23.10.2012 Aufrufe

András Sütő Mutter verspricht guten Schlaf - Adatbank

András Sütő Mutter verspricht guten Schlaf - Adatbank

András Sütő Mutter verspricht guten Schlaf - Adatbank

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Während meine <strong>Mutter</strong> — im Hinblick auf die zu erwartenden<br />

Gäste — nach dem Vesperläuten den Kümmelschnaps zubereitet,<br />

gehe ich auf einen Sprung ins dritte Nachbarhaus, zum reformierten<br />

Seelsorger. Auf einer steinernen Tafel an der Wand<br />

des etwas stattlicheren Steinhauses steht geschrieben, daß dieses<br />

Obdach eine herrschaftliche Stiftung ist. Zwei Zimmer, Küche<br />

und das Pfarramt. Ein ansehnlicher Garten und ein Hof. Diesem<br />

gegenüber die ehemalige reformierte Schule, an die Lehrerwohnung<br />

angebaut. Nach der Vereinigung der Schulen sind die<br />

Kinder in das <strong>Schlaf</strong>gemach des Ugron-Herrschaftshauses übersiedelt;<br />

im Klassenzimmer hat eine ärztliche Ordination den<br />

Betrieb eröffnet. In einem Zimmer der Lehrerwohnung ist der<br />

Kindergarten untergebracht, im anderen hat sich der Volksratssekretär<br />

installiert. Dem Lehrer — der zwischen Klausenburg<br />

und Schule hin und her pendelt, um seine Stunden zu halten,<br />

und jetzt gerade marschbereit ist — wurde zum Verschnaufen<br />

die Küche der Pfarrwohnung zugewiesen. Früher war es den<br />

Kindern strengstens untersagt, durch den Haupteingang zum<br />

Pfarrer zu gehen; also gehe ich instinktiv auf die Küchentreppe<br />

zu, bis mir bewußt wird, daß ich die Kindheit längst gegen das<br />

Recht auf den Haupteingang vertauscht habe. Ich habe einen<br />

schlechten Handel abgeschlossen, doch darüber zerbreche ich<br />

mir jetzt umsonst den Kopf. Meine Reue ist ebenso bedrückend<br />

wie sinnlos. Hochwürden — ein feister, freundlicher Mann in<br />

mittleren Jahren — diskutiert mit seinen Söhnen gerade die<br />

Schulaufgaben. Stur behaupten die beiden, daß ein Jahr vierundfünfzig<br />

Wochen habe, bis der Vater außer sich gerät und gegen<br />

den Irrtum protestiert. „So hat’s die Frau Lehrerin an die Tafel<br />

geschrieben.“ „Zweiundfünfzig!“ schmettert die hochwürdige<br />

Stimme. Die Kinder würden es auch glauben — zumal sie es<br />

in meiner Person mit einem weiteren gelehrten Gegner zu tun<br />

haben —, doch erscheint ihnen die Korrektur gewagt: „So war’s<br />

aufgeschrieben.“ Dann soll einer zum Klassenkollegen hinüberlaufen<br />

und fragen, was der an der Tafel gesehen hat. „Vierundfünfzig!“<br />

kommt das Kind triumphierend zurückgerannt.<br />

Dennoch beugt es sich schließlich dem ketzerischen Druck;<br />

es <strong>verspricht</strong> sogar, notfalls den zweiundfünfziger Standpunkt<br />

zu verfechten. Unsere gemeinsamen Recherchen nach dem Ursprung<br />

des Irrtums ergeben, daß die Lehrerin — eigentlich eine<br />

Schneiderin, die eine Textilschule absolvierte und die Kinder nur so<br />

lange in Obhut hat, bis ein Diplomierter aufgetrieben wird —<br />

28

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!