Redebeitarg von Dr. Gisela Penteker - Yek Kom
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Konferenz: Kurden in Deutschland<br />
Kurden schon unrettbar verloren sein.<br />
Dass es das bisher nicht ist, liegt zum einen an der großen<br />
Wertschätzung, die insbesondere Literatur und Musik in<br />
der kurdischen Gesellschaft genießt und die in vielen<br />
Familien durch Feste und Feierlichkeiten mit mündlich<br />
überlieferten Geschichten, Gedichten und Lieder gelebt<br />
wird, und zum anderen am großen Engagement der hier in<br />
Deutschland tätigen kurdischen Kulturvereine. Die Rolle<br />
der Staaten, aus denen die Kurden stammen, die in<br />
Deutschland leben, ist hinsichtlich der Kulturförderung<br />
eher negativ zu sehen als dass sie in irgendeiner Weise<br />
unterstützend wirken würden.<br />
Die meisten hier lebenden Kurden stammen aus der<br />
Türkei. Zwar gibt es zahlreiche türkische Kulturvereine in<br />
Deutschland, die aber absolut kein Interesse an der kurdischen<br />
Kultur und Sprache haben. Im Gegenteil: Viele<br />
dieser türkischen Organisationen sind entweder religiös<br />
oder extrem nationalistisch ausgerichtet wie beispielsweise<br />
der Türkische Kulturverein in Köln, der <strong>von</strong> den<br />
ultra-rechten „Grauen Wölfen“ dominiert wird. Diese<br />
Vereine behindern kurdische Kulturaktivitäten in<br />
Deutschland massiv. Das geht <strong>von</strong> Störungen der Internet-<br />
Seiten kurdischer Vereine über Beschimpfungen und<br />
Schmähungen bis zu Handgreiflichkeiten und politische<br />
Interventionen. Das haben wir als Kurdisches PEN-<br />
Zentrum bereits mehrfach erlebt, zuletzt auf der<br />
Frankfurter Buchmesse gegen unseren dort vertretenen<br />
Stand, als türkische Nationalisten versuchten, handgreiflich<br />
gegen unsere Mitglieder vorzugehen.<br />
Auch türkische Konsulate versuchen regelmäßig, kurdische<br />
Aktivitäten in Schule und Gesellschaft zu verhindern<br />
und in vielen Fällen gelingt es ihnen auch, weil sie über<br />
weitreichende Verbindungen in der deutschen<br />
Gesellschaft verfügen.<br />
Selbst wenn es für die Kurden in der Türkei künftig erhebliche<br />
Verbesserungen hinsichtlich Sprache und Kultur<br />
geben sollte, sehe ich ein türkisches Kulturinstitut, das<br />
allen Ethnien, Sprachen und Kulturen gerecht wird, die in<br />
der Türkei beheimatet sind, noch in weiter Ferne. Die<br />
Tendenz ist eher so, dass der türkische Staat sich offiziell<br />
in Sachen Kultur in Deutschland zurückhält und die<br />
zumeist sehr einseitig nationalistisch ausgerichteten<br />
Kulturvereine gewähren lässt bzw. unterstützt: Eine insgesamt<br />
nicht sehr hoffnungsfrohe Perspektive.<br />
Nun zum muttersprachlichen Unterricht Kurdisch:<br />
Wie Sie vielleicht wissen werden, war ich selbst aktiv an<br />
der Entwicklung des muttersprachlichen Unterrichts<br />
Kurdisch in Bremen beteiligt, dem ersten Bundesland, das<br />
diesen Unterricht 1993 zugelassen hat. Zuvor gab es in<br />
Deutschland überwiegend eine Haltung, die auf die<br />
Beschlüsse der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre<br />
1976 zurückzuführen war: Ausländische Kinder sollten in<br />
den Schulen sowohl in Deutsch als auch in der Sprache des<br />
Herkunftsstaates unterrichtet werden. Teilweise wurden<br />
zu diesem Zweck auch bilaterale Abkommen mit den jeweiligen<br />
Konsulaten geschlossen.<br />
Ausschlaggebend für diesen Beschluss waren ausschließlich<br />
staatliche Interessen: Einerseits die<br />
Eingliederung der Kinder in die deutsche Gesellschaft<br />
durch Deutschunterricht, andererseits die Unterrichtung<br />
der Sprache des Herkunftsstaates, um die<br />
„Rückkehrfähigkeit“ der Kinder beizubehalten. Die<br />
Interessen der Migranten wurden dabei nicht berücksichtigt.<br />
Insbesondere bei kurdischen Kindern kam es zu<br />
Fehleinschätzungen mit fatalen Folgen. Die kurdische<br />
Muttersprache der Kinder spielte keine Rolle, sie war, da<br />
keine Staatssprache, eine sogenannte „Nichtsprache“.<br />
Für die kurdischen Kinder, die mit der neuen Situation in<br />
Deutschland ohnehin überfordert waren, bedeutete das,<br />
dass sie noch eine völlig fremde Sprache, Türkisch lernen<br />
sollten, die sie bisher nur ansatzweise oder gar nicht<br />
beherrschten und die auch nicht ihr Lebensgefühl und ihr<br />
Kulturverständnis ausdrückte. Die Leistungen im Türkisch-<br />
Unterricht waren dann auch oft entsprechend schlecht<br />
und es wurde eine negative Schulprognose abgegeben.<br />
Das Ergebnis war, dass selbst sehr intelligente Kinder in die<br />
Förderschule bzw. Hauptschule empfohlen wurden. Da die<br />
Eltern meistens nicht in der Lage waren, Widerstand zu<br />
leisten, war der schulische Misserfolg programmiert.<br />
Auch die Inhalte des Unterrichts wurden nicht <strong>von</strong> den<br />
deutschen Schulbehörden, sondern <strong>von</strong> den Konsulaten<br />
vorgegeben. Dass die damals getroffene Auswahl der<br />
türkischen Konsulate für kurdische Kinder eher nicht<br />
förderlich war, muss ich nicht näher ausführen. Viele<br />
Familien, die vor der Unterdrückung staatlicher türkischer<br />
Stellen geflohen, ja möglicherweise durch staatliche Übergriffe<br />
traumatisiert waren, sahen sich in ihrem Schutzland<br />
wieder <strong>von</strong> der türkischen Staatsmacht in der schulischen<br />
Förderung ihrer Kinder bestimmt. Eine wirklich fatale<br />
Situation und ein politischer Zynismus, wenn man<br />
bedenkt, dass die Praxis ihrer Unterdrücker - die ausschließliche<br />
Geltung und Unterrichtung der türkischen<br />
Sprache - im Exil fortgesetzt wird. Vertrauen in die<br />
Aufnahmegesellschaft wird so nicht gefördert.<br />
Diese Situation führte dazu, dass ab 1980 <strong>von</strong> zahlreichen<br />
kurdischen Vereinen ein muttersprachlicher Unterricht<br />
Kurdisch gefordert wurde. Allerdings fand erst in den 90er<br />
Jahren ein Umdenken in dieser Sache statt:<br />
Man stellte fest, dass sich die Kinder trotz der erhofften<br />
„Rückkehrfähigkeit“ <strong>von</strong> den Werten und Normen des<br />
Herkunftsstaates entfernt hatten und gleichwohl nicht in<br />
dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland<br />
angekommen waren. Viele Migrantenkinder hatten massive<br />
Lern- und Sozialisationsprobleme. Erst durch ein<br />
Memorandum, in dem sich alle Migrantengruppen unter<br />
dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft der<br />
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