<br />

Leben?<br />

• Wie sieht meine berufliche Planung <strong>für</strong> die<br />

nächsten zwei Jahre aus?<br />

• Was will ich mit meinem Leben anfangen?<br />

Aber auch die Reflexion <strong>der</strong> eigenen Fähigkeiten<br />

bietet sich an:<br />

• Was habe ich Neues auf diesem Seminar gelernt?<br />

• Habe ich neue Fertigkeiten erlernt?<br />

• Was kann ich schon <strong>und</strong> was möchte ich mir<br />

noch aneignen?<br />

• Bin ich stolz auf das, was ich erreicht habe ?<br />

Das Zusammenspiel von praktischen Tätigkeiten,<br />

<strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung damit <strong>und</strong> die Bedeutung<br />

<strong>für</strong> die persönliche Lebensentwicklung ist <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e<br />

Reiz von Arbeitsseminaren.<br />

<strong>Für</strong> Arbeitsseminare bieten sich auch Kooperationen<br />

mit Berufsschulen <strong>und</strong> überbetrieblichen<br />

Ausbildungsstätten an, um so den Jugendlichen<br />

einen beson<strong>der</strong>en Einsatzort zu ermöglichen.<br />

Dabei können sie an Orte zurück kommen, die sie<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_71<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

als Kin<strong>der</strong> schon durch Freizeitmaßnahmen kennen<br />

gelernt haben o<strong>der</strong> sie lernen Stätten mit dem<br />

beson<strong>der</strong>en Flair <strong>der</strong> evangelischen Jugendarbeit<br />

kennen.<br />

<strong>Für</strong> verschiedene begleitende Methoden als beson<strong>der</strong>en<br />

Literaturhinweis:<br />

• Sabine Fritz <strong>und</strong> Peter H. Ebner: Berufswahl<br />

(Das will ich – das kann ich – das mach ich, Lebensplanung<br />

spielerisch ausprobieren), Verlag<br />

an <strong>der</strong> Ruhr 2007, ISBN: 13: 978-3-8346-0026-4<br />

Andreas Hagedorn, Daniel Tietjen, Joachim Neumann-Borutta<br />

Stadtjugenddiakone im Kirchenkreis Bremerhaven<br />

Arbeitsseminare<br />

im Ev. Jugendhof Sachsenhain<br />

Begründet vom ehemaligen Landesjugendwart<br />

Hans Schink finden jedes Jahr in den Oster- <strong>und</strong><br />

Herbstferien seit 1964 einwöchige „Arbeitsseminare“<br />

auf dem Gelände des Ev. Jugendhofs Sachsenhain<br />

statt. Zwischen 15 <strong>und</strong> 25 Teilnehmende melden<br />

sich dazu jedes Mal an. Es ist eine bunt gemischte<br />

Gruppe von Menschen zwischen 15 <strong>und</strong> 35 Jahren,<br />

Schüler, Auszubildende, Handwerker, Studierte,<br />

Ungelernte <strong>und</strong> Meister. Wer zum ersten Mal kommt,<br />

ist oft irritiert von den „Selbstverständlichkeiten“<br />

72_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

<strong>der</strong> „alten Hasen“, vom Reden über Projekte <strong>der</strong><br />

letzten Jahre, über Kenntnisse von Kleinigkeiten<br />

auf dem Gelände <strong>und</strong> über Personen. Nach einer<br />

Woche gemeinsamen Lebens <strong>und</strong> Arbeitens reden<br />

die meisten genauso. Viele sind über etliche Jahre<br />

dabei, nehmen Urlaub, um teilnehmen zu können.<br />

Arbeitsseminare sind keine reine Männerdomäne,<br />

auch wenn Frauen in geringerer Zahl dabei sind.<br />

Angeleitet werden die Teilnehmenden von Hauptberuflichen,<br />

die über ihre eigene Verb<strong>und</strong>enheit<br />

zum Jugendhof auch <strong>für</strong> eine Kontinuität <strong>der</strong> Maßnahmen<br />

sorgen.<br />

Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> stehen Arbeiten auf dem Gelände<br />

<strong>und</strong> an den Gebäuden des Jugendhofs. Die <strong>Band</strong>breite<br />

reicht von Waldpflege- <strong>und</strong> Pflanzmaßnahmen<br />

über Renovierungen an Wegen <strong>und</strong> Gebäuden<br />

bis zu Baumaßnahmen, vorwiegend im Außenbereich.<br />

So wurden in den letzten Jahren die Zuwege<br />

zur Kapelle gepflastert, das Sanitärgebäude am<br />

Zeltplatz gr<strong>und</strong>legend renoviert, Außenanstriche<br />

an den Häusern vorgenommen, Palisadenwände<br />

erneuert. Der R<strong>und</strong>weg um das Gelände for<strong>der</strong>t<br />

ständig das Ausforsten <strong>und</strong> Bergen von Totholz,<br />

Sichern <strong>und</strong> Aufstellen von Steinen, Laub entfernen<br />

<strong>und</strong> Wege ausbessern, Brücken <strong>und</strong> Zäune<br />

reparieren, Pflanzungen pflegen. Nicht je<strong>der</strong> fühlt<br />

sich je<strong>der</strong> Aufgabe gewachsen, aber durch fachmännische<br />

Anleitung kann das Zutrauen auch<br />

zu schwierigeren Aufgaben wachsen, sei es das<br />

Bedienen von Werkzeugen <strong>und</strong> Maschinen o<strong>der</strong><br />

die Erfahrung, eng gesteckte Leistungsgrenzen<br />

überschritten zu haben.<br />

Neben <strong>der</strong> 6 – 8-stündigen Arbeit in <strong>der</strong> Natur in<br />

kleinen Arbeitsteams darf <strong>der</strong> gesellige Teil des<br />

Tages natürlich nicht zu kurz kommen. Beim Spielen,<br />

beim gemeinsamen Singen o<strong>der</strong> Abhängen<br />

vor dem Kamin o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Feuerhütte finden viele<br />

Gespräche statt, <strong>für</strong> die am Tag <strong>der</strong> Rahmen fehlte:<br />

vom Beziehungsstress über Berufsperspektiven<br />

bis zu <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n ganz persönlichen Dingen hat hier<br />

vieles Platz <strong>und</strong> Raum.


Wer nach einer Woche wegfährt, hinterlässt etwas:<br />

eine Reparatur, eine Brennholzmiete, eine<br />

Pflanzung, etwas Gebautes o<strong>der</strong> Aufgeräumtes.<br />

Viele kommen wie<strong>der</strong>, entdecken die Spuren<br />

vergangener Arbeitsseminare, entwickeln eine<br />

Verb<strong>und</strong>enheit, die <strong>für</strong> etliche auch zu einem Stück<br />

Heimat geworden ist.<br />

Praxisseminare im Ev. Jugendhof<br />

Sachsenhain<br />

Nach gemeinsamen Seminaren mit <strong>der</strong> Ev. SchülerInnenarbeit<br />

im Ev. Jugendhof Sachsenhain entstand<br />

bei verschiedenen Lehrkräften die Frage: „Kann<br />

man an solch einem Ort nicht verschiedene Dinge<br />

zusammenbringen?“ Die verschiedenen Dinge sind<br />

schnell definiert: berufsbildende Schulen suchen<br />

gern nach Praxisfel<strong>der</strong>n <strong>für</strong> ihre SchülerInnen,<br />

die außerhalb <strong>der</strong> Schule stattfinden. Außerdem<br />

besteht häufig das Interesse, SchülerInnen im Bereich<br />

sozialen Lernens <strong>und</strong> ihrer Werteorientierung<br />

zu för<strong>der</strong>n, was sich ja auch positiv auf das Zusammenleben<br />

in <strong>der</strong> Schule auswirken kann. Dies<br />

führte zu verschiedenen „Praxisseminaren“, die<br />

eine Mischung aus diesen Elementen vereinigen.<br />

Lehrkräfte entwickeln mit interessierten SchülerInnen<br />

zunächst einen Vorschlag <strong>für</strong> ein Projekt,<br />

das handwerklich im Jugendhof umgesetzt werden<br />

soll, immer orientiert an den Fähigkeiten <strong>der</strong><br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

jeweiligen SchülerInnen. Ganz wie im Berufsalltag<br />

müssen K<strong>und</strong>enwünsche erfragt <strong>und</strong> Entwürfe<br />

vorgelegt, Arbeitszeiten <strong>und</strong> –umfang geklärt,<br />

Material <strong>und</strong> Werkzeuge bestellt bzw. organisiert<br />

werden. Fachpraxislehrkräfte unterstützen diesen<br />

Prozess.<br />

Neben den Arbeitsphasen von jeweils ca. 6 - 7<br />

St<strong>und</strong>en Dauer pro Tag muss auch das Freizeitprogramm<br />

abgestimmt werden. Angebote <strong>der</strong><br />

SchülerInnenarbeit stehen dabei ebenso auf dem<br />

Plan wie von den Jugendlichen selbst organisierte<br />

Programmpunkte. Tägliche Arbeitsplanungen<br />

<strong>und</strong> –reflexionen tauchen ebenso im Tagesablauf<br />

auf wie meditative Tagesimpulse o<strong>der</strong> ein Tagesschluss.<br />

Die meisten SchülerInnen geniessen zunächst<br />

einmal die Perspektive, eine Woche lang nicht in<br />

den schulischen Räumen zu sein. Dazu kommt die<br />

(häufig einmalige) Gelegenheit, Werkstücke in größeren<br />

Dimensionen zu bearbeiten. <strong>Für</strong> Schüler in<br />

<strong>der</strong> Farb- <strong>und</strong> Raumgestaltung bedeutet dies z.B.,<br />

nicht in einer kleinen Koje arbeiten zu müssen,<br />

son<strong>der</strong>n z.B. auf viele Quadratmeter Wandfläche<br />

zu treffen, die nicht sofort bearbeitbar sind <strong>und</strong><br />

die mitten im Wohnbereich des „K<strong>und</strong>en“ liegen,<br />

also an<strong>der</strong>s als eine Werkstatt behandelt werden<br />

müssen. Das fertige Produkt bleibt nach Fertigstellung<br />

zumindest <strong>für</strong> längere Zeit erhalten <strong>und</strong> dient<br />

nicht ausschließlich <strong>der</strong> Beurteilung durch die<br />

Lehrkräfte.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Woche entdecken viele SchülerInnen<br />

ihre Talente, aber auch Grenzen, an denen sie arbeiten<br />

o<strong>der</strong> die sie Stück <strong>für</strong> Stück annehmen lernen.<br />

Die Arbeit im Team unterscheidet sich von <strong>der</strong><br />

individuellen Arbeit im Fachpraxisunterricht <strong>und</strong><br />

hilft oft, Arbeit talentorientiert aufzuteilen. Unvermeidliche<br />

Konflikte müssen bearbeitet werden,<br />

um das Projekt voranzubringen. Häufig wächst <strong>der</strong><br />

Mut, selbstkritisch seine Arbeit <strong>und</strong> sein Verhalten<br />

in <strong>der</strong> Gruppe zu betrachten.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_73<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

Gemeinschaftliche Aktionen im Gelände, im<br />

Schwimmbad o<strong>der</strong> abends am Lagerfeuer o<strong>der</strong><br />

beim Spielen verbinden über die Erfahrungen<br />

des Tages hinaus. Viele entdecken den Sachsenhain<br />

auch als einen geschichtsträchtigen Ort,<br />

<strong>der</strong> provoziert <strong>und</strong> Fragen aufwirft. Lehrkräfte<br />

genießen es, überwiegend <strong>für</strong> die fachliche Begleitung<br />

<strong>der</strong> Projekte, nicht aber <strong>für</strong> das gesamte<br />

Programm zuständig sein zu müssen, auch wenn<br />

die Breite <strong>der</strong> vorhandenen Freizeitangebote am<br />

Abend überschaubar ist („Verden unterscheidet<br />

sich da eben doch etwas von Berlin…“). Hier setzt<br />

aber schnell die Selbstorganisation <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

ein.<br />

74_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Viele Lehrer kommen nach einem Projekt wie<strong>der</strong>,<br />

mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Schülern <strong>und</strong> <strong>für</strong> neue Projekte. Die<br />

wird es sicherlich auch künftig geben, denn wer<br />

hinschaut, findet viele Aufgaben, die im Alltag einfach<br />

liegen bleiben o<strong>der</strong> hinten angestellt werden<br />

Welche Erfahrungen <strong>und</strong> Eindrücke sind Schülern<br />

wichtig?<br />

„Ich habe mal etwas Größeres fertig gekriegt <strong>und</strong><br />

gemerkt, dass ich das auch schaffe.“<br />

„Wir waren ein richtig gutes Team.“<br />

„Es war gut, auch von Mitschülern etwas Positives<br />

über meine Arbeit zu hören.“<br />

„Da bleibt was, das nicht gleich wie<strong>der</strong> abgerissen<br />

wird <strong>und</strong> von dem auch <strong>an<strong>der</strong>e</strong> was haben.“<br />

„Ich war selten so platt, aber das war auch ein<br />

gutes Gefühl, weil ich was geschafft habe.“<br />

„Ich habe die <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n aus <strong>der</strong> Klasse über die<br />

Arbeit <strong>und</strong> die Freizeit ganz an<strong>der</strong>s <strong>und</strong> besser<br />

kennen gelernt. Unsere Lehrer übrigens auch!“<br />

Was sagen Lehrkräfte nach einer Woche?<br />

„Ich habe viele Schüler ganz an<strong>der</strong>s erlebt als in<br />

<strong>der</strong> Schule. Einigen hätte ich ein so hohes Engagement<br />

nicht zugetraut, <strong>an<strong>der</strong>e</strong> habe ich überschätzt.“<br />

„<strong>Für</strong> viele war dies <strong>der</strong> erste Kontakt mit „echten<br />

K<strong>und</strong>en“. Da zählt dann nicht nur die Lehrermeinung<br />

<strong>und</strong> –kritik.“<br />

„Es macht Spaß zuzusehen, wie einige Schülerinnen<br />

richtig Ehrgeiz auch <strong>für</strong> Kleinigkeiten entwickeln.“<br />

„Die meisten haben wirklich etwas zu erzählen<br />

nach dieser Woche.“<br />

„Solche Möglichkeiten, gemeinsam ein großes<br />

Projekt fertig zu stellen, gibt es in <strong>der</strong> Schule zu<br />

wenig.“<br />

Wie erleben Mitarbeitende <strong>der</strong> SchülerInnenarbeit<br />

diese Wochen?<br />

Viele Jugendliche wollen sich engagieren – mit<br />

dem was sie können. Und sie wollen etwas <strong>für</strong><br />

sich gewinnen. Beides ist durch die Praxisprojekte


möglich: die Schüler bringen ihre Fachkenntnisse<br />

<strong>und</strong> Fertigkeiten ein in einen Bereich, den <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

Jugendliche nutzen. Gleichzeitig können sie an<br />

den gemeinsamen Erfahrungen wachsen <strong>und</strong> ein<br />

Teamprodukt hinterlassen, das ihnen den Ort ein<br />

Stück näher bringt. Im Ablauf <strong>der</strong> Woche gibt es<br />

viele Möglichkeiten, Entscheidungen mit zu treffen<br />

<strong>und</strong> zu verantworten. Jugendliche, denen verbandliche<br />

o<strong>der</strong> kirchliche Jugendarbeit bisher fremd<br />

war, erleben einen Ort, an dem sich Jugendarbeit<br />

ereignet – mit ihnen <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n, die gleichzeitig<br />

hier sind. In dieser Situation entstehen auch häufig<br />

sehr tiefgehende Gespräche, <strong>für</strong> die <strong>der</strong> Schulalltag<br />

wenig Raum bietet. Dabei wird deutlich, wie<br />

wichtig auch die Zeit <strong>für</strong> die informellen Kontakte<br />

ist <strong>und</strong> dass diese Maßnahmen eine pädagogische<br />

Begleitung brauchen. Die Projekte zeigen, dass<br />

kirchliche Jugendarbeit Handlungsfel<strong>der</strong> anbieten<br />

kann, in denen sich auch Jugendliche wie<strong>der</strong>finden,<br />

denen viele etablierte Angebote evangelischer<br />

Jugend fremd sind. Sie werden nicht zum<br />

Massenandrang auf kirchliche Gruppen führen,<br />

aber die Mauern möglicherweise niedriger werden<br />

lassen, die den Blick auf ein Engagement in <strong>der</strong><br />

Jugendarbeit verstellen. Schulen, genauer gesagt:<br />

Lehrer, sind dabei wichtige Kooperationspartner<br />

in <strong>der</strong> Umsetzung. Alle Beteiligten – Jugendliche,<br />

Jugendverband <strong>und</strong> Schule – profitieren von den<br />

Projekten. Da sage noch einer, dass es Wichtigeres<br />

als das Projekt gibt ….<br />

Thomas Ringelmann<br />

„Das Wichtigste am Projekt ist – das Projekt”????<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_75<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


3. TEIl:<br />

lERNEN …<br />

IN DER GRUPPE


›› „Wer einmal aus<br />

dem Blechnapf frisst”<br />

Arbeiten in <strong>der</strong> Jugend-<br />

arrestanstalt Nienburg


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst”<br />

Vielen <strong>der</strong> Älteren ist dieser Romantitel von Hans<br />

Fallada sicher noch bekannt. Der Roman schil<strong>der</strong>t<br />

das Leben des Willi Kufalt, <strong>der</strong>, einmal mit dem<br />

Gesetz in Konflikt gekommen, immer wie<strong>der</strong> „auf<br />

die schiefe Bahn gerät“ <strong>und</strong> aus einem Teufelskreis<br />

von Problemen nicht herausfindet. Ein Buch,<br />

das sicher vielen Jugendlichen, die mit dem Gesetz<br />

in Konflikt geraten sind, aus <strong>der</strong> Seele sprechen<br />

könnte, wenn sie es denn gelesen hätten.<br />

Auch heute sind in unserer so freizügigen <strong>und</strong><br />

demokratischen Gesellschaft Stigmatisierung,<br />

Vorurteile <strong>und</strong> Vorbehalte gegenüber jugendlichen<br />

Straftätern vorhanden. Die Frage, die sich mir dabei<br />

stellt, lautet: „Wollen wir diesen Jugendlichen<br />

(in welcher Form auch immer) wirklich helfen o<strong>der</strong><br />

sperren wir sie nur einfach weg?“<br />

Im folgenden Beitrag möchte ich einige gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Dinge zum Jugendarrest sagen <strong>und</strong> von<br />

meinen Erfahrungen <strong>und</strong> meiner Arbeit im Jugendarrest<br />

Nienburg berichten.<br />

Die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

Jugendarrest<br />

aus Wikipedia, <strong>der</strong> freien Enzyklopädie<br />

Jugendarrest ist ein im deutschen Jugendstrafrecht<br />

vorgesehenes Zuchtmittel (§ 16 JGG), das als<br />

Freizeitarrest, Kurzarrest o<strong>der</strong> Dauerarrest verhängt<br />

wird.<br />

Der Freizeitarrest erstreckt sich auf die wöchentliche<br />

Freizeit des Jugendlichen <strong>und</strong> wird auf eine<br />

o<strong>der</strong> zwei Freizeiten bemessen.<br />

Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes<br />

verhängt, wenn dies aus Erziehungsgründen zweckmäßig<br />

ist <strong>und</strong> Ausbildung o<strong>der</strong> Arbeit des Jugendlichen<br />

nicht beeinträchtigt werden. Zwei Tage<br />

Kurzarrest entsprechen einer Freizeit. Der Freizeitarrest<br />

wird auch "Wochenendarrest" genannt.<br />

78_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Der nach vollen Tagen o<strong>der</strong> Wochen zu bemessende<br />

Dauerarrest beträgt mindestens eine Woche<br />

<strong>und</strong> höchstens vier Wochen.<br />

Der Jugendarrest kann nicht zur Bewährung ausgesetzt<br />

werden.<br />

Nach § 90 JGG soll <strong>der</strong> Jugendarrest im Jugendlichen<br />

das Ehrgefühl wecken <strong>und</strong> ihm ins Bewusstsein<br />

bringen, dass er <strong>für</strong> das von ihm begangene<br />

Unrecht einstehen muss. Der Jugendarrest wird in<br />

Jugendarrestanstalten vollzogen.<br />

Abweichend von § 16 JGG kann <strong>der</strong> Jugendarrest<br />

auch gemäß § 11 Abs. 3 JGG verhängt werden,<br />

wenn <strong>der</strong> Jugendliche den Weisungen des Jugendrichters<br />

nicht nachkommt. Dies wird als Ungehorsamsarrest<br />

bezeichnet.<br />

Vollstreckt wird Jugendarrest in speziellen Jugendarrestanstalten<br />

unter beson<strong>der</strong>en jugendgerechten<br />

Bedingungen. Zu unterscheiden davon<br />

sind die Jugendanstalten, in denen Jugendstrafen<br />

(Jugendfreiheitsstrafen von 6 Monaten bis<br />

10 Jahren) vollstreckt werden, auch wenn Jugendanstalten<br />

<strong>und</strong> Jugendarrestanstalten oft<br />

organisatorisch <strong>und</strong> teilweise auch baulich zusammenhängen.<br />

§ 90 JGG<br />

Jugendarrest<br />

(1) Der Vollzug des Jugendarrestes soll das Ehrgefühl<br />

des Jugendlichen wecken <strong>und</strong> ihm eindringlich<br />

zum Bewusstsein bringen, dass er <strong>für</strong> das von<br />

ihm begangene Unrecht einzustehen hat. Der<br />

Vollzug des Jugendarrestes soll erzieherisch<br />

gestaltet werden. Er soll dem Jugendlichen helfen,<br />

die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur<br />

Begehung <strong>der</strong> Straftat beigetragen haben.<br />

(2) Der Jugendarrest wird in Jugendarrestanstalten<br />

o<strong>der</strong> Freizeitarresträumen <strong>der</strong> Landesjustiz-


„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

verwaltung vollzogen. Vollzugsleiter ist <strong>der</strong><br />

Jugendrichter am Ort des Vollzugs.<br />

Das JGG sieht in § 16 eine Unterscheidung von<br />

Freizeit-, Kurz- <strong>und</strong> Dauerarrest vor:<br />

Freizeitarrest: Ein o<strong>der</strong> zwei Arrest(e) von<br />

jeweils 48 St<strong>und</strong>en Dauer.<br />

Aufnahmetag ist Freitag.<br />

Kurzarrest: Zwei o<strong>der</strong> vier Tage.<br />

Aufnahmetag ist Freitag.<br />

Dauerarrest: Eine bis maximal vier Wochen<br />

Dauer.<br />

Aufnahmetage: Montag o<strong>der</strong><br />

Freitag<br />

Jugendarrest in Nienburg<br />

Im Jahre 1812 wurde in Nienburg am Schlossplatz<br />

ein Gefängnis errichtet. Seit 1997 wird das Gebäude<br />

als Jugendarrestanstalt genutzt <strong>und</strong> ist Außenstelle<br />

<strong>der</strong> Arrestanstalt Vechta.<br />

Die Nienburger Erziehungseinrichtung ist eine von<br />

vier Einrichtungen in Nie<strong>der</strong>sachsen. Sie verfügt<br />

über 25 Plätze <strong>für</strong> männliche Jugendliche ab 14<br />

Jahren, die sich eines Vergehens o<strong>der</strong> Verbrechens<br />

Türschild<br />

schuldig gemacht haben <strong>und</strong> zu Jugendarrest verurteilt<br />

worden sind. R<strong>und</strong> 1 000 Jugendliche durchlaufen<br />

diese Einrichtung im Laufe eines Jahres. Sie<br />

kommen aus dem nordöstlichen Nie<strong>der</strong>sachsen.<br />

Die Palette ihrer Straftaten reicht dabei vom notorischen<br />

Schulschwänzen, über den einfachen<br />

Diebstahl <strong>und</strong> Raub bis hin zur schweren Körperverletzung.<br />

„Die haben es doch selber so<br />

gewollt ...!“<br />

Die Aufgaben des Jugendarrestes sind im Jugendgerichtsgesetz<br />

(JGG) <strong>und</strong> in den Richtlinien zum<br />

Jugendgerichtsgesetz festgelegt.<br />

„Der Jugendarrest ist eine Erziehungsmaßnahme<br />

nach dem JGG <strong>und</strong> dient <strong>der</strong> Sanktionierung straffällig<br />

gewordener Jugendlicher/Heranwachsen<strong>der</strong><br />

mittels kurzfristigen Freiheitsentzuges. Um<br />

den Jugendarrest sinnvoll zu gestalten, muss er<br />

erzieherische Hilfen anbieten. Damit diese Angebote<br />

genützt werden, ist es wichtig, dass sich die<br />

Jugendlichen/Heranwachsenden angenommen<br />

fühlen.<br />

Der Jugendarrest in seiner stationären Form bietet<br />

die Chance, die Arrestantinnen <strong>und</strong> Arrestanten<br />

anzusprechen, bei ihnen durch Gespräche, Beratung<br />

<strong>und</strong> Information neue Interessen zu wecken<br />

<strong>und</strong> durch feste Strukturen <strong>und</strong> lebensorientierte<br />

Aufgaben Impulse zu geben. Er hilft den Jugendlichen/Heranwachsenden,<br />

Schwierigkeiten zu<br />

bewältigen, die zur Begehung <strong>der</strong> Straftaten<br />

beigetragen haben. Der Jugendarrest ist – soweit<br />

möglich – mit den Angeboten externer Träger zu<br />

vernetzen.“<br />

So lautet die offizielle Beschreibung <strong>der</strong> Aufgaben<br />

<strong>für</strong> den Bereich des Jugendarrests. Viele Men-<br />

schen in unserer Gesellschaft, beson<strong>der</strong>s Erwachsene,<br />

haben ein wenig positives Bild von <strong>der</strong><br />

Jugend im Allgemeinen: Die Jugendlichen seien<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_79<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

faul, trinksüchtig, wenig motiviert <strong>und</strong> nicht<br />

engagiert. Wenn dieses Bild von „normalen Jugendlichen“<br />

schon so negativ ist, um wie viel<br />

schlechter ist dann das Image <strong>der</strong>er, die mit dem<br />

Gesetz in Konflikt geraten sind?<br />

„Die haben doch selber Schuld!“; „Geschieht<br />

ihnen ganz recht!“; „Die hätten noch viel mehr<br />

verdient!“; „Denen geht es noch viel zu gut im<br />

Knast!“ <strong>und</strong> ähnliche Äußerungen sind zu hören.<br />

Manche wissen gar nicht, dass es einen „Jugendknast“<br />

in Nienburg gibt, geschweige denn, was<br />

dort hinter den Mauern geschieht bzw. weswegen<br />

Jugendliche dort einsitzen. Es wird ver gessen,<br />

dass Jugendarrest kein Strafvollzug, son<strong>der</strong>n eine<br />

Erziehungsmaßnahme ist, die „das Ehrgefühl des<br />

Jugendlichen wecken <strong>und</strong> ihm eindringlich zum<br />

Bewusstsein bringen soll, dass er <strong>für</strong> das von ihm<br />

begangene Unrecht einzustehen hat.“ Das ist die<br />

vornehmliche Aufgabe des Arrestes.<br />

So viel Erziehung wie möglich<br />

Wenn die Jugendlichen nach Nienburg in den<br />

Jugendarrest kommen beginnt <strong>für</strong> sie eine „harte<br />

Zeit“. Bei <strong>der</strong> Aufnahme werden alle ihnen das Leben<br />

so angenehm machenden Dinge abgegeben.<br />

Handys, Haargel, Zeitschriften <strong>und</strong> MP3-Player<br />

wan<strong>der</strong>n in Schließfächer <strong>und</strong> werden erst bei <strong>der</strong><br />

Entlassung wie<strong>der</strong> ausgegeben. Neue Bescheidenheit<br />

ist angesagt: kein Fernsehen, kein Radio,<br />

keine Freizeit mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Insassen.<br />

Statt dessen erwartet die Jugendlichen ein straff<br />

organisierter Tagesablauf mit festen Weck-, Schlafens-<br />

<strong>und</strong> Essenszeiten. <strong>Für</strong> viele eine Umstellung,<br />

da sie es gar nicht gewohnt sind, einen regelmäßigen<br />

Tagesablauf zu haben, da sich zu Hause<br />

niemand um sie kümmert <strong>und</strong> auch niemand auf<br />

einen geregelten Tagesablauf achtet. Es gibt keine<br />

unkontrollierte Freizeit, son<strong>der</strong>n alles geschieht in<br />

<strong>der</strong> Kleingruppe <strong>und</strong> unter „Anleitung“. In einem<br />

„Erziehungsplan“, <strong>der</strong> sich aus <strong>der</strong> Aktenlage, dem<br />

80_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Eingangsgespräch, dem Aufsatz des Arrestanten<br />

über seine Tat <strong>und</strong> den Einschätzungen <strong>der</strong> Vollzugsbeamten<br />

zusammensetzt, wird auch geregelt,<br />

an welchen Freizeitaktivitäten <strong>der</strong> Jugendliche<br />

teilnehmen darf.<br />

Ein – wie ich finde - gelungenes Beispiel des<br />

erzieherischen Jugendarrestes zeigt die Jugendarrestanstalt<br />

in Berlin-Lichterfelde. Wer dort einmal<br />

reinschauen möchte, kann die Internetseite <strong>der</strong><br />

Anstalt, die auch von Arrestanten mitgestaltet<br />

wird, besuchen.<br />

http://www.berlin.de/jaa-berlin/akt.html<br />

Eingangsbereich<br />

Es ist gar nicht schlimm <strong>und</strong><br />

macht auch noch Spaß<br />

Seit mehr als drei Jahren gehe ich regelmäßig alle<br />

14 Tage <strong>für</strong> 1,5 St<strong>und</strong>en in die Jugendarrestanstalt<br />

Nienburg. Ich muss gestehen, am Anfang hatte ich<br />

ein ziemlich mulmiges Gefühl vor dem ersten Besuch<br />

...: Was erwartet <strong>mich</strong> dort? Nehmen die <strong>mich</strong><br />

überhaupt ernst? Muss ich <strong>mich</strong> vor irgend etwas<br />

schützen, in Acht nehmen? Besteht die Gefahr<br />

einer Bedrohung? Wie „kriminell“ sind die denn?<br />

Auch heute überkommen <strong>mich</strong> manchmal noch<br />

solche Gedanken. Aber wenn ich dann „drin bin“


„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

<strong>und</strong> die ersten Jugendlichen den Gruppenraum<br />

betreten o<strong>der</strong> ich sie an <strong>der</strong> Zellentür mit Handschlag<br />

abhole <strong>und</strong> einlade, dann ist das Eis schnell<br />

gebrochen. Wenn wir dann alle in <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

R<strong>und</strong>e sitzen <strong>und</strong> ich ihnen erzähle, wer<br />

ich bin <strong>und</strong> warum ich hier bin <strong>und</strong> dass ich mit<br />

ihnen ins Gespräch kommen möchte, weil sie sich<br />

die „Zeit genommen haben“ miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> mit<br />

mir ins Gespräch zu kommen, dann verfliegt diese<br />

Angst <strong>und</strong> Unsicherheit <strong>und</strong> ich habe das Gefühl<br />

mit ganz normalen Jugendlichen zu reden. Es stellt<br />

sich ein Gefühl gegenseitiger Akzeptanz ein.<br />

Ich frage nicht nach ihren Straftaten, da ich<br />

keine Akteneinsicht habe <strong>und</strong> dazu keine Stellung<br />

nehmen kann, aber ich beantworte ihre Fragen<br />

zu dem weiteren Vorgehen nach ihrer Entlassung<br />

<strong>und</strong> versuche, mit ihnen Möglichkeiten <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />

zu suchen <strong>und</strong> sie zu ermutigen, diese<br />

Verän<strong>der</strong>ungen später auch erfolgreich umzusetzen.<br />

Vielleicht ist diese Gesprächsr<strong>und</strong>e seit langem<br />

<strong>der</strong> erste Moment, in dem ihnen jemand zuhört,<br />

einfach nur so, ohne sie zu beurteilen o<strong>der</strong> etwas<br />

von ihnen zu verlangen. Da ist jemand, <strong>der</strong> – ganz<br />

ohne jeden Hintergedanken - kommt, um mit<br />

ihnen zu reden <strong>und</strong> zu spielen, ohne sie nach ihren<br />

Straftaten zu beurteilen, son<strong>der</strong>n einfach nur, weil<br />

sie zurzeit „hier drinnen“ sind. Da vergehen die<br />

1,5 St<strong>und</strong>en wie im Flug <strong>und</strong> manchmal werden es<br />

auch schnell 2 St<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> ich denke überhaupt<br />

nicht mehr daran „im Knast“ zu sein, son<strong>der</strong>n<br />

habe das Gefühl, mit ganz normalen Jugendlichen<br />

zu reden <strong>und</strong> frage <strong>mich</strong> „Warum sind sie überhaupt<br />

hier?“<br />

Das Einzige, was uns dann nach <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Zeit wie<strong>der</strong> trennt, ist, dass ich das Haus nach<br />

DRAUßEN verlassen kann, während sie zurück in<br />

ihre Zellen gehen müssen. Manchmal bedanken<br />

<strong>und</strong> verabschieden sich Einzelne noch einmal<br />

persönlich <strong>für</strong> die ganze R<strong>und</strong>e. Dann gehe ich<br />

nachdenklicher weg, als ich gekommen bin <strong>und</strong><br />

manche Biografie geht mir noch eine Weile nach<br />

<strong>und</strong> ich überlege, was ICH <strong>für</strong> den Einzelnen tun<br />

kann ... Manchmal sind es die kleinen Hinweise,<br />

wie z. B. die Tatsache, dass es auch in Cuxhaven,<br />

Stade o<strong>der</strong> Lüneburg eine evangelische Jugend-<br />

arbeit gibt, dass dort Menschen sind, die jemanden<br />

begleiten könnten, wo man sich orientieren<br />

kann.<br />

Neulich traf ich einen Jugendlichen erneut in <strong>der</strong><br />

Anstalt (nach zwei Jahren). Er erzählte mir stolz,<br />

dass er das Schlüsselband <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

vom Street-Soccer-Turnier noch immer trage.<br />

Schön, dass es solche Momente auch gibt. Aber<br />

häufig stellt sich mir die Frage, welchen Sinn dieser<br />

verhängte Arrest <strong>für</strong> den Einzelnen macht, nur<br />

weil er seine Sozialst<strong>und</strong>en nicht abgeleistet hat ...<br />

Sozialst<strong>und</strong>en, die z. B. darin bestehen, Stühle einer<br />

Einrichtung in einem Keller abzuschleifen, die<br />

dann später verbrannt werden bzw. auf dem Müll<br />

landen o<strong>der</strong> eine 85-jährige Frau im Altenheim zu<br />

baden ... Welche Aufgaben, die Sinn machen <strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> alle zumutbar sind, haben wir eigentlich <strong>für</strong><br />

diese Jugendlichen <strong>und</strong> welche Hilfen zum Leben<br />

brauchen sie wirklich?<br />

Auch im Arrest selbst stehen häufig personelle<br />

<strong>und</strong> sachliche Gründe dem erzieherischen Aspekt<br />

entgegen. Enge Dienstpläne <strong>und</strong> mangelnde<br />

Möglichkeiten an Freizeitangeboten (u. a. auch<br />

bedingt durch die räumlichen Gegebenheiten in<br />

<strong>der</strong> Anstalt) lassen einen erzieherischen Arrest<br />

manchmal kaum zu.<br />

Die wöchentliche<br />

Gesprächsgruppe<br />

Nach § 90 JGG ist <strong>der</strong> Arrest erzieherische Arbeit<br />

<strong>und</strong> bedarf einer pädagogischen, erzieherischen<br />

<strong>und</strong> lebensbewältigenden Begleitung <strong>der</strong> Arrestanten<br />

während ihres Aufenthaltes in <strong>der</strong> Arrestanstalt.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_81<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

In Nienburg geschieht dies - da es sich um eine<br />

kleine Anstalt mit nur 25 Plätzen handelt - in sehr<br />

bescheidenen Rahmen. So gibt es dort <strong>der</strong>zeit<br />

folgende Angebote:<br />

• eine Schulgruppe mit 3 x wöchentlich Unterricht<br />

à 3 St<strong>und</strong>en in Deutsch, Mathe <strong>und</strong> Englisch<br />

• allgemeine Haus- <strong>und</strong> Hofdienste (Alltagsarbeiten)<br />

• Ernährungsgruppe – mehr als Pommes <strong>und</strong> Döner<br />

mit praktischen Kochtipps (1x wöchentlich)<br />

• Holzwerkstatt (täglich 2 st<strong>und</strong>en)<br />

• Haushalts <strong>und</strong> Finanzberatung (1 x wöchentlich)<br />

• Sportgruppe, Fußball, Basketball (1 x wöchentlich)<br />

• Spielgruppe, Tischtennis, Gesellschaftsspiel,<br />

Kicker (2 x wöchentlich)<br />

• Gesprächsgruppe Jugenddienst (1 x wöchentlich)<br />

Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen geschieht<br />

(bis auf die Hausdienste) freiwillig, sonst<br />

bleibt <strong>der</strong> Jugendliche im Einschluss bzw. ist dies<br />

von seinem Betragen in <strong>der</strong> Arrestanstalt <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> Gruppe abhängig. Das heißt: Bei gutem Betragen<br />

gibt es auch mehr Freiraum. Wenn man jedoch<br />

von <strong>der</strong> Polizei in die Jugendarrestanstalt gebracht<br />

werden musste, fallen viele Freiräume weg, da die<br />

Freiwilligkeit <strong>und</strong> Einsicht, im eigenen Leben etwas<br />

zu verän<strong>der</strong>n, dann nicht vermutet <strong>und</strong> zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt werden kann.<br />

Alle 14 Tage besuche ich in meiner Eigenschaft als<br />

Kirchenkreisjugendwart im wöchentlichen Wechsel<br />

mit dem örtlichen Berufsschulpastor die Jugendarrestanstalt<br />

<strong>und</strong> biete eine Gesprächsgruppe <strong>für</strong> 10<br />

bis 15 Jugendliche an. In dieser Gesprächsgruppe<br />

erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, über<br />

ein Thema ihrer Wahl zu sprechen o<strong>der</strong> sich an<br />

einem von mir ausgewählten Thema zu beteiligen.<br />

Im Folgenden gebe ich einen Überblick über einen<br />

solchen Gesprächsverlauf:<br />

82_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

14:45 Uhr Eintreffen in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt-<br />

Kurze Absprachen mit den Bediensteten<br />

(Gruppengröße, beson<strong>der</strong>e Teilnehmer<br />

o. Ä.)<br />

14.55 Uhr Herrichten des Gruppenraumes<br />

15:00 Uhr Abholen <strong>der</strong> Teilnehmer (TN) aus ihrer<br />

Zelle o<strong>der</strong> Eintreffen im Gruppenraum<br />

sowie Begrüßung <strong>der</strong> Einzelnen per Hand-<br />

schlag <strong>und</strong> Vorstellungsr<strong>und</strong>e meinerseits<br />

mit Klärung/Benennung verschie-<br />

dener Regeln (Anrede: Du o<strong>der</strong> Sie, Frei-<br />

willigkeit <strong>der</strong> Teilnahme, Vertraulichkeit)<br />

15:15 Uhr Namensr<strong>und</strong>e mit Vornamen <strong>und</strong> Sitzplan<br />

zur besseren Anrede<br />

15:20 Uhr Allgemeine Fragen zum Befinden, <strong>der</strong><br />

Stimmung untereinan<strong>der</strong>, Fragen nach<br />

Streit, Ärger mit dem Personal (Vermittlerrolle),<br />

Antworten auf aktuelle Fragen<br />

„was draußen passiert ist“ (Fußballergeb-<br />

nisse, <strong>an<strong>der</strong>e</strong> politische Ereignisse o. Ä.).<br />

15:30 Uhr Suchen eines Themas: z. B. etwas aus<br />

dem zuvor Benannten o<strong>der</strong> ein <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r<br />

Stoff, <strong>der</strong> die Gruppe interessiert <strong>und</strong><br />

manchmal auch eine von mir vorbereitete<br />

mitgebrachte Angelegenheit:<br />

z. B.: - Wie das Leben so spielt...<br />

- Mit 250 Euro durch den Monat<br />

- Gewalt in <strong>der</strong> U–Bahn<br />

- Was mache ich, wenn ich ...<br />

- Gewalt – keine Gewalt<br />

- Was brauche ich zum Leben?<br />

- Wie verbringe ich meinen Tag?<br />

- Spielt Gott in meinem Leben<br />

eine Rolle?<br />

(Näheres hierzu s. u.<br />

„Materialien/Literatur“)<br />

16:30 Uhr Verabschiedung


Zelle<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

Der Ablauf des Gesprächs ist stark abhängig von<br />

<strong>der</strong> Gruppengröße, den Teilnehmenden, ihrer<br />

Herkunft (verschieden Nationalitäten) <strong>und</strong> den<br />

damit verb<strong>und</strong>enen sprachlichen Kenntnissen.<br />

Beson<strong>der</strong>s schwierig ist es mit Jugendlichen, die<br />

wegen eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

einsitzen, da ihr Denken <strong>und</strong> Reden<br />

stark von Drogenbeschaffung (Preisvergleiche,<br />

„Stoffqualität“ usw.) geprägt ist. Selten hingegen<br />

kommt es zu einem sachlichen Gespräch <strong>und</strong> entsprechenden<br />

Fragen über Drogen <strong>und</strong> Drogenkonsum,<br />

z. B. zur Legalisierung von Haschisch (wie in<br />

den Nie<strong>der</strong>landen).<br />

In solchen Fällen kommt es dann auch schon<br />

einmal vor, dass ich ihnen die Frage nach ihrem<br />

bevorzugten Verbleib stelle: „Möchtest du jetzt in<br />

dieser Gesprächsgruppe sein o<strong>der</strong> wärst du lieber<br />

in deiner Zelle?“<br />

In <strong>der</strong> Regel ziehen die Arrestanten jedoch die<br />

Freiheit in <strong>der</strong> Gruppe dem Einschluss in ihrer Zelle<br />

vor.<br />

„Du sollst nicht begehren<br />

deines Nächsten ...“ ­ o<strong>der</strong><br />

„Du brauchst nicht ...<br />

Die 10 Gebote gehören zu den Gr<strong>und</strong>standards<br />

christlichen Glaubens <strong>und</strong> auch das BGB stützt<br />

sich in seinen Aussagen zu den Gr<strong>und</strong>rechten auf<br />

das in den 10 Geboten geregelte Miteinan<strong>der</strong> zwischenmenschlicher<br />

Beziehungen. <strong>Für</strong> viele stehen<br />

die Gebote unter dem Gesichtspunkt von Verboten<br />

<strong>und</strong> dem starken „Du sollst nicht ...“ Ich <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

versuche sie immer eher unter dem Blickwinkel zu<br />

sehen von „Du brauchst nicht ...“ o<strong>der</strong> „Ich möchte<br />

nicht, dass mir ...“<br />

Zum Hintergr<strong>und</strong>:<br />

Das Volk Israel war endlich aus <strong>der</strong> Sklaverei in<br />

Ägypten entkommen <strong>und</strong> machte sich unter <strong>der</strong><br />

Leitung Moses auf den Weg in das gelobte Land.<br />

Ein ganzes Volk unterwegs auf <strong>der</strong> Flucht, beim<br />

Einzug in ein neues vielversprechendes Land, in<br />

ein Land voller Wünsche <strong>und</strong> Erwartungen <strong>und</strong><br />

voller Hoffnung auf ein geregeltes, besseres <strong>und</strong><br />

freies Leben.<br />

Zurückgelassen hatten sie die Sklaverei, die<br />

Strafen, die eindeutigen Verbote <strong>und</strong> Regeln <strong>der</strong><br />

Unterdrücker. Jede/r wusste dort, was sie/er zu<br />

tun o<strong>der</strong> zu lassen hat. Der gesamte Alltag, das<br />

Miteinan<strong>der</strong>, das soziale Umfeld - alles war klar<br />

geregelt. Aber hier „auf <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>schaft“, ohne<br />

festen Tagesablauf? Die vielen Verunsicherungen,<br />

die großen körperlichen Anstrengungen, das<br />

enge Miteinan<strong>der</strong> ... Das war ein <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r Alltag.<br />

Kein W<strong>und</strong>er, dass Probleme im Miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Streitigkeiten um umherlaufendes Vieh, um Hab<br />

<strong>und</strong> Gut aufkamen. Vielleicht nahm einer dem<br />

<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n etwas weg, erzählte schlechte Dinge über<br />

jemanden o<strong>der</strong> verstand sich mit dessen Frau „zu<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_83<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

gut“ <strong>und</strong> die Spannungen eskalierten sogar bis hin<br />

zu „Mord <strong>und</strong> Totschlag“ ... Und dann war da noch<br />

die alle verunsichernde Frage: „Gibt es diesen Gott<br />

<strong>und</strong> das gelobte Land überhaupt?“ <strong>und</strong> vor allem:<br />

„Wie <strong>und</strong> wann kommen wir da hin?“<br />

Dann folgte die Abwesenheit Moses, <strong>der</strong> in<br />

einem Zwiegespräch mit Gott auf dem Berg<br />

Sinai nach einer Lösung all dieser sozialen<br />

<strong>und</strong> existentiellen Probleme suchte. Das<br />

Volk indessen unten im Tal baute sich aus<br />

allem vorhandenen Gold das „Goldene<br />

Kalb“, einen Gott, den es sehen konnte,<br />

dem es Glauben schenken konnte, dem sie<br />

vertrauten. Als Mose von dem Berg herunterkam<br />

<strong>und</strong> die 10 Gebote mitbrachte, war<br />

er sehr verärgert, zerstörte das goldene<br />

Kalb <strong>und</strong> legte ihnen seine bzw. Gottes<br />

10 Gebote vor. Ich glaube, die Verärgerung<br />

lag vor allem in <strong>der</strong> Enttäuschung,<br />

die Mose durch sein Volk erfuhr. In dem<br />

Misstrauen ihm <strong>und</strong> Gott gegenüber, in dem<br />

Misstrauen, dass sie es ihm nicht mehr zutrauten,<br />

dass er sie, wie es ihnen verheißen war, in das<br />

gelobte Land führen könne.<br />

Wir können <strong>und</strong> sollen Gott vertrauen. In diesem<br />

„Urvertrauen“ liegt <strong>für</strong> <strong>mich</strong> <strong>der</strong> Schlüssel zu den<br />

10 Geboten. Gott vertraut mir schon in dem ersten<br />

Gebot, in dem er sagt: „Ich bin <strong>der</strong> Herr, dein<br />

Gott“. <strong>Für</strong> <strong>mich</strong> heißt das übersetzt: „Ich halte zu<br />

dir, du kannst mir vertrauen <strong>und</strong> ich vertraue dir.“<br />

Wenn ich <strong>mich</strong> in meinem Leben umschaue, dann<br />

erlebe ich häufig Stress, Angst, Hunger, Hetze,<br />

Leid <strong>und</strong> Unterdrückung, Unrecht <strong>und</strong> Unfreiheit,<br />

Tod <strong>und</strong> Sterben. Ich könnte <strong>mich</strong> davon anstecken<br />

<strong>und</strong> runterziehen lassen. Dann würde sich meine<br />

Lebenseinstellung ganz schnell verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

ich wäre genauso unzufrieden mit mir, meinem<br />

Leben <strong>und</strong> meinem sozialen Umfeld wie viele<br />

Menschen um <strong>mich</strong> herum es sind. Aber ich kann<br />

auch genauer hinschauen <strong>und</strong> in vielen Dingen<br />

84_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Gruppenraum<br />

des Alltags, in vielen Begegnungen mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Menschen, mit <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> mit mir selbst Gottes<br />

Gegenwart spüren <strong>und</strong> sein Vertrauen erfahren.<br />

Dann finde ich Zeit, gewinne Vertrauen <strong>und</strong> kann<br />

mein Leben gelassen ausrichten. Dann kann ich<br />

zur Ruhe zu kommen <strong>und</strong> den Freiertag heiligen<br />

<strong>und</strong> muss nicht nur auf meinen Vorteil schauen, z.<br />

B. um besser dazustehen als mein Nachbar. Dann<br />

höre ich die Zusage des Vertrauens ganz klar: “Ich<br />

bin dein Gott, <strong>der</strong> zu dir hält.“ Dann kann ich die<br />

Gebote an<strong>der</strong>s sehen, dann höre ich nicht „Du<br />

sollst nicht ...“, son<strong>der</strong>n ich höre: „Du brauchst<br />

nicht ...“ Dann sind die Gebote etwas, das mir hilft,<br />

meine Persönlichkeit zu schützen. Sie schützen<br />

<strong>mich</strong> <strong>und</strong> mein Hab <strong>und</strong> Gut vor <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n <strong>und</strong> vor<br />

mir selbst. Dann heißt „Du sollst nicht stehlen“<br />

vielleicht eher „Ich möchte nicht, dass sich jemand<br />

auf meine Kosten bereichert <strong>und</strong> ich <strong>mich</strong> auf<br />

Kosten <strong>an<strong>der</strong>e</strong>r“ o<strong>der</strong> „Du sollst nicht begehren,<br />

was deinem Nächsten gehört“ könnte dann heißen<br />

„Ich möchte nicht, dass mir jemand etwas neidet<br />

<strong>und</strong> ich brauche auch nicht auf <strong>an<strong>der</strong>e</strong> neidisch<br />

zu sein“ <strong>und</strong> „Du sollt nicht töten“ meint dann<br />

„Ich möchte nicht, dass <strong>mich</strong> jemand klein macht<br />

<strong>und</strong> ich brauche auch <strong>an<strong>der</strong>e</strong> nicht klein zu<br />

machen.“


„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

Vielleicht gelingt es uns, in <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n ein neues Verständnis<br />

<strong>für</strong> das Miteinan<strong>der</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> 10 Gebote zu entwickeln, von einem „Du sollst<br />

nicht ...“ hin zu einem „Ich möchte nicht ...“ o<strong>der</strong><br />

”Ich brauche nicht ...“.<br />

Vielleicht ist diese Sichtweise eine Chance, Jugendlichen<br />

im Arrest die Sucht, „das haben zu<br />

wollen, was <strong>an<strong>der</strong>e</strong> auch haben“, ein wenig zu<br />

nehmen <strong>und</strong> ihnen deutlich zu machen, dass nicht<br />

das Materielle den gr<strong>und</strong>sätzlichen „Wert“ eines<br />

Menschen (<strong>und</strong> auch den eigenen!) ausmacht, son-<br />

<strong>der</strong>n das menschliche miteinan<strong>der</strong> Umgehen, die<br />

Achtung <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en <strong>und</strong> auch die Selbstachtung.<br />

„Ich bin <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> zu dir hält ...“ zieht sich wie<br />

ein Roter Faden durch die 10 Gebote <strong>und</strong> durch<br />

mein Leben. Gott sagt: „Ich halte zu dir, egal, was<br />

du auch tust. Ich traue dir zu, dass dein Leben gelingen<br />

kann, wenn du es möchtest. Dann gehen wir<br />

gemeinsam durch dieses Leben mit seinen Höhen<br />

<strong>und</strong> Tiefen.“<br />

Vielleicht haben viele dieser jungen Männer im Arrest<br />

die Zusage „Ich halte zu dir“ schon lange nicht mehr<br />

o<strong>der</strong> überhaupt noch nie in ihrem Leben gehört.<br />

Ihre Nächsten haben sie - vielleicht im Zusammenhang<br />

mit ihrer Straftat ... - verlassen, haben sie<br />

„ausgestoßen“ o<strong>der</strong> bekennen sich nicht mehr zu<br />

ihnen als ihre Eltern, Geschwister o<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e.<br />

Dass wir die 10 Gebote nicht immer einwandfrei<br />

einhalten, wissen wir alle. Aber wir leben aus <strong>der</strong><br />

Zusage <strong>der</strong> Vergebung, wenn uns ein Vergehen<br />

aufrichtig Leid tut o<strong>der</strong> wir es z. B. ehrlichen Herzens<br />

bereuen, unseren Nächsten verletzt o<strong>der</strong><br />

gekränkt zu haben. Dann können wir uns darauf<br />

verlassen, dass uns unsere Schuld von Gott vergeben<br />

worden ist, wie auch wir selbst <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n vergeben<br />

sollen.<br />

Wenn Jugendliche „Mist gebaut haben“ <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

ihre Tat einstehen (wie z. B. im Arrest), dann ist<br />

ihnen auch vergeben <strong>und</strong> sie können, ja müssen,<br />

wie<strong>der</strong> neu anfangen. Sie können voller Hoffnung<br />

hinausgehen <strong>und</strong> sagen: „Ich brauche nicht zu<br />

stehlen <strong>und</strong> ich möchte auch nicht, dass mir<br />

jemand etwas wegnimmt, denn ich habe einen<br />

Gott, <strong>der</strong> zu mir hält, <strong>der</strong> mir vertraut <strong>und</strong> dem ich<br />

<strong>mich</strong> <strong>und</strong> mein Leben anvertrauen kann.“<br />

Wie können wir als<br />

Jugendgruppe o<strong>der</strong> als<br />

Schulklasse Kontakt zu<br />

einer Jugend arrestanstalt<br />

aufnehmen?<br />

Im Rahmen des Schulunterrichts gibt es die<br />

Möglichkeit, zum Lernstoff Bürgerliches Gesetzbuch<br />

(BGB) <strong>und</strong> Strafgesetzbuch (StGB) Kontakte<br />

zum örtlichen Amtsgericht herzustellen. Auch<br />

kann in den schulischen Projekt- <strong>und</strong> Praktikumsphasen<br />

ein Praktikum beim Amtsgericht mit dem<br />

Schwerpunkt „Jugendstrafrecht“ absolviert werden<br />

o<strong>der</strong> die Schulklasse/Jugendgruppe könnte an<br />

einer Jugendgerichtsverhandlung teilnehmen. In<br />

Nienburg besteht darüber hinaus die Möglichkeit,<br />

die Jugendarrestanstalt zu besuchen <strong>und</strong> in einem<br />

Gespräch mit <strong>der</strong> Sozialoberinspektorin Frau<br />

Meyer (Tel. 05021 601861) Hintergründe zum<br />

Thema Jugendarrest <strong>und</strong> auch die damit gemachten<br />

Erfahrungen kennen zu lernen. Vielleicht ist<br />

dort sogar ein Gespräch mit den Jugendlichen<br />

selbst möglich. Außerdem bietet die Jugendarrestanstalt<br />

Nienburg eine „Mobile Arrestzelle“ als<br />

Anschauungsmaterial <strong>für</strong> Projektpräsentationen<br />

an. Ein spannendes <strong>und</strong> interessantes Feld könnte<br />

es auch sein, sich über mögliche Tätigkeitsbereiche<br />

zu informieren, in denen man sich <strong>für</strong><br />

Jugendliche nach dem Arrest selbst sozial engagieren<br />

könnte.<br />

Kontakte zu <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Jugendarrest- o<strong>der</strong> Strafanstalten<br />

bekommt man über das zuständige Amtsgericht<br />

o<strong>der</strong> über das Internet.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_85<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

Arbeitsmaterialien,<br />

Literatur angaben, Spiele,<br />

Video „Dienstag – Gewalt<br />

in <strong>der</strong> U­Bahn“ <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

Gruppenübungen<br />

Arbeitsmaterialen zu den Gesprächsst<strong>und</strong>en<br />

in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

• Wie das Leben so spielt ... - Ein Brettspiel <strong>für</strong><br />

Jugendliche zur Lebensplanung<br />

• Mit 250 Euro durch den Monat - Ein Brettspiel zu<br />

Hartz IV<br />

• Gewalt in <strong>der</strong> U-Bahn - Ein Videomitschnitt aus<br />

einer U-Bahn in Frankfurt<br />

• Was mache ich, wenn ich ... - Arbeitsblatt zu<br />

Situationen des Alltags<br />

• „Gewalt - keine Gewalt“/Einschätzungsfragen<br />

zu „Gewalt - keine Gewalt“<br />

• Was brauche ich zum Leben? - Arbeitsblatt mit<br />

24 Vorschlägen zum Leben/Gesprächsimpuls<br />

• Wie verbringe ich meinen Tag?- Arbeitsblatt zur<br />

Tageseinteilung/Gesprächsimpuls<br />

• Spielt Gott in meinem Leben eine Rolle? - Tischzeitung<br />

zum Thema „Gott“<br />

Inhaltsangabe zu „Wer einmal aus dem Blechnapf<br />

frisst“ - Hans Fallada<br />

Willi Kufalt kommt nach 5 Jahren Qual aus dem<br />

Gefängnis. Er ist noch nicht sehr alt, Mitte 20<br />

etwa <strong>und</strong> kein bisschen dumm. Im Gegenteil! Er<br />

schafft es, die Wärter <strong>und</strong> Direktoren, sogar den<br />

86_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Pastor, untereinan<strong>der</strong> auszuspielen, sodass<br />

<strong>für</strong> ihn das Leben im Bau nicht sehr unangenehm<br />

ist.<br />

Und trotzdem entschließt er sich nach seiner Entlassung,<br />

ein ehrbarer Bürger zu werden, nie mehr<br />

zu klauen o<strong>der</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> „Dinger zu drehen“. Er<br />

weiß, dass das hart werden wird <strong>und</strong> dass ihm <strong>der</strong><br />

Ruf „im Knast gewesen zu sein“ folgen <strong>und</strong> ihm<br />

das Leben schwer machen wird. Aber immerhin<br />

hat er schon eine Arbeit. Er wird in Friedensheim<br />

Adressen tippen <strong>und</strong> dort davon leben können<br />

<strong>und</strong>, wenn er fleißig ist, sein Geld sogar vermehren<br />

können. Doch dort findet er nur Hass <strong>und</strong> Unterdrückung<br />

von den Aufsehern. Auch den Mitarbeitern,<br />

die alle wie Gefangene gehalten werden,<br />

kann er nicht viel abgewinnen.<br />

Als sich dann endlich ein guter Job auftut, gibt es<br />

Probleme <strong>für</strong> Kufalt <strong>und</strong> seine engsten Fre<strong>und</strong>e.<br />

Es droht die Untersuchungshaft, wie<strong>der</strong> das Gefängnis.<br />

An<strong>der</strong>e Fre<strong>und</strong>e aus dem ehemaligen Bau<br />

begegnen ihm, versuchen ihn von <strong>der</strong> richtigen<br />

Bahn abzubringen.<br />

Der Roman zeigt deutlich den Kampf ums Überleben,<br />

thematisiert Verfolgung <strong>und</strong> Unterdrückung.<br />

Er ist spannend geschrieben, sodass man richtig<br />

mitfiebert, wie es nun mit dem Willi Kufalt weiter<br />

geht. Wird er es schaffen neu anzufangen o<strong>der</strong><br />

wird ihn seine Vergangenheit doch wie<strong>der</strong> einholen?<br />

Das Buch liest sich schnell weg <strong>und</strong> wenn man<br />

zuerst dachte, dass es einfach sei, ein normales<br />

Leben zu führen, merkt man schnell, dass man<br />

sich da unter Umständen irrt. Mich begeistert, wie<br />

Hans Fallada klar verständlich <strong>und</strong> nachvollziehbar<br />

die Probleme <strong>und</strong> Gedanken <strong>der</strong> Hauptfigur darstellt.<br />

Der/Die LeserIn wird richtig hineingenommen<br />

in das Geschehen <strong>und</strong> denkt selbst darüber<br />

nach, was er/sie in so einem Moment wohl tun<br />

würde.


„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

Flurtrakt<br />

Zudem ist es, wie ich finde, ein Buch, das einen<br />

wirklich nachdenken lässt über die schnelle Vorverurteilung<br />

von Menschen - auch heute noch, in<br />

unserer Welt. Ich kann nur empfehlen, es zu lesen!<br />

„Wie das Leben so spielt ...“<br />

Ein Kennenlern- <strong>und</strong> Begegnungsspiel <strong>für</strong> Jugendliche<br />

<strong>und</strong> junge Erwachsene<br />

Entscheidungen <strong>für</strong> das Leben treffen, Pleiten,<br />

Pech <strong>und</strong> Pannen, aber auch glückliche Zufälle<br />

erleben.<br />

Eine Spielidee <strong>für</strong> große <strong>und</strong> kleine Gruppen zum<br />

Thema „Leben“.<br />

Hrsg.: Evangelisches Jugendwerk in Württemberg,<br />

Haeberlinstr. 1 – 3, 70563 Stuttgart, Tel.: 0711<br />

9781410<br />

„Was mache ich, wenn …“<br />

„Was mache ich, wenn ...“ ist ein Spiel, mit dem<br />

ihr euch selbst <strong>und</strong> alle <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Mitspieler besser<br />

kennen lernen könnt.<br />

Die Gruppe sitzt im Kreis <strong>und</strong> die Karten liegen in<br />

<strong>der</strong> Mitte auf einem Stapel.<br />

SpielerIn A zieht die erste Karte, die z. B. heißt:<br />

„Wenn ich Wut habe …“<br />

SpielerIn A überlegt sich jetzt, ob ihr/ihm aus seinem<br />

Alltag dazu ein Erlebnis einfällt ...<br />

SpielerIn A könnte erzählen: „Wenn ich Wut habe,<br />

dann gehe ich immer in mein Zimmer, knalle die<br />

Tür beson<strong>der</strong>s laut zu <strong>und</strong> drehe meine Anlage<br />

auf. So wie letzte Woche, als ich Streit mit meinem<br />

Bru<strong>der</strong> hatte, weil er mir sein Fahrrad nicht leihen<br />

wollte, als meins kaputt war. Ich war total sauer<br />

<strong>und</strong> wütend <strong>und</strong> habe dann den ganzen Nachmittag<br />

Musik gehört.“<br />

(An<strong>der</strong>e können jetzt von ihren Erlebnissen bzw.<br />

Verhaltensweisen berichten)<br />

SpielerIn A legt anschließend die Karte vor sich<br />

<strong>und</strong> SpielerIn B nimmt die nächste Karte vom<br />

Stapel.<br />

Anbei ein paar Anregungen <strong>für</strong> solche Spielsituationen;<br />

ihr könnt euch aber auch noch eigene ausdenken:<br />

Was mache ich, wenn …<br />

... ich ausgelassen bin?<br />

... ich gut gelaunt bin?<br />

... ich zufrieden bin?<br />

... ich von <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n bew<strong>und</strong>ert werde?<br />

... ich etwas Aufregendes erleben will?<br />

... ich <strong>mich</strong> schäme?<br />

... ich Angst habe?<br />

... ich Langeweile habe?<br />

... ich enttäuscht bin?<br />

... ich traurig bin?<br />

... ich eifersüchtig bin?<br />

... ich neidisch bin?<br />

... ich unsicher bin?<br />

... ich erschöpft bin?<br />

... ich <strong>mich</strong> ausgeschlossen fühle?<br />

... ich <strong>mich</strong> missverstanden fühle?<br />

... ich im Stress bin?<br />

... ich Wut habe?<br />

... ich Probleme habe?<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_87<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

Mit 250 Euro durch den Monat<br />

(Ausführliche Beschreibung siehe „Gegen den<br />

Trend 2006“.)<br />

Zu beziehen beim Diakonischen Werk Kirchenkreis<br />

Syke/Diepholz, Herrlichkeit 24, 28857 Syke, Tel.<br />

04242 16870.<br />

Was brauche <strong>für</strong> mein Leben?<br />

(Ausführliche Beschreibung siehe „Gegen den<br />

Trend 2006“.)<br />

Vorlage ebenda o<strong>der</strong> „Kursbuch Konfirmandenarbeit“.<br />

„Dienstag – Gewalt in <strong>der</strong> U-Bahn“<br />

Quelle: Das Video „Dienstag – Gewalt in <strong>der</strong> U-<br />

Bahn“, B<strong>und</strong>eszentrale <strong>für</strong> politische Bildung,<br />

Bonn 1995, Bildquelle: Hessischer R<strong>und</strong>funk, kann<br />

in örtlichen Landesbildstellen bzw. direkt bei <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>eszentrale <strong>für</strong> politische Bildung ausgeliehen<br />

bzw. bestellt werden.<br />

Aufgabe: In sechs Szenen werden unterschiedliche<br />

Reaktionen <strong>der</strong> von einer versteckten Kamera<br />

gefilmten Passanten gezeigt <strong>und</strong> mit den SchülerInnen<br />

anhand eines Positionsbarometers gemeinsam<br />

ausgewertet.<br />

Ziel: Wenn die SchülerInnen eine ähnliche Szene<br />

bereits selbst zuvor in einem Rollenspiel erlebt <strong>und</strong><br />

besprochen haben, wird im Video deutlich, wie<br />

auch in <strong>der</strong> Realität ganz unterschiedliche Reaktionsweisen<br />

möglich sind <strong>und</strong> die Situation deutlich<br />

verän<strong>der</strong>n. Dabei wird beson<strong>der</strong>s Wert darauf<br />

gelegt, ermutigende Reaktionsweisen zu verdeutlichen,<br />

die deeskalierende Wirkung haben können.<br />

Einführung: Zwei Männer steigen in eine mit Passagieren<br />

besetzten U-Bahn. ‚Deutschland zuerst’<br />

88_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Graffiti Innnhof<br />

brüllt <strong>der</strong> eine. Kurz darauf gehen beide zielstrebig<br />

auf einen jungen Schwarzen zu. ‚Eh Nigger, haste<br />

Feuer?’ wird dieser angepöbelt. Die beiden setzen<br />

sich neben den jungen Mann, werden aggressiver.<br />

Die Situation wirkt äußerst bedrohlich. Wird jemand<br />

eingreifen?“ Die SchülerInnen äußern ihre<br />

Vermutungen.<br />

„Ihr werdet jetzt eine solche Anmache (wie ihr<br />

sie vorhin im Rollenspiel selbst dargestellt habt)<br />

in sechs verschiedenen Varianten in Wirklichkeit<br />

sehen. Sie ist in einer U-Bahn in Frankfurt gedreht<br />

<strong>und</strong> mit unterschiedlichen Passanten von<br />

einer versteckten Kamera aufgenommen worden.<br />

Sowohl die beiden Täter als auch das Opfer sind<br />

Schauspieler. Aber alle übrigen Personen in <strong>der</strong> U-<br />

Bahn (mit Ausnahme <strong>der</strong>jenigen, die die jeweilige<br />

Szene abbrechen werden) wissen nicht, dass es<br />

sich hier um eine gespielte Szene handelt.“<br />

Es folgt <strong>der</strong> Arbeitsauftrag. Die Folie „Positionsbarometer<br />

„Dienstag – Gewalt in <strong>der</strong> U-Bahn“ wird<br />

dazu auf den Overheadprojektor gelegt.<br />

Nachdem ihr eine Szene angeschaut habt, markiert<br />

ihr mit einem Stift auf diesem Positionsbarometer<br />

(das wir gleich austeilen), wie ihr die<br />

Reaktionen <strong>der</strong> Passanten einschätzt. Dabei gibt<br />

es drei Möglichkeiten:


„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

a) Angriff – die Passanten werden aktiv. Aber sie<br />

greifen so ein, dass die Situation bedrohlicher<br />

wird, <strong>und</strong> zwar <strong>für</strong> alle Beteiligten.<br />

b) Flucht – die Passanten bleiben passiv. Sie tun<br />

nichts, greifen nicht ein, zeigen Fluchtverhalten.<br />

Dadurch wächst die Gewalt ebenfalls, beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>für</strong> das Opfer.<br />

c) Eingreifen – die Passanten werden aktiv. Allerdings<br />

reagieren sie so, dass die Gewalt abnimmt<br />

<strong>und</strong> ein gute Lösung <strong>für</strong> das Opfer sichtbar wird.<br />

Weitergehende Differenzierung: „Ihr könnt auch<br />

Positionen zwischen den unterschiedlichen Punkten<br />

eintragen, z. B. wenn ihr meint, dass eine Szene<br />

Anteile von Flucht, aber auch positiver Lösung<br />

hatte.“<br />

Abschluss <strong>der</strong> Erläuterungen: „Nach je<strong>der</strong> Szene<br />

werde ich das Video stoppen, um euch Gelegenheit<br />

zu geben, eure Einschätzung einzutragen. Anschließend<br />

sprechen wir über die Szene <strong>und</strong> zwar<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> folgen<strong>der</strong> Fragestellungen:<br />

a) Welche Verhaltensweisen (Sprache <strong>und</strong> Körpersprache)<br />

fandest du beson<strong>der</strong>s schlecht? Warum?<br />

b) Welche Verhaltensweisen (Sprache <strong>und</strong> Körpersprache)<br />

fandest du beson<strong>der</strong>s gut? Warum?“<br />

Positions-Barometer „GEWALT – KEINE GEWALT“<br />

Dies ist eine Übung, um die unterschiedliche<br />

Wahrnehmung von Gewalt festzustellen. Im Raum<br />

wird an eine Wand ein DIN-A4-Blatt geheftet mit<br />

<strong>der</strong> Aufschrift „GEWALT“, an die gegenüberliegende<br />

Wand ein leeres DIN-A4-Blatt. (Die Zettel<br />

können auch auf den Boden gelegt werden).<br />

Zunächst wird die Frage diskutiert, was das Gegenteil<br />

von Gewalt ist. Ist es „keine Gewalt“,<br />

„Gewaltlosigkeit“, „Wi<strong>der</strong>stand“, „Stärke“ o<strong>der</strong><br />

...? Eine o<strong>der</strong> mehrere Möglichkeiten werden nun<br />

auf das leere Blatt geschrieben.<br />

Nun kann man verschieden vorgehen:<br />

a) Man schreibt die folgenden Gewaltsituationen<br />

auf je einen DIN-A4-Zettel (evtl. laminieren,<br />

wenn man sie mehrmals verwenden möchte). Es<br />

werden zwei Gruppen gebildet. Jede Gruppe bekommt<br />

acht Situationen. Beide Gruppen müssen<br />

alle ihre Situationen unabhängig voneinan<strong>der</strong><br />

links <strong>und</strong> rechts von einer gedachten Barometer-<br />

Linie zwischen den Polen sinnvoll anordnen.<br />

Dann werden alle Situationen noch einmal<br />

diskutiert <strong>und</strong> in einer Linie angeordnet. Alternativ<br />

könnte die Gruppe auch in noch kleinere<br />

Einheiten unterteilt werden.<br />

b) Der Gruppenleiter liest eine Situation vor. Einige<br />

o<strong>der</strong> alle TeilnehmerInnen müssen sich entscheiden,<br />

an welche Stelle zwischen den Polen<br />

sie sich stellen wollen. Unterschiedliche Einschätzungen<br />

werden deutlich. Diejenigen, die<br />

die „extremste“ Position eingenommen haben,<br />

werden zu ihrer Meinung befragt.<br />

16 Gewaltsituationen<br />

• Eine Zuschauerin, die klatscht, wenn Auslän<strong>der</strong><br />

beleidigt <strong>und</strong> angegriffen werden.<br />

• Eine Firma, die ihren Giftmüll in Entwicklungslän<strong>der</strong><br />

schickt.<br />

• Ein Vater, <strong>der</strong> sein Kind ohrfeigt, weil es ein Glas<br />

umgekippt hat.<br />

• Ein Kind, das aus <strong>der</strong> Klassenkasse 5 Euro klaut.<br />

• Ein Berufssoldat.<br />

• Ein Mädchen, das ihrem Fre<strong>und</strong> einen Knutschfleck<br />

macht.<br />

• Eine Mutter, die ihr Kind weg von einem LKW<br />

von <strong>der</strong> Straße reißt <strong>und</strong> ihm dabei sehr weh tut.<br />

• Eine Mutter, die zu ihrer Tochter sagt: „Du bist<br />

eine Versagerin. Aus dir wird nie etwas.“<br />

• Ein/e Mitschüler/in wird ständig gehänselt, weil<br />

er/sie sehr dick ist.<br />

• Kai schnallt die Frage des Lehrers nicht. Die<br />

ganze Klasse macht sich über ihn lustig.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_89<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />

• Benjamin trägt keine Markenklamotten <strong>und</strong> wird<br />

deswegen geärgert.<br />

• Sven fasst Alina an den Hintern.<br />

• Ein junges Mädchen wird ungewollt schwanger.<br />

Ihre Eltern zwingen sie, den Vater des Kindes zu<br />

heiraten.<br />

• Eine Schülerin darf nur „ohne Kopftuch“ ein<br />

Praktikum in einem Kin<strong>der</strong>garten machen.<br />

• Ein Demonstrant blockiert den Atommüll-Transport.<br />

• Jemand wird von <strong>der</strong> Clique vor die Wahl gestellt,<br />

eine Zigarette mitzurauchen o<strong>der</strong> sich<br />

eine <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Clique zu suchen.<br />

Wie verbringe ich meinen Tag? Wo bleibt meine<br />

Zeit?<br />

Erstellen eines „Zeitkuchens“<br />

Alle erhalten eine Zeitscheibe mit einer 24-St<strong>und</strong>en-Einteilung.<br />

Die Teilnehmenden sollen in Einzelarbeit ihren<br />

Ablauf eines 24-St<strong>und</strong>en-Tages einzeichnen bzw.<br />

schreiben. Dabei können folgende Fragestellungen<br />

helfen:<br />

• Zeit mit Ungeliebtem verbracht? Womit, wie viel,<br />

mit wem?<br />

• Zeit nutzlos vergeudet? Womit, wie viel, warum?<br />

• Zeit mit Notwendigem gefüllt? Womit, wie viel?<br />

• Zeit mit <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n geteilt? Mit wem, wie viel, wobei?<br />

Anschließend wird ein „Uhrenvergleich“ in <strong>der</strong><br />

Gruppe gemacht. Dabei könnten folgende Fragestellungen<br />

vorkommen:<br />

• Wo gibt es Gemeinsamkeiten, den Tag zu verbringen<br />

<strong>und</strong><br />

• wo sind gravierende Unterschiede zu entdecken?<br />

• Womit verbringen wir die meiste Zeit?<br />

Martin Bauer<br />

90_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


›› letzter Ausweg<br />

Jugendknast!?


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

Erziehungswille auch im<br />

Jugendknast<br />

Wenn Erwachsene strafrechtlich verurteilt werden,<br />

dann dient dies dem Gedanken <strong>der</strong> Abschreckung,<br />

<strong>der</strong> Sühne <strong>und</strong> <strong>der</strong> Genugtuung. Bei <strong>der</strong> Verurteilung<br />

von Jugendlichen <strong>und</strong> Heranwachsenden<br />

spielt hingegen <strong>der</strong> Erziehungsgedanke eine große<br />

Rolle, so auch im Vollzug <strong>der</strong> Jugendstrafe – in<br />

<strong>der</strong> Jugendstrafanstalt. Das Jugendgerichtsgesetz<br />

(JGG) bietet eine Fülle von Handlungsmöglichkeiten<br />

bei <strong>der</strong> Sanktionierung von straffällig<br />

gewordenen Jugendlichen. Sie reichen von <strong>der</strong><br />

richterlichen Ermahnung, über Arbeitsst<strong>und</strong>en<br />

o<strong>der</strong> soziale Trainingskurse bis zum Jugendarrest.<br />

Eine Jugendstrafe ist unter diesen Möglichkeiten<br />

die härteste, freiheitsentziehendste Maßnahme<br />

<strong>und</strong> soll auch als solche gesehen werden – als<br />

letzter Ausweg. Sie tritt dann ein, wenn <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen o<strong>der</strong> die<br />

Schwere <strong>der</strong> Schuld eine solche Strafe notwendig<br />

werden lässt.<br />

Eine Jugendstrafe kann von 6 Monaten bis zu 5<br />

Jahren dauern (bei schweren Verbrechen wie Raub,<br />

Vergewaltigung o<strong>der</strong> Mord, gar bis zu 10 Jahre).<br />

Die Länge einer Jugendstrafe wird vom jeweiligen<br />

Richter nach <strong>der</strong> „erfor<strong>der</strong>lichen erzieherischen<br />

Einwirkung“ (Weipert 2003, S. 20) bemessen, die<br />

hier zugr<strong>und</strong>e gelegten Kriterien bleiben jedoch im<br />

Einzelfall oft unklar.<br />

Das Ziel des Vollzuges, die Erziehung <strong>der</strong> jungen<br />

Verurteilten zu einem künftigen Legalverhalten,<br />

wird mit verschiedenen Erziehungsmitteln zu<br />

erreichen versucht (§ 91 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 JGG). So<br />

soll es Möglichkeiten <strong>der</strong> schulischen <strong>und</strong> beruflichen<br />

(Weiter-)Qualifikation, neben sinnvollen<br />

Freizeitbeschäftigungen <strong>und</strong> „Leibesübungen“<br />

geben. Auch die Gewährleistung <strong>der</strong> seelsorgerlichen<br />

Betreuung ist gesetzlich verankert.<br />

Jugendliche StraftäterInnen sollen so innerhalb<br />

eines klar geregelten Tagesablaufs Abstand<br />

92_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

gewinnen <strong>und</strong> <strong>für</strong> ein späteres Leben außer-<br />

halb <strong>der</strong> Gefängnismauern neue Anstöße be-<br />

kommen.<br />

Selber schuld!?<br />

Wer ist denn eigentlich Schuld, wenn die Jugendkriminalität<br />

scheinbar immer brisanter wird, o<strong>der</strong><br />

wenn ein Jugendlicher/eine Jugendliche es sich<br />

schwer tut mit <strong>der</strong> staatlichen (Zwangs-)Erziehung<br />

<strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> straffällig wird? Seine/Ihre<br />

Eltern, die ihn/sie nicht hart genug rangenommen<br />

haben' <strong>und</strong> ihm/ihr nicht beigebracht haben, dass<br />

es im Leben einfach Handlungsgrenzen gibt? Die<br />

Schule, die ihm/ihr vieles durchgehen ließ? O<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendtreff? Ist es gar die Justizpolitik, die<br />

endlich mal härter durchgreifen müsste? Wie wäre<br />

es also mit <strong>der</strong> Herabsetzung des straffähigen<br />

Alters auf 6 Jahre?<br />

Schuld haben immer die <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n. Das ist doch am<br />

einfachsten. Aber was mit den kriminellen Jugendlichen<br />

tun? Am liebsten einfach loswerden – also<br />

wegsperren. Da werden dann auch nicht unnötig<br />

Steuergel<strong>der</strong> verschleu<strong>der</strong>t. Soziale Trainingskurse<br />

= Teuer! Bringt sowieso nichts!<br />

Es ist schon nicht einfach, gegen die große<br />

Spannbreite <strong>der</strong> Vorurteile zum Thema Jugendkriminalität<br />

zu argumentieren. Die Medien tun<br />

durch ihre hetzenden Berichte zurzeit ihr Übriges<br />

dazu. Doch im Verlauf dieses Artikels soll versucht<br />

werden, diese Vorurteile zu entkräften. Fakt<br />

ist, dass es „die Kriminellen“ gar nicht gibt.<br />

Vielmehr hat jede/r „Knacki“ seine/ihre eigene<br />

Vergangenheit, seine/ihre individuelle Familien-<br />

<strong>und</strong> Lebensgeschichte. Wenn man sich den Ursachen<br />

von Jugendkriminalität wirklich zuwenden<br />

möchte, hilft keine einseitige Ursachenforschung,<br />

son<strong>der</strong>n eine Untersuchung aller Lebensbedingungen<br />

<strong>und</strong> vielfältigen Umstände des Aufwachsens:<br />

Familie, Freizeit, Schule, Peergroup,<br />

Gesellschaft ...


Zahlen, Daten <strong>und</strong> Fakten<br />

An dieser Stelle soll anhand von verschiedenen<br />

Statistiken <strong>und</strong> Forschungen überprüft werden,<br />

ob es wirklich stimmt, was alle sagen <strong>und</strong> was<br />

vor allem durch die Medien signalisiert wird:<br />

Werden Jugendliche immer brutaler <strong>und</strong> krimineller?<br />

Im Jahr 2002 wurden in Deutschland 7.500 junge<br />

Menschen gezählt, die ihre Jugendstrafe verbüßen,<br />

hierbei liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> jungen Frauen<br />

bei nur ca. 3,3 % (Weipert 2003, S. 23). Das<br />

bedeutet, dass auf 1.000 junge Menschen in<br />

Deutschland ungefähr ein/e inhaftierte/r Jugendliche/r<br />

kommt. Im Jahr 1992 gab es 3.898 inhaftierte<br />

junge Menschen. Bei <strong>der</strong> Betrachtung<br />

dieser Zahlen fällt auf, dass sich anscheinend<br />

innerhalb von 8 Jahren die Anzahl <strong>der</strong> inhaftierten<br />

Jugendlichen <strong>und</strong> Heranwachsenden nahezu<br />

verdoppelt hat. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen,<br />

dass die starke Zunahme auch in Zusammenhang<br />

mit einer schnelleren Verurteilung einer<br />

Straftat zum Vollzug ohne Bewährung stehen<br />

könnte.<br />

Fakt ist, dass auch die Zahl <strong>der</strong> jungen Tatverdächtigen<br />

in den letzten Jahren stetig steigt, sodass <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> unter 21-jährigen Tatverdächtigen an <strong>der</strong><br />

Gesamtkriminalität heute bei etwa 30% liegt. In<br />

diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen,<br />

dass Delikte junger Menschen im Vergleich<br />

zu denen von Erwachsenen überwiegend unprofessioneller<br />

<strong>und</strong> ungeplanter ablaufen, so dass<br />

sie <strong>für</strong> polizeiliche Ermittlungen einfacher zu überprüfen<br />

sind. Auch bei den Gewaltdelikten handelt<br />

es sich bei jungen Menschen oft um Rauferein inner-<br />

halb <strong>der</strong> gleichen Altersgruppe, welche - bedingt<br />

durch ein sensibleres Anzeigeverhalten - zusätzlich<br />

in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> treten.<br />

Obwohl die Kriminalitätsrate bei jungen Menschen<br />

also recht hoch ist, darf sie nicht ohne die eben<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

genannten Bedingungen betrachtet werden. Die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> registrierten Jugendkriminalität<br />

wird in <strong>der</strong> Literatur nicht als beson<strong>der</strong>s auffällig<br />

angesehen. Demnach gäbe es kein Horrorszenario,<br />

wenn genau dies uns nicht durch Medien oftmals<br />

suggeriert werden würde. Nichts desto trotz gibt<br />

es eine kleine Gruppe von jungen MehrfachtäterInnen<br />

(5 - 10 % pro Geburtsjahr), die einen<br />

überproportionalen Anteil an Delikten verüben<br />

(50 - 65 %).<br />

Interessant erscheint es mir, noch einmal einen<br />

Blick auf die Rückfallstatistik zu werfen. Mehr als<br />

die Hälfte aller Jugendlichen, die strafrechtlich<br />

sanktioniert werden, werden rückfällig. Auffällig<br />

ist die Rückfälligkeitsrate bei <strong>der</strong> Jugendstrafe<br />

ohne Bewährung mit 'stolzen' 77,8 % (Spiess<br />

2004). Das Vollzugsziel 'künftiges Legalverhalten'<br />

wird somit nur in seltenen Fällen erreicht. Auch<br />

die Rückfallquote beim Jugendarrest ist mit<br />

70,0 % relativ hoch. Bei ambulanten Sanktionen,<br />

wie z. B. Geldstrafen o<strong>der</strong> sozialen Trainingskursen<br />

gibt es hingegen eine mit 33,4 % auffällig<br />

niedrige Rückfallquote. Diese Daten belegen, dass<br />

weniger intensive <strong>und</strong> eingreifende Sank-tionen,<br />

den harten Strafen des Vollzugs vorzuziehen sind.<br />

Haftstrafen sollten wirklich nur als letzter Ausweg<br />

betrachtet werden – dann, wenn <strong>an<strong>der</strong>e</strong> erzieherische<br />

Maßnahmen nicht mehr greifen <strong>und</strong> die<br />

Gesellschaft durch schwere Verbrechen in Gefahr<br />

steht.<br />

Erziehung zur Gesellschafts ­<br />

fähigkeit o<strong>der</strong> Anpassung<br />

an die Lebenswelt 'Knast'?<br />

Ich stelle in Frage, ob das Ziel (Erziehung zu<br />

einem künftigen Legalverhalten) unter den aktuellen<br />

Vollzugsbedingungen erreicht werden kann<br />

... Wie kann durch einen Vollzug das 'korrigiert'<br />

werden, was unter Umständen im Leben des jungen<br />

Menschen über Jahre hinweg schiefgelaufen<br />

ist?<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_93<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

Nirgendwo sonst als im Jugendvollzug gibt es<br />

eine solche Zusammenballung von beson<strong>der</strong>s<br />

gefährdeten Jugendlichen. Auf engstem Raum<br />

herrscht eine hohe Konzentration von Gewalt.<br />

Jugendliche tauschen ihre Erfahrungen aus <strong>und</strong><br />

prahlen damit herum, statt sich mit ihrer Strafe<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Schuld auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Hier zählen<br />

Werte wie Männlichkeit, Stärke <strong>und</strong> Dominanz,<br />

im Gegensatz zu Einfühlungsvermögen o<strong>der</strong><br />

Mitleid. Der Einfluss dieser Subkultur ist mächtig.<br />

So entwickeln sich leicht eigene Gesetze,<br />

Werte <strong>und</strong> Verhaltensmuster unter den Gefangenengruppen.<br />

Weipert erkennt in diesem Zusammenhang<br />

den Affekt <strong>der</strong> sog. 'Prisonisierung'.<br />

Dies bedeutet, dass inhaftierte Jugendliche eher<br />

diese informellen Regeln lernen <strong>und</strong> sich an ihre<br />

neue Umwelt anpassen, statt hier zu lernen, sich<br />

in die Gesellschaft zu integrieren <strong>und</strong> legal zu<br />

leben.<br />

Ich möchte hier nicht alle inhaftierten Jugendlichen<br />

im Vollzug über einen Kamm scheren (immerhin<br />

gelingt es 22 % <strong>der</strong> Jugendlichen, nach<br />

einem Vollzug ein legales Leben zu führen). Mit<br />

Sicherheit kann ein Knast-Schock produktiv sein.<br />

Wahrscheinlich gibt es auch Jugendliche, die sich<br />

aus Einflüssen von verschiedenen Gefangenengruppen<br />

relativ gut heraushalten können <strong>und</strong> sich<br />

während ihrer Gefängniszeit schulisch o<strong>der</strong> beruflich<br />

weiterbilden, aber es gibt einfach eine Vielzahl<br />

von Bedingungen, die eine Resozialisierung nicht<br />

begünstigen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n!<br />

Praxisideen<br />

1. Texte <strong>und</strong> Gedichte<br />

In <strong>der</strong> Literatur <strong>und</strong> im Internet gibt es eine Fülle<br />

von biografischen Texten <strong>und</strong> Gedichten von inhaftierten<br />

Jugendlichen. Viele von ihnen eignen sich,<br />

um auf die ‚Lebenswelt Gefängnis‘ einzustimmen.<br />

So zum Beispiel die beiden folgenden Gedichte<br />

aus Nolle: „Wir sagen aus“ (2002).<br />

94_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Hab ich dazu gelernt? (Christian B.)<br />

Ganz oben o<strong>der</strong> ganz unten sein ist eine Antwort,<br />

keine Frage.<br />

Und doch hab ich versucht, zu än<strong>der</strong>n.<br />

Ich wollte es riskieren.<br />

Ich dachte, ich hätte nichts zu verlieren.<br />

Aber wie weit würde ich gehen, um ganz oben zu<br />

stehen?<br />

Zu weit, wie ich feststellen musste.<br />

Wie ein wildes Tier sperrte man <strong>mich</strong> ein.<br />

Jetzt bin ich hinter Gittern.<br />

Ich verfluche die ganze Welt.<br />

Vielleicht ein stiller Ruf <strong>der</strong> Einsamkeit.<br />

Gedankenspiele machen <strong>mich</strong> verrückt.<br />

Alles nur ein Augenblick <strong>der</strong> Ewigkeit.<br />

Die Jahre vergehen, mit läuft die Zeit davon.<br />

Wie es morgen wird, weiß ich heute schon.<br />

8 1 /2 Jahre (Michael Z.)<br />

Der Schmerz, <strong>der</strong> <strong>mich</strong> begleitet auf meinem langen<br />

Weg.<br />

Der nicht zu beschreiben ist, <strong>der</strong> an mir zerrt <strong>und</strong><br />

<strong>mich</strong> jeden Tag aufs neue beißt.<br />

Die unbeschreibliche Leere in mir, die <strong>mich</strong> wahnsinnig<br />

macht.<br />

Das Verlangen nach Dingen, die ich hier nicht<br />

bekomme.<br />

Der Entzug <strong>der</strong> Realität.<br />

Das ferngesteuerte Leben, das <strong>mich</strong> so anwi<strong>der</strong>t,<br />

keine eigenen Entscheidungen treffen zu<br />

können.<br />

Die kleinen Dinge,<br />

die je<strong>der</strong> als selbstverständlich ansieht, haben sie<br />

mir genommen.<br />

Sogar die Natur ist mir genommen worden.<br />

Nicht einmal im Regen darf ich laufen o<strong>der</strong> barfuss<br />

aus dem Hause gehen.<br />

Ich darf Leute, die mir wichtig sind, nur dann<br />

sehen, wenn es <strong>an<strong>der</strong>e</strong> erlauben.<br />

Ich bin 23 Jahre <strong>und</strong> darf kein Bier trinken.<br />

Was ist das <strong>für</strong> ein Leben?


2. Kontaktgruppen<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Jugendvollzugsanstalten bieten<br />

sich Möglichkeiten <strong>der</strong> „Knastarbeit“. Im Vollzug<br />

sind so genannte Knast-Kontakt o<strong>der</strong> -Besuchsgruppen<br />

- an<strong>der</strong>s als im erzieherischen Arrest<br />

- erlaubt. In <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt in Hameln/<br />

Tün<strong>der</strong>n besteht eine solche Knast-Kontaktgruppe<br />

zwischen Schulklassen <strong>und</strong> Häftlingen. Man trifft<br />

sich regelmäßig innerhalb <strong>der</strong> Anstalt zu Spielangeboten,<br />

Gesprächsr<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Aktivitäten.<br />

Auskünfte <strong>und</strong> Kontakt erteilt <strong>der</strong> Anstaltspastor<br />

Karsten Brüggemann unter <strong>der</strong> Telefonnummer<br />

05151 904631.<br />

Kontakte zu <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Jugendarrest- o<strong>der</strong> Strafanstalten<br />

bekommt man aber auch über das zuständige<br />

Amtsgericht o<strong>der</strong> über das Internet.<br />

3. Rollenspiele <strong>für</strong> eine Gerichtsverhandlung<br />

zur „Akte Felix“<br />

Fallbeispiel „Akte Felix“ (Übernommen aus: Nolle<br />

2002):<br />

Felix wächst gut behütet in einer Familie auf,<br />

zusammen mit seiner drei Jahre älteren Schwester<br />

Melanie. Eines Tages fährt die Mutter mit <strong>der</strong><br />

Schwester zum Erdbeerpflücken. Der dreijährige<br />

Felix möchte gerne mit, darf aber nicht, er wird<br />

statt dessen zu seiner Oma gebracht.<br />

Auf dem Weg verunglücken Mutter <strong>und</strong> Schwester<br />

tödlich. Aufgr<strong>und</strong> seines Berufes möchte <strong>der</strong><br />

Vater die erzieherische Verantwortung <strong>für</strong> seinen<br />

Sohn nicht weiter übernehmen. Er gibt ihn in eine<br />

Pflege familie.<br />

Der Pflegevater Werner K., 44 Jahre, ist freiberuflicher<br />

Versicherungsvertreter <strong>und</strong> verbringt seine<br />

Freizeit als aktives Mitglied im Männergesangs-<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

verein. Die Pflegemutter Gabi K., 43 Jahre, hat ein<br />

eigenes Dessousgeschäft. Aus <strong>der</strong> Ehe gingen<br />

zwei Kin<strong>der</strong> hervor, Moritz <strong>und</strong> Max. Als Felix in die<br />

Familie kommt, sind die Söhne 16 <strong>und</strong> 18 Jahre alt.<br />

Felix fühlt sich im Laufe <strong>der</strong> Jahre als Nutztier <strong>der</strong><br />

Familie, da er sehr viele Hausarbeiten erledigen<br />

muss. In <strong>der</strong> Schule war sein Lieblingsfach Geschichte.<br />

Und wenn er zu Hause etwas gelesen<br />

hat, dann waren es Geschichtsbücher. Felix hat<br />

zwar durch die Schule Fre<strong>und</strong>e gewonnen, darf sie<br />

aber nicht mit nach Hause bringen. Er hat wegen<br />

<strong>der</strong> vielen ihm auferlegten Hausarbeiten wenig<br />

Zeit <strong>für</strong> sie. Er fühlt sich ungerecht behandelt, weil<br />

Moritz <strong>und</strong> Max ihre Freizeit frei gestalten dürfen<br />

<strong>und</strong> keine Arbeiten im Haushalt erledigen müssen.<br />

Als Felix ca. 6 1 /2 Jahre ist, beginnt <strong>der</strong> Pflegevater<br />

ihn sexuell zu missbrauchen, immer dann, wenn er<br />

mit Felix alleine zu Hause ist. Felix ist noch sehr<br />

jung <strong>und</strong> versteht die sexuellen Übergriffe nicht als<br />

solche. Er weiß nicht, was da vor sich geht <strong>und</strong><br />

glaubt es sei normal. Der Pflegevater sagt ihm immer<br />

wie<strong>der</strong>, dass es ihr Geheimnis sei <strong>und</strong> wenn er <strong>der</strong><br />

Pflegemutter etwas sage, dann müsse er ins Heim.<br />

Kurz vor dem 13. Geburtstag kann Felix mit seinen<br />

Gefühlen nicht mehr umgehen, die sexuellen<br />

Übergriffe des Pflegevaters werden ihm als solche<br />

bewusst. Sein Schmerz wird so groß, dass er sein<br />

Zuhause verlässt. Zunächst wohnt er abwechselnd<br />

bei Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ab seinem 15. Lebensjahr ausschließlich<br />

auf <strong>der</strong> Strasse. Seinen Lebensunterhalt<br />

versucht er mit kleinen Straftaten zu decken.<br />

Sporadisch meldet er sich in all den Jahren immer<br />

mal wie<strong>der</strong> telefonisch bei seiner Pflegemutter,<br />

um ihr mitzuteilen, dass er noch lebt. Durch das<br />

Überlebenstraining auf <strong>der</strong> Strasse wurde er<br />

selbstbewusster <strong>und</strong> hat gelernt seine Interessen<br />

durchzusetzen.<br />

Mit 18 Jahren versucht er wie<strong>der</strong>, seine Mutter<br />

telefonisch zu erreichen <strong>und</strong> erfährt von seinem<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_95<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

Bru<strong>der</strong> Moritz, dass die Mutter wegen eines Unfalls<br />

im Krankenhaus liegt. Da er zu <strong>der</strong> Mutter<br />

immer guten Kontakt hatte <strong>und</strong> sie ihn immer sehr<br />

liebevoll behandelt hat, bekommt er Angst, sie<br />

nicht mehr sehen zu können <strong>und</strong> fährt nach Hause.<br />

Gemeinsam mit seinem Bru<strong>der</strong> Moritz besucht er<br />

die Mutter im Krankenhaus. Anschließend bittet<br />

ihn <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>, mit nach Hause zu kommen, damit<br />

er sich erholen kann <strong>und</strong> die Mutter noch einmal<br />

besuchen könne. Zu Hause angekommen, berichtet<br />

Felix seinem Bru<strong>der</strong> die Erlebnisse <strong>der</strong> vergangenen<br />

Jahre. Der Bru<strong>der</strong> beschließt Felix von<br />

<strong>der</strong> Straße zu holen <strong>und</strong> bietet ihm Übergangsweise<br />

ein Zimmer in seiner Wohnung an. Er verspricht<br />

ihm einen Ausbildungsplatz in seiner Computerfirma.<br />

Felix ist hoch erfreut über die plötzliche Nähe<br />

seines Bru<strong>der</strong>s. Er geht früh schlafen, da ihn die<br />

Eindrücke dieses Tages mitgenommen haben.<br />

Als <strong>der</strong> Pflegevater nach Hause kommt, teilt Moritz<br />

ihm mit, dass Felix die Mutter im Krankenhaus<br />

besucht hat <strong>und</strong> nun in seinem alten Zimmer<br />

schläft. Der Vater wartet bis Moritz im Bett ist <strong>und</strong><br />

geht dann zu Felix ins Zimmer. Er hebt die Bettdecke<br />

hoch <strong>und</strong> berührt Felix im Genitalbereich.<br />

Felix wacht auf, erkennt, was <strong>der</strong> Vater tut, ist<br />

völlig außer sich <strong>und</strong> spürt in Sek<strong>und</strong>en den erlittenen<br />

Schmerz des sexuellen Missbrauchs <strong>der</strong><br />

vergangenen Jahre. Felix rastet völlig aus, stößt<br />

den Vater weg <strong>und</strong> schlägt panisch auf ihn ein. Der<br />

Vater weicht zurück. Felix schlägt weiter zu <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Vater stürzt die Treppe hinunter, die gleich von<br />

<strong>der</strong> Zimmertür von Felix ins Erdgeschoss führt.<br />

Moritz stürzt aus seinem Zimmer, weil er den Lärm<br />

gehört hat, sieht den Vater untern an <strong>der</strong> Treppe<br />

liegen <strong>und</strong> alarmiert sofort den Notarzt. Dieser<br />

stellt den Tod des Vaters durch Genickbruch fest.<br />

Urteilsspruch beim Landgericht:<br />

Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten<br />

des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des<br />

96_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Angeklagten werden <strong>der</strong> Staatskasse auferlegt.<br />

Mit Anklage vom 24.09.2001 hat die Staatsanwaltschaft<br />

Frankfurt dem Angeklagten vorgeworfen,<br />

seinen Pflegevater <strong>der</strong>art körperlich misshandelt<br />

<strong>und</strong> an <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit geschädigt zu haben, dass<br />

er in Folge <strong>der</strong> Verletzung zu Tode kam.<br />

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass <strong>der</strong> Angeklagte<br />

zwar den objektiven Tatbestand <strong>der</strong><br />

Körperverletzung mit Todesfolge verwirklicht hat,<br />

es stand ihm jedoch zum einen das Notwehrrecht<br />

des § 32 StGB zur Seite, da er mit <strong>der</strong> Tathandlung<br />

zunächst einen gegenwärtigen rechtswidrigen<br />

Angriff des Geschädigten auf seine sexuelle<br />

Selbstbestimmung abgewehrt hat, soweit <strong>der</strong> Angeklagte<br />

die erfor<strong>der</strong>liche Notwehrhaltung überschritten<br />

<strong>und</strong> die Körperverletzung fortgesetzt hat,<br />

war er gemäß § 33 StGB nicht zu bestrafen, da <strong>der</strong><br />

Angeklagte diesen Tatteil im Zustand <strong>der</strong> Verwirrung<br />

begangen hat.<br />

Der Angeklagte war mit <strong>der</strong> Kostenfolge nach<br />

§ 459 StPO zu Lasten <strong>der</strong> Staatskasse freizusprechen.<br />

Zur Handlung:<br />

Dieses Fallbeispiel schil<strong>der</strong>t die Lebensgeschichte<br />

von Felix bis zu dem Punkt, an dem durch sein<br />

Agieren ein Mensch ums Leben kommt. Die Geschichte<br />

hilft, um zu verstehen, dass es sich bei<br />

jugendlichen StraftäterInnen eben nicht einfach<br />

nur um Kriminelle handelt, son<strong>der</strong>n jede/r Jugendliche<br />

seine/ihre eigene Vergangenheit, seine/ihre<br />

ganz individuelle Familien- <strong>und</strong> Lebensgeschichte<br />

hat. Laut <strong>der</strong> Quelle dieser Geschichte ist dieser<br />

Fall real geschehen, alle Namen <strong>und</strong> örtlichen Angaben<br />

sind aber selbstverständlich fiktiv.<br />

Mögliche Perspektiven <strong>und</strong> Fragestellungen zum<br />

Fallbeispiel:<br />

• Jede/r jugendliche Straftäter/in hat seine/ihre<br />

eigene, individuelle Geschichte – egal, wie die<br />

Gerichtsverhandlung ausgeht.


• Was ist Gerechtigkeit?<br />

• Ist es gerecht, dass Felix auf die Straße „musste“?<br />

• Wer hat Schuld an dem sexuellen Missbrauch?<br />

Die Familie – weil die Mutter nichts mitbekommen<br />

hat?<br />

Das Jugendamt – weil sie die Pflegefamilie <strong>für</strong> Felix<br />

ausgesucht hat?<br />

Felix leiblicher Vater – weil er sich davor „drückte“,<br />

<strong>für</strong> seinen eigenen Sohn Verantwortung zu übernehmen?<br />

• Rechtfertigt <strong>der</strong> sexuelle Missbrauch an Felix<br />

eine solche Tat?<br />

• Felix hat einen Menschen umgebracht. Selbstjustiz?<br />

• Je<strong>der</strong> hat eine zweite Chance verdient?! (Der Vater<br />

hat keine Möglichkeit mehr dazu, er ist tot.)<br />

Variante 1:<br />

Felix wird vor Gericht gebracht. Die Klasse/Gruppe<br />

soll sich als RichterInnen versuchen <strong>und</strong> durch<br />

Diskussion ein einstimmiges Urteil fällen.<br />

Variante 2:<br />

Das Fallbeispiel wird als Sachlage zu einer Gerichtsverhandlung<br />

genutzt. Diese soll als Rollenspiel<br />

mit verteilten Rollen nachgespielt werden.<br />

Hilfreich wäre es sicherlich, wenn die Klasse/Gruppe<br />

schon Informationen zum (Jugend-)Justizsystem<br />

hat <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> schon einmal eine Gerichtsverhandlung<br />

„live“ miterlebt hat. Mögliche Rollen: Richter/in,<br />

Staatsanwalt/wältin, Rechtsanwalt/wältin,<br />

Angeklagter Felix, Gutachten von Expert/innen<br />

(z. B. Psychologe/in: Auswirkungen von sexuellen<br />

Missbrauch auf den Menschen), Notarzt/ärztin,<br />

(mehrere) Schöff/innen (?), Zeug/innen (Moritz,<br />

Max, Mutter).<br />

Wer von euch ohne Sünde<br />

ist, <strong>der</strong> werfe den ersten Stein<br />

(Joh 7,53 – 8,11)<br />

Schriftgelehrte <strong>und</strong> Pharisäer brachten einmal<br />

eine Frau zu Jesus, sie wurde beim Ehebruch erwi-<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

scht, was nach dem Mose-Gesetz die Steinigung<br />

zur Folge hatte. Sie wollen Jesus damit eine Falle<br />

stellen, denn sollte Jesus nein zur Todesstrafe<br />

sagen, würde er sich damit gegen das Gesetz des<br />

Mose stellen <strong>und</strong> könnte öffentlich angeklagt werden.<br />

Würde er ja sagen, würde er seine eigenen<br />

proklamierten Ziele <strong>der</strong> Rettung des Menschen<br />

verleugnen. Jesus sagte erst einmal gar nichts,<br />

denn er ahnte die Falle <strong>der</strong> Schriftgelehrten. Nach<br />

weiterem Drängen schließlich, antwortete er mit<br />

dem Satz: „Wer von euch ohne Sünde ist, <strong>der</strong> werfe<br />

den ersten Stein“. Daraufhin schwiegen die Pharisäer<br />

<strong>und</strong> Schriftgelehrten <strong>und</strong> verließen betreten<br />

einer nach dem <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n den Schauplatz. Damit<br />

gestanden sie unausgesprochen ihre Schuld ein,<br />

auch sie waren nicht völlig frei von Sünde. Keiner<br />

warf den ersten Stein, die Frau wurde nicht gesteinigt.<br />

Jesus konnte sich aus <strong>der</strong> ihm gestellten Falle<br />

befreien, ohne die Frau schuldfrei zu sprechen. Er<br />

sagte zu ihr: „Sündige von nun an nicht mehr“ <strong>und</strong><br />

entließ sie in ein selbstverantwortliches <strong>und</strong> freies<br />

Leben.<br />

In dieser biblischen Geschichte legt Jesus die<br />

wirkliche Situation eines jeden Menschen offen:<br />

Niemand ist wirklich unschuldig, je<strong>der</strong> müsste im<br />

Gericht Gottes verurteilt werden. An vielen Stellen<br />

<strong>der</strong> Bibel wendet sich Jesus den Sün<strong>der</strong>n zu <strong>und</strong><br />

versucht damit, <strong>der</strong>en gesellschaftlicher Missachtung<br />

entgegen zu wirken.<br />

Je<strong>der</strong> Mensch sündigt o<strong>der</strong> hat gesündigt, außer<br />

Jesus. Durch die Gnade Gottes, behält aber jede/r<br />

Sündiger/in die Fähigkeit, die Sünde zu erkennen,<br />

Reue zu empfinden, um so schließlich Vergebung<br />

erfahren zu können.<br />

Was bedeutet das <strong>für</strong> unser Thema?<br />

Jede/r Straftäter/in muss mit ihrer/seiner verwirklichten<br />

Schuld umgehen können <strong>und</strong> damit lernen<br />

zu leben. Da<strong>für</strong> muss sie allerdings erst einmal<br />

wahrgenommen werden. So hat die christliche<br />

Seelsorge StraftäterInnen, Menschen darin zu<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_97<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

letzter Ausweg Jugendknast!?<br />

unterstützen, ihre Schuld als Würde <strong>und</strong> Bürde<br />

wahr- <strong>und</strong> anzunehmen <strong>und</strong> sich darüber klar zu<br />

werden, ob sie Vergeltung erbitten bzw. gewähren<br />

wollen (Evers 2005, S. 92). Christliche Seelsorge<br />

ist somit ein sinnvoller Beitrag zur Resozialisierung.<br />

Es muss ein geschützter Raum geschaffen<br />

werden, in dem sich mit <strong>der</strong> eigenen Schuld auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />

werden kann, denn so kann eine<br />

wirkliche Umkehr in Tat <strong>und</strong> Lebensein-stellung<br />

ermöglicht werden – eine nächste Chance nutzbar<br />

gemacht werden.<br />

Immer schlimmer = immer<br />

härter!?<br />

In den politischen Instanzen wird immer wie<strong>der</strong><br />

laut diskutiert, ob nicht angesichts <strong>der</strong> steigenden<br />

Kriminalitätsrate von Jugendlichen eine härtere<br />

Gangart im Bereich des Jugendkriminalrechts<br />

eingeschlagen werden müsste. Hierzu sage ich:<br />

Nein! Angesichts <strong>der</strong> Rückfallrate <strong>und</strong> <strong>der</strong> intensiven<br />

lebenseinschränkenden Eingriffe in das<br />

Leben eines jungen Menschen müssten meiner<br />

Meinung nach eher noch die ambulanten Maßnahmen<br />

<strong>und</strong> Sanktionen ausgebaut werden. Einer<br />

Jugendhilfe-Politik, die sich auf Sparzwänge beruft,<br />

muss sich klar machen, dass auch Haftplätze<br />

teuer sind, ein Hafttag kostet ca. 100 3 (Weipert<br />

2003, S. 104).<br />

Wir müssen uns überlegen an welchen Stellen wir<br />

kriminelle Jugendliche 'zur Umkehr' bewegen wollen.<br />

Erst im Vollzug, wenn vermutlich schon viele<br />

Handlungsabläufe festgefahren sind? Es gibt sie<br />

ja, die präventiven Maßnahmen, an vielen Stellen<br />

funktioniert <strong>und</strong> fruchtet die Arbeit, aber bitte ein<br />

bisschen mehr davon – anstatt hilflos die Gewaltsituation<br />

zu beklagen.<br />

Literatur<br />

• Evers, Ralf/Kleinert, Ulfried (Hrsg.): Wenn keiner<br />

den ersten Stein wirft – mit Schuld <strong>und</strong> Vergebung<br />

98_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

leben. Anstöße <strong>und</strong> Analysen aus Recht, Psychologie<br />

<strong>und</strong> Theologie. Leipzig 2005.<br />

• Nolle, Reinhard (Hrsg.): Wir sagen aus. Biografische<br />

Geschichten <strong>und</strong> Gedichte jugendlicher<br />

Gefangener. Kassel 2002.<br />

• Schimmel, Kerstin (Hrsg.): „So was macht doch<br />

je<strong>der</strong> mal...“. Jugend <strong>und</strong> Kriminalität. Dokumentation<br />

einer Tagung <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Akademie Meißen. Frankfurt/Main 2000.<br />

• Spiess, Gerhard: Jugendkriminalität in Deutschland.<br />

Kriminalstatistische <strong>und</strong> kriminologische<br />

Bef<strong>und</strong>e. Münster 2004.<br />

Link: http://www.uni-konstanz.de/rtf/gs/G.<br />

Spiess-Jugendkriminalitaet.pdf<br />

Letzter Zugriff: 08.08.2007<br />

• Weipert, Thomas: Lebenswelt Gefängnis. Einblick<br />

in den Jugendstrafvollzug mit Berichten<br />

junger Gefangener. Herbolzheim 2003.<br />

Tanja von Rüsten


›› Deutsch-indische<br />

Jugendbegegnung<br />

in Tamil Nadu/Kerala


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Das Vorbereitungsmarathon ­<br />

gespannte Erwartungen!<br />

Die Entscheidung <strong>der</strong> Evangelischen Jugend <strong>der</strong><br />

Propstei Seesen, in den Sommerferien nicht nach<br />

Frankreich o<strong>der</strong> Italien zu fahren, son<strong>der</strong>n sich <strong>für</strong><br />

Indien zu entscheiden, reifte ein Jahr vor Antritt<br />

<strong>der</strong> Reise. „Indien ist aber nicht Mallorca“, stellte<br />

die 13-köpfige Vorbereitungsgruppe fest, denn es<br />

galt nicht nur den Flug <strong>und</strong> das Hotel zu buchen.<br />

Das Ziel war nicht nur, Indien als Land kennen zu<br />

lernen, son<strong>der</strong>n vor allem, mit indischen Jugendlichen<br />

gemeinsam die Zeit zu verbringen.<br />

Wie so oft stellte sich bei <strong>der</strong> Vorbereitung heraus,<br />

dass es an Geld fehlte. Die sieben weiblichen<br />

<strong>und</strong> sechs männlichen Mitarbeitenden nutzten<br />

die vorweihnachtliche Zeit, verkauften auf dem<br />

Weihnachtsmarkt in Seesen Waffeln, Kakao <strong>und</strong><br />

indischen Tee, um zum ersten Mal auf sich <strong>und</strong> ihr<br />

Anliegen aufmerksam zu machen.<br />

Im Februar begann dann das Vorbereitungsmarathon<br />

<strong>für</strong> diese außergewöhnliche Reise (in<br />

Deutschland herrschten noch eisige Temperaturen).<br />

Beim ersten Vorbereitungswochenende<br />

in Dransfeld bei Göttingen lernte sich die Gruppe<br />

näher kennen. Auftrag <strong>für</strong> alle Teilnehmenden war,<br />

über ein bestimmtes „indisches Thema“ zu referieren,<br />

über das sich jede/r im Vorfeld zu informieren<br />

hatte. So informierten „die Seesener“ sich gegenseitig<br />

über das Land, die Bevölkerungszahlen <strong>und</strong><br />

die indische Kultur <strong>und</strong> Lebensweise.<br />

Pragmatisch wie Evangelische Jugend ist, wurde<br />

aber auch über die benötigten Impfungen Auskunft<br />

gegeben. Bei vielen Schutzimpfungen ist <strong>der</strong><br />

Vorteil des Impfschutzes durch die diese Impfung<br />

begleitenden Nebenwirkungen geschwächt, so<br />

dass sich jede/r Gedanken machen musste, ob er<br />

sich <strong>für</strong> drei Wochen Indien einer Tollwutimpfung<br />

o<strong>der</strong> einer Malaria-Vorsorge unterzieht (egal, wie<br />

100_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

sich die/<strong>der</strong> Einzelne entschieden hat, alle sind<br />

ges<strong>und</strong> heimgekehrt).<br />

Einige Fakten:<br />

Republik Indien (IND); Bharatiya Ganaraiya (Hindi;<br />

Republik of India (Englisch)I<br />

Fläche: 3.287.365 km 2 , davon sind 78.114 km 2 mit<br />

Pakistan umstritten<br />

Einwohner: (2005) 1.080.264.388<br />

Bevölkerungsdichte: 328 pro km 2<br />

Hauptstadt: New Delhi (2005: 14 Mio. Einwohner)<br />

Amtssprachen: Hindi sowie 17 weitere offizielle<br />

Sprachen<br />

BSP/Einsw.: (2004) 640 $ Währung: 1 Indische<br />

Rupie (NR) = 100 Paise<br />

Land<br />

Lage: Südasien, angrenzend an das Arabische<br />

Meer <strong>und</strong> die Bucht von Bengalen, zwischen Pakistan<br />

im Westen <strong>und</strong> Bangladesch <strong>und</strong> Myanmar im<br />

Osten, Nordgrenzen im Himalaja mit Bhutan, China<br />

<strong>und</strong> Nepal<br />

Nachbarstaaten (Länge <strong>der</strong> gemeinsamen Grenze):<br />

Pakistan (2.912 km), China (3.380 km), Nepal<br />

(1.690 km), Bhutan (605 km), Myanmar (1.463 km)<br />

Bangladesch (4.053 km)<br />

Weitere wichtige Städte (2005): Mumbai, ehemals<br />

Bombay (16,4 Mio.); Bangalore (5,8 Mio.); Hy<strong>der</strong>abad<br />

(5,5 Mio.); Ahmedabad (4,8 Mio.)<br />

Klima: gemäßigt im Norden bis zu tropischem<br />

Monsunklima im Süden.<br />

Bevölkerung<br />

Ethnien: In<strong>der</strong> <strong>und</strong> kleine Min<strong>der</strong>heiten von Tibetern,<br />

Chinesen <strong>und</strong> Europäern, etwa 300 indigene<br />

Völker (7 %)<br />

Sprachen: (1994) Etwa 24 Sprachen werden von<br />

mindestens einer Mio. Menschen gesprochen <strong>und</strong><br />

englisch ist weit verbreitete Verkehrssprache. U. a.<br />

Hindi (350 Mio. Sprecher), Telugu (72 Mio.), Bengali<br />

(68 Mio.), Marathi (66 Mio.), Tamil (59 Mio.),<br />

Urdu (47 Mio.), Gujarati (44 Mi.), Kannada (36<br />

Mio.), Malayalam (34 Mio.), Oriya (30 Mio.).


Daneben zahlreiche weitere Sprachen <strong>und</strong> Dialekte.<br />

Religion: (2001) Hindus 80,5 %, Muslime 13,4 %,<br />

Christen 2,3 %, Sikhs 19,9 %, sowie Buddhisten,<br />

Jains, Parsen <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>.<br />

Altersstruktur: (2001) unter 15 Jahren 31,2 %, 15 –<br />

64 Jahre 63,9 %, 65 Jahre <strong>und</strong> mehr 4,9 .<br />

Bevölkerungswachstum (jährlich): 1,4 % (2004,<br />

Weltbank)<br />

Geschlechterverhältnis: (2001) 933 Frauen / 1000<br />

Männer<br />

Lebenserwartung: (2003) 63,4 Jahre<br />

Verstädterungsquote: (2004) 28 %<br />

Staat <strong>und</strong> Politik<br />

Staatsform: Parlamentarische B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Staatsoberhaupt: A.P.J. Abdul KALAM (seit 25. Juli<br />

2002)<br />

Regierungschef: Dr. Mammohan SINGH (seit 22.<br />

Mai 2004)<br />

Parlament: Unionsparlament (Parlament) mit zwei<br />

Kammern<br />

Verwaltung: 28 Unionsstaaten sowie sechs zentral<br />

verwaltete Unionsterritorien <strong>und</strong> die Unionshauptstadt<br />

New Delhi mit Son<strong>der</strong>status<br />

Unabhängigkeit: 15. August 1947<br />

Nationalfeiertag: 26. Januar (Tag <strong>der</strong> Republik –<br />

Inkrafttreten <strong>der</strong> Verfassung 1950)<br />

Wirtschaft<br />

BSP: (2004) 691 Mrd. $<br />

Wachstum des BSP (jährlich): 6,9 % GDP (2004,<br />

Weltbank)<br />

Zusammensetzung des PSP nach Sektoren: (2004)<br />

Dienstleistung <strong>und</strong> öffentlicher Dienst 51,8 %, Industrie<br />

27,0 %, Landwirtschaft 21,2 %, Produktion<br />

16,1 %<br />

Tätigkeit in Erwerbsbranchen: (1999) Landwirtschaft<br />

60 %, Industrie 17 %, Dienstleistung 23 %<br />

Die Vorbereitungstage wurden auch dazu genutzt,<br />

eine Übersicht über die erfor<strong>der</strong>lichen Finanzen zu<br />

bekommen <strong>und</strong> es wurde schnell deutlich, dass<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

noch einige Spenden gebraucht wurden, um das<br />

Vorhaben umzuzusetzen. Auf <strong>der</strong> Suche nach weiteren<br />

Einnahmequellen (da <strong>der</strong> Gewinn <strong>der</strong> Weihnachtsmarktaktion<br />

lediglich <strong>für</strong> ein Mittagessen<br />

gereicht hätte), bewarb sich das Team anschließend<br />

bei Quizsendungen, die einen hohen Gewinn<br />

in Aussicht stellten, verkauften allerhand Aussortiertes<br />

bei ‚ebay‘, boten einen Zeltverleih- <strong>und</strong><br />

Zeltaufbauservice an <strong>und</strong> planten den ‚Indientag‘<br />

mit einer Sponsorenrallye.<br />

Es verging die Zeit bis zum Mai mit Hoffen auf<br />

eine Zusage <strong>der</strong> Stiftungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Quizsendung,<br />

mit einigen Zeltaufbaueinsätzen <strong>und</strong> Impfungen.<br />

Im Mai stand dann das zweite Vorbereitungswochenende<br />

an, diesmal in Rhüden am Harz. Es<br />

gab nochmals Referate „r<strong>und</strong> um Indien“. Aber<br />

viel wichtiger: Es kam Besuch vom Indienbeauftragten<br />

des Evangelisch-lutherischen Missionswerkes<br />

„Manhoran“, <strong>der</strong> das Team bei <strong>der</strong> Arbeit<br />

unterstützte <strong>und</strong> in Indien die Jugendbegegnung<br />

organisierte. Er bereitete die Gruppe auf einen<br />

Kulturschock vor <strong>und</strong> gab einen Einblick in die indische<br />

Welt. Die Packliste wurde besprochen <strong>und</strong><br />

dann ging es in die heiße Phase <strong>der</strong> Vorbereitung,<br />

denn <strong>der</strong> Indientag im Juli rückte immer näher.<br />

Nun galt es, einen Gottesdienst, indisches Essen,<br />

eine Tombola <strong>und</strong> die Sponsorenrallye vorzubereiten.<br />

Um dies alles zu bewältigen ging es erst mal<br />

auf die Suche nach freiwilligen Helferinnen <strong>und</strong><br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_101<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Helfern innerhalb <strong>der</strong> Evangelischen Jugend. Auch<br />

diese Herausfor<strong>der</strong>ung wurde gemeistert, sodass<br />

nur noch Preise <strong>für</strong> die Tombola, ein vorbereiteter<br />

Gottesdienst <strong>und</strong> Sponsoren fehlten. <strong>Für</strong> die<br />

Tombola wurden b<strong>und</strong>esweit Firmen angeschrieben,<br />

von denen viele auch Werbegeschenke o<strong>der</strong><br />

Sachpreise <strong>für</strong> die Tombola schickten - so viele,<br />

dass die Tombola in Seesen eine <strong>der</strong> wenigen war,<br />

bei <strong>der</strong> es keine Nieten gab. Und auch <strong>der</strong> Gottesdienst<br />

war pünktlich zum Indientag vorbereitet,<br />

immerhin war in den Reihen <strong>der</strong> Indienreisenden<br />

<strong>der</strong> Propsteijugendpfarrer, <strong>der</strong> hier seine vielfältigen<br />

Talente einsetzen konnte.<br />

<strong>Für</strong> das Herzstück des Indientages, die Sponsorenrallye,<br />

war die Vorbereitung etwas intensiver.<br />

Die Fahrradfahrerinnen <strong>und</strong> -fahrer sollten einen<br />

Parcours um die Seesener St.Andreas Kirche<br />

abstrampeln, um <strong>für</strong> jeden gefahrenen Kilometer<br />

einen bestimmten Betrag von ihren Sponsoren<br />

zu bekommen. Die zeitaufwändige Suche nach<br />

FahrerInnen <strong>und</strong> Sponsoren begann. Innerhalb<br />

<strong>der</strong> Familien <strong>der</strong> Teammitglie<strong>der</strong> war es vielleicht<br />

noch einfach, Sponsoren zu finden, aber bei Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Bekannten wurde es schon etwas<br />

schwieriger. „Klinken wurden geputzt“ <strong>und</strong> es wurde<br />

immer wie<strong>der</strong> aufs Neue „das Vorhaben Indien“<br />

erklärt. Bis zum Indientag hatte sich dann aber<br />

eine respektable Anzahl an För<strong>der</strong>nden gef<strong>und</strong>en,<br />

nicht zuletzt, weil manche Fahrerinnen <strong>und</strong> Fahrer<br />

ihre gesamten Verwandten b<strong>und</strong>esweit um Mithilfe<br />

gebeten hatten. Der Indientag wurde ein voller<br />

Erfolg <strong>und</strong> r<strong>und</strong> 4.400 Euro <strong>für</strong> das Projekt ‚Unterstützung<br />

eines Kin<strong>der</strong>heimes‘ wurden „zusammengeradelt“.<br />

Die Reise konnte also beginnen.<br />

Einblicke <strong>der</strong> Jugendlichen in<br />

das gelebte Christentum in<br />

Tamil Nadu<br />

Auf <strong>der</strong> Studienfahrt durch die südindischen B<strong>und</strong>esstaaten<br />

Tamil Nadu <strong>und</strong> Kerale hat das Team<br />

102_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

in erster Linie Christen kennen gelernt, die <strong>der</strong><br />

Evangelisch Lutherischen Kirche (T.E.L.C.) angehören.<br />

Neben den Lutheranerinnen/Lutheranern<br />

sind aber auch Katholikinnen/Katholiken <strong>und</strong><br />

weitere evangelische Strömungen in Südindien zu<br />

finden. Christen bilden an <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung<br />

Indiens gemessen einen verschwindend geringen<br />

Anteil von 2,3 %. Der Großteil <strong>der</strong> indischen Bevölkerung,<br />

nämlich 83 %, gehört dem Hinduismus<br />

an, 12 % sind Moslems (hier sind die drei größten<br />

Religionen genannt, die übrigen gehören kleinen<br />

Gruppen an). Im B<strong>und</strong>esstaat Kerala sieht die Verteilung<br />

etwas an<strong>der</strong>s aus. Dort gibt es eine starke<br />

Gruppe <strong>der</strong> so genannten Thomaschristen, sodass<br />

das Verhältnis zwischen Moslems <strong>und</strong> Christen<br />

ausgeglichen bei jeweils 20 % liegt, wobei die<br />

Hindus nur noch 60 % <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung<br />

Keralas ausmachen.<br />

Im B<strong>und</strong>esstaat Tamil Nadu mit seinen ca. 56 Millionen<br />

Einwohnern ist die T.E.L.C. mit ca. 100.000<br />

Mitglie<strong>der</strong>n eine sehr kleine Kirche. Die meisten<br />

Mitglie<strong>der</strong> sind kastenlose LandbewohnerInnen<br />

<strong>und</strong> teilen sich in 521 Gemeinden mit 116 Pastoren<br />

in 100 Pastorate auf. Die Gemeinden sind nach<br />

ihrer Finanzstärke in A, B, C <strong>und</strong> D eingeteilt. A<br />

heißt „finanziell unabhängig“, d. h., hier handelt<br />

es sich um reichere Gemeinden. Die D-Gemeinden<br />

benötigen hingegen finanzielle Unterstützung. A-<br />

Gemeinden finden sich vor allem in den Städten.


In <strong>der</strong> kleinen Kirche von Tranquebar, wo die Jugend-<br />

begegnung stattfand, war überraschen<strong>der</strong>weise<br />

ein Text auf Deutsch über dem Altar geschrieben.<br />

Diese Kirche wurde von dem (in Deutschland weitestgehend<br />

unbekannten) deutschen Missionar<br />

Bartholomäus Ziegenbalg aus Pulsnitz gegründet.<br />

Er missionierte in Tamil Nadu <strong>für</strong> Dänemark, da<br />

Deutschland zu dieser Zeit noch nicht an Mission<br />

interessiert war. Im Jahre 1706 kam er nach Tran-<br />

quebar <strong>und</strong> gründete dort zunächst eine Schule<br />

<strong>und</strong> versorgte die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln,<br />

bevor er begann, das Evangelium zu verkünden.<br />

Durch sein soziales Engagement schuf er eine Basis,<br />

auf <strong>der</strong> die Verkündigung Früchte tragen konnte.<br />

Da Ziegenbalg ebenfalls die deutsche Bibel in die<br />

dortige Sprache Tamil übersetzte, steht er in Indien<br />

auf einer Stufe mit Luther. Darüber hinaus brachte<br />

er durch zahlreiche Aufsätze die Tamikultur auch<br />

nach Deutschland. Zu seinen Lebzeiten interessierte<br />

sich noch niemand <strong>für</strong> dieses „heidnische Volk“,<br />

erst im 19. Jh. fanden seine Arbeiten über die Kultur<br />

seines Missionsortes in Deutschland Anerkennung.<br />

In <strong>der</strong> Tamilkirche wird Ziegenbalg auf Gr<strong>und</strong><br />

seiner herausragenden Leistungen sehr verehrt.<br />

Dieses Jahr hatte er 300-jähriges Jubiläum, sodass<br />

überall große Plakate <strong>und</strong> in Tranquebar eine lebensgroße<br />

Statue von ihm zu finden waren.<br />

Die Kirche wird vom Bischof geleitet, <strong>der</strong> zusammen<br />

mit drei Pastoren <strong>und</strong> fünf Laien den Kirchenrat<br />

bildet, vergleichbar mit <strong>der</strong> Kirchenregierung<br />

<strong>der</strong> Evangelisch-lutherischen Landeskirche in<br />

Braunschweig. Die Synode als oberstes Entscheidungsgremium<br />

trifft sich nur alle drei Jahre.<br />

Gesetze zwischen den Jahren verabschiedet ein<br />

jährlich tagendes Synodalgremium, <strong>der</strong> SCC.<br />

Die Aufgaben dieser indischen Kirche glie<strong>der</strong>n<br />

sich nach bestimmten Sparten:<br />

Erziehung/Ausbildung: Zuständig da<strong>für</strong> ist das<br />

Schulbüro.<br />

Medizinische Einrichtungen: Dabei handelt es sich<br />

vor allem um Krankenhäuser.<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Arbeit/Industrie: Diese Sparte bietet jungen Menschen<br />

Ausbildungsmöglichkeiten.<br />

Jugendbüro: Hatte seinen Sitz in Madurai, wurde<br />

aber 2006 aufgelöst.<br />

Schwestern/Frauenarbeit: Hier kümmert man sich<br />

um die Stärkung <strong>der</strong> Frauenrolle <strong>und</strong> die Ausbildung<br />

von Diakonissen.<br />

Liegenschaftsbüro: Dieses Büro verwaltet Gr<strong>und</strong>stücke<br />

<strong>und</strong> Häuser.<br />

Entwicklungsbüro SEDB: Die Arbeit dieses Büros<br />

wollen wir mit den gesammelten Spendengel<strong>der</strong>n<br />

unterstützen, da die Mitarbeiter von <strong>der</strong><br />

Kirche kaum noch Geld zur Verfügung gestellt<br />

bekommen. Hier kümmert man sich um soziale<br />

Kleinprojekte wie Brunnenbohrungen o<strong>der</strong> AIDS-<br />

Aufklärungskampagnen.<br />

Über all diesen Sparten <strong>und</strong> in allen Gremien vertreten<br />

ist <strong>der</strong> Bischof, dadurch erhält er eine große<br />

Macht über die kirchliche Arbeit. Die Einflussnahme<br />

<strong>der</strong> Gesamtsynode hingegen ist relativ gering.<br />

Durch die lange Sitzungspause werden schnelle<br />

Entscheidungen verhin<strong>der</strong>t, Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong><br />

neue Gedanken können nur langsam verwirklicht<br />

werden.<br />

Im Jahre 1994 begann <strong>der</strong> Kirchenstreit über die<br />

Ausrichtung <strong>der</strong> Kirche <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Arbeit. Der<br />

damalige Bischof Johnson wollte eine mehr missionarische<br />

Kirche. Bei dem Versuch, dies zu<br />

verwirklichen, stellte sich vor allem das mächtige<br />

Schulbüro mit dem damaligen Generalsekretär<br />

<strong>der</strong> Kirche quer. Dieser Streit eskalierte <strong>und</strong> führte<br />

1995 zur Proklamation eines Gegenbischofs. Mehrere<br />

Jahre war die T.E.L.C. in <strong>der</strong> Krise, <strong>der</strong> Geldhahn<br />

<strong>der</strong> unterstützenden Missionsgesellschaften<br />

versiegte, sodass in Indien keine Gehälter gezahlt<br />

werden konnten. Erst durch eine langwierige Vermittlung<br />

konnte sich die T.E.L.C. 1998/99 wie<strong>der</strong><br />

aus <strong>der</strong> <strong>für</strong> sie misslichen Lage befreien. Ein neuer<br />

Bischof mit dem Namen Aruldos ist im Amt, <strong>der</strong><br />

die Leitungsgremien <strong>der</strong> Kirche mit seinen eigenen<br />

Leuten besetzte. Es entsteht <strong>der</strong> Eindruck, das die<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_103<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Kirchenleitung sich beim Voranbringen von Neuerungen<br />

selbst im Weg steht.<br />

Nach neuester Einschätzung des Evangelischlutherischen<br />

Missionswerkes findet hervorragende<br />

Arbeit in den Kirchengemeinden statt.<br />

Hinduismus<br />

Knapp über 82 % <strong>der</strong> Bevölkerung in Indien sind<br />

Hindus (820 Millionen). Nach dem Christentum <strong>und</strong><br />

dem Islam ist <strong>der</strong> Hinduismus die drittgrößte Welt-<br />

religion. Dabei handelt es sich bei dem aus dem<br />

Ausland stammenden Namen „Hinduismus“ mehr<br />

um eine Sammelbezeichnung <strong>für</strong> die Richtungen<br />

auf dem indischen Subkontinent, die nicht Muslime,<br />

Christen, Juden, Buddhisten o<strong>der</strong> Jainas waren.<br />

Das Wort „Hinduismus“ ist von <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

„Hindu“ abgeleitet, die im Mittelalter von den<br />

Muslimen zur Bezeichnung <strong>der</strong> im Gebiet des<br />

Flusses Sindu (Indus) lebenden Bevölkerung<br />

verwendet wurde. Daraus entstand letztendlich<br />

<strong>der</strong> Oberbegriff <strong>für</strong> alle auf dem indischen Subkontinent<br />

lebenden Völker. Der Hinduismus ist heute<br />

weltweit verbreitet. Doch trotz <strong>der</strong> Ausbreitung<br />

über die ganze Erde bleibt <strong>der</strong> Hinduismus untrennbar<br />

mit <strong>der</strong> Kultur Südasiens verknüpft, <strong>und</strong><br />

je<strong>der</strong> Versuch, die hinduistische Tradition zu verstehen,<br />

muss in Indien ansetzen.<br />

Geschichte<br />

Die Zivilisation des Industals wird als die früheste<br />

bekannte Zivilisation Indiens bezeichnet. Die<br />

Induskultur entwickelte sich ab ungefähr 2500 v.<br />

Chr. <strong>und</strong> erreichte ihren Höhepunkt gegen 2300 -<br />

2000 v. Chr.<br />

Etliche erhaltene Kunstzeugnisse lassen darauf<br />

schließen, dass die religiösen Praktiken ähnlich<br />

104_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

denjenigen waren, wie sie sich in den späteren<br />

südasiatischen Traditionen finden. So gibt es zum<br />

Beispiel Siegel mit einer Gestalt in einer Sitzhaltung,<br />

die man als Yoga-Haltung deuten könnte.<br />

Zwischen 2000 <strong>und</strong> 1500 v. Chr. setzte in <strong>der</strong> Bevöl-<br />

kerung Zentralasiens eine starke Migrationsbewegung<br />

ein. Zu dieser Bewegung zählten auch die<br />

„Arier“, die sich im heutigen Iran <strong>und</strong> im Norden<br />

Indiens nie<strong>der</strong>ließen <strong>und</strong> dort zur dominierenden<br />

Kraft wurden. Diese brachten neue Götter <strong>und</strong><br />

Kulte mit ins Land. Die frühesten religiösen Textschöpfungen<br />

in Indien sind indoeuropäische Sans-<br />

krit-Texte <strong>der</strong> Veden. Diese frühe vedische Religion<br />

kannte keine Tempel o<strong>der</strong> Götterbil<strong>der</strong>. Die Götter<br />

wurden durch Feueropfer angebetet, man bot Opfer-<br />

gaben des heiligen Safts Shoma, Thee (Butterschmalz),<br />

Milch, Brot <strong>und</strong> manchmal Fleisch <strong>der</strong><br />

Tiere dar. In <strong>der</strong> nächsten Entwicklungsstufe (ca.<br />

800 v. Chr.) erhielten die Brahmanen durch komplizierte<br />

Rituale einen hohen Grad an Einfluss. Eine<br />

Neuausrichtung beginnt in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Upanischaden<br />

(philosophische Schriften des Brahmanismus).<br />

Sie umfassen etwa 250 Schriften, die über mehrere<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte entstanden sind <strong>und</strong> Themen<br />

wie Wie<strong>der</strong>geburt, Yoga <strong>und</strong> Karma ansprechen.<br />

Als Gegenbewegung zu dem Vedismus <strong>und</strong> Brahmanismus<br />

setzten sich im 5. <strong>und</strong> 6. Jahrh<strong>und</strong>ert v.<br />

Chr. <strong>der</strong> Buddhismus sowie <strong>der</strong> Janismus ab.<br />

Die nächste Epoche wird „<strong>der</strong> klassische Hinduismus“<br />

genannt. Das Ende <strong>der</strong> Upanishadenzeit


wird oft als ein Einschnitt angesehen. Die Zeit<br />

davor wird in <strong>der</strong> Indologie gewöhnlich Brahmanismus<br />

genannt <strong>und</strong> Hinduismus bezeichnet dann<br />

ausschließlich die nachfolgende Zeit. Seit 500 v.<br />

Chr. erfuhr <strong>der</strong> Hinduismus wahrscheinlich seine<br />

bis heute überlieferte wesentliche Ausgestaltung.<br />

Die Sprache <strong>der</strong> Überlieferung war Sanskrit, eine<br />

indogermanische Sprache, verwandt mit den europäischen<br />

Sprachen. Als Hauptgötter galten nun<br />

Brahma, Vishnu <strong>und</strong> Shiva <strong>und</strong> es wurden Tempel<br />

gebaut, Götterstatuen aufgestellt <strong>und</strong> viele Kult-<br />

<strong>und</strong> Weihehandlungen entstanden. Das Ramayana<br />

<strong>und</strong> das Mahabharata sind umfangreiche <strong>und</strong> noch<br />

heute viel gelesene Dichtungen dieser Periode.<br />

Der wichtigste Teil des Mahabharata ist das Lehrgedicht<br />

Bhagavad Gita. In diese Zeit fällt auch<br />

die Ausformung einer Vielzahl von Glaubensrichtungen,<br />

die einzelne Götter speziell verehren<br />

(beispielsweise Shivaismus <strong>und</strong> Vishnuismus).<br />

Seit dem 4. Jh. v. Chr. verloren die hinduistischen<br />

Religionen durch den Buddhismus zwar Anhänger,<br />

sie gingen jedoch nie ganz unter <strong>und</strong> wurden erst<br />

im 4. Jh. von den damaligen Königen wie<strong>der</strong> bevorzugt.<br />

Seit dem 8. Jh. drangen immer wie<strong>der</strong> muslimische<br />

Eroberer nach Indien vor, vom 13. bis zum 18. Jh.<br />

regierten in Indien muslimische Herrscher. Ab<br />

Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts nahm <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong><br />

Briten immer mehr zu: 1857 wurde Indien britische<br />

Kronkolonie. Im neohinduistischen Rückblick<br />

erschienen die Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>der</strong> muslimischen<br />

Fremdherrschaft als Epoche <strong>der</strong> Stagnation. Zwar<br />

war es gelungen, vom 9. bis 13. Jh. den Buddhismus<br />

zurück zu drängen – schon im 10. Jh. war <strong>der</strong><br />

Hinduismus wie<strong>der</strong> zur vorherrschenden Religion<br />

des gesamten Subkontinents geworden. Unter<br />

muslimischer Herrschaft begann er jedoch, sich<br />

politisch zurück zu ziehen. Als Ausdruck dieser säkularen<br />

Ohnmacht kann gelten, dass die Zahl <strong>der</strong><br />

Sannyasin, <strong>der</strong> Weltentsager, immer größer wurde.<br />

Dennoch brachte die Zeit auch Neuerungen. Die<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Verbreitung des Islam etwa führte dazu, dass <strong>der</strong><br />

Hinduismus Schriftreligion wurde. Zwar blieb das<br />

Sanskrit als die „Sprache <strong>der</strong> Götter“ die Domäne<br />

<strong>der</strong> Brahmanen, aber ab dem 11. Jh. beginnt mit<br />

<strong>der</strong> Übersetzung <strong>und</strong> den Adaptionen <strong>der</strong> traditionellen<br />

Texte in so genannte Volkssprachen eine<br />

neue Epoche. In Punjab entstand in dieser Zeit <strong>der</strong><br />

Sikhismus.<br />

Durch den Kontakt mit <strong>der</strong> westlichen Welt – vor<br />

allem durch die britische Kolonisation ab Mitte<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem westlichen Denken – entstanden ab<br />

1800 mehrere Reformbewegungen, die unter <strong>der</strong><br />

Bezeichnung Neohinduismus zusammengefasst<br />

werden. Dieser interpretierte den Hinduismus im<br />

Licht <strong>der</strong> Ideen <strong>der</strong> europäischen Aufklärung, in<br />

<strong>der</strong> Begegnung mit dem Christentum <strong>und</strong> den mo<strong>der</strong>nen<br />

Wissenschaften <strong>und</strong> er stellte die „große“<br />

brahmanische, schriftliche <strong>und</strong> gelehrte Tradition<br />

in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />

Lehren:<br />

Der Hinduismus ist eine Religion, die aus verschiedenen<br />

Richtungen mit recht unterschiedlichen<br />

Schulen <strong>und</strong> Ansichten besteht. Es gibt kein gemeinsames<br />

<strong>für</strong> alle gleichermaßen gültiges Glaubensbekenntnis.<br />

Nur einzelne Richtungen gehen<br />

auf einen bestimmten Begrün<strong>der</strong> zurück. Da es<br />

sich beim Hinduismus um unterschiedliche religiöse<br />

Traditionen handelt, gibt es auch keine zentrale<br />

Institution, die Autorität <strong>für</strong> alle Hindus hätte.<br />

Die Lehren über spirituelle Belange <strong>und</strong> sogar die<br />

Gottesvorstellungen sind in den einzelnen Strömungen<br />

sehr verschieden, selbst die Ansichten<br />

über Leben, Tod <strong>und</strong> Erlösung stimmen nicht<br />

überein. Die meisten Gläubigen jedoch gehen<br />

davon aus, dass Leben <strong>und</strong> Tod einen sich ständig<br />

wie<strong>der</strong>holen<strong>der</strong> Kreislauf bilden, sie glauben an<br />

die Reinkarnation. <strong>Für</strong> den persönlichen Glauben<br />

haben religiöse Lehrer (Gurus) oft einen großen<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_105<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Stellenwert. Trotz aller Unterschiede können Hindus<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Richtungen weitgehend gemein-<br />

sam feiern <strong>und</strong> beten, wenn auch ihre Theologie<br />

<strong>und</strong> Philosophie nicht übereinstimmt. „Einheit in<br />

<strong>der</strong> Vielfalt“ ist eine oft verwendete Redewendung<br />

zur Selbstdefinition im mo<strong>der</strong>nen Hinduismus.<br />

Das Kastensystem:<br />

Die Zugehörigkeit zu einer Kaste hat <strong>für</strong> indische<br />

Hindus trotz Abschaffung des Kastensystems in<br />

<strong>der</strong> Verfassung weiterhin große soziale Relevanz.<br />

Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> Kastenordnung ist, dass die Lebe-<br />

106_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Brahmanen<br />

wesen von Geburt an nach Aufgaben, Rechten,<br />

Pflichten <strong>und</strong> Fähigkeiten streng voneinan<strong>der</strong> getrennt<br />

sind. <strong>Für</strong> die einzelnen Kasten (Varnas) gibt<br />

es unterschiedliche spezielle religiöse <strong>und</strong> kultische<br />

Vorschriften, die sich in allen Bereichen des<br />

Lebens äußern. Die Durchführung <strong>der</strong> Pflichten,<br />

die je<strong>der</strong> Kaste in ihrem spezifischen Lebensstadium<br />

obliegt, ist ihre unbedingte Pflicht (Dharma);<br />

Übertretungen werden als Versäumnis <strong>der</strong> Pflichten<br />

<strong>und</strong> folglich als schlecht angesehen. Was von<br />

jedem Menschen erwartet wurde, war, dass er den<br />

spezifischen Pflichten seiner Kaste folgte, seine<br />

Lebenswünsche befriedigte <strong>und</strong> die Freuden des<br />

Lebens genoss. Die Gesellschaft war in vier Kasten<br />

eingeteilt, <strong>der</strong>en Aufgaben folgende waren:<br />

Sie studierten die heiligen Schriften <strong>der</strong> Veden, erteilten geistliche Unterweisung <strong>und</strong> führten rituelle<br />

Opfer aus.<br />

Kshatriyas<br />

Die Kriegerkaste. Sie sollten die Schwachen schützen, als Könige gerecht<br />

regieren <strong>und</strong> den Brahmanen Schutz <strong>und</strong> Ermunterung bei ihren gelehrten<br />

<strong>und</strong> priesterlichen Arbeiten gewähren.<br />

Vaishyas<br />

Die Kaste <strong>der</strong> Händler <strong>und</strong> Hirten sollte den Reichtum<br />

des Landes durch Handel <strong>und</strong> Landwirtschaft vermehren.<br />

Shudras<br />

Die dienende Kaste<br />

Diese Einteilung <strong>der</strong> Menschenklassen wird mit<br />

dem Mythos von <strong>der</strong> Opferung des Urriesen Purusa<br />

begründet. Aus ihm seien demnach die vier<br />

varna bzw. Kasten entsprungen; aus dem M<strong>und</strong><br />

die Priester bzw. Brahmanen, aus <strong>der</strong> Schulter die<br />

Krieger bzw. Kshartriya, aus einem Schenkel die<br />

Händler bzw. Vaishya <strong>und</strong> schließlich aus <strong>der</strong> Fußsohle<br />

die Bediensteten bzw. Shudra.


Unterhalb <strong>der</strong> vier Hauptkasten sind die Dalits<br />

(früher als Unberührbare bezeichnet), die <strong>für</strong><br />

min<strong>der</strong>wertige Arbeiten wie Toilettenreinigung <strong>und</strong><br />

Straßenkehren zuständig sind. Um die Stellung<br />

<strong>der</strong> Dalits zu verbessern, hat die Regierung ihnen<br />

eine beträchtliche Anzahl von Arbeitsplätzen im<br />

öffentlichen Sektor vorbehalten.<br />

Obwohl das Kastenwesen im Hinduismus entstanden<br />

ist, wird es dort auch von <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Religionen<br />

praktiziert. So hat die Christianisierung das Kastenwesen<br />

nicht immer überw<strong>und</strong>en. Noch heute<br />

müssen in vielen Kirchen Indiens Angehörige <strong>der</strong><br />

unteren Kasten hinten sitzen. Die Wurzeln <strong>der</strong><br />

traditionellen Kastenordnung Indiens reichen zurück<br />

bis 1500 v. Chr., als die Nomadengruppen <strong>der</strong><br />

indogermanischen Sprachgruppe aus dem Norden<br />

nach Indien einwan<strong>der</strong>ten. 1949 wurde auf Mahatma<br />

Gandhis Drängen hin das Verbot des Kastenwesens<br />

aufgenommen. Durch Jahrtausende lange<br />

Handhabung wird dieses Verbot von <strong>der</strong> indischen<br />

Gesellschaft, vor allem in ländlichen Regionen,<br />

aber weitgehend ignoriert.<br />

Exkurs: Jainismus, Parsismus <strong>und</strong> Sikhismus<br />

Jainismus<br />

Der Jainismus mit seinen r<strong>und</strong> 3 Millionen Anhängern<br />

entstand gleichzeitig mit dem Buddhismus<br />

als eine Art Reformbewegung gegen die autoritären<br />

Strukturen des Brahmanismus. Begrün<strong>der</strong><br />

dieser Lehre war Jinas, wie <strong>der</strong> historische Buddha<br />

ein Prinz aus <strong>der</strong> Kaste <strong>der</strong> Kshatriyas.<br />

Vereinfacht gesagt, glauben die Jains nicht an<br />

Gott. Göttlichkeit wohnt vielmehr in je<strong>der</strong> Seele.<br />

Diese Religion, die keine Kasten kennt, wird durch<br />

Karma <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>geburt bestimmt. „Befreiung“<br />

wird durch rechten Glauben, rechte Erkenntnis<br />

<strong>und</strong> rechtes Verhalten erlangt. Dazu zählt in erster<br />

Linie die Achtung aller Lebewesen. Mönche<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

<strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> fromme Jains tragen deshalb einen<br />

M<strong>und</strong>schutz, <strong>der</strong> sie vor dem versehentlichen<br />

Verschlucken eines Insekts bewahren soll. Selbstverständlich<br />

sind alle frommen Jains strenge Vegetarier.<br />

Die Hochburgen <strong>der</strong> Jains liegen in Gujarat<br />

<strong>und</strong> Rajasthan.<br />

Parsismus<br />

Die Parsen stammen ursprünglich aus Persien. Sie<br />

stellen mit höchstens noch 80.000 Angehörigen<br />

eine <strong>für</strong> indische Verhältnisse sehr kleine, da<strong>für</strong><br />

aber sehr einflussreiche Gemeinschaft dar.<br />

Parsen folgen <strong>der</strong> Lehre Zarathustras: Ahura<br />

Mazda ist <strong>der</strong> einzige Gott, ewiger Kämpfer<br />

gegen das Böse. Alle Elemente sind den Parsen<br />

heilig <strong>und</strong> sie legen ihre Toten auf so genannten<br />

„Türmen des Schweigens“ den Geiern zum Fraß<br />

vor.<br />

In <strong>der</strong> indischen Wirtschaft spielen die Parsen eine<br />

entscheidende Rolle. Der Tata-Clan, zu dem Stahlwerke,<br />

Lastwagen-Fabriken <strong>und</strong> Hotels gehören,<br />

ist das größte Privatunternehmen im Lande. Fast<br />

alle Parsen leben in Bombay <strong>und</strong> sind in ihrem<br />

Lebensstil sehr westlich geprägt.<br />

Sikhismus<br />

Insbeson<strong>der</strong>e durch die Ermordung Indira Gandhis<br />

durch Sikhs ist diese Glaubensrichtung stark<br />

in Verruf geraten. Plötzlich galten Sikhs als beson<strong>der</strong>s<br />

gewalttätig. Dabei war die Religion<br />

entstanden, um hinduistische mit islamischen Auffassungen<br />

zu versöhnen. Ihr Grün<strong>der</strong> Guru Nanak<br />

setzte sich im 15. Jh. <strong>für</strong> mehr Toleranz zwischen<br />

dem monotheistischen Islam <strong>und</strong> dem poly- o<strong>der</strong><br />

pantheistischen (das Göttliche existiert in allen<br />

Dingen <strong>der</strong> Welt o<strong>der</strong> ist mit <strong>der</strong> Welt identisch)<br />

Glauben <strong>der</strong> Hindus ein.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_107<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Sikhs sind auch schon früh <strong>für</strong> die Besserstellung<br />

<strong>der</strong> Frau eingetreten. Obwohl nach Sikh-Glauben<br />

nur ein Gott existiert, werden noch viele Hindu-<br />

Gottheiten nebenher verehrt. Das Kastensystem<br />

wird weitgehend abgelehnt. Der Glaube an Wie<strong>der</strong>geburt<br />

ist auch im Sikhismus zu finden.<br />

Männliche Sikhs fallen überall in Indien auf, weil<br />

sie alle einen Bart <strong>und</strong> einen Turban tragen. Das<br />

ungeschorene Haar unter dem Turban zu einem<br />

Knoten geb<strong>und</strong>en, ist eines <strong>der</strong> fünf K-Regeln<br />

(neben einem Kamm, <strong>der</strong> im Haar steckt, kurze Hosen<br />

unter <strong>der</strong> üblichen Kleidung, ein Armreif, ein<br />

Dolch, <strong>der</strong> bei den meisten Sikhs nur als Emblem<br />

o<strong>der</strong> in Miniform vorhanden ist).<br />

Die Stellung <strong>der</strong> Frau in Indien<br />

Indien ist ein Land, das sich im Aufbruch in eine<br />

neue Zeit befindet. In Sachen Gleichberechtigung<br />

<strong>und</strong> Emanzipation <strong>der</strong> Frau ist Indien noch sehr<br />

traditionell orientiert, obwohl auch hier eine Umwälzung<br />

stattfindet. Frauen stellen bis heute eine<br />

Min<strong>der</strong>heit dar, aus dem einfachen Gr<strong>und</strong>, weil es<br />

einen Männerüberschuss in Indien gibt. Zwar ist<br />

die Frau vor dem Gesetz gleichberechtigt, im Alltag<br />

ist dies aber wohl kaum zu erkennen.<br />

Das Team berichtete, dass ihnen während <strong>der</strong><br />

Reise durch den Süden Indiens die unterwürfige<br />

<strong>und</strong> diskriminierende Stellung <strong>der</strong> Frau oftmals<br />

schmerzlich bewusst wurde, nicht zuletzt, weil die<br />

Teilnehmerinnen selten den Respekt erfuhren, <strong>der</strong><br />

ihnen gegenüber angemessen gewesen wäre.<br />

Auf <strong>der</strong> Straße wurden die männlichen Teammitglie<strong>der</strong><br />

sehr oft von Männern angesprochen,<br />

fre<strong>und</strong>lich begrüßt <strong>und</strong> in Gespräche verwickelt.<br />

Die Frauen <strong>der</strong> Seesener Gruppe wurden meist<br />

ignoriert o<strong>der</strong> nur mit einem Kopfnicken begrüßt,<br />

was bei <strong>der</strong> sonst überschwänglich fre<strong>und</strong>lichen<br />

Art <strong>der</strong> In<strong>der</strong> <strong>und</strong> In<strong>der</strong>innen fast beleidigend<br />

wirkte.<br />

108_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

„Eines Abends sprach <strong>mich</strong> ein junger In<strong>der</strong> in<br />

Chennai auf <strong>der</strong> Straße an <strong>und</strong> wir begannen, uns<br />

zu unterhalten. Nach einiger Zeit winkte er eine<br />

junge Frau heran, die sich bis zu diesem Zeitpunkt<br />

im Hintergr<strong>und</strong> gehalten hatte <strong>und</strong> stellte sie uns<br />

als seine Ehefrau vor. Sie begrüßte uns höflich<br />

<strong>und</strong> verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht<br />

war. Es schien mir, als dürfte seine Frau nicht an<br />

Gesprächen zwischen Männern teilnehmen, es sei<br />

denn, ihr Ehemann erlaubte es ihr.”<br />

Schon im hinduistischen Gesetzbuch Manu steht,<br />

dass die Frau ein Leben lang einem Mann untertan<br />

zu sein hat, erst ihrem Vater, später ihrem Ehemann<br />

<strong>und</strong> dann ihrem Sohn. Die indischen Familien<br />

sind meist so groß, dass es schwer ist, diese<br />

überhaupt zu ernähren. Durch das Mitgiftsystem<br />

ist eine Tochter eine große finanzielle Last <strong>für</strong> die<br />

Familie <strong>und</strong> wird mit Kosten <strong>und</strong> Unglück in Verbindung<br />

gebracht. Es gibt daher in Indien eine sehr<br />

hohe Abtreibungsquote weiblicher Föten.<br />

Gescheiterte Ehen sind <strong>für</strong> die Ehefrau häufig das<br />

Aus. Sie kann nicht in ihre Familie zurückkehren,<br />

da diese froh ist, einen Esser weniger zu haben<br />

<strong>und</strong> außerdem wäre dies eine Schande <strong>für</strong> die<br />

Familie. Eine weitere Heirat ist auch so gut wie<br />

ausgeschlossen. Kein indischer Mann heiratet eine<br />

Witwe, geschweige denn eine geschiedene Frau.<br />

So ist die Frau nun eine Ehrlose <strong>und</strong> hat keinerlei<br />

Möglichkeit, wie<strong>der</strong> ein Teil <strong>der</strong> Gesellschaft zu<br />

werden. <strong>Für</strong> solche Frauen gibt es spezielle Organisationen,<br />

die ihnen Möglichkeiten geben, mit<br />

Handarbeit Geld zu verdienen. Die meisten Frauen<br />

aber werden durch den Tod des Ehemannes zu<br />

Bettlerinnen. Auch nach dem Tod ist die Frau an<br />

ihren Ehemann geb<strong>und</strong>en. So kommt es oft zu<br />

Witwenverbrennungen, obwohl diese Praktik (genannt<br />

Sati) schon seit Anfang des 19. Jh. offiziell<br />

verboten ist.<br />

Mädchen haben in Indien im Allgemeinen nur<br />

eine geringe Bildung, da sie oftmals gar nicht erst


eingeschult, son<strong>der</strong>n als billige Haushaltshilfe<br />

genutzt werden. Auch die Schulabbruchquote ist<br />

sehr viel höher als bei Jungen, da die Mädchen in<br />

ländlichen Regionen durchschnittlich mit 15 Jahren<br />

verheiratet werden <strong>und</strong> dann Hausfrau sind. Weil<br />

die Mädchen nach <strong>der</strong> Heirat in die Familie des<br />

Bräutigams überwechseln, wird die Investition in<br />

die Bildung <strong>der</strong> Tochter meist als unnütz angesehen.<br />

Aber natürlich gibt es auch Frauen, die die<br />

Gelegenheit haben, eine Ausbildung zu absolvieren<br />

<strong>und</strong> in jeglichen Berufszweigen Anstellungen<br />

zu finden.<br />

„Gen<strong>der</strong>“ versus<br />

„Verhaltenskodex Manu“ –<br />

eine Beobachtung<br />

Bei unserer Begegnung mit einer Jugendgruppe<br />

<strong>der</strong> TELC ergab sich bei einem gemeinsamen Essen<br />

in einem Restaurant eine <strong>für</strong> uns seltsame Situation.<br />

Während alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> deutschen Gruppe<br />

ihr Essen gleichzeitig bekamen <strong>und</strong> auch gleichzeitig<br />

zu essen begannen, bekamen nur die indischen<br />

Männer ihr Essen <strong>und</strong> die Frauen mussten warten.<br />

Als wir die Mädchen fragten, warum sie nichts<br />

zu essen bekämen, antworteten sie zu unserem<br />

Erstaunen, dass sie erst essen dürften, wenn die<br />

Männer aufgegessen hätten. Tatsächlich blinzelte<br />

ein Kellner öfter zu unserem Tisch herüber, um zu<br />

sehen, wie weit die Männer mit ihrem Essen waren.<br />

Dies war <strong>für</strong> uns ein großer Schock. Aber auch<br />

dieses Verhalten ist auf den Verhaltenskodex<br />

Manu zurückzuführen. Dieser besagt nämlich,<br />

dass eine Frau erst essen darf, nachdem <strong>der</strong> Mann<br />

gegessen hat. Doch das ist noch längst nicht alles.<br />

Des Weiteren soll die Frau nicht sitzen, wenn <strong>der</strong><br />

Mann steht, nicht schlafen, bevor er schläft, nicht<br />

aufstehen, bevor er aufsteht, sich nicht rächen,<br />

wenn er sie mit Verachtung straft <strong>und</strong> auch dann<br />

nicht opponieren, wenn er sie misshandelt.<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Indische Frauen sind oft unterernährt, da zuerst<br />

Ehemann <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong> versorgt werden <strong>und</strong> die Frau<br />

selbst nur das bekommt, was übrig bleibt.<br />

Trotz aller beschriebenen Einschränkungen sind<br />

Frauen in Indien „auf dem Vormarsch“. Die Frauenbewegung<br />

ist präsent <strong>und</strong> arbeitet gegen die<br />

traditionellen hinduistischen Praktiken <strong>und</strong> Glaubensvorstellungen,<br />

die oft <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die ungleiche<br />

Behandlung von Mann <strong>und</strong> Frau sind. Auch<br />

in <strong>der</strong> Politik wurde Anfang <strong>der</strong> neunziger Jahre<br />

eine Frauenquote von 33 Prozent eingeführt. Vor<br />

allem Selbsthilfegruppen <strong>und</strong> Projekte, die sowohl<br />

aufklärende als auch unterstützende Funktionen<br />

haben, werden immer häufiger.<br />

Auf unserer Reise besuchten wir unter <strong>an<strong>der</strong>e</strong>m<br />

auch eine Art Schule, in <strong>der</strong> junge Frauen Nähen,<br />

Maschinenschreiben <strong>und</strong> Computerarbeit lernten,<br />

sodass sie gute Chancen auf einen Job haben.<br />

Solche Projekte werden oft von karitativen Einrichtungen<br />

wie z. B. von Kirchen subventioniert.<br />

So wird ein wichtiger Beitrag zur Emanzipation<br />

<strong>und</strong> Gleichberechtigung <strong>der</strong> Frau geleistet. Wir<br />

sollten allerdings auch immer bedenken, dass<br />

Indien von Gr<strong>und</strong> auf eine ganz <strong>an<strong>der</strong>e</strong> Kultur hat<br />

als wir.<br />

Wir verurteilen das Verhalten <strong>der</strong> In<strong>der</strong> <strong>und</strong> In<strong>der</strong>innen<br />

sehr leichtfertig, da es <strong>für</strong> uns so fremd<br />

<strong>und</strong> unverständlich ist. Vielleicht kann man als<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_109<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

„Westler“ Indien nicht verstehen son<strong>der</strong>n nur<br />

akzeptieren ... Dennoch ist die Unterdrückung <strong>der</strong><br />

Frau ein Thema, das nicht übersehen werden darf,<br />

da zumindest die Rechte eines jeden Menschen<br />

auf <strong>der</strong> Welt gleich sein sollten.“<br />

Keinem von uns ist Gott fern.<br />

Apostelgeschichte 17, 27<br />

Der Gottesdienstbesuch – ein Erlebnis<br />

Während des Indienaufenthaltes hatte die Ev.<br />

Jugend Seesen drei Mal die Gelegenheit, einen<br />

Gottesdienst zu besuchen. Sie schil<strong>der</strong>ten dies<br />

als schönes Erlebnis, bei dem es trotz vieler<br />

Gemeinsamkeiten auch einige interessante Unterschiede<br />

gab. Bei <strong>der</strong> äußeren Gestaltung <strong>der</strong><br />

Kirchen ist in auffällig vielen Kirchen <strong>der</strong> Altarraum<br />

in Rosatönen gehalten <strong>und</strong> mit einem in unseren<br />

Augen „kitschigen“ Neonkreuz <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Lichterketten<br />

geschmückt. Der Gottesdienst beginnt<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich mindestens fünf Minuten später,<br />

wobei <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Gemeinde in den ersten<br />

zwanzig Minuten eintrudelt. Dann sind die Bänke<br />

bis auf den letzten Platz gefüllt, Frauen <strong>und</strong> Männer<br />

sitzen zum größten Teil getrennt. Zu Beginn<br />

des Gottesdienstes zieht <strong>der</strong> Pastor zusammen mit<br />

den Chorglie<strong>der</strong>n ein, angeführt von einem Kreuzträger.<br />

Der Altarraum ist durch einen Zaun abgetrennt <strong>und</strong><br />

darf nur vom Pastor betreten werden. Davor knien<br />

die Gemeindeglie<strong>der</strong>, wenn sie den Segen o<strong>der</strong><br />

das Abendmahl empfangen. Bei <strong>der</strong> Austeilung<br />

des Abendmahls sind die Männer zuerst an <strong>der</strong><br />

Reihe. Dann dürfen die Frauen herantreten, wobei<br />

sie mit einem Teil ihres Saris die Köpfe verdecken.<br />

Hat man sich auf ein Kissen gekniet, so geht <strong>der</strong><br />

Pastor herum <strong>und</strong> legt jedem eine Oblate in den<br />

M<strong>und</strong>. Danach folgt <strong>der</strong> Kelch gefüllt mit dickflüssigem<br />

Traubensaft, <strong>der</strong> dem Gläubigen direkt in<br />

110_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

den M<strong>und</strong> gegossen werden kann. Das ist zwar<br />

sehr hygienisch, weil die Lippen den Kelch nicht<br />

berühren, birgt aber die Gefahr, dass die Flüssigkeit<br />

an den Seiten des M<strong>und</strong>es wie<strong>der</strong> hinausläuft.<br />

Ebenfalls ungewohnt ist die Länge des Gottesdienstes:<br />

Mit Abendmahl kann er schon zweieinhalb<br />

St<strong>und</strong>en dauern. Auch eine Predigt kann sich<br />

bis zu einer Länge von 40 Minuten ausweiten,<br />

ausreichend Zeit, um zu innerer Einkehr zu kommen<br />

<strong>und</strong> das Gefühl <strong>der</strong> Gemeinschaft ließ sich<br />

erspüren.<br />

Hindhi<br />

Jyo thi dho, jyo – thi dho, jyo thi dho Prabhu 2<br />

German<br />

Gib uns Licht, gib uns Licht, gib uns Licht, o Herr<br />

Aufschwung – ja, aber (wie)<br />

profitiert <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong><br />

Bevölkerung?<br />

Der Propsteijugenddiakon Udo Salzbrunn aus<br />

Seesen besuchte 1989 das erste Mal Indien. Als<br />

er nun zum vierten Mal wie<strong>der</strong>kehrte, sah er wie<strong>der</strong><br />

erhebliche Entwicklungen <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen:<br />

2 Words and music by, Charles Vas, India, Agape, Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hoffnung <strong>und</strong> Versöhnung, Hrsg. Oxford University Press, 2003


einerseits das Voranschreiten <strong>der</strong> Telekommunikation,<br />

die mittlerweile auch die Dörfer erreicht,<br />

die neu entstandene Mittelschicht, die Arbeit in<br />

<strong>der</strong> Industrie <strong>und</strong> bei westlichen Firmen gef<strong>und</strong>en<br />

hat, die den Kauf von Motorrä<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Autos<br />

ermöglicht <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n Seite verstopfte<br />

Straßen <strong>und</strong> Smog. Der gediegene Metallteller<br />

weicht dem billigen Plastikgeschirr, die Glas- <strong>der</strong><br />

Plastikflasche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stoffbeutel wird durch die<br />

Plastiktüte ersetzt. Nur drei Beispiele, erzählte<br />

Udo Salzbrunn, aber alle drei führen zu <strong>der</strong> Frage:<br />

„Wohin mit dem Müll?“ Abfallbehälter sind kaum<br />

zu finden, <strong>der</strong> Müll liegt am Straßenrand <strong>und</strong> in<br />

ausgetrockneten Flussbetten. Er hat sich gefragt,<br />

wie die Entwicklung weitergehen soll. Aufschwung<br />

- ja, aber wie profitiert das Land, <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong><br />

Bevölkerung? Bei den Überlandfahrten, den Besuchen<br />

<strong>und</strong> gemeinsamen Arbeiten in den Dörfern<br />

nahm er wahr, dass sich die Güter des täglichen<br />

Bedarfs verteuern <strong>und</strong> dass es <strong>für</strong> die einfachen<br />

Landarbeiter o<strong>der</strong> Tagelöhner immer schwieriger<br />

wird, Nahrung günstig einzukaufen. Die Globalisierung<br />

trifft vor allem die Armen <strong>und</strong> diese werden<br />

immer ärmer. Zu beobachten ist, dass auf dem<br />

Land noch die vielen einfachen <strong>und</strong> schlecht bezahlten<br />

Tätigkeiten wie das Reispflanzen setzen,<br />

ernten <strong>und</strong> Ziegen hüten einen Großteil <strong>der</strong> Arbeit<br />

ausmachen. Der Tagelohn da<strong>für</strong> ist sehr gering, ca.<br />

ein Euro, <strong>und</strong> es ist mehr als schwierig, <strong>der</strong> Familie<br />

drei einfache Mahlzeiten zu ermöglichen. Bevor<br />

hier auf dem Land die Globalisierung positiv wirken<br />

kann, wird die Landbevölkerung immer ärmer.<br />

Wie könnte es gelingen, <strong>der</strong> großen Bevölkerungszahl<br />

ausreichend Arbeit <strong>und</strong> Lohn zu geben? Wie<br />

könnten die westlichen Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> Wirtschaftsbetriebe<br />

mitwirken? Wie soll das Müllproblem gelöst<br />

werden?<br />

Fragen, die wir hier unbeantwortet an die Leserinnen<br />

<strong>und</strong> Leser weitergeben wollen, denn wir<br />

wollen ein gelingendes gerechtes Leben in einer<br />

ges<strong>und</strong>en Umwelt <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> uns!<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

Literaturverzeichnis<br />

• Words and music by, Charles Vas, India, Agape,<br />

Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hoffnung <strong>und</strong> Versöhnung, Hrsg.<br />

Oxford University Press, 2003<br />

• Interview mit Tobias Bruhne <strong>und</strong> Propsteijugenddiakon<br />

Udo Salzbrunn, Seesen, April 2007<br />

• http://de.wikipedia.org/wiki/Indien<br />

Sabine Richter<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_111<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala<br />

112_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


›› leben!<br />

Und wie!?


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

leben! Und wie!?<br />

Eine Studie mit Folgen<br />

Was passiert, wenn man wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse ernst nimmt: Vorstellung <strong>der</strong><br />

interaktiven Ausstellung „Leben! Und wie!?“<br />

Die große<br />

Jugendstudie<br />

„Realität <strong>und</strong><br />

Reichweite<br />

von Jugendverbandsarbeit“<br />

hat eine<br />

bedeutende<br />

Gr<strong>und</strong>einsicht<br />

zu Tage geför<strong>der</strong>t,<br />

hinter<br />

die niemand<br />

mehr zurück<br />

kann: Jugendliche<br />

sind<br />

Akteure <strong>und</strong><br />

keine Konsumenten.<br />

Wer mit Jugendlichen arbeitet, muss nach<br />

ihren Interessen fragen statt nach den eigenen.<br />

Ihre Stimme muss hörbar werden, nicht die <strong>der</strong><br />

Erwachsenen. Das Postulat <strong>der</strong> Forschung nach<br />

Subjektorientierung wird die Jugendarbeit tiefgreifend<br />

verän<strong>der</strong>n. Wer meint, sich darum herummogeln<br />

zu können, wird letztendlich scheitern.<br />

Politisch betrachtet, geht es um eine weitere<br />

Demokratisierung von (kirchlicher) Jugendarbeit.<br />

Gerade angesichts des <strong>der</strong>zeitigen globalen<br />

Finanzdebakels ist eine Stärkung <strong>der</strong> demokratischen<br />

Kompetenzen von Jugendlichen von beson<strong>der</strong>er<br />

Bedeutung.<br />

Flott formuliert <strong>und</strong> edel gedacht! Aber wie sieht<br />

es in <strong>der</strong> Realität damit aus?<br />

Subjektorientierung ist ein Abenteuer – man kann<br />

nie vorhersagen, was auf einen zukommt. Das gilt<br />

beson<strong>der</strong>s, wenn man ein Langzeitprojekt angeht<br />

114_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

<strong>und</strong> sich „Subjektorientierung“ dabei auf die Fahnen<br />

schreibt.<br />

Im Sommer 2007 kam die Idee einer Ausstellung<br />

auf, die Jugendliche <strong>und</strong> ihr Lebensgefühl thematisiert.<br />

Rasch wurde deutlich, dass es sich dabei<br />

nicht um eine weiteres Projekt handeln sollte,<br />

in dem Erwachsene präsentieren, was Jugend-<br />

liche ihrer Meinung nach denken <strong>und</strong> fühlen.<br />

Vielmehr sollten die Jugendlichen selbst in den<br />

Mittelpunkt rücken – <strong>und</strong> das bedeutete, dass<br />

sie im wesentlichen diese Ausstellung gestalten<br />

mussten. Ihre Themen, ihre Sichtweise waren<br />

gefragt.<br />

Das Landesjugendpfarramt übernahm die Gesamtkonzipierung,<br />

die Vorplanungen, sowie<br />

Koordinierung <strong>und</strong> Rahmensetzung <strong>und</strong> warb landeskirchenweit<br />

<strong>für</strong> eine Beteiligung. Klosterkammer<br />

<strong>und</strong> Hanns-Lilje-Stiftung erklärten sich bereit,<br />

dieses Projekt maßgeblich zu för<strong>der</strong>n.<br />

Insgesamt haben sich 10 Gestaltungsgruppen<br />

gef<strong>und</strong>en, die jeweils ein Thema, das sie selbst<br />

ausgewählt haben, bearbeiten. Begleitet werden<br />

diese Gruppen von Hauptamtlichen <strong>und</strong> KünstlerInnen,<br />

die ganz bewusst eine Rolle als ErmöglicherInnen<br />

wahrnehmen.<br />

Worum geht es?<br />

„Leben! Und wie!?“, lautet <strong>der</strong> Titel. Das ist durchaus<br />

vieldeutig zu verstehen. Ausrufe- <strong>und</strong> Fragezeichen<br />

stehen <strong>für</strong> selbstbewusste Ankündigung<br />

wie <strong>für</strong> verunsichertes Fragen nach Orientierung.<br />

Die Lage von Jugendlichen heute ist damit sehr<br />

genau beschrieben.<br />

In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die<br />

gewählten Themen, die die spezielle Situationen<br />

des Jugendarrests ebenso in den Blick nehmen wie<br />

die generelle Frage nach <strong>der</strong> Zukunft.


(Foto Stefanie Conradt)<br />

Damit ein Bezug zwischen den einzelnen Themen<br />

besteht, muss es ein Leitsymbol <strong>und</strong> verbindendes<br />

Gestaltelement geben. Sonst zerfiele die Ausstellung<br />

in ihre Einzelsegmente.<br />

In einem breit angelegten Reflexionsprozess hat<br />

man sich schließlich auf das Bild <strong>der</strong> Straße festgelegt.<br />

„Stell dir vor, das Leben ist eine Straße…“ Das<br />

ist <strong>der</strong> Ausgangspunkt <strong>für</strong> alle Gestaltenden, <strong>der</strong><br />

ihren Überlegungen die nötige Bodenhaftung<br />

verleihen soll.<br />

„Straße“ lässt sich wortwörtlich umsetzen <strong>und</strong> in<br />

übertragenem Sinn ist sie Raum <strong>und</strong> Metapher, Ort<br />

<strong>und</strong> Symbol. Jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> kann etwas mit diesem<br />

Begriff anfangen.<br />

Jetzt, Anfang Oktober 2008, befinden wir uns mitten<br />

in <strong>der</strong> Umsetzungsphase. Über die Resultate<br />

lässt sich noch nichts sagen. Das ist momentan<br />

vollkommen offen.<br />

Interessant wäre gewesen, dieses Projekt unter<br />

wissenschaftliche Begleitung zu stellen, um zu<br />

untersuchen, wie weit Subjektorientierung sich<br />

tatsächlich realisieren lässt. Wir haben darauf<br />

verzichtet, werden die Frage aber trotzdem im<br />

Blick behalten, um in einer späteren Ausgabe von<br />

Gegen den Trend darüber zu berichten<br />

„Leben! Und wie!?“ wird zum ersten Mal auf dem<br />

Kirchentag in Bremen präsentiert werden. Wir sind<br />

gespannt.<br />

Wolfgang Blaffert<br />

leben! Und wie!?<br />

Weitere Informationen zum Projekt findet man auf<br />

<strong>der</strong> Internetseite www.leben<strong>und</strong>wie.de.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_115<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Informationen über die aejn e.V.<br />

Zur Arbeit <strong>der</strong> aejn e. V.<br />

Zu <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen e. V. haben sich 10 Jugendverbände<br />

aus den 5 Landeskirchen, den Verbänden<br />

eigener Prägung <strong>und</strong> den Freikirchen 1959 zusammengeschlossen,<br />

um u. a. gemeinsame Belange<br />

bei staatlichen, kirchlichen <strong>und</strong> sonstigen öffentlichen<br />

Stellen zu vertreten. Am 05.12.2003 kam es<br />

zur Vereinsgründung mit dem Ziel, als gemeinnützig<br />

anerkannter Verein die Interessenvertretung<br />

wahrnehmen zu können. Dies ist zwischenzeitlich<br />

durch die Eintragungsnachricht (VR 8336) des<br />

Amtsgerichts Hannover erfolgt. Eine Gemeinnützigkeitsbescheinigung<br />

des Finanzamtes Hannover<br />

wurde ebenfalls erteilt.<br />

Wesentliche Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> verbandlichen Jugendarbeit<br />

sind weiterhin Jugend-, Projekt- <strong>und</strong><br />

Aktionsgruppen. Sie haben wechselnde inhaltliche<br />

Schwerpunkte <strong>und</strong> sind Teil <strong>der</strong> Freizeit, die<br />

Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene gemeinsam<br />

gestalten, in <strong>der</strong> sie soziale Aktionen durchführen<br />

<strong>und</strong> sich mit religiösen, politischen <strong>und</strong> gesellschaftspolitischen<br />

Fragen auseinan<strong>der</strong> setzen.<br />

Hinzu kommen Seminare, Wochenendfreizeiten,<br />

Zeltlager, internationale Jugendbegegnungen, Jugendgottesdienste<br />

<strong>und</strong> offene Angebote <strong>für</strong> nicht<br />

organisierte Jugendliche.<br />

Ein nicht unerheblicher Anteil <strong>der</strong> Aktivitäten wird<br />

mit öffentlichen Mitteln geför<strong>der</strong>t. 1.544 Freizeiten<br />

bzw. Bildungsmaßnahmen (davon 990 Freizeiten,<br />

24 Internationale Begegnungen <strong>und</strong> 530 Bildungsmaßnahmen)<br />

haben die zehn Mitgliedsverbände<br />

<strong>der</strong> aejn e. V. im Jahr 2006 durchgeführt. An den<br />

Bildungsmaßnahmen nahmen 12.645 Personen<br />

(dies ergibt 38.453 TeilnehmerInnentage) teil. Darüber<br />

hinaus wurden 292 Son<strong>der</strong>veranstaltungen<br />

wie Jugendtreffen, Projekttage o<strong>der</strong> Jugendnächte<br />

realisiert. An diesen Veranstaltungen nahmen<br />

52.685 Personen (davon 28.968 weiblich <strong>und</strong><br />

23.717 männlich) teil. Mit mehr als 36.000 Teilneh-<br />

116_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

merInnen bei 1.014 Freizeitmaßnahmen dürften<br />

die evangelischen Jugendverbände zu den größten<br />

Anbietern im Jugendhilfebereich in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

zählen. Dazu müssen eine Vielzahl von weiteren<br />

Freizeiten <strong>der</strong> örtlichen Ebene gerechnet werden,<br />

die von dieser Statistik nicht erfasst werden.<br />

Bei einer Auflistung <strong>der</strong> Altersstruktur ist erkennbar,<br />

dass bei den genannten Veranstaltungen<br />

22.425 Jugendliche aus dem Segment <strong>der</strong> 14 –18<br />

Jährigen stammen, 8.920 Personen waren zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung zwischen 19 <strong>und</strong> 26 Jahre<br />

alt. 7.710 Teilnehmende waren älter als 27 Jahre.<br />

13.230 Kin<strong>der</strong> im Alter von 6 – 13 Jahren nahmen<br />

an Freizeiten teil.<br />

Die Mitgliedsverbände zählten 18.264 Ehrenamtliche,<br />

die <strong>für</strong> die unterschiedlichsten Angebotsformen<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit aktiv tätig waren. 54,9 %<br />

davon sind weiblich, 45,1 % männlich.<br />

Diese Statistik weist nur ein Teilsegment <strong>der</strong> Angebotsvielfalt<br />

<strong>der</strong> Jugendverbände aus. Regelmäßig<br />

stattfindende Gruppenzusammenkünfte, Projekte<br />

o<strong>der</strong> Wochenendveranstaltungen kommen noch<br />

dazu.<br />

Fazit: Je<strong>der</strong> Euro, <strong>der</strong> den Mitgliedsverbänden <strong>der</strong><br />

aejn e. V. vom Land Nie<strong>der</strong>sachsen o<strong>der</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt wird, ist<br />

gut angelegt. Verwendungsnachweise werden den<br />

zuständigen Stellen zur Überprüfung regelmäßig<br />

vorgelegt.<br />

Zur Arbeit Ehrenamtlicher<br />

Ehrenamtliches Engagement ist nach wie vor die<br />

tragende Säule <strong>der</strong> Jugendarbeit <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit. Jugendverbände<br />

werden seit ihrer Gründung von Ehrenamtlichen,<br />

d. h. von freiwilligen <strong>und</strong> unbezahlten Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitern, getragen <strong>und</strong> gestaltet.<br />

Mit ihrem Engagement sichern sie das gesamte


Verbandsleben beginnend bei regelmäßiger Gruppenarbeit<br />

über die Leitung von Bildungs- <strong>und</strong> Freizeitmaßnahmen<br />

bis hin zur politischen Vertretung.<br />

Es sind Ehrenamtliche, die Projekte, Freizeiten <strong>und</strong><br />

die alltäglichen Angebote erst möglich machen.<br />

Nach <strong>der</strong> vorgenannten Aktivitätenübersicht <strong>der</strong><br />

aejn e. V. wurden 18.264 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter gezählt.<br />

Die Mitgliedsverbände <strong>der</strong> aejn e. V. haben Strukturen<br />

<strong>und</strong> Rahmenbedingungen geschaffen, damit<br />

junge Menschen<br />

• durch religiöse, allgemeine <strong>und</strong> politische Bildung<br />

in ihrer Persönlichkeitsentwicklung geför<strong>der</strong>t<br />

werden,<br />

• ihre Interessen innerhalb ihres eigenen Jugendverbandes<br />

artikulieren <strong>und</strong><br />

• ihre Bedürfnisse <strong>und</strong> Anliegen in <strong>der</strong> kirchlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Öffentlichkeit vertreten.<br />

Dies wird auch in den formulierten Standards<br />

„Bildung ist mehr! – Thesen zum Bildungsbegriff<br />

<strong>der</strong> aejn e. V.“ deutlich. In ihnen wird <strong>der</strong> Bildungsauftrag<br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit beschrieben,<br />

das Bildungsverständnis dargelegt <strong>und</strong> in sechs<br />

Thesen („Bildung als Orientierung“, „Bildung als<br />

Beheimatung“, „Bildung <strong>und</strong> Dialog“, „Bildung<br />

<strong>und</strong> Beteiligung“, „Bildung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erwerb von<br />

sozialer <strong>und</strong> politischer Kompetenz“ <strong>und</strong> „Bildung<br />

gestaltet Gesellschaft“) formuliert, welches<br />

Gr<strong>und</strong>verständnis <strong>der</strong> jeweilige Ausgangspunkt<br />

ist. Als Gr<strong>und</strong>lage da<strong>für</strong> dient die Überzeugung,<br />

wie sie z. B. in <strong>der</strong> Präambel <strong>der</strong> Ordnung <strong>für</strong> die<br />

evangelische Jugendarbeit in <strong>der</strong> Ev.-luth. Landeskirche<br />

Hannovers formuliert ist:<br />

„Evangelische Jugendarbeit will allen jungen Menschen<br />

das Evangelium von Jesus Christus in ihnen<br />

gemäßer Weise bezeugen, sie mit <strong>der</strong> biblischen<br />

Botschaft in ihrer Lebenswirklichkeit begleiten <strong>und</strong><br />

sie ermutigen, in <strong>der</strong> Nachfolge Jesu Christi als mün-<br />

dige Christen kirchliches Leben mitzugestalten<br />

<strong>und</strong> Verantwortung in <strong>der</strong> Welt wahrzunehmen.“<br />

Informationen über die aejn e.V.<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen (AEJN)<br />

Archivstr. 3, 30169 Hannover<br />

Fon: 05 11/12 41 – 5 72/-5 71, Fax: 05 11/12 41 – 4 92<br />

aejn.ev@kirchliche-dienste.de, http://www.aejn.de<br />

Evangelische Jugend in <strong>der</strong> Ev.-Luth. Landeskirche<br />

in Braunschweig<br />

Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel<br />

Fon: 0 53 31/8 02 - 5 65, Fax: 0 53 31/8 02 - 7 15<br />

ajab@luth-braunschweig.de, http://www.ajab.de<br />

Evangelische Jugend<br />

in <strong>der</strong> Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers<br />

Archivstr. 3, 30169 Hannover<br />

Fon: 05 11/12 41 – 4 28, Fax: 05 11/12 41 – 9 78<br />

Landesjugendpfarramt@kirchliche-dienste.de, http://www.ejh.de<br />

EJO – Evangelische Jugend in <strong>der</strong> Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg<br />

Haareneschstr. 58, 26121 Oldenburg<br />

Fon: 04 41/77 01 – 4 06, Fax: 04 41/77 01 – 4 99<br />

Landesjugendpfarramt@ejomail.de, http://www.ejo.de<br />

Evangelische Jugend in <strong>der</strong> Ev.-Luth. Landeskirche<br />

in Schaumburg-Lippe<br />

Kirchweg 4 a, 31700 Heuerßen<br />

Fon: 0 57 25/9 13 – 5 53, Fax: 0 57 25/9 13 – 5 58<br />

info@laju-sl.de, www.laju-sl.de<br />

Ev.-Ref. Jugend in <strong>der</strong> Evangelisch-Reformierten Kirche<br />

(Synode Ev.-Reformierter Kirchen in Bayern <strong>und</strong><br />

Nordwestdeutschland)<br />

Saarstr. 6, 26789 Leer<br />

Fon: 04 91/91 98 – 2 10/-2 11, Fax: 04 91/91 98 - 2 40<br />

Jugend@reformiert.de<br />

Län<strong>der</strong>jugendwerk Nie<strong>der</strong>sachsen/Bremen<br />

<strong>der</strong> Evangelisch-methodistischen Kirche<br />

Am Hohen Tore 2, 38118 Braunschweig<br />

Fon.: 0531 8019473 Fax: 0531 8019472<br />

www.kjw-nord.de, christine.foetzki@emk.de<br />

Gemeindejugendwerk<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen-Ostwestfalen-Sachsen-Anhalt (GJW)<br />

Hermann-Löns-Park 7, 30559 Hannover<br />

Fon: 05 11/9 54 97 40, Fax: 05 11/9 54 97 41<br />

info@gjw-nos.de, http://www.gjw-nos.de<br />

CVJM in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

Auf dem Brink 10, 26849 Filsum<br />

Fon: 0 49 57/ 82 15, Foto.doris.kroll@freenet.de<br />

Nie<strong>der</strong>sächsischer Jugendverband<br />

„Entschieden <strong>für</strong> Christus“ (EC) e. V.<br />

Archivstr. 3, 30169 Hannover<br />

Fon: 05 11/12 41 – 9 01, Fax: 05 11/12 41 – 9 78<br />

www.ec-nie<strong>der</strong>sachsen.de<br />

Kreisjugendarbeit <strong>der</strong> Freien Evangelischen Gemeinden<br />

im BFEG in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

Neue Str. 9, 37581 Bad Gan<strong>der</strong>sheim<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_117<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

Veröffentlichungen „Gegen den Trend“<br />

Gegen den Trend 2008<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> (<strong>Band</strong> 1)<br />

- <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> –<br />

eine thematische Einführung<br />

- Auftanken an <strong>der</strong> „BBS-Tank stelle“<br />

- Freiwillig sozial? – Ja! ... Weil's Spaß<br />

macht <strong>und</strong> Sinn bringt!<br />

- Mein FSJ! – Ein Erfahrungs bericht<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2006<br />

Ich - Alles - Sofort!?<br />

- Gr<strong>und</strong>legendes zu Armut <strong>und</strong> Reichtum<br />

- Anmerkungen zum „2. Armuts- <strong>und</strong><br />

Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung”<br />

- Haste was, biste wer!<br />

- „Wir können auch an<strong>der</strong>s …”<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2004<br />

Träume - Zukunft - Leben<br />

- Einmal komme ich ganz groß raus!<br />

- Ich bin ein Unikat, aber noch nicht<br />

fertig!<br />

- Reise zum Mittelpunkt – Reise zu mir<br />

- Wo bitte geht's zum Paradies?<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2002<br />

Respekt<br />

- Einführung<br />

- Jugend ohne Respekt?<br />

- Gibt es etwa Mobbing in <strong>der</strong> Schule?<br />

- „Hallo, wie geht es dir?“ – Respekt vor<br />

Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2000<br />

Von Helden <strong>und</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong>n<br />

Lichtgestalten<br />

- Einführung<br />

- Helden - Begleiter auf dem Weg zur<br />

eigenen Persönlichkeit<br />

- Filmhelden in Aktion<br />

- Star Trek - Raumschiff Enterprise<br />

- …<br />

118_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)<br />

Gegen den Trend 2007<br />

Eins - Zwei - Gruppe!<br />

- „Gruppe” aus <strong>der</strong> Sicht von Jugendlichen<br />

- Vom „Ich” zum „Du” zum „Wir”<br />

- Strukturen <strong>und</strong> Rollen in <strong>der</strong> Gruppe<br />

- Gruppendynamik: Gemeinsam sind wir<br />

stark<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2005<br />

Frag mal deine Eltern<br />

- Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Eltern aus biblischer Sicht<br />

- Wurzeln <strong>und</strong> Identitäten<br />

- Wo liegen meine Wurzeln?<br />

- Jugendliche <strong>und</strong> ihre Eltern<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2003<br />

Echt cool!<br />

- Cool sein! – eine Annäherung<br />

- Miteinan<strong>der</strong> wird's cool<br />

- Wir tragen zu viele Masken... auf dem<br />

Weg zu uns selbst<br />

- …<br />

Gegen den Trend 2001<br />

Zwischen Begeisterung <strong>und</strong><br />

Gewalt<br />

- Einführung<br />

- Jugendgewalt – Wie, wo, warum?<br />

- Faszinosum Gewalt<br />

- Wie wirkt Musik?<br />

- Die Welt zertrümmern?!<br />

- …<br />

Gegen den Trend 1999<br />

Navigation braucht<br />

Orientierung<br />

- Orientierung<br />

- Vom Gebot zur Geschichte – Orientierung<br />

als Prozess<br />

- Innerer Kompass <strong>und</strong> Orientierungslosigkeit<br />

- Global + Ratlosigkeit = Angst<br />

- …


Gegen den Trend 1998<br />

Erfolgreich leben<br />

- Erfolg, was ist das <strong>für</strong> <strong>mich</strong>?<br />

- Je<strong>der</strong> ist seines Glückes Schmied? Von<br />

Leitbil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Idolen<br />

- Stell Dir vor, Du stellst Dich vor, <strong>und</strong><br />

keiner stellt Dich ein!<br />

- …<br />

Gegen den Trend 1996<br />

Kick, Fun & Thrill<br />

- von <strong>der</strong> Schiffsschaukel zum Euro-Disney<br />

- Trends<br />

- Tanzen ist Trumpf<br />

- Beziehungskisten<br />

- Erleben gegen den Trend<br />

- …<br />

Gegen den Trend 1994<br />

Wettstreit statt Feindschaft<br />

- Die Aktion<br />

- Versuch einer Ist-Stands Beschreibung<br />

- Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft - Ich<br />

suche <strong>mich</strong> noch<br />

- …<br />

Gegen den Trend 1992<br />

40 Tage ohne …Verzicht ein<br />

Gewinn<br />

- Fasten - ein leibliches Fest <strong>und</strong> ein<br />

religiöses Ereignis<br />

- Thema Alkohol<br />

- Thema Süßigkeiten<br />

- Thema Medienkosum<br />

Veröffentlichungen „Gegen den Trend”<br />

Gegen den Trend 1997<br />

Surfen in die Zukunft<br />

- Runter von <strong>der</strong> Oberfläche<br />

- Ich-Styling<br />

- Kreativ sein im Internet<br />

- Die Computergesellschaft<br />

- Kommunikation<br />

- Zukunft in <strong>der</strong> Bibel<br />

Gegen den Trend 1995<br />

Fasten <strong>und</strong> Teilen<br />

- Option <strong>für</strong> die Schwachen<br />

- Jugend <strong>und</strong> Teilen<br />

- Macht teilen<br />

- Zeit - teilen statt totschlagen<br />

- Arbeit teilen<br />

- …<br />

Gegen den Trend 1993<br />

Gewalt - gewaltfrei leben<br />

- Die Aktion<br />

- Gewalt in <strong>der</strong> Schule<br />

- Gewalt in <strong>der</strong> Freizeit<br />

- Gewalt in den Medien<br />

Die Gegen-den-Trend-Veröffentlichungen <strong>der</strong> Jahre 1999 bis 2008 stehen als pdf-Dateien unter<br />

www.aejn.de (Projekte/Gegen den Trend) zur Verfügung.<br />

Außerdem sind alle Ausgaben als Kopie <strong>für</strong> 3,00 Euro zzgl. Porto erhältlich. Von den Ausgaben „Gegen den Trend<br />

2004, 2005, 2006, 2007 <strong>und</strong> 2008“ können noch kostenlose Exemplare gegen Portoerstattung bestellt werden.<br />

FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_119<br />

GEGEN DEN TREND ’2009


GEGEN DEN TREND ’2009<br />

120_FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)


aejn -<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong><br />

<strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />

Postfach 265 – 30002 Hannover<br />

Tel.: 0511/1241-571 • Fax: 0511/1241-492<br />

aejn.ev@kirchliche-dienste.de • www.aejn.de<br />

Gegen den Trend 2009 – <strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong> • <strong>Band</strong> 2<br />

<strong>Für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />

<strong>Band</strong> 2<br />

Gegen den<br />

Trend 2009<br />

aejn -<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Evangelischen Jugend in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.

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