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Die antifaschistische Einheitsfront-Kundgebung - Stiftung ...

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»Nie zu Hitler!«<br />

<strong>Die</strong> <strong>antifaschistische</strong><br />

»Nie<br />

<strong>Einheitsfront</strong>-<strong>Kundgebung</strong><br />

zu Hitler!«<br />

26. August 1934, Sulzbach/Saar<br />

Eine Ausstellung der <strong>Stiftung</strong> Demokratie Saarland<br />

Von Joachim Heinz


1<br />

<strong>Die</strong> erste Regierungskommission<br />

1920, v. l.: Alfred von Boch, Graf<br />

Moltke-Huitfeldt, Präsident Victor<br />

Rault, Richard Waugh und Jacques<br />

Lambert<br />

Historischer Hintergrund<br />

Im Versailler Friedensvertrag von 1919, der<br />

Folge des vom Deutschen Reich verlorenen<br />

Ersten Weltkrieges war, wurde in einem speziellen<br />

»Saarstatut« u. a. folgendes festgelegt:<br />

Politisch musste Deutschland zugunsten des<br />

Völkerbundes auf die Regierungsmacht über<br />

das Saarbeckengebiet verzichten, sie wurde<br />

einer Kommission anvertraut, die den Völkerbund<br />

vertrat. <strong>Die</strong>se Regierungskommission<br />

bestand aus einem französischen Mitglied,<br />

einem nicht französischen Mitglied, das aus<br />

dem Gebiet des Saarbeckens stammen und<br />

dort wohnen musste, und drei Mitgliedern,<br />

die Staatsangehörige dreier anderer Länder<br />

als Frankreich und Deutschland waren. Nach<br />

15 Jahren, beginnend mit dem Inkrafttreten<br />

des Versailler Friedensvertrages am 10. Januar<br />

1920, sollte die Bevölkerung in einer freien<br />

Abstimmung über folgende Möglichkeiten<br />

entscheiden:<br />

• Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtsord-<br />

nung (Status quo)<br />

• Vereinigung mit Frankreich<br />

• Vereinigung mit Deutschland.<br />

Der Franzose Victor Rault war bis 1926 Präsident<br />

der Regierungskommission und deren<br />

starker Mann; weitere Mitglieder der ersten<br />

Regierungskommission waren der Belgier Jacques<br />

Lambert, der Däne Graf Moltke-Huitfeldt,<br />

der Saarländer Alfred von Boch und der Kanadier<br />

Richard Waugh. Von Boch, zuständig für<br />

Landwirtschafts-, Wohlfahrts,- und Gesundheitswesen<br />

trat schon im September 1920 zurück<br />

und wurde durch den ehemaligen Saarlouiser<br />

Bürgermeister Dr. Jacob Hector ersetzt.<br />

Wirtschaftlich erhielt Frankreich das volle und<br />

unbeschränkte, völlig schulden- und lastenfreie<br />

Eigentum an den Kohlengruben im Saarbecken<br />

mit dem ausschließlichen Ausbeutungsrecht.<br />

Damit war Frankreich größter<br />

Arbeitgeber im Saargebiet, was in der Folgezeit<br />

soziale Auseinandersetzungen oftmals<br />

auch zu nationalen Auseinandersetzungen<br />

werden ließen. Als Nebenanlagen zu den Gruben<br />

konnte Frankreich Volksschulen und technische<br />

Schulen für das Personal und deren<br />

Kinder gründen und Unterricht in französischer<br />

Sprache abhalten (Domanialschulen).<br />

Nach und nach wurde das Saarbeckengebiet<br />

dem französischen Zollsystem eingeordnet<br />

und der französische Franc alleiniges Zahlungsmittel.<br />

Kulturell versuchte Frankreich Einfluss bei der<br />

Saarbevölkerung zu gewinnen, um eine<br />

profranzösische Stimmung auch für die spätere<br />

Abstimmung zu erzeugen (pénétration<br />

pacifique).<br />

Dr. Jacob Hector (1872–1954),<br />

saarländisches Mitglied der<br />

Regierungskommission von 1920<br />

bis 1923. Im Hintergrund sein Sohn<br />

Edgar, umstrittener Innenminister<br />

im Saarland unter Johannes Hoffmann.


2<br />

Bis zur Machteinsetzung der nationalsozialistischen<br />

Regierung in Deutschland am 30. Januar<br />

1933 gab es keine Saarfrage. <strong>Die</strong> im Versailler<br />

Vertrag nach 15 Jahren vorgesehene<br />

Abstimmung über die politische Zukunft des<br />

Saargebietes schien nur eine Formsache zu<br />

sein. Bei allen relevanten politischen Parteien<br />

und gesellschaftlichen Organisationen im<br />

Saargebiet bestand im Hinblick auf die Abstimmung<br />

1935 Einigkeit: <strong>Die</strong> Vereinigung mit<br />

Deutschland war alternativlos.<br />

Als im Gemeinderat Sulzbach am 31. Januar<br />

1934 die Bildung der »Deutschen Front« zur<br />

Sprache kam, gab die sozialdemokratische<br />

Fraktion folgende Erklärung ab: »<strong>Die</strong> Formierung<br />

dieser ‚Deutschen Front‘ trennt erstmalig in<br />

der deutsch-saarländischen Geschichte die rein<br />

deutsche Bevölkerung in Deutsche erster und<br />

zweiter Klasse … Bis zum 30. Januar 1933<br />

brauchte man keine Formierung der ‚Deutschen<br />

Front‘. Sie bestand … <strong>Die</strong> Tragik … liegt darin,<br />

daß beide Gruppen zurück zum Reich wollen<br />

und sich nur darin unterscheiden, daß die ›Deutsche<br />

Front‹ der Rückgliederung sich bedingungslos<br />

unterwirft, während wir Sozialisten und alle<br />

sonstigen freiheitsliebenden Saardeutschen alle<br />

Ursache haben, zu fragen, was uns die Rückgliederung<br />

bringen wird … Deshalb richten wir als<br />

nicht minder gute Deutsche als die in der »Deutschen<br />

Front‘ zusammengeschlossenen Vertreter,<br />

die Forderung an die Reichsregierung: Beseitigt<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage bis 1933<br />

Festakt für die Weimarer<br />

Verfassung, die das demokratischrepublikanische<br />

Deutschland<br />

repräsentierte.<br />

die Konzentrationslager … Wir waren Deutsch,<br />

sind Deutsch und werden Deutsch bleiben. Würden<br />

wir aber bedingungslos unsere sozialistische<br />

Wählerschaft einer ungewissen Zukunft ausliefern,<br />

dann wäre das nicht nur undeutsch, sondern<br />

ein Verbrechen«.<br />

In perfider Weise warfen die »Deutsche<br />

Front« und die NSDAP allen, die wegen der<br />

politischen Zustände in Deutschland an einer<br />

Entscheidung für die Rückkehr nach Deutschland<br />

zweifelten oder sie ablehnten Verrat und<br />

Separatismus vor; sie verkürzten die Abstimmungsfrage<br />

auf die Alternative »Hier Deutschland-<br />

dort Frankreich«, womit ganz bewusst<br />

von den konkreten Zuständen in Deutschland<br />

zugunsten einer rein emotional-nationalen<br />

Entscheidung abgelenkt werden sollte. Darauf<br />

gab die Zeitung Westland in ihrer Ausgabe<br />

vom 18. August 1934 unter der Überschrift »Es<br />

gibt keinen Saarseparatismus« eine klare Antwort:<br />

»… daß eben, solange es in Deutschland<br />

keine faschistische Diktatur gab, kein Mensch<br />

überhaupt je Zweifel an der Selbstverständlichkeit<br />

der Rückgliederung hegen konnte … Aber<br />

an eine Verewigung der gegenwärtigen Rechtsordnung<br />

… denken die <strong>antifaschistische</strong>n Bevölkerungsteile<br />

und die Mehrheit der übrigen<br />

Anschlußgegner nicht. Ihre Entscheidung darf<br />

und kann kein Votum gegen Deutschland, sondern<br />

nur gegen Hitler sein. Ihre Entscheidung<br />

kann und wird kein Angriff gegen ihr »deutsches<br />

Status-quo-Anhänger wehren sich<br />

gegen den Separatismusvorwurf,<br />

»Westland« vom 18. August 1934<br />

Vaterland« sein, sondern einzig und allein gegen<br />

die faschistische Diktatur … So gesehen ist der<br />

Kampf um die Erhaltung der gegenwärtigen<br />

Rechtsordnung kein nationales Problem, sondern<br />

in höherem Sinne ein Kulturkampf, ein<br />

Kampf des freiheitlichen, demokratischen Rechtsideals<br />

gegen Willkür, Rechtlosigkeit und Barbarei.«


3<br />

Das werbewirksamste Plakat<br />

der »Deutschen Front«<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Nach mehreren Zwischenetappen im Juni<br />

und Oktober 1933, die u. a. die Selbstgleichschaltung<br />

und Auflösung aller bürgerlichen<br />

Parteien, der katholischen Zentrumspartei sowie<br />

die Selbstgleichschaltung der nationalen<br />

und christlichen Gewerkschaften des Saargebietes<br />

in der »Deutschen Gewerkschaftsfront<br />

Saar« brachten, wurde am 1. März 1934 die<br />

sog. »Dritte Deutsche Front« gebildet. Aus<br />

taktischen Gründen löste sich nun auch die<br />

NSDAP des Saargebietes auf, so dass alle Befürworter<br />

der bedingungslosen Rückgliederung<br />

in der »Deutschen Front« zusammengefasst<br />

waren. <strong>Die</strong> »Deutsche Front« entpolitisierte<br />

den Abstimmungskampf, »Klasseninteressen«<br />

und »Parteihader« sollten zurücktreten. Es<br />

ging nur noch um »unser Deutschland«; andere<br />

Alternativen wurden mit chauvinistischen<br />

und aggressiven Ausgrenzungsstrategien als<br />

Separatismus verteufelt.<br />

Nach Auflösung der<br />

NSDAP-Saargebiet<br />

bildet sich die<br />

3. »Deutsche Front«<br />

»Jetzt scheiden sich endgültig die Fronten! Auf<br />

der einen Seite stehen die anständigen Deutschen<br />

und auf der anderen Seite stehen Niedertracht<br />

und Verleumdung, steht der unbändige<br />

Haß gegen alles, was Deutsch ist« (Jakob Pirro,<br />

Landesleiter der »Deutschen Front« in: Deutsche<br />

Front Nr. 178 v. 15.10.1934).<br />

Es muss festgehalten werden, dass diese<br />

»Deutsche Front« eindeutig im Aufbau, in der<br />

Finanzierung und in der internen Machtverteilung<br />

eine Nachfolgeorganisation der NSDAP<br />

war.<br />

»<strong>Die</strong> NSDAP-Saar führte nunmehr den Namen<br />

Deutsche Front« (Gutachterliche Stellungnahme<br />

von Hanns Klein, langjähriger Leiter des<br />

Stadtarchivs Saarbrücken, in einem Entschädigungsfall<br />

vor dem OLG Köln 1961, S. 10).<br />

Jakob Pirro, ein enger<br />

Vertrauter von Gauleiter<br />

Bürckel führt die<br />

»Deutsche Front«


4<br />

Mit rationalen Argumenten<br />

kämpfte die Status-quo-<br />

Bewegung gegen<br />

die Rückgliederung zu<br />

Hitlerdeutschland<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Widerstand gegen das NS-Regime im Saargebiet 1933–1935.<br />

Auf dem Weg zum Status quo<br />

1. <strong>Die</strong> Sozialdemokratische Landespartei des Saargebietes [SPdS]<br />

Unmittelbar nach der Macht-<br />

einsetzung Hitlers begann<br />

die SPD im Saargebiet mit<br />

heftigen Angriffen auf das<br />

»braune Blutregime« und kriti-<br />

sierte auch die abwartende<br />

Haltung der SPD im Reich.<br />

An den Parteitag der saarlän-<br />

dischen SPD am 11. Februar 1933<br />

richtete der Vorsitzende Max<br />

Braun kämpferische Worte und<br />

rechnete mit dem neuen Regime<br />

ab. »Deutschland, unser Vaterland<br />

… ist das Land des blutigsten und<br />

hemmungslosesten Terrors gewor-<br />

den, in dem die Freiheit im täglichen<br />

Todeskampf liegt, in dem die Gerech-<br />

tigkeit durch die brutalste und hem-<br />

mungsloseste Ausbeutung ersetzt ist«.<br />

(Volksstimme v. 11. 2. 1933)<br />

<strong>Die</strong> heftige Kritik an den Zuständen in Hitlerdeutschland<br />

berührte in den ersten Monaten<br />

1933 nicht die Stellungnahme der SPD-Saar in<br />

der Rückgliederungsfrage, da man auf das rasche<br />

Abwirtschaften Hitlers hoffte.<br />

Erstmals Anfang August 1933 proklamierte<br />

Max Braun »die Saar dürfe niemals zu Hitlerdeutschland<br />

zurück.« <strong>Die</strong> SPD versuchte beim<br />

Völkerbund eine Verschiebung der Abstimmung<br />

um 5 bis 10 Jahre zu erreichen, bis Hitler<br />

nicht mehr an der Macht sei.<br />

Als der Völkerbund allerdings am 4. Juni 1934<br />

den Abstimmungstermin auf den 13. Januar<br />

1935 festsetzte, rief die Sozialdemokratische<br />

Landespartei des Saargebietes (SPdS), diesen<br />

Namen trug die Saar-SPD seit sie auf dem Parteitag<br />

am 12. November 1933 die Verselbständigung<br />

von der SOPADE, dem sozialdemokratischen<br />

Exilparteivorstand beschlossen hatte,<br />

am 6. Juni 1934 offiziell für den Status quo auf.<br />

»Für oder gegen Hitler, für oder gegen Konzentrationslager,<br />

für oder gegen Versklavung und<br />

Knechtschaft…für oder gegen Chaos und Untergang.«<br />

(Max Braun)<br />

Führende SPD- und Gewerkschaftsfuntionäre<br />

des Saargebietes<br />

rufen für den Status quo auf.


5<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Widerstand gegen das NS-Regime im Saargebiet 1933–1935.<br />

Auf dem Weg zum Status quo<br />

2. <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Saargebiet [KP]<br />

Flugblatt der KP-Saar<br />

vom 2. Juni 1934 mit<br />

Aufruf zum Status quo<br />

<strong>Die</strong> KP im Saargebiet nahm unnachgiebig<br />

gegen die »Errichtung der offen faschisti-<br />

schen Diktatur« Stellung, blieb aber in der<br />

Rückgliederungsfrage zunächst bei der Forderung<br />

nach bedingungsloser Rückgliederung<br />

an Deutschland.<br />

<strong>Die</strong>se Position resultierte aus der Einschätzung<br />

des deutschen Faschismus, der als »vorübergehende<br />

Erscheinung« betrachtet wurde.<br />

Im Sommer 1933 ging die KP im Saargebiet<br />

von dieser Haltung ab, vertrat aber bis Mitte<br />

1934 die desorientierende, weil überhaupt<br />

nicht zur Abstimmung stehende Parole von<br />

einem »roten Saargebiet in einem sozialistischen<br />

Rätedeutschland«.<br />

Im Frühjahr 1934 lehnte die KP die Rückgliederung<br />

an Hitlerdeutschland ab, ohne schon<br />

zum Status quo aufzurufen.<br />

Am 2. Juni 1934 erklärte die Bezirksleitung der<br />

KP des Saargebietes erstmals offiziell »den<br />

Werktätigen vorzuschlagen von den drei zur Abstimmung<br />

stehenden Varianten für die Beibehaltung<br />

des jetzigen Zustandes zu stimmen«<br />

(Arbeiterzeitung vom 2. 6.1934).<br />

Erst nachdem der bisherige politische Leiter<br />

der KP Saargebiet Paul Lorenz, der weiterhin<br />

die Sozialfaschismusthese vom Hauptfeind<br />

SPD vertrat, durch Fritz Pfordt abgelöst wurde,<br />

war der Weg frei für die <strong>Einheitsfront</strong> aus<br />

Sozialdemokratischer und Kommunistischer<br />

Partei für den Status quo im Saargebiet.


6<br />

Fritz Dobisch, Vorsitzender des<br />

Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

Saar (ADGB)<br />

Heinrich Wacker, einer der Führer<br />

der saarländischen Sozialdemokratie,<br />

aktiver Kämpfer der <strong>Einheitsfront</strong><br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Widerstand gegen das NS-Regime im Saargebiet 1933–1935.<br />

Auf dem Weg zum Status quo<br />

3. <strong>Die</strong> freien Gewerkschaften im Saargebiet<br />

Unmittelbar nach der Zerschlagung der freien<br />

Gewerkschaften durch das NS-Regime am<br />

2. Mai 1933 erklärten sich in kurzer Zeit die<br />

Verbände der freien Gewerkschaften im Saargebiet<br />

zu selbstständigen Organisationen.<br />

»<strong>Die</strong> freiwillige Gleichschaltung unter diesen<br />

Verhältnissen wäre ein Verrat an der Saararbeiterschaft<br />

… Auch wäre sie ein Verrat an der<br />

Vergangenheit der freien Gewerkschaften und<br />

unserer Weltanschauung.« (Julius Schwarz, Vorsitzender<br />

des Bergarbeiter-Verbandes (BAV) im<br />

Saargebiet am 14. Mai 1933).<br />

Ab 13. Mai 1933 erschien die« Saar-Bergarbeiter-Zeitung«<br />

und ab 16. Juni 1933 die »Saarländische<br />

Gewerkschafts-Zeitung«; beide Zeitungen<br />

attackierten heftig die Zustände in<br />

Deutschland, ließen die Abstimmungsfrage<br />

aber offen.<br />

Nachdem SPD und KPD im Saargebiet sich auf<br />

den Status quo geeinigt hatten, formulierte<br />

die Saar-Bergarbeiter-Zeitung: »Wenn Deutschland<br />

leben will, muß das Hitlerregime stürzen.<br />

Unser Kampfruf: Für eine freie deutsche Saar im<br />

freien deutschen Vaterlande«. (30. Juni 1934)<br />

Obwohl zahlreiche führende Funktionäre der<br />

freien Gewerkschaften des Saargebietes seit<br />

Mitte 1934 als Redner auf <strong>Kundgebung</strong>en der<br />

<strong>Einheitsfront</strong> auftraten und kleinere Gewerkschaftsverbände<br />

sich –teilweise zusammen<br />

mit den kommunistischen Einheitsverbänden<br />

– für den Status quo aussprachen, haben so-<br />

wohl der freigewerkschaftliche Dachverband<br />

(ADGB) als auch der Bergarbeiter-Verband<br />

(BAV), die größte freigewerkschaftliche Organisation<br />

im Saargebiet, offiziell erst am 16. Dezember<br />

1934 für den Status quo aufgerufen.<br />

Mutiger Kampf der freien<br />

Gewerkschaften des Saargebietes<br />

gegen das NS-Regime


7<br />

Peter Kiefer, Führer der »Deutschen<br />

Gewerkschaftsfront« an der Saar<br />

»Neue Saar-Post« nimmt noch keine<br />

klare Stellung in der Abstimmungsfrage<br />

ein<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Widerstand gegen das NS-Regime im Saargebiet 1933–1935.<br />

Auf dem Weg zum Status quo<br />

4. <strong>Die</strong> katholische Status-quo-Bewegung um Johannes Hoffmann<br />

<strong>Die</strong> Richtungskämpfe in der<br />

Zentrumspartei und in den<br />

christlichen Gewerkschaften<br />

des Saargebietes entschied<br />

der Flügel um den Führer der<br />

christlichen Bergarbeiter, der<br />

Landesratsabgeordnete der<br />

Zentrumspartei Peter Kiefer<br />

für sich. Er vertrat bedingungslos die Zusammenarbeit<br />

mit der NSDAP und befürwortete<br />

ein Aufgehen der katholischen Organisationen<br />

in der »Deutschen Front«. Es folgte die<br />

Selbstgleichschaltung und Auflösung der Zentrumspartei<br />

sowie die Unterstellung der<br />

christlichen Gewerkschaften und der katholischen<br />

Presse unter die Führung der<br />

»Deutschen Front« im Oktober<br />

1933.<br />

Johannes Hoffmann, Chefredakteur<br />

der katholischen Saarbrücker<br />

Landes-Zeitung, lehnte das NS-<br />

System vor allem wegen des Terrors<br />

gegen Katholiken und den<br />

Verbandskatholizismus ab.<br />

Nach seiner Entlassung bei der<br />

Landes-Zeitung gab Hoffmann ab<br />

6. Mai 1934 die »Neue Saar-Post, Un-<br />

abhängige Tageszeitung für christli-<br />

che und deutsche Kultur«, heraus. Sie<br />

bezog offen gegen den Terror des NS-<br />

Regimes und den der »Deutschen<br />

Johannes Hoffmann, Chefredakteur<br />

der katholischen »Neuen Saar-Post«.<br />

Führer der Hitlergegner im katholischen<br />

Lager<br />

Front« Stellung, vermied aber anfangs eine<br />

Stellungnahme zur Rückgliederungsfrage.<br />

Anfang Juni 1934 hieß es erstmals in der<br />

»Neuen Saar-Post«: »Wir wollen zu Deutschland,<br />

wenn Deutschland wieder frei ist.«<br />

Das offene Eintreten der katholischen Bischöfe<br />

von Trier und Speyer für die Rückgliederung<br />

nach Deutschland, auch zu Hitlerdeutschland,<br />

ließ den mutigen Kampf der katholischen<br />

Opposition ins Leere laufen. Ab September<br />

1934 rief die »Neue Saar-Post« offen für den<br />

Status quo auf, ebenso wie die erst am 30. November<br />

1934 gegründete oppositionelle Partei<br />

»Deutscher Volksbund für christlich-soziale Gemeinschaft«,<br />

die kaum noch Wirkung entfalten<br />

konnte.<br />

Zu einer Zusammenarbeit der katholischen Status-quo-Bewegung<br />

mit der <strong>Einheitsfront</strong> von<br />

SPdS und KP Saargebiet kam es nicht, da die<br />

ideologischen Vorbehalte der Katholiken gegenüber<br />

den Kommunisten, gespeist aus den<br />

Erfahrungen der Weimarer Republik, unüberbrückbar<br />

waren. <strong>Die</strong> Auftritte einiger weniger<br />

katholischer Geistlicher auf Veranstaltungen<br />

der <strong>Einheitsfront</strong>, wie z. B. von Pater Hugolinus<br />

Dörr, blieben die absolute Ausnahme.


8<br />

»Neue Front«, Zeitschrift der links-<br />

sozialistischen SAP, der sich die<br />

S.S.P. im Herbst 1934 anschloss<br />

Zeitung der S.S.P.<br />

<strong>Die</strong> Saarfrage 1933–1935<br />

Widerstand gegen das NS-Regime im Saargebiet 1933–1935.<br />

Auf dem Weg zum Status quo<br />

5. Kleinere politische Parteien und Organisationen<br />

Aus der Vielzahl von Splitterorganisa-<br />

tionen, die für die Entscheidung der<br />

Saarbevölkerung in der Abstimmung<br />

nur eine untergeordnete Rolle spielten,<br />

sollen beispielhaft nur die Saarländische<br />

Wirtschaftsvereinigung (SWV) und die<br />

Saarländische Sozialistische Partei (S.S.P.)<br />

kurz vorgestellt werden.<br />

S.S.P. fordert Aufnahme<br />

in die <strong>Einheitsfront</strong><br />

<strong>Die</strong> SWV wurde am 21. Oktober 1933 in<br />

Saarlouis gegründet und von dem ehemaligen<br />

saarländischen Mitglied der Regierungskommission<br />

Dr. Jacob Hector geleitet. Zu den<br />

Gründungsmitgliedern gehörte auch Pater<br />

Hugolinus Dörr. Sie vertrat von Anfang an den<br />

Status quo, obwohl zahlreiche Mitglieder insgeheim<br />

für eine Angliederung an Frankreich<br />

waren. <strong>Die</strong>s und die (finanzielle) Unterstützung<br />

von französischer Seite machte es der<br />

»Deutschen Front« leicht in der von ihr selbst<br />

geförderten nationalistischen, antifranzösischen<br />

Stimmung, die SWV aber auch die Status-quo-Bewegung<br />

insgesamt als ein »französisches<br />

U-Boot« zu verleumden.<br />

<strong>Die</strong> S.S.P., im Mai 1933 gegründet, wie auch<br />

die »Liga für Menschenrechte«,<br />

verfügten im Wesentlichen<br />

über den gleichen<br />

Mitgliederstamm. Sie<br />

traten für den Status quo<br />

ein und verbanden dies<br />

mit einem teils revolutio-<br />

nären, kommunistischen Programm. Erster<br />

Vorsitzender war Max Waltz, der kurzfristig<br />

1922 Bezirksleiter der KPD im Saargebiet war.<br />

Zahlreiche interne Querelen, Abspaltungen<br />

und Ausschlüsse kennzeichneten insbesondere<br />

die S.S.P. Sie versuchte wiederholt, aber<br />

vergebens, von der Sozialdemokratischen und<br />

der Kommunistischen Partei als weiterer Partner<br />

der <strong>Einheitsfront</strong> anerkannt zu werden.<br />

Ihre Resonanz in der Bevölkerung war gering.<br />

Im Ergebnis hat das Eintreten dieser Splittergruppen<br />

für den Status quo der <strong>Einheitsfront</strong><br />

und der katholischen Status-quo-Bewegung<br />

kaum größere neue<br />

Wählerschichten<br />

geöffnet, der Diffamierungskampagne<br />

der »Deutschen<br />

Front« gegen den<br />

Status quo insgesamt<br />

aber in die Hände gespielt.<br />

Zeitung der SWV


9<br />

Volkshaus Mitte der 1920er Jahre<br />

Reichsbannerheim Sulzbach<br />

Rechts oben: Reichsbannergruppe<br />

Sulzbach<br />

Rechts unten: Status-quo-Plakate<br />

auf dem Markt in Sulzbach<br />

Sulzbach als Hochburg<br />

der sozialistischen Arbeiter-<br />

bewegung bis 1935<br />

Sulzbach als Ort der großen <strong>antifaschistische</strong>n<br />

<strong>Kundgebung</strong> der <strong>Einheitsfront</strong> am 26. August<br />

1934 wurde zum einen wegen der guten (Verkehrs)-Infrastruktur<br />

für die Großveranstaltung<br />

ausgesucht. Der zentrale<br />

Bahnhof und das Gelände um<br />

das Reichsbannerheim in den<br />

Friedrich-Ebert-Anlagen<br />

waren günstige Voraussetzungen<br />

für diese Veranstaltung.<br />

Zum anderen war die Durchführung<br />

der <strong>Einheitsfront</strong>kundgebung<br />

gerade in Sulzbach<br />

auch eine Referenz an die eindrucksvolle<br />

Organisationskraft der dortigen sozialistischen<br />

Arbeiterbewegung. Sulzbach als Hochburg<br />

der sozialistischen Arbeiterbewegung im<br />

Saargebiet hatte auch schon Erfahrung mit<br />

der Durchführung solcher Massenveranstaltungen.<br />

So sprach der saarländische SPD-Vorsitzende<br />

Max Braun am 8. August 1933 vor<br />

»mehr als 10.000 Teilnehmern« anlässlich der<br />

Weltarbeitersporttage auf dem Mellin-Sportfeld<br />

in Sulzbach und verkündete u. a. »niemals,<br />

niemals, niemals Hitlerterror über die Saar …«<br />

(Deutsche Freiheit vom 10. August1933).<br />

Sowohl die freien Gewerkschaften, deren<br />

größte Organisation, der Bergarbeiter-Verband<br />

(BAV), unterhielt in Sulzbach das Volkshaus,<br />

die Sozialdemokratische Partei, zahl-<br />

reiche Vereine der Arbeiterkulturbewegung<br />

wie Arbeitersänger und Arbeitersportler,<br />

Naturfreunde und das Reichsbanner bzw. ab<br />

Frühjahr 1933 der Sozialistische Schutzbund<br />

(SSB) mit dem Reichsbannerheim konnten auf<br />

zahlreiche aktive Mitglieder zurückgreifen, die<br />

für die Vorbereitung und Durchführung einer<br />

solchen <strong>Kundgebung</strong> unerlässlich waren.


10<br />

<strong>Die</strong> Bildung der <strong>Einheitsfront</strong> wird<br />

verkündet<br />

Bergarbeiter-Gewerkschaft<br />

begrüßt die <strong>Einheitsfront</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Einheitsfront</strong> entsteht<br />

Mit der Festlegung des Ab-<br />

Saarländische Arbeitersänger<br />

und Arbeitersportler<br />

waren aktiv im Abstimmungskampf<br />

auch mit<br />

einer eigenen Zeitung<br />

stimmungstermins auf den<br />

13. Januar 1935 durch den<br />

Völkerbund am 4. Juni 1934<br />

waren die Versuche der Sozialdemokraten,<br />

eine Verschiebung<br />

der Abstimmung zu erreichen gescheitert.<br />

Auch die Parole der KP Saargebiet »Für ein<br />

rotes Saargebiet in einem sozialistischen Rätedeutschland«<br />

hatte sich als völlig irreführend<br />

für die Abstimmungsberechtigten gezeigt.<br />

Ende Juni 1934 beschlossen beide Parteien<br />

eine <strong>Einheitsfront</strong> zur Erreichung des Status<br />

quo zu bilden.<br />

»Um Hitler an der Saar zu schlagen«,<br />

wie es im Gründungsaufruf hieß, »rufen<br />

die Kommunistische und die Sozialdemokratische<br />

Partei die<br />

Arbeiter und das ganze Saarvolk zur<br />

Durchführung von gemeinsamen Aktionsmaßnahmen,<br />

gemeinsamen <strong>Kundgebung</strong>en,<br />

Versammlungen und Demonstrationen<br />

gegen den Faschismus<br />

…auf.«<br />

Beide Parteien blieben selbständig<br />

und erklärten, »ungeachtet ihres Willens<br />

die Aktionseinheit … herzustellen«,<br />

dass sie ihre unterschiedlichen,<br />

prinzipiellen Auffassungen über Ziel<br />

und Taktik der sozialistischen Arbeiterbewegung<br />

aufrechterhalten.<br />

Auch<br />

wenn der mutige<br />

Kampf der <strong>Einheitsfront</strong>, den Terror<br />

und die gesellschaftliche Ausgrenzung durch<br />

die »Deutsche Front« zu ertragen, nicht hoch<br />

genug eingeschätzt werden kann, bleibt festzustellen,<br />

dass die Bildung der <strong>Einheitsfront</strong>,<br />

ein halbes Jahr vor der Abstimmung, zu spät<br />

kam, um ernsthaft das Ergebnis der Abstimmung<br />

noch beeinflussen zu können. Der <strong>Einheitsfront</strong><br />

aus SPdS und KP Saargebiet<br />

gelang auch<br />

nicht die Ausweitung<br />

der <strong>Einheitsfront</strong> zu einer<br />

Volksfront. Insbesondere<br />

die Versuche<br />

katholische Arbeiter<br />

oder auch nur die katholischeStatus-quo-Bewegung<br />

zu einer Zusammenarbeit<br />

zu bewegen,<br />

was für ein deutlich besseres<br />

Ergebnis des Status quo<br />

am 13. Januar 1935 unbedingt<br />

notwendig gewesen<br />

wäre, blieben erfolglos.<br />

<strong>Die</strong> sozialdemokratische»Volksstimme«<br />

im<br />

Kampf für die<br />

<strong>Einheitsfront</strong>


11<br />

Aufruf zur<br />

<strong>Kundgebung</strong> in Sulzbach<br />

Aufruf in der sozialdemokratischen<br />

»Volksstimme« vom 26. August 1934<br />

»26. August heißt:<br />

Auf nach Sulzbach …«<br />

»Wir rufen das ganze Saarvolk<br />

zur großen Heerschau der ge-<br />

samten <strong>antifaschistische</strong>n Front<br />

in Sulzbach auf«, hieß es im Auf-<br />

ruf »An Alle«, der von Max Braun<br />

für die Sozialdemokratische Lan-<br />

despartei des Saargebietes und<br />

von Fritz Pfordt für die Kommunistische Partei<br />

Saargebiet, unterschrieben war.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kundgebung</strong> war ganz bewusst als Gegenveranstaltung<br />

zu der am gleichen Tag in<br />

Koblenz auf dem Ehrenbreitstein stattfindenden<br />

»Zwangsparade« der »Deutschen<br />

Front« geplant.<br />

<strong>Die</strong> Organisationen der <strong>Einheitsfront</strong>, SPdS<br />

und KP, sprachen auch christlich organisierte<br />

Arbeiter, Angestellte, Beamte und Mittelständler<br />

wie auch Bauern und Handwerker an »zur<br />

Niederwerfung der braunen Volksfeinde an der<br />

Saar« zu demonstrieren.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Einheitsfront</strong> versuchte alle Saarländerinnen<br />

und Saarländer anzusprechen, nicht nur<br />

ihre Parteimitglieder und<br />

Wähler, um so die Basis für<br />

eine Volksfront zu schaffen.<br />

Nur dann, insbesondere<br />

bei Einbeziehung der katholischen<br />

Arbeiter hatte<br />

der Status quo eine Chance.<br />

<strong>Die</strong> Schaffung einer gemeinsamen<br />

Volksfront für<br />

Aufruf in der »Saarländischen<br />

Gewerkschafts-Zeitung«<br />

Nr. 32 vom 10. August 1934<br />

den Status quo gelang allerdings nicht.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kundgebung</strong> in Sulzbach und die zweite<br />

große <strong>Kundgebung</strong> der <strong>Einheitsfront</strong> am 6. Januar<br />

1935 auf dem Kieselhumes in Saarbrücken,<br />

wieder parallel zur <strong>Kundgebung</strong> der<br />

»Deutschen Front« auf dem Wackenberg, erhielten<br />

große Aufmerksamkeit in der europäischen<br />

(<strong>antifaschistische</strong>n) Presse und bei den<br />

schon aus Deutschland exilierten Hitlergegnern.<br />

Der Widerstand der Status-quo-Bewegung<br />

konnte zwar die Rückgliederung des Saargebietes<br />

zum Naziregime nicht verhindern, trug<br />

aber dazu bei, der weitgehend »kampflosen<br />

Kapitulation« der deutschen Arbeiterbewegung<br />

1933 ein anderes, ein kämpferisches Bild<br />

entgegenzusetzten.<br />

Unmittelbar vor der Sulzbacher <strong>Kundgebung</strong> wurde<br />

auch der Auftritt eines katholischen Geistlichen als<br />

Redner angekündigt, siehe Kasten oben rechts.


12<br />

Klebezettel aus dem Saarabstimmungskampf,<br />

auch Aufrufe für die<br />

<strong>Kundgebung</strong> in Sulzbach, wurden<br />

zahlreich an Pfosten, Zäunen, Plakattafeln<br />

angebracht<br />

Aufrufe für die<br />

Sulzbacher <strong>Kundgebung</strong><br />

Links: Transparent am Haus der<br />

Arbeiterwohlfahrt in Saarbrücken<br />

Rechts: Heftiges Werben um<br />

katholische Stimmen, weitgehend<br />

ohne Erfolg<br />

Neben der Werbung in den Parteizeitungen<br />

»Volksstimme« und » <strong>Die</strong> Arbeiterzeitung«<br />

und einigen anderen <strong>antifaschistische</strong>n Zeitungen<br />

wie der sozialdemokratischen »Deutsche<br />

Freiheit« oder »Westland« und teils auch<br />

in Gewerkschaftszeitungen wurde auch mit<br />

Transparenten, wie etwa am Haus der Arbeiterwohlfahrt<br />

in der Saarbrücker Hohenzollernstraße,<br />

mit gemalten Aufschriften, Klebezetteln<br />

oder Flugblättern für die <strong>Kundgebung</strong> in<br />

Sulzbach geworben. Besonders erwähnenswert<br />

ist das Flugblatt der KP-Saargebiet<br />

»Katholiken!«. <strong>Die</strong> Kommunisten versuchten<br />

die katholische Bevölkerung, speziell die<br />

Werktätigen und die christlichen Gewerkschafter,<br />

für eine Aktionseinheit für den Status<br />

quo zu gewinnen. Gezielt wurden die Morde<br />

an den katholischen Funktionären Klausener<br />

und Probst durch die SS am 30. Juni 1934 und<br />

die Zerschlagung der christlichen Gewerkschaften<br />

und christlichen Jugendorganisationen<br />

im NS-Staat angesprochen. Der Einbruch<br />

ins katholische Lager im Saargebiet, auch in<br />

die katholische Status-quo-Bewegung gelang<br />

aber nicht. Insbesondere die Versprechen der<br />

Kommunisten für freie Religionsausübung,<br />

volle Glaubens- und Gewissensfreiheit waren<br />

für die saarländischen Katholiken wenig<br />

glaubwürdig.<br />

Auch in der benachbarten Pfalz wurde heimlich<br />

für die <strong>Kundgebung</strong> geworben. Im, zum<br />

Herrschaftsbereich von Gauleiter Bürckel gehörenden,<br />

Ort Waldmohr, wurde in der Nacht<br />

vom 16. auf den 17. August 1934, wie aus<br />

Gestapo-Akten hervorgeht, mit »großen weißen<br />

Buchstaben« folgende Aufschrift angebracht:<br />

»Alle Antifaschisten<br />

am 26. August<br />

nach Sulzbach<br />

für Status quo,<br />

Arbeit und Frieden<br />

<strong>Die</strong> Saar«<br />

In der Nähe wurde noch die Aufschrift »Heraus<br />

mit Tählmann« festgestellt.<br />

Gemeint war der KP-Vorsitzende und Reichstagsabgeordnete<br />

Ernst Thälmann, der seit<br />

3. März 1933 in Berlin-Moabit inhaftiert und<br />

am 18. August 1944 im KZ Buchenwald<br />

ermordet wurde.<br />

Abbildung aus der »Arbeiterzeitung«<br />

vom 28. August 1934


13<br />

Anmarsch am Friedhof Sulzbach<br />

Sulzbach – Ehrenbreitstein,<br />

in diesem Begriffspaar steckte ein<br />

unversöhnlicher Gegensatz<br />

Der Anmarsch nach Sulzbach<br />

Züge brachten die <strong>Kundgebung</strong>steilnehmer<br />

aus dem gesamten Saargebiet nach Sulzbach.<br />

Aus der näheren Umgebung wurden örtliche<br />

Marschgruppen gebildet, zahlreiche Teilnehmer<br />

kamen auch mit dem Fahrrad. <strong>Die</strong> Regierungskommission<br />

hatte strenge Auflagen für<br />

die <strong>Kundgebung</strong> verfügt. Zutritt zur <strong>Kundgebung</strong><br />

hatten nur Mitglieder der <strong>antifaschistische</strong>n<br />

Front mit einem besonderen Ausweis.<br />

Personen, die ihren Wohnsitz und<br />

dauernden Aufenthalt nicht im<br />

Saargebiet hatten, war die Teilnahme<br />

untersagt.<br />

Inhaltlich hob die sozialdemokratische<br />

Volksstimme in der<br />

Ausgabe vom 24. August 1934<br />

»Wir marschieren!« die klare<br />

Unterscheidung von Sulzbach<br />

und Ehrenbreitstein,<br />

wo die <strong>Kundgebung</strong> der<br />

»Deutschen Front« mit Hitler<br />

stattfand, hervor:<br />

»Freiheit – Knechtschaft«<br />

war die klare Alternative.<br />

»In Ehrenbreitstein demonstrieren<br />

die Sklavenhalter<br />

mit ihren Sklaven,<br />

die braunen Herren mit<br />

Von der Sammelstelle<br />

am Mellinsportplatz<br />

marschieren<br />

Kolonnen geschlossen<br />

den Quierschieder Weg<br />

hinab zum Festplatz in<br />

den Friedrich-Ebert-<br />

Anlagen Zahlreiche <strong>Kundgebung</strong>steilnehmer<br />

kamen mit dem Fahrrad<br />

Antifaschistische<br />

Jugend marschiert<br />

<strong>Die</strong> werktätigen Frauen<br />

in der Status-quo-Front<br />

dem Knechtvolk. <strong>Die</strong> Unterdrücker mit den Unterdrückten.<br />

In Sulzbach marschieren die Freiheit,<br />

der Geist der Gleichheit, des Fortschritts.<br />

Dort wird angetreten zum Kampf gegen Knechtschaft,<br />

gegen Mord, gegen Krieg und Hunger.<br />

Dort demonstrieren die freien Saarländer gegen<br />

die Barbarei des ›Dritten Reiches‹. Nie kommt die<br />

Saar zu Hitler!«


14<br />

Liedtexte, die während der<br />

<strong>Kundgebung</strong> gesungen werden<br />

Das Programm von Sulzbach<br />

Sulzbacher Arbeitersänger am<br />

23. August 1931 im Karlstal<br />

Das Programm der Kundge-<br />

bung begann schon mit dem<br />

Kulturprogramm am Vorabend,<br />

Samstag 25. August<br />

1934. Ein Kabarettabend u. a.<br />

mit Erich Weinert und dem<br />

Komponisten Paul Arma, Aufführungen der<br />

Sulzbacher Agit-Prop-Gruppe »Rote Funken«<br />

und des Eisler-Chors Dudweiler sowie des<br />

Arbeitergesangvereins Sulzbach wurden geboten.<br />

<strong>Die</strong> Naturfreunde hatten am <strong>Kundgebung</strong>splatz<br />

ein Zeltlager für Teilnehmer errichtet, die<br />

schon am Samstag anreisten.<br />

Im ursprünglichen Programm wurde Pater Hugolinus<br />

Dörr, der überraschend am 26. August<br />

auf der <strong>Kundgebung</strong> eine Rede hielt, nicht angekündigt.<br />

Sein Auftritt war die eigentliche<br />

Sensation der <strong>Einheitsfront</strong>kundgebung. Hugolinus<br />

Dörr war nach eigener Aussage kurz<br />

vor der Veranstaltung mit einem Flugblatt von<br />

Fritz Pfordt angesprochen worden, ob er nicht<br />

teilnehmen und auf der <strong>Kundgebung</strong> sprechen<br />

wolle. Es handelte sich sehr wahrscheinlich<br />

um das auf Tafel 12 abgedruckte Flugblatt<br />

der KP »Katholiken!«. Und im Gegensatz zu<br />

fast allen seinen Glaubensbrüdern hatte das<br />

Flugblatt Dörr nach eigenem Bekunden überzeugt.<br />

Der Programmablauf im Wechsel von politischen<br />

Reden, Massengesängen und Chor-<br />

darbietungen sowie weiteren Beiträgen von<br />

Arbeitersportlern und Arbeiterkulturgruppen<br />

war typisch für Veranstaltungen, speziell der<br />

sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in<br />

Deutschland vor 1933.<br />

Programmablauf von Sulzbach,<br />

noch ohne die Ankündigung von<br />

Pater Dörr, »Volksstimme« vom<br />

22. August 1934


15<br />

Richard Kirn,<br />

Anfang der 1950er Jahre<br />

SPS-Zeitung wehrt 1949 Angriffe gegen<br />

Kirn ab, er habe Antifaschisten<br />

vor dem Volksgerichtshof belastet<br />

Hauptakteure von Sulzbach<br />

Richard Kirn<br />

Richard Kirn wurde am 23. Oktober 1902 im<br />

saarländischen Bergmannsort Schiffweiler<br />

geboren. Er erlernte den Beruf des Bergmanns<br />

und wurde 1920 Mitglied des freigewerkschaftlichen<br />

Bergarbeiter-Verbandes (BAV) und 1923<br />

der SPD. Nach einem fünfmonatigen Gewerkschaftlehrgang<br />

1923 in der Heimvolkshochschule<br />

Tinz wurde er Jugendvertreter in der<br />

Bezirksleitung Saar des BAV. 1927 wurde er in<br />

Sulzbach hauptamtlicher Gewerkschaftsanges<br />

tellter und 1929 Vorsitzender der örtlichen<br />

SPD. Er war Hauptorganisator der <strong>Einheitsfront</strong>kundgebung<br />

vom 26. August 1934.<br />

Am 19. Januar 1935 ging er ins französische<br />

Exil, zunächst nach Forbach,<br />

wo er in der Beratungsstelle für Saarflüchtlinge<br />

mitarbeitete. Von Januar<br />

1936 bis Mai 1939 war er Angestellter<br />

der französischen Gewerkschaft<br />

CGT im Rechtsschutzressort. Während<br />

der ganzen Zeit setzte er seine<br />

Widerstandsarbeit gegen das<br />

NS-Regime fort, was ihm am<br />

16. November 1937 die Ausbürgerung<br />

durch das Deutsche<br />

Reich einbrachte.<br />

Er war Mitglied im Leitungsgremium<br />

des Arbeitsausschusses<br />

freigewerkschaftlicher Bergarbeiter<br />

Deutschlands. 1939<br />

floh er nach Südfrankreich<br />

Richard Kirn erhält von Ministerpräsident Oskar Lafontaine<br />

den Saarländischen Verdienstorden. Ganz rechts,<br />

Heinz Grandmontagne, auf den der Vorschlag zur<br />

Ehrung von Richard Kirn zurückgeht.<br />

und arbeitete zeitweise als Bergarbeiter.<br />

Am 22. September 1941 wurde er durch die<br />

französische Polizei verhaftet und im Juni<br />

1942 an die Deutsche Wehrmacht übergeben.<br />

Am 12. April 1943 verurteilte ihn der Volksgerichtshof<br />

wegen Vorbereitung zum Hochverrat<br />

zu acht Jahren Zuchthaus.<br />

Nach der Befreiung durch die Rote Armee am<br />

27. April 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden<br />

kehrte Kirn Ende 1945 ins Saarland<br />

zurück, wo er am 30. Juni 1946 Vorsitzender<br />

der Sozialdemokratischen Partei des<br />

Saargebietes, als Nachfolger des inzwischen<br />

im Londoner Exil verstorbenen Max Braun,<br />

wurde.<br />

Ab Herbst 1946 war er Direktor für Arbeit und<br />

Wohlfahrt im Regierungspräsidium Saar.<br />

Von 1947 bis 1955 war Kirn Mitglied des Saarländischen<br />

Landtags und mit Unterbrechungen<br />

Arbeitsminister und stellvertretender<br />

Ministerpräsident in verschiedenen<br />

Kabinetten von Johannes Hoffmann.<br />

Nach der Abstimmung über das Saarstatut am<br />

23. Oktober 1955 zog Kirn nach Frankreich<br />

(Saargemünd), wo er bis zu seinem Tod lebte.<br />

Am 12. Juni 1986 verlieh ihm Ministerpräsident<br />

Lafontaine den Saarländischen Verdienstorden.<br />

Richard Kirn starb am 4. April 1988.


16<br />

Fritz Pfordt als Redner im<br />

Abstimmungskampf<br />

Fritz Pfordt<br />

Hauptakteure von Sulzbach<br />

Fritz Pfordt<br />

Fritz Pfordt wurde am 18. Februar 1900 in<br />

Landsweiler-Reden geboren.<br />

Ab 1917 arbeitete er als Schlosser in den<br />

Eisenbahnwerkstätten Neunkirchen.<br />

1917 trat Pfordt in den Eisenbahnerverband,<br />

1921 in die USPD und 1923 in die KPD ein.<br />

1926 wurde er in den Bezirksvorstand des<br />

kommunistischen Einheitsverbandes der<br />

Eisenbahner gewählt, im Oktober 1928 aber<br />

aus dem Verband ausgeschlossen.<br />

Ab Juni 1929 war er Redakteur des saarländischen<br />

KP-Organs »<strong>Die</strong> Arbeiterzeitung«.<br />

1931 Abgeordneter des Landesrates.<br />

1932 besuchte er die Internationale Leninschule<br />

in Moskau.<br />

Ab Mitte Juni 1934 war Pfordt Politischer<br />

Leiter der Bezirksleitung Saargebiet der KP.<br />

Bis zu seinem Bruch mit der KPD nach dem<br />

Hitler-Stalin-Pakt 1939 arbeitet er als Instrukteur<br />

der MOPR (Internationale Organisation zur<br />

Unterstützung der Kämpfer der Revolution).<br />

Zeitweise war er wie Herbert Wehner in<br />

Schweden interniert.<br />

Zurück im Saarland war er führend in der MRS<br />

(Mouvement pour le Rattachement de la Sarre à<br />

la France) tätig, die den Anschluss der Saar an<br />

Frankreich vertrat.<br />

Pfordt starb am 12. Oktober 1957 in Saarbrücken.<br />

<strong>Die</strong> Hauptakteure<br />

von Sulzbach: Max Braun, Fritz Pfordt<br />

und Pater Dörr


17<br />

Pater Hugolinus Dörr<br />

Hugolinus Dörr wurde am<br />

24. Juli 1895 in Sellerbach, im Köllertal, gebo-<br />

ren. Nach der Volksschule besuchte er das<br />

Missionshaus der Steyler Missionare in St.<br />

Wendel und begann 1913 in deren Einrichtung<br />

St. Gabriel in Mödling bei Wien das Studium<br />

der Theologie.<br />

Ab Sommer 1916 bis Kriegsende 1918 nahm<br />

er als Lazarett- und Revierschreiber am Ersten<br />

Weltkrieg teil.<br />

Am 28. Januar 1923 wurde Hugolinus Dörr<br />

zum Priester geweiht und für die Mission Südschantung<br />

bestimmt. Er musste den Missionsaufenthalt<br />

in China nach kurzer Zeit krankheitsbedingt<br />

abbrechen. Zeitweise musste er<br />

sich in psychiatrische Behandlung begeben<br />

und litt unter Depressionen.<br />

Hauptakteure von Sulzbach<br />

Pater Hugolinus Dörr<br />

Pater Dörr (mit Bart) spricht<br />

auf einer <strong>antifaschistische</strong>n<br />

<strong>Kundgebung</strong><br />

Nach der Rückkehr in seine Heimat half er<br />

gelegentlich dem Ortsgeistlichen in der Krankenbetreuung,<br />

widmete sich aber vor allem<br />

dem Studium der Homöopathie. Seine praktische<br />

Heiltätigkeit führte zu Beschwerden<br />

beim Orden.<br />

Dörr war Mitbegründer der Saarländischen<br />

Wirtschaftsvereinigung (SWV). Sie wurde am<br />

21. Oktober 1933 gegründet und trat für den<br />

Status quo ein. Dörr warb auch für die »Neue<br />

Saar-Post« von Johannes Hoffmann.<br />

Auch nach der <strong>Kundgebung</strong> am 26. August<br />

1934 in Sulzbach sprach Dörr auf zahlreichen<br />

Veranstaltungen der <strong>Einheitsfront</strong> und der<br />

SWV im Saargebiet. Hugolinus Dörr wurde zusammen<br />

mit Max Braun der bestgehasste politische<br />

Gegner der »Deutschen Front« und der<br />

Nationalsozialisten, die ihn als<br />

geisteskrank und sexuell pervers<br />

verunglimpften, da er sich<br />

auch mit sexualethnologischen<br />

Schriften beschäftigt hatte. <strong>Die</strong><br />

Katholische Kirche distanzierte<br />

sich von Pater Dörr.<br />

»Volksstimme« vom<br />

4. September 1934<br />

Max Braun und Pater Dörr auf der<br />

<strong>Kundgebung</strong> in Sulzbach<br />

Im Herbst 1934 siedelte Dörr aus Angst um<br />

sein Leben, aber auch auf Anordnung der<br />

Steyler Missionare nach Forbach über und<br />

nahm die französische Staatsbürgerschaft an.<br />

Bischof Rémond von Nizza nahm ihn in seine<br />

Diözese auf. Bis zum Abstimmungstag trat<br />

Dörr aber immer wieder auf Versammlungen<br />

im Saargebiet auf.<br />

1939 wurde Dörr wie alle Saarflüchtlinge, obwohl<br />

französischer Staatsbürger, interniert,<br />

kam im Mai 1940 ins Fort Asnières bei Dijon,<br />

wo er am 6. Juni 1940 unter noch nicht zweifelsfrei<br />

geklärten Umständen ums Leben kam.<br />

Rufmord des »Rufer im Warndt«<br />

an Pater Hugolinus Dörr


18<br />

Max Braun<br />

Max Braun mit sozialdemokratischen<br />

Kampfgenossen. Links neben<br />

ihm Parteisekretär Mössinger,<br />

rechts neben ihm Ernst Braun, Vorsitzender<br />

der Soz. Arbeiterjugend im<br />

Saargebiet<br />

Hauptakteure von Sulzbach<br />

Max Braun<br />

Max Braun wurde am 14. August 1892 in<br />

Neuss geboren und ergriff den Beruf des<br />

Volksschullehrers. Nach dem Ersten Weltkrieg<br />

trat er in die SPD in Neuss ein, und wurde<br />

schnell deren Vorsitzender und Chefredakteur<br />

der örtlichen Parteizeitung.<br />

Nach der Ausweisung mehrerer Redakteure<br />

der sozialdemokratischen Volksstimme in<br />

Saarbrücken durch die Franzosen übernahm<br />

Braun ab Februar 1923 die Chefredaktion der<br />

Volksstimme. 1923 heiratete er die Lehrerin<br />

Angelika Stratmann, die sich im Saargebiet sowohl<br />

als Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt<br />

und in der SPD engagierte, als auch Beiträge<br />

für die Volksstimme schrieb. Braun erwarb sich<br />

als charismatischer Redner und glänzender<br />

Journalist schnell hohes Ansehen im Saar-<br />

Max Braun und<br />

seine Frau Angela<br />

gebiet und wurde<br />

von der SPD-Saar im Februar 1928 zum<br />

Vorsitzenden gewählt. Im Abstimmungskampf<br />

1933 bis 1935 an der Saar war er der<br />

führende intellektuelle Kopf der Status-quo-<br />

Bewegung und der <strong>Einheitsfront</strong> aus SPdS<br />

und KP Saargebiet.<br />

Nach der Volksabstimmung floh er nach Frankreich,<br />

zuerst nach Forbach und schließlich<br />

nach Paris. Er engagierte sich weiter gegen<br />

den Nationalsozialismus und unterstützte<br />

besonders die Saaremigranten z. B. durch die<br />

Beratungsstelle für Saarflüchtlinge in Forbach<br />

und der Herausgabe von Zeitungen für die<br />

Saaremigranten, wie die »Nachrichten von der<br />

Saar«. In Paris setzte er seine Arbeit im »Office<br />

Sarrois« fort. Im Lutetia-Kreis bemühte er sich<br />

wie Heinrich Mann oder Willy Brandt vergebens<br />

um die Bildung einer Deutschen Volksfront<br />

gegen Hitler.<br />

Nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich<br />

emigrierte Braun nach England, wo er<br />

sich der Gruppe der »Parlamentarier« anschloss<br />

und sich in deutschsprachigen Propagandasendungen<br />

gegen Hitlerdeutschland<br />

engagierte.<br />

Am 3. Juli 1945 starb Max Braun, die Einreisedokumente<br />

für das Saarland in der Tasche, an<br />

den Folgen eines Hirnschlags.


19<br />

Hauptakteure von Sulzbach<br />

Erich Weinert<br />

Erich Bernhard Gustav Weinert wurde am<br />

4. August 1890 in Magdeburg geboren.<br />

1908 bis 1910 Besuch der Kunstgewerbe- und<br />

Handwerkerschule in Magdeburg;<br />

1912 schloss er sein Studium an der Königlichen<br />

Kunstschule Berlin mit Staatsexamen<br />

als akademischer Zeichenlehrer ab.<br />

Er nahm am 1. Weltkrieg teil und lehrte nach<br />

1918 an der Magdeburger Kunstgewerbeschule;<br />

ab 1920 veröffentlichte er erste<br />

Gedichte und trat als Vortragskünstler und<br />

Schauspieler auf. Ab 1923 veröffentlichte<br />

Weinert in zahlreichen kommunistischen<br />

und linksbürgerlichen Zeitschriften. Er war<br />

Mitbegründer des Bundes proletarisch-revolutionärer<br />

Schriftsteller und trat 1929<br />

der KPD bei.<br />

1933 Flucht über die Schweiz und Frankreich<br />

ins Saargebiet, zeitweise lebte er<br />

mit seiner Familie aus Sicherheitsgründen<br />

in Forbach.<br />

<strong>Die</strong>ses Gedicht wurde von Weinert auf der<br />

<strong>Kundgebung</strong> in Sulzbach vorgetragen<br />

Erich Weinert<br />

im Saarabstimmungskampf<br />

Er engagierte sich anfangs für die KP, dann<br />

auch für die <strong>Einheitsfront</strong> im Saarabstimmungskampf.<br />

In zahlreichen Veranstaltungen,<br />

auch auf den großen <strong>antifaschistische</strong>n <strong>Kundgebung</strong>en<br />

der <strong>Einheitsfront</strong> am 26. August<br />

1934 in Sulzbach und am 6. Januar 1935 in<br />

Saarbrücken auf dem Kieselhumes trat er auf;<br />

er verfasste etliche Gedichte zum Saarthema.<br />

Nach der Saarabstimmung reiste er über Paris<br />

nach Moskau.<br />

1937 bis 1939 nahm er als Mitglied der Internationalen<br />

Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg<br />

teil.<br />

Im 2. Weltkrieg beteiligte er sich auf sowjetischer<br />

Seite als Propagandist.<br />

Ab 1943 war er Präsident des Nationalkomitees<br />

Freies Deutschland. 1946 kehrte er, bereits<br />

schwer erkrankt, nach Deutschland, in die<br />

Sowjetische Besatzungszone, zurück.<br />

Am 20. April 1953 starb Weinert in Berlin. In<br />

der DDR erhielt er nach seinem Tod zahlreiche<br />

Ehrungen.


20<br />

Der Verlauf der <strong>Kundgebung</strong><br />

Arbeitermassenchöre<br />

sangen das Rote Saarlied<br />

von Erich Weinert<br />

Der Sulzbacher SPD-Vorsitzende Richard Kirn<br />

eröffnete die <strong>Kundgebung</strong>. Kirn begrüßte die<br />

Teilnehmer, die Redner und die anwesenden<br />

Mitglieder der Abstimmungskommission mit<br />

den Kampfrufen »Freiheit« und »Rot Front«.<br />

Mit Bezug auf die Gegenveranstaltung in<br />

Ehrenbreitstein und die Verbrechen im<br />

»Dritten Reich« fügte er hinzu, »… unser<br />

Deutschland, das Land der Dichter und Denker«<br />

... ist »zum Land der Henker und Richter schlechthin<br />

geworden«.<br />

Anschließend verlas er zwei Telegramme,<br />

eines an »Thälmann, Berlin Moabit« und an<br />

den inhaftierten Sozialdemokraten «Mierendorff,<br />

Konzentrationslager, Lichtenburg«.<br />

»Zehntausende werktätige Saarländer«, hieß<br />

es darin, »versammelt auf der <strong>Einheitsfront</strong>kundgebung<br />

der <strong>antifaschistische</strong>n Front in<br />

Sulzbach, entbieten Dir ihre heißen Kampfesgrüße.<br />

Unser Kampf gegen Hitler wird mithelfen,<br />

die Kerkertore für Dich und alle eingekerkerten<br />

Antifaschisten zu sprengen und Dich der Freiheit<br />

zurück zugewinnen.« In einem zweiten Telegramm<br />

wurde die Reichsregierung aufgefordert,<br />

Thälmann, Mierendorff und alle eingekerkerten<br />

Antifaschisten freizulassen und die<br />

Konzentrationslager zu schließen. Anschließend<br />

wurde »Brüder zur Sonne zur Freiheit«<br />

gesungen und die Arbeitermassenchöre intonierten<br />

das <strong>Einheitsfront</strong>lied und das Chorlied<br />

»Tord Foleson« von Uthmann, das beliebteste<br />

Chorlied der deutschen Arbeiterbewegung.<br />

Als erster Redner sprach Fritz Pfordt von der<br />

KP. Er hob die Kraft der vereinten Antifaschistischen<br />

Front hervor und warnte vor dem Anschluss<br />

»an das dritte Henkerreich, das bedeutet<br />

Verbot und Verfolgung aller Arbeiterorganisationen,<br />

Konzentrationslager, Standrecht, Christenverfolgungen.«<br />

Dann sprach der katholische Geistliche, dessen<br />

Name nicht genannt wurde. Er sei gerne<br />

der Einladung von Fritz Pfordt gefolgt, sagte<br />

Pater Dörr und seine letzten Bedenken hier zu<br />

reden »seien zerstreut worden, als er ein von<br />

den Kommunisten herausgegebenes Flugblatt<br />

»An die Katholiken des Saargebiets« gelesen<br />

habe«, …und »daß er den Kommunisten«<br />

nach der Lektüre des Flugblattes »mehr Glauben<br />

schenke, als Hitler…«. In offener Kritik an der<br />

Amtskirche rief er aus: »Ich bin nur ein Lückenbüßer;<br />

hier an dieser Stelle müßten heute an und<br />

für sich die besten Kräfte meines Standes stehen.«<br />

Er stellte seine gesamte Rede unter das<br />

Motto »Tene quod habes – halte fest was du<br />

hast«. Infolge des NS-Regimes berührten sich<br />

die Gebiete des Glaubens und der Politik,<br />

»daß zur Politik zu schweigen für mein Gewissen<br />

gleichbedeutend wäre mit schwerer Sünde«. Er<br />

schloss seine Rede mit dem Aufruf, »Halte fest,<br />

was du hast! Nie zu Hitler!«.<br />

KP-Zeitung jubelt über<br />

Massen in Sulzbach


21<br />

aus: »<strong>Die</strong> Arbeiterzeitung«<br />

vom<br />

2./3. September<br />

1934<br />

Der Verlauf der <strong>Kundgebung</strong><br />

Einer der gefassten Bombenwerfer,<br />

der später entkam<br />

Als letzter Redner trat der Vorsitzende der<br />

SPdS Max Braun auf, der drei wesentliche<br />

Gründe darlegte, weshalb man am 13. Januar<br />

gegen Hitler, für eine freie deutsche Saar stimmen<br />

müsse.<br />

1. Dürfe kein hitlerscher Terror über die Saar<br />

kommen,<br />

2. bedeute Hitler an der Saar zu schlagen um so<br />

eher »unser Vaterland« von der Nazidespotie<br />

befreien zu helfen und<br />

3. dürfe auch »um Europa willen« die Saar nicht<br />

in die »Hand der neuen Kriegs- und Brandstifter<br />

Europas gelangen«.<br />

Nach der begeisterten Aufnahme der Reden<br />

durch die <strong>Kundgebung</strong>steilnehmer sprachen<br />

Alle gemeinsam den vom Ansager Theo Maret<br />

vorgesprochenen »Schwur von Sulzbach«.<br />

Nach weiteren Darbietungen der Arbeitersänger<br />

und Rezitationen von Gedichten Kästner’s<br />

und Tucholsky’s durch die Sulzbacher Gruppe<br />

»Rote Funken«, sprach Erich Weinert zwei Gedichte,<br />

»An die katholischen Kameraden« und<br />

»<strong>Einheitsfront</strong> wachse«.<br />

Das von Weinert stammende »Rote Saarlied«,<br />

gesungen von Arbeitermassenchören, beendete<br />

die Veranstaltung gegen 19.00 Uhr.<br />

Zu einem Zwischenfall kam es, als unmittelbar<br />

vor der Rede Brauns Anhänger der »Deutschen<br />

Front« eine Tränengasbombe vor die<br />

Rednertribüne warfen. <strong>Die</strong> fliehenden Täter<br />

wurden von <strong>Kundgebung</strong>steilnehmern gefasst<br />

und der Polizei übergeben. Ein ins Krankenhaus<br />

Sulzbach eingelieferter Täter konnte<br />

aus dem Krankenhaus ins Deutsche Reich entkommen.<br />

Volksstimme vom<br />

1. September 1934<br />

kündigt »Sulzbach im<br />

Film« an<br />

Impressionen von der<br />

Sulzbachkundgebung<br />

Unten ist ein Kameramann<br />

bei der Arbeit zu erkennen<br />

Oben rechts ist ein<br />

überdimensionales Kreuz<br />

zu erkennen<br />

<strong>Die</strong> Massen drängen sich<br />

vor dem Reichsbannerheim<br />

im angrenzenden Wald


22<br />

<strong>Die</strong> Forderungen<br />

von Sulzbach<br />

»Volksstimme« vom<br />

28. August 1934<br />

»Deutsche Freiheit« vom<br />

28. August 1934<br />

Max Braun stellte in seiner Ansprache<br />

»die Forderungen für den erstrebten freien Saar-<br />

staat auf, der notwendig ist, solange Hitler<br />

Deutschland vergewaltigt!«<br />

Er forderte u. a.<br />

»1. Weitgehende Selbstbestimmung und Mit-<br />

wirkung des Saarvolkes im Rahmen der vom<br />

Völkerbund garantierten Verfassung …<br />

2. <strong>Die</strong> Möglichkeit einer neuen Entscheidung<br />

über das Saargebiet bei veränderten allgemeinen<br />

und besonderen Interessen …<br />

3. Angemessene Beteiligung des Saarstaates<br />

am Besitz der staatlichen Kohlengruben …<br />

Stellung der großen Eisen- und Hüttenwerke<br />

unter staatliche Kontrolle.«<br />

…<br />

5. Planmäßige Hebung der Kaufkraft der arbeitenden<br />

Masse durch Sicherung auskömmlicher<br />

Mindestlöhne …<br />

6. Garantie vollkommener Koalitionsfreiheit für<br />

alle Arbeiter und Angestellte …<br />

…<br />

10. Freiheit der politischen Gesinnung und Betätigung<br />

im Rahmen der Gesetze … Schutz der<br />

religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse<br />

vor politischer Vergewaltigung.«<br />

<strong>Die</strong> inhaltliche Ausfüllung dessen, was von<br />

der <strong>Einheitsfront</strong> unter Status quo verstanden<br />

wurde war einerseits notwendig, um der vorhandenen<br />

Unsicherheit über die Bedeutung<br />

des Status quo, auch in den Reihen der <strong>Einheitsfront</strong>,<br />

zu begegnen und zum anderen,<br />

um die Rechte der Saarbevölkerung gegenüber<br />

dem unbefriedigenden Zustand in der<br />

Völkerbundzeit 1920 bis 1935 zu verbessern.<br />

Ähnliche Vorstellungen entwickelte Johannes<br />

Hoffmann in einer Denkschrift, die er am<br />

9. September 1934 an den Völkerbund richtete.<br />

Fußend auf den Forderungen von Sulzbach<br />

veröffentlichte die <strong>Einheitsfront</strong> Mitte Dezember<br />

1934 »Unser Programm nach dem Siege«.<br />

<strong>Die</strong> für viele Abstimmungsberechtigten wichtigste<br />

Forderung für den Fall eines Sieges der<br />

Status-quo-Bewegung, war die nach der Wiederholbarkeit<br />

der Abstimmung, wenn Hitler<br />

nicht mehr an der Macht wäre. <strong>Die</strong>ser Forderung<br />

der Hitlergegner wurde vom Völkerbund<br />

aber nicht entsprochen.


23<br />

<strong>Einheitsfront</strong>ausweis<br />

Titelseite der Sonderausgabe<br />

der »Volksstimme« zur Sulzbacher<br />

<strong>Kundgebung</strong><br />

Der Schwur von Sulzbach<br />

Der Schwur von Sulzbach war der »liturgische«<br />

Höhepunkt der <strong>Kundgebung</strong>. Mit dieser emotionalen<br />

Gemeinschaftsaktion wurden nicht<br />

nur die Kraft, die Stärke und der Wille der Antifaschisten<br />

zum Ausdruck gebracht, Hitler an<br />

der Saar zu schlagen. Man hatte sich gleichzeitig<br />

vorgenommen, dieser Sieg solle der<br />

Anfang vom Ende der Nazidiktatur und der<br />

erste Schritt zur Befreiung Deutschlands sein.<br />

<strong>Die</strong>ser Sieg »wird der Anfang vom Ende des<br />

›dritten Reichs‹ sein!« Der Schwur war also auch<br />

ein Kampfversprechen an die Unterdrückten<br />

in Deutschland.<br />

»Unsere Freiheit wird seine Freiheit<br />

werden!« Und in diesem<br />

Sinne gab Max Braun in seinem<br />

Leitartikel »Der Weg der Saar«<br />

die Richtung vor:<br />

»… halten wir fest an dem kleinen<br />

Land, daß der letzte hitlerfreie<br />

deutsche Gebietsteil ist …<br />

Wer Deutschland und das deutsche<br />

Volk liebt, muß in der Saar und von<br />

der Saar her alle Gegenkräfte mobilisieren,<br />

die Deutschlands Gesundung<br />

erleichtern …<br />

Das ist der Weg der Saar – und ihn<br />

werden wir furchtlos und bescheiden,<br />

treu und unbeirrt zu Ende gehen, bis zu<br />

jener Situation, die da heißt: wieder befreites<br />

neues Deutschland!«<br />

Schwur auf der <strong>Kundgebung</strong> am 6. Januar 1935 in Saar-<br />

brücken, aus: »Deutsche Freiheit« vom 8. Januar 1935<br />

Der Schwur hatte in der <strong>antifaschistische</strong>n Öffentlichkeit<br />

der letzten Monate vor der Abstimmung<br />

große symbolische Bedeutung und<br />

wurde immer wieder abgedruckt, wie etwa<br />

auf der Rückseite des <strong>Einheitsfront</strong>ausweises.<br />

Auch auf der zweiten großen <strong>antifaschistische</strong>n<br />

<strong>Kundgebung</strong> am 6. Januar 1935 auf<br />

dem Kieselhumes in Saarbrücken griff die <strong>Einheitsfront</strong><br />

den gemeinsam gesprochenen<br />

Schwur als gemeinschaftsbildendes Element<br />

auf.<br />

aus: »Der Gegen-<br />

Angriff« Nr. 35<br />

vom 29. August<br />

1934


24<br />

<strong>Die</strong> gleichgeschaltete Presse<br />

bejubelt die <strong>Kundgebung</strong> auf<br />

dem Ehrenbreitstein, oben und<br />

Mitte: »SZ«, unten »Saardeutsche<br />

Illustrierte«<br />

<strong>Die</strong> Gegenveranstaltung:<br />

Ehrenbreitstein<br />

Nach Koblenz hatte die »Deutsche<br />

Front« nach eigenen Angaben weit über<br />

100.000 Menschen aus dem Saargebiet zur<br />

»Saar-Treuekundgebung« transportiert. Als<br />

Höhepunkt wurde die Rede Adolf Hitlers angekündigt.<br />

Seine wahren Absichten ließ er<br />

nicht erkennen, sondern stellte die Rückkehr<br />

der Saar als Friedensbrücke zwischen<br />

Deutschland und Frankreich dar.<br />

»<strong>Die</strong> Saarfrage ist die einzige territoriale Frage,<br />

die uns heute noch von Frankreich trennt<br />

… Und so haben Sie am 13. Januar noch eine<br />

besondere Mission zu erfüllen. Wir werden<br />

glücklich sein, daß, wenn am 14. Januar in<br />

ganz Deutschland die Glocken läuten, sie nicht<br />

nur die Rückkehr unseres verlorenen Gebietes<br />

und unserer verlorenen Deutschen, sondern<br />

auch die Einkehr des Friedens einläuten würden.«<br />

(Adolf Hitler am 26. August 1934 in<br />

Koblenz)<br />

<strong>Die</strong> Antifaschisten wiesen dagegen von Anfang<br />

an auf die Kriegsgefahr hin, die von der<br />

faschistischen Diktatur ausging.<br />

»Der Hitler, der jemals die Saar bekäme, bleibt<br />

an der Saargrenze nicht stehen, sondern mit<br />

dem Schlüssel der Ludwigskirche würde er den<br />

Versuch machen in das Straßburger und Metzer<br />

Münster einzudringen!« (Max Braun, Deutsche<br />

Freiheit vom 14. November 1933)<br />

Auch mit dieser politischen Aussage sollten<br />

die Hitlergegner leider recht behalten.<br />

Umschlag der Broschüre<br />

»Saar-Treuekundgebung«<br />

Marsch durch<br />

Koblenz, an der<br />

Spitze eine Musikkapelle<br />

des FAD<br />

Saarknappen begeben<br />

sich zur Tribühne


25<br />

<strong>Die</strong> »Saarländische Gewerkschaftszeitung«<br />

nimmt klar<br />

Stellung<br />

Sulzbach – Ehrenbreitstein<br />

Jenseits der Ausein-<br />

andersetzungen um<br />

die Teilnehmerzah-<br />

len an den Kundge-<br />

bungen, die je<br />

nach politischer<br />

Richtung völlig kon-<br />

trovers dargestellt wurden, stehen »Sulzbach«<br />

und »Ehrenbreitstein« für völlig kontroverse<br />

politische, gesellschaftliche und kulturelle Vorstellungen<br />

zwischen <strong>Einheitsfront</strong> und »Deutsche<br />

Front«.<br />

»Zwei <strong>Kundgebung</strong>en – Zwei Welten« hieß es in<br />

der Saarländische(n) Gewerkschafts-Zeitung<br />

am 31. August 1934.<br />

<strong>Die</strong> sozialdemokratische Volkstimme titelte<br />

am 24. August 1934:<br />

Wir marschieren!<br />

Sulzbach – Ehrenbreitstein<br />

Freiheit – Knechtschaft<br />

Und das kommunistische Parteiorgan »<strong>Die</strong> Arbeiterzeitung«<br />

schrieb am 28. August 1934:<br />

»In Sulzbach marschieren die Arbeitermassen.<br />

In Ehrenbreitstein eine erpresste und erkaufte<br />

Parade der Röchling-Front.«<br />

Seltsam mutet teilweise die Kommentierung<br />

der katholischen Oppositionszeitung »Neue<br />

Saar-Post« von Johannes Hoffmann an. »Nicht<br />

überschätzen – nicht unterschätzen« hieß der<br />

Leitartikel am 30. August 1934. Einerseits<br />

räumte der Leitartikel mit der Verlogenheit<br />

der »Deutschen-Front-Presse« auf, die die<br />

Sulzbacher <strong>Kundgebung</strong> klein schrieb und die<br />

Teilnehmer als Verräter abstempelte. Andererseits<br />

forderte der Leitartikel die »katholische<br />

Kirche« und die »christlichen Männer und<br />

Frauen« auf, nicht länger die Augen zu verschließen<br />

über die Gefahren, die mit der Rückgliederung<br />

der Saar zu Nazideutschland drohen.<br />

Gleichzeitig schlug die »Neue Saar-Post«<br />

die Tür für eine Zusammenarbeit mit der <strong>Einheitsfront</strong><br />

definitiv zu.<br />

»Nein, bald ist es an<br />

der Zeit, daß sich die<br />

vernünftigen Menschen,<br />

Geistliche und<br />

Laien, die genau so<br />

denken wie wir, zusammenfinden,<br />

ihre Macht ausnützen,<br />

sie gebrauchen,<br />

um nicht<br />

eines schönen<br />

Tages in einem<br />

sozialistischen<br />

Saarstaat an<br />

die Wand gedrückt<br />

zu werden.«<br />

»Neue Saar-<br />

Post«: Gegen<br />

Hitler aber auch<br />

gegen Volksfront<br />

mit SPdS<br />

und KP Saargebiet


26<br />

Sulzbach als Synonym der Stärke<br />

auch nach dem 26. August<br />

Sulzbach als Fanal<br />

Der auch aus Sicht der Einheits-<br />

front überraschend positive<br />

Verlauf der Sulzbacher <strong>Kundgebung</strong><br />

brachte neuen Schwung und neue Begeiste-<br />

rung auf der Seite der saarländischen Hitler-<br />

gegner.<br />

»Sulzbach hat ungeheure Kräfte entfaltet und<br />

ein Selbstbewußtsein geweckt, das seine Wirkung<br />

nicht verfehlen wird. Sulzbach hat der Welt<br />

gezeigt … daß mindestens die Hälfte aller Abstimmungsberechtigten<br />

gegen Hitler-Deutschland<br />

ist … Sulzbach … war ein spontanes Fanal.<br />

Sulzbach hat eine Bresche geschlagen in die<br />

Front des gierig nach der Saar greifenden Nationalsozialismus«,<br />

schrieb euphorisch die Saarländische<br />

Gewerkschafts-Zeitung am 31. August<br />

1934.<br />

»Sulzbach übertraf alle Erwartungen. Sulzbach<br />

wurde zu einem Begriff. Zum Begriff der Offensive,<br />

zum Begriff der Zuversicht …«, schrieb der<br />

Schriftsteller Theodor Balk in seiner 1934 erschienenen<br />

Reportage »Hier spricht die Saar.<br />

Ein Land wird interviewt«, und fuhr mit Bezug<br />

auf die »Deutsche Front« fort, »Sulzbach sitzt<br />

Ihnen noch in den Knochen.«<br />

<strong>Die</strong> <strong>antifaschistische</strong> Zeitung »Der Gegen-Angriff«<br />

schrieb in ihrer Pariser Ausgabe vom<br />

2. September 1934: »Sulzbach – eine gewonnene<br />

Schlacht … Sulzbach – dieser Name wird<br />

für alle Zeiten in Erinnerung bleiben, als eine<br />

gewonnene Schlacht des Antifaschismus.«<br />

Als die <strong>Einheitsfront</strong> Ende 1934 für die zweite<br />

große <strong>antifaschistische</strong> <strong>Kundgebung</strong> am 6. Januar<br />

1935 in Saarbrücken warb, griff sie auf<br />

»Sulzbach« als Synonym vorgeblicher eigener<br />

Stärke und Siegesgewissheit der <strong>antifaschistische</strong>n<br />

Bewegung zurück. »Fertig zum Größeren<br />

Sulzbach« hieß zum Beispiel der Aufruf in der<br />

Volksstimme am 5. Dezember 1934.<br />

Auch die ausländische Presse, die ausführlich<br />

in den <strong>antifaschistische</strong>n Zeitungen zitiert<br />

wurde, meldete deutliche Zweifel an der<br />

Glaubwürdigkeit der Aussagen Hitlers in<br />

Koblenz an, speziell in der Friedensfrage. Zahlreiche<br />

ausländische Kommentatoren reagierten<br />

überrascht auf die in Sulzbach zusammengekommene<br />

Menschenmasse.<br />

Der Euphorie der Hitlergegner am 26. August<br />

1934 folgte die Ernüchterung nach dem<br />

13. Januar 1935, auch wenn sie mit etlichen<br />

ihrer politischen Aussagen vor der Geschichte<br />

recht behalten sollten.<br />

Ausführliche<br />

Wiedergabe der<br />

ausländischen<br />

Presse


27<br />

Heinrich Imbusch mit Kopfverband<br />

nach dem Überfall auf ihn<br />

Titelseite des Berichts des Welthilfskomitees<br />

für die Opfer des<br />

Faschismus über den Nazi-Terror<br />

an der Saar 1934<br />

Steigerung des Terrors<br />

der »Deutschen Front«<br />

nach Sulzbach<br />

Im Abstimmungskampf übte die »Deutsche<br />

Front« systematisch Terror und Druck auf die<br />

Rückgliederungsgegner aus. Der Diffamierung<br />

als »Landesverräter« und »Separatist« folgte<br />

die vage aber umso einschüchternde Drohung<br />

mit »1935«. Gepaart wurden Drohungen<br />

in unzähligen Fällen mit brutalen Überfällen<br />

bis hin zu Mordanschlägen etwa gegen Max<br />

Braun, den in <strong>Die</strong>nsten der Regierungskommission<br />

stehenden Polizeikommissar Hertwig<br />

Machts oder den kommunistischen Landesratsabgeordneten<br />

Heinrich Sommer.<br />

Nach der für viele unerwartet erfolgreichen<br />

Massenkundgebung in Sulzbach wurde der<br />

Terror noch verstärkt. Einige Beispiele:<br />

Pater Hugolinus Dörr wurde in übelster Weise<br />

von der Presse der »Deutschen Front« als sexuell<br />

pervers diffamiert.<br />

Mit (noch) symbolischen Hinrichtungen wurden<br />

der Status quo oder Führer der <strong>Einheitsfront</strong>,<br />

durch Strohpuppen dargestellt, am Galgen<br />

erhängt.<br />

Heinrich Imbusch, christlicher Gewerkschaftsführer,<br />

der aus dem Deutschen Reich ins Saargebiet<br />

geflohen war und auf Seiten der katholischen<br />

Opposition für den Status quo eintrat,<br />

wurde auf einer Veranstaltung der Hoffmann-<br />

Partei »Deutscher Volksbund für christlich-soziale<br />

Gemeinschaft« von einem Nazischlägertrupp<br />

brutal zusammengeschlagen.<br />

Eine vom Vizepräsidenten des englischen<br />

Von der »Deutschen Front«<br />

gefälschte Flugblätter<br />

Oberhauses, Lord Marley, geleitete Untersuchungskommission<br />

des »Welthilfskomitees für<br />

die Opfer des deutschen Faschismus« stellte<br />

im September 1934 u. a. »die Existenz von weit<br />

verbreiteten und organisierten Terror- und Gewalttaten<br />

zusammen mit schwerem offenen und<br />

heimlichen moralischem Druck gegen Saarbewohner,<br />

die als Gegner des Hitler-Regimes bekannt<br />

sind«, fest.<br />

<strong>Die</strong> »Deutsche Front« veröffentliche in der<br />

Endphase des Abstimmungskampfes gefälschte<br />

Aufrufe prominenter Status-quo-Vertreter,<br />

um den angeblichen Zerfall der Statusquo-Bewegung<br />

zu verdeutlichen.<br />

Ankündigung von Racheakten nach<br />

1935 als Warnung für alle Statusquo-Anhänger<br />

Terror im Abstimmungskampf,<br />

aus: »General-Anzeiger«<br />

vom 2. Oktober 1933


28<br />

Ergebnis der Abstimmung<br />

Verkündung des Abstimmungsergebnisses<br />

Das Ergebnis<br />

der Volksabstimmung<br />

<strong>Die</strong> Saarbevölkerung hat am 13. Januar 1935<br />

mit überwältigender Mehrheit für die Rück-<br />

gliederung zu (Hitler)-Deutschland gestimmt;<br />

ernüchternd wenig Stimmen verblieben beim<br />

Status quo. Von den abgegebenen Stimmen<br />

entfielen<br />

SAARGEBIET SULZBACH<br />

Für die Beibehaltung der gegenwärtigen<br />

Rechtsordnung (Status quo)<br />

8,8% 10,7%<br />

Für die Vereinigung mit Frankreich<br />

0,4% 0,3%<br />

Für die Vereinigung mit Deutschland<br />

90,8% 89,0%<br />

Wie kam das Ergebnis zustande?<br />

<strong>Die</strong> Mehrheit der Historiker erklärt den Ausgang<br />

der Abstimmung als Ergebnis des starken<br />

Nationalgefühles der Saarländer.<br />

»<strong>Die</strong> Abstimmung wurde als eine nationale Entscheidung<br />

empfunden, als Herzenssache aus<br />

einem tief verwurzelten Patriotismus heraus«.<br />

(Prof. Heinrich Küppers 2008 in der Biographie<br />

über Johannes Hoffmann, S. 146)<br />

<strong>Die</strong>s ist zu kurz gegriffen und einige Ursachen<br />

des Ergebnisses, und der Höhe des Ergebnisses<br />

werden nicht richtig gewertet bzw.<br />

fallen unter den Tisch. Besonders ist auf<br />

Folgendes hinzuweisen:<br />

1. Auf der Seite des <strong>antifaschistische</strong>n Widerstandes<br />

um Max Braun, Fritz Pfordt und Johannes<br />

Hoffmann war der Patriotismus ge-<br />

<strong>Die</strong> Berichte des sozialdemokratischen<br />

Exilvorstandes (SOPADE) versuchen die<br />

Saarabstimmung zu erklären<br />

nauso vorhanden, ohne aber durch blinden<br />

Nationalismus die Augen zu verschließen vor<br />

den für alle sichtbaren Verbrechen im nationalsozialistischen<br />

Deutschland.<br />

2. <strong>Die</strong> Verantwortlichkeit für den alltäglichen<br />

psychischen und physischen Terror, der von<br />

der »Deutschen Front« und den Nationalsozialisten<br />

auf alle Rückgliederungsgegner ausgeübt<br />

wurde, wird verharmlost.<br />

3. Auch die große Verantwortung der Bischöfe<br />

von Trier und Speyer, die unter Hinweis auf<br />

»die sittliche Pflicht der Liebe zum angestammten<br />

Volkstum und der Treue zum Vaterland«<br />

Druck auf die Geistlichen und die<br />

gläubigen Katholiken ausübten, auf jeden<br />

Fall für die Rückgliederung zu stimmen, wird<br />

klein geredet.<br />

»Gibt es eine ›sittliche Pflicht‹ 1935 für die Rückgliederung<br />

des Saargebietes nach Deutschland<br />

zu stimmen? … Wenn von einer sittlichen Pflicht<br />

von irgendeiner Person oder Instanz gesprochen<br />

wird, für die Rückgliederung nach Deutschland<br />

zu votieren, dann ist das zum mindesten eine<br />

Verkennung der Wirklichkeit, wenn nicht eine<br />

unberechtigte und unzulässige Beeinflussung,<br />

sogar Terror je nach der Person und Instanz, die<br />

von einer solchen Pflicht spricht und der Stellung<br />

und dem Machtbereich, über die sie verfügt.«<br />

Johannes Hoffmann in klarer Anspielung auf<br />

den Trierer Bischof Bornewasser, in der »Neuen<br />

Saar-Post« vom 9. September 1934


29<br />

Für das NS­Regime war der<br />

Saaranschluss ein großer Erfolg<br />

»Hitler holt die Saar heim«<br />

oben: Feierlicher Rückgliederungsakt<br />

im Saarbrücker Rathaus<br />

unten: Leibstandarte Adolf Hitler in<br />

den Straßen von Saarbrücken<br />

Historische Folgen<br />

<strong>Die</strong> Verfolgung begann symbolisch<br />

und endete nicht selten mit Mord<br />

Originale Bildunterschrift: »<strong>Die</strong> Faust des<br />

Verräters!« aus: Heiss, Das Saar­Buch, S. 197<br />

Für das NS-Regime war der über-<br />

wältigende Sieg bei der Volksabstimmung im<br />

Saargebiet ein erster großer außenpolitischer<br />

Erfolg, wie das Plakat, das anlässlich des »Anschlusses«<br />

Österreichs erschien, zeigt.<br />

Das Saarland wurde offiziell zum 1. März 1935<br />

zurückgegliedert. Zwar hatte Hitlerdeutschland<br />

sich gegenüber dem Völkerbund zu Garantien<br />

verpflichtet, die aber nach einem Jahr<br />

ausliefen; dann war das Saarland dem NS-Terror<br />

voll ausliefert. Deutschland und Frankreich<br />

hatten sich u. a. gegenüber dem Völkerbund<br />

verpflichtet, in der Abstimmungszeit keinen<br />

Druck auf die Abstimmungsberechtigten auszuüben<br />

und jede Verfolgung wegen der Entscheidung<br />

eines Abstimmungsberechtigten<br />

nach der Rückgliederung zu unterlassen.<br />

Außerdem wurde eine internationale Abstimmungspolizei<br />

berufen und ein internationaler<br />

Gerichtshof mit Sitz in Saarlouis sollte ein Jahr<br />

lang die Garantien überwachen.<br />

Trotzdem verließen Tausende Antifaschisten<br />

nach dem 13. Januar 1935 aus Angst um ihr<br />

Leben das Saargebiet. Zehn statt Tausend Jahre<br />

reichten zum völligen Niedergang von<br />

Staat und Gesellschaft, zur offen terroristischen<br />

Verfolgung von Juden und Hitlergegnern<br />

aller Couleur, führten zur totalen Zerstörung<br />

vieler Städte und Ortschaften und zum<br />

vielfachen Mord an Nazigegnern, Juden und<br />

Zwangsarbeitern.<br />

Vielleicht war es eine Laune der Geschichte,<br />

dass genau am 10. Jahrestag der Saarab- 13. Januar 1946:<br />

stimmung, am 13. Januar 1945 der letzte<br />

Großkundgebung<br />

große Bombenangriff auf Saarbrücken statt- in Saarbrücken<br />

fand.<br />

Ganz gezielt dagegen wurde mit Bezug auf<br />

die Saarabstimmung 1935 für den 13. Januar<br />

1946 eine der ersten großen politischen Nachkriegskundgebungen<br />

in die Wartburg in Saarbrücken<br />

einberufen, auf der die drei Widerstandskämpfer<br />

Johannes Hoffmann CVP,<br />

Georg Schulte für die SPD und Fritz Nikolay für<br />

die Kommunisten auftraten.<br />

Zehn Jahre<br />

NS­Regime an<br />

der Saar


30<br />

Gedenken an Sulzbach 1934<br />

Zum 50. Jahrestag der Saarabstimmung 1984<br />

erinnerten die Sulzbacher Sozialdemokraten<br />

mit einer Ausstellung, die der Sulzbacher Historiker<br />

Dr. Karl Ludwig Jüngst erstellt hatte,<br />

an die <strong>antifaschistische</strong> Massenkundgebung<br />

vom 26. August 1934. Richard Kirn, Hauptorganisator<br />

der Sulzbacher <strong>Kundgebung</strong>, berichtete<br />

als Zeitzeuge im Rahmen der Ausstellungseröffnung<br />

vom damaligen Geschehen.<br />

Auf Initiative der SPD Sulzbach wurde zwei<br />

Jahre später, erneut im Beisein von Richard<br />

Kirn, am Waldheim, dem ehemaligen <strong>Kundgebung</strong>sort,<br />

ein Gedenkstein zur Erinnerung an<br />

die Veranstaltung am 26. August 1934 enthüllt.<br />

Weitere Gedenkveranstaltungen fanden<br />

in den folgenden Jahren von SPD, DKP und<br />

der Peter-Imandt-Gesellschaft statt.<br />

Eröffnung der Ausstellung zum 50. Jahrestag<br />

der <strong>Kundgebung</strong>; am Rednerpult Richard Kirn,<br />

aus: »SZ« vom 27. August 1984<br />

Richard Kirn bei der Enthüllung des<br />

Gedenksteines 1986<br />

Dritter von rechts: Richard Kirn<br />

1986 in Sulzbach. Dritter von links:<br />

Dr. Jüngst, der 1984 die Ausstellung<br />

zum 50. Jahrestag gestaltet hatte

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