Für andere und für mich, Band 2 - Arbeitsgemeinschaft der ...
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nicht, irgendwelche Hilfsorganisationen ebenso<br />
wenig. Witwen sind nicht die zahnlosen Mütterchen<br />
aus irgendwelchen langweiligen Moralgeschichten,<br />
son<strong>der</strong>n oft genug junge Frauen. Sie<br />
sind die personifizierte Armut. Je jünger, desto<br />
länger wird die Zeit ihres Elends währen!<br />
Es ist eigentlich <strong>und</strong>enkbar, dass solch eine Frau<br />
sich überhaupt auf einen Rechtsstreit einlassen<br />
kann. Wie in all seinen Gleichnissen dockt Jesus<br />
bei den Alltagserfahrungen seiner Zuhörerschaft<br />
an, um sie dann im entscheidenden Moment zu<br />
brechen. So auch hier. Welche Rechtsangelegenheit<br />
hier verhandelt wird, teilt Jesus nicht mit. Es<br />
ist nicht wichtig. Entscheidend ist das Verhalten<br />
<strong>der</strong> Frau: ihre unerschrockene Beharrlichkeit, mit<br />
<strong>der</strong> sie immer wie<strong>der</strong> den Richter darum bittet, ihr<br />
Recht zu verschaffen. Er <strong>für</strong>chtet sie nicht, er wird<br />
auch nicht von Gewissensbissen geplagt. Zu solch<br />
einem zuckersüßen Ende lässt Jesus sich nicht<br />
hinreißen. Es ist viel banaler: Die Frau geht dem<br />
Richter schlichtweg auf den Geist, sie wird ihm lästig.<br />
Er will sie sich schließlich vom Hals schaffen,<br />
indem er ausnahmsweise tut, was seine Aufgabe<br />
ist - Recht zu sprechen.<br />
Im Folgeschluss fragt Jesus die Zuhörenden am<br />
Ende, ob sie Gott nicht eine stärkere Zuwendung<br />
zutrauen zu denen, die ihn fortwährend um Hilfe<br />
anrufen. Wenn es schon <strong>der</strong> Witwe gelingt, diesen<br />
Richter zu bewegen, wie sollte Gott dann unbeteiligt<br />
bleiben, <strong>der</strong> sich in nichts mit dieser Richterfigur<br />
vergleichen lässt?<br />
Wie<strong>der</strong> einmal stehen sich Alltags- <strong>und</strong> Glaubensrealität<br />
gegenüber, sieht die eine sich von <strong>der</strong><br />
<strong>an<strong>der</strong>e</strong>n provoziert. Gleichnisse Jesu sind Zumutungen<br />
– aber eben solche, die Mut machen wollen.<br />
Auffällig ist die enge Verbindung von „Beten“ <strong>und</strong><br />
dem Verb „ekdikein“, das ein Begriff aus dem<br />
juristischen Bereich ist. Es gibt drei verschiedene<br />
Beten – <strong>für</strong> <strong>an<strong>der</strong>e</strong> <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong><br />
Bedeutungen <strong>für</strong> „ekdikein“: „jemandem Rechtshilfe<br />
gewähren“, „einen Prozess durchführen“ <strong>und</strong><br />
„Rache verschaffen“. Die meisten Übersetzungen<br />
gehen in <strong>der</strong> Regel einen Schritt weiter <strong>und</strong> wählen<br />
als Bedeutung: „Jemanden zu seinem Recht<br />
verhelfen“ o<strong>der</strong> „jemandem Recht verschaffen“.<br />
Im Gr<strong>und</strong>e geht es genau darum, um die Aufhebung<br />
ungerechter Verhältnisse <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
eines Zustandes, in dem die<br />
verschiedenen Kräfte so ausbalanciert sind, dass<br />
die Waage sich nicht regelmäßig nur zu einer Seite<br />
neigt. „Gerechtigkeit“ ist eine Frage des Gleichgewichts.<br />
Wo sich zu viel Macht, zu viel Reichtum<br />
in wenigen Händen konzentriert, ist dieses Gleichgewicht<br />
zerstört. Wenn Armut <strong>und</strong> Schutzlosigkeit<br />
überhand nehmen, ist das Recht gebrochen, nicht<br />
allein das Menschliche, son<strong>der</strong>n eben auch das<br />
Göttliche. Nach prophetischem <strong>und</strong> jesuanischem<br />
Verständnis müssen gesellschaftliche <strong>und</strong> soziale<br />
Verhältnisse die göttliche Ordnung wi<strong>der</strong>spiegeln,<br />
die eine beson<strong>der</strong>e Verpflichtung beinhaltet: Das<br />
FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_31<br />
GEGEN DEN TREND ’2009