Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Die Politik der Seekriegsleitimg und die Rebellion der Flotte Ende Oktober 1918 347<br />
auf die Lage ein und sicherte die volle Zahl der geforderten Arbeitskräfte erst nach<br />
Abflauen der augenblicklichen Kämpfe zu. Angesichts der Bauer genau bekannten,<br />
hoffnungslosen Ersatzsituation Ende September 1918 14 kann man seinem offenkundig<br />
unverantwortlichen Handeln nur dann einen Sinn abgewinnen, wenn man<br />
unterstellt, daß er das ganze Scheer-Programm vornehmlich als eine nach innen<br />
und außen wirkende Propagandaaktion ansah. Das große U-Boot-Bauprogramm<br />
der SKL charakterisiert sich demnach, einmal ganz abgesehen von den Ereignissen<br />
des Oktober, als ein Plan, der den Realitäten in keiner Weise mehr entsprach.<br />
Während der Verhandlungen um das Scheer-Programm spielte sich eine Episode<br />
ab, die ein scharfes Licht auf den Anspruch der SKL warf, die einzige, zentrale<br />
Kommandobehörde der Marine zu sein, und die bewies, daß sie diesen Anspruch<br />
gegenüber den anderen Immediatbehörden durchzusetzen vermochte. Als Ersatz<br />
<strong>für</strong> Admiral v. Capelle, als Staatssekretär des Reichsmarineamts, war von dem<br />
Kabinettschef mit Billigung Scheers der Admiral Paul Behncke ausersehen worden.<br />
Behncke hatte die Geschäfte übernommen und befaßte sich intensiv mit der Vorbereitung<br />
des Scheer-Programms. Er leitete am 19. September eine Sitzung mit<br />
den beteiligten Industriellen unter Führung von Stinnes, der offensichtlich mit<br />
dem Ergebnis der Besprechung keineswegs zufrieden war und dies die SKL wissen<br />
Heß. Während des Thronvortrages am 22. September verlangte und erreichte<br />
Scheer unter Berufung auf die Kritik aus Industriekreisen die Abberufung Behnckes<br />
und seine Ersetzung durch den bisherigen Chef des U-Bootsamtes, v. Mann-Tiechler.<br />
Der zuständige Kabinettschef war zwar kurz vor dem Thronvortrag informiert<br />
worden, aus der Form seiner Aufzeichnungen über diesen Vorgang geht jedoch<br />
hervor, daß er in eine Statistenrolle gedrängt worden war 15 .<br />
Levetzow hatte bereits im Juli die Notwendigkeit eines umfangreichen personellen<br />
Revirements zunächst innerhalb des Admiralstabes gefordert und gegen den<br />
Widerstand des Kabinettschefs auch durchgesetzt. Es ist bisher kaum beachtet<br />
worden, daß diese personellen Maßnahmen auch außerhalb der Zentralbehörden<br />
bedeutende Veränderungen mit sich brachten. Insbesondere die Hochseeflotte<br />
wurde hiervon betroffen, so daß ihre Einsatzfähigkeit wenn nicht in Frage gestellt,<br />
so doch eingeschränkt war. In einem Brief an Levetzow vom 22. August faßte<br />
Trotha die Situation folgendermaßen zusammen: „Bei uns schieben die Verhältnisse<br />
sich auch langsam hin. Die Unruhe in allen führenden Stellen und die Unsicherheit<br />
zwischen den Kommandanten wird noch eine Weile dauern. Am<br />
schlimmsten steht es da zunächst bei den Kleinen Kreuzern, <strong>für</strong> die Kommandanten<br />
zu finden reichlich schwierig ist." Eine genauere Untersuchung des Umfanges der<br />
in der Zeit von August bis Oktober vorgenommenen Personalveränderungen, be-<br />
14 Vgl. H. v. Kuhl, Entstehung, Durchführung und Zusammenbruch der Offensive von<br />
1918, in: WUA, IV. Reihe, Bd. 3, 3 1928, S. 58ff. Zu Bauers Haltung vgl. M. v. Levetzow,<br />
Der letzte Akt, S. 57.<br />
15 G. A. v. Müller, Regierte der Kaiser?, S. 417, und KTB der SKL, Anlagenband, Anlage<br />
IV. Behncke hat die Vorgänge in einer Niederschrift vom Oktober 1918 in seiner Sicht<br />
dargestellt — Bundesarchiv-Militärarchiv, Sammlung Kaiserliche Marine, K 05-3/3.