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Deduktion des Sittengesetzes - UK-Online

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und um dieser schon so spezifizierten Einheit willen sind die Kategorien der<br />

Freiheit notwendig:<br />

„Da ... die Handlungen einerseits zwar unter einem Gesetze, das kein Naturgesetz,<br />

sondern ein Gesetz der Freiheit ist, folglich zu dem Verhalten intelligibeler<br />

Wesen, andererseits aber doch auch als Begebenheiten in der Sinnenwelt<br />

zu den Erscheinungen gehören, so werden die Bestimmungen einer praktischen<br />

Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien<br />

<strong>des</strong> Verstan<strong>des</strong> gemäß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen<br />

Gebrauchs <strong>des</strong>selben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter<br />

ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur um das Mannigfaltige der<br />

Begehrungen der Einheit <strong>des</strong> Bewußtseins einer im moralischen Gesetz gebietenden<br />

praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen,<br />

Statt haben können.“ 69<br />

Nun ist zwar durch diesen Satz nicht völlig ausgeschlossen, daß jegliche Einheit<br />

<strong>des</strong> Bewußtseins im Hinblick auf das Mannigfaltige der Begehrungen<br />

nicht nur ohne die Kategorien, sondern auch ohne das moralische Gesetz unmöglich<br />

wäre, aber es folgt doch auch nicht aus diesem Satz; er läßt es durchaus<br />

als denkbar erscheinen, daß die Einheit <strong>des</strong> praktischen Bewußtseins auch<br />

unter einem ganz anderen Prinzip möglich wäre.<br />

Erwarten wir also von einer <strong>Deduktion</strong> <strong>des</strong> <strong>Sittengesetzes</strong> nicht nur die<br />

bloße Behauptung eines seine Synthesis vermittelnden Dritten, sondern auch<br />

eine transzendentale Explikation dieses Dritten durch die Rückführung auf die<br />

Einheit <strong>des</strong> praktischen Bewußtseins, so suchen wir eine transzendentale <strong>Deduktion</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Sittengesetzes</strong>, trotz der Behauptung einer vollzogenen <strong>Deduktion</strong><br />

im 3. Abschnitt der ‚Grundlegung‘, vergeblich; und schon dies läßt die Bestreitung<br />

einer <strong>Deduktion</strong>smöglichkeit in der KdpV verständlich erscheinen.<br />

Dieser negative Befund ist freilich um so bemerkenswerter, als Kant nach<br />

dem Zeugnis seiner Nachlaß-Manuskripte lange Jahre hindurch, vielleicht sogar<br />

noch | nach der Veröffentlichung der ‚Grundlegung‘, immer wieder versucht<br />

hat, das Sittengesetz als Bedingung der Möglichkeit der Einheit <strong>des</strong> Wollens<br />

und Handelns zu deduzieren. D. Henrich hat eine Reihe dieser Versuche<br />

analysiert 70 und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie alle mißlungen seien,<br />

ja, daß Kant schließlich erkannt habe, daß sie alle mißlingen mußten; und diese<br />

Erkenntnis habe Kant zu seiner Theorie vom ‚Faktum der reinen Vernunft‘<br />

69 V 65‚15-26<br />

70 Vgl. D. Henrich, Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: Die<br />

Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschr. f. H.G. Gadamer, hrsg. v. D. Henrich u.a., Tübingen<br />

1960, S. 77-115.<br />

152<br />

geführt. 71 Gemeinsam ist den Kantischen Versuchen nach Henrichs Interpretation,<br />

daß sie die Unbedingtheit der moralischen Gesetzes nicht erklären, da<br />

sie es allesamt auf Nicht-Moralisches zurückführen: etwa den Abscheu dagegen,<br />

wodurch sich die oberste Kraft (Vernunft) selbst widerstreitet 72 , was auf<br />

nichts anderes hinauslaufe, als auf das Handlungsmotiv, „das Mißvergnügen<br />

anläßlich <strong>des</strong> Widerspruches zu beseitigen ...“. 73 Ein weiteres, letztlich nichtmoralisches<br />

Motiv, das in den ‚Reflexionen‘ eine Rolle spiele, sei die ‚Furcht<br />

um unsere Sicherheit‘ und die Sehnsucht nach einem berechenbaren Leben 74 ,<br />

ein anderes die Freude an einem „Optimum der Selbstrealisierung“, ein Gedanke,<br />

der später, in der „Kritik der Urteilskraft“, das Wohlgefallen am Schönen<br />

erkläre. 75<br />

Eine zweite Gruppe von <strong>Deduktion</strong>sversuchen in Kants Nachlaß läuft<br />

nach Heinrich darauf hinaus, daß letztlich doch das Interesse an der eigenen<br />

Glückseligkeit als bewegende Kraft im moralischen Handeln gesehen werde,<br />

insofern zwar nicht Sittlichkeit und Glückseligkeit miteinander identifiziert<br />

würden, aber die erstere doch als nichts anderes verstanden werde, denn als<br />

‚Würdigkeit, glücklich zu sein‘. 76<br />

Schließlich referiert Henrich noch kritisch jene <strong>Deduktion</strong>sversuche, die<br />

den indirekten Weg über die Idee der Freiheit gehen und die noch im dritten<br />

Abschnitt der ‚Grundlegung‘ ihren Niederschlag gefunden haben. 77 Dabei<br />

wird, wie wir oben gesehen haben, von der Notwendigkeit der Selbstbestimmung<br />

der theoretischen Vernunft auf diejenige auch der praktischen Vernunft<br />

geschlossen. In diesen Versuchen wird nach Henrich die Moralität letztlich auf<br />

die Einheit der Apperzeption als einem Prinzip der theoretischen Vernunft<br />

zurückgeführt, was der Besonderheit der sittlichen Einsicht in keiner Weise<br />

gerecht werde.<br />

| Die Kritik Henrichs an den <strong>Deduktion</strong>sversuchen der Nachlaßtexte ist sicherlich<br />

in vielen Punkten voll gerechtfertigt und zudem ganz im Sinne der<br />

späteren Einsichten Kants. Allerdings bieten die Nachlaßtexte, wie schon<br />

71 Vgl. D. Henrich, Der Begriff . . . , S. 110.<br />

72 Vgl. D. Henrich, Der Begriff. . . ., S. 101, mit Bezug auf die Refl. 6853.<br />

73 Vgl. D. Henrich, Der Begriff. . . ., S. 102.<br />

74 Vgl. D. Henrich, Der Begriff . . . , S. 102 f., mit Bezug auf die Refl. 7196 und 6621.<br />

75 Vgl. D. Henrich, Der Begriff . . . , S. 103 (ohne Bezugnahme auf eine bestimmte Stelle <strong>des</strong> Nachlasses).<br />

76 Vgl. D. Henrich, Der Begriff . . . , S. 103-105, mit Bezug auf die Refl. 612, 6621, 7202.<br />

77 Vgl. D. Henrich, Der Begriff . . . , S. 107-110, mit Bezug auf die Refl. 4220, 4338 und insbes. 5441 sowie<br />

die Vorlesungen über Metaphysik, hrsg. v. Pölitz, 1821, S. 205-207 (vgl. XXVIII 2/2, S. 1120 f.).<br />

XIV<br />

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