Ästhetisierung physiognomischer Ähnlichkeiten

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(Ekman 1973: 223 ff), die er als entwicklungsgeschichtlich erworben charakterisiert-und die sich im Prinzip nicht oder kaum von denen Morris' (1978) unterscheiden. Auch hier ist nach der Genese und der Funktion dieser Arbeiten und der Wende, die sich innerhalb der Diskussion dartut, zu fragen, um diejenigen Schlußprozesse zu rekonstruieren, die in ihnen wirksam sind. Literarisch manifest ist das Feld zwischen Psychologie und Soziologie durch die sogen. französischen Physiologen (Barberis 1970: 699) geworden, die zwischen Brillat-Savarins "Physiologie du gout" (1826) und Balzacs "Physiologie du mariage" (1829) mit ihren Arbeiten begannen (Huon 1957). In der Zeitschrift "La Silhouette" z. B. erschienen diese Artikel mit Illustrationen der bekanntesten Karikaturisten wie Gavarni, Daumier, Cham u. a. Es sind Arbeiten, die eine wissenschaftliche Analyse der sozialen Gruppen und deren spezifische Verhaltensformen zum Gegenstand haben, ebenso wie die sie begleitenden Zeichnungen. (Van Biesbrock 1978: 22 ff). Die Karikatur, speziell die Bildniskarikatur stellt die kunstwissenschaftlich wichtige Frage heraus, was sich zeichentheoretisch aussagen läßt über den Status der "Ähnlichkeit" bei der Konstitution von Bedeutungsfeldern, die mit diesen Karikaturen von Typen, Berufen, Institutionen hergestellt wurden und sich offensichtlich einer breiten, einverständigen Rezeption erfreuten (Daumier 1974: 28 ff). Doch zuvor noch eins: Die Bildniskarikatur entstand im 17. Jh. (Boeck 1968). Die Annahme einer einfühlenden Sympathie, die sich auf das Erleben und Kennen des eigenen Körpers bezieht (Kemp 1975), muß für das frühe 19. Jh. in verstärkter Weise angesetzt werden, als für das frühe 15. / 16. Jh. Allerdings hat sie ihre Wirkung nicht mehr bloß in einer ersten Schicht emotionalen Schließens, sondern die Karikatur setzt bereits eine rationale Thematisierung voraus, die zwischen dem 17. und 19. Jh. schrittweise angewachsen ist. Diesen Zuwachs müssen wir für die Karikatur näher als einen Komplex von sozialen Urteilen bestimmen. Diese aber sind ein Interpretanten-Problem. Emotionaler und energetischer Interpretant sind Wirkungen, die das Bildnis "als Abbild <strong>physiognomischer</strong> Ähnlichkeit" hat: Es ist jenes Gefühl des reinen Wiedererkennens, die übergeht in die eigentlich bedeutungstragende Wirkung, die immer eine Anstrengung, eine Einwirkung auf die Innenwelt darstellt, nämlich das sich als identisch wiedererkennen, das jeweils einen einzelnen Akt darstellt. Dieser Akt ist jederzeit wiederholbar, mit den gleichen Mitteln und den gleichen Wirkungen. Die Karikatur aber, die ja das Prinzip der "physiognomischen Ähnlichkeit" voraussetzt und historisch in der Tat voraussetzte, basiert auf der Norm dessen, was als hinreichende Bedingungen für die "physiognomische Ähnlichkeit" allgemein akzeptiert wurde. Die Karikatur ist aber nicht nur dasjenige, wo "das Häßliche durch Selbstübertreibung lächerlich" wird, wie es in dem systematischen Versuch von Karl Rosenkranz in seiner Ästhetik des Häßlichen (1853) an der Umschlagstelle von dem Widrigen zum Komischen lokalisiert wurde, sondern auch diejenige Stelle, wo das Allgemeine, die gesellschaftliche Institution, mit den Mitteln - figuralen und physiognomischen - der Individualisierung attackiert wurde. Leonardo hatte die bildliche Reflexion über die physiognomische Ähnlichkeit entdeckt - seine Zeichnungen blieben folgenlos, bis sie von einem Niederländer gestochen und verbreitet wurden. In England des ausgehenden 18. Jh. entstand unter dem Eindruck italienischer Vorlagen jener Typus von Karikatur, der in Frankreich zwischen Napoleon I. und Napoleon III. zum politischen Kampfinstrument wurde und auf der Basis der "Evidenz <strong>physiognomischer</strong> Ähnlichkeit' scheinbar einzelne Akte individuellen Erkennens betraf, unter dem Gewand der bildlichen Norm des Individualporträts aber politische Argumente hervorbrachte. Dies meint eine Modifikation der Tendenz einer Person, in bestimmter Weise zu handeln, die das Ergebnis vorhergegangener Erfahrungen oder vorhergegangener
Willensanstrengungen bzw. Handlungen oder eines Komplexes beider Arten von Ursachen ist: Habit- Change. Literatur Barberis, Pierre, 1970: Balzac et le mal du siècle. Contribution á une Physiologie du monde moderne. Paris Boeck, Wilhelm, 1968: Inkunabeln der Bildniskarikatur bei Bologneser Zeichnern des 17. Jahrhunderts. Von Freunden und Schülern zum 60. Geburtstag. Stuttgart Brückner, Wolfgang, 1966: Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies, Berlin. Bull, Reinhard, 1977: Das große Buch vom Wachs. Geschichte, Kultur, Technik. München. Darwin, Charles, 1874: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. Aus d. Engl. übers. v. J. Victor Carus, 2. sorgf. durchges. Aufl. Stuttgart. Daumier, Honore und die ungelösten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft. Ausst. Kat. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin Mai / Juni 1974. Della Porta, 1586: Giambattista d. J., De Humana Physiognomia libri III, Neapel. Dewey, John, 1934 / 1958*: Art as Expcrience. New York. Enciclopedia 1963: E. Universale dell'Arte, Istituto per la Collaborazione Culturale. Venezia - Roma, Bd. III, s. v. Carattere; Bd. XI, s. v. Ritratto. Foucault, Michel, 1966: Les mots et les choses. Paris, zit. n.: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt 1974. Geisberg, Max, 1923: Die Anfange des Kupferstichs. = Meister der Graphik hrsg. v. H. Voss. B. 2, 2. Aufl., Leipzig. Gerlach, Peter, 1977: Probleme einer semiotischen Kunstwissenschaft, in: Posner / Reinecke, 1977, S. 262 - 292. Grüsser, Otto - Joachim, 1977: Neurobiologische Grundlagen der Zeichenerkennung, in: Posner / Reinecke 1977, S. 13 - 45. Heller, Elisabeth, 1976: Das altniederländische Stifterbild. = Tuduv-Studien: Reihe Kulturwiss., Bd. 6. München. Hinz, Berthold, 1974: Studien zur Geschichte des Ehepaarbildnisses, in: Marburger Jhb. f. Kunstwissenschaft, Bd. 19, S. 139 - 218. Hinz, Berthold, 1975: Innerlichkeit und ihre äußerlichen Bedingungen. Das humanistische Bildnis des Justinian und der Anna von Holzhausen, in: Städel-Jahrbuch hrsg. v. K. Gallwitz u. H. Beck. NF Bd. 5, S. 97 - 110. Huon, Antoinette, 1957: Charles Philipon et le maison Aubert, in: Andree Lheritier, Les Physiologics. Repertoire des Physiologics. Études de Presse, 4e trimestre 1957. Kaschnitz von Weinberg, Guido, 1961: Römische Kunst, Bd. 2. Zwischen Republik und Kaiserzeit, hrsg. v. Helga von Heintze. = rowohlts deutsche encyclopedie. Hamburg. Keller, Harald, 1970: Das Nachleben des antiken Bildnisses von der Karolingerzeit bis zur Gegenwart. Freiburg / Basel / Wien. Kemp, Wolfgang, 1975: Die Beredsamkeit des Leibes. Körpersprache als künstlerisches und gesellschaftliches Problem der bürgerlichen Emanzipation, in: Städel-Jhb. NF Bd. 5, S. 111 - 134.
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