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András Sütő Mutter verspricht guten Schlaf - Adatbank

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ihrem Auftauchen dröhnte das Dorf wie ein Rieseninstrument.<br />

Ineinander eingehakt zogen wir durch alle Straßen und sangen<br />

mit funkelnagelneuen Stimmen: „Lang, lang ist’s her, daß in<br />

den Csitári-Bergen Schnee gefallen ist.“ Wo die Csitári-Berge<br />

sind? Niemand wußte es. Es war auch nicht wichtig. Scharenweise<br />

durchschwärmten wir tagsüber den Tannenwald; im Gras<br />

auf dem Bauch liegend, Kinn und Aufmerksamkeit hochgestützt,<br />

ließen wir uns von Fräulein Eva unterweisen. In Rätseln, Balladen,<br />

in Kinderliedern von Bartók und Kodály. Anschließend ertüchtigten<br />

wir uns in den Tannenwipfeln. Wir flogen geradezu, wie<br />

eine Schar angeheiterter Amseln. Wir erbauten uns an unseren<br />

neuen, für die Seele maßgeschneiderten Kleidern und kosteten<br />

die unerwarteten Verwandlungsmöglichkeiten aus: „Wind soll<br />

aus mir werden, wenn ich sterbe.“ Als sie nach Verstreichen des<br />

Sommers fortging, gab sich die Königstochter zu erkennen:<br />

sie hieß Frau Dr. Dezső László. Im nächsten Jahr kam sie nicht<br />

mehr und auch später nicht. Für Bartók, auch für Kodály, bedeutete<br />

dies den einzigen Besuch in Pusta-Kamarasch. Noch<br />

heute kennt man sie hier nicht. Ich habe sieben Kinder gefragt,<br />

und acht haben den Kopf geschüttelt: sie wissen nicht, wer diese<br />

Männer gewesen sein könnten. Dafür kennen sie Herrn Bartalis:<br />

er hatte eine Holzschneidemaschine. Die Lieder Fräulein Evas<br />

haben sich dennoch erhalten — wenn auch verstümmelt — wie<br />

perennierende Pflanzen.<br />

Die Fesseln der Heiterkeit<br />

Über diesem kleinen Umweg in die Vergangenheit ist der Sommer<br />

vergangen und der September eingetroffen. Es ist Sonntag,<br />

die Glocken läuten, auf der Straße draußen tauchen im Feiertagsstaat<br />

die eifrigeren Kirchgänger auf. Ich wasche mich auf<br />

dem Flur, im Fadenkreuz ihrer Blicke und Worte. Es fragen<br />

mich gleich mehrere:<br />

„Kommst du nicht zum Gottesdienst?“<br />

Dies ist eher ein Gruß als eine Frage. Ohne eine Antwort<br />

abzuwarten, gehen sie die Straße hinunter. <strong>Mutter</strong> schaut ihnen<br />

nach, dann wendet sie sich an mich:<br />

„Könntest auch mal hingehn.“<br />

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