Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Deutsch-englische Ausgleichsbemühungen im Sommer 1939 391<br />
Die britische Regierung konnte die Öffentlichkeit erst dann von ihren Absichten<br />
und „von den bisher getanen Schritten" in Kenntnis setzen, wenn die Verhandlungsbereitschaft<br />
Deutschlands feststand und „zum mindesten Einigkeit über das<br />
Programm, vielleicht über einige allgemeine Grundsätze erzielt" war 135 . Im augenblicklichen<br />
Stadium der Gespräche mußten alle Pläne über Verhandlungen mit<br />
Deutschland von Churchill, Duff Cooper u. a. sofort mit der Parole „Kein zweites<br />
München!" torpediert werden 136 . Die Fortsetzung der Gespräche war nun, bei<br />
dem zu erwartenden scharfen Protest der britischen Öffentlichkeit und der alarmierten<br />
Opposition, wesentlich schwieriger geworden, im Augenblick vielleicht<br />
sogar unmöglich. Es mußte erst wieder Ruhe eintreten, ehe man die Gespräche<br />
„in größter Vertraulichkeit" wiederaufnahm, wozu die britische Regierung durchaus<br />
bereit war.<br />
Die in der Presse erschienenen Meldungen von deutsch-englischen Gesprächen<br />
erhielten eine dramatische Zuspitzung in der Öffentlichkeit, als am 22. und 23. Juli<br />
von deutsch-feindlich gesinnten Blättern, wie dem „Daily Telegraph" und dem<br />
„News Chronicle", ein „ganz phantastisches und verlogenes Verhandlungsprogramm"<br />
137 herausgebracht wurde, das das sensationell aufgebauschte Gerücht enthielt,<br />
die britische Regierung habe Deutschland als Grundlage <strong>für</strong> eine endgültige<br />
Verständigung eine Anleihe von 1 Milliarde Pfund angeboten 138 . Diese sensationelle<br />
Meldung explodierte in der britischen Öffentlichkeit wie eine Bombe und<br />
richtete in der gesamten Diplomatie große Verwirrung an 139 .<br />
Office, in dem zahlreiche Gegner einer Verständigungspolitik gegenüber Deutschland saßen,<br />
an die Öffentlichkeit gedrungen sei (M. Freund, Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten,<br />
Bd. II: An der Schwelle des Krieges, München 1955, S. 406). Ganz unwahrscheinlich<br />
klingt die Darstellung F. Hesses, der in seinen Erinnerungen äußert, daß die Pressemeldungen<br />
auf ein Mißverständnis zurückzuführen seien. Hudson habe Chamberlain Bericht<br />
erstatten wollen und unter alkoholischer Einwirkung irrtümlicherweise statt beim Premier<br />
bei dem ihm befreundeten Chefredakteur des „Daily Express" angerufen (P. Hesse, Spiel<br />
um Deutschland, S. 171; vgl. dazu H. Krausnick, a. a. 0., S. 217ff.). Wollen wir Wohlthats<br />
Aussage folgen, so wissen wir nun, wem die Presse ihre Kenntnisse zu verdanken hatte. Das<br />
Gespräch Hudson-Wohlthat wurde durch eine Indiskretion Hudsons bekannt. Hudson ließ<br />
unvorsichtigerweise bei einem Essen am Abend nach seiner Unterredung mit Wohlthat in<br />
sehr „gehobener Stimmung" etwas über den Inhalt des Gesprächs verlauten, ein anwesender<br />
Journalist veröffentlichte dann das Gehörte unter starker Entstellung (Wohlthat-Protokoll).<br />
135 Bericht Dirksens an das AA vom 24. 7. 1939, ADAP D, VI, Nr. 710. Dirksen erklärte,<br />
wenn sich „auf diese Weise die Aussicht auf einen deutsch-englischen Ausgleich" eröffnete,<br />
würde nach Meinung der britischen Regierung „eine solche Ankündigung" von der britischen<br />
Öffentlichkeit „mit größter Freude" aufgenommen und die „Quertreiber zum Schweigen<br />
bringen" (Ebenda).<br />
136 Ebenda.<br />
137 Bericht Dirksens an das AA vom 24. 7. 1939, ADAP D, VI, Nr. 710.<br />
138 ADAP D, VI, Nr. 708, Anm. 3. Nach Meinung Dirksens sahen die „Gegner jeder Verständigung<br />
mit Deutschland" die „Gelegenheit gekommen . . ., um durch Verbreitung<br />
phantastischer Ideen, die in Deutschland . . . nur Empörung auslösen konnten, jede Möglichkeit<br />
einer Entwicklung konstruktiver Tendenz im Keime zu ersticken" (Dirksen an das<br />
AA, 24. 7. 1939, ADAP D, VI, Nr. 708).<br />
139 Wohlthat-Protokoll.