András Sütő Mutter verspricht guten Schlaf - Adatbank
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Während meine <strong>Mutter</strong> — im Hinblick auf die zu erwartenden<br />
Gäste — nach dem Vesperläuten den Kümmelschnaps zubereitet,<br />
gehe ich auf einen Sprung ins dritte Nachbarhaus, zum reformierten<br />
Seelsorger. Auf einer steinernen Tafel an der Wand<br />
des etwas stattlicheren Steinhauses steht geschrieben, daß dieses<br />
Obdach eine herrschaftliche Stiftung ist. Zwei Zimmer, Küche<br />
und das Pfarramt. Ein ansehnlicher Garten und ein Hof. Diesem<br />
gegenüber die ehemalige reformierte Schule, an die Lehrerwohnung<br />
angebaut. Nach der Vereinigung der Schulen sind die<br />
Kinder in das <strong>Schlaf</strong>gemach des Ugron-Herrschaftshauses übersiedelt;<br />
im Klassenzimmer hat eine ärztliche Ordination den<br />
Betrieb eröffnet. In einem Zimmer der Lehrerwohnung ist der<br />
Kindergarten untergebracht, im anderen hat sich der Volksratssekretär<br />
installiert. Dem Lehrer — der zwischen Klausenburg<br />
und Schule hin und her pendelt, um seine Stunden zu halten,<br />
und jetzt gerade marschbereit ist — wurde zum Verschnaufen<br />
die Küche der Pfarrwohnung zugewiesen. Früher war es den<br />
Kindern strengstens untersagt, durch den Haupteingang zum<br />
Pfarrer zu gehen; also gehe ich instinktiv auf die Küchentreppe<br />
zu, bis mir bewußt wird, daß ich die Kindheit längst gegen das<br />
Recht auf den Haupteingang vertauscht habe. Ich habe einen<br />
schlechten Handel abgeschlossen, doch darüber zerbreche ich<br />
mir jetzt umsonst den Kopf. Meine Reue ist ebenso bedrückend<br />
wie sinnlos. Hochwürden — ein feister, freundlicher Mann in<br />
mittleren Jahren — diskutiert mit seinen Söhnen gerade die<br />
Schulaufgaben. Stur behaupten die beiden, daß ein Jahr vierundfünfzig<br />
Wochen habe, bis der Vater außer sich gerät und gegen<br />
den Irrtum protestiert. „So hat’s die Frau Lehrerin an die Tafel<br />
geschrieben.“ „Zweiundfünfzig!“ schmettert die hochwürdige<br />
Stimme. Die Kinder würden es auch glauben — zumal sie es<br />
in meiner Person mit einem weiteren gelehrten Gegner zu tun<br />
haben —, doch erscheint ihnen die Korrektur gewagt: „So war’s<br />
aufgeschrieben.“ Dann soll einer zum Klassenkollegen hinüberlaufen<br />
und fragen, was der an der Tafel gesehen hat. „Vierundfünfzig!“<br />
kommt das Kind triumphierend zurückgerannt.<br />
Dennoch beugt es sich schließlich dem ketzerischen Druck;<br />
es <strong>verspricht</strong> sogar, notfalls den zweiundfünfziger Standpunkt<br />
zu verfechten. Unsere gemeinsamen Recherchen nach dem Ursprung<br />
des Irrtums ergeben, daß die Lehrerin — eigentlich eine<br />
Schneiderin, die eine Textilschule absolvierte und die Kinder nur so<br />
lange in Obhut hat, bis ein Diplomierter aufgetrieben wird —<br />
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