Für andere und für mich, Band 2 - Arbeitsgemeinschaft der ...

eingeschult, sondern als billige Haushaltshilfe
genutzt werden. Auch die Schulabbruchquote ist
sehr viel höher als bei Jungen, da die Mädchen in
ländlichen Regionen durchschnittlich mit 15 Jahren
verheiratet werden und dann Hausfrau sind. Weil
die Mädchen nach der Heirat in die Familie des
Bräutigams überwechseln, wird die Investition in
die Bildung der Tochter meist als unnütz angesehen.
Aber natürlich gibt es auch Frauen, die die
Gelegenheit haben, eine Ausbildung zu absolvieren
und in jeglichen Berufszweigen Anstellungen
zu finden.
„Gender“ versus
„Verhaltenskodex Manu“ –
eine Beobachtung
Bei unserer Begegnung mit einer Jugendgruppe
der TELC ergab sich bei einem gemeinsamen Essen
in einem Restaurant eine für uns seltsame Situation.
Während alle Mitglieder der deutschen Gruppe
ihr Essen gleichzeitig bekamen und auch gleichzeitig
zu essen begannen, bekamen nur die indischen
Männer ihr Essen und die Frauen mussten warten.
Als wir die Mädchen fragten, warum sie nichts
zu essen bekämen, antworteten sie zu unserem
Erstaunen, dass sie erst essen dürften, wenn die
Männer aufgegessen hätten. Tatsächlich blinzelte
ein Kellner öfter zu unserem Tisch herüber, um zu
sehen, wie weit die Männer mit ihrem Essen waren.
Dies war für uns ein großer Schock. Aber auch
dieses Verhalten ist auf den Verhaltenskodex
Manu zurückzuführen. Dieser besagt nämlich,
dass eine Frau erst essen darf, nachdem der Mann
gegessen hat. Doch das ist noch längst nicht alles.
Des Weiteren soll die Frau nicht sitzen, wenn der
Mann steht, nicht schlafen, bevor er schläft, nicht
aufstehen, bevor er aufsteht, sich nicht rächen,
wenn er sie mit Verachtung straft und auch dann
nicht opponieren, wenn er sie misshandelt.
Deutsch-indische Jugendbegegnung in Tamil Nadu/Kerala
Indische Frauen sind oft unterernährt, da zuerst
Ehemann und Kinder versorgt werden und die Frau
selbst nur das bekommt, was übrig bleibt.
Trotz aller beschriebenen Einschränkungen sind
Frauen in Indien „auf dem Vormarsch“. Die Frauenbewegung
ist präsent und arbeitet gegen die
traditionellen hinduistischen Praktiken und Glaubensvorstellungen,
die oft der Grund für die ungleiche
Behandlung von Mann und Frau sind. Auch
in der Politik wurde Anfang der neunziger Jahre
eine Frauenquote von 33 Prozent eingeführt. Vor
allem Selbsthilfegruppen und Projekte, die sowohl
aufklärende als auch unterstützende Funktionen
haben, werden immer häufiger.
Auf unserer Reise besuchten wir unter anderem
auch eine Art Schule, in der junge Frauen Nähen,
Maschinenschreiben und Computerarbeit lernten,
sodass sie gute Chancen auf einen Job haben.
Solche Projekte werden oft von karitativen Einrichtungen
wie z. B. von Kirchen subventioniert.
So wird ein wichtiger Beitrag zur Emanzipation
und Gleichberechtigung der Frau geleistet. Wir
sollten allerdings auch immer bedenken, dass
Indien von Grund auf eine ganz andere Kultur hat
als wir.
Wir verurteilen das Verhalten der Inder und Inderinnen
sehr leichtfertig, da es für uns so fremd
und unverständlich ist. Vielleicht kann man als
FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_109
GEGEN DEN TREND ’2009