Download - Virtual Vehicle
Download - Virtual Vehicle
Download - Virtual Vehicle
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Schwerpunkt-Thema:<br />
Gesamtsystem Rail<br />
Fahrzeug, Fahrweg und Interaktion<br />
magazine<br />
Nr. 14, II-2013<br />
Im Interview:<br />
Dr. Jochen Eickholt<br />
Im Interview:<br />
Prof. Klaus Rießberger<br />
Innovative Modellierungs-, Simulations- und Messverfahren<br />
Rad-Schiene Kraftschluss ■ Virtuelle Homologation<br />
Sicherheit ■ Schallabsorbierung und Schwingungsreduktion
Inhalt Nr.14, II-2013<br />
4-6 7 Interview<br />
Geballtes Know-how<br />
Starker Aufwärtstrend bei Rail-Anwendungen<br />
am VIRTUAL VEHICLE: Neben der Analyse des<br />
Rad-Schiene-Kontakts als Schnittstelle zwischen<br />
Fahrzeug und Fahrweg sind Verschleißminimierung,<br />
Lärmreduktion und Energieeffizienz<br />
die Herausforderungen der Zukunft.<br />
14 Gastbeitrag<br />
Innovative Schienentechnologien<br />
Die voestalpine Schienen GmbH ist federführend<br />
bei der Entwicklung von neuen Technologien<br />
für den Schienensektor. Dabei spielt das<br />
Verständnis für die grundlegenden Mechanismen<br />
im Rad-Schiene Kontakt eine zentrale<br />
Rolle.<br />
20 Interview<br />
Im Interview: Dr. Jochen Eickholt<br />
Die Entwicklung der Bahn der Zukunft wird in<br />
den nächsten Jahren primär kostengetrieben<br />
und weniger technologiegetrieben sein. Der<br />
Leiter der Division Rail Systems der Siemens<br />
AG berichtet über aktuelle Trends in der Schienenfahrzeugindustrie.<br />
2 magazine Nr. 14, II-2013<br />
Eisenbahnen auf der Überholspur<br />
Prof. Klaus Rießberger hat dem europäischen<br />
Eisenbahnwesen nachhaltig seinen Stempel<br />
aufgedrückt. Mit dem VVM sprach der emeritierte<br />
Universitätsprofessor über die künftigen<br />
technischen und organisatorischen Herausforderungen<br />
der Eisenbahnen in Europa.<br />
16<br />
Geräuschreduktion<br />
VIRTUAL VEHICLE beschäftigt sich seit Jahren<br />
mit dem Thema Geräuschentwicklung im Schienenverkehr.<br />
Ziel ist es, das Geräusch am Ort<br />
der Entstehung zu bekämpfen und damit andere<br />
Maßnahmen wie Lärmschutzwände überflüssig<br />
zu machen.<br />
23-29<br />
Sandung, Fahrkomfort und E/E<br />
Beiträge zu optimierten Sandungsanlagen, der<br />
verbesserten Prognosesicherheit bei der Komfortauslegung<br />
von Schienenfahrzeugen oder<br />
durchgängige Toolketten für E/E-Systeme im<br />
Eisenbahnbereich zeigen das weite Spektrum<br />
der Rail-Forschung am VIRTUAL VEHICLE.<br />
8-13<br />
Fahrzeug, Fahrweg & RCF<br />
Effiziente Methoden zur Bewertung des Zusammenspiels<br />
von Fahrzeug und Fahrweg, der<br />
Rad-Schiene-Kontakt und das Verschleiß- und<br />
Schädigungsverhalten stehen im Mittelpunkt<br />
dieses Themenblocks.<br />
18<br />
Virtuelle Fahrwerksentwicklung<br />
Numerische single- oder multidisziplinäre Optimierungsverfahren<br />
gewinnen in der Entwicklung<br />
hochkomplexer Produkte wie Schienenfahrzeuge<br />
an Bedeutung. Die Integration dieser<br />
Methoden in die Produktentwicklungsprozesse<br />
wird dabei besonders berücksichtigt.<br />
30 Gastbeitrag<br />
Institut für Eisenbahnwesen<br />
Impulse für ein betrieblich, technisch und wirtschaftlich<br />
erfolgreiches System Bahn: Das Institut<br />
für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft<br />
steht für eine umfassende Sicht auf das System<br />
Bahn und berücksichtigt neben wirtschaftlichen<br />
auch betriebliche und technische Aspekte.
Schiene mit System<br />
Der Bereich Rail ist seit der Gründung des VIRTUAL VEHICLE ein<br />
wesentlicher Grundpfeiler der Forschungsaktivitäten. Aus einer Vielzahl<br />
von übergreifenden Projekten bildete sich mit der ganzheitlichen<br />
Betrachtung des Systems Bahn eines der erfolgreichsten und zugleich<br />
integrativsten Forschungsfelder.<br />
Dr. Jost Bernasch, Geschäftsführer<br />
Dr. Michael Schmeja, Leitung Area Informations- und Prozessmanagement, Koordinator Rail<br />
Leichter, leiser, wirtschaftlicher<br />
Energieeffizienz sowie Herstellungs- und Instandhaltungskosten<br />
– das sind die elementaren<br />
Innovationstreiber im Bereich Rail. Die<br />
technische Raffinesse und Performance des<br />
Systems Bahn muss sich vor dem Hintergrund<br />
stark steigender Beanspruchung von Fahrzeug<br />
und Fahrweg bewähren: Die Überlastung bestimmter<br />
Gleisabschnitte steigt, die Zugfolgezeiten<br />
werden laufend kürzer und die Triebfahrzeuge<br />
verfügen über eine immer effizientere<br />
Kraftübertragung.<br />
Belastungen vorherzusagen und Programme<br />
zu entwickeln, mit deren Hilfe überprüft werden<br />
kann, wie Schäden entstehen, wie sie wachsen<br />
und welches Material verwendet werden muss,<br />
um Schäden hinauszuzögern, ist nur eine der<br />
aktuellen Forschungsaufgaben des VIRTUAL<br />
VEHICLE. Ziel ist es, für den künftigen Bahnausbau<br />
etwa Rad und Schiene besser aufeinander<br />
abzustimmen, Schädigung und Verschleiß<br />
zu minimieren und so den Wartungsaufwand<br />
und auch das Unfallrisiko zu senken.<br />
Das COMET K2 Forschungsprogramm am<br />
VIRTUAL VEHICLE führt die wichtigsten europäischen<br />
Partner der Eisenbahnindustrie zusammen.<br />
Netzbetreiber wie ÖBB, DB und SBB<br />
finden sich ebenso in den Forschungsprojekten<br />
wie Siemens oder voestalpine und andere<br />
Schienenfahrzeughersteller und Zulieferer.<br />
Impressum:<br />
Medieninhaber, Herausgeber, Verleger:<br />
Kompetenzzentrum Das Virtuelle Fahrzeug<br />
Forschungsgesellschaft mbH (ViF)<br />
A-8010 Graz, Inffeldgasse 21A<br />
Tel.: +43 (0)316-873-9001 Fax: ext 9002<br />
E-Mail: office@v2c2.at Web: www.v2c2.at<br />
Redaktion und Gestaltung:<br />
Wolfgang Wachmann, Lisa Pichler<br />
Fotos: ViF, Industriepartner, TU Graz<br />
FB: LG f. ZRS Graz, FN: 224755 Y<br />
UID: ATU54713500<br />
Das Gesamtsystem Rail<br />
Wie bei der Entwicklung im Automobilbereich<br />
kommt auch bei Rail-Anwendungen der Gesamtsystembetrachtung<br />
eine wichtige Rolle<br />
zu, um sie in Bezug auf Sicherheit sowie Wartungs-<br />
und Betriebskosten optimal auslegen<br />
zu können. Die unterschiedlichen Aspekte mit<br />
den aktuellen Forschungsthemen zu Fahrzeug,<br />
Fahrweg und der Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion<br />
stellen wir Ihnen auf den folgenden Seiten<br />
vor.<br />
Neben einem Überblick über die komplexe<br />
Interaktion des Systems Bahn taucht diese<br />
Ausgabe des VVM auch in die Tiefe der Teilmaterie.<br />
Physikalische Effekte im Rad-Schiene<br />
Kraftschluss, innovative Modellierungs-, Simulations-<br />
und Messverfahren oder die Schritte zu<br />
einer virtuellen Homologation werden ab Seite<br />
4 beleuchtet. Jenseits theoretischer Betrachtung<br />
bietet die Forschungsarbeit aber auch<br />
handfeste Anwendungsorientierung: Versuche<br />
und aktuelle Erfahrungsberichte aus dem realen<br />
Bahnbetrieb liefern wir dazu ab Seite 12.<br />
Gemeinsam ans Ziel<br />
Wie stark bereichsübergreifend das Thema Rail<br />
am VIRTUAL VEHICLE erforscht wird, zeigen<br />
Beiträge der Areas „Information & Process Management“<br />
(Seite 18), Forschungen zur funktionalen<br />
Sicherheit in der Area „E/E & Software“<br />
(Seite 28), Schallabsorbierung und Schwingungsreduktion<br />
in der Area „NVH & Friction“<br />
(Seite 16) bis hin zur Optimierung von Sandungsanlagen<br />
in der Area „Thermodynamics“<br />
(Seite 23).<br />
Besonderer Dank gilt an dieser Stelle den Gastautoren<br />
unserer Partner aus Industrie und Forschung,<br />
die das Gesamtbild der „Schiene mit<br />
System“ vervollständigen:<br />
Prof. Klaus Rießberger, Emeritus der TU Graz<br />
und wesentlicher Initiator des Themas Rail am<br />
VIRTUAL VEHICLE, zeigt als einer der profundesten<br />
Kenner des europäischen Eisenbahnwesens<br />
die künftigen technischen und organisatorischen<br />
Herausforderungen der Eisenbahnen<br />
in Europa auf (Seite 7) und Dr. Jochen<br />
Eickholt / Siemens AG wirft für das VVM einen<br />
umfassenden Blick auf die Trends in der Schienenfahrzeugindustrie<br />
(Seite 20).<br />
Wir hoffen, Sie teilen unsere Faszination über<br />
die Weite dieses Forschungsfeldes und wünschen<br />
Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre<br />
dieses Magazins!<br />
Das Kompetenzzentrum VIRTUAL VEHICLE wird im Rahmen von COMET – Competence Centers for Excellent Technologies<br />
durch das Österreichische Bundesministerium für Verkehr und Technologie (BMVIT), das Österreichische Bundesministerium<br />
für Wirtschaft, Familie und Jugend, (BMWFJ), die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (FFG), das Land<br />
Steiermark sowie die Steirische Wirtschaftsförderung (SFG) gefördert. Das Programm COMET wird durch die FFG abgewickelt.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
3
Geballtes Know-how für Schiene<br />
und Fahrzeug<br />
Starker Aufwärtstrend bei Rail-Anwendungen am VIRTUAL VEHICLE: Neben der Analyse und Beschreibung<br />
des Rad-Schiene-Kontakts als Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Fahrweg sind Verschleißminimierung,<br />
Lärmreduktion und Energieeffizienz die Herausforderungen der Zukunft. Neue Online-Messmethoden lassen<br />
den Instandhaltungsbedarf an Schiene und Fahrzeug rechtzeitig im Betrieb erkennen.<br />
Im Zentrum der Rail-Aktivitäten am VIRTUAL<br />
VEHICLE steht die ganzheitliche Betrachtung<br />
des Systems Bahn. Diese umfasst das Fahrzeug<br />
selbst, den Fahrweg und die Fahrzeug-<br />
Fahrweg-Interaktion. Allein dieser Umstand<br />
zeigt, dass Know-how aus allen relevanten<br />
Fachdisziplinen vonnöten ist, um die Berechnung<br />
und Simulation über alle technischen und<br />
prozessorientierten Bereiche hinweg adäquat<br />
abzudecken (siehe Abbildung 1). Die realitätsnahe,<br />
computerunterstützte Modellierung des<br />
Systems Bahn spielt bereits in einer frühen<br />
Phase der Produktentstehung eine entscheidende<br />
Rolle.<br />
Noch stärker als im Automotive-Bereich sind<br />
auch bei den Schienenfahrzeugen Energieeffizienz<br />
und Kosten die wahren Innovationstreiber.<br />
Die technischen Superlative in punkto Höchstgeschwindigkeit<br />
treten – wie etwa am Beispiel<br />
des ICE X – in den Hintergrund. Die Fahrzeuge<br />
müssen leichter, leiser und billiger werden, wo-<br />
Abbildung 1: System Eisenbahn – relevante Aspekte<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
4 magazine Nr. 14, II-2013<br />
bei gleichzeitig die Sicherheit und Performance<br />
zumindest beibehalten werden muss.<br />
Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion<br />
Verständlich, dass daher ein großer Schwerpunkt<br />
der Forschungsarbeiten am VIRTUAL<br />
VEHICLE auf den Schnittpunkt zwischen<br />
Fahrzeug und Schiene gelegt wird. Die bisherigen<br />
Modelle der klassischen Kontaktmechanik<br />
stoßen an ihre Grenzen. Sie beschäftigen<br />
sich nicht ausreichend mit den tribologischen<br />
Effekten und genau da wurden am VIRTUAL<br />
VEHICLE in den letzten Jahren Schwerpunkte<br />
gesetzt. Einflüsse wie z.B. von Zwischenschichten,<br />
von Temperaturen oder Rauigkeiten<br />
im Rad-Schiene-Kontakt werden geeignet abgebildet<br />
(siehe z.B. Abbildung 2).<br />
Diese Aspekte gilt es, auf einer physikalischen<br />
Basis zu klären – wohl wissend, dass sich der<br />
Spagat zwischen kurzen Rechenzeiten und vernünftigen<br />
Modellen wie ein roter Faden durch<br />
das Thema Rollkontakt zieht.<br />
Ziel ist es, die Effekte nicht nur abzubilden sondern<br />
auch zu verstehen. Erst dann können in<br />
einem zweiten Schritt Maßnahmen abgeleitet<br />
werden, um das System insgesamt zu verbessern.<br />
Kostenfaktor Gleisgeometrie<br />
Ein Gleis ist im Grund nie ideal verlegt, es<br />
entstehen im Laufe der Zeit durch betriebliche<br />
und umweltrelevante Einflüsse geometrische<br />
Abweichungen von der Ausgangslage. Es zeigt<br />
sich, dass man alleine auf Basis der Schienengeometrie<br />
keine allgemeingültigen Aussagen<br />
über die Gleislagequalität treffen kann. Verschiedene<br />
Fahrzeuge reagieren auf dieselbe<br />
vorhandende Schienengeometrie unterschied-
lich. Die Rail-Experten am VIRTUAL VEHICLE<br />
versuchen, neue Lösungen zu entwickeln, die<br />
die Interaktion des Fahrwegs mit dem Fahrzeug<br />
berücksichtigen (siehe Abbildung 3). Schließlich<br />
muss methodisch bewertbar sein, ob ein<br />
Schienenfahrzeug mit der Gleisgeometrie auf<br />
der Strecke ein Problem hat und ob etwas getan<br />
werden muss, damit ein sicherer Verkehr<br />
gewährleistet ist. Dadurch ist es möglich, dass<br />
die vorhandenen Geldmittel beim Tausch von<br />
Schienensträngen noch effizienter eingesetzt<br />
werden können. Das Thema betrifft auch den<br />
Bereich der Fahrzeugzulassung. Denn auch<br />
in den diesbezüglichen Normen finden sich<br />
rein geometrische Kenngrößen, wie das Gleis<br />
aussehen muss. Gerade im Hinblick auf internationale<br />
Zulassungen gilt es ebenfalls, die<br />
unterschiedlichen Gleislagen hinsichtlich der<br />
Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion zu bewerten.<br />
Virtuelle Zulassungen<br />
Der Trend geht eindeutig in Richtung virtuelle<br />
Zulassungen über Simulationen und weg von<br />
den Messfahrten. Die Kernfragen dabei: Ist der<br />
Entwicklungsprozess sicher und haben auch<br />
die Tools die entsprechende Qualität für die Zulassung?<br />
Es ist also nicht nur wichtig, dass der<br />
Ingenieur das Fahrzeug richtig modelliert, sondern<br />
dass man davon ausgehen kann, dass das<br />
Simulationsprogramm keine Fehler erzeugt.<br />
Verschleiß und Schädigung<br />
Auch beim Thema Verschleiß und Schädigung<br />
– Rissinitiierung und Risswachstum – liegt<br />
ein Hauptaugenmerk darauf, zu verstehen,<br />
welche Parameter im System Eisenbahn die<br />
wesentlichen Treiber dieser Phänomene sind.<br />
Aufgrund der komplexen Zusammenhänge der<br />
Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion ist es nur möglich,<br />
die Phänomene und Ursachen zu erklären,<br />
indem die physikalischen Effekte ausreichend<br />
genau abgebildet werden. Die daraus entstehenden<br />
Modelle erlauben es in weiterer Folge,<br />
Optimierungen am System Bahn vorzunehmen.<br />
Intensiv setzt man sich in diesem Zusammenhang<br />
mit der Materialmodellierung auseinander<br />
– speziell was die Abbildung der hohen plastischen<br />
Verformung an der Oberfläche betrifft.<br />
Denn sie hat eine enorme Bedeutung, um das<br />
Thema Verschleiß und Schädigung zu erklären<br />
(siehe Abbildung 4). Das betrifft sowohl das<br />
Schienenfahrzeug selbst, als auch den Fahrweg,<br />
denn es gibt ähnliche Phänomene auf<br />
beiden Seiten.<br />
Funktionale Sicherheit im Fokus<br />
Im Eisenbahnbereich ist die „Funktionale<br />
Sicherheit“ allgegenwärtig. Darunter ist die<br />
Fähigkeit eines sicherheitsbezogenen elektrischen<br />
und elektronischen Systems zu verstehen,<br />
um beim Auftreten von systematischen<br />
und zufälligen Fehlern einen sicheren Zustand<br />
zu gewährleisten. Am VIRTUAL VEHICLE widmet<br />
man sich schon heute diesen Fragen mit<br />
einem Projekt, das neue Methoden, Prozesse<br />
und Tools für Systemmodellierung, Softwarearchitektur,<br />
Sicherheitsanalysen sowie Verifikations-<br />
und Validierungsmaßnahmen umfasst.<br />
Lärm: Beim Verursacher ansetzen<br />
Schienenfahrzeuge verursachen zwangsläufig<br />
Lärm, gegen den es nur zwei Gegenmaßnahmen<br />
gibt: Entweder die Schienenwege in<br />
verbautem Gebiet mit Lärmschutzwänden zu<br />
versehen oder direkt beim Verursacher anzusetzen.<br />
Zu letzterem Aspekt hat das VIRTUAL<br />
VEHICLE das Projekt Rad-Schiene-Schallabsorber<br />
durchgeführt.<br />
Hier werden sowohl auf dem Prüfstand als<br />
auch in der Simulation gemeinsam mit Siemens<br />
und der voestalpine Schiene Maßnahmen zur<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Abbildung 2: Rauigkeiten<br />
im Rad-Schiene Kontakt<br />
– Einfluss auf „reale“<br />
metallische Kontaktfläche<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Schwingungsreduktion an Rad und Schiene<br />
untersucht.<br />
Selbstverständlich sind beim Lärm auch die<br />
aeroakustischen Aspekte zu erwähnen. Voraussetzung<br />
ist eine CFD-Analyse, die Aussagen<br />
über die Aerodynamik trifft. In einem<br />
nachgeschalteten Rechengang werden jene<br />
Verwirbelungen unter die Lupe genommen,<br />
die aeroakustische Auswirkungen haben. Ziel<br />
ist es, eine disziplinübergreifende Optimierung<br />
herbeizuführen.<br />
Partnerschaftliche Kooperation mit<br />
Industrie und Wissenschaft<br />
Leitlinie für alle Aktivitäten im Rail-Bereich des<br />
VIRTUAL VEHICLE ist das Bestreben, Partner<br />
wie Siemens, die ÖBB, die Schweizer Bahn,<br />
die Deutsche Bahn oder Schienenhersteller<br />
wie die voestalpine Schienen zu unterstützen.<br />
Die erzielten Ergebnisse aus der anwendungsorientierten<br />
Forschung werden geeignet dokumentiert,<br />
damit die Partner (Schienenfahrzeughersteller,<br />
Infrastrukturbetreiber, Zulieferer und<br />
Komponentenlieferanten) diese noch schneller<br />
in ihre Prozesse integrieren können. Damit<br />
kennt das VIRTUAL VEHICLE auch genau den<br />
Bedarf der Industrie - nicht zuletzt auch durch<br />
die Präsenz in vielen Gremien, wie etwa in der<br />
Österreichischen Verkehrswissenschaftlichen<br />
Gesellschaft (ÖVG), wo das VIRTUAL VEHICLE<br />
im Arbeitskreis Schienenfahrzeuge Mitglied ist<br />
und eine Arbeitsgruppe leitet. Das ist gelebte<br />
Synergie zwischen Industrie und Wissenschaft.<br />
Einer der wichtigsten wissenschaftlichen Partner<br />
ist die TU Graz. Mit den Instituten für Mechanik,<br />
Baumechanik, Leichtbau, Eisenbahnwesen<br />
und Verkehrswirtschaft gibt es eine rege<br />
Zusammenarbeit in Projekten, Dissertationen<br />
und Diplomarbeiten. Dass Graz ein idealer Boden<br />
ist, um Eisenbahnforschung zu betreiben,<br />
5
Abbildung 3: Entwicklung neuer<br />
Interaktions-Bewertungsmethoden unter<br />
Anwendung von MKS Simulationen<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
zeigt sich auch in der guten Zusammenarbeit<br />
des VIRTUAL VEHICLE mit Siemens, das sein<br />
Weltkompetenzzentrum für Fahrwerke ebenfalls<br />
in der steirischen Landeshauptstadt angesiedelt<br />
hat.<br />
Fachbereich mit großem<br />
Zukunftspotenzial<br />
Die Wichtigkeit des Themas Rail zeigt sich am<br />
VIRTUAL VEHICLE auch im Personalstand -<br />
gut 15 Prozent der beschäftigten Mitarbeiter<br />
befasst sich intensiv mit diesem Thema. In<br />
der ersten Förderperiode wurden elf K2-Rail-<br />
Projekte - quer über alle Forschungsareas - mit<br />
Abbildung 4: Metallographische Untersuchungen an einem Schienenquerschnitt<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
6 magazine Nr. 14, II-2013<br />
einem Volumen von 11 Millionen Euro definiert<br />
– Tendenz steigend. Darüber hinaus wurden<br />
Dienstleistungen im Umfang von mehreren<br />
hunderttausend Euro erfolgreich abgearbeitet.<br />
Zukunftsthema Diagnose-Monitoring<br />
Die Zukunft hat am VIRTUAL VEHICLE bereits<br />
begonnen: Schadensfrüherkennung ist die Herausforderung<br />
der kommenden Jahre. Hier geht<br />
es um die Entwicklung von neuen Methoden<br />
und Ansätzen wie man durch Onboard-Messungen<br />
den Instandhaltungsbedarf online auf<br />
Fahrzeug- und Fahrwegseite sichtbar machen<br />
kann. Damit kann bewertet werden, wie sich<br />
das Fahrzeug insgesamt und einzelne Komponenten<br />
(z.B. Dämpfer) aktuell verhalten oder<br />
wie Kräfte im Rad-Schiene-Kontakt wirken.<br />
Resümee<br />
Die Bahn der Zukunft wird leiser, wirtschaftlicher<br />
und zuverlässiger sein. Durch langjährigen,<br />
stabilen Kompetenzaufbau verfügt das<br />
VIRTUAL VEHICLE über ein umfassendes<br />
System-Know-how und die entsprechenden<br />
Entwicklungstools, um die Zukunft der Bahn<br />
erfolgreich mitzugestalten. ■<br />
Zu den Autoren<br />
Dr. Michael Schmeja leitet<br />
die Area Informations-<br />
und Prozessmanagement<br />
und koordiniert die<br />
Querschnittsfunktion Rail<br />
am VIRTUAL VEHICLE.<br />
Dr. Martin Rosenberger<br />
ist stellvertretender Bereichsleiter<br />
des Bereichs<br />
„Mechanics & Materials“<br />
am VIRTUAL VEHICLE.<br />
Dr. Klaus Six ist Key<br />
Researcher im Bereich<br />
<strong>Vehicle</strong> Dynamics – Rail<br />
Applications am VIRTUAL<br />
VEHICLE.
VVM: Sie waren 25 Jahre lang Universitätsprofessor<br />
für Eisenbahnwesen. Was hat sich in dieser<br />
Zeit im System Bahn verändert?<br />
Rießberger: 1984 war die Eisenbahn in der<br />
öffentlichen Wahrnehmung ein abgewirtschaftetes,<br />
vielleicht historisch interessantes, aber<br />
weitgehend unmodernes Transportmittel. Sie<br />
wurde europaweit lieblos verwaltet und es<br />
hat nur sehr wenige Leute gegeben, die sich<br />
um ihre Zukunft bemüht haben. Die „moderne<br />
Technologie“ hieß Automobil, gefördert von<br />
den im großen Stil errichteten Autobahnen und<br />
Straßen. Mittlerweile haben sich die Umfeldbedingungen<br />
verändert – das Auto stößt zunehmend<br />
an seine Grenzen, wie wir täglich an den<br />
Staus in den Ballungszentren sehen können.<br />
Die Transportzeiten per Automobil wurden unzuverlässig<br />
während die Bahn aufgrund ihrer<br />
peniblen Planung gleichzeitig das zuverlässigere<br />
Fortbewegungsmittel geworden ist. Die<br />
ÖBB hat sich zur pünktlichsten Bahn der EU<br />
entwickelt.<br />
Spätestens 1989 wurde man sich auch in Österreich<br />
der Potentiale des Bahnsystems bewusst.<br />
Der letzte Satz meiner Antrittsvorlesung 1984<br />
war: „Wir haben hier einen Rosenstock, den wir<br />
mit einiger Pflege zu einem blühenden Strauch<br />
entwickeln können“. Und heute stelle ich fest,<br />
dass dies auch über weite Strecken gelungen<br />
ist. Man hat der Bahn den Weg frei geräumt für<br />
ein eigenes Agieren in ihrem Umfeld. Manche<br />
Bahnen in Europa haben diesen Prozess noch<br />
nicht abgeschlossen, wenn ich z.B. an Italien,<br />
Frankreich oder einige Bahnen im Osten der<br />
EU denke. Aber die öffentliche Wahrnehmung<br />
hat sich zum Positiven gewandelt. Der Ausbau<br />
der Hauptstrecken hat in Österreich Vorrang.<br />
Seit 9. Dezember 2012 fährt die ÖBB von Wien<br />
nach Salzburg in 2 Stunden 22 Minuten. Auch in<br />
Richtung Süden sind mit dem Koralm- und dem<br />
Semmeringtunnel endlich die richtigen Zeichen<br />
gesetzt.<br />
VVM: Von einem „Vereinten Europa der Eisenbahnen“<br />
sind wir dennoch weit entfernt – wie<br />
die national verankerten Zulassungsbedingungen<br />
für Schienenfahrzeuge zeigen.<br />
Rießberger: Das sollte natürlich ein harmonisierter<br />
Prozess sein. Leider haben sich in Eu-<br />
ropa die „Bahnen der Ingenieure“ in „Bahnen<br />
der Juristen“ verwandelt, die eine Flut von Vorschriften,<br />
Normen und Festlegungen zu erfüllen<br />
haben. Dazu treten die Kaufleute mit penibler<br />
Kostenverfolgung. Gemessen wird nicht mehr<br />
der technische Erfolg an sich, sondern die Life-<br />
Cycle-Costs und andere unternehmerische<br />
Kennzahlen.<br />
VVM: Wie sieht Ihrer Meinung nach der Eisenbahn-Ingenieur<br />
der Zukunft aus?<br />
Rießberger: Im Eisenbahnwesen war es immer<br />
notwendig, bei technischen Entscheidungen die<br />
wirtschaftliche Auswirkung gleichberechtigt zu<br />
bedenken. Dafür muss der künftige Eisenbahn-<br />
Ingenieur entsprechend ausgebildet werden.<br />
Das traditionelle Schachterl-Denken muss<br />
überwunden werden. Maschinenbauer gegen<br />
Bauleute, Bauleute gegen Elektriker usw. Es<br />
wird nicht funktionieren, wenn jeder nur seinen<br />
Schrebergarten verwaltet. Ein Curriculum, das<br />
mehr auf eine Tätigkeit bei der Bahn – oder der<br />
affinen Industrie – abzielt, wäre wichtig - etwa<br />
eine allgemeine Bauingenieur-Ausbildung mit<br />
maschinentechnischen Elementen. Das System<br />
Eisenbahn erfordert auch ein Denken im System.<br />
Die Frage, ob es in der Bahn in Zukunft noch<br />
Ingenieure geben wird, ist berechtigt. Laut FAZ<br />
will die Deutsche Bahn in den nächsten Jahren<br />
8000 Ingenieure einstellen. Das Interesse an<br />
diesen Tätigkeiten ist derzeit noch überschaubar.<br />
Was fehlendes Ingenieurs-Know-how bewirken<br />
kann, ist an den Bahnen Englands und<br />
der Niederlande zu besichtigen. In Österreich<br />
scheidet derzeit eine ganze Reihe verdienter<br />
Ingenieure aus. Leider wurde hinter diesen<br />
Führungskräften keine zweite Reihe aufgebaut.<br />
VVM: Sie sagen, die Schiene holt gegen die<br />
Straße auf. Wie wird es in 20 Jahren aussehen?<br />
Gibt es eine nennenswerte Verlagerung<br />
und wird sich diese vergrößern?<br />
Rießberger: Die Umgebungsbedingungen bleiben<br />
ja nicht gleich. 2030 wird es auf jeden Fall<br />
enger, weil die Bevölkerung in Europa und in<br />
der Welt weiterhin wächst. Wir werden dann<br />
nicht mehr die Straßen haben, um alle Autos<br />
gleichzeitig bewegen zu können. Es wird billiger<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Interview<br />
Die Eisenbahnen sind auf der Überholspur<br />
Prof. Klaus Rießberger hat dem europäischen Eisenbahnwesen nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt. Mit<br />
dem VIRTUAL VEHICLE MAGAZIN sprach der emeritierte Universitätsprofessor über die künftigen technischen<br />
und organisatorischen Herausforderungen der Eisenbahnen in Europa.<br />
und bequemer sein, das Auto stehen zu lassen<br />
und auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen.<br />
In Wien ist es ja bereits soweit.<br />
VVM: Was sehen sie als Herausforderung aus<br />
technischer Sicht für die europäischen Eisenbahnen?<br />
Rießberger: Lärm und Erschütterungen stehen<br />
an der Spitze der zu lösenden Fragen. Bei etwa<br />
400 Zugfahrten pro Tag - wie auf einigen österreichischen<br />
Strecken - verstehe ich den Unmut<br />
der Bürger. Für die Bahn selbst ist die größte<br />
Herausforderung eine verlässliche Betriebsabwicklung.<br />
Hier hat die ÖBB schon viel getan.<br />
VVM: Wie kann eine Institution wie das VIR-<br />
TUAL VEHICLE ihren Beitrag für das klaglose<br />
Funktionieren des Systems Bahn und die Reduktion<br />
der Lärmemissionen leisten?<br />
Rießberger: Durch Ideen zur laufenden Verbesserung<br />
der Bahn in allen Teilen, wobei das<br />
Denken die Kosten und die Einführung („Migration“)<br />
einschließen muss. Zur Sicherstellung<br />
der zuverlässigen Funktion des Systems „Bahn“<br />
sollte der Bereich „Rail Systems“ im VIRTUAL<br />
VEHICLE“ weiter ausgebaut werden.<br />
Weil die ÖBB den Weiterentwicklungen immer<br />
positiv gegenübergestanden sind, hat sich<br />
in Österreich eine nennenswerte Anzahl von<br />
Firmen entwickelt, die auf ihrem Gebiet Weltmarktführer<br />
sind. Diese offene Tür muss auch<br />
künftig von Forschungsunternehmen wie dem<br />
VIRTUAL VEHICLE genutzt werden. ■<br />
Forschungs-Partner<br />
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.<br />
Klaus Rießberger<br />
leitete von 1984 bis 2009<br />
das Institut für Eisenbahnwesen<br />
und Verkehrswirtschaft<br />
der TU Graz und ist<br />
unter anderem Präsident<br />
der Europäischen Eisenbahningenieurverbände<br />
(UEEIV).<br />
7
Fahrzeug und Fahrweg -<br />
eine gemeinsame Interaktion<br />
Ein transeuropäisches Eisenbahnsystem erfordert einen sicheren und durchgehenden Zugverkehr. Am VIRTUAL<br />
VEHICLE werden hierfür neue effiziente Methoden zur Bewertung des Zusammenspiels von Fahrzeug und<br />
Fahrweg entwickelt, welche eine gemeinsame Anwendung bei Fahrzeughersteller und Infrastrukturbetreiber<br />
ermöglichen.<br />
Das Zusammenwirken von Fahrzeug und<br />
Fahrweg spielt in vielen Bereichen des Eisenbahnbetriebs<br />
eine wichtige Rolle. Für Fahrzeughersteller<br />
sind in Bezug auf die Auslegung<br />
von Schienenfahrzeugen die Bereiche Fahrsicherheit,<br />
Fahrkomfort und Akustik von großer<br />
Bedeutung. Für die Infrastrukturbetreiber ist<br />
ein gutes Zusammenwirken wesentlich für eine<br />
möglichst kosteneffiziente Instandhaltung.<br />
Zur Berücksichtigung dieser gemeinsamen Interaktion<br />
von Fahrzeug und Fahrweg müssen<br />
sowohl den Fahrzeugherstellern als auch den<br />
Infrastrukturbetreibern sinnvolle und effiziente<br />
Methoden zur Bewertung des Zusammenspiels<br />
zur Verfügung gestellt werden. Die derzeit gültigen<br />
Europäischen Normen EN 14363 und EN<br />
13848 bieten hierfür jedoch beiden Partnern<br />
keine zufriedenstellenden Lösungen.<br />
Problematik der normativen<br />
Bewertungsmethoden<br />
Die Untersuchungen des Fahrzeug-Fahrweg-<br />
Systems zeigen, dass neben den Betriebsbe-<br />
Abbildung 1: Darstellung von Gleislageabweichungen im Wellenlängenbereich als Basis<br />
für eine Interaktionsanalyse<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
8 magazine Nr. 14, II-2013<br />
dingungen das dynamische System im Wesentlichen<br />
von den Gleislageabweichungen<br />
angeregt wird. Das Fahrzeug wird bei der Überfahrt<br />
in Schwingung versetzt, wodurch sich<br />
wiederum Beschleunigungen im Fahrzeug und<br />
auch rückwirkende Fahrzeugreaktionskräfte<br />
auf den Fahrweg ergeben.<br />
Die in den Europäischen Normen definierten<br />
Methoden zur Bewertung von Gleislageabweichungen<br />
berücksichtigen diese Interaktion jedoch<br />
nicht. Als Beurteilungsgrößen werden in<br />
den beiden genannten Normen nur die Kenngrößen<br />
‚Maximalwert‘ und ‚Standardabweichung‘<br />
der geometrischen Gleislageabweichungen<br />
herangezogen. Verschiedene Fahrzeugtypen<br />
in Kombination mit unterschiedlichen Betriebsbedingungen<br />
wie Fahrzeuggeschwindigkeit,<br />
Rad/Schiene-Profilpaarungen und Kontaktbedingungen<br />
reagieren dagegen unterschiedlich<br />
auf die gleichen geometrischen Gleislageabweichungen.<br />
Diese Variationen bleiben in den<br />
aktuellen normativen Gleislage-Bewertungsmethoden<br />
durch die reine Beurteilung von geometrischen<br />
Kenngrößen völlig unberücksichtigt.<br />
TGA-Methode berücksichtigt<br />
Interaktion<br />
Am VIRTUAL VEHICLE wurde im Rahmen<br />
eines Forschungsprojekts in Kooperation mit<br />
Siemens AG Österreich und der voestalpine<br />
Schienen GmbH die sogenannte Track Geometry<br />
Assessment (TGA) Methode entwickelt.<br />
Diese Methode berücksichtigt im Vergleich zu<br />
den normativen Bewertungsmethoden die Interaktion<br />
von Fahrzeug und Fahrweg durch eine<br />
Abschätzung der zu erwartenden Fahrzeugreaktionen.<br />
Hierfür werden nicht nur wie in der<br />
Europäischen Norm die Störungsamplituden<br />
der Gleislageabweichungen, sondern auch<br />
die in Abbildung 1 dargestellten Wellenlängenanteile<br />
der Abweichungen und folglich deren<br />
Auswirkungen auf das Fahrzeugverhalten bewertet.<br />
Theoretische Überlegungen und auch<br />
praktische Erfahrungen der Projektpartner zeigen,<br />
dass die Überfahrt eines Fahrzeugs über<br />
zwei, in Abb. 1 dargestellten geometrischen<br />
Gleislagefehler (Einzelfehler und Fehler mit<br />
charakteristischer Störung) trotz gleicher Störungsamplituden<br />
ein stark unterschiedliches<br />
dynamisches Fahrzeugverhalten verursachen<br />
kann.<br />
Zur Berücksichtigung dieses Effekts werden bei<br />
der TGA-Methode die Gleislageabweichungen<br />
in den Wellenlängenbereich transformiert und<br />
mit sogenannten repräsentativen empirischen<br />
Übertragungsfunktionen gewichtet. Durch die<br />
Verwendung solcher Übertragungsfunktionen<br />
kann das Verhalten von verschiedenen Fahrzeugen<br />
bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen<br />
optimal berücksichtigt werden. Nach<br />
der Gewichtung erfolgt wiederum eine Rücktransformation<br />
in den Wegbereich. Die damit im<br />
Wegbereich vorliegenden geschätzten dynamischen<br />
Verläufe der Fahrzeugreaktionen ermöglichen<br />
eine ausgezeichnete Bewertung des<br />
Zusammenspiels von Fahrzeug und Fahrweg.<br />
Ergebnisse der TGA-Methode<br />
Zur Analyse der Ergebnisse der TGA-Methode
wurden Mehrkörpersystem (MKS) Simulationen<br />
durchgeführt. Hierfür wurde ein Fahrzeugmodell<br />
mit sehr hoher Modelltiefe gewählt und mit<br />
realen Gleislagestörungen angeregt. Als Referenzgröße<br />
für die Interaktion wird in diesem<br />
Beispiel die laterale Fahrzeugreaktionskraft herangezogen.<br />
In Abbildung 2 ist der Zusammenhang<br />
von Abschnittsmaximalwerten zwischen<br />
MKS-Referenzsimulation und TGA-Schätzung<br />
(violett) und MKS-Referenzsimulation und Regressionsmodell<br />
mit normativen Bewertungsgrößen<br />
(orange) dargestellt. Die Qualität der<br />
Maximalwertschätzung wird in der Punktwolkendarstellung<br />
durch die Streuung der Punkte<br />
um die Proportionalitätsgerade (grüne Linie)<br />
ausgedrückt. In der Abbildung ist ersichtlich,<br />
dass die TGA-Methode auf Grund des berücksichtigten<br />
Fahrzeugverhaltens bei der Interaktionsbewertung<br />
eine deutlich geringere Streuung<br />
und somit bessere Ergebnisse gegenüber den<br />
Methoden der Europäischen Normen liefert.<br />
Daraus können schlussendlich sehr effiziente<br />
Maßnahmen für die Fahrzeugauslegung bzw.<br />
Fahrweginstandhaltung abgeleitet werden.<br />
Interaktionsrelevante<br />
Systemparameter<br />
In einem aktuellen Forschungsprojekt wird<br />
ein Verfahren für die Bewertung der Interaktion<br />
von Fahrzeug und Fahrweg entwickelt,<br />
welches neben den Betriebsbedingungen auch<br />
noch die nichtlinearen Effekte des Fahrzeug-<br />
Fahrweg-Systems (z.B. Bauteilkennlinien oder<br />
Rad-Schiene Kontakt) in ausreichendem Maße<br />
mit einbezieht. Hierfür ist es notwendig, die<br />
Interaktionsrelevanz von unterschiedlichen<br />
Betriebsbedingungen bzw. von nichtlinearen<br />
Effekten mit Methoden der Statistik - insbeson-<br />
Abbildung 2: Vergleich der TGA-Methode mit aktuellen Methoden aus den Europäischen Normen<br />
dere der Sensitivitätsanalyse - zu bestimmen.<br />
Basierend auf einer systematischen Versuchsplanung<br />
kann damit ein Verfahren entwickelt<br />
werden, welches die Systemparameter entsprechend<br />
ihrer Interaktionsrelevanz berücksichtigt.<br />
Zu beachten ist dabei jedoch, dass<br />
die dafür notwenigen Systeminformationen<br />
wie z.B. Reibungsverhältnisse im Rad-Schiene<br />
Kontakt nicht immer hinreichend bekannt sind.<br />
Die daraus resultierenden Auswirkungen werden<br />
daher hinsichtlich Robustheit des Verfahrens<br />
zurzeit untersucht.<br />
Zeitliche Interaktionsveränderung<br />
Aufgrund der begrenzten Mittel und des<br />
Abbildung 3: Betrachtung der gemeinsamen Interaktion und<br />
Ableitung von Maßnahmen zur Optimierung des Gesamtsystems<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
wachsenden Kostendrucks ist eine strikte<br />
Ausrichtung der Instandhaltung nach den Life-<br />
Cycle-Costs des Fahrwegs und einer grenzwertorientierten<br />
Instandhaltung erforderlich.<br />
Dies bedeutet, dass ein Verfahren zur Bewertung<br />
der Interaktion, wie in Abb. 3 dargestellt,<br />
auch eine Prognose der zeitlichen Entwicklung<br />
der zu erwartenden Interaktion bieten soll.<br />
Hierfür werden ebenfalls Prognosemodelle entwickelt,<br />
welche die interaktionsrelevanten Parameter<br />
in Hinblick auf die zeitliche Veränderung<br />
entsprechend berücksichtigen.<br />
Anwendung und Ausblick<br />
Die Entwicklung des Interaktions-Bewertungsverfahrens<br />
wird durch die intensive Mitarbeit<br />
der Industriepartner - auf Seiten der Fahrzeughersteller<br />
Siemens AG Österreich und<br />
auf Seiten der Bahnbetreiber Schweizerische<br />
Bundesbahnen SBB Infrastruktur, DB Netz AG<br />
und ÖBB Infrastruktur AG in Kombination mit<br />
dem wissenschaftlichen Partner der TU Graz /<br />
Institut für Mechanik - optimal ermöglicht. Diese<br />
gemeinsame Entwicklung bietet ein großes<br />
Potenzial für eine gemeinsam verwendbare und<br />
akzeptierte Methode für die Fahrzeughersteller<br />
und Infrastrukturbetreiber. ■<br />
Zum Autor<br />
Dr. Bernd Luber ist Lead<br />
Researcher im Bereich<br />
<strong>Vehicle</strong> Dynamics – Rail<br />
Applications am VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
9
Die Tribologie bestimmt den Rad-<br />
Schiene Kontakt<br />
Der Rad-Schiene Kontakt beim System Eisenbahn bestimmt ganz wesentlich die Fahrzeugdynamik sowie das<br />
Verschleiß- und Schädigungsverhalten von Fahrzeug und Fahrweg. Kontaktmodelle, die auf der Berücksichtigung<br />
der komplexen tribologischen Effekte in der Rad-Schiene Schnittstelle basieren, sind von großer Bedeutung für<br />
die Verbesserung des Systems Bahn in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Kosten.<br />
Der Rad-Schiene Kontakt stellt die Schnittstelle<br />
zwischen Fahrzeug und Fahrweg dar. Diese<br />
Schnittstelle muss auf sehr kleinen Kontaktflächen<br />
– in der Größe eines Fingernagels – unter<br />
höchsten Belastungen die Funktionen Tragen,<br />
Führen sowie Antreiben und Bremsen realisieren.<br />
Modelle zur Beschreibung der wesentlichen,<br />
im Rad-Schiene Kontakt auftretenden<br />
Effekte sind von hoher Bedeutung, da mit deren<br />
Hilfe das System Eisenbahn unter Verwendung<br />
von Simulationstools optimiert und teure<br />
Versuche auf ein Minimum reduziert werden<br />
können. Typische Fragestellungen in diesem<br />
Zusammenhang sind z.B. jene der Fahrzeugdynamik<br />
sowie der Fahrzeug- und Fahrwegschädigung<br />
aufgrund von Verschleiß, Rollkontaktermüdung<br />
und Komponentenermüdung (siehe<br />
auch Beitrag „RCF & Verschleiß: Prognose<br />
gefragt!“, Seite 12). Um hier jedoch einen entscheidenden<br />
Schritt voran zu kommen, gilt es,<br />
die komplexen tribologischen Zusammenhänge<br />
im Rad-Schiene Kontakt durchgängig zu verstehen<br />
und in Modellen abzubilden. „Einfache“<br />
Standardmodelle reichen dabei häufig nicht<br />
mehr aus. Dies gilt auch in Verbindung mit den<br />
weiteren Forschungsschwerpunkten am VIR-<br />
TUAL VEHICLE im Rail-Bereich (siehe Beiträge<br />
„Fahrzeug und Fahrweg - eine gemeinsame<br />
Interaktion“, Seite 8 und „RCF & Verschleiß:<br />
Prognose gefragt!“, Seite 12).<br />
State-of-the-art Reibkraftmodelle<br />
Zur Beschreibung der im Rad-Schiene Kontakt<br />
entstehenden Reibkräfte gibt es eine Reihe von<br />
Modellen. Die meisten gehen von konstanter<br />
Coulombscher Reibung aus, woraus folgt,<br />
dass das Verhältnis von maximal übertragbarer<br />
Reibkraft zu Normalkraft entsprechend eines<br />
vorab zu definierenden Reibungskoeffizienten<br />
konstant ist. Unter dieser Annahme ergibt sich<br />
qualitativ der in Abbildung 1 rot dargestellte Zusammenhang<br />
zwischen dem Längsschlupf und<br />
dem Kraftschluss. Bei diesem Verlauf können<br />
je nach Antreiben oder Bremsen grundsätzlich<br />
zwei Bereiche unterschieden werden. Im<br />
Mikroschlupfgebiet – einem Bereich mit steil<br />
10 magazine Nr. 14, II-2013<br />
ansteigendem Kraftschluss bei kleinen Schlüpfen<br />
– gibt es in der Kontaktfläche gleichzeitig<br />
Haft- und Gleitgebiete. Im Makroschlupfgebiet<br />
– einem Bereich mit konstantem Kraftschluss<br />
bei hohen Schlüpfen – tritt Gleiten im gesamten<br />
Kontaktgebiet auf, dabei entspricht der Kraftschluss<br />
dem vorgegebenen Reibungskoeffizienten<br />
µ.<br />
Effekte aus Kraftschlussmessungen<br />
am Fahrzeug<br />
Die grüne Kurve in Abbildung 1 stellt qualitativ<br />
einen typischen, aus Messungen bekannten<br />
Kraftschlussverlauf dar. Dabei zeigen sich<br />
über den gesamten Schlupfbereich massive<br />
Abweichungen im Vergleich zu den erwähnten<br />
State-of-the-art Modellen, wie geringere Kraftschlussgradienten<br />
bei kleinen Schlüpfen sowie<br />
negative Kraftschlussgradienten bei höheren<br />
Schlupfwerten. Die maximal erreichbaren<br />
Kraftschlusswerte hängen darüber hinaus von<br />
der Fahrzeuggeschwindigkeit, der Normallast<br />
und den Rad-Schiene Rauigkeiten sowie von<br />
der Existenz flüssiger und fester Zwischenschichten<br />
wie z.B. Wasser, Schmutz und Abrieb<br />
aber auch bewusst eingebrachter Stoffe<br />
Abbildung 1: Rad-Schiene Kontakt – Kraftschlusscharakteristik<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
wie Sand, Schmiermittel oder Friction Modifier<br />
ab (Abbildung 2). Die erwähnten Phänomene<br />
lassen sich über Prüfstandsversuche nachweisen<br />
und treten auch im realen Fahrzeugbetrieb<br />
auf (siehe auch Abbildung 4, Abhängigkeit des<br />
Kraftschlussmaximums von der Fahrzeuggeschwindigkeit).<br />
Die angesprochenen Stateof-the-art<br />
Modelle können diese Effekte nicht<br />
beschreiben. Daher werden häufig empirische<br />
Beschreibungen, d.h. direkt aus Messungen<br />
und ohne Modellvorstellung, verwendet. Dieses<br />
Vorgehen birgt allerdings den Nachteil in sich,<br />
dass die Modellparameter für bestimmte Bedin-<br />
Abbildung 2: Abhängigkeit des maximalen Kraftschlusses von der<br />
Fahrzeuggeschwindigkeit, der Normallast und der Rauigkeit<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE
gungen eingestellt werden. Ändern sich diese<br />
Bedingungen, ist das Modell nur mehr bedingt<br />
gültig.<br />
Aus diesem Grund legt das VIRTUAL VEHI-<br />
CLE in Kooperation mit industriellen und wissenschaftlichen<br />
Partnern einen Forschungsschwerpunkt<br />
auf die Entwicklung eines<br />
Reibkraftmodells auf physikalischer Basis. Dieses<br />
Modell zur Beschreibung der wesentlichen<br />
tribologischen Effekte im Rad-Schiene Kontakt<br />
ermöglicht es, auch bei stark variierenden<br />
Randbedingungen aus Messungen bekannte<br />
Reibkrafteffekte abzubilden.<br />
Erweitertes Reibkraftmodell<br />
Abbildung 3 stellt die Struktur des neu entwickelten<br />
Modells dar. Dieses Modell berechnet<br />
in Abhängigkeit von Kontaktgeometrie, Normallast,<br />
Schlüpfen sowie der Existenz von Zwischenschichten<br />
die lokale Reibkraftverteilung<br />
im Kontakt und daraus die resultierenden Reibkräfte<br />
in Längs- und Querrichtung. Dazu wurde<br />
eine Reihe von physikalischen Submodulen implementiert<br />
und miteinander vernetzt. Aufgrund<br />
der auftretenden Gleiteffekte im Rad-Schiene<br />
Kontakt stellt sich im Kontakt eine Temperaturverteilung<br />
ein, die die übertragbaren Reibkräfte<br />
beeinflusst. Diese Temperaturverteilung<br />
wird im Kontakttemperaturmodell berechnet.<br />
Im Mikrokontakt-Modell wird in Abhängigkeit<br />
der Rad-Schiene-Rauigkeiten und der zuvor<br />
berechneten Temperatur die „reale“ metallische<br />
Kontaktfläche der Asperitenkontakte berechnet,<br />
die im Vergleich zur Annahme von glatten<br />
Oberflächen generell kleiner ist. Über diese<br />
„reale“ Kontaktfläche wird zusammen mit einem<br />
temperaturabhängigen Materialmodell lokal die<br />
maximal übertragbare Reibkraft bestimmt. Damit<br />
ist der Reibungskoeffizient keine vorzuge-<br />
Abbildung 4: Kraftschluss (Längsreibkraft/Normalkraft)<br />
– Versuche<br />
mit Lokomotive vs. Simulation bei<br />
verschiedenen Fahrzeuggeschwindigkeiten<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
bende Inputgröße mehr, sondern wird im Modell<br />
in Abhängigkeit der physikalischen Größen<br />
Temperatur und Rauigkeit berechnet. Der Einfluss<br />
von fluiden Zwischenschichten (z.B. nasse<br />
Schienen) wird über den sich aufbauenden<br />
Fluiddruck berücksichtigt. Das Scherverhalten<br />
der Asperitenkontakte und eventuell vorhandener<br />
fester Zwischenschichten (z.B. Sand)<br />
wird über das sogenannte 3rd Body Layer Modell<br />
berücksichtigt.<br />
Validierung<br />
Bei der Entwicklung des Modells wurde auf<br />
die Validierung großer Wert gelegt. Zunächst<br />
wurde das Modell durch diverse Prüfstandsversuche<br />
im Labor validiert und parametriert.<br />
Anschließend wurden Fahrzeugversuche mit<br />
einer Lokomotive durchgeführt. In Abbildung<br />
4 sind typische Versuchsergebnisse den Resultaten<br />
des neuen physikalischen Reibkraft-<br />
Abbildung 3: Erweitertes Reibkraftmodell, Struktur und Submodule<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
modells gegenübergestellt. Es zeigt sich eine<br />
sehr gute qualitative und quantitative Übereinstimmung.<br />
Auch die Geschwindigkeitsabhängigkeit<br />
wird sehr gut wiedergegeben, was mit<br />
Standardmodellen nicht erreicht werden kann.<br />
Anwendung<br />
Das neu entwickelte physikalische Reibkraftmodell<br />
ermöglicht im Vergleich zu Standardmodellen<br />
physikalisch noch fundiertere Prognosen<br />
hinsichtlich Fahrsicherheit, Fahrwegbeanspruchung<br />
und Komfort auf Basis von MKS Simulationen.<br />
Damit kann das Modell einen wichtigen<br />
Beitrag in Richtung virtueller Zulassung leisten.<br />
Aber auch bei der Prognose von Verschleiß und<br />
Rollkontaktermüdung wird über dieses Modell<br />
eine wesentliche Qualitätssteigerung erreicht.<br />
■<br />
Zum Autor<br />
Projektpartner<br />
• Technische Universität Graz<br />
• University of Sheffield<br />
• L.B. Foster Rail Technologies<br />
• ÖBB Infrastruktur AG<br />
• Siemens AG<br />
• voestalpine Schienen GmbH<br />
Dr. Klaus Six ist Key<br />
Researcher im Bereich<br />
<strong>Vehicle</strong> Dynamics – Rail<br />
Applications am VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
11
RCF & Verschleiß: Prognose gefragt!<br />
Die Instandhaltung von Gleis und Schienenfahrzeugen spielt eine große Rolle, um Qualität und Verfügbarkeit des<br />
Schienenverkehrs zu gewährleisten. Für die Instandhaltungsplanung ist es notwendig, die Schäden, die durch<br />
RCF und Verschleiß entstehen, vorherzusagen. Das VIRTUAL VEHICLE entwickelt neue Berechnungsmodelle<br />
zur Prognose dieser Schäden, wobei durch Verknüpfung von globalem Fahrzeugverhalten mit lokaler<br />
Schädigung das Gesamtsystem Bahn berücksichtigt wird.<br />
Rollkontaktermüdung und Verschleiß<br />
Wenn das Rad die Schiene überrollt, treten<br />
hohe Kontaktkräfte auf. Diese Kontaktkräfte<br />
(rund 10 t) verteilen sich auf eine Kontaktfläche<br />
von der Größe einer 1-€-Münze, eine typische<br />
Fläche für den Rad-Schiene-Kontakt. Daraus<br />
ergeben sich hohe Kontaktspannungen,<br />
die oberflächennah hohe plastische Verformungen<br />
bewirken. Die große Anzahl an Überrollungen<br />
führt unter ungünstigen Bedingungen<br />
zur Bildung von Rissen. Eine bekannte Ausprägung<br />
dieser sogenannten Rollkontaktermüdung<br />
(engl. rolling contact fatigue, RCF) sind<br />
zum Beispiel Head-Checks (siehe Abb. 2).<br />
Begleitet wird der Rollkontakt immer von einem<br />
mehr oder weniger großen Verschleiß. Dieser<br />
trägt ähnlich einem Schleifprozess sukzessive<br />
die obersten Werkstoffschichten ab. Entsteht<br />
ein Riss durch RCF, wird dieser durch den<br />
Verschleiß verkürzt. Die beiden Schädigungsmechanismen<br />
hängen also zusammen. Ein gewisser<br />
Verschleiß ist durchaus vorteilhaft, weil<br />
die Risse dadurch verkürzt werden und so der<br />
RCF-Schädigung entgegenwirken.<br />
Grenzen der Instandhaltung<br />
Die beschriebenen Schädigungsmechanismen<br />
Verschleiß und RCF agieren in dem enorm<br />
komplexen System Bahn, in dem nahezu jedes<br />
Zusammentreffen von Rad und Schiene einzigartig<br />
ist. Hinzu kommt, dass sich während jeder<br />
Überrollung die Profile von Rad- und Schiene<br />
aufgrund des Verschleißes ändern. Dennoch<br />
sind die Schäden durch Verschleiß und RCF<br />
durch die etablierten Instandhaltungsmaßnahmen<br />
der Infrastrukturbetreiber unter Kontrolle.<br />
Steigende Beförderungszahlen und erhöhte<br />
Verfügbarkeit verlangen allerdings große<br />
Anstrengungen, um die Infrastrukturqualität<br />
auch in Zukunft aufrecht zu erhalten. Einerseits<br />
sollen die bereits hohen Kosten der Instandhaltung<br />
nicht weiter steigen, andererseits muss<br />
die Instandhaltungsplanung immer früher<br />
erfolgen – eineinhalb Jahre vor Instandhaltungsdurchführung<br />
sind heute bereits Realität.<br />
In diesen immer größeren Zeiträumen können<br />
auch größere Änderungen im System Bahn<br />
12 magazine Nr. 14, II-2013<br />
entstehen, wie beispielsweise die Veränderung<br />
des Fahrzeugmix. Die Prognose von Verschleiß<br />
und RCF auf Basis von Inspektionen wird damit<br />
schwieriger. Daher ist es sinnvoll, zusätzlich auf<br />
rechnergestützte Prognosemodelle zurückzugreifen,<br />
um Kosten und Qualität gleichermaßen<br />
zu gewährleisten. Die Planung von Instandhaltungsmaßnahmen<br />
kann so zielgerichtet und<br />
bedarfsgerecht erfolgen.<br />
Berechnung von Verschleiß und RCF<br />
Gemeinsam mit unseren Partnern wurde eine<br />
Simulationskette entwickelt, um eine gute Prognose<br />
von Verschleiß und RCF zu ermöglichen.<br />
Für die Beschreibung des Gesamtsystems<br />
werden unterschiedliche, großteils eigens<br />
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Berechnungsablaufes<br />
für Verschleiß und Schädigung<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
entwickelte Berechnungsmodelle kombiniert,<br />
siehe Abb. 1. Mit Hilfe einer Mehrkörpersystem<br />
(MKS) Simulation wird das globale dynamische<br />
Fahrzeugverhalten berechnet. Die in<br />
der MKS-Simulation eingesetzten Kontaktmodelle<br />
bilden den Rad-Schiene Kontakt mit einer<br />
ebenen, elliptischen Kontaktfläche ab.<br />
Beim Kontakt von verschlissenem Rad und<br />
Schiene ergeben sich aber vor allem an der<br />
Fahrkante gekrümmte, nicht-elliptische Kontaktflächen.<br />
Durch die nicht-elliptischen, gekrümmten<br />
Kontaktflächen kommt es zu lokal<br />
großen Veränderungen der Kontaktspannungen<br />
in der Kontaktfläche. Diese spielen für<br />
Verschleiß und RCF eine bedeutende Rolle und<br />
müssen deshalb ausreichend genau modelliert<br />
werden.<br />
Um diese lokalen Änderungen der Kontaktspannungen<br />
zu berechnen, wurde ein Kontaktmodell<br />
entwickelt, das einerseits die gekrümmte, nichtelliptische<br />
Kontaktfläche ausreichend genau<br />
abbildet und andererseits die notwendige Recheneffizienz<br />
für die häufige Anwendung in der<br />
Schadenssimulation sicherstellt.<br />
Nach der detaillierten Kontaktanalyse erfolgt<br />
die Berechnung von Verschleiß und Schädigung.<br />
Das Schädigungsmodell berechnet<br />
näherungsweise die auftretende plastische<br />
Verformung und Verfestigung pro Überrollung.<br />
Damit werden die erwähnten großen plastischen<br />
Verformungen nahe der Schienenoberfläche<br />
berechnet, wobei die Interaktion zwischen<br />
Verschleiß und plastischer Verformung<br />
berücksichtigt wird.<br />
Obwohl die Schiene sehr große Verformungsgrade<br />
erträgt, steigt mit jeder weiteren Überrollung<br />
die Wahrscheinlichkeit zur Rissinitiierung.<br />
Die berechnete plastische Verformung wird nun<br />
zum Beispiel mit einer kritischen Verformung,<br />
bei der Rissinitiierung auftritt, verglichen und<br />
so ein Maß für die Schädigung angegeben.<br />
Am Ende der Berechnungsabfolge werden die<br />
Profiländerung aufgrund des Verschleißes und<br />
der aktuelle Schädigungszustand berechnet.<br />
Die beschriebene Simulationskette in Abb. 1<br />
wird so lange wiederholt, bis die geforderte Anzahl<br />
an Zugüberfahrten erreicht ist.<br />
Anwendung der Simulationskette<br />
am Beispiel der Wiener U-Bahn<br />
Im Folgenden sind die Ergebnisse der Berechnung<br />
für einen ausgewählten Gleisabschnitt im<br />
U-Bahn Netz der Wiener Linien dargestellt. In<br />
der MKS-Simulation sind die Fahrzeugtypen<br />
abgebildet, die in der U-Bahn verwendet werden.<br />
Es handelt sich dabei um Fahrzeuge mit<br />
konventionellen und radialstellenden Drehgestellen.<br />
Die Rad- und Schienenprofile stammen<br />
aus Messungen.
Abbildung 2: Gegenüberstellung der prognostizierten<br />
Rissrichtung nach rund 4 Mio. Lastwechsel<br />
in der Simulation (Insert) mit den im Betrieb<br />
auftretenden Rissen (grün, Magnetpulverprüfbild)<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Nach der Berechnung der globalen Fahrzeugdynamik<br />
erfolgt, wie in Abb. 1 beschrieben, die<br />
detaillierte Kontaktanalyse. Anschließend wird<br />
der Verschleiß und die Schädigung berechnet,<br />
wobei die Überfahrhäufigkeit berücksichtigt<br />
wird. Die Berechnung deckt einen Beobachtungszeitraum<br />
von knapp zwei Jahren ab, was<br />
rund vier Millionen Überrollungen entspricht.<br />
In Abb. 2 ist die prognostizierte Rissrichtung<br />
(rote Linien auf grauem Hintergrund) nach rund<br />
vier Millionen Überrollungen mit dem Foto der<br />
Magnetpulverprüfung überlagert. Der Ort und<br />
die Richtung der prognostizierten Risse stimmen<br />
gut mit der Messung überein. Durch die<br />
im ersten Schritt vereinfachte Berücksichtigung<br />
des Betriebes (z.B. Radprofile und Beladung)<br />
ergibt sich ein unvollständig prognostiziertes<br />
Rissband auf der Fahrfläche. Aus den einzelnen<br />
Berechnungsschritten lassen sich nun die<br />
Beiträge zur plastischen Verformung der einzelnen<br />
Fahrzeuge identifizieren. Die Head-Checks<br />
werden durch den Kontakt der vorlaufenden<br />
Achsen der Fahrzeuge mit dem konventionellen<br />
Fahrwerkskonzept verursacht. (Abb. 3, A11 und<br />
A21). Die Risse auf der Fahrfläche entstehen<br />
durch eine Kombination aller Fahrzeuge, wobei<br />
die gelenkten Fahrzeuge einen maßgeblichen<br />
Beitrag leisten. (Abb. 3, A12, A22, B11, B12,<br />
B21 und B22).<br />
Was bleibt zu tun?<br />
Die vorgestellte Simulationskette ermöglicht es,<br />
den Schienenfahrzeugbetrieb vom Fahrzeug bis<br />
Abbildung 3: Magnetpulverprüfbild mit überlagerten, berechneten Kontaktflächen der anfänglichen Überrollungen,<br />
Einfärbung entsprechend den Kontakttangentialspannungen; Indizierung der Fahrzeugtypen: A =<br />
konventionelles Fahrwerk, B = gelenktes Fahrwerk; die Nummern kennzeichnen die Achsen und Drehgestelle<br />
(Bsp. A21 = erste Achse, zweites Drehgestell Fahrzeug A)<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
hin zur lokalen Schienenstelle mit ihren ausgeprägten<br />
Schädigungsmustern abzubilden. Die<br />
dazu entwickelten Modelle beschreiben den<br />
Kontakt von Rad und Schiene für die Schädigungsrechnung<br />
ausreichend genau. Außerdem<br />
können damit die plastischen Verformungen in<br />
der Schiene berechnet werden. Damit stehen<br />
die für die Schädigungsbewertung notwendigen<br />
Informationen zur Verfügung. Vergleiche<br />
von Berechnungsergebnissen mit Messdaten<br />
von Prüfstandversuchen und von der Strecke<br />
zeigen eine qualitativ gute Übereinstimmung.<br />
Um allerdings gesicherte Aussagen zum ursächlichen<br />
Zusammenhang von dynamischem<br />
Fahrzeugverhalten und lokaler Schädigung<br />
ableiten zu können, müssen die Modelle weiter<br />
validiert und kalibriert werden. Außerdem<br />
muss die Abbildung des täglichen Betriebes<br />
verbessert werden, indem mehr Systemparameter<br />
berücksichtigt werden. Angedacht sind<br />
beispielsweise mehrere Beladungszustände,<br />
Geschwindigkeitsvariationen oder auch eine<br />
größere Anzahl an Profilen. Außerdem werden<br />
Prüfstandversuche durchgeführt und weitere<br />
Betriebsdaten der Strecke analysiert.<br />
Breite Anwendbarkeit<br />
Die abgesicherten Modelle sollen schlussendlich<br />
die Beantwortung grundsätzlicher Fragestellungen<br />
ermöglichen. Zum Beispiel lässt sich<br />
der Einfluss der Achslast auf die Schädigung<br />
berechnen oder die Art des Spurführungskonzeptes<br />
bewerten, also des Fahrzeugtyps.<br />
Was passiert, wenn Rad- oder Schienengüte<br />
verändert werden? Welche Auswirkungen haben<br />
Rad- oder Schienenprofile? Aber auch die<br />
Auswirkungen auf eine bestimmte Strecke bei<br />
Änderung des Fahrzeugmix lassen sich be-<br />
werten. Die vorgestellte Simulationskette bietet<br />
auch Lösungen für das inverse Problem: Wie<br />
wirkt sich eine andere oder neue Strecke auf<br />
ein Fahrzeug aus?<br />
Die Komplexität des Systems Bahn lässt sich<br />
durch die Kenntnis der relevanten Einflussfaktoren<br />
auf die Schädigung zwar nicht verringern,<br />
die relevanten Mechanismen und Parameter<br />
werden aber besser verstanden und die Vorhersage<br />
von Schäden und deren Einflussfaktoren<br />
wird ermöglicht. Damit kann den steigenden<br />
Kosten für die Instandhaltung mit einer verbesserten<br />
Prognose der Wirkung von Instandhaltungsmaßnahmen<br />
begegnet werden. ■<br />
Zum Autor<br />
DI Christof Marte ist<br />
Gruppenleiter Rail-<br />
Applications am<br />
VIRTUAL VEHICLE.<br />
Projektpartner<br />
• Institut für Baumechanik/TU-Graz<br />
• Österreichische Akademie der Wissenschaften<br />
/ Erich Schmid Institut<br />
• Materials Center Leoben<br />
• DB Systemtechnik GmbH<br />
• Schweizer Bundesbahnen AG<br />
• Siemens AG Österreich<br />
• voestalpine Schienen GmbH<br />
• Wiener Linien GmbH & Co KG<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
13
Gastbeitrag<br />
Innovative Schienentechnologien für<br />
die Herausforderungen der Zukunft<br />
Die voestalpine Schienen GmbH ist federführend bei der Entwicklung von neuen Technologien für den<br />
Schienensektor. Dabei spielt das Verständnis für die grundlegenden Mechanismen im Rad-Schiene Kontakt<br />
eine zentrale Rolle. Die Zusammenarbeit mit Kompetenzzentren wie VIRTUAL VEHICLE liefert dazu einen<br />
wichtigen Beitrag.<br />
Technologietreiber<br />
Die voestalpine Schienen GmbH produziert am<br />
Standort Leoben – Donawitz seit über 100 Jahren<br />
Eisenbahnschienen. Betrachtet man alleine<br />
die letzten 25 Jahre, gab es im Eisenbahnwesen<br />
eine Reihe von Technologie-Sprüngen, an<br />
denen die voestalpine Schienen GmbH federführend<br />
beteiligt war. Als Beispiel können die<br />
Erzeugung von 120m Langschienen oder die<br />
Einführung von wärmebehandelten Schienen<br />
am Europäischen Markt angeführt werden.<br />
Alle diese Entwicklungen zielen darauf ab,<br />
die Lebensdauer des Produktes Schiene trotz<br />
steigender Belastungen und Zugfrequenzen zu<br />
erhöhen. Die wesentlichen Gründe, die zu vorzeitigem<br />
Ausbau von Schienen führen können,<br />
sind einerseits Verschleiß und andererseits so<br />
genannte Rollkontaktermüdungsschäden (kurz<br />
RCF, vom englischen Rolling Contact Fatigue).<br />
Forschung als Erfolgsrezept<br />
Um gezielt Lösungen für die Probleme im<br />
Rad-Schiene Kontakt anbieten zu können, ist<br />
Abbildung 1: Wärmebehandlungsanlage mit Warmsäge und Kühlbett für 120m Langschienen<br />
Quelle: voestalpine Schienen GmbH<br />
14 magazine Nr. 14, II-2013<br />
Abbildung 2: Head Checks und Spalling auf der Schiene (links). Typischer Squat auf der Lauffläche (rechts)<br />
Quelle: voestalpine Schienen GmbH<br />
es nötig, die Mechanismen dahinter genau zu<br />
verstehen. Ist das bei Verschleißerscheinungen<br />
noch relativ einfach, so stellen RCF-Schäden<br />
aufgrund ihrer vielfältigen Erscheinungsformen<br />
eine große Herausforderung dar. Typische<br />
RCF-Schäden, die man weltweit in den Gleisnetzen<br />
finden kann, sind z.B. Head Checks<br />
(periodische Risse an der Fahrkante), Spalling<br />
(Ausbrüche an der Fahrkante) oder Squats<br />
(Eindellungen auf der Fahrfläche mit darunter<br />
liegendem Rissnetzwerk). All diese RCF-Effekte<br />
sind jedoch nicht auf Materialfehler zurückzuführen,<br />
sondern sind eine Konsequenz<br />
der ständig steigenden Belastungen im Rad-<br />
Schiene Kontakt.<br />
Die Forschungsaktivitäten der voestalpine<br />
Schienen GmbH konzentrieren sich unter anderem<br />
auf die Auslöser für diese RCF-Schäden.<br />
Neben Erkenntnissen aus weltweiten<br />
Gleistests, die in enger Kooperation mit Kunden<br />
durchgeführt werden, spielen die zwei vollmaßstäblichen<br />
Rad-Schiene Prüfstande eine<br />
maßgebliche Rolle. Auf diesen Prüfständen<br />
ist es möglich, innerhalb sehr kurzer Zeiträume<br />
(wenige Tage) diese Schädigungs-Effekte<br />
im Labor reproduzierbar nachzustellen und zu<br />
erforschen.<br />
Mit Kooperation zum System-<br />
verständnis<br />
Einen wichtigen Aspekt der Forschungsaktivitäten<br />
stellt die Kooperation mit Kompetenzzentren<br />
und universitären Partnern dar. Neben der<br />
langjährigen und erfolgreichen Partnerschaft<br />
mit dem VIRTUAL VEHICLE arbeitet die voestalpine<br />
Schienen GmbH auch mit dem Material<br />
Center Leoben, der Universität Leoben,<br />
dem AC²T Kompetenzzentrum für Tribologie<br />
und dem CHALMERS Railway Mechanics<br />
Competence Center in Schweden zusammen.<br />
In diesen Kooperationsprojekten werden<br />
die grundlegenden Mechanismen hinter den<br />
Schädigungserscheinungen untersucht und<br />
simuliert. Die voestalpine fördert dabei die Zusammenarbeit<br />
und den Wissensaustausch der
einzelnen Kooperationspartner untereinander<br />
durch spezielle Workshops im Halbjahresabstand.<br />
Entscheidend für das Systemverständnis<br />
ist aber auch die Zusammenarbeit mit Kunden<br />
aus allen Bereichen (Schwerlast, Mischverkehr,<br />
Nahverkehr) und anderen Industriepartnern<br />
(aus benachbarten Bereichen wie z.B. der<br />
Schienenfahrzeuge) in diesen Projekten.<br />
Innovative Produkte<br />
Die erzielten Forschungsergebnisse wurden<br />
und werden konsequent in der Entwicklung neuer<br />
innovativer Produkte und Prozesse verwendet.<br />
Als Beispiel können hier die höchstfesten<br />
wärmebehandelten perlitischen Schienengüten<br />
angeführt werden. Diese mit dem HSH® (Head<br />
Special Hardening) Verfahren hergestellten<br />
Schienengüten haben eine Oberflächenhärte<br />
von bis zu 440 BHN, ohne die Zähigkeitseigen-<br />
Abbildung 3: Logistik: Langschienentransport mit Langschienenlager<br />
am Werksgelände der voestalpine Schienen GmbH<br />
Quelle: voestalpine Schienen GmbH<br />
schaften wesentlich zu verändern. Diese hochfesten<br />
Perlite werden je nach Festigkeits- und<br />
Härteklasse im Nah-, Misch,- oder Schwerlastverkehr<br />
aufgrund ihres ausgezeichneten Widerstandes<br />
gegen Verschleiß und RCF-Schäden<br />
sehr erfolgreich eingesetzt.<br />
Die Tatsache, dass perlitische Schienengüten<br />
aber bei entsprechender Belastung RCF-<br />
Schäden ausbilden, haben zur Entwicklung<br />
der neuesten Schienengeneration geführt, der<br />
Bainitischen Schiene DOBAIN®. Über ein spezielles<br />
Wärmebehandlungsverfahren wird ein<br />
sogenanntes bainitisches Mehrphasengefüge<br />
erzeugt, dass aufgrund seiner optimierten Mikrostruktur<br />
die Bildung von RCF-Rissen weitgehend<br />
verhindern soll.<br />
Ausgiebige Langzeitversuche auf den Rad-<br />
Schiene Prüfständen der voestalpine Schienen<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Abbildung 4: Eine Schiene<br />
wartet in der HSH® (Head<br />
Special Hardening) Anlage<br />
auf die Wärmebehandlung.<br />
Quelle: voestalpine Schienen GmbH<br />
GmbH haben den ausgezeichneten Widerstand<br />
gegen Rissbildung nachgewiesen. Im Moment<br />
befinden sich Bainitische Schienen bei mehreren<br />
europäischen Bahnbetreibern in der Gleiserprobung.<br />
Die bisher erhaltenen Ergebnisse<br />
bestätigen die von den Prüfstandversuchen<br />
abgeleiteten Aussagen bezüglich des Rissbildungswiderstandes.<br />
In Zukunft ist geplant, diese<br />
Bainitischen Schienen in Streckenbereichen<br />
mit schweren RCF-Problemen einzusetzen, um<br />
hier den nötigen Instandhaltungsaufwand zur<br />
Entfernung dieser Schäden (Schleifen, Fräsen…)<br />
deutlich zu reduzieren.<br />
Darüber hinaus beschäftigt sich die voestalpine<br />
Schienen GmbH auch mit den Themen Logistik<br />
(just in time Lieferung von Langschienen an die<br />
Baustelle), Schweißtechnik sowie mit RAMS<br />
und LCC Berechnungen.<br />
Der bisherige Erfolg bestätigt, dass die Zusammenarbeit<br />
mit Kompetenzzentren, Universitäten,<br />
Kunden und anderen Industriepartnern<br />
einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der<br />
Probleme im Rad-Schiene Kontakt liefert. Damit<br />
ist es für alle beteiligten Partner auch in Zukunft<br />
möglich, „einen Schritt voraus“ zu sein. ■<br />
Industrie-Partner<br />
DI Dr. Richard Stock<br />
ist im Bereich Technischer<br />
Kundendienst<br />
der voestalpine<br />
Schienen GmbH tätig.<br />
15
Geräuschreduktion an Rad<br />
und Schiene<br />
Die Area NVH & Friction beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Geräuschentwicklung im Schienenverkehr.<br />
Ziel ist es, das Geräusch am Ort der Entstehung zu bekämpfen und damit andere Maßnahmen wie<br />
Lärmschutzwände überflüssig zu machen.<br />
Die Umweltbelastung durch Lärm aufgrund des<br />
Schienenverkehrs ist insbesondere in Ballungsräumen<br />
ein nach wie vor aktuelles Thema. Da<br />
man die Nachteile von weiteren Schallschutzwänden<br />
vermeiden möchte, werden neue Techniken<br />
untersucht, die das Geräusch schon am<br />
Ort seiner Entstehung reduziert. Dazu sind vor<br />
allem Maßnahmen zur Schwingungsreduktion<br />
an Rad und Schiene geeignet.<br />
Zur Reduktion von Bahnlärm werden vielfach<br />
Lärmschutzwände eingesetzt, deren Nachteil<br />
im massiven Landschaftseingriff, in der Einschränkung<br />
von Sichtverhältnissen und natürlich<br />
auch im finanziellen Aufwand besteht. Eine<br />
wesentlich elegantere Lösung sind Dämpfer/<br />
Tilger Elemente (Abb. 1 links), die am Ort der<br />
Geräuschentstehung angebracht werden. Solche<br />
Konstruktionen sind zwar in der Literatur<br />
bekannt, werden aber derzeit nicht großflächig<br />
eingesetzt.<br />
Geräuschentstehung im<br />
Rad-Schiene Kontakt<br />
In einem relativ breiten Geschwindigkeits-<br />
16 magazine Nr. 14, II-2013<br />
bereich ist das Rollgeräusch die maßgebliche<br />
Geräuschquelle eines akustisch gut konstruierten<br />
Schienenfahrzeuges. Die Gründe für die<br />
Entstehung von Rollgeräuschen sind die raue<br />
Lauffläche des Rades und der Schiene. Als<br />
Rad- bzw. Schienenrauigkeit werden aus akustischer<br />
Sicht Unebenheiten im Wellenlängenbereich<br />
von etwa 3 mm bis 60 cm bezeichnet.<br />
Die Schienenriffeln, mit typischen Wellenlängen<br />
von ca. 4 cm bis 12 cm, und die Radunrundheiten<br />
fallen ebenfalls in den Bereich der<br />
akustischen Rauigkeit. Die Aufrauung der Rad-<br />
Schiene-Kontaktflächen findet nach heutigem<br />
Wissensstand durch Verschleiß, plastischer<br />
Deformation und Rollkontaktermüdung statt,<br />
die genauen Entstehungsmechanismen sind<br />
aber noch nicht vollständig erforscht.<br />
Für die Geräuschabstrahlung des Wagons spielen<br />
die Räder eine bedeutende Rolle, die Abstrahlung<br />
steht in direktem Zusammenhang mit<br />
den angeregten Eigenschwingungsformen der<br />
Räder. Untersuchungen zeigen, dass für die<br />
Geräuschabstrahlung hauptsächlich bestimmte<br />
radiale und axiale Radschwingungsformen verantwortlich<br />
sind. Deshalb ist es sehr wichtig,<br />
Abbildung 1: Rad mit Absorber am Modalanalyseprüfstand (links) und berechnete Eigenschwingungsform (rechts)<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
die Eigenschaften der Räder so zu gestalten,<br />
dass diese Radschwingungen nicht mehr angeregt<br />
werden. Dabei liegt das Interesse hauptsächlich<br />
in dem Frequenzbereich von 1,5 bis 3<br />
kHz. Die durch den Rad-Schiene Kontakt entstandene<br />
Schwingungsenergie wird nicht nur<br />
an Rad, Fahrwerk und Wagenkasten sondern<br />
auch an die Schiene weitergeleitet. Die Schiene<br />
verhält sich trotz der Befestigung an den<br />
Schwellen sehr schwingungsaktiv. Durch die<br />
Anregung entstehen in der Schiene zwischen<br />
den Schwellen wellenförmige Schwingungsformen<br />
(„pinned – pinned“) mit ca. 1 bis 2 kHz.<br />
Ziel ist also, diesen Schwingungen entgegenzuwirken<br />
und sie zu reduzieren.<br />
Möglichkeiten der<br />
Geräuschreduktion<br />
Aufgabe ist die Entwicklung neuartiger Rad- und<br />
Schienenabsorber mit verbesserter Wirksamkeit<br />
im Vergleich zu kommerziell erhältlichen<br />
Varianten. Neben technischen und finanziellen<br />
Vorteilen ist die Beherrschung der Methode zur<br />
virtuellen Auslegung dieser Radabsorber (Abbildung<br />
1 rechts) ebenso ein wichtiges Ziel.
Abbildung 2: Darstellung der berechneten<br />
modalen Dämpfungen der<br />
lokalen Moden (blau), der globalen<br />
Moden (braun) und der gemessenen<br />
modalen Dämpfungen der globalen<br />
Moden (magenta) eines Rades mit<br />
Absorber<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Neben der Optimierung der Radgeometrie<br />
können für die Geräuschreduktion im Rad sogenannte<br />
Radschallabsorber herangezogen<br />
werden. Ähnliche Absorber können auch bei<br />
der Schiene verwendet werden, wo sie im Bereich<br />
der höchsten Auslenkung der Schwingung<br />
eingesetzt werden, also typischerweise mittig<br />
im Schwellenfach.<br />
Zu diesem Zweck wurden in der Area NVH &<br />
Friction des VIRTUAL VEHICLE spezielle Methoden<br />
und Simulationsmodelle entwickelt, die<br />
sich zur Berechnung des Schwingungsverhaltens<br />
von Eisenbahnwagonrädern und Schienen<br />
inklusive Schallabsorber eignen.<br />
Simulation<br />
Die Aufgabe bestand darin, Simulationstechniken<br />
und Modelle zu entwickeln, welche die<br />
vibro-akustischen Eigenschaften des Rades als<br />
Gesamtsystem aber auch dessen Einzelkomponenten<br />
(Absorber, Rad) richtig abbilden. Dazu<br />
sind viele Materialparameter notwendig. Einige<br />
davon, wie E-Modul, Dichte, Poisson Zahl,<br />
stellen die Materialhersteller zur Verfügung, bei<br />
dem frequenzabhängigen Verlustfaktor (Dämpfung)<br />
gibt es jedoch derzeit keine zuverlässige<br />
Angaben.<br />
Zur Identifikation des Verlustfaktors für die Simulationsmodelle<br />
können aus diesem Grund<br />
experimentelle Methoden wie z.B. Zug-Druck<br />
Versuch, Modalanalyse, Oberst-Methode, herangezogen<br />
werden. Es wurden daher zahlreiche<br />
Versuche mit der von uns angepassten<br />
Oberst-Methode an Probekörpern aus viskoelastischen<br />
Materialien durchgeführt, um die<br />
Dämpfungseigenschaften von verschiedenen<br />
visko-elastischen Materialien, die in Rad- und<br />
Schienenschallabsorbern vorkommen, zu bestimmen.<br />
Basierend auf diesen Daten wurden<br />
die FE-Modelle von Rad und Schiene inkl.<br />
Absorber (Abbildung 1 rechts) aufgebaut und<br />
berechnet. Abbildung 2 zeigt eine Beispielberechnung<br />
für dieses Rad mit Absorber. Es<br />
ist ersichtlich, dass die berechneten modalen<br />
Dämpfungen der globalen Moden (braun) sich<br />
jenen aus der Messung (magenta) sehr gut annähern.<br />
Die modalen Dämpfungen mit den hohen Werten<br />
in Abbildung 2 stellen die Dämpfungen<br />
der lokalen Moden der Absorber dar. Für die<br />
Geräuschabstrahlung des Rades sind diese<br />
Moden nicht relevant und werden daher nicht<br />
berücksichtigt.<br />
Bei der Schiene werden auch ähnliche Berechnungen<br />
durchgeführt. Aber zusätzlich zur<br />
Berechnung der modalen Dämpfung an einem<br />
kurzen (2m) Schienenstück mit Absorber wird<br />
auch die „Track Decay Rate“ (TDR) an einem<br />
langen (12m) Schienenstück (inkl. Schiene,<br />
Klemmen, Schwellen, Schotter) berechnet. Die<br />
TDR dient in der Praxis zur Beurteilung des<br />
Dämpfungsverhaltens (letztendlich auch für<br />
die Geräuschabstrahlung) vom Gleis und zeigt<br />
dadurch auch die Wirkung von Schienenabsorbern.<br />
Ausgehend von diesen validierten Ausgangsmodellen<br />
wurde durch zahlreiche Berechnungsschritte<br />
eine optimale Ausführung des<br />
Rad- und Schienenabsorbers hinsichtlich Geometrie,<br />
visko-elastischem Material und Materialverteilung<br />
erstellt.<br />
Zusammenfassung<br />
Am VIRTUAL VEHICLE stehen eine Vielzahl relevanter,<br />
experimentell validierter Simulationsmethoden<br />
zur Verfügung, mit deren Hilfe das<br />
vibro-akustische Verhalten von Rad und Schiene<br />
beschrieben werden kann. Ferner ist es<br />
möglich, die Wirkung der verwendeten Schallabsorber<br />
hinsichtlich der Geräuschabstrahlung<br />
abzuschätzen und deren optimale Auslegung<br />
zu suchen.<br />
Ausgehend von im Forschungsprojekt aufgebauten<br />
Methoden und Simulationsmodellen<br />
sind Folgeaktivitäten bezüglich der Auslegung<br />
und der experimentellen Validierung (Vorbeifahrtgeräusch-Messung)<br />
eines Prototypenschalldämpfers<br />
im Zuge eines Projektes mit<br />
einem unserer Industriepartner geplant. Bei der<br />
Anwendung an den Rädern eines Zuges wird<br />
eine Reduktion des Vorbeifahrtgeräusches um<br />
bis zu 5 dB erwartet. Dies würde einerseits eine<br />
deutlich wahrnehmbare Geräuschreduktion für<br />
die betroffene Bevölkerung bedeuten, andererseits<br />
wird durch einen großflächigen Einsatz<br />
von Rad- bzw. Schienenabsorbern Lärm direkt<br />
an der Quelle reduziert. Dadurch kann teilweise<br />
auf die Errichtung von Lärmschutzwänden verzichtet<br />
und so maßgeblich die Wirtschaftlichkeit<br />
des Eisenbahnwesens gesteigert werden. ■<br />
Zum Autor<br />
Dr. Karoly Jalics ist Leiter<br />
des Prüfstandszentrums im<br />
Bereich NVH & Friction am<br />
VIRTUAL VEHICLE.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
17
Optimierungsverfahren für die virtuelle<br />
Fahrwerksentwicklung im Schienenfahrzeugbau<br />
Numerische single- oder multidisziplinäre Optimierungsverfahren gewinnen in der Entwicklung hochkomplexer<br />
Produkte wie Schienenfahrzeuge an Bedeutung. Das VIRTUAL VEHICLE forscht anwendungsnah mit der<br />
SIEMENS AG zu diesen Themen und beschäftigt sich mit den unterschiedlichsten Methoden auf diesem<br />
Gebiet. Dabei werden vor allem Aspekte der Integration dieser Methoden in die Produktentwicklungsprozesse<br />
berücksichtigt.<br />
Ein großer Teil der Entwicklung ist heutzutage<br />
bereits virtualisiert und dementsprechend ohne<br />
kostenaufwändige Prototypen zu bewerkstelligen.<br />
Allerdings hat die <strong>Virtual</strong>isierung eine<br />
Vielzahl von Werkzeugen mit unterschiedlichen<br />
mathematischen Ansätzen hervorgebracht, die<br />
meist nur von den jeweiligen Fachgebietsexperten<br />
verstanden und angewendet werden.<br />
Bisheriger Auslegungsprozess nach<br />
klassischem Muster<br />
Der bisherige Auslegungsprozess orientierte<br />
sich an der klassischen Vorgehensweise: Nach<br />
der Analyse der Anforderungen werden die entsprechenden<br />
digitalen Prototypen erstellt und<br />
dann hinsichtlich einzelner Auslegungsziele<br />
optimiert. Allerdings verbleiben die Experten<br />
dabei oftmals in ihren Domänen, die ein hohes<br />
Maß an tiefem Expertenwissen verlangen und<br />
die unterschiedliche mathematische Lösungsansätze<br />
und Programmsysteme mit jeweils<br />
unterschiedlichen Datenstrukturen aufweisen.<br />
Diese domänenbezogene Arbeitsweise führt<br />
Abbildung 1: Möglicher Aufbau eines<br />
automatisierten Optimierungssets<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
zur Optimierung von Subsystemen, berücksichtigt<br />
jedoch durch ihren lokalen Charakter die<br />
Gesamtperformance des Systems nicht immer<br />
ausreichend.<br />
18 magazine Nr. 14, II-2013<br />
Lösungsansatz und grundsätzliche<br />
technische Fragestellungen<br />
Eine Möglichkeit, Gesamtsystemoptimierungen<br />
durchzuführen, ist der Einsatz numerischer Optimierungsverfahren.<br />
Sie sind in der Lage, mathematische<br />
Abbilder domänenübergreifender<br />
Fragestellungen zu erstellen und diese dann<br />
zur Bewertung und Verbesserung des Gesamtsystems<br />
heranzuziehen. Jedoch bedarf der<br />
praktische Einsatz dieser Verfahren der Entwicklung<br />
einiger grundlegender methodischer<br />
Voraussetzungen, damit eine effiziente Anwendung<br />
in der Produktentwicklung möglich wird.<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für die effiziente<br />
Anwendung numerische Optimierungsverfahren<br />
ist ein hoher Grad an Automatisierung<br />
des gesamten Prozesses, damit der Benutzer<br />
nicht gezwungen ist, die Einzelsimulationen<br />
manuell mit Variablenwerten zu bestücken, zu<br />
starten und Ergebnisse zu extrahieren. Werden<br />
mehrere Modelle verwendet, ist darüber<br />
hinaus eine Koordination des Datenflusses<br />
zwischen den beteiligten<br />
Komponenten notwendig.<br />
In Abbildung 1 ist<br />
eine mögliche allgemeine<br />
Basisarchitektur eines<br />
solchen automatisierten<br />
Aufbaus dargestellt. Sie<br />
kann je nach verwendeter<br />
Software leicht variieren.<br />
Die in Abb. 1 dargestellten<br />
elementaren Bausteine<br />
sind der Optimierungsalgorithmus,<br />
das Daten-<br />
und Solvermanagement<br />
sowie die Solver. Der<br />
Optimierungsalgorithmus<br />
trifft aufgrund von Vorgaben der Zielrichtungen<br />
und Nebenbedingungen eigenständig Entscheidungen<br />
darüber, wie das jeweilige System<br />
zu verändern ist. Um ihn mit entsprechenden<br />
Daten zu beliefern, ist ein geeignetes Datenmanagement<br />
notwendig, das Ergebnisdateien<br />
der einzelnen beteiligten Simulationsdisziplinen<br />
interpretieren kann und daraus die wichtigen<br />
Daten extrahiert. Gleichzeitig muss das Datenmanagementmodul<br />
auch die entsprechenden<br />
Eingabedateien zur Verfügung stellen und mit<br />
denjenigen Variablen bestücken, die im Rahmen<br />
der Optimierung variiert werden sollen.<br />
Das Solver-Management hat sicherzustellen,<br />
dass die Solver zum richtigen Zeitpunkt mit<br />
den richtigen Daten starten, muss das Ende<br />
der Simulationsläufe erkennen und eventuelle<br />
Unregelmäßigkeiten wie etwa abgestürzte oder<br />
ungültige Rechenläufe berücksichtigen.<br />
User Interaktion<br />
Neben der Architektur des Optimierungssets<br />
sind aber noch weitere Aspekte zu klären. Diese<br />
betreffen die Interaktion des Menschen mit<br />
dem System. Die an das System übergebenen<br />
Modelle müssen entsprechend bestehenden<br />
strengen Richtlinien aufgebaut sein, die eine<br />
automatisierte Modellveränderung zulassen.<br />
Dazu müssen Variablen in die Modelle eingeführt<br />
werden, die gesteuert werden können. Die<br />
zweite Interaktion betrifft die Interpretation der<br />
Ergebnisse nach dem Ablauf der Optimierung.<br />
Dem Bearbeiter sind geeignete grafische Darstellungen<br />
zur Verfügung zu stellen, welche die<br />
oftmals hohe Anzahl an Rechenläufen komprimiert<br />
und gut verständlich darstellen.<br />
Auswahl eines Algorithmus<br />
Der letzte, aber sehr wesentliche Punkt ist<br />
die Wahl eines geeigneten mathematischen<br />
Algorithmus. Nicht jeder Algorithmus ist für<br />
jede Problemstellung gleichermaßen geeignet.<br />
Daher ist es wichtig, den richtigen auszuwählen.<br />
Allerdings gibt es eine Vielzahl von<br />
unterschiedlichen Algorithmen und die Anwendungsempfehlungen<br />
sind oftmals sehr generell.<br />
Insofern ist dieser Schritt fallweise durch<br />
gezieltes Probieren erfolgreich zu bewältigen.<br />
Sind diese genannten Voraussetzungen geschaffen,<br />
können domänenübergreifende Gesamtsystemoptimierungen<br />
durchgeführt und
damit die Performance des Gesamtsystems<br />
verbessert werden.<br />
Beispielanwendung aus dem Projekt<br />
Multidisziplinäre Optimierung in der<br />
Fahrwerksentwicklung<br />
Die theoretischen Ausführungen wurden am<br />
VIRTUAL VEHICLE gemeinsam mit dem Forschungspartner<br />
Siemens in verschiedenen<br />
praktischen Anwendungen verifiziert.<br />
Eine Beispielanwendung aus der Fahrwerksentwicklung<br />
ist der klassische Widerspruch<br />
zwischen der Einhaltung des Lichtraumprofils<br />
und der Entgleisungssicherheit. Die zu optimierenden<br />
Variablen (Designvariablen) sind<br />
die Steifigkeit der Primärfeder in vertikaler<br />
Richtung (cz+) sowie die sekundäre Wanksteifigkeit<br />
(cw). Sind diese Steifigkeiten hoch, dann<br />
erreicht man zwar eine Reduktion der Wankbewegung,<br />
allerdings steigt dann auch die Tendenz<br />
zur Radentlastung in Verwindungen und<br />
damit die Entgleisungsgefahr. Eine zusätzliche<br />
Nebenbedingung ergibt sich durch den vorhandenen<br />
Bauraum, der eine obere Grenze der<br />
möglichen Federwege und somit eine Untergrenze<br />
der Federsteifigkeiten vorgibt.<br />
Die Sicherheit gegen Entgleisen ergibt sich aus<br />
dem Quotienten zwischen lateraler und vertikaler<br />
Rad-Schiene-Kraft. Die dazu notwendige<br />
Bestimmung der lateralen Führungskraft<br />
in einem 150m-Bogen erfolgt automatisiert<br />
durch MKS-Simulation. Die Berechnung des<br />
Wankverhaltens erfolgt durch ein iteratives<br />
analytisches Verfahren aus den Fahrzeugparametern.<br />
Der benötigte primäre Federweg zu<br />
einer gegebenen Primärvertikalsteifigkeit wird<br />
parallel dazu durch MKS-Simulation verschie-<br />
dener kritischer Szenarien<br />
bestimmt.<br />
Die spezifische Optimierungsumgebung<br />
für diese<br />
Problemstellung ist in Abbildung<br />
2 dargestellt. Sie<br />
muss die Durchgängigkeit<br />
der Datenstrukturen derart<br />
sicherstellen, dass alle beteiligten Simulationsläufe<br />
immer mit denselben, aktuellen Werten<br />
der Designvariablen ausgeführt werden.<br />
Der Berechnungsingenieur gibt dem Optimierungsset<br />
Zielfunktion und Nebenbedingungen<br />
vor, welche er aus der vorhandenen Aufgabenstellung<br />
ableitet. Die Optimierungsaufgabe<br />
kann in diesem Fall grafisch dargestellt werden<br />
(Abbildung 3), da nur zwei variable Größen (cw,<br />
cz+) vorhanden waren. Als Zielfunktion wurde<br />
die Minimierung des Neigekoeffizienten festgelegt.<br />
Die Isolinien dazu sind in Abbildung 3 blau<br />
gepunktet dargestellt. Die Entgleisungssicherheit<br />
muss als einschränkende Bedingung mit<br />
einem vorgegebenen Grenzwert beachtet werden<br />
(Abbildung 3, rote durchgezogene Linie).<br />
Damit bildet er zusammen mit dem maximal<br />
zulässigen Federweg (Abbildung 3, rote gestrichelte<br />
Linie) die Nebenbedingungen. Die Einschränkung<br />
der beiden Nebenbedingungen lassen<br />
nur ein kleines Lösungsgebiet zu, welches<br />
durch das grüne Dreieck repräsentiert wird.<br />
Die Aufgabe des Algorithmus besteht darin,<br />
das Lösungsgebiet möglichst unabhängig vom<br />
Startwert zu identifizieren und die beste Lösung<br />
dort aufzufinden. In Abbildung 3 ist solch<br />
ein möglicher Lauf dargestellt und die iterativen<br />
Zwischenlösungen eingezeichnet.<br />
Abbildung 3: Graphische Darstellung<br />
eines Optimierungslaufes unter<br />
Benutzung der ARSM<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Abbildung 2: Spezifische Optimierungsumgebung<br />
Entgleisungssicherheit vs. Neigekoeffizient mit<br />
Federwegsrestriktion<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Um die Stabilität der gefundenen Lösungen<br />
zu bewerten, wurden in weiterer Folge der<br />
Untersuchung Optimierungsalgorithmen und<br />
Startwerte variiert. Die Ergebnisse der Untersuchung<br />
zeigen einen klaren Zusammenhang<br />
zwischen Ergebnisgüte, Startwerten und Anzahl<br />
von Rechenläufen. Insofern ist es sinnvoll,<br />
die Algorithmen problemspezifisch zu wählen.<br />
Ist einmal die richtige Einstellung getroffen,<br />
läuft der Prozess automatisiert ab und kann<br />
daher dem Ingenieur als Auslegungswerkzeug<br />
entlastend zur Seite stehen. Dadurch kann man<br />
den Entwicklungsprozess beschleunigen, die<br />
Wiederholbarkeit von Entscheidungen verbessern<br />
sowie die Güte der Ergebnisse anheben.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Das Projekt zeigt das große Potenzial der<br />
Anwendung von numerischer Optimierung<br />
zur Steigerung der Effizienz im Bereich der<br />
Fahrwerksentwicklung auf. Im Zuge einer bereits<br />
erfolgten Generalisierung können diese<br />
Erkenntnisse auch auf andere Bereiche übertragen<br />
und damit die Vorteile einem breiteren<br />
Anwenderkreis zugeführt werden. Dazu laufen<br />
am VIRTUAL VEHICLE bereits weiterführende<br />
Projekte. ■<br />
Zum Autor<br />
DDI (FH) Michael Alb, M.A.<br />
ist Senior Researcher im<br />
Bereich Multidisziplinäre<br />
Optimierung am VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
19
Interview<br />
Im Interview: Dr. Jochen Eickholt, Siemens AG<br />
Trends in der Schienenfahrzeugindustrie<br />
Die Entwicklung der Bahn der Zukunft wird in den nächsten Jahren primär kostengetrieben und weniger<br />
technologiegetrieben sein. Dr. Michael Schmeja befragte Dr. Jochen Eickholt (Siemens AG) zu aktuellen<br />
Trends in der Schienenfahrzeugindustrie.<br />
VVM: Herr Dr. Eickholt, Sie sind seit 1. Oktober<br />
2012 CEO der Siemens Rail Systems, wie geht<br />
es Ihnen?<br />
Eickholt: Danke der Nachfrage – ich fühle mich<br />
sehr wohl in meiner neuen Rolle. Das Geschäft<br />
mit Schienenfahrzeugen ist ein Aushängeschild<br />
für Siemens, ich habe die Verantwortung dafür<br />
sehr gerne übernommen. Nach drei Jahren als<br />
Verantwortlicher für Rail Automation ist das<br />
eine gute Möglichkeit, mich mit dem System Eisenbahn<br />
noch intensiver zu befassen. Wenn es<br />
um Schienenverkehrsfahrzeuge geht, sind die<br />
Menschen mit viel Begeisterung und Emotionen<br />
dabei – diese Leidenschaft teile ich. Allerdings<br />
hätte ich mir den Einstieg auch weniger turbulent<br />
vorstellen können. Konjunktureller Gegenwind<br />
und die Kaufzurückhaltung der Kunden<br />
sind Herausforderungen, mit denen wir in der<br />
nächsten Zeit fertig werden müssen.<br />
VVM: Die Automobilindustrie rüstet sich für die<br />
nächste Krise. Stimmt die alte Regel, dass das<br />
Eisenbahngeschäft antizyklisch ist?<br />
Eickholt: In der Vergangenheit hat sich im Eisenbahngeschäft<br />
mehrfach ein antizyklisches<br />
Verhalten gezeigt: Einer der Gründe liegt darin,<br />
20 magazine Nr. 14, II-2013<br />
dass Verkehrsprojekte finanziell längerfristig<br />
geplant sind und dann vielfach unabhängig von<br />
der Konjunktursituation vergeben werden. Ein<br />
anderer Grund ist, dass die Regierungen dazu<br />
neigen, die öffentlichen Ausgaben zu steigern,<br />
wenn die Konjunktur zurück geht, was häufig<br />
Infrastrukturprojekten und damit auch dem<br />
Ausbau bzw. der Erneuerung des Schienenverkehrs<br />
zu Gute kommt. Zurzeit beobachten<br />
wir das Ausbleiben von Aufträgen aus Ländern<br />
Südeuropas, wo zweifellos erheblicher Ersatzbedarf<br />
besteht, aber wegen der überschuldeten<br />
Haushalte konsequent gespart werden muss.<br />
Andererseits gibt es Märkte wie den russischen,<br />
der von dieser Entwicklung nicht betroffen ist.<br />
VVM: Nochmals der Vergleich mit der Automobilindustrie:<br />
Durch den Einzug der Mechatronik<br />
und der starken Diversifizierung in der Wertschöpfung<br />
ist die Komplexität in der Entwicklung<br />
kaum mehr beherrschbar. Steht die Eisenbahn<br />
bald vor einem ähnlichen Problem?<br />
Eickholt: Die Komplexität der Software für<br />
die Fahrzeugsteuerung nimmt weiter zu. Dies<br />
ist zweifelsohne eine Herausforderung, die<br />
aber beherrschbar ist. Unsere Ingenieure<br />
stellen sich auf die neuen Entwicklungen ent-<br />
Innen gelagertes Hochleistungsfahrwerk<br />
SF7000 für den englischen Markt<br />
Quelle: Siemens AG<br />
sprechend ein. Was die Diversifizierung in der<br />
Wertschöpfung betrifft: der Schienenfahrzeugbau<br />
ist – im Gegensatz zum Kraftfahrzeugbau<br />
– eher ein Anlagen- als ein Seriengeschäft. Die<br />
Stückzahlen sind vergleichsweise gering und<br />
besonders für den Fern- und Hochgeschwindigkeitsverkehr<br />
weisen die länderspezifischen<br />
Betriebs- und Zulassungsbedingungen sowie<br />
die zum Teil auch historisch bedingten Wünsche<br />
der Betreiber erhebliche Unterschiede<br />
auf. Fahrzeuge können also nicht nach Katalog<br />
verkauft werden, sondern müssen in der Regel<br />
bei nahezu jedem Auftrag angepasst werden,<br />
was sich auf die Herstellungskosten auswirkt.<br />
Bei der Umsetzung der Kundenwünsche müssen<br />
wir künftig noch enger mit den Kunden zusammenarbeiten,<br />
damit die Anforderungen und<br />
Änderungen beherrschbar bleiben.<br />
VVM: Welche Trends und Herausforderungen<br />
sehen Sie im Bereich Rail Systems bis 2020 als<br />
relevant an und welche davon werden auch an<br />
das VIRTUAL VEHICLE adressiert?<br />
Eickholt: Die Entwicklung der Bahn der Zukunft<br />
wird in den nächsten Jahren primär<br />
kostengetrieben und weniger technologiegetrieben<br />
sein. Wenn Sie eine teure Maschine<br />
kaufen, dann versuchen Sie alles, um diese<br />
möglichst gut auszulasten. Übertragen auf die<br />
Eisenbahn bedeutet das eine noch intensivere<br />
Nutzung der Infrastruktur und der Fahrzeuge.<br />
Das heißt, die Zugfolgezeiten werden nochmals<br />
verringert werden, zusätzlich wird man die Kapazität<br />
durch eine Verstetigung des Geschwindigkeitsbandes<br />
erhöhen, indem der Güterverkehr<br />
entweder auf Strecken mit relativ geringer<br />
zulässiger Höchstgeschwindigkeit verlagert<br />
oder schneller wird und dadurch mehr Durchfluss<br />
möglich ist. Dies wird hohe Ansprüche an<br />
die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und damit<br />
an Betrieb und Leittechnik stellen.<br />
In der Fahrzeugentwicklung geht der Trend<br />
nicht nur in Richtung virtuelle Entwicklung,<br />
sondern auch in Richtung virtuelles Testen und<br />
virtuelle Zulassung. Hier sehe ich insbesondere<br />
Ihr Forschungszentrum gefordert.
VVM: Wann wird das erste Schienenfahrzeug<br />
in Betrieb gehen, dass virtuell entwickelt, getestet<br />
und zugelassen wurde?<br />
Eickholt: Schon heute nutzen wir Verfahren<br />
zur virtuellen Entwicklung. Die „virtual reality“<br />
insbesondere bei der mechanischen und teilweise<br />
elektrischen Konstruktion ist schon sehr<br />
weit:<br />
• Unsere neuen Fahrzeuge sind komplett<br />
am Rechner in 3D erstellt, die daraus<br />
abgeleiteten Ansichten und Unterlagen<br />
werden weitgehend „papierlos“ direkt am<br />
Arbeitsplatz von Fertigung und Montage<br />
verwendet.<br />
• Statische und dynamische Festigkeit,<br />
Fahrkomfort und Fahrsicherheit werden<br />
rechnerisch optimiert.<br />
• Durch aerodynamische Simulationen wird<br />
die Fahrzeugform gestaltet, um niedrige<br />
Fahrwiderstände und somit geringen<br />
Antriebsenergiebedarf zu erzielen und<br />
die Kräfte auf entgegenkommende Fahrzeuge<br />
und auf Personen am Bahnsteig bei<br />
Vorbeifahrt zu minimieren.<br />
• Maßnahmen zur Verringerung der Brandausbreitung<br />
im Fahrzeug können ebenso<br />
per Simulation untersucht werden wie<br />
die akustischen Eigenschaften des Fahrzeugs.<br />
Auch bei der funktionalen Entwicklung, umgesetzt<br />
in Software-Programmen, die auf den<br />
zentralen Steuerungsrechnern der jeweiligen<br />
Subsysteme (z.B. Bremse, Fahrgastinformation,<br />
Antrieb) ablaufen, haben wir heute schon Simulationsverfahren,<br />
um zum Beispiel Hardware-<br />
Anschaltungen komplett zu simulieren. Nächste<br />
Schritte zur Verknüpfung beider Welten haben<br />
wir bei der Simulation des Fahrverhaltens, mit<br />
der die Beanspruchung des Antriebsstrangs<br />
ermittelt wird, punktuell bereits realisiert, was<br />
mittelfristig noch erheblich ausgeweitet wird.<br />
In dem von der EU geförderten Vorhaben Triotrain<br />
werden Wege erarbeitet, wie Simulationen<br />
bei Fahrzeugzulassungen künftig Versuche<br />
weitgehend ersetzen können, zunächst bezüglich<br />
Fahrsicherheit, Aerodynamik und Stromabnehmer.<br />
Eine weitgehend virtuelle Zulassung<br />
ist in fünf bis zehn Jahren vorstellbar.<br />
VVM: Graz hat mit der TU Graz und einer<br />
starken Kompetenzzentren-Landschaft ein<br />
sehr technikfreundliches Klima. Welche Rolle<br />
spielt die Nähe zur Universität für die Standortwahl?<br />
Eickholt: Demografische Studien zeigen eindeutig,<br />
dass es zu einer Verknappung von<br />
qualifizierten Arbeitskräften kommen wird. Wir<br />
wollen die Besten an uns binden, und damit<br />
uns das gelingt, müssen wir dort präsent sein,<br />
wo wir hochqualifizierte Mitarbeiter rekrutieren<br />
können.<br />
Um auf Graz zurück zu kommen, Sie haben<br />
hier das Institut für Eisenbahnwesen mit der renommierten<br />
Schienenfahrzeugtagung, das von<br />
Siemens mitfinanzierte Institut für Leichtbau<br />
mit dem großen Schwingprüfstand, die Fachhochschule<br />
mit dem Studiengang für Fahrzeugtechnik,<br />
die Montan-Universität in Leoben und<br />
das <strong>Virtual</strong> <strong>Vehicle</strong> mit 200 Mitarbeitern, bei<br />
dem auch Siemens von Anfang an beteiligt ist.<br />
Dies zusammen ergibt eine ungewöhnlich hohe<br />
Dichte an bahnaffiner Forschung.<br />
Wir haben seit 2008 mit Ihrem Zentrum eng<br />
im Bereich Forschung und Entwicklung zusammengearbeitet<br />
und konnten das attraktive<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Interview<br />
Moderner Druckprüfstand zur Messung der Radlasten im Kompetenzzentrum Graz<br />
Quelle: Siemens AG<br />
Fördermodell nutzen. Diese Kombination aus<br />
Kompetenz, Förderung und interdisziplinärer<br />
Vernetzung an einem Ort ist eine ideale Voraussetzung<br />
für ein Weltkompetenzzentrum,<br />
wie wir es beispielsweise mit den Fahrwerken<br />
in Graz betreiben.<br />
VVM: Welche Erwartungen haben Sie an den<br />
Ingenieur der Zukunft?<br />
Eickholt: Der Ingenieur der Zukunft braucht<br />
weiterhin umfassende technisch physikalische<br />
Kenntnisse, um sich bei steigender Geschwindigkeit<br />
der Wissenserweiterung in seinem Arbeitsgebiet<br />
à jour halten zu können. Dazu benötigt<br />
er auch ein europaweites, besser noch<br />
ein weltweites Netzwerk zu einschlägigen<br />
Experten sowie die Fähigkeit, sich auf andere<br />
Kulturen einstellen zu können.<br />
Und er muss immer flexibler werden. Insbesondere<br />
die Informationstechnik, die immer mehr<br />
Einzug in unsere Fahrzeuge hält, entwickelt<br />
sich rasend schnell weiter, hier müssen sich<br />
auch die Ingenieure ständig weiterentwickeln.<br />
Weiterhin erfordert unsere globale Welt immer<br />
höhere Mobilität. Inbetriebsetzungsstellen<br />
weltweit, Werke in Schwellenländern und Koo-<br />
21
Interview<br />
perationen mit Lieferanten überall auf der Welt<br />
müssen flexibel bedient und mit einem hohen<br />
Anteil an Mobilität bearbeitet werden.<br />
VVM: VIRTUAL VEHICLE hat sich in zahlreichen<br />
Untersuchungen mit dem Arbeitsplatz<br />
der Zukunft beschäftigt. Wie sieht Ihr persönlicher<br />
Future Workplace aus?<br />
Eickholt: Die großen Trends und Treiber für den<br />
Arbeitsplatz der Zukunft liegen in der Globalisierung,<br />
der Verstärkung der Wissensintensität<br />
in der Arbeit und damit in der ständigen Notwendigkeit<br />
zum zeitnahen, ortsunabhängigen<br />
und unternehmensweiten Zugriff auf Wissen,<br />
Wissensträger und Problemlösungskompetenz.<br />
Es steht fest, dass der Arbeitsplatz der Zukunft<br />
mehr denn je durch den Einsatz modernster Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien<br />
geprägt sein wird. Auch das Verschmelzen von<br />
Arbeitszeit und Freizeit und die zunehmende<br />
Flexibilisierung und Mobilisierung der Arbeit<br />
sind hier zu nennen.<br />
Schon heute treffen die wesentlichen Treiber<br />
für den Arbeitsplatz der Zukunft aufeinander:<br />
steigende Verbreitung mobiler Endgeräte,<br />
steigender Bekanntheitsgrad sozialer Medien<br />
und Wahrnehmung ihrer Nützlichkeit aus<br />
dem privaten Umfeld, Mentalitätswandel der<br />
Menschen zum mobilen Arbeiten und die zunehmende<br />
Verfügbarkeit von Cloud-Services<br />
22 magazine Nr. 14, II-2013<br />
im privaten Bereich. In den Unternehmen wird<br />
die Transparenz über Wissen und Wissensträger<br />
steigen. Denn es ist oftmals wichtiger, die<br />
relevanten Wissensträger im Unternehmen zu<br />
identifizieren, als das explizite Wissen selbst.<br />
Damit entsteht ein umfassendes digitales Informationsangebot,<br />
welches über semantische<br />
Suchmaschinen unternehmensintern erschlossen<br />
werden kann.<br />
Obwohl Arbeit zunehmend digitalisiert und virtualisiert<br />
wird, bin ich der Ansicht, dass der physische<br />
Arbeitsort auch in Zukunft nicht gänzlich<br />
verschwinden wird. Denn Mitarbeiter benötigen<br />
immer einen Platz, um ihre sozialen Kontakte<br />
mit Kollegen zu pflegen.<br />
VVM: Gibt es im Leben eines Managers<br />
zwangsläufig ethische Zielkonflikte? Und wenn<br />
ja, wie gehen Sie damit um?<br />
Eickholt: Nein, zwangsläufige ethische Zielkonflikte<br />
gibt es nach meiner Einschätzung<br />
nicht. Ich persönlich kann mich in allen Situationen<br />
auf meine Lebens- und Managementerfahrung<br />
verlassen. Und dann haben wir<br />
bei Siemens eine Systematik, die in allen geschäftlichen<br />
Angelegenheiten ein verlässlicher<br />
Kompass ist: unser umfassendes Compliance-<br />
Programm ist für Führungskräfte und Mitarbeiter<br />
verbindlich – sozusagen ein Regelwerk, das<br />
den „Pfad der Tugend“ vorgibt. Das bedeutet im<br />
Hochgeschwindigkeitszüge für<br />
den Weltmarkt – Fertigung im<br />
Siemens-Werk in Krefeld<br />
Quelle: Siemens AG<br />
Klartext Verzicht auf Aufträge, die nur mit Korruption<br />
und anderen Mitteln erzielbar sind, die<br />
unserem Rechtssystem nicht entsprechen. Das<br />
bedeutet für uns Handeln auf der Basis unserer<br />
Werte sowie die Einhaltung von Regeln und<br />
Bestimmungen und die Förderung verantwortlicher<br />
Geschäftspraktiken.<br />
VVM: Herr Dr. Eickholt, eine letzte Frage: Worum<br />
geht es eigentlich im Leben?<br />
Eickholt: Die Frage hat ja eine private und eine<br />
berufliche Dimension. Ich werde mich bei der<br />
Antwort auf die berufliche Seite beschränken,<br />
dabei aber auch auf das private Umfeld hinweisen.<br />
Unser berufliches Umfeld ist geprägt<br />
von dem Wunsch nach Selbstverwirklichung<br />
am Arbeitsplatz. Wir wünschen uns anspruchsvolle<br />
und abwechslungsreiche Aufgaben, den<br />
Kontakt mit Mitarbeitern und Kunden, und die<br />
Möglichkeit, etwas zu bewegen. Das geht nur<br />
mit einem gesunden sozialen Umfeld und einer<br />
Familie, die Rückhalt und Rückzugsmöglichkeiten<br />
gibt. ■<br />
Industrie-Partner<br />
Dr. Jochen Eickholt<br />
verantwortet bei der<br />
Siemens AG als<br />
Leiter der Division<br />
Rail Systems im<br />
Sektor Infrastructure &<br />
Cities das Geschäft mit<br />
Schienenfahrzeugen.<br />
Die Division Rail Systems (11.500 Mitarbeiter,<br />
Stand 30.9.2012) umfasst das gesamte<br />
Schienenfahrzeuggeschäft von Siemens –<br />
von Eisenbahnen über Metros und Lokomotiven<br />
bis hin zu Straßen- und Stadtbahnen<br />
sowie dazugehörige Service-Leistungen.
Dank Optimierung effizient<br />
auf der Schiene unterwegs<br />
Sandungsanlagen unterstützen Eisenbahnen beim Beschleunigungs- und Abbremsvorgang. Die virtuelle<br />
Optimierung solcher Anlagen hilft, die ökologischen und ökonomischen Verbesserungen durchzuführen. Die<br />
Zusammenarbeit mit dem Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der Technischen Universität<br />
Graz, Knorr-Bremse GmbH und Wiener Linien ermöglichte eine durch experimentelle Daten verifizierte<br />
Beschreibung einer Sandungsanlage.<br />
Verschmutzte, nasse oder vereiste Schienen<br />
stellen Schienenfahrzeuge verschiedenster<br />
Art beim Beschleunigen oder Verzögern vor<br />
spezielle Herausforderungen. Bei solchen Bedingungen<br />
wird der Reibwert zwischen Rad und<br />
Schiene aber auch zwischen Magnetschienenbremse<br />
und Schiene herabgesetzt, so dass<br />
Brems- oder Beschleunigungskräfte nur ungenügend<br />
übertragen werden können.<br />
Seit langer Zeit werden deshalb Sandungsanlagen<br />
eingesetzt, um Sand auf die Schiene<br />
aufzubringen und damit die Reibverhältnisse zu<br />
verbessern. Unter einer Sandungsanlage versteht<br />
man eine in Schienenfahrzeugen verwendete<br />
Einrichtung, bei der mit Hilfe von Druckluft<br />
Sand aus einem Sandkasten gefördert und über<br />
Rohre oder Schläuche in den Kontaktbereich<br />
zwischen Rad und Schiene eingebracht wird.<br />
Dort wird der Sand zermahlen und steigert somit<br />
den Reibwert.<br />
Ökonomische und ökologische<br />
Kriterien<br />
Für die Betreibergesellschaften sind neben der<br />
technischen Betriebssicherheit auch ökonomische<br />
Kriterien wie geringer Sandverbrauch<br />
bei höchster Effizienz maßgeblich, denn der<br />
Sand muss in Vorratsbehältern mitgeführt und<br />
regelmäßig nachgefüllt werden, was zusätzliche<br />
Kosten verursacht.<br />
Auch aus ökologischen Gründen ist ein möglichst<br />
geringer Sandeinsatz anzustreben. Denn<br />
der beim Überrollen zermahlene Sand erzeugt<br />
Rückstände, die entweder auf der Schiene zurückbleiben<br />
oder aufgewirbelt und in der Umgebung<br />
verteilt werden. Dies stellt einen Beitrag<br />
zur Feinstaubbelastung dar. Im Ernstfall können<br />
diese Rückstände auch zur Beschädigung von<br />
Rad und Schiene führen.<br />
Sandungsanlagen sind komplexe technische<br />
Systeme, in denen verschiedene Funktionen<br />
zuverlässig umgesetzt werden müssen. Dazu<br />
gehören zum Beispiel die Trockenhaltung des<br />
Sandes, die reproduzierbare Bereitstellung von<br />
bestimmten Massenströmen von Sand und Luft,<br />
und letztendlich die gezielte Ausbringung auf<br />
die Schienen. Gerade der letzte Punkt ist Gegenstand<br />
der hier vorgestellten Untersuchung,<br />
um eine optimale Geometrie-Variation des Sandungsrohrs<br />
zu erzielen. Vier Parameter sind<br />
dafür ausschlaggebend:<br />
• Druckverlust im Endstück<br />
• Die durchschnittliche Teilchen-<br />
geschwindigkeit nach dem Verlassen<br />
des Sandungsrohrs<br />
• Das Verhältnis der axialen und radialen<br />
Teilchengeschwindigkeit und der sich<br />
daraus ergebende Winkel zur Mittelachse<br />
des Sandstrahls<br />
• Der radiale Abstand der Teilchen von der<br />
Strahlachse<br />
Um das Verhalten dieser vier Zielgrößen analysieren<br />
zu können, wurden verschiedene virtuelle<br />
Kontrollebenen im Berechnungsgebiet<br />
definiert, an welchen die verschiedenen Eigenschaften<br />
untersucht werden. Die Simulation der<br />
vielversprechendsten Geometrievariation wurde<br />
im Laborversuch bei Knorr-Bremse GmbH<br />
bestätigt.<br />
So wurden die oben geschilderten Größen im<br />
Detail betrachtet:<br />
Druckverlust beim Endstück<br />
Durch ein verändertes Design des Endstückes<br />
ändern sich die Strömungsverhältnisse und<br />
auch der Druckverlust bei der Durchströmung<br />
(vgl. Abbildung 1). Um die Funktion der Sandungsanlage<br />
sicherzustellen, darf sich der<br />
Druckverlust nicht zu stark erhöhen.<br />
Durchschnittliche Teilchengeschwindigkeit<br />
Je schneller die Teilchen beim Verlassen des<br />
Sandrohrs sind, desto kleiner sind im Realbe-<br />
trieb die Effekte durch äußere Einflüsse wie<br />
Querströmungen – etwa durch Wind.<br />
Winkel zur Mittelachse des Sandstrahls<br />
Das Verhältnis von axialer zu radialer Teilchengeschwindigkeit<br />
und der sich daraus ergebende<br />
Winkel zur Mittelachse des Sandstrahls sind<br />
geeignet, die Bewegungsrichtung der Teilchen<br />
zu beschreiben. Der Mittelwert dieses Winkels<br />
über alle Teilchen ist somit ein Maß für die Fokussierung<br />
des Strahles.<br />
Radialer Abstand der Teilchen<br />
von der Strahlachse<br />
Zusätzlich wurde die Aufweitung des Strahles<br />
in einem bestimmten Abstand von der Austrittsöffnung<br />
des Sandrohrs untersucht. Diese ist definiert<br />
durch den radialen Abstand der Teilchen<br />
von der Strahlachse.<br />
Wissenschaftlicher Zugang<br />
Moderne Software-Pakete unter Berücksich-<br />
Abbildung 1: Simulation verschiedener Geometrien des<br />
Endstückes des Sandungsrohrs<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
23
tigung der Computational Fluid Dynamics<br />
(CFD) wie ANSYS-Fluent bieten eine Reihe<br />
unterschiedlicher Methoden, um Mehrphasenströmungen<br />
wie bei der Sandung abzubilden.<br />
Die Wahl des geeigneten Simulationsmodells<br />
ergibt sich aus den spezifischen Eigenschaften<br />
der vorliegenden Strömung. Von entscheidender<br />
Bedeutung sind hierbei die Stärke der<br />
Beladung, die Interaktion der einzelnen Phasen<br />
sowie die Ausbildung von möglichen freien<br />
Oberflächen.<br />
Für die geschilderte Aufgabenstellung wurde<br />
die partikelbeladene Strömung mittels eines<br />
Euler-Lagrangeschen Ansatzes abgebildet. Bei<br />
dieser Methode werden die einzelnen Sandteilchen<br />
als Punktmassen in der Simulation behandelt<br />
und die Wechselwirkung mit der Strömung<br />
abgebildet. Von besonderer Bedeutung<br />
in diesem Zusammenhang ist die theoretische<br />
Behandlung des Teilchen-Wand-Kontakts. Die<br />
Asphärizität der Sandteilchen, die Rauigkeit der<br />
Wand und andere Effekte stellten für die Simulation<br />
der Stöße zwischen den Sandteilchen<br />
und der Wand eine große Herausforderung dar.<br />
In der Simulation werden die oben genannten<br />
Schwierigkeiten gelöst, indem durch das sogenannte<br />
„virtual wall“-Konzept die Wand stochastisch<br />
geneigt wird. Eingangsparameter für<br />
diese Modellierung sind die Rotation der Teilchen,<br />
Elastizität und Reibungskoeffizient der<br />
Wand, sowie die Streuung der Wandneigung,<br />
welche zu einer statistischen Beschreibung des<br />
Wandabpralls führen. In Abbildung 2 ist das<br />
„virtual wall“-Konzept schematisch dargestellt.<br />
Optimierung<br />
24 magazine Nr. 14, II-2013<br />
Die in der CFD-Software Fluent als „user-defined<br />
function“ implementierte Methode zum<br />
Wandabprall wurde anhand von Laborversuchen<br />
verifiziert. Das resultierende Simulationsmodell<br />
wurde dann wiederum benutzt, um<br />
verschiedene Optimierungsstrategien für die<br />
Sandungsanlage zu untersuchen und zu analysieren.<br />
Hierfür wurde eine Reihe von Testfällen<br />
erstellt, in denen verschiedene Geometrievarianten<br />
umgesetzt sind.<br />
Realfall<br />
Für die genaue Abbildung der Sandung im realen<br />
Betrieb sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen.<br />
Ein tragfähiges Simulationsmodell für die<br />
Gas-Feststoff-Strömung ist erforderlich, insbesondere<br />
für die Strömung im Sandschlauch.<br />
Zusätzlich sind Erkenntnisse über die äußeren<br />
Einflüsse auf die Sandausbringung, also die<br />
Strömungsverhältnisse im Radhaus des Schienenfahrzeugs<br />
erforderlich.<br />
Die Geometrie des Schienenfahrzeugs hat einen<br />
maßgeblichen Einfluss auf die Effektivität<br />
der Sandungsanlage und muss daher in der<br />
Simulation berücksichtigt werden, wie ein Foto<br />
eines Sandungsvorgangs im Realbetrieb (Abbildung<br />
3) zeigt.<br />
Da die Berechnung der Teilchenbahnen im<br />
Allgemeinen transient zu behandeln ist, kann<br />
Abbildung 4: Simulation der Straßenbahnumströmung;<br />
Das Verhalten der Strömung ist durch Stromlinien<br />
visualisiert. Die Farben der Stromlinien spiegeln die<br />
Geschwindigkeit wider.<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Abbildung 2: Stochastische Beschreibung<br />
des Wandabpralls von Sandteilchen<br />
Quelle: Kahrimanovic/Pirker/Kloss, 2008<br />
die Simulation der Bremsung mit einem Vollmodell<br />
der Straßenbahn nicht in einem geeigneten<br />
Zeitrahmen durchgeführt werden. Aus<br />
diesem Grund wurde nur ein kleinerer Teil<br />
des Schienenfahrzeuges für die instationäre<br />
Berechnung herangezogen. Die dafür benötigten<br />
Randbedingungen an den Grenzen des<br />
Berechnungsgebietes werden aus einer stationären<br />
Simulation der Umströmung des gesamten<br />
Schienenfahrzeuges gewonnen und auf die<br />
Teildomäne des transienten Berechnungsgebietes<br />
aufgeprägt. Ergebnisse der Komplettberechnung<br />
sind in Abbildung 4 gezeigt. Diese<br />
Simulationen wurden durch Messungen der<br />
Luftgeschwindigkeiten am realen Schienenfahrzeug<br />
verifiziert, die in Zusammenarbeit mit den<br />
Wiener Linien und Knorr-Bremse GmbH durchgeführt<br />
wurden.
Abbildung 3: Sandstrahl im Realbetrieb<br />
Quelle: Knorr-Bremse GmbH<br />
Im Anschluss an die Komplettsimulation wurde<br />
eine transiente Simulation der Teildomäne der<br />
Straßenbahn durchgeführt. Hierbei war es nun<br />
möglich, verschiedene Geometrievarianten virtuell<br />
miteinander zu vergleichen und Optimierungspotenziale<br />
aufzuzeigen.<br />
Ergebnisse einer solchen Simulation sind in<br />
den Abbildungen 5 und 6 gezeigt. In diesen<br />
Abbildungen ist das Verhalten der Teilchen gut<br />
erkennbar. Während der Auswertung der erhaltenen<br />
Daten, wird die Verteilung der Teilchen<br />
auf der Schiene ermittelt.<br />
Diskussion<br />
Die Effektivität der Sandung wird durch die<br />
Menge des Sandes bestimmt, welcher direkt<br />
vor dem Rad auf die Schiene trifft. Zur Berechnung<br />
dieser Sandmasse wurde ein durch<br />
Experimente validierter Simulationsprozess<br />
entwickelt, welcher es erlaubt, die wesentlichen<br />
involvierten physikalischen Prozesse abzubilden.<br />
Somit ist es möglich, verschiedene Geometrievarianten<br />
miteinander zu vergleichen und<br />
Optimierungspotenziale zu identifizieren. ■<br />
Abbildung 6: Virtuelle Abbildung des Sandstrahls (II / von unten betrachtet).<br />
Die Farben kennzeichnen unterschiedlich schwere Teilchen.<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Zu den Autoren<br />
DI Sebastian Möller<br />
forscht im Bereich<br />
Aerodynamics und 3D-<br />
Simulation bei VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
Institut für Strömungslehre und<br />
Wärmeübertragung, TU Graz<br />
Leitung: Univ.-Prof. Günter Brenn<br />
Die Forschungsgebiete des Instituts<br />
umfassen Strömungsmesstechnik,<br />
mehrphasige Strömungen, Aerodynamik,<br />
Numerische Simulation und<br />
Modellbildung, sowie Wärme- und<br />
Stoffübertragung. Bearbeitet werden<br />
die Ausbreitung von Druckwellen, die<br />
Abbildung 5: Virtuelle Abbildung des Sandstrahls (l / seitliche Ansicht).<br />
Die Farben kennzeichnen unterschiedlich schwere Teilchen.<br />
Dr. Daniel Langmayr<br />
ist Key Researcher im<br />
Bereich Aerodynamics<br />
und 3D-Simulation bei<br />
VIRTUAL VEHICLE.<br />
Berechnung turbulenter Strömungen mit<br />
chemischen Reaktionen, die Aerodynamik<br />
des Skisprungs, Wärmeübertragung<br />
mit Phasenwechsel, sowie die Kollision<br />
flüssiger Tropfen.<br />
Auf direkte Kooperationen mit der Industrie<br />
wird großer Wert gelegt. Das Institut<br />
hat u.a. zwei Windkanäle, (optische)<br />
Strömungsmesstechnik, einen Parallelrechner<br />
und diverse Laborausstattung.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
25
Verbesserte Prognosesicherheit bei der<br />
Komfortauslegung von Schienenfahrzeugen<br />
Der Fahrkomfort ist ein wichtiger Faktor, um Reisende für die Benützung der Bahn zu begeistern. Daher<br />
sind Fragestellungen des Komforts bei der Entwicklung und Auslegung von Schienenfahrzeugen von großer<br />
Bedeutung. Die Anforderungen an die virtuelle Produktentwicklung von Schienenfahrzeugen steigen deutlich,<br />
da sowohl der Fahrkomfort verbessert werden soll, gleichzeitig aber die Kosten und Entwicklungszeiten<br />
reduziert werden müssen.<br />
Die Komfortbeurteilung<br />
Bei Schienenfahrzeugen wird der Fahrkomfort<br />
typischerweise durch Messung von Beschleunigungen<br />
an spezifischen Punkten auf dem<br />
Fußboden des Wagenkastens beurteilt. Da<br />
Schienenfahrzeuge aufgrund der relativ geringen<br />
Stückzahlen praktisch immer prototypenfrei<br />
entwickelt werden, kommt der Komfortauslegung<br />
über Simulation als Prognosewerkzeug<br />
eine große Bedeutung zu. Dafür ist jedoch eine<br />
genaue Validierung der Simulationsmodelle<br />
unumgänglich. Beim Vergleich von rechnerisch<br />
ermittelten Komfortbewertungen mit experimentellen<br />
Bewertungsergebnissen zeigen sich<br />
allerdings immer wieder nicht zuordenbare Unterschiede.<br />
Diese Unterschiede sind zum Teil<br />
auf Unsicherheiten in den Randbedingungen<br />
von Simulation und Messfahrt zurückzuführen,<br />
dazu gehören z.B. die Gleislage oder nicht<br />
bekannte Schienenprofile. Neben der Modellierung<br />
von Fahrwerkskomponenten zeigt sich,<br />
dass die Vernachlässigung von strukturdynamischen<br />
Eigenschaften des Wagenkastens<br />
26 magazine Nr. 14, II-2013<br />
für die Abweichungen verantwortlich gemacht<br />
werden kann. Gemeinsam mit dem Industriepartner<br />
Siemens und dem Institut für Mechanik<br />
der Montanuniversität Leoben werden am<br />
VIRTUAL VEHICLE der Prozess der virtuellen<br />
Komfortbeurteilung von Schienenfahrzeugen<br />
untersucht und Optimierungsmaßnahmen am<br />
Fahrzeugmodell identifiziert, um zukünftig die<br />
Prognosequalität der Komfortauslegung weiter<br />
erhöhen zu können.<br />
Validierung der Berechnungsmodelle<br />
im Experiment<br />
Entsprechend dem V-Modell (Abbildung 1) der<br />
virtuellen Produktentwicklung werden Simulationen<br />
und Messungen auf Komponenten-,<br />
Subsystem- und Gesamtfahrzeugebene gegenübergestellt.<br />
Auf Komponentenebene werden<br />
Prüfstandsversuche durchgeführt, um die<br />
grundlegenden dynamischen Eigenschaften<br />
von Koppelelementen wie Federn, Dämpfer und<br />
Gummielementen etc. aufzunehmen. Anhand<br />
der Messungen werden die Komponentenmo-<br />
Abbildung 1: V-Modell der Fahrzeugentwicklung und Anwendung auf die Komfortauslegung von Schienenfahrzeugen<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
delle parametriert. Die parametrierten Komponentenmodelle<br />
müssen wiederum erneut mit<br />
den Komponentenmessungen verglichen werden,<br />
um sicher zu stellen, dass die jeweiligen<br />
Komponenten in der Simulation ausreichend<br />
genau abgebildet worden sind. Auf Subsystemebene<br />
wurden die strukturdynamischen<br />
Eigenschaften des Wagenkastens in unterschiedlichen<br />
Ausbauzuständen mittels Modalanalysemessungen<br />
ermittelt, d.h. im Rohbauzustand,<br />
als teilweise ausgebauter Wagenkasten<br />
und als voll ausgebauter Wagenkasten. Die<br />
komfortrelevanten dynamischen Eigenschaften<br />
des Fahrwerks wurden mittels Keilversuchen<br />
ermittelt. Auf Gesamtsystemebene wurden<br />
Streckenversuche am Eisenbahnversuchsring<br />
in Velim (CZ) durchgeführt.<br />
Keilversuche<br />
Für die messtechnische Ermittlung der Strukturschwingungen<br />
des Wagenkastens wurden<br />
Modalanalysen mit elektrodynamischen<br />
Schwingerregern durchgeführt. Wegen der er-
höhten Dämpfung der Starrkörpereigenformen<br />
eines gesamten Schienenfahrzeugs ist eine<br />
klassische Modalanalyse mittels elektrodynamischen<br />
Schwingerregers zur Identifikation<br />
der Starrkörperschwingformen nicht möglich.<br />
Zudem liegen die Eigenfrequenzen der Starrkörpermoden<br />
in einem Bereich, in dem auch<br />
typischerweise die Eigenfrequenzen der elektrodynamischen<br />
Schwingerreger liegen.<br />
Daher wurden Keilversuche durchgeführt. Bei<br />
einem Keilversuch wird ein gesamtes Schienenfahrzeug<br />
über Keile geschoben, die vor den<br />
Rädern auf den Schienen platziert sind (Abbildung<br />
2). Durch das Fallen des Fahrzeugs vom<br />
Keil und Auftreffen auf dem Gleis wird ein Eingangssprung<br />
erzeugt und damit das Fahrzeug<br />
mit einem breiten Anregungsspektrum angeregt.<br />
Aus der Antwort des Fahrzeugs auf diesen<br />
Eingangssprung können im nächsten Schritt<br />
die Eigenfrequenzen ermittelt werden. Je nach<br />
Anordnung der Keile unter dem Fahrzeug kann<br />
die Anregung spezifischer Eigenformen wie z.<br />
B. Nick-, Tauch- oder Wankbewegungen des<br />
Wagenkastens oder des Fahrwerks angeregt<br />
werden.<br />
Äquivalent zum Realversuch wurde der Keilversuch<br />
auch in der Simulation durchgeführt. In<br />
der Auswertung der Keilversuche wurden neben<br />
den Eigenfrequenzen und der Dämpfungen<br />
auch die Eigenvektoren identifiziert. Durch die<br />
Verfügbarkeit der Eigenvektoren wird es möglich,<br />
die komfortrelevanten Eigenbewegungen<br />
vollständig zu beschreiben und zu valideren.<br />
Abbildung 2: Platzierung eines Keiles vor den Rädern<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Modellierung des elastischen<br />
Wagenkastens<br />
Die Validierung des FE-Modells wird mit den<br />
Ergebnissen aus der experimentellen Modalanalyse<br />
durchgeführt. Dabei werden Eigenfrequenzen<br />
und Eigenvektoren der Berechnung<br />
und der Messung korreliert. Einen entscheidenden<br />
Einfluss auf die Ergebnisse haben z.B.<br />
die Wahl der Finiten-Element-Typen sowie die<br />
Diskretisierung des Modells (Abbildung 3). Damit<br />
kann ein Optimum zwischen Ergebnisqualität<br />
und Berechnungszeit gefunden werden.<br />
Streckenversuche und Validierung<br />
der Komfortbeurteilung<br />
Nach der Validierung der Komponenten und<br />
Sub-Systeme muss die abschließende Validierung<br />
der Gesamtsystemsimulation unter möglichst<br />
betriebsnahen Bedingungen erfolgen.<br />
Dafür wurden am Eisenbahnversuchsring in<br />
Velim in Tschechien Messfahrten durchgeführt.<br />
Auf dem ca. 13 km langen Testring sind Fahrgeschwindigkeiten<br />
bis zu 230 km/h möglich.<br />
Essentiell für die Validierung des dynamischen<br />
Gesamtsystems Schienenfahrzeug ist die<br />
Aufnahme der Randbedingungen des realen<br />
Streckenversuchs; dazu gehören Trassierung,<br />
Gleislagefehler, Rad-Schiene-Profile sowie<br />
Oberbau-Charakteristiken. Auf die Randbedingungen<br />
des Streckenversuchs wurde bei den<br />
Streckenversuchen ein besonderer Schwerpunkt<br />
gelegt, um die Vergleichbarkeit der Messergebnisse<br />
mit den Fahrkomfortsimulationen<br />
gewährleisten zu können.<br />
Die strukturdynamischen Eigenschaften des<br />
Wagenkastens müssen in der Fahrkomfortsimulation<br />
durch die Mehrkörpersystem (MKS)<br />
Simulation berücksichtigt werden. Dafür muss<br />
das komplexe FE-Modell des Wagenkastens<br />
geeignet reduziert und in die MKS-Welt eingebunden<br />
werden. Für die Modellreduktion wurden<br />
klassische Verfahren wie die Guyan und<br />
die Craig Bampton Methode verwendet, um<br />
den Zielkonflikt zwischen der Ergebnisqualität<br />
der Simulation und der Rechenzeit bestmöglich<br />
zu lösen.<br />
Abbildung 3: Eigenform Dachquerschwingung des elastischen<br />
Rohbau-Wagenkastens<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Die Weiterentwicklung von Validierungsmethoden,<br />
wie z.B. des Keilversuchs in Kombination<br />
mit neuen Auswerteverfahren erlauben eine<br />
treffsichere Identifikation von Schwachstellen<br />
in den Simulationsmodellen sowie die Beurteilung<br />
des quantitativen Einflusses dieser<br />
Schwachstellen auf die Zielgröße der Validierung,<br />
sprich den Komfortwert. Durch die anschließende<br />
zielgerichtete Weiterentwicklung<br />
der Simulationsmodelle wie z.B. des elastischen<br />
Wagenkastens oder Komponenten am<br />
Fahrwerk kann der Komfortwert mit einer Genauigkeit<br />
von rund 10 % durch die Simulation<br />
prognostiziert werden.<br />
Durch die konsequente Validierung der Simulationsmodelle<br />
von der Komponenten- bis zur<br />
Gesamtfahrzeugebene, der gezielten Schwachstellenanalyse<br />
und der anschließenden zielgerichteten<br />
Verbesserung der Modellierung kann<br />
damit vor allem das Entwicklungsrisiko für zukünftige<br />
Projekte deutlich reduziert werden. ■<br />
Zum Autor<br />
Dr. Martin Rosenberger<br />
ist stellvertretender Bereichsleiter<br />
des Bereichs<br />
„Mechanics & Materials“<br />
am VIRTUAL VEHICLE<br />
Projektpartner<br />
• Institut für Mechanik;<br />
Montanuniversität Leoben<br />
• Siemens AG<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
27
Durchgängige Toolketten für<br />
E/E-Systeme im Eisenbahnbereich<br />
E/E-Systeme erlangen im Schienenverkehr eine immer größere Bedeutung. Mit der Komplexität der<br />
Entwicklung steigt auch die Anzahl der eingesetzten Software-Entwicklungswerkzeuge. Aktuell eingesetzte<br />
Tools erschweren ein Umsetzen sicherheitsrelevanter Normen, da Schnittstellenbrüche eine effiziente<br />
Kommunikation verhindern. Schwerpunkte am VIRTUAL VEHICLE sind Analysen und Optimierung der<br />
Toollandschaft bei der Entwicklung von sicherheitskritischen Systemen.<br />
Wie in vielen technischen Bereichen finden<br />
E/E-Systeme für Eisenbahnen eine immer<br />
weitere Verbreitung. Eine Vielzahl technischer<br />
Funktionen wird verstärkt durch den Einsatz<br />
von Elektronik realisiert, um unterschiedliche<br />
Anforderungen effizient abdecken zu können.<br />
Komfortfunktionen wie die Heizung in Zugabteilen<br />
mussten früher per Hand geregelt werden.<br />
Mittlerweile sind elektronisch gesteuerte<br />
Regelkreise für die individuelle Klimatisierung<br />
der Abteile Stand der Technik. Zudem hat der<br />
Passagier als Kunde eine Vielzahl an Wünschen,<br />
die heute als selbstverständlich erachtet<br />
werden: So will man nicht nur eine geschlossene<br />
Mobilfunkverbindung im Zug, Internet soll<br />
auch noch zur Verfügung stehen, und das möglichst<br />
schnell und sicher. Elektronische Systeme<br />
haben auch im Hintergrund viele wichtige<br />
Aufgaben, die der Passagier nicht wahrnimmt.<br />
Signalsysteme dienen zur permanenten Überwachung<br />
der Sicherheit von Strecke und Zug.<br />
Damit verbunden ist eine Vielzahl an Sensorik,<br />
die den sicheren Zustand des Zuges und des<br />
Gleissystems gewährleisten soll. Neue Bahnsysteme<br />
sind verstärkt für höhere Geschwindigkeiten<br />
ausgelegt und fordern daher zusätzliche<br />
Sicherheitsmaßnahmen, um die Risiken im Versagensfall<br />
zu minimieren.<br />
Die Vielzahl der Anforderungen an das Gesamtsystem<br />
ist mit den aktuell eingesetzten<br />
Entwicklungsansätzen kaum mehr umsetzbar.<br />
Die Systemarchitektur wird derzeit oft in einem<br />
Zeichentool, eine Sicherheitsanalyse in einer<br />
Tabellenkalkulation und der abschließende Bericht<br />
in einem Textverarbeitungstool erstellt.<br />
Änderungen müssen manuell eingegeben werden<br />
und stellen ein großes Fehlerpotential dar.<br />
Das Löschen einer einzelnen Zelle in einem<br />
Tabellenkalkulationsprogramm kann in Extremfällen<br />
zu einer Gefährdung für den Bahnkunden<br />
führen. Es ist schwierig für den Gesamtprozess<br />
eine Konsistenz zu wahren, da die Tools nicht<br />
gekoppelt sind. Eine Methodik mit getrennten<br />
Tools ist nur für kleinere Projekte sowie für geringe<br />
Änderungen geeignet.<br />
28 magazine Nr. 14, II-2013<br />
Durchgängigkeit der Toolkette als<br />
Schlüssel zu sicheren E/E-Systemen<br />
Bei der Entwicklung von sicherheitskritischen<br />
Systemen kommen üblicherweise mehrere<br />
Softwaretools zum Einsatz, die jeweils eine<br />
spezifische Aufgabe erfüllen. Diese Tools werden<br />
von Spezialisten bedient, die für die jeweiligen<br />
Aufgaben zuständig sind. So erstellt zum<br />
Beispiel ein Sicherheitsingenieur die Sicherheitsanalysen<br />
mit Hilfe eines geeigneten Tools.<br />
Um die Entwicklungsdaten über die Toolkette<br />
hinweg austauschen zu können, gibt es grundsätzlich<br />
mehrere Möglichkeiten:<br />
1. Austausch über Import/Exportfunktionen<br />
Der Großteil der kommerziellen Tools arbeitet<br />
nach diesem Schema. Daten werden über<br />
Import- und Exportfunktionen ausgetauscht.<br />
Abbildung 1 zeigt den Informationsfluss bei der<br />
Verbindung von zwei Tools über Import/Exportfunktionen.<br />
Beim Import von Daten können je nach Tool Daten<br />
verloren gehen, da ein fremdes Format erst<br />
in ein natives Datenformat konvertiert werden<br />
muss. Der Benutzer des Tools fügt im Rahmen<br />
der Entwicklungstätigkeit Daten hinzu, zum Beispiel<br />
werden Sicherheitsanalysen auf Basis der<br />
vorhandenen Systemarchitektur erstellt. Wenn<br />
bei diesen Sicherheitsanalysen Schwachstellen<br />
der Systemarchitektur aufgedeckt werden, ist<br />
eine Korrektur notwendig, z.B. durch den Einbau<br />
zusätzlicher Diagnosefunktionen. Dadurch<br />
wird in den Daten eine Rückführungsschleife<br />
notwendig. Für wenig umfangreiche Daten kann<br />
dies manuell durchgeführt werden, bei größeren<br />
Umfängen muss eine geeignete Datenzusammenführung<br />
erfolgen (Diff/Merge). Die<br />
Entwicklung erfolgt üblicherweise in mehreren<br />
Schritten, d.h. die erzeugten Schleifen werden<br />
auch mehrfach durchlaufen. Die Kopplung von<br />
Tools über Import- und Exportfunktionen bringt<br />
dadurch zusätzliche Komplexität in den Entwicklungsprozess.<br />
Diff /<br />
Merge<br />
Abbildung 1: Datenfluss beim<br />
Austausch über Import/Export<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
File Type<br />
Predecessing Tool<br />
Change<br />
Add<br />
File Type<br />
Tool A<br />
File<br />
Type Tool B<br />
Change<br />
Add<br />
File Type<br />
Tool B<br />
File<br />
Type<br />
Tool C<br />
User<br />
User<br />
2. Austausch von Daten über gemeinsame<br />
Datenbanken<br />
Mehrere Tools können ihre Daten über gemeinsame<br />
Datenbanken ablegen und dadurch<br />
synchronisieren. Dieser Ansatz erfordert abgestimmte<br />
Metamodelle sowie eine gewisse<br />
Offenheit der Toolhersteller. Nachteil dieses<br />
Ansatzes ist die fehlende Rückwärtskompatibilität<br />
zu bereits in der Entwicklung verwendeten<br />
Tools.
3. Austausch von Daten über Nachrichten-<br />
versand zwischen den Tools<br />
Anstatt eine gemeinsame Datenbank zu nutzen,<br />
ist es auch möglich, dass Tools ihre selbst<br />
verwalteten Daten über Nachrichten synchronisieren.<br />
Dazu werden Steuerungsdaten generiert<br />
und zwischen den Systemen hin und her<br />
gesendet, um einen geregelten Austausch der<br />
Produktivdaten zu ermöglichen. Für typische<br />
Entwicklungswerkzeuge ist dieser Ansatz aktuell<br />
noch nicht verbreitet.<br />
4. Enge Toolkopplung durch gemeinsame<br />
Datenstrukturen<br />
Eine sehr enge Verzahnung von Tools lässt sich<br />
erreichen, indem gemeinsame Datenstrukturen<br />
verwendet werden. Dies erfordert eine enge<br />
Kooperation zwischen den Toolherstellern. Ein<br />
Beispiel für eine enge Toolkopplung ist die Integration<br />
von MS Visio in das PLM-Tool Teamcenter.<br />
Anforderungen an die Toolkette für<br />
E/E-Systeme im Eisenbahnbereich<br />
Für den Schienenverkehr sind bei der Entwicklung<br />
von sicherheitskritischen E/E-Systemen<br />
die Normen EN 50126, EN 50128 und EN 50129<br />
anzuwenden. Die Inhalte der Normen sind sehr<br />
umfangreich und betreffen mannigfaltige Aspekte<br />
des Entwicklungsprozesses: Vorgaben<br />
für das Management, die Entwicklungs- und<br />
Analysemethodik, Verifikations- und Validierungsmaßnahmen<br />
sowie anzuwendende Sicherheitsanalysen.<br />
Die wichtigsten Tools zur Erfüllung der Norm<br />
decken dabei folgende Aufgaben ab:<br />
1. Product Lifecycle Management<br />
2. Anforderungsmanagement<br />
3. Systemarchitektur<br />
4. Sicherheitsanalysen<br />
Über die in diesen Prozessen eingesetzten<br />
Tools hinweg erfordert die Norm EN50126 die<br />
Rückverfolgbarkeit der Anforderungen über<br />
dem gesamten Tooleinsatz. Für die Sicherheitsanalysen<br />
ist ein zertifiziertes Tool nach<br />
EN5012x notwendig, das eine Verlinkung der<br />
Sicherheitsanalysen (FMEA, FTA, Common<br />
Cause Failure Analyse) zur Systemarchitektur<br />
erlaubt. In allen Tools muss eine automatisierte<br />
Erstellung von Dokumenten möglich sein. Die<br />
größte Herausforderung besteht darin, dass<br />
die gesamte Toolkette für Änderungen und Entwicklungsschleifen<br />
geeignet sein muss.<br />
Abbildung 2.: Derzeitige Schnittstellenbrüche in der Safety-Toolkette im Schienenverkehr<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
Lösungsmöglichkeiten für die E/E-<br />
Toolkette im Eisenbahnbereich<br />
Da gängige Tools zwar untereinander keine<br />
Kopplung aufweisen, in den meisten Fällen jedoch<br />
standardisierte Schnittstellen zum Datentausch<br />
anbieten, kann in einem ersten Schritt<br />
eine Toolkette eingerichtet werden. Dadurch<br />
wird die eine Durchgängigkeit der Systeme<br />
noch nicht erreicht, jedoch durch automatisierten<br />
Datentausch eine Prozessverbesserung<br />
erzielt, da manuelle Übertragungsfehler ausgeschlossen<br />
werden können.<br />
Weitere Verbesserungen der Entwicklungsprozesse<br />
erzielt man durch den Einsatz von Notationssprachen<br />
im Entwicklungsprozess. Dadurch<br />
werden viele Schritte durch eine durchgehende<br />
Notation der Systemarchitektur formalisiert<br />
und vereinheitlicht. Hier zeichnet sich ab, dass<br />
der SysML-Standard zur Modellierung in der<br />
Industrie eine entscheidende Rolle einnimmt.<br />
SysML-Tools wie etwa Enterprise Architect verfügen<br />
in der Regel über Exportmöglichkeiten<br />
der modellierten Systemarchitektur von Hardware-<br />
und Softwarekomponenten einschließlich<br />
möglicher Fehlfunktionen.<br />
Damit kann bereits zu Beginn des Projektes ein<br />
„Top-Down“-Ansatz in der Entwicklung verfolgt<br />
werden, auf dem in weiterer Folge Risiko- und<br />
Gefährdungsanalysen aufsetzen können. Die<br />
aufgebaute Struktur des Systems kann durch<br />
entsprechende Werkzeuge für die Sicherheits-<br />
und Gefährdungsanalyse direkt eingelesen<br />
werden.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Der Datentausch zwischen den Werkzeugen<br />
und der gezielte Einsatz von Notationssprachen<br />
für die Abbildung der Systemarchitektur sind<br />
am VIRTUAL VEHICLE Gegenstände aktueller<br />
Forschung. Der Fokus liegt vor allem auf der<br />
Analyse der Fähigkeiten aktueller Tools sowie<br />
Erarbeitung von Maßnahmen zur Schließung<br />
von Lücken für eine durchgängige Toolkette im<br />
Eisenbahnbereich.<br />
Am VIRTUAL VEHICLE hat daher das Thema<br />
Durchgängigkeit von Toolketten im Rahmen<br />
von Systems Engineering in Kombination mit<br />
sicheren E/E-Systemen einen besonderen Stellenwert<br />
erlangt und wird im Rahmen von Projekten<br />
in Zusammenarbeit mit Industriepartnern<br />
erforscht. Schwerpunkte liegen auf den Gebieten<br />
der Konzeptphase, Systemmodellierung,<br />
Sicherheitsanalysen, Integration der Sicherheit<br />
in bestehende Entwicklungsprozesse sowie<br />
Sicherheitszertifizierung von E/E-Systemen. ■<br />
Zu den Autoren<br />
DI Joachim Hillebrand<br />
leitet die Gruppe für<br />
Embedded Systems am<br />
VIRTUAL VEHICLE.<br />
DI Peter Reichenpfader<br />
ist Senior Researcher<br />
im Bereich Embedded<br />
Systems am VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
29
Gastbeitrag<br />
Das Institut für Eisenbahnwesen und<br />
Verkehrswirtschaft der TU Graz stellt sich vor<br />
Impulse für ein betrieblich, technisch und wirtschaftlich erfolgreiches System Bahn: Das Institut für<br />
Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft steht für eine umfassende Sicht auf das System Bahn und berücksichtigt<br />
neben wirtschaftlichen auch betriebliche und technische Aspekte. Seit 2006 besteht eine Zusammenarbeit<br />
zwischen dem Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft und dem VIRTUAL VEHICLE.<br />
Das Eisenbahnwesen im Wandel<br />
Das Eisenbahnwesen in Europa befindet sich in<br />
einem massiven Wandel. Zur Stärkung der Eisenbahn<br />
geht die Europäische Union den Weg<br />
der Stärkung der Bahnen durch Steigerung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit. Diese soll durch<br />
eine Liberalisierung erreicht werden, die es<br />
allen Eisenbahnverkehrsunternehmen gestattet,<br />
auf allen Netzen zu fahren. Das erfordert<br />
eine Trennung von Infrastruktur und Eisenbahnverkehrsunternehmen.<br />
Sprechen die<br />
Einen von einem notwendigen Schritt mit bereits<br />
vielen Erfolgen, sprechen Andere davon,<br />
dass die Eisenbahn genau in jenem Punkt zerschnitten<br />
wird, in dem „Eisenbahn“ eigentlich<br />
stattfindet, dem Kontaktpunkt Rad-Schiene.<br />
Das Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft<br />
bezieht hier klare Position: Ja, wir<br />
brauchen einen starken technischen Fokus.<br />
Und wir müssen technische und auch betriebliche<br />
Gesetzmäßigkeiten identifizieren und in<br />
ihren Zusammenhängen darstellen.<br />
Zudem bin ich als Institutsvorstand überzeugt,<br />
dass Innovationen im heutigen Umfeld schwer<br />
umsetzbar sind.<br />
Umsetzung von Innovationen oft<br />
schwierig<br />
Die Gründe dafür sind vielfältig: Juristische<br />
Richtlinien machen die technische und betriebliche<br />
Umsetzung oft schwierig. Der wirtschaftliche<br />
Erfolg einer Innovation muss vorab<br />
berechnet werden, um sie umsetzen zu können.<br />
Für eine umfassende Beurteilung des Erfolges<br />
einer Innovation im Eisenbahnwesen, einer<br />
Strategie oder ganz allgemein einer Variante<br />
im wirtschaftlichen Sinne, muss allerdings das<br />
Gesamtsystem Bahn berücksichtigt werden.<br />
Schließlich wird die Innovation dort umgesetzt<br />
und auch wirksam.<br />
Es lassen sich viele Beispiele zu dieser Problematik<br />
anführen: Ein Fahrzeug mit besseren<br />
Laufeigenschaften wird wahrscheinlich teurer<br />
30 magazine Nr. 14, II-2013<br />
sein, schont aber die Infrastruktur und kann somit<br />
zum Gesamtoptimum beitragen.<br />
Ein verbesserter nachhaltiger Oberbau ist in<br />
der Investition zwar teurer, reduziert aber den<br />
Instandhaltungsbedarf, verlängert die Nutzungsdauer<br />
und reduziert damit betriebliche<br />
Behinderungen, was wiederum den Eisenbahnverkehrsunternehmen<br />
zu Gute kommt.<br />
Das bedeutendste Lenkungsinstrument, das in<br />
dieser Weise erst ausgestaltet werden muss,<br />
sind Trassenpreise als Schnittpunkt zwischen<br />
Infrastruktur und Eisenbahnverkehrsunternehmen.<br />
Hier müssen Auswirkungen betrieblicher<br />
Behinderungen ebenso berücksichtigt<br />
werden wie Qualitäten von Fahrzeugen, Betriebskonzepten<br />
und dem Fahrweg. Aus diesem<br />
Grund stellt eine systemadäquate Ausgestaltung<br />
des Trassenpreissystems der Eisenbahn<br />
einen Forschungsschwerpunkt des<br />
Instituts dar.<br />
Abbildung 1: Instandsetzung Fahrbahn unter Betrieb<br />
Quelle: TU Graz, Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft<br />
Forschungsprojekte<br />
Die Trennung von Fahrweg und Betrieb und<br />
die Möglichkeit für Dritte, das Schienennetz<br />
zu nutzen, machte Forschungen zur Bestimmung<br />
von betrieblichen Folgekosten erforderlich.<br />
Daraus entwickelten sich Arbeiten<br />
zu Betriebserschwerniskosten und Dauerlangsamfahrstellen.<br />
Zudem zeigte sich ein<br />
relevanter Zusammenhang zwischen Fahrwegbeanspruchung<br />
und dem rollenden Material.<br />
Diese Wechselwirkung wird jedoch in der einzig<br />
verbliebenen Schnittstelle Fahrzeug – Fahrweg,<br />
den Trassenbenützungsgebühren, nicht<br />
abgebildet. Weitere Analysen haben gezeigt,<br />
dass auch andere Auswirkungen im Bereich<br />
Fahrzeug – Fahrweg, wie betriebliche Kapazität<br />
oder Lärm in Trassenpreisen nicht oder unzulänglich<br />
reflektiert werden.<br />
In unserem Projekt Baustellenlogistik (Abbildung<br />
1) am Institut für Eisenbahnwesen und<br />
Verkehrswirtschaft wird der Zusammenhang<br />
zwischen Bauabschnittslängen und Realisierungskosten<br />
(Abbildung 2) betrachtet. Dies<br />
ist für eine technisch-wirtschaftliche Optimierung<br />
notwendig. Maschinenleistungen, Logistik<br />
und daraus entwickelte Bauabläufe müssen genau<br />
untersucht werden, denn sie spielen eine<br />
entscheidende Rolle.<br />
Mit den bautechnischen Leistungen und den<br />
Kostenfunktionen die entstehen, wird es möglich,<br />
Zielkosten zu definieren. Optimierte Bauabschnittslängen<br />
können nämlich im Zusammenwirken<br />
mit Betriebserschwerniskosten als<br />
Zielkosten definiert werden.<br />
Das Projekt GleisPROPHET hat die Zielsetzung,<br />
eine spezifische Prognose des Gleisverhaltens<br />
abzugeben. Das Projekt baut auf<br />
Grundlagenuntersuchungen zum Gleisverhalten<br />
auf und hat bereits zu weiteren Grundlagenforschungen<br />
geführt. Im Mittelpunkt der<br />
Forschung stehen technische Innovationen<br />
im Komponentenbereich mit Fokus auf die<br />
technischen Langzeitauswirkungen auf Innovationen.<br />
Beispiele dafür sind: Asphalttrenn-
schichten, Schwellenbesohlungen, Rahmenschwellen<br />
und generell anwendungsorientierte<br />
Definitionen von Einsatzbereichen spezifischer<br />
Komponenten.<br />
Da eine Bewertung der Lebenszykluskosten<br />
(LCC) neben der Investition immer auch<br />
Instandhaltung und Nutzungsdauer berücksichtigen<br />
muss, wurden Standardelemente zur<br />
Abbildung dieses Verhaltens mittlerweile für die<br />
spezifischen Situationen Österreichs (Projekt<br />
Strategie Fahrweg), der Schweiz (SBB Standardelemente),<br />
Norwegens (Projekts NORSK)<br />
und Kroatiens (Projekt TRAMEO) erarbeitet<br />
und daraus Investitions- und Instandhaltungsstrategien<br />
abgeleitet. Es handelt sich<br />
um Projekte zur<br />
• technischen Instandhaltungsoptimierung<br />
durch beispielsweise Integrierte Instandsetzung,<br />
• Neugewichtung präventiver, reaktiver und<br />
zyklischer Instandhaltung oder<br />
• die Entwicklung von Schienenschleifstrategien<br />
im Licht der Head Check Problematik.<br />
Die Analyse des Langzeitverhaltens führte<br />
wegen der hohen Beeinflussung der technischen<br />
Nutzungsdauer durch den Schotter zu<br />
einer diesbezüglichen Grundlagenforschung<br />
und zu detaillierten Untersuchungen von<br />
Schwellenbesohlungen (Projekt WINS). Fragestellungen<br />
zur Dauerfestigkeit der Schienen<br />
und zur Bestimmung der Lastkollektive seien<br />
hier ebenfalls genannt.<br />
Weitergabe von Wissen -<br />
Studienschwerpunkte<br />
Unser Hauptaugenmerk liegt natürlich auch auf<br />
der Ausbildung unserer Studierenden. Ein uni-<br />
Abbildung 3: Tagung moderne Schienenfahrzeuge<br />
Quelle: TU Graz, Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft<br />
versitäres Studium sollte neben dem Weitergeben<br />
von fachlichem Wissen auf Verantwortung<br />
vorbereiten. Ziel des Portfolios unserer Lehrveranstaltungen<br />
ist es, Studierenden das System<br />
Eisenbahn mit seinen Wechselwirkungen<br />
von Infrastruktur, Betrieb und Wirtschaftlichkeit<br />
näher zu bringen. In der Grundvorlesung Eisenbahnwesen<br />
liegen die Schwerpunkte auf den<br />
konstruktiven Aspekten des Bauwesens. In den<br />
Vertiefungsfächern im Master werden sowohl<br />
konstruktive Schwerpunkte gesetzt als auch<br />
betriebliche und wirtschaftliche Grundlagen<br />
angeboten. Weitere Vorlesungen beschäftigen<br />
sich mit den Schnittstellen Fahrzeug / Fahrweg<br />
und Infrastruktur / Betrieb / Eisenbahnverkehrsunternehmen.<br />
Studierende haben des Weiteren die Möglichkeit,<br />
die Erkenntnisse in Projektarbeiten<br />
(Bachelor und Master) umzusetzen. Die drei<br />
Lehrschwerpunkte reflektieren dabei auch die<br />
Forschungsschwerpunkte des Instituts, womit<br />
eine forschungs- und praxisnahe Lehre sichergestellt<br />
wird.<br />
Abbildung 2: Unterbausanierung bei der SBB<br />
Quelle: TU Graz, Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft<br />
Europäischer Treffpunkt der Bahn<br />
Seit 1954 findet alle eineinhalb Jahre die Tagung<br />
zum Thema „Moderne Schienenfahrzeuge“<br />
an der Technischen Universität Graz<br />
statt (Abbildung 3). Die rund 600 Teilnehmer<br />
kommen vorwiegend aus dem deutschsprachigen<br />
europäischen Raum und zeigen Mal für<br />
Mal großes Interesse an den Vor- und Beiträgen<br />
der Firmen der Bahnindustrie, der Bahnverwaltungen<br />
selbst und dem Bereich Forschung, so<br />
dass sich die Veranstaltung mittlerweile als<br />
„europäischer Treffpunkt der Bahn“ etablieren<br />
konnte.<br />
Das Institut organisierte die Schienenfahrzeugtagung<br />
seit 1996 elf Mal, womit im April 2013<br />
die 41. Tagung stattfindet.<br />
Auch in Zukunft werden wir uns weder auf einen<br />
rein technischen, rein betrieblichen, noch rein<br />
wirtschaftlichen Standpunkt einschränken lassen,<br />
weil es in Wirklichkeit diese abgegrenzte<br />
Sicht nicht geben darf. Es gibt nur ein System<br />
Bahn und damit einen Systemstandpunkt – unabhängig<br />
von der Anzahl der Subsysteme. ■<br />
Zum Autor<br />
Forschungs-Partner<br />
Univ.-Prof. Dipl.-Ing.<br />
Dr.techn. Peter Veit;<br />
Institutsvorstand am Institut<br />
für Eisenbahnwesen und<br />
Verkehrswirtschaft der TU<br />
Graz<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
31
The <strong>Virtual</strong> Cable Liner<br />
Seilbetriebene Automated People Mover (APM) drängen verstärkt als kostengünstiges und umweltfreundliches<br />
Nahverkehrssystem auf den Markt. Das VIRTUAL VEHICLE leistete einen wichtigen Forschungsbeitrag, um<br />
die Systemdynamik hinsichtlich Komfort und Wirtschaftlichkeit zu optimieren.<br />
Der Personentransport in Bereichen mit hohem<br />
Beförderungsbedarf wie Flughäfen, Stadtzentren<br />
und Messen wird immer häufiger mit<br />
APM-Systemen durchgeführt. Diese Systeme<br />
zeichnen sich neben dem automatischen Betrieb<br />
durch eine Spurführung und einen separaten<br />
Fahrweg aus. Die technischen Anforderungen<br />
sind dabei sehr stark durch die speziellen<br />
Umgebungsbedingungen geprägt. So sind<br />
neben hohen Förderleistungen und niedrigen<br />
akustischen Emissionen vor allem sehr hohe<br />
Verfügbarkeiten erforderlich, welche z. B. auf<br />
Flughäfen oftmals über 99 % betragen sollen.<br />
Im Einsatzgebiet müssen zudem häufig Verkehrswege<br />
und Gebäude überbrückt werden,<br />
wodurch spezielle Anforderungen an die Fahrwegkonstruktion<br />
entstehen.<br />
Grundsätzlich kann bei APM zwischen Systemen<br />
mit fahrzeugfesten Antrieben (selbstfahrende<br />
Fahrzeuge) und mit ortsfesten Antrieben<br />
unterschieden werden. Bei den ortsfesten Antriebssystemen<br />
werden die Traktionskräfte in<br />
der Regel durch eine Drahtseilschleife von den<br />
externen Antriebsmaschinen zu den Fahrzeugen<br />
übertragen.<br />
Seilbetriebene APM-Systeme stellen häufig<br />
das technisch-wirtschaftliche Optimum in Bezug<br />
auf die genannten Anforderungen dar.<br />
Beispielsweise bewirken die fehlenden Antriebs-<br />
und Bremssysteme an den Fahrzeugen<br />
Abbildung 1: DCC-Cable Liner Shuttle in Las Vegas, Nevada<br />
Quelle: DCC<br />
32 magazine Nr. 14, II-2013<br />
nicht nur geringe Eigenmassen und akustische<br />
Emissionen, sondern ermöglichen in weiterer<br />
Folge leichte Fahrwegkonstruktionen, welche<br />
architektonische und bautechnische Vorteile<br />
bieten. Aufgrund der genannten Aspekte erzielt<br />
dieses Transportsystem in jüngerer Vergangenheit<br />
eine stärkere Marktdurchdringung.<br />
Auslegung von seilbetriebenen<br />
APM-Systemen<br />
Der Antrieb durch einen Seiltrieb leitet sich im<br />
Wesentlichen von den Standseilbahnen ab,<br />
wodurch für die rechnerische Auslegung die<br />
gängigen Seilbahnnormen (EN 12930, ANSI<br />
B77.1) zur Anwendung kommen. Zusätzliche<br />
APM-spezifische Vorgaben ergeben sich aus<br />
dem ASCE-Code (z. B. ASCE 21-98).<br />
Die genannten Regulierungen stellen zwar alle<br />
Methoden zur sicheren Auslegung der Systeme<br />
zur Verfügung, die technische Optimierung<br />
hinsichtlich Betriebsfestigkeit, Komfort und<br />
Beförderungskapazität erfordert jedoch weiterführende<br />
Simulationswerkzeuge, welche bis<br />
vor kurzem noch nicht in gewünschter Form zur<br />
Verfügung standen.<br />
Daher wurde am VIRTUAL VEHICLE das Forschungsprojekt<br />
„The <strong>Virtual</strong> Cable Liner“ mit<br />
dem Ziel ins Leben gerufen, neue Simulationsmethoden<br />
zur Vorausberechnung der System-<br />
dynamik zu entwickeln. Als Referenzsystem<br />
wurde hierfür der seilbetriebene APM „Cable<br />
Liner Shuttle“ des österreichischen Herstellers<br />
„Doppelmayr Cable Car GmbH & Co KG (DCC)“<br />
herangezogen (Abbildung 1). Neben DCC fungierten<br />
die Schweizer „Kontrollstelle IKSS“ und<br />
das Institut für Eisenbahnwesen der TU Graz<br />
als weitere Forschungspartner.<br />
Schwerpunkte des<br />
Forschungsprojektes<br />
Die Dynamik eines seilbetriebenen APM-Systems<br />
ist durch die komplexe Interaktion von<br />
Fahrzeug, Fahrweg und Seiltrieb gekennzeichnet,<br />
wobei insbesondere in longitudinaler und<br />
lateraler Richtung eine starke Kopplung aller<br />
drei Teilsysteme besteht. Während vor Projektbeginn<br />
die Vorausberechnung der Fahrzeug-<br />
Fahrweg-Interaktion mit Hilfe von Programmen<br />
für Mehrkörpersysteme (MKS) als Stand der<br />
Technik angesehen wurde, konnte die Abbildung<br />
des Seiltriebs und dessen Interaktion mit<br />
den Fahrzeugen als weißer Fleck auf der „Modellierungslandkarte“<br />
identifiziert werden. Eine<br />
ganzheitliche dynamische Vorausberechnung<br />
des Systems scheiterte somit am Fehlen eines<br />
entsprechenden Seilmodells.<br />
Der Schwerpunkt des Forschungsprojekts lag<br />
daher in der Entwicklung einer entsprechenden<br />
Modellierungstechnik für den Seiltrieb. In einem<br />
zweiten Schritt wurde die Modellierungstechnik<br />
prototyphaft in ein MKS-Programm implementiert.<br />
Dies ermöglichte im dritten Schritt im Verbund<br />
mit entsprechenden Fahrzeugmodellen<br />
eine integrierte Simulation des seilbetriebenen<br />
APM-Systems (Abbildung 2). Schlussendlich<br />
wurden die Simulationsergebnisse anhand von<br />
Versuchen an einer Gesamtanlage validiert.<br />
Entwicklung des Seilmodells<br />
Als Grundlage für die Entwicklung des Seilmodells<br />
diente die Identifikation und Bewertung<br />
der maßgeblichen physikalischen Phänomene<br />
des Seiltriebs. So stellte sich beispielsweise<br />
heraus, dass bei einem seilbetriebenen APM<br />
die transversale Bewegung des Seils keinen<br />
maßgeblichen Einfluss auf die Systemdynamik<br />
hat.
Als maßgebende Phänomene wurden die longitudinale<br />
Dehnung des Drahtseils sowie die<br />
Energiedissipation an den Kontaktstellen zwischen<br />
Seil und Seilführungselementen identifiziert.<br />
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden ein mechanisches<br />
Ersatzmodell der Seilschleife sowie<br />
eine entsprechende numerische Umsetzung<br />
entwickelt. Dabei wurde die Seilschleife durch<br />
finite Elemente diskretisiert und das resultierende<br />
Differentialgleichungssystem im Anschluss<br />
in Form einer User-Routine in die bestehende<br />
MKS-Umgebung SIMPACK integriert.<br />
Validierung<br />
Als Basis für die Validierung der Modellierungstechnik<br />
wurden Messdaten aus Gesamtanlagenversuchen<br />
herangezogen, welche im Rahmen<br />
des Forschungsprojektes an einem Cable<br />
Liner Shuttle in Las Vegas (USA) durchgeführt<br />
wurden. Die messtechnische Erfassung der<br />
Systemdynamik erfolgte dabei durch den Einsatz<br />
von moderner GPS-Messtechnik.<br />
Die dynamischen Vorgänge wurden im Anschluss<br />
mit einem umfassenden Simulations-<br />
modell, welches die neue Seilmodellierungstechnik<br />
beinhaltet, nachgestellt. Die relevanten<br />
physikalischen Größen aus Experiment und<br />
Simulation, wie beispielsweise Fahrzeugbeschleunigungen<br />
und Seilkräfte, wurden dabei<br />
einem Vergleich unterzogen. Insbesondere die<br />
virtuelle Nachstellung der Notbremssituationen<br />
zeigte hierbei eine sehr gute Korrelation (Abbildung<br />
3).<br />
In weiteren Arbeitspaketen wurde eine Verallgemeinerung<br />
des Seilmodells durchgeführt,<br />
wodurch die Prognosegüte weiter gesteigert<br />
werden konnte.<br />
Anwendung in der Praxis<br />
Die Anwendung des entwickelten Seilmodells<br />
ermöglicht bereits in einer frühen Design-<br />
Phase die Vorausberechnung der Systemdynamik<br />
eines seilbetriebenen APM. Es können<br />
Aussagen hinsichtlich der zu erwartenden<br />
Fahrzeugbeschleunigungen und Betriebslasten<br />
der Anlage getroffen werden. Die Vorausberechnung<br />
ermöglicht eine verbesserte Auslegung<br />
und Abstimmung der Fahrzeuge sowie<br />
der Antriebs- und Bremssysteme, wodurch das<br />
System in Bezug auf Fahrkomfort und Betriebs-<br />
Abbildung 2: Seilkräfte bei einem Bremsvorgang eines Cable Liner Shuttle<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
festigkeit weiter optimiert werden kann. Folglich<br />
können auch die Umfänge der experimentellen<br />
Entwicklung während der Inbetriebnahme von<br />
neuen Anlagen eingeschränkt und somit Entwicklungszeit<br />
und auch Kosten reduziert werden.<br />
Aktuell werden die im Forschungsprojekt entwickelten<br />
Methoden in enger Zusammenarbeit mit<br />
dem Hersteller DCC für die Auslegung von neuen<br />
seilbetriebenen APM-Anlagen eingesetzt. ■<br />
Zum Autor<br />
DI (FH) Christian Nußbaumer<br />
ist Senior Researcher<br />
der Forschungsgruppe<br />
„<strong>Vehicle</strong> Dynamics - Rail<br />
Applications“ am VIRTUAL<br />
VEHICLE.<br />
Projektpartner<br />
• TU Graz - Institut für Eisenbahnwesen<br />
• Doppelmayr Cable Car GmbH<br />
& Co KG (DCC)<br />
• Kontrollstelle IKSS<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
Abbildung 3: Fahrzeugbeschleunigung<br />
bei einer Cable<br />
Liner Shuttle-Notbremsung<br />
Quelle: VIRTUAL VEHICLE<br />
33
short cuts<br />
Seit 1998 wurden in Österreich eine Reihe von<br />
Kompetenzzentren-Programme zur Stärkung<br />
der Kooperationskultur zwischen Industrie und<br />
Wissenschaft ins Leben gerufen. Das Ziel war<br />
der Aufbau stärkerer Synergien und gemeinsamer<br />
Forschungskompetenzen. Eine Initiative,<br />
die sich heute für Österreich nachhaltig bezahlt<br />
macht. VIRTUAL VEHICLE wird hier als internationales<br />
Vorzeige-Beispiel gesehen.<br />
Austrian Business Agency-Geschäftsführer Dr.<br />
René Siegl: „Spitzen-Know-how entspringt der<br />
Kooperation von Industrie und universitärer<br />
Forschung. Das VIRTUAL VEHICLE ist eines<br />
der besten Beispiele dafür. Diese fruchtbare<br />
Kombination ist als österreichischer Standortfaktor<br />
ein absoluter Wettbewerbsvorteil. Andere<br />
Länder beneiden uns darum.“<br />
Wirtschafts- und Innovationslandesrat des<br />
Bundeslandes Steiermark Dr. Christian Buchmann:<br />
„Besonders die K2-Zentren wie das<br />
VIRTUAL VEHICLE, das Materials Center Leoben<br />
und das Austrian Center of Industrial Biotechnology<br />
sind ein wesentlicher Treiber der<br />
F&E-Quote, die wir in der Steiermark bis 2020<br />
in Richtung 5% bewegen möchten.“<br />
e-mobility Graz 2013: „Smarte Städte - smarte Mobilität“<br />
Im Jahr 2040 werden 80 Prozent der europäischen<br />
Bevölkerung in Städten leben. Für die<br />
Energieversorgung, die Umwelt und den Verkehr<br />
bedeutet das eine enorme Herausforderung,<br />
die nur mit Hilfe modernster Technologie<br />
More news: www.v2c2.at<br />
Kompetenzzentren in Österreich: Die „Innovations-Zugpferde“<br />
34 magazine Nr. 14, II-2013<br />
ACstyria Autocluster Geschäftsführer DI Franz<br />
Lückler: „Die heimische Fahrzeugindustrie<br />
braucht einen klaren Wettbewerbsvorsprung.<br />
Im technologischen Bereich leistet unter anderem<br />
das VIRTUAL VEHICLE mit seinen komplexen<br />
Simulationslösungen ausgezeichnete Arbeit.<br />
Das ist auch der Grund, warum zahlreiche<br />
renommierte Automobilunternehmen bereits<br />
intensiv mit dem Kompetenzzentrum kooperieren<br />
und sich Graz als bevorzugter Standort für<br />
zu bewältigen sein wird. „Smarte Städte - smarte<br />
Mobilität“ – unter diesem Motto stand die emobility<br />
Konferenz vom 30. - 31.1.2013 in Graz.<br />
Das VIRTUAL VEHICLE war durch mehrere<br />
Beiträge prominent vertreten.<br />
zukunftsweisende Fahrzeugforschung etablieren<br />
konnte.“<br />
Der Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft<br />
FFG, Dr. Klaus<br />
Pseiner: „Das Thema Mobilität zählt traditionell<br />
zu den Stärken in der Steiermark. VIRTUAL<br />
VEHICLE konnte hier erfolgreich andocken und<br />
liefert wertvolle Beiträge in der Entwicklung von<br />
Fahrzeugkonzepten für die Zukunft.“ ■<br />
Die Neuorientierung unserer Mobilität, zukunftsorientierte<br />
Antriebskonzepte sowie die<br />
Differenziertheit und Interkompatibilität der<br />
einzelnen Technologien war auch diesmal der<br />
Dreh- und Angelpunkt des e-mobility Konferenz.<br />
Die Konferenz umfasste Themen wie<br />
Strategie, Energie und Batterie, Nutzfahrzeuge,<br />
Umweltzonen und Smart Cities ebenso<br />
wie Emotion, EV-Design, alternative Antriebe<br />
und aktuelle Praxisbeispiele. Eine großflächige<br />
Ausstellung rundete das Programm ab.<br />
VIRTUAL VEHICLE Geschäftsführer Dr. Jost<br />
Bernasch leitete die Session „Umweltschonende<br />
Antriebsformen in der Citylogistik“. Das<br />
VIRTUAL VEHICLE war zudem durch zwei Vorträge<br />
vertreten: Dr. Alexander Thaler erläuterte<br />
„Sicherheitsaspekte für Lithium-Ionen-Batterien<br />
im automotiven Umfeld“ und DI Günter<br />
Lang informierte über den „Elektrifizierten Antriebsstrang<br />
im Spannungsfeld von Reichweite<br />
und thermischem Komfort“. ■<br />
e-mobility 2014:<br />
29.01 - 30.01.2014
Der Rad-Schiene Kontakt ist für die zentralen<br />
Funktionen Tragen, Führen sowie Antreiben<br />
und Bremsen bei Schienenfahrzeugen verantwortlich.<br />
Das auf drei Jahre anberaumte Projekt<br />
„Dynamic Wheel-Rail Contact Forces“ kurz<br />
DynKraS hat es sich zum Ziel gesetzt, bereits<br />
bestehende Modelle um eine Reihe weiterer<br />
aus Messungen bekannter Effekte zu erweitern.<br />
Das Projekt wurde bereits 2010 mit den Industriepartnern<br />
Siemens AG, voestalpine Schienen<br />
GmbH, LBFoster (Portec Rail/Kelsan Technologies)<br />
(UK/Kanada), ÖBB Infrastruktur AG und<br />
der TU Graz als wissenschaftlicher Partner<br />
gestartet.<br />
Das VIRTUAL VEHICLE als Projektleiter lud<br />
am 9. Oktober nun nach Graz ein und die namhaften<br />
nationalen und internationalen Partner in<br />
Graz zogen eine erfolgreiche Zwischenbilanz:<br />
Der erste Abgleich der Simulationen mit Messergebnissen<br />
aus Fahrzeugversuchen mit einer<br />
Siemens Lokomotive sowie mit Ergebnissen<br />
aus Prüfstandsversuchen am Erich-Schmid-Institut<br />
für Materialwissenschaft (ESI) in Leoben<br />
More news: www.v2c2.at short cuts<br />
Rad-Schiene-Kontakt Projekt: Erfolgreiche Zwischenbilanz<br />
Mit seiner rasanten Entwicklung seit der Gründung<br />
des K2-Zentrums im Jahr 2008 ist das<br />
VIRTUAL VEHICLE heute ein Fixstern auf der<br />
europäischen Forschungsbühne. Derzeit laufen<br />
am Zentrum acht EU-Projekte mit einem<br />
Projektvolumen von ca. 2,9 Millionen Euro. Bei<br />
drei dieser laufenden Projekte ist VIRTUAL VE-<br />
HICLE in der Rolle des Projekt-Koordinators.<br />
Das Forschungszentrum ist zudem an fünf laufenden<br />
ARTEMIS-Projekten beteiligt. Zusammen<br />
mit einem weiteren bereits genehmigten<br />
ARTEMIS-Projekt ergibt sich ein Projektvolumen<br />
von insgesamt 2,8 Millionen Euro.<br />
Eines der vielen Highlights der vergangenen<br />
Jahre im Non-K-Bereich war beispielsweise<br />
2010 die Teilnahme beim Projekt CESAR mit<br />
dem Fokus „Durchgängige Entwicklungsprozesse<br />
für Embedded Systems“ im Rahmen der<br />
Förderschiene ARTEMIS (Gesamtbudget 58,5<br />
Millionen Euro). Im Jahr 2011 wurde das VIR-<br />
TUAL VEHICLE in zwei Projekten (GRESIMO<br />
und der University of Sheffield (UK) wies eine<br />
gute Übereinstimmung auf. Diese erweiterten<br />
Modelle haben hohe Relevanz in Bezug auf<br />
die optimale und damit wirtschaftliche Ausnut-<br />
zung des Rad-Schiene Kontakts. Die positiven<br />
Ergebnisse des Projektes stießen bei den Projektpartnern<br />
auf vollste Zufriedenheit. ■<br />
V.l.n.r.: Reihe vorne: DI Alexander Meierhofer (VIRTUAL VEHICLE), Dr. Klaus Six (VIRTUAL VEHICLE),<br />
DI Gabor Müller (VIRTUAL VEHICLE); Reihe hinten: Dr. Richard Stock (voestalpine Schienen GmbH),<br />
Dr. Heinz-Peter Kotz (Siemens AG Österreich), Prof. Peter Dietmaier (TU Graz), Ing. Wolfgang Zottl<br />
(ÖBB-Infrastruktur AG), DI Florian Saliger (ÖBB-Infrastruktur AG)<br />
VIRTUAL VEHICLE: Ein Fixstern auf der EU-Forschungsbühne<br />
und ENFASS) als Koordinator bestellt. GRESI-<br />
MO stellt dabei einen essentiellen Meilenstein<br />
für das Unternehmen dar, da es das bisher am<br />
höchsten mit Punktzahl bewertete EU-Projekt<br />
im Bereich „Europäische Ausbildungsprogramme<br />
- Marie Curie“ ist. Der Erfolgsweg im<br />
non-K-Bereich hat sich auch 2012 fortgesetzt.<br />
10 neue EU-Projekte mit einem Gesamtbudget<br />
für das VIRTUAL VEHICLE von 4,3 Millionen<br />
Euro wurden mit Ende des Jahres eingereicht,<br />
wobei das Forschungszentrum in vier Projekten<br />
als Koordinator vorgesehen ist.<br />
Interdisziplinäre Entwicklung von<br />
Straßen- und Schienenfahrzeugen<br />
Prozesse, Methoden, Tools, Best Practices<br />
Neben den Aktivitäten auf europäischer Ebene<br />
engagiert sich VIRTUAL VEHICLE zudem<br />
auch verstärkt in nationalen Projekten. 2012<br />
startete beispielsweise das Leuchtturm-Projekt<br />
VECEPT zum Thema Elektromobilität, in dem<br />
das K2-Zentrum eine wichtige Rolle innehat.<br />
VIRTUAL VEHICLE widmet sich in einigen Projekten<br />
auf nationaler Ebene auch Themen wie<br />
Gender Mainstreaming und Nachwuchsförderung<br />
für technische Berufe. ■<br />
6. GRAZER 6. GRAZER SYMPOSIUM SYMPOSIUM<br />
VIRTUELLES FAHRZEUG<br />
VIRTUELLES FAHRZEUG<br />
14.-15. Mai 2013 Graz<br />
14.-15. Mai 2013 Graz<br />
magazine Nr. 14, II-2013<br />
35
Rail mit System:<br />
■ Gemeinsame Betrachtung von Fahrzeug<br />
und Fahrweg<br />
■ Optimierung des Gesamtsystems Bahn<br />
VIRTUAL VEHICLE ist ein internationales Forschungszentrum,<br />
das sich mit der Fahrzeugentwicklung und zukünftigen<br />
Fahrzeugkonzepten für Straße und Schiene<br />
befasst.<br />
Unsere Expertise bietet eine interessante Kombination<br />
von Testverfahren und innovativen Simulationsmodellen,<br />
eine umfassende Systemsimulation sowie Methoden<br />
und Prozesse für die Gesamtfahrzeugentwicklung.<br />
Gemeinsam mit zahlreichen internationalen Premium-<br />
OEMs, Tier-1 Zulieferern und SW-Herstellern entwickeln<br />
unsere 200 Forscherinnen und Forscher Technologie<br />
für effiziente, leistbare und umweltfreundliche<br />
Fahrzeuge von morgen.<br />
magazine<br />
Kompetenzzentrum Das virtuelle Fahrzeug Forschungsgesellschaft mbH ■ A-8010 Graz, Inffeldgasse 21/A<br />
Tel.: +43 (0)316-873-9001 ■ Fax: +43 (0)316-873-9002 ■ E-Mail: office@v2c2.at ■ Internet: www.v2c2.at<br />
RAILSYSTEMS<br />
Unsere Expertise:<br />
■ Fahrzeugdynamik<br />
■ Kontaktmechanik<br />
■ Verschleiß & Rollkontaktermüdung<br />
■ Gleiszustands-/ Interaktionsbewertung<br />
■ Strukturmechanik / Strukturdynamik<br />
Nr. 14, II-2013<br />
www.v2c2.at