Redebeitarg von Dr. Gisela Penteker - Yek Kom
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Konferenz: Kurden in Deutschland<br />
beschimpft und dann ihre Angaben zum Teil verfälscht<br />
weitergegeben hätte. Das hätten sie zu diesem Zeitpunkt<br />
natürlich nicht bemerkt. Bei ihrer Anhörung vor dem<br />
Bundesamt und im weiteren Verfahren seien ihnen aber<br />
diese falschen Angaben immer wieder vorgehalten worden<br />
als Beweis für ihre mangelnde Glaubwürdigkeit. Der<br />
Vater sei erst später wieder zur Familie gestoßen.<br />
Die Mutter war schon in der Türkei psychisch erkrankt,<br />
hatte bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Sie<br />
könne die Familie und die Kinder nicht versorgen, inzwischen<br />
seien noch drei Kinder geboren worden. Der Vater sei<br />
selten zu Hause. Alle Last läge auf ihren Schultern als<br />
ältester Tochter. Sie begleite die Mutter zu den Ärzten als<br />
Übersetzerin, sie erledige die Behördengänge, sie habe<br />
eine Arbeit in der Fischfabrik angenommen, um die<br />
Familie <strong>von</strong> öffentlichen Geldern unabhängig zu machen.<br />
Trotzdem versuche sie, ihre Schule zu schaffen. Sie sei jetzt<br />
auf dem Gymnasium kurz vor dem Abitur und am Ende<br />
ihrer Kräfte.<br />
Die Mutter habe auch in Deutschland öfter versucht, sich<br />
das Leben zu nehmen. Zweimal sei sie in einer Klinik gewesen.<br />
Dort habe aber niemand mit ihr gesprochen. Man<br />
habe sie nur mit Medikamenten ruhig gestellt. Auch die<br />
Behandlung beim Nervenarzt sei sehr unbefriedigend. Die<br />
Mutter sei in so einem schlechten Zustand und gehe nicht<br />
aus dem Haus, so dass sie auch nach 10 Jahren noch kaum<br />
Deutsch gelernt hätte. Eine Dolmetscherin für kurdisch<br />
zahle die Krankenkasse nicht. Ständig kämen Briefe <strong>von</strong><br />
der Ausländerbehörde, die der Familie die Abschiebung<br />
androhten. Die älteren Brüder seien völlig entmutigt, hätten<br />
die Schule aufgegeben und lungerten auf der Strasse<br />
herum.<br />
Es gelang uns dann, die Mutter zu „Refugio“ in Bremen zu<br />
vermitteln, wo sie auch weiter in Behandlung ist. Ihre<br />
schwere psychische Erkrankung wurde als<br />
Abschiebehindernis anerkannt und verschaffte der Familie<br />
eine Aufenthaltserlaubnis. Die Tochter hat inzwischen ihr<br />
Studium abgeschlossen. Bei ihr ist es immer noch nicht<br />
sicher, ob sie bleiben kann. Die anderen Kinder gehen in<br />
die Schule, die beiden älteren Brüder machen eine<br />
Ausbildung. Die Mutter besucht einen Integrationskurs<br />
und die Lehrerin erzählte mir vor ein paar Tagen, dass sie<br />
gute Fortschritte macht und schon einfache eigene Texte<br />
lesen und schreiben kann.<br />
Mein zweites Beispiel ist die Geschichte eines jetzt<br />
vierzigjährigen Mannes aus Bitlis, der in einem sehr desolaten<br />
Zustand, paranoid psychotisch, vor meiner Tür stand.<br />
Nach und nach erfuhr ich seine Geschichte. Er war wegen<br />
politischer Tätigkeit in Bitlis ins Visier der Sicherheitskräfte<br />
geraten, setzte sich nach Istanbul ab, wo er unter einem<br />
anderen Namen ein Geschäft eröffnete und sich eine<br />
Existenz aufbaute. Eines Nachts wurde das Geschäft überfallen<br />
und zerstört. Er floh nach Rumänien, wo er<br />
wiederum eine Existenz aufbaute, bis der türkische<br />
Geheimdienst ihn anwerben wollte, seine kurdischen<br />
Freunde in Rumänien auszuspähen. Seine Weigerung<br />
führte dazu, dass er unter Betrugsverdacht inhaftiert und,<br />
weil er bei der rumänischen Polizei Freunde hatte, in die<br />
Türkei abgeschoben wurde. Dort lebte er wieder unter<br />
falschem Namen, bis sich die Gelegenheit bot, nach<br />
Deutschland zu fliehen.<br />
Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Wegen seiner psychischen<br />
Erkrankung war er bei „Accept“ in Hamburg in<br />
Behandlung, bis das Zentrum <strong>von</strong> der Stadt geschlossen<br />
wurde. Die vorliegenden Gutachten reichten aus, ihm aufgrund<br />
des krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses<br />
eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen. Er musste dazu<br />
allerdings seinen türkischen Pass beim Konsulat beantragen.<br />
Das kränkte ihn sehr. Er war nur mühsam dazu zu<br />
überreden und auch nur, als ich versprach, ihn zu begleiten.<br />
Kaum hatte er seine Aufenthaltserlaubnis, drängte er<br />
darauf, seine alten Eltern in Bitlis zu besuchen. Jetzt<br />
träumt er da<strong>von</strong>, doch noch eine Familie zu gründen und<br />
sucht nach einem Weg, eine passende Frau nach<br />
Deutschland zu holen. Eine junge Frau zu heiraten, die in<br />
Deutschland aufgewachsen ist, kann er sich nicht<br />
vorstellen.<br />
Bei unserer Arbeit mit Flüchtlingen haben wir uns viel mit<br />
Psychotrauma beschäftigt. Flüchtlinge erleiden viele<br />
Traumata durch Verfolgung in der Heimat, durch die<br />
Erlebnisse auf der Flucht und weiter im Asylverfahren.<br />
Viele überstehen das erstaunlich gut, andere (etwa 30%)<br />
werden psychisch krank. Sie leiden unter PTSD, der posttraumatischen<br />
Belastungsstörung, werden depressiv, psychotisch,<br />
entwickeln psychosomatische Krankheiten oder<br />
Suchterkrankungen. Sie sind gestört in ihren sozialen<br />
Beziehungen, Partner und Kinder leiden. Traumatisierte<br />
Flüchtlinge können im Asylverfahren ihr<br />
Verfolgungsschicksal oft nicht widerspruchsfrei vortragen.<br />
Die Verdrängung der schmerzhaften Erlebnisse gehört<br />
zum Krankheitsbild und ist überlebenswichtig.<br />
Die psychische Erkrankung wird als Makel empfunden und<br />
häufig erst angesprochen, wenn die Abschiebung unmittelbar<br />
droht und die Krankheit als Abschiebungshindernis<br />
geltend gemacht wird. Dabei sollte eine Behandlung<br />
möglichst früh beginnen, um Folgeschäden für die<br />
Patienten und ihre Familien zu vermeiden. Wichtige<br />
Voraussetzung für die Therapie ist Sicherheit, ist eine gute<br />
soziale Einbindung und ist vor allem die Anerkennung des<br />
erlittenen Unrechts. Menschen, die in der Türkei wegen<br />
ihrer kurdischen Identität verfolgt wurden, werden auch<br />
hier als Türken behandelt oder als Terroristen. Ihre<br />
Verfolgungsgeschichte wird nicht anerkannt. Der Status<br />
der Duldung lässt ihnen keine eigenen Entscheidungen,<br />
keine Spielräume.<br />
Zusammenfassend möchte ich ein paar Punkte herausgreifen,<br />
die natürlich nicht nur für kurdische Flüchtlinge<br />
aus der Türkei gelten, sondern z.B. auch für Tibeter und<br />
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