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Deduktion des Sittengesetzes - UK-Online

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Faktum der Vernunft“ zu nennen ist, um <strong>des</strong>sentwillen das moralische Gesetz<br />

„selbst keiner rechtfertigenden Gründe bedarf“ 52 .<br />

Wir wollen jedoch, wie oben schon angekündigt, weniger die Frage nach<br />

dem Motiv für das Umdenken Kants in der <strong>Deduktion</strong>sproblematik stellen,<br />

sondern eher die Frage, was uns die Darstellung <strong>des</strong> ‚praktischen Gebrauchs<br />

der gemeinen Menschenvernunft‘ in der ‚Grundlegung‘ über das Verhältnis<br />

zwischen dem ‚durch sinnliche Begierden affizierten Willen‘ und dem ‚reinen,<br />

für sich selbst praktischen Willen‘ sagt, wobei wir vier Gedanken herausgreifen:<br />

Indem Kant sozusagen vom ‚ungünstigsten‘ Fall <strong>des</strong> ‚ärgsten Bösewichts‘<br />

ausgeht, behauptet er erstens, daß dieser trotz aller seiner Boshaftigkeit, wenn<br />

man ihm Beispiele der Sittlichkeit vorlegen würde, „wünsche, daß er auch so<br />

gesinnt sein möchte“ 53 ; zweitens, daß in diesem Wunsche ein Wille, „der von<br />

allen Antrieben der Sinnlichkeit frei ist“ (und durch den er sich in eine intelligible<br />

Welt versetze), zum Ausdruck komme 54 ; drittens, daß er sich demnach<br />

„eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen als Glie<strong>des</strong> der<br />

Sinnenwelt ... das Gesetz ausmacht“ 55 und viertens:<br />

„Das moralische Sollen ist also eigenes nothwendiges Wollen als Glie<strong>des</strong> einer<br />

intelligibelen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er<br />

sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet.“ 56<br />

Das Gemeinsame dieser vier Gedanken ist die Auslegung <strong>des</strong> Verpflichtungsmomentes<br />

im moralischen Bewußtsein (<strong>des</strong> Sollens) als eines Wollens (bzw., sofern<br />

es irreal bleibt: eines Wünschens), im letzten Zitat sogar als eines notwendigen<br />

Wollens. In dem zuerst genannten Gedanken kommt darüber hinaus<br />

zum Ausdruck‚ daß dieses Wollen bzw. Wünschen sich nicht auf irgendwelche<br />

Gegenstände, sondern auf die eigene Gesinnung (mithin das eigene habituelle<br />

Wollen in Handlungsmaximen) bezieht, in dem dritten Gedanken wird das<br />

52 Vgl. V 31‚24 und insbes. 32‚1 ff. sowie 47‚11-15 und 47‚28; vgl. auch D. Henrich, Die <strong>Deduktion</strong>..., S. 99<br />

f.: Danach „entfaltet sich das Programm der zweiten Kritik im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem<br />

Argument, das Kants ‚Grundlegung‘ wirklich gegeben hat, wenn auch im Gegensatz zu der Selbstdarstellung,<br />

die in ihr dominant ist.“<br />

53 Vgl. IV 454‚21-26.<br />

54 Vgl. ebda. Z. 29-37.<br />

55 Vgl. IV 455‚4-6; man muß sich klarmachen, daß hier nicht bloß vom Begriff <strong>des</strong> guten Willens die Rede ist<br />

(der ja den Begriff <strong>des</strong> reinen Willens bzw. der Autonomie noch nicht enthält), sondern vom ‚Gegenstand‘<br />

dieses Begriffs, dem guten Willen selbst, welcher auch durch die ‚Bedingungen seiner Möglichkeit‘, und d.h.<br />

seine synthetischen Prädikate, bestimmt ist. Es ist ja eine der Grundeinsichten der Kantischen Philosophie,<br />

daß der Inhalt eines Begriffs die Bestimmtheiten seines Gegenstan<strong>des</strong>, auch sofern sie ihm a priori zukommen,<br />

keineswegs erschöpft.<br />

56 IV 455‚7-9.<br />

Verhältnis zwischen | dem guten Willen (mit dem man nun offenbar schon den<br />

Begriff der Autonomie verbinden muß, so daß der gute Wille den reinen Willen<br />

als Bedingung enthält) und dem Willen als Glied der Sinnenwelt auch unter<br />

der Voraussetzung eines bösen Willens als ein Verhältnis von Gesetz und Fall<br />

eines Gesetzes gedacht. - Wir werden später auf diese zuletzt hervorgehobenen<br />

Momente <strong>des</strong> Verhältnisses, das im Sollen enthaltene Wollen (a), die Beziehung<br />

dieses Wollens auf das eigene (handlungsbestimmende) Wollen (b)<br />

und die Subsumption selbst <strong>des</strong> bösen Willens unter dieses gesetzliche Wollen<br />

(c) zurückkommen und darin einen Ansatz für die Aufsuchung jenes Verhältnisses<br />

der ‚Referenz‘ (zwischen Problemprinzip und Referenzprinzip) in der<br />

praktischen Philosophie finden (s.u. S. 159 ff.).<br />

In unseren Überlegungen zur theoretischen Philosophie hatten wir oben<br />

das Gespräch zwischen Kant und seinem empiristischen Kritiker an der Stelle<br />

abgebrochen, an welcher der Empirist dem Vorschlag Kants, die Möglichkeit<br />

der Erfahrung als Ermöglichungsgrund für synthetische Urteile a priori anzusehen,<br />

seinen (schlichten) Begriff von Erfahrung entgegengehalten hatte. -<br />

Stellen wir uns nun vor, Kant habe nach einer Unterbrechung <strong>des</strong> Gesprächs<br />

zunächst einmal seine Gedanken zu den Grundlagen der praktischen Philosophie<br />

bis zu dem Punkte vorgetragen, an den auch wir zuletzt gelangt sind, so<br />

könnte der Empirist nun wiederum einwenden:<br />

‚Würde man mir nachweisen, daß jener reine Wille, der offenbar das moralische<br />

Gesetz der Autonomie enthalten soll, wirklich die oberste Bedingung<br />

und das Gesetz auch für einen sinnlich affizierten Willen (natürlich sofern er<br />

von Vernunft Gebrauch macht) darstelle, so wollte ich dieser <strong>Deduktion</strong> gerne<br />

folgen. Allein nach meinen Begriffen gehört zu einem solchen Willen nichts<br />

weiter, als einerseits, daß er sich Zwecke setzt, die ihre Quelle wohl letztlich in<br />

seinen sinnlichen Bedürfnissen haben, und andererseits, daß er mithilfe seiner<br />

Vernunft die zu diesen Zwecken gehörigen Mittel findet und darüber hinaus<br />

auf die Vereinbarkeit aller seiner Zwecke achtgibt. Vernunft ist ein Vermögen<br />

zu schließen und praktische Vernunft ein Vermögen zu praktischen Schlüssen,<br />

gewiß nicht nur zu einzelnen, sondern zu einem ganzen Zusammenhang solcher<br />

Schlüsse, die <strong>des</strong>halb wohl auch zu einem System von Zwecken führen mögen.<br />

Und weil es gewisser Anstrengungen bedarf, um alle Zwecke, die man<br />

haben mag, miteinander in Übereinstimmung zu bringen, läßt sich hier auch<br />

von einem ‚Sollen‘ und von ,Normen‘ <strong>des</strong> Wollens und Handelns sprechen.<br />

Aber was sollte die oberste Bedingung all dieses Wollens und <strong>des</strong>halb auch<br />

Sollens anderes sein als dasjenige, was man ohnehin schon in allen einzelnen<br />

Zwecksetzungen will, nämlich die Vereinbarkeit aller seiner Zwecke zur<br />

X<br />

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