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November 1999 · Jahrgang 51 - Tiroler Jägerverband

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20 Jahre Vogelrichtlinie<br />

Schützen wir sie alle - und wir helfen nur ein paar wenigen wirklich . . .<br />

So wie jede Sache<br />

zwei Seiten hat, so<br />

wie ein zur Hälfte<br />

mit Wasser gefülltes<br />

Glas „halbvoll”<br />

oder „halbleer” sein<br />

kann, läßt sich grundsätzlich ein Problem<br />

von zwei verschiedenen Seiten<br />

her bearbeiten.<br />

Im Jahr 1979 entschied sich die Europäische<br />

Gemeinschaft bei der<br />

Schaffung der Vogelrichtlinie<br />

79/409/EWG für eine der möglichen<br />

Varianten von Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen<br />

zugunsten der Vogelwelt<br />

in Europa, die vielleicht schon<br />

10 oder 15 Jahre später, jedenfalls<br />

aber heute grundsätzlich in Frage gestellt<br />

würde.<br />

„Macht es denn Sinn, jedem in Europa<br />

vorkommenden Vogel, welcher<br />

Art auch immer, von vorneherein und<br />

generell den Schutzstatus der »Unantastbarkeit«<br />

aufzuerlegen?” Der bittere<br />

Nachgeschmack, bedingt durch die<br />

große Menge nicht zu bewältigender<br />

Aufgaben der Kommission, mit der<br />

die Mitgliedstaaten konfrontiert werden,<br />

wirft die Frage auf, „Wo beginnen?”,<br />

wenn ein Ende der Pflichten<br />

und Zusagen nicht in Sicht ist.<br />

Die Methodik aller Mitgliedstaaten<br />

erinnert an das Bestreuen von Tortenstücken<br />

mit einem Zuckerstreuer.<br />

Würden wir denn heute nicht unsere<br />

Kräfte vielmehr auf jene Tierarten focussieren,<br />

die unserer Aufmerksamkeit,<br />

des Bemühens und der menschlichen<br />

Hilfe, einer geregelten Bewirtschaftung<br />

und einer vollziehbaren<br />

Kontrolle bedürfen?<br />

Die Richtlinien der EU Anfang der<br />

Neunziger (etwa die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie<br />

92/43 / EWG) zeigen<br />

diesen zweiten Weg der Artenlisten<br />

auf, welchen Priorität hinsichtlich der<br />

zu setzenden Maßnahmen und der<br />

einzusetzenden Mitteln zu gelten hat.<br />

Die Motivation ist in diesem zweiten<br />

Fall eine ungleich andere: Aufgaben<br />

und Ziele sind sichtbar, scheinen<br />

nicht unerreichbar und lassen sich<br />

überblicken. Entscheiden Sie selbst:<br />

Halbvoll oder halbleer!<br />

Die Schwerfälligkeit läßt sich leicht<br />

anhand von Beispielen illustrieren:<br />

Wenn unter Beachtung der Vogelrichtlinie<br />

in ganz Europa eine Vogelart<br />

die autochtonen und in den einzelnen<br />

Regionen heimischen Fischarten<br />

gefährdet, wird der an der Fisch-<br />

Fauna verursachte Schaden von einer<br />

geschützten Art (sagen wir vom Kormoran)<br />

herbeigeführt.<br />

Nur Arten des Anhanges II lassen sich<br />

generell - über jagdliche Maßnahmen<br />

- reduzieren, vertreiben oder bewirtschaften.<br />

Jede andere europäische Vogelart,<br />

und wir finden den Kormoran<br />

nicht in Anhang II der Vogelrichtlinie,<br />

läßt sich nur über Artikel 9 und<br />

dessen streng normierte Ausnahmeregelungen<br />

beeinflussen.<br />

Auch die bloße Vertreibung, das<br />

Stören an Schlafbäumen oder Nestern<br />

(Horsten) oder die Unterbindung<br />

der Reproduktion oder die Beeinflussung<br />

der Jungenaufzucht würden<br />

schon Eingriffe gegen den<br />

Schutzstatus der Vogelrichtlinie bedeuten.<br />

Ein über Jahre hinweg Periode für Periode<br />

etabliertes Vertreibungs- und<br />

Abschußsystem gestützt auf den<br />

Schadenstatbestand des Artikel 9 -<br />

entspräche jedenfalls nicht der „Ausnahme<br />

von der Regel”, weil es nach<br />

Jahren selbst „Regel” wäre. Artikel 9<br />

kann aber nicht Anhänge - etwa Anhang<br />

II/2. Teil ersetzen. Um die Realität,<br />

nämlich die Zunahme der Kormoranbestände<br />

in Europa, einzuholen,<br />

ist eine Gesamtänderung der Vogelrichtlinie<br />

notwendig. Bis die<br />

Richtlinie adaptiert wird, kann es für<br />

die Ökosysteme in manchen Regionen<br />

zu spät sein.<br />

Ein anderes Beispiel sind die Rabenvögel<br />

(Corvidae), die 1979 offenbar<br />

bei der Endredaktion der Vogelrichtlinie<br />

„vergessen worden waren”.<br />

15 Jahre dauerte es, bis die Rabenvögel<br />

in Anhang II/2. Teil aufgenommen<br />

wurden. Österreich hat im Zuge<br />

seiner Beitrittsverhandlungen diese<br />

Richtlinienänderung (Erweiterung<br />

des Anhanges II/2. Teil um die Rabenvögel)<br />

offenkundig „verschlafen”und<br />

alle vier Arten der Corvidae<br />

„nicht als bejagbar” reklamiert und<br />

sohin nicht „genannt”.<br />

Trotz einer innerstaatlich akkordierten<br />

Fachmeinung aller neun Regionen<br />

in Österreich hatten es die Vertreter<br />

beim Verhandeln verabsäumt,<br />

das „Kreuzchen” bei den vier Vogelarten<br />

zu machen. Die Auswirkungen<br />

dieses formaljuristischen Versäumnisses<br />

sind für unsere heimische Tierwelt<br />

(vor allem für die Singvögel und das<br />

Jungwild) fatal: Seit 1995 (dem Beitrittsjahr<br />

Österreichs) verstößt die Bejagung<br />

der Rabenvögel in Österreich<br />

gegen Gemeinschaftsrecht, weil das<br />

„Kreuzchen” an der richtigen Stelle<br />

fehlt.<br />

Was bis Dezember 1994 richtig war<br />

und in 13 Mitgliedstaaten zulässig ist,<br />

ist seit 1995 in Österreich nicht mehr<br />

gesetzeskonform. Um diesen Umstand<br />

zu sanieren, ist eine Gesamtänderung<br />

der Vogelrichtlinie notwendig.<br />

Bis die Richtlinie in der Spalte<br />

Österreichs in Anhang II/2. Teil „repariert”<br />

ist, wird es für viele Beutetiere<br />

der Rabenvögel - darunter sind vor<br />

allem auch andere Vogelarten - zu<br />

spät sein.<br />

Es zeigt sich, daß ein lückenlos erscheinendes<br />

oder wenig flexibles „Tabu-System”<br />

dazu führt, bestimmte<br />

Vogelarten in Europa zu begünstigen:<br />

Dann nämlich, wenn auf tatsächliche<br />

Populationstrends nicht flexibel genug<br />

reagiert werden kann und eine<br />

schwerfällige Gesamtänderung der<br />

Richtlinie als Lösung für ein Problem<br />

um Jahre zu spät eintritt.<br />

Wir Europäer könnten viel mehr für<br />

den Vogelschutz in Europa tun, wenn<br />

dort Maßnahmen und Regulierungen<br />

möglich wären, wo sie nötig sind.<br />

Zum Wohle betroffener Tierarten -<br />

und nicht, um eine starre und unflexible<br />

Rechtsnorm zu vollziehen.<br />

Dr. Peter Lebersorger<br />

Zentralstelle Österreichischer<br />

Landesjagdverbände<br />

15 JAGD IN TIROL ➜ 11/99

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