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Technisierung oder technische Verbesserung des Menschen?

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Schnittstellen liegen und sich bei der weiteren gesellschaftlichen Aneignung der dadurch<br />

möglichen Verfahren und Produkte rasch verflüchtigen.<br />

Aufgabe der Ethik ist jedoch zweifellos, dem genannten faktischen Unbehagen nachzuspüren.<br />

In dem intuitiven Unbehagen müssen sich zwar keine normativen Unsicherheiten<br />

verbergen, könnten es aber. Durch Analyse der normativen Hintergründe<br />

können eventuell auftretende normative Unsicherheiten aufgedeckt werden, mittels<br />

derer dann ein Bedarf an ethischer Reflexion konkret und problemorientiert geäußert<br />

werden könnte statt bloß plakativ angesichts eines durch Verunsicherung entstanden<br />

Unbehagens nach Ethik zu rufen. Es geht in diesem Sinne also zunächst darum zu<br />

klären, welcher normative Rahmen für Entwicklung und Anwendung neuroelektrischer<br />

Schnittstellen besteht, wo der bestehende Rahmen durch neue wissenschaftlich-<strong>technische</strong><br />

Entwicklungen in dem Sinne herausgefordert werden, dass die in<br />

Kap. 3.3 genannten Kriterien für das Bestehen eine Standardsituation in moralischer<br />

Hinsicht nicht mehr erfüllt wäre, z.B. weil es zu Kontroversen über moralische Beurteilungen<br />

und erforderliche Konsequenzen für das weitere Vorgehen kommt (analog<br />

zum Fall der Nanopartikel, vgl. Kap. 7).<br />

In diesem Kapitel wird primär die Nutzung neuroelektrischer Schnittstellen in einem<br />

medizinischen Sinn diskutiert (zu ethischen Aspekten <strong>des</strong> 'Verbesserns' vgl. Kap.<br />

9.5). Es geht um das Heilen von Krankheiten, das Wiederherstellen von dysfunktionalen<br />

<strong>oder</strong> zerstörten Organeigenschaften. Der normative Rahmen dieser Handlungstypen<br />

ist damit durch die etablierten normativen Bestandteile <strong>des</strong> Heilens und<br />

<strong>des</strong> dafür erforderlichen Umfel<strong>des</strong> gegeben (Müller 2006): das ärztliche Ethos, das<br />

Arzt/Patient-Verhältnis, die Patientenautonomie in Form der informationellen Selbstbestimmung,<br />

ethische Standards der Forschung und klinischer Testverfahren, Ermöglichung<br />

<strong>des</strong> gerechten Zugangs zu medizinischen Leistungen etc. Dieser normative<br />

Rahmen wird in der Medizinethik reflektiert, weiterentwickelt und auf neu auftretende<br />

Situationen, Therapieverfahren und Technologien bezogen. Im Hintergrund<br />

stehen Fragen, welche Rechte von Betroffenen beeinträchtigt werden könnten bzw.<br />

ob und wie in Ziel- <strong>oder</strong> Mittelkonflikten eine Abwägung vorgenommen werden kann<br />

und darf.<br />

Betroffene sind in direkter Weise zunächst diejenigen Personen, die neuroelektrische<br />

Schnittstellen nutzen, also im Verständnis dieses Kapitels vornehmlich Patienten, die<br />

eine Erhöhung ihrer Lebensqualität erhoffen. Hier ist zu fragen, ob die möglicherweise<br />

auftretenden Einschränkungen, Risiken und Belastungen zu den erwarteten Vorteilen<br />

in einem angemessenen Verhältnis stehen, <strong>oder</strong> ob die Würde der Betroffenen<br />

verletzt werden könnte. Der 'informed consent' spielt hier eine entscheidende Rolle,<br />

da Entscheidungen dieser Art individuell getroffen werden müssen. Indirekt Betroffene<br />

sind auch Personen im Umkreis der Patienten und könnten auch zukünftige Personen<br />

sein, welche über Vererbung mit Folgen der Nutzung neuroelektrischer<br />

Schnittstellen konfrontiert werden könnte (wobei allerdings schwer fällt, sich derartige<br />

Szenarien auszudenken. Über die Erwägungen zu den individuell Betroffenen hinaus<br />

ist an gesellschaftliche Effekte zu denken. In diesem Sinne ist z.B. an indirekt Betroffene<br />

zu denken, die möglicherweise trotz identischer Indikation keinen Zugang zu<br />

entsprechenden (teuren) Behandlungsmöglichkeiten haben. Insgesamt wurden folgende<br />

Elemente eines normativen Rahmens vorgeschlagen (nach EGE 2005, S.<br />

97f.):<br />

• <strong>Menschen</strong>würde und das Instrumentalisierungsverbot, verankert etwa in der<br />

Charta der Grundrechte der Europäischen Union und im deutschen Grundgesetz,<br />

und philosophisch abgesichert z.B. im Rahmen der Kantischen Ethik;<br />

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