Für andere und für mich, Band 2 - Arbeitsgemeinschaft der ...
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„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst” – Arbeiten in <strong>der</strong> Jugendarrestanstalt Nienburg<br />
<strong>und</strong> die ersten Jugendlichen den Gruppenraum<br />
betreten o<strong>der</strong> ich sie an <strong>der</strong> Zellentür mit Handschlag<br />
abhole <strong>und</strong> einlade, dann ist das Eis schnell<br />
gebrochen. Wenn wir dann alle in <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
R<strong>und</strong>e sitzen <strong>und</strong> ich ihnen erzähle, wer<br />
ich bin <strong>und</strong> warum ich hier bin <strong>und</strong> dass ich mit<br />
ihnen ins Gespräch kommen möchte, weil sie sich<br />
die „Zeit genommen haben“ miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> mit<br />
mir ins Gespräch zu kommen, dann verfliegt diese<br />
Angst <strong>und</strong> Unsicherheit <strong>und</strong> ich habe das Gefühl<br />
mit ganz normalen Jugendlichen zu reden. Es stellt<br />
sich ein Gefühl gegenseitiger Akzeptanz ein.<br />
Ich frage nicht nach ihren Straftaten, da ich<br />
keine Akteneinsicht habe <strong>und</strong> dazu keine Stellung<br />
nehmen kann, aber ich beantworte ihre Fragen<br />
zu dem weiteren Vorgehen nach ihrer Entlassung<br />
<strong>und</strong> versuche, mit ihnen Möglichkeiten <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />
zu suchen <strong>und</strong> sie zu ermutigen, diese<br />
Verän<strong>der</strong>ungen später auch erfolgreich umzusetzen.<br />
Vielleicht ist diese Gesprächsr<strong>und</strong>e seit langem<br />
<strong>der</strong> erste Moment, in dem ihnen jemand zuhört,<br />
einfach nur so, ohne sie zu beurteilen o<strong>der</strong> etwas<br />
von ihnen zu verlangen. Da ist jemand, <strong>der</strong> – ganz<br />
ohne jeden Hintergedanken - kommt, um mit<br />
ihnen zu reden <strong>und</strong> zu spielen, ohne sie nach ihren<br />
Straftaten zu beurteilen, son<strong>der</strong>n einfach nur, weil<br />
sie zurzeit „hier drinnen“ sind. Da vergehen die<br />
1,5 St<strong>und</strong>en wie im Flug <strong>und</strong> manchmal werden es<br />
auch schnell 2 St<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> ich denke überhaupt<br />
nicht mehr daran „im Knast“ zu sein, son<strong>der</strong>n<br />
habe das Gefühl, mit ganz normalen Jugendlichen<br />
zu reden <strong>und</strong> frage <strong>mich</strong> „Warum sind sie überhaupt<br />
hier?“<br />
Das Einzige, was uns dann nach <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Zeit wie<strong>der</strong> trennt, ist, dass ich das Haus nach<br />
DRAUßEN verlassen kann, während sie zurück in<br />
ihre Zellen gehen müssen. Manchmal bedanken<br />
<strong>und</strong> verabschieden sich Einzelne noch einmal<br />
persönlich <strong>für</strong> die ganze R<strong>und</strong>e. Dann gehe ich<br />
nachdenklicher weg, als ich gekommen bin <strong>und</strong><br />
manche Biografie geht mir noch eine Weile nach<br />
<strong>und</strong> ich überlege, was ICH <strong>für</strong> den Einzelnen tun<br />
kann ... Manchmal sind es die kleinen Hinweise,<br />
wie z. B. die Tatsache, dass es auch in Cuxhaven,<br />
Stade o<strong>der</strong> Lüneburg eine evangelische Jugend-<br />
arbeit gibt, dass dort Menschen sind, die jemanden<br />
begleiten könnten, wo man sich orientieren<br />
kann.<br />
Neulich traf ich einen Jugendlichen erneut in <strong>der</strong><br />
Anstalt (nach zwei Jahren). Er erzählte mir stolz,<br />
dass er das Schlüsselband <strong>der</strong> Evangelischen Jugend<br />
vom Street-Soccer-Turnier noch immer trage.<br />
Schön, dass es solche Momente auch gibt. Aber<br />
häufig stellt sich mir die Frage, welchen Sinn dieser<br />
verhängte Arrest <strong>für</strong> den Einzelnen macht, nur<br />
weil er seine Sozialst<strong>und</strong>en nicht abgeleistet hat ...<br />
Sozialst<strong>und</strong>en, die z. B. darin bestehen, Stühle einer<br />
Einrichtung in einem Keller abzuschleifen, die<br />
dann später verbrannt werden bzw. auf dem Müll<br />
landen o<strong>der</strong> eine 85-jährige Frau im Altenheim zu<br />
baden ... Welche Aufgaben, die Sinn machen <strong>und</strong><br />
<strong>für</strong> alle zumutbar sind, haben wir eigentlich <strong>für</strong><br />
diese Jugendlichen <strong>und</strong> welche Hilfen zum Leben<br />
brauchen sie wirklich?<br />
Auch im Arrest selbst stehen häufig personelle<br />
<strong>und</strong> sachliche Gründe dem erzieherischen Aspekt<br />
entgegen. Enge Dienstpläne <strong>und</strong> mangelnde<br />
Möglichkeiten an Freizeitangeboten (u. a. auch<br />
bedingt durch die räumlichen Gegebenheiten in<br />
<strong>der</strong> Anstalt) lassen einen erzieherischen Arrest<br />
manchmal kaum zu.<br />
Die wöchentliche<br />
Gesprächsgruppe<br />
Nach § 90 JGG ist <strong>der</strong> Arrest erzieherische Arbeit<br />
<strong>und</strong> bedarf einer pädagogischen, erzieherischen<br />
<strong>und</strong> lebensbewältigenden Begleitung <strong>der</strong> Arrestanten<br />
während ihres Aufenthaltes in <strong>der</strong> Arrestanstalt.<br />
FÜR ANDERE UND FÜR MICH (BAND 2)_81<br />
GEGEN DEN TREND ’2009