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2. Klassische Kommunikationsmodelle und ... - Hochschule Kehl

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<strong>Hochschule</strong> <strong>Kehl</strong> - Vorlesung Psychologie Gr<strong>und</strong>studium<br />

Auszug aus der Veröffentlichung:<br />

Prof. H.-J. Feuerstein<br />

Zwischenmenschliche Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln *<br />

Inhalt:<br />

1. Zur Rolle der Kommunikation in der Verwaltung 2<br />

1.1 Welche Bedeutung hat zwischenmenschliche Kommunikation für die<br />

Verwaltungspraxis? 2<br />

1.2 Welche negativen Erscheinungen in der Verwaltungspraxis sind auf mangelhafte<br />

Kommunikationsfähigkeit zurückzuführen? 4<br />

1.3 Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Verwaltungsreform <strong>und</strong> der<br />

Gestaltung zwischenmenschlicher Kommunikation? 5<br />

1.4 Zum Verhältnis von Theorie <strong>und</strong> Verwaltungspraxis: Aufgabe des Studiums? 5<br />

1.5 Welche Rolle spielt Psychologie bei der Analyse <strong>und</strong> Verbesserung der sozialen/<br />

kommunikativen Kompetenz? 6<br />

<strong>2.</strong> <strong>Klassische</strong> <strong>Kommunikationsmodelle</strong> <strong>und</strong> Verwaltungshandeln 8<br />

<strong>2.</strong>1 Sender – Empfänger – Modell 8<br />

<strong>2.</strong>1.1 Das Modell von Shannon & Weaver 8<br />

<strong>2.</strong>1.2 Die Übertragung des Modells auf menschliche Kommunikation 9<br />

<strong>2.</strong>1.3 Die Anwendung des Modells auf Interkulturelle Kommunikation 10<br />

<strong>2.</strong>2 Axiome der Kommunikation 16<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong>1 Das Modell von Watzlawick et al. 16<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong>2 Die Anwendung des Modells auf interkulturelle Kommunikation 16<br />

<strong>2.</strong>3 Maximen der Kommunikation (Paul Grice) 20<br />

<strong>2.</strong>3.1 Relevanzprinzip <strong>und</strong> Gemeinsames Wissen 20<br />

<strong>2.</strong>3.2 Maximen der Kommunikation: Kulturell begrenzt 22<br />

<strong>2.</strong>4 Konstruktive Gr<strong>und</strong>haltungen in der Kommunikation: Der personzentrierte Ansatz<br />

(Carl R. Rogers) 22<br />

<strong>2.</strong>5 Weitere Modelle zwischenmenschlicher Kommunikation 24<br />

<strong>2.</strong>6 Interkulturelle Kommunikation als Stress- Situation 24<br />

3. Literatur 25<br />

*<br />

Dieser Text verwendet Teile aus folgendem Artikel:<br />

H.J. Feuerstein, 2001, Interkulturelle Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln. In: Riehle, E. (Hrsg.), Interkulturelle<br />

Kompetenz in der Verwaltung? Kommunikationsprobleme zwischen Migranten <strong>und</strong> Behörden.<br />

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 195-236<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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<strong>Hochschule</strong> <strong>Kehl</strong> - Vorlesung Psychologie Gr<strong>und</strong>studium<br />

1. Zur Rolle der Kommunikation in der Verwaltung<br />

1.1 Welche Bedeutung hat zwischenmenschliche Kommunikation<br />

für die Verwaltungspraxis?<br />

Kommunikation spielt eine zentrale, immer größere Rolle im beruflichen Alltag, auch in der<br />

öffentlichen Verwaltung. Das Bild des Beamten, der allein in seinem Kämmerchen sitzt <strong>und</strong><br />

still, mit Akten <strong>und</strong> Verordnungen beschäftigt, einzelgängerisch vor sich hin arbeitet, ist von<br />

der Wirklichkeit weit entfernt:.<br />

� Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 80% des täglichen Verwaltungshandelns<br />

mit mündlicher <strong>und</strong>/oder schriftlicher Kommunikation verb<strong>und</strong>en ist;<br />

� Führung, für FH- AbsolventInnen oft schon unerwartet früh bei Berufseintritt, mindestens<br />

aber mittelfristig eine Regelaufgabe in Behörden, wird häufig sogar gleichgesetzt<br />

mit Kommunikation (so z.B. O. Neuberger).<br />

� Hinterlegt man „Bürgerkommune“ als neues Leitbild der Verwaltung, so lässt sich die<br />

Behauptung in den Raum stellen: Verwalten = Kommunizieren.<br />

Neueste Befragungsergebnisse zeigen, dass Praktiker der Verwaltung der Kommunikationspsychologie<br />

eine sehr hohe Bedeutung zumessen. Hier die Ergebnisse der Praxisbefragung<br />

unter 534 Praktikern in Baden – Württemberg (über 80% davon DiplomverwaltungswirtInnen),<br />

die zur Vorbereitung der Studienreform (Bachelor) im Frühjahr 2006 durchgeführt<br />

wurde.<br />

Bedeutsamkeit der Fachkenntnisse für die Tätigkeit im gehobenen Dienst: Gesamtergebnis (n=534)<br />

(geordnet nach Höhe des Medianwertes/Mittelwertes, mit Standardabweichung)<br />

1: Bedeutung sehr gering bis 4: Bedeutung sehr hoch (s: Standardabweichung)<br />

Mittelwert s Median<br />

Kommunikationspsychologie, z.B. Gesprächsführung, Beratung<br />

Interkulturelle Kommunikation 3,4 0,7 4,0<br />

Organisationspsychologie, z.B. Arbeitszufriedenheit, Teamarbeit,<br />

Konfliktmanagement, Stressprävention 3,3 0,8 4,0<br />

Personalpsychologie, z.B. Selbstmanagement, Mitarbeiterführung,<br />

Arbeitsmotivation 3,3 0,8 3,0<br />

Allgemeines Verwaltungsrecht 3,0 0,9 3,0<br />

Kommunalpolitik 3,0 1,0 3,0<br />

Projektmanagement 2,9 1,0 3,0<br />

Funktionsweise von Gruppen/Gremien 2,9 0,9 3,0<br />

Organisationsmanagement 2,8 1,0 3,0<br />

Kommunalrecht 2,8 1,1 3,0<br />

Kommunales Wirtschaftsrecht 2,8 1,1 3,0<br />

Qualitätsmanagement 2,7 1,0 3,0<br />

Personalmanagement 2,7 1,1 3,0<br />

Kosten- <strong>und</strong> Leistungsrechnung 2,7 1,1 3,0<br />

Entscheidungswege in der Demokratie 2,7 0,9 3,0<br />

Controlling 2,7 1,1 3,0<br />

Öffentliche BWL 2,6 1,1 3,0<br />

Kommunales Rechnungswesen 2,6 1,1 3,0<br />

BGB 2,6 0,9 3,0<br />

Statistik (Analysen durchführen, Statistiken interpretieren) 2,4 0,9 2,0<br />

Öffentliches Dienstrecht 2,4 1,1 2,0<br />

Elementare VWL Gr<strong>und</strong>begriffe 2,4 0,9 2,0<br />

Software-Einführung (Anforderungserhebung, Auswahlprozesse,<br />

Einführung) 2,3 1,0 2,0<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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Nutzen <strong>und</strong> Kosten öffentlicher Eingriffe 2,3 1,0 2,0<br />

Geschäftsprozesse 2,3 1,0 2,0<br />

Instrumente öffentlicher Eingriffe 2,2 0,9 2,0<br />

Change-Management in Verbindung IT 2,2 1,0 2,0<br />

Arbeitsrecht 2,2 1,1 2,0<br />

Abgabenrecht 2,2 1,1 2,0<br />

Öffentlicher Sektor in gesellschaftlicher Produktion 2,1 0,9 2,0<br />

IT-Strategien <strong>und</strong> IT-Planung (Entwicklung uns Umsetzung) 2,1 1,0 2,0<br />

Empirische Erhebungen (Befragungen von Mitarbeitern <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en) 2,1 0,9 2,0<br />

Baurecht 2,0 1,1 2,0<br />

Staatliches Haushaltsrecht 1,9 1,0 2,0<br />

Ordnungswidrigkeitenrecht 1,9 1,0 2,0<br />

Staatsrecht 1,8 0,8 2,0<br />

Sozialrecht 1,8 1,0 2,0<br />

Europarecht 1,7 0,8 2,0<br />

Umweltverwaltungsrecht 1,7 0,9 1,0<br />

ZPO 1,6 0,8 1,0<br />

Familienrecht 1,5 0,8 1,0<br />

Quelle: Praxisbefragung 2006 (Feuerstein, Jäger & Vollmer), FH <strong>Kehl</strong> 2006<br />

Der hohe Stellenwert psychologischer Themengruppen - an erster Stelle Kommunikationspsychologie<br />

mit den Schwerpunkten Beratung, Gesprächsführung <strong>und</strong> Interkulturelle<br />

Kommunikation – weist auf ein gewandeltes Selbstverständnis der Kommunalverwaltung hin:<br />

Rechtmäßigkeit <strong>und</strong> Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns sind wichtige Qualitäten des<br />

Verwaltungshandelns (das gilt natürlich auch für andere Organisationen) – aber keine Ziele<br />

in sich. Beim „Management des Gemeinwohls“ kommt es vor allem darauf an, gesellschaftliche<br />

Ziele zu vermitteln, <strong>und</strong> durch die Gestaltung der zwischenmenschlichen Prozesse –<br />

unter Beachtung von Recht <strong>und</strong> Wirtschaftlichkeit - in soziale Wirklichkeit umzusetzen. Weder<br />

Mitarbeiter noch Bürger lassen sich heute noch durch schlichte (schriftliche) Vorgaben<br />

<strong>und</strong> Anordnungen lenken <strong>und</strong> motivieren. Für erfolgreiche Zielerreichung müssen die psycho-logischen,<br />

oft verwickelten Verhaltens – <strong>und</strong> Erlebensweisen von Bürgern <strong>und</strong><br />

Mitarbeitern verstanden <strong>und</strong> einbezogen werden - „ins Gespräch kommen“ <strong>und</strong> „im Gespräch<br />

bleiben“ sind deshalb wichtige Kompetenzen für alle Ebenen einer erfolgreichen<br />

(post-) modernen Verwaltung. Standen über die letzten Jahre vor allem die Systeme <strong>und</strong> deren<br />

Veränderung im Mittelpunkt, kommt jetzt die Person, der Einzelne stärker in den<br />

Mittelpunkt des Interesses: Organisation <strong>und</strong> Gesellschaft erscheinen als lebendiger Organismus<br />

einzelner Menschen, der durch deren komplexes Erleben <strong>und</strong> Handeln bewegt wird.<br />

Die Wirkung des Verwaltungshandelns, die bei Bürgern tatsächlich ankommt, wird so letztlich<br />

zum Kriterium für angemessenes, erfolgreiches Verwaltungshandeln; „Abnehmer“ der<br />

AbsolventInnen des Studiengangs „Diplomverwaltungswirt/-in (FH)“ sind demnach letztlich<br />

die BürgerInnen <strong>und</strong> die „Öffentlichkeit“, die nicht mehr im alten Sinn „verwaltet“ werden,<br />

sondern ihre Interessen <strong>und</strong> Lebensbedingungen „gut gemanagt sehen wollen.<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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1.2 Welche negativen Erscheinungen in der Verwaltungspraxis<br />

sind auf mangelhafte Kommunikationsfähigkeit zurückzuführen?<br />

Die Ergebnisse vieler Mitarbeiter- <strong>und</strong> Bürgerbefragungen zeigen deutlich die Relevanz von<br />

Kommunikation für die Leistungsfähigkeit von Behörden <strong>und</strong> die Zufriedenheit von MitarbeiterInnen<br />

wie auch BürgerInnen.<br />

� Gestörte Kommunikation zwischen Vorgesetzten <strong>und</strong> MitarbeiterInnen ist häufig Auslöser<br />

<strong>und</strong> aufrecht erhaltende Bedingung für Demotivation <strong>und</strong> mangelnde Leistungsbereitschaft.<br />

Nach wie vor fehlt es vielen Führungskräften in der Verwaltung an angemessenen<br />

Führungs-/Kommunikationsstilen (Klages. H., 1991). Viele Führungskräfte sind unter rein<br />

fachlichen oder politischen Gesichtspunkten in ihre Position gekommen – ausreichende<br />

Qualifikationen bzw. Schulung <strong>und</strong> Unterstützung bei der professionellen Gestaltung von<br />

Führungskommunikation sind oft nicht gegeben. Aber auch auf Mitarbeiterseite fehlen oft<br />

die komplementären Fähigkeiten <strong>und</strong> Haltungen für offene Kommunikation, die eine gute<br />

Kommunikationskultur ausmachen<br />

� Blockierte Kommunikation zwischen MitarbeiterInnen führt häufig zu mangelnder Leistung<br />

von Sachgebieten, Abteilungen. Arbeitsgruppen. Der Abbau von Hierarchien <strong>und</strong> die<br />

Vergrößerung der Ermessensspielräume bringt automatisch mehr Verantwortung für die<br />

Sachbearbeiter-Ebene hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der kollegialen Zusammenarbeit<br />

<strong>und</strong> der fachlichen Abstimmung in Konfliktfällen.<br />

� Permanent belastende, überfordernde Kommunikationssituationen in publikumsintensiven<br />

Ämtern wie Sozialamt, Ordnungsamt, aber auch in Bürgerbüros führen einerseits zu<br />

Frustration, erhöhten Krankheitsraten bis hin zum Burnoutsyndrom 1 . Bei Bürgern als<br />

„K<strong>und</strong>en“ der Verwaltung, oder „Objekten“ von Verwaltungsakten entsteht oft noch das<br />

Gefühl unangemessener, obrigkeitsstaatlicher Behandlung, das am Ende zu negativen<br />

Beziehungen zur eigenen „Bezugsperson“ in der Verwaltung führt <strong>und</strong> positive Handlungsergebnisse<br />

kaum mehr zulässt. Diplomverwaltungs-wirtInnen fühlen sich oft für<br />

solche Tätigkeiten zu wenig professionell vorbereitet (im Vergleich z.B. zu Sozialpädagogen/Sozialarbeiter),<br />

reagieren aus Überforderung mit destruktivem Verhalten gegenüber<br />

den Klienten oder zeigen Fluchttendenzen (erhöhte Absenz, Krankheit, innere Kündigung,<br />

Fluktuation)….<br />

� Der Sinn von Gesetzen läuft oft Gefahr, durch unangemessene Kommunikationsgestaltung<br />

seitens der Verwaltungen ins Gegenteil verkehrt zu werden: Anstatt mit den Bürgern<br />

Probleme zu lösen, werden Probleme nur verwaltet oder sogar geschaffen für Betroffene.<br />

Beispiel: Kontakte mit dem Sozialamt werden von Hilfeempfängern oft als demotivierend<br />

oder gar demütigend erlebt – statt als „Hilfe zur Selbsthilfe“, wie es im Sozialhilfegesetz<br />

vorgesehen ist. Analog dazu sei auch an die derzeitige Diskussion über die mangelnde<br />

Wirksamkeit von bürokratisch organisierten Arbeitsämtern bei der Beratung <strong>und</strong> Vermittlung<br />

von Arbeitssuchenden erinnert. Ebenso wird der Kommunikationsstil von<br />

Ausländerämtern gegenüber ausländischen „K<strong>und</strong>en“ als wenig hilfreich <strong>und</strong> wirksam für<br />

die Lösung von Integrationsproblemen beschrieben (s. a. Riehle, E. (Hrsg.), 2001).<br />

Burnout-Syndrom (englisch burn out: ausbrennen), Zustand der chronischen Erschöpfung, der durch Antriebs<strong>und</strong><br />

Leistungsschwäche, Gedächtnisstörungen, Niedergeschlagenheit <strong>und</strong> Müdigkeit gekennzeichnet ist, oftmals<br />

begleitet von einer erhöhten Anfälligkeit für Depressionen , Erkrankungen des Herzens <strong>und</strong> Kreislaufsystems sowie<br />

von Infektionen. Das Burnout- Syndrom ist eine stressbedingte Ges<strong>und</strong>heitsstörung (Quelle: Encarta 2002).<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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1.3 Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Verwaltungsreform<br />

<strong>und</strong> der Gestaltung zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation?<br />

Da Verwaltungen, anders als Wirtschaftbetriebe, durch mangelnde Motivation <strong>und</strong> Leistungsbereitschaft<br />

<strong>und</strong> daraus resultierender geringer Akzeptanz bei K<strong>und</strong>en im eigenen<br />

Bestand nicht bedroht sind („nicht Konkurs gehen können“), konnte man solche Erscheinungen<br />

lange Jahre in Verwaltungsorganisationen einfach ignorieren oder als nicht änderbares<br />

Schicksal hinnehmen. Die Krise der kommunalen Haushalte <strong>und</strong> die damit einhergehende<br />

Notwendigkeit zur Reform der Verwaltung mit dem Ziel erhöhter Leistungsfähigkeit der Organisation<br />

<strong>und</strong> Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zwingen nun auch die<br />

Verwaltungsmitglieder dazu, sich mit Fragen der zwischenmenschlichen Kommunikation professionell<br />

zu beschäftigen. Es wird deutlich, dass für die wirksame, problemlöse- orientierte<br />

Gestaltung von Kommunikationsprozessen auch in der öffentlichen Verwaltung professionelles<br />

Know-How benötigt wird – das „naive“ Alltagswissen reicht bei weitem nicht mehr aus,<br />

um den komplexen Kommunikations-Aufgaben in Führung, Zusammenarbeit <strong>und</strong> Beratung in<br />

einer modernen Verwaltungsorganisation zu genügen.<br />

1.4 Zum Verhältnis von Theorie <strong>und</strong> Verwaltungspraxis: was<br />

ist Aufgabe des Studiums?<br />

Im Folgenden werden problematische Situationen aus der Verwaltungspraxis erörtert <strong>und</strong> im<br />

Zusammenhang theoretischer Perspektiven alternative Handlungsmöglichkeiten entwickelt.<br />

Von vielen Studierenden (im Selbstverständnis „SchülerInnen“ <strong>und</strong> „Azubis“?) kommt in solchen<br />

Situationen erfahrungsgemäß schnell der Einwand: „ Alles uninteressant - so läuft das<br />

in der Praxis nicht!“.<br />

Dazu eine gr<strong>und</strong>sätzliche Positionsbestimmung:<br />

In einer „Verwaltungslehre“ als idealisierter Form der Praxiserfahrung im Dienstanfängerjahr<br />

steht erfahrungsgemäß das reproduzierende Einüben gängiger Vorgehensweisen, die sich in<br />

der jeweiligen Ausbildungsbehörde als „praktisch“ erwiesen haben, im Mittelpunkt.<br />

Für eine Hochschulbildung kann aber das blinde Wiederholen eingeschliffener Praxismuster<br />

nicht Ziel sein, zumal diese bereits in weiten Teilen als reformbedürftig erkannt wurde: Zum<br />

Kennen der Praxis muss bei HochschulabsolventInnen hinzutreten, dass sie – auch als<br />

künftige potenzielle Inhaber mittlerer Führungspositionen – die gewohnten Herangehensweisen<br />

immer wieder überprüfen im Hinblick auf die damit bewirkten Effekte. Erst diese<br />

reflektierende Ebene mit entsprechender Qualifizierung für die kontinuierliche Verbesserung<br />

<strong>und</strong> Weiterentwicklung der Praxis legitimiert letztlich eine „gehobene“ Stellung mit entsprechender<br />

Besoldung. Schiere Reproduktion des Hergebrachten, ohne Prüfung der<br />

Legitimität, Wirkung <strong>und</strong> Veränderungsbedürftigkeit, bedarf weder eines Hochschulabschlusses<br />

noch einer höher bezahlten Stellung. Im Prinzip sind dazu allenfalls die Positionen im<br />

einfachen <strong>und</strong> partiell noch im mittleren Dienst bestimmt – selbst für diese steht das aber in<br />

Frage in Verwaltungen, die sich als Lernende Organisationen begreifen.<br />

Wenn also alternative, neue Handlungsoptionen im Rahmen der Hochschullehre erörtert<br />

werden, die (noch) nicht praktiziert werden, so wäre regelmäßig zu fragen:<br />

Ist diese herrschende Praxis wirklich….<br />

� ….sinnvoll, gut <strong>und</strong> richtig im Sinne der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers?<br />

� ….gut, gerecht, konstruktiv für die betroffenen BürgerInnen?<br />

� ….gut für die MitarbeiterInnen?<br />

� ….gut für die SteuerzahlerInnen?<br />

Und wie wäre diese Praxis zu ändern, wenn sie sich bei reflektierender Betrachtung als verbesserungswürdig<br />

herausstellen würde?<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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Dass die öffentliche Verwaltung Bedarf an Reformen hat, ist unumstritten, ist auch Programm<br />

der Landesregierung. Dass dieser Reformbedarf nicht durch die Einführung von<br />

Kosten-Leistungsrechung, Controlling u. ä. erledigt ist, wird ebenfalls kaum bestritten: Regelmäßige<br />

Mitarbeiterbefragungen, Mitarbeitgespräche, Leistungsanreize, Umstellung auf<br />

Gruppenarbeit, Verflachung von Hierarchien, Personalentwicklung u. a. sind inzwischen in<br />

vielen Verwaltungen vor oder in der der Einführungsphase - auch als konkrete Versuche, die<br />

mangelnde Qualität von Führung, Zusammenarbeit <strong>und</strong> Kommunikation zu verbessern.<br />

1.5 Welche Rolle spielt Psychologie bei der Analyse <strong>und</strong> Verbesserung<br />

der sozialen/ kommunikativen Kompetenz?<br />

Ansätze der Verwaltungsreform bewegen sich bisher meist auf der strategischen, systemischen<br />

Ebene. Sie setzen Ziele <strong>und</strong> Rahmenbedingungen, ohne zu konkretisieren, wie diese<br />

mit den konkreten Personen in konkreten Situationen umzusetzen sind. Außerdem formulieren<br />

Sie ihre Strategien aus der fiktiven, lebensfernen Beobachter – Position, die über alle<br />

notwendigen Informationen <strong>und</strong> Rahmenbedingungen verfügt. In der realen Situation ist das<br />

aber gerade das Manko der Akteure: unvollständige Information, ungenügende Transparenz<br />

der Personen <strong>und</strong> Beziehungen, mangelnde Kooperationsbereitschaft, gegenläufige Motivation<br />

zur eigenen. In der konkreten Handlungssituation müssen Spuren gelesen werden,<br />

Fährten verfolgt, Gespräche mit nicht kooperativen Gesprächspartnern geführt, Entscheidungen<br />

unter Unsicherheit getroffen, mangelnde Information verkraftet werden – ohne das<br />

Ziel aus den Augen zu verlieren. Hier wird das gebraucht, was man sich von psychologischen<br />

Kompetenzen erwartet: Suchprozesse in unklaren Situation gestalten, Wege finden zu<br />

<strong>und</strong> mit Personen, sich der Komplexität von zwischenmenschlichen Beziehung stellen <strong>und</strong><br />

Unsicherheit aushalten….<br />

Psychologische Methoden können auf verschiedenen Wegen helfen, soziale Kompetenzen,<br />

wie hier kommunikative Kompetenz, zu fördern:<br />

� Durch Vermittlung von einschlägigem psychologischem Fachwissen über Kommunikation<br />

kann die Fähigkeit zur differenzierteren Analyse von schwierigen oder ineffektiven Konstellationen<br />

in Alltagssituationen verbessert werden. Durch professionelle<br />

Herangehensweisen auch im zwischenmenschlichen Bereich können die Zielorientierung<br />

<strong>und</strong> die Wirksamkeit beruflichen Handelns besser gesichert werden. Was nützt juristisches,<br />

wirtschaftliches oder technisches Fachwissen, wenn es in der kollegialen<br />

Kooperation oder im Kontakt mit Bürgern nicht wirksam werden kann wegen mangelnder<br />

sozialer Kompetenz der SachbearbeiterIn oder des/der Vorgesetzten? Fachwissen ist in<br />

der Regel Gegenstand der herkömmlichen Lehrformen wie Vorlesung, zwischenzeitlich<br />

aber auch vermittelbar durch (multimediale) Lernprogramme. Lernzieltyp: kognitiv.<br />

� Die Entwicklung angemessener Einstellungen zum ausgeübten Beruf wie auch zu Menschen,<br />

mit denen man beruflich zu tun hat. So fordert zum Beispiel der Verwaltungsberuf<br />

die Gleichbehandlung von Bürgern, unabhängig davon, ob manche Bürgergruppen die<br />

gewohnten Lebensformen pflegen oder davon abweichen. Die Herausforderung liegt also<br />

darin, Raum zu geben für die Vielfalt von Lebensformen, solange sich diese im Rahmend<br />

der Gesetze bewegen. Dies betrifft besonders die Spielarten, denen man persönlich eher<br />

ablehnend gegenüber steht: Auch hier ist beruflich faire Kommunikation, Verständnis <strong>und</strong><br />

gerechtes Handeln gefordert. Die Entwicklung solcher Einstellungen kann unterstützt<br />

werden durch Personalentwicklungsangebote wie Supervision oder Coaching, die der<br />

Auseinandersetzung mit den eigenen Wertvorstellungen, im weitesten Sinn dann auch<br />

der Persönlichkeitsentwicklung dienen. Dazu gehört das Vertrauen, dass Menschen sich<br />

ändern <strong>und</strong> entwickeln können – auch das scheint in der Verwaltung entwicklungsbedürftig<br />

zu sein. Lernzieltyp: sozialemotional.<br />

� Die Entwicklung von angemessenen Handlungsstrategien <strong>und</strong> Verhaltensweisen, die es<br />

erlauben, auch in schwierigen Situationen die Ziele der Organisation bzw. des Gesetzgebers<br />

im Blick zu behalten. Bei sozialer Inkompetenz besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter<br />

<strong>und</strong> Vorgesetzte ihre Machtposition dazu nutzen, schwierige Situationen auf Kosten der<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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weniger „Mächtigen“ zu lösen, wobei Ziele wie Mitarbeitermotivation (für Vorgesetztenverhalten)<br />

oder Problemlösungen für Bürger zu schaffen (bei Sachbearbeitern) völlig<br />

untergehen. Das Handeln orientiert sich zu oft daran, das eigene Gesicht nicht zu verlieren<br />

oder in schwierigen Situationen nicht unterzugehen. Solche Handlungskompetenzen<br />

können gefördert werden durch Trainings (Gesprächstrainings, Simulationen, Rollenspiele,<br />

Videofeedback), komplexe Lernumgebungen (z.B. Projektstudium) <strong>und</strong> Praxis<br />

begleitende Supervision bzw. Coaching. Lernzieltyp: aktional.<br />

Auf der folgenden Seite beginnt die Behandlung gr<strong>und</strong>legender <strong>Kommunikationsmodelle</strong>.<br />

Dieser Text soll dem Erwerb von „kognitivem“ psychologischen Fachwissens für die Verwaltungspraxis<br />

dienen, um die Wahrnehmung <strong>und</strong> das Verstehen von kritischen Situationen im<br />

Verwaltungsalltag zu verbessern <strong>und</strong> begründete Alternativen (andere Organisationsgestaltung,<br />

Handlungsstrategien) zu entwickeln. Die Ausführungen zeigen auch, wie allgemeine<br />

Theorien als Leitfaden genutzt werden können, um Erscheinungen im Alltag zu untersuchen<br />

<strong>und</strong> verwickelte Zusammenhänge genauer zu verstehen.<br />

Die Fallbeispiele stammen aus Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsveranstaltungen (Trainingsseminaren,<br />

Moderationen, Coaching / Supervisionsprozessen) mit Angehörigen der öffentlichen<br />

Verwaltung.<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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<strong>2.</strong> <strong>Klassische</strong> <strong>Kommunikationsmodelle</strong> <strong>und</strong> Verwaltungshandeln<br />

<strong>2.</strong>1 Sender – Empfänger – Modell<br />

Zu den klassischen Modellen der Kommunikation zählt das Sender – Empfänger – Modell, das auf<br />

Konzepte des technisch/physikalischen Modells der Nachrichten-Übertragung zurückgreift, wobei in<br />

der aktuellen Rezeption das ursprüngliche allgemeine Modell von Shannon & Weaver mehr oder weniger<br />

stark abgewandelt wird.<br />

<strong>2.</strong>1.1 Das Modell von Shannon & Weaver<br />

Welche Idee steht hinter dem Ansatz, zwischenmenschliche Kommunikation in den Begriffen<br />

von „Sender“ <strong>und</strong> „Empfänger“ abzubilden? Shannon 2 <strong>und</strong> Weaver entwickelten 1949 ein<br />

allgemeines Modell der Kommunikation, das folgende Begrifflichkeiten zur Analyse von<br />

Kommunikationsprozessen einführte.<br />

Nach Shannon <strong>und</strong> Weaver muss eine Kommunikation<br />

sechs Elemente enthalten:<br />

• die Informationsquelle,<br />

• die Verschlüsselung,<br />

• die Nachricht,<br />

• den Kanal,<br />

• die Entschlüsselung <strong>und</strong><br />

• den Empfänger.<br />

Die Kommunikation ist ein linearer Prozess, in<br />

dessen Mittelpunkt das Signal steht. Das Prinzip<br />

des Shannon & Weaver-Modells ist, dass jede<br />

menschliche Kommunikation eine Quelle (information<br />

source) hat. Diese Quelle ist der Sender,<br />

der seine Nachricht (message) in Form eines<br />

Kodes über einen Kanal (transmitter) weitergibt.<br />

(Quelle Stangl, W., Menschliche Kommunikation/Psychologische Modelle. http: www.stangl-taller.at)<br />

Dieses Kommunikationsmodell vermag die wesentlichen Komponenten/Variablen technisch<br />

unterstützte Kommunikation wie Morsen, R<strong>und</strong>funk, Fernsehen, Sprechfunk, Telefon, aber<br />

auch Email abzubilden.<br />

Es wurde jedoch auch schon früh benutzt, um zwischenmenschliche Kommunikation <strong>und</strong> ihre<br />

Störungen abzubilden. Über die Rezeption kybernetischer Modelle ging es in modifizierter<br />

Form auch in die psychologische Modellbildung.<br />

2 2 Shannon, Claude Elwood (1916-2001), amerikanischer Mathematiker <strong>und</strong> Ingenieur, Begründer der Informationstheorie.<br />

Shannon wurde am 30. April 1916 in Petoskey (Michigan) geboren. Nach Abschluss der Schule<br />

besuchte er die Universität Michigan <strong>und</strong> erwarb 1940 seinen Doktortitel am Massachusetts Institute of Technology.<br />

Nachdem er bei den Bell Telefone Laboratories gearbeitet hatte, wurde Shannon 1956 Fakultätsmitglied am<br />

Massachusetts Institute of Technology. Im Jahr 1948 veröffentlichte er den Artikel A mathematical theory of<br />

communication, in dem er sein ursprüngliches Konzept unterbreitete – eine einheitliche Theorie der Nachrichtenübertragung<br />

<strong>und</strong> -verarbeitung. Der Begriff Nachrichten umfasst in diesem Zusammenhang alle Formen von<br />

übertragenen Botschaften, einschließlich derer, die im Nervensystem von lebenden Organismen versendet werden.<br />

Bereits in seiner Diplomarbeit beschrieb der Mathematiker einen Schaltmechanismus auf der Basis der<br />

Boole’schen Algebra <strong>und</strong> führte den Begriff Bit als kleinste Informationseinheit in die Wissenschaft ein.<br />

Shannon litt während seiner letzten Lebensjahre an der Alzheimer-Krankheit. Er starb am 24. Februar 2001 in einem<br />

Pflegeheim in Medford (Massachusetts). (Microsoft ® Encarta ® Professional 200<strong>2.</strong>)<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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Da es sich hier inzwischen um eines der am weitesten verbreiteten Modell zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation handelt, sei es in unserem Zusammenhang an den Anfang gestellt,<br />

genauer erläutert <strong>und</strong> in seiner Nützlichkeit für das Verstehen von menschlichen<br />

Kommunikationsproblemen untersucht. Dabei soll ein spezieller Bereich der Kommunikation<br />

in Verwaltungen genauer betrachtet werden. Die interkulturelle Kommunikation – hier konkret<br />

die Schwierigkeiten von Verwaltungsmitarbeitern mit Bürgern/K<strong>und</strong>en, die aus ander Kulturen<br />

stammen.<br />

Zunächst aber eine kurze Skizze zur Übertragung <strong>und</strong> Ergänzung des Sender-<br />

Empfängermodells auf zwischenmenschliche Kommunikation:<br />

<strong>2.</strong>1.2 Die Übertragung des Modells auf menschliche Kommunikation<br />

Meinen<br />

Absicht<br />

Encodierung<br />

Kanäle<br />

Decodierung<br />

Verstehen<br />

Abbildung 1: Sender – Empfänger –Modell (auf der Gr<strong>und</strong>lage von Herrmann, 1985, 8)<br />

Zwischenmenschliche (interpersonale) Kommunikation wird in Anwendung dieses Modells<br />

begrifflich gefasst als Abfolge von Nachrichtenübermittlungen zwischen Person A <strong>und</strong> Person<br />

B, wobei die Kommunikationspartner abwechselnd in der Rolle von Sender <strong>und</strong><br />

Empfänger sind – ähnlich der Abfolge beim Sprechfunk, bei dem die Beteiligten wählen<br />

müssen zwischen „Senden“ <strong>und</strong> „Empfangen“.<br />

Eine weitere Differenzierung wird üblicherweise so vorgenommen:<br />

Im Sender führt eine Absicht (Intention) als Ausdruck der augenblicklichen organismischen<br />

Bewertung (Carl Rogers) bzw. Spontaneität (Hörmann, 1977,2) zu einem „Bedeutungsvorrat“<br />

(Herrmann, 1985,8) – das, was der Sender „meint“ <strong>und</strong> mitteilen (kommuniziert) will. Dieses<br />

Gemeinte wird „enkodiert“ anhand des verbalen <strong>und</strong> non- verbalen Zeichenvorrates, der dem<br />

Sender zur Verfügung steht. Die Enkodierung der „gemeinten Bedeutung“ in der Person des<br />

Senders erlaubt anschließend deren interpersonelle Übertragung als „Nachricht“ oder „Botschaft“<br />

auf verschiedenen Kanälen (akustisch, optisch, taktil, ....).<br />

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Beim Empfänger wird im nächsten Schritt die übermittelte Zeichensequenz (Botschaft/Nachricht)<br />

aufgr<strong>und</strong> des eigenen Zeichenvorrates „dekodiert“ <strong>und</strong> in<br />

Bedeutungssequenzen übersetzt, die vom Empfänger wiederum als Botschaften des Senders<br />

verstanden / interpretiert werden können. Indem der Empfänger nun auf diese so<br />

verstandene Bedeutung reagiert, wird er selbst zum Sender, der Andere zum Empfänger<br />

Für die weite Verbreitung dieses Modells können verschiedene Gründe vermutet werden:<br />

Die Zerlegung zwischenmenschlicher Kommunikation in Sender-Empfänger - Einheiten <strong>und</strong><br />

die Darstellung zwischenmenschlicher Kommunikation als wechselseitiger Nachrichtenübermittlung<br />

auf der Sachebene kommt wohl der subjektiven Alltagstheorie<br />

zwischenmenschlicher Kommunikation im deutschen Sprachraum recht nahe. Auch der begriffliche<br />

Notstand im Deutschen, dass es für die umfassende Rolle von Personen in der<br />

Kommunikation kein treffendes deutsches Wort zu geben scheint, lässt auch Fachleute zu<br />

den Begriffen „Sender“ <strong>und</strong> „Empfänger“ greifen, wobei oft unklar bleibt, inwieweit im<br />

Gebrauch der Begriffe das ganze Modell impliziert sein soll – wenn beispielsweise die Rede<br />

ist von der „Beziehung“ zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger.....<br />

Die Übersetzung von Sender <strong>und</strong> Empfänger in die vermenschlichten Begriffspaare Sprecher<br />

<strong>und</strong> Hörer ist insofern unbefriedigend, als hier nur auf die akustische Ebene der<br />

Kommunikation Bezug genommen wird – ein deutscher Begriff, der alle Ebenen zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation umgreift, ist offensichtlich nicht vorhanden. Das gilt ebenso für<br />

die „Doppelfunktion“ einer Person im Kommunikationsgeschehen als „Sender/Empfänger“<br />

oder „Sprecher/Hörer“ gleichzeitig (Hermann, 1985, 8ff)<br />

Schließlich sei noch vermerkt, dass der Gebrauch analytischer Einheiten von Sender-<br />

Empfänger-Abfolgen die Reduktion komplexer Prozesse zwischenmenschlicher Kommunikation<br />

auf untersuchbare <strong>und</strong> beschreibbare Untersuchungsgegenstände ermöglicht. Damit<br />

gehen aber wichtige Aspekte <strong>und</strong> Fragestellungen zwischenmenschlicher Kommunikation<br />

verloren, die auf Gleichzeitigkeit <strong>und</strong> Wechselseitigkeit der Kommunikationsprozesse beruhen.<br />

Einige Darstellungen hinterlegen wohl deshalb auch das kybernetische Modell der<br />

Rückkoppelung zur Kennzeichnung der Austauschbeziehung zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger,<br />

um damit die Wechselseitigkeit der Beeinflussung hervorzuheben (so beispielsweise<br />

Thomas, 1991, 60)<br />

<strong>2.</strong>1.3 Die Anwendung des Modells auf Interkulturelle Kommunikation<br />

Was hilft dieses Modell nun bei der Analyse <strong>und</strong> Verbesserung zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation? Diese Frage soll am Beispiel interkultureller Kommunikation erörtert werden<br />

– genauer also: Was kann das Sender-Empfänger-Modell dazu beitragen, bekannte Probleme<br />

interkultureller Kommunikation zu begreifen oder überhaupt erst zu identifizieren?<br />

<strong>2.</strong>1.3.1 Enkodieren <strong>und</strong> Dekodieren zwischen den Kulturen<br />

Greifen wir zunächst die Prozesse von Enkodierung <strong>und</strong> Dekodierung heraus:<br />

Was enkodieren wir eigentlich, wenn wir beispielsweise „etwas zur Sprache bringen“?<br />

Die Frage nach diesem Etwas, das wir als kommunizierende Menschen ständig in Symbole<br />

oder Signale „enkodieren“, ist ein großes Thema in Philosophie, Psychologie, Sprachwissenschaft<br />

– letztlich in allen Disziplinen, die sich mit menschlichem Erleben, Bewusstsein,<br />

Denken, Sprache usw. beschäftigen. Auf dieses Vorbegriffliche, Vorsprachliche im menschlichen<br />

Lebensprozess stoßen wir im Alltag ganz praktisch, wenn wir Worte oder Ausdruck<br />

suchen <strong>und</strong> nicht (gleich) finden. Wenn wir beispielsweise einen Brief oder ein Gedicht<br />

schreiben wollen – <strong>und</strong> Blatt für Blatt wieder zerreißen, weil wir nicht „die richtigen Worte“<br />

finden. Woran messen wir aber, was „richtig“ ist, wenn wir noch gar nicht „wissen, was wir<br />

schreiben wollen“? Im Alltag umschreiben wir diesen inneren Bezugspunkt oft mit „Ahnung“,<br />

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„Gespür“, „Gefühl“ oder „Intuition“, in der Fachsprache (Gendlin, 1994) auch mit organismisch<br />

„fühlbarem Sinn“ (felt sense).<br />

In diesem Kontext stellen sich die klassischen Fragen der „Natur“ des Menschen <strong>und</strong> der<br />

Rolle von Kultur: Fühlen sich Menschen unterschiedlicher Kultur oder „Rasse“ auch gr<strong>und</strong>legend<br />

anders in der Welt? Trennen unterschiedliche Seinsweisen, wie sie sich in den<br />

unterschiedlichen Kulturen ausdrücken, Menschen unüberbrückbar voneinander? Wie tief<br />

reicht Kultur in unsere menschliche Existenz?<br />

Steigen wir, ohne uns hier im Gr<strong>und</strong>sätzlichen zu verlieren, hinab zur Praxis der Interkulturellen<br />

Kommunikation: Wo werden solche Fragen überhaupt relevant?<br />

Einige Beispiele:<br />

Wenn unsere Kommunikationsversuche mit Angehörigen einer anderen Kultur frustrierend sind oder<br />

scheitern: in dieser Situation passiert es oft, dass Betroffene zur Auffassung kommen, dass „uns Welten<br />

trennen“ <strong>und</strong> Verständigung hoffnungslos oder unzumutbar mühsam erscheint. Baut man solche<br />

Positionen zur Interkulturellen Kommunikation argumentativ aus, so erscheint Verständigung zwischen<br />

Angehörigen verschiedener Kulturen gr<strong>und</strong>sätzlich zum Scheitern verurteilt – das subjektive Erleben<br />

gelingender Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen wird mit Täuschung erklärt:<br />

Wenn ich glaube, Angehörige einer „fremden Kultur“ zu verstehen, kann es sich dieser<br />

Auffassung zufolge nur um ein Missverständnis handeln.<br />

In eine ähnliche Richtung gehen auch Positionen einiger afroamerikanischer Vertreter der Interkulturellen<br />

Kommunikation, die sich mit Rassenkonflikten in Großbritannien <strong>und</strong> den USA beschäftigen: Sie<br />

gehen davon aus, dass kein Weißer jemals wirklich verstehen kann, was es heißt, als „Farbiger“ in einer<br />

weißen Gesellschaft zu leben. Die ganz praktische Konsequenz: Rollenspiele oder geleitete<br />

Phantasieübungen in interkulturellen Trainings , in denen beispielsweise weiße Berater die Rolle von<br />

schwarzen Klienten übernehmen, um sich dadurch in die Erlebensweisen ihrer Gesprächspartner einzufühlen<br />

zur Verbesserung ihres Beraterverhaltens, werden aus diesem Blickwinkel sehr skeptisch<br />

beurteilt – man sieht die Gefahr, dass weiße Berater glauben könnten, sie hätten die Situation ihrer<br />

farbigen Klienten verstanden, obwohl sie „keine Ahnung“ haben von deren gr<strong>und</strong>verschiedenen existentiellen<br />

Lebenssituation.<br />

<strong>2.</strong>1.3.2 Zeichen, Sprache <strong>und</strong> Interkulturelle Kommunikation<br />

Wenden wir uns jetzt dem „Zeichenvorrat“ zu, anhand dessen wir enkodieren <strong>und</strong> dekodieren.<br />

Üblicherweise wird darunter „Sprache“ verstanden, letztlich aber alle kommunizierbaren<br />

„Signale“, die intersubjektiv gedeutet werden können. – also nonverbale Signale (Mimik,<br />

Gestik...) <strong>und</strong> paralinguistische Merkmale (Sprechtempo, Lautstärke, Tonlage usw.).<br />

Betrachten wir diesen Aspekt unter dem interkulturellen Aspekt, so treten einige Punkte deutlicher<br />

hervor, die wir in der Kommunikation unter Deutschen kaum bemerken: Die Frage,<br />

welche von den verfügbaren Zeichnsystemen wir verwenden, erweist sich als potenzielle<br />

Quelle kommunikativer Konflikte:<br />

a) Fremdsprachengebrauch<br />

Zunächst zur Bedeutung unterschiedlicher Zeichenvorräte/Sprachen bei den Beteiligten interkulturelle<br />

Kommunikation:<br />

Trivial ist, dass in der Interkulturellen Kommunikation häufig das Problem der Mehrsprachigkeit<br />

auftritt, dass also die beteiligten „Sender/Empfänger“ in der Alltagskommunikation<br />

unterschiedliche muttersprachliche Zeichen verwenden. Oder auch: beide müssen den Kodierungsprozess<br />

in einem gemeinsamen, aber fremden dritten Sprachsystem, meist dem<br />

englischen, vollziehen. Jedenfalls ist es der Standardfall interkultureller Kommunikation, dass<br />

sprachliche Zeichensystem verwendet werden, in denen mindestens einer der Beteiligten ein<br />

„fremdes“ System benutzen muss.<br />

Interessant erscheint, dass in Deutschland interkulturelle Kommunikationsprobleme im Alltagsverständnis<br />

oft reduziert werden auf die Unzulänglichkeit der (Fremd-) Sprachkompetenz<br />

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der Beteiligten – <strong>und</strong> daraus abgeleitet Fremdsprachenerwerb als das traditionelle Mittel der<br />

Wahl gegen Probleme Interkultureller Kommunikation.<br />

In der angloamerikanischer Fachliteratur zur Interkulturellen Kommunikation spielen Probleme<br />

der Fremdsprachigkeit dagegen eher eine untergeordnete Rolle –der Aspekt<br />

Sprachlichkeit wird häufig auf Erscheinungen beim Gebrauch des Englischen durch Fremdsprachler<br />

reduziert (so beispielsweise auch im hervorragenden Werk von Scollon & Wong<br />

Scollon, 1995).<br />

Brisant wird häufig die Frage, welche der „Parteien“ die Sprache des andern sprechen muss.<br />

So finden sich in der deutschen Verwaltung immer wieder MitarbeiterInnen, die es ablehnen,<br />

andere Sprachen als Deutsch in der Kommunikation mit fremdsprachigen „K<strong>und</strong>en“ zu sprechen,<br />

selbst wenn sie diese beherrschen (hier wird die Redeweise vom „K<strong>und</strong>en“ dann sehr<br />

merkwürdig..). Das hier beschworene Prinzip, die Amtssprache sei nun mal Deutsch, steht in<br />

einem EU-Mitgliedsstaat im Verdacht, als Mantel für obstruktives Verhalten gegenüber Ausländern<br />

benutzt zu werden.<br />

b) Schriftliche Kommunikation<br />

Im Deutschen gibt es einen hohen Konventionalisierungsgrad dessen, wie, wann, was, an<br />

wen geschrieben werden muss/ darf, ohne Regeln zu verletzten. Allein die Frage, wann <strong>und</strong><br />

was schriftlich <strong>und</strong> was mündlich kommuniziert werden soll, kann brisant sein: Schriftlichkeit<br />

an der falschen Stelle kann auch unter Deutschen brüskierend wirken. Auch die unterschiedlichen<br />

Stillagen des Gesprochenen <strong>und</strong> Geschriebenen müssen beachtet werden.<br />

Typisch für die deutsche öffentliche Verwaltung ist das „Amtsdeutsch“, das auch für deutsche<br />

„Normalbürger“ vor allem in seiner schriftlichen Form als abschreckend gilt wegen<br />

seiner Schwerverständlichkeit. Für die deutsche Situation bleibt es jedenfalls eine wichtige<br />

Aufgabe, beim Thema „Kommunikation in der öffentlichen Verwaltung“ der schriftlichen<br />

Kommunikation erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

<strong>2.</strong>1.3.3 Denken bestimmt die Sprache– oder umgekehrt?<br />

Die amerikanischen Ethnologen <strong>und</strong> Sprachtheoretiker Sapir <strong>und</strong> Whorf arbeiteten bei der<br />

Untersuchung von Indianersprachen verschiedene Punkte heraus, die das Verhältnis von<br />

Sprache <strong>und</strong> Denken in einem neuen Licht erscheinen ließen:<br />

Wenn wir den Kodierungsprozess fassen als „Gedanken (Bedeutungen) in Sprache (Zeichen)<br />

bringen“, so ist die Beziehung nicht einseitig in dem Sinn, dass wir zuerst denken <strong>und</strong><br />

dann Sprache verwenden. Vielmehr bestimmt das System unserer Sprache auch die Art unseres<br />

Denkens: Wir denken in den Grenzen unserer Sprache <strong>und</strong> deren Logik. Die<br />

Gemeinsamkeiten der Weltsicht der westlichen Welt führt Whorf auf die Gemeinsamkeit der<br />

hier vorherrschenden indogermanischen Sprachen zurück in der Art, die Welt zu ordnen.<br />

Diese gemeinsame Sprachfamilie verführe, so Whorf, zum Glauben, die westlich – indogermanische<br />

sei die einzige vernünftige <strong>und</strong> „logische“, weil selbstverständliche Weltsicht.<br />

Tatsächlich zeigt sich aber bei der Untersuchung anderer Sprachfamilien, dass es differenzierte<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig völlig andersartige „Logiken“ gibt, die Welt konsistent <strong>und</strong> sinnhaft zu<br />

ordnen, die Welt zu denken.<br />

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Hier ein Beispiel aus Whorfs Beschreibungen, das dieses Verhältnis von Denksystem <strong>und</strong><br />

Sprachsystem am Beispiel des Hopi, einer Indianersprache, beschreiben.<br />

„Am meisten überraschte die Entdeckung, dass einige große Verallgemeinerungen der westlichen<br />

Welt, wie z.B. Zeit, Geschwindigkeit, <strong>und</strong> Materie (oder Material) für den Aufbau eines konsistenten<br />

Weltbildes keinesfalls wesentlich sind. Die Erfahrungen, die wir unter diesen Titeln<br />

klassifizieren, verschwinden deshalb natürlich nicht, vielmehr ist es so, dass Kategorien aus anderen<br />

Arten von Erfahrungen ihre Rolle in der Kosmologie übernehmen <strong>und</strong> offenbar genauso gut<br />

funktionieren. Das Hopi kann man als Sprache ohne Zeitbegriff bezeichnen. Sie kennt die psychologische<br />

Zeit, die der Bergsons ähnelt; aber diese ist etwas ganz anderes als die<br />

mathematische Zeit, t, unserer Physiker. Eine der Eigentümlichkeiten der Hopi-Zeit ist: sie wechselt<br />

mit jedem Beobachter, erlaubt keine Gleichzeitigkeiten <strong>und</strong> hat 0 Dimensionen, d.h., man<br />

kann ihr keine Zahl zuteilen, die größer 1 ist. Die Hopi sagen nicht, , sondern,<br />

Für Worte, die sich auf diese Art Zeit beziehen, wie das<br />

Wort Tag, gibt es keinen Plural“ (Whorf, 1984, 15).<br />

Whorf ist weit davon entfernt, das abendländisch- westliche Sprach- <strong>und</strong> Denksystem „als<br />

eigentlich richtiges“ anderen Sprach- <strong>und</strong> Denkkulturen als Maßstab überzuordnen: „Mit dieser<br />

Forschung überschreiten wir die Grenzen aller lokalen Kulturen, Nationalitäten <strong>und</strong><br />

körperlichen Eigentümlichkeiten der sogenannten . Und wir finden, dass alle Menschen,<br />

so verschieden ihre sprachlichen Systeme auch sein mögen, in der Ordnung,<br />

Harmonie <strong>und</strong> Schönheit dieser Systeme, in ihren verschiedenen Feinheiten <strong>und</strong> in der Tiefe<br />

ihrer Analyse der Wirklichkeit gleichwertig sind. Dieser Sachverhalt ist unabhängig vom Entwicklungsstand<br />

der materiellen Kultur, der Zivilisation <strong>und</strong> der Moral oder Ethik usw. Das ist<br />

für den kultivierten Europäer eine überraschende, schockierende Sache – ein bittere Pille!<br />

Aber es ist wahr: der roheste Wilde kann unbewusst <strong>und</strong> mit der größten Leichtigkeit ein<br />

sprachliches System handhaben, das so mannigfaltig systematisiert <strong>und</strong> so schwer zu verstehen<br />

ist, dass es der ganzen Lebensarbeit unserer größten Gelehrten bedarf, um seine<br />

Funktionen zu beschreiben.“ (Whorf. 1984, 66)<br />

Dass diese, auch weltanschaulich begründeten Positionen nicht ohne Widerspruch <strong>und</strong> kritische<br />

Überprüfung blieben, überrascht nicht. Einige der oben zitierten Behauptungen von<br />

Whorf über die Hopi-Sprache erwiesen sich inzwischen als falsch. Die Annahme einer wechselseitigen<br />

Beeinflussung von Sprache <strong>und</strong> Denken, die in der deutschen<br />

sprachwissenschaftlichen Tradition von Gottfried Herder <strong>und</strong> Wilhelm von Humboldt wurzelt,<br />

bleibt als mögliche Sichtweise zum Verhältnis von Denken <strong>und</strong> Sprechen erhalten. Legt man<br />

die Whorf´sche Hypothese zugr<strong>und</strong>e, lässt sich daraus auch gr<strong>und</strong>legender verstehen, wie<br />

es zu Verständigungsproblemen zwischen Angehörigen verschiedener Kulturkreise bzw.<br />

Sprecher aus verschiedenen Sprachfamilien kommen kann: Nicht nur die Sprache, auch das<br />

Denken <strong>und</strong> die Einteilung der erlebten Welt sind different. Sprachen erscheinen aus diesem<br />

Blickwinkel kaum übersetzbar: Für den „Zeichenvorrat“ in Sprache A gibt es keine oder nur<br />

entfernt ähnliche Entsprechungen bei B.<br />

Betrachten wir den Alltag in Behörden mit hohem Anteil fremdkulturellen Klientels aus der<br />

Whorf´ schen Perspektive, so lässt sich ohne weiteres verstehen, warum es sehr mühsam<br />

sein kann, wenn ein deutscher Mitarbeiter einem Besucher aus einer „entfernteren“ Kultur<br />

eine deutschen Verwaltungsakt erläutern soll – man kann davon ausgehen, dass in anderen<br />

Sprachen <strong>und</strong> Kulturen viele Begriffe <strong>und</strong> Denkweisen des deutschen Verwaltungsrechts<br />

nicht vorhanden sind – selbst die deutsche Selbstverständlichkeit, dass sich öffentliche Verwaltung<br />

in erster Linie an juristischer Rechtsanwendung ausrichtet, ist selbst in vielen<br />

westlichen Ländern nicht herrschende Praxis (<strong>und</strong> Verwaltung funktioniert, für Deutsche<br />

manchmal schwer zu glauben, dennoch auf hohem Niveau.)<br />

Ein anderes Beispiel: Wie könnte man einem Fremden erklären, was es bedeutet, wenn über Mittag<br />

deutsche Bedienstete „Mahlzeit“ zueinander sagen, wenn sie sich begegnen? Es wäre sicherlich eine<br />

aufwendige Angelegenheit <strong>und</strong> würde viele Hintergründe zu deutscher Organisation, Zeitkultur, Tischsitten,<br />

Grußregeln usw. ins Spiel bringen müssen.<br />

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So gesehen genügt es dann auch nicht, dass der Sender bei (interkultureller) Kommunikation<br />

auf seinen eigenen „Zeichnvorrat“ abbildet – er muss vielmehr auch möglichst gute<br />

Annahmen darüber machen, über welche „Zeichen“ <strong>und</strong> „Bedeutungsvorräte“ der Empfänger<br />

verfügt. An dieser Stelle des Kommunikationsprozesses kommt „Gemeinsames Wissen“<br />

oder „Wechselseitiges- Voneinander-Annehmen“ als wesentlich Faktor für das Gelingen von<br />

Kommunikation ins Spiel - in interkulturellen Situationen als besonderer Risikofaktor für<br />

Missverstehen identifiziert.(s. u. „Maximen der Kommunikation“).<br />

<strong>2.</strong>1.3.4 Welche Rolle spielen die „Kommunikationskanäle“ bei der Entstehung<br />

von Kommunikationsproblemen<br />

Ein letzter Blick auf das Sender-Empfänger – Modell als Ordnungsgeber für Aspekte Interkultureller<br />

Kommunikation: Der Raum zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger wird differenziert in<br />

verschiedene Kanäle. Im ursprünglichen Modell von Shannon wird besonders in dieser Phase<br />

der Nachrichtenübertragung mit Störungen gerechnet.<br />

Hier einige Beispiele dazu:<br />

Für zwischenmenschliche Kommunikation werden in der Regel die rezeptiven Sinnesorgane<br />

des Empfängers zugr<strong>und</strong>e gelegt, um die „Kanäle“ zu bezeichnen. Gesprochene Sprache<br />

wird dann dem akustischen Kommunikations-Kanal, Mimik <strong>und</strong> Gestik dem optischen Kanal<br />

zugerechnet. (Ich werde auf diesen Aspekt nochmals zurückkommen bei der Diskussion der<br />

„Axiome der Kommunikation“.)<br />

Ein Typ von Kommunikationsproblemen, der diesem Teil des Sender-Empfänger-Modells<br />

zugeordnet werden kann, ist gekennzeichnet durch „Kanaldiskrepanzen“.<br />

Typisches Beispiel: Wenn ein Gesprächspartner etwas Trauriges erzählt <strong>und</strong> dabei lacht. Die angenommene<br />

Verwirrung beim Empfänger: der Partner sendet widersprüchliche Botschaften auf der<br />

akustischen <strong>und</strong> der optischen Ebene. In der deutschen Kommunikation gilt ein solches Verhalten als<br />

„unecht“, „gespielt“, „inkongruent“..... es erscheint uns insgesamt ziemlich selbstverständlich, welches<br />

non- verbale Verhalten zum verbalen passt <strong>und</strong> welches nicht. Inzwischen gibt es auch eine Flut von<br />

Publikationen, die simple Behauptungen über „Körpersprache“ enthält, dabei aber kaum auf kulturelle<br />

Unterschiede eingeht.<br />

Benutzen wir also auch das „Kanalkonzept“ zur Herausarbeitung von Besonderheiten der interkulturellen<br />

Kommunikation:<br />

Ich habe bisher nur den optischen <strong>und</strong> akustischen Kanal benannt – man sagt, dass dies die<br />

bevorzugten <strong>und</strong> bewusst wahrgenommen „Kanäle“ deutscher Kommunikationspartner seien.<br />

Gleichzeitig lässt sich leicht nachvollziehen, dass in anderen Kulturen beispielsweise<br />

Gerüche, die ein Gesprächspartner „verströmt“, sehr genau wahrgenommen werden <strong>und</strong> die<br />

Kommunikation <strong>und</strong> die Wertschätzung des Gesprächspartners deutlich davon abhängt. Unsere<br />

grobe Alltags-Klassifizierung „stinkt/stinkt nicht“ ist an Differenziertheit leicht zu<br />

übertreffen.<br />

Hinzu kommt, dass es kulturell drastische Unterschiede gibt in der Bewertung von Gerüchen<br />

– was als „wohlriechend“ <strong>und</strong> was „übelriechend“ bewertet wird, ist stark kulturell geprägt<br />

(zur Erinnerung: Knoblauch, Fisch, Kraut, Käse...). Wie mögen Besucher aus differenzierten<br />

„Riechkulturen“ wohl ihren Besuch in einer deutschen Amtsstube erleben? Und wie mag sich<br />

dieser „Kanal“ auf die Kommunikation auswirken?<br />

Ebenso können auch taktile Ebenen der Kommunikation eine Rolle spielen. Umarmungen,<br />

Wangenküsse u. ä. berührende Handlungen definieren in vielen Kulturen die Beziehung zwischen<br />

den Gesprächspartnern. Aber auch die völlige Vermeidung von Körperkontakt unter<br />

Fremden, z.B. das Nicht-Handgeben bei der Begrüßung, ist eine Variante.<br />

Schließlich noch zur diskrepanten Information auf verschiedenen Kanälen. Das Beispiel „Lächeln,<br />

während man etwas Belastendes erzählt“, ist mittlerweile ein Standardbeispiel für<br />

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interkulturelle Unterschiede: Für den asiatischen Raum wird berichtet, dass Kommunikation<br />

stark darauf ausgerichtet sei, dafür zu sorgen, dass der Partner sein Gesicht (Face) wahren<br />

kann. Es gilt deshalb innerhalb dieser Kulturen als völlig kongruent, wenn man (in einer bestimmten<br />

Weise) lächelt in Gesprächssituationen, in denen man etwas Belastendes<br />

berichtet, aber auch, wenn man mit dem, was der andere äußert, nicht einverstanden<br />

ist.(Scollon & Wong Scollon, 1994, 34 ff). Dies führt häufig zu Fehlinterpretationen durch<br />

westliche Gesprächspartner, die von der Annahme ihrer eigenen Kultur geleitet sind: Lächeln<br />

= Freude, Zustimmung....<br />

Es wurde bereits erwähnt, dass das technische Modelle des Sender-Empfänger–Modells<br />

sich nur bedingt eignet, die Verwickeltheit menschlicher Kommunikation <strong>und</strong> Beziehungen zu<br />

erfassen.<br />

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<strong>2.</strong>2 Axiome der Kommunikation<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong>1 Das Modell von Watzlawick et al.<br />

Ein Ansatz zur Beschreibung zwischenmenschlicher Kommunikation als Prozess, der die<br />

wechselseitige Bezogenheit der Kommunikationspartner in den Mittelpunkt stellt, stammt von<br />

der kalifornischen Palo Alto- Gruppe um Paul Watzlawick. Gr<strong>und</strong>legende Aussagen über<br />

Kommunikation, die vor allem aus Untersuchungen gestörter bzw. pathogener Kommunikation<br />

<strong>und</strong> ethnografischem Fallmaterial gewonnen wurden, hat diese Forschungsgruppe u.a. in<br />

„Fünf Axiomen der Kommunikation“ zusammengefasst, die mittlerweile zu den Klassikern der<br />

Kommunikationsliteratur zählen.<br />

1. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“<br />

<strong>2.</strong> „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- <strong>und</strong> einen Beziehungs-Aspekt; derart,<br />

dass letzterer den ersteren bestimmt...“<br />

3. „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Interaktionsabläufe seitens<br />

der Partner bedingt.“<br />

4. „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler <strong>und</strong> analoger Modalitäten. Digitale<br />

Kommunikationen haben eine komplexe <strong>und</strong> vielseitige logische Syntax, aber<br />

eine auf dem gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen<br />

dagegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber die für<br />

eindeutige Kommunikation erforderliche Syntax.“<br />

5. „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder<br />

komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit<br />

oder Unterschiedlichkeit beruht.“<br />

Fünf Axiome der Kommunikation (P. Watzlawick et al., 1969)<br />

Was lässt sich daraus für Interkulturelle Kommunikation gewinnen?<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong>2 Die Anwendung des Modells auf interkulturelle Kommunikation<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong><strong>2.</strong>1 Vermeidung <strong>und</strong> Verneinung von Kommunikation im Interkulturellen<br />

Kontext<br />

Das erste Axiom erscheint relevant für Fälle, in denen das Nicht- Tun brisant wird in interkulturellen<br />

Situationen: Schon unter Deutschen, umso mehr unter Angehörigen verschiedener<br />

Kulturen, stellt beispielsweise „Schweigen“ eine mehrdeutige, jedenfalls keine unbedeutende<br />

„Null-Handlung“ dar.(Cremerius, 1990, differenziert beispielsweise genauer mögliche<br />

Bedeutungen des Schweigens in der psychoanalytischen Situation). Während in der deutschen<br />

Kultur eine Gesprächspause ab 20 Sek<strong>und</strong>en peinlich zu werden beginnt, gelten für<br />

andere Kulturen andere Regeln. Schweigen kann beispielsweise heißen: „ich warte, bis der<br />

andere gesprochen hat“ aber auch „ich bin nicht einverstanden, widerspreche aber meinem<br />

Gesprächspartner nicht“ – es kommt sehr stark auf den Kontext an, was Schweigen bedeutet.<br />

Deutungen über unterlassene Handlungen sollten im interkulturellen Kontext noch vorsichtiger<br />

vorgenommen werden als in der eigenen Kultur – Schweigen, Nicht-in-die Augen-<br />

Schauen, erwartungswidriges Nichtstun u.ä. sind Verhaltensweisen, die kulturell sehr unterschiedliche<br />

Bedeutungen haben können – oft gegenläufig zur deutschen Interpretation. So<br />

wäre es in manchen Kulturen eine grobe Unhöflichkeit, ohne Aufforderungssignal zu sprechen,<br />

oder dem Gesprächspartnern bei der Begrüßung in die Augen zu schauen. Und<br />

natürlich schlagen auch im interkulturellen Kontext oft Versuche fehl, durch Vermeidung kritische<br />

Situationen gut zu bewältigen –etwa nicht zu einer Einladung zu gehen, weil man sich<br />

unsicher fühlt in der fremden Situation.<br />

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<strong>2.</strong><strong>2.</strong><strong>2.</strong>2 Beziehung bestimmt inhaltliche Bedeutung<br />

Das wohl übergreifendste <strong>und</strong> bedeutsamste Axiom für das Verständnis von Kommunikation<br />

ist die Unterscheidung von Inhalts- <strong>und</strong> Beziehungsaspekt, verb<strong>und</strong>en mit der Behauptung,<br />

die Beziehung bestimme die kommunikative Bedeutung des Inhaltes zwischen Gesprächspartnern.<br />

Mittlerweile ist diese Differenzierung ein Standardthema der westlichen<br />

Kommunikationsliteratur – auch das möglicherweise schon ein kulturspezifisches Phänomen:<br />

Während in der deutschen Kultur die „Sachorientierung“ sehr hoch geschätzt wird <strong>und</strong> die<br />

Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern als Gestaltungsaufgabe nur untergeordnete<br />

Bedeutung hat, ist es in anderen Kulturen selbstverständlich, zunächst die Entwicklung<br />

der Beziehung in den Mittelpunkt der Kommunikation zu stellen. Für Angehörige dieser Kulturen<br />

erscheint dieser Aspekt kaum der Rede Wert, weil selbstverständlich: Geschäftsleute<br />

aus diesen Kulturen würden etwa sagen: „Natürlich spielt die Beziehung, die ich mit jemand<br />

habe, die entscheidende Rolle. Wie soll ich mit jemand einen Vertrag machen, wenn wir uns<br />

nicht kennen? Das wichtigste ist eine gute Beziehung - dann sind auch alle schwierigen<br />

Sachfragen schnell <strong>und</strong> gut zu lösen“. Nicht zuletzt durch ihre Sach- oder Zielorientierung, so<br />

sagt man, gelten Deutsche bei eher beziehungsorientierten Kulturangehörigen, etwa Franzosen<br />

<strong>und</strong> Italienern, als „Elefanten im Porzellanladen“ – sie erscheinen unsensibel gegenüber<br />

ihren Gesprächspartnern,– <strong>und</strong> scheinen sich für die Wirkung ihres Handelns auf die Gesprächspartner<br />

auch nicht sehr zu interessieren.<br />

Deutsche Verwaltungsmitarbeiter erleben es offensichtlich häufig als lästig oder als Ablenkungsmanöver,<br />

wenn Angehörige beziehungsorientierter Kulturen nicht gleich zur Sache kommen – in deutschen<br />

Behörden, wie überhaupt in beruflichen bzw. zielorientierten Kontakten, gilt das oft als Zeitverschwendung<br />

<strong>und</strong> macht deutsche Gesprächspartner ungeduldig. Obwohl es auch die Erfahrung gibt: Wenn<br />

keine kooperative Arbeitsbeziehung zwischen Mitarbeiter <strong>und</strong> Klient entwickelt ist, wird durch gestörte<br />

Beziehung <strong>und</strong> Konflikte für die Fallbearbeitung insgesamt mehr Zeit, Energie <strong>und</strong> „Nerven“ verbraucht<br />

als dies durch eine „Anfangsinvestition“ zur Entwicklung einer „guten Beziehung“ der Fall<br />

wäre. Unsere Erfahrungen in Training <strong>und</strong> Supervision zeigen, dass Beziehungsvermeidung auch in<br />

der deutsch-deutschen Behördenkommunikation eine häufige <strong>und</strong> ineffektive Strategie darstellt. Der<br />

vordergründige Hinweis auf die fehlende Zeit verdeckt oft, dass deutsche Verwaltungsmitarbeiter sich<br />

offensichtlich tendenziell überfordert fühlen, mit ihren Klienten in Kontakt zu gehen. Mehr Beziehungsorientierung<br />

käme wohl dem gesamten Kontakt Bürger – Verwaltung in Deutschland zugute. Den<br />

Programmpunkt „K<strong>und</strong>enorientierung“ des Neuen Steuerungsmodells kann man in diesem Zusammenhang<br />

als Platzhalter für wichtig Themen der Verwaltungsreform <strong>und</strong> Personalentwicklung auch<br />

unter dem Gesichtspunkt „Interkulturalität von Mitarbeitern <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en“ betrachten.<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong><strong>2.</strong>3 Unterschiedliche Interpunktion als Bedingungen für Interkulturelle<br />

Missverständnisse<br />

Mit dem dritten Axiom der Interpunktion verbindet sich in Konfliktsituationen häufig die Frage:<br />

Wer hat angefangen? Auch hinsichtlich der Bedeutung der Reihenfolge von Sprechhandlungen<br />

<strong>und</strong> Themen lassen sich unmittelbar Bezüge zu interkulturellen Situationen herstellen.<br />

Die Frage, wer darf ein Gespräch beginnen, was soll zuerst <strong>und</strong> was erst am Schluss gesagt<br />

werden, sind sehr unterschiedlich geregelt in Kulturen. So ist es für Deutsche meist überraschend,<br />

wenn Amerikaner sehr früh im Kontakt nach der Höhe des Jahresgehaltes fragen.<br />

Margaret Mead hat in einer berühmt gewordenen Studie die „Missverständnisse“ beim Flirt<br />

zwischen britischen Krankenschwestern <strong>und</strong> amerikanischen Soldaten während des zweiten<br />

Weltkrieges untersucht. Verwirrend für beide Seiten war offensichtlich die Frage, was an<br />

welcher Stelle „Küssen“ bedeutet: Für die britische Kultur kam zu dieser Zeit offensichtlich<br />

„Küssen“ erst sehr spät in der Schrittfolge, kurz vor der Einwilligung zum Sex; für Amerikaner<br />

dagegen war Küssen in dieser Zeit ein wenig bedeutungsvolles Ereignis am Beziehungsbeginn.<br />

Wenn nun ein amerikanischer Soldat schon nach kurzer Zeit seine<br />

Krankenschwestern-Bekanntschaft zu küssen versuchte, war dies für die britische Frau sehr<br />

ungewöhnlich, <strong>und</strong> amerikanische Soldaten gerieten in den Ruf, draufgängerisch <strong>und</strong> wenig<br />

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sensibel zu sein. Wenn nun eine britische Frau dem Drängen zum Küssen nachgab, bedeutete<br />

dies für sie nach ihren kulturellen Normen, dass sie dann auch zum nächsten Schritt<br />

bereit sein würde – diese „schnelle Bereitwilligkeit“ zum Sex wiederum verstörte die amerikanischen<br />

Männer, die britische Frauen aufgr<strong>und</strong> dieser Erfahrung als „leicht zu haben“<br />

bewerteten. Das Beispiel weist darauf hin, dass unsere Handlungen nicht nur für sich stehen,<br />

sondern im jeweiligen Kontext der kulturell normierten Abfolge einer Handlung unterschiedliche<br />

Bedeutung zugeschrieben wird – wenn diese zwischen den Kommunikationspartnern<br />

nicht übereinstimmen, sind Missverständnisse programmiert.<br />

Eine andere Erscheinung lässt sich ebenfalls unter dieser Rubrik einführen: Nicht selten<br />

kommt es vor, dass ausländische Besucher von Behörden recht gut Deutsch sprechen, aber<br />

deutsche Gesprächspartner verstehen sie dennoch nicht - sie wissen nicht, „worauf diese<br />

Person hinauswill“. Dieses Problem wird oft durch kulturell unterschiedliche Diskursstile bedingt:<br />

Westliche Kulturen stellen beispielweise das Wichtige an den Anfang, asiatische<br />

Kulturen bauen ihre Rede so auf, dass das Wichtige später kommt (Scollon & Wong Scollon,<br />

1995, 2). Obwohl die Partner also beide eine gemeinsame Sprache sprechen, kommen sie<br />

an manchen Stellen nicht zum Punkt. Für unser Verstehen spielt es offensichtlich eine zentrale<br />

Rolle, an welcher Stelle in der Rede etwas gesagt wird.<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong><strong>2.</strong>4 Kulturelle Unterschiede in der verbalen <strong>und</strong> nonverbalen Kommunikation<br />

Das vierte Axiom zum Verhältnis von digitalen <strong>und</strong> analogen Modalitäten der Kommunikation<br />

berührt die Bedeutung <strong>und</strong> das Zusammenspiel von verbaler <strong>und</strong> nonverbaler Kommunikation,<br />

auf das ich schon kurz im Zusammenhang des Sender – Empfänger – Modells<br />

eingegangen bin. Mit dem Axiom wird die Bedeutsamkeit, gleichzeitig die Vieldeutigkeit der<br />

nonverbalen Ebene für die Kommunikation betont - insbesondere für die Beziehungsebene.<br />

Nehmen wir wieder das Beispiel Lächeln – wenn jemand lächelt in unserer Gegenwart kann<br />

das als fre<strong>und</strong>lich, falsch, verlegen, verlogen, triumphierend, wissend, amüsiert, ironisch,.......zählen<br />

- je nach Beziehung <strong>und</strong> unseren Annahmen über den Partner. Betrachtet<br />

man interkulturelle Situationen unter diesem Gesichtspunkt, so lässt sich die Bedeutsamkeit<br />

dieses Aspektes für die Entstehung interkultureller Missverständnisse wiederum deutlich<br />

herausstellen: Gestik, Mimik, Bewegungen, der Ausdruck von Gefühlen sind in vielen Gesellschaften<br />

spezifisch ausgeprägt <strong>und</strong> in traditionellen Kulturen stark normiert, wenn es um<br />

den Ausdruck von Gefühlen geht: Auf die Bedeutung des Lächelns in asiatischen Kulturen<br />

habe ich schon hingewiesen. Andersartige Beispiele finden sich in mediterranen Gesellschaften:<br />

Bei bestimmten Ereignissen wie Tod eines Verwandten besteht die starke<br />

Erwartung, dass Trauer öffentlich ausgedrückt wird. Wir kennen in der deutschen Kultur z.B.<br />

auch die starke Erwartung sichtbarer Zeichen von Freude bei der Entgegennahme eines Geschenkes;<br />

wenn ein Geschenk nicht mit dem Ausdruck von freudiger Dankbarkeit „quittiert“<br />

wird, kann das zu stillschweigender Enttäuschung beim Schenkenden führen <strong>und</strong> die Beziehung<br />

nachhaltig belasten. Die Koordination von verbalen <strong>und</strong> nichtverbalen Ebenen kann<br />

also ebenfalls als stark kulturell geregelt beschrieben werden.<br />

Die Frage der Übersetzbarkeit von der analogen in die digitale Modalität erweist sich als kritische<br />

Stelle in der Kommunikation. (Watzlawick, 1969, 96). Was darf in einer Kultur verbal<br />

expliziert werden, was muss nonverbal bleiben? Es liegt nahe für Deutsche, wenn man sich<br />

nicht sicher ist, was die andere nonverbal eigentlich „sagen“ will, einfach zu fragen: „Wie<br />

meinen Sie das jetzt?“ „Ist Ihnen das nicht recht?“ Dies kann aber interkulturell als schwerer<br />

Normverstoß erlebt werden: Kulturen lassen sich einordnen auf einer bipolaren Dimension<br />

„implizit“ – „explizit“. Deutsche werden deutlich auf der Seite „explizit“ eingestuft, was ihnen<br />

wiederum in manchen Kulturen den Ruf einträgt, indezent, derb oder unhöflich zu sein. Bemerkenswert<br />

erscheint, dass der in deutschen Kommunikationstrainings so beliebte Weg<br />

„Metakommunikation“ als Lösung für Kommunikationsprobleme im interkulturellen Kontext<br />

besonders riskant erscheint: Wird schon für intrakulturelle Kommunikation übersehen, dass<br />

„Reden über die Kommunikation“ denselben Kommunikationsproblemen unterliegt <strong>und</strong> „Metakommunikation“<br />

genau so scheitern kann wie „Kommunikation“, so ist bei Interkultureller<br />

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Kommunikation in vielen Kulturen davon auszugehen, dass das direkte Ansprechen der Beziehung<br />

<strong>und</strong> der laufenden Kommunikation eine Normverletzung darstellt.<br />

So muss damit gerechnet werden, dass viele explizite Fragen, die in deutschen Behörden gestellt<br />

werden, interkulturell als Verstöße gegen Sitte <strong>und</strong> Anstandsregeln erlebt werden, ohne dass dies ein<br />

deutscher Mitarbeiter bemerkt – er bemerkt möglicherweise nur - ohne sich einen Reim darauf machen<br />

zu können - dass der Gesprächspartner sich plötzlich merkwürdig verhält. Angehörige einer<br />

impliziten Kultur sind hier gewissermaßen in einer Falle: Sie können auch ihre Sichtweise des Partnerverhaltens<br />

nicht explizieren, da dies ein schwerer Verstoß gegen ihre eigenen Regeln wäre.<br />

<strong>2.</strong><strong>2.</strong><strong>2.</strong>5 Die Rolle von Gleichheit <strong>und</strong> Unterwerfung in interkulturellen Beziehungen<br />

Das fünfte Axiom behandelt Arten der Wechselseitigkeit: Symmetrie <strong>und</strong> Komplementarität.<br />

Watzlawick illustriert dies mit Beispielen aus den ethnologischen Arbeiten von Gregory Bateson<br />

über Ethnien in Neuginea:<br />

Zunächst ein Beispiel zu Komplementarität: „Wenn z. B. das Verhalten des Individuums A in der<br />

betreffenden Kultur für dominant gilt <strong>und</strong> als kulturbedingtes Verhalten von B darauf Unterwerfung erwartet<br />

wird, so ist es wahrscheinlich, dass diese Unterwerfung ein erneutes Dominanzverhalten<br />

auslöst, das seinerseits weiter Unterwerfung fordert.“<br />

Zu symmetrischer Interaktion: „Wenn z.B. Prahlen das kulturbedingte Verhalten einer Gruppe ist <strong>und</strong><br />

die andere Gruppe ebenfalls mit Prahlen antwortet, so kann sich das zu einem Wettstreit entwickeln,<br />

in dem Prahlen zu mehr Prahlen führt“. Soweit Bateson (zitiert nach Watzlawick 1969,69).<br />

Die positive, auf Gleichheit beruhende Form symmetrischer Beziehung, beschreibt Watzlawick<br />

(1969, 104) so: „In einer stabilen symmetrischen Beziehung sind die Partner imstande,<br />

den anderen in seinem Sosein zu akzeptieren, was zu gegenseitigem Respekt <strong>und</strong> Vertrauen<br />

in den Respekt des anderen führt <strong>und</strong> damit in einer realistischen gegenseitigen<br />

Bestätigung der Ich-Du-Defintionen.“ Man kann darin ein Ideal beschrieben sehen, wie die<br />

Gleichwertigkeit von Partnern in ihrer kulturellen Unterschiedlichkeit in der Interaktion gewahrt<br />

werden kann.<br />

Es zeigt sich aber gerade bei der Begegnung von Partnern aus unterschiedlichen Kulturen,<br />

dass im Hintergr<strong>und</strong> häufig die Frage verhandelt wird: Wer ist mehr wert? (Wer ist etwas<br />

„gleicher“?). Dies kann zu destruktiven Entwicklungen in inter-personalen, inter- gruppen, inter-kulturellen<br />

bis hin zu inter-nationalen Konflikten führen durch den Prozess symmetrischer<br />

Eskalation. Zu beobachten sind solche Prozesse häufig im interkulturellen Kontext, wenn die<br />

Beteiligten sich jeweils von der „anderen Seite“ nicht respektiert fühlen oder selbst dominant<br />

auftreten - oder als dominanz-beanspruchend wahrgenommen werden. Die Beziehungen<br />

verschlechtern sich zusehends, es kommt ein eisiges Klima auf: Die Störung der Kommunikation<br />

impliziert Misstrauen <strong>und</strong> die „Verwerfung der Selbstdefinition des Partners“<br />

(Watzlawick, 1969, 104).<br />

Scollon & Wong Scollon (1995, 41 ff.) haben im Rahmen ihres diskursanalytischen Ansatzes<br />

diesen Aspekt erfasst <strong>und</strong> klassifizieren Kulturen nach Art ihrer Höflichkeitssysteme. Ohne<br />

hier auf Einzelheiten einzugehen sei festgehalten, dass die Sicherung wechselseitiger Wertschätzung<br />

<strong>und</strong> Gesichtwahrung des Partners in vielen Kulturen durch fein abgestimmte<br />

Regeln der Überordnung <strong>und</strong> Unterordnung erfolgt, die durch die Faktoren Macht <strong>und</strong> Distanz<br />

der Beteiligten in Abhängigkeit von der Bedeutsamkeit des Anliegens geregelt werden.<br />

Davon hängt ab, welche Beziehung die Partner jeweils zueinander einnehmen: Bezogenheit<br />

(solidarische Höflichkeit; warm, zugewandt, im Sinne Watzlawicks eher komplementär) oder<br />

Unabhängigkeit (eigene Autonomie; Respekt vor dem Freiraum anderer; eher kalt, schweigsam;<br />

eher symmetrisch orientiert) (39).<br />

Der Aspekt „Gesichtsverlust“ spielt in der (Interkulturellen) Behördenkommunikation eine wesentliche<br />

Rolle. Zum einen dürften sich Angehörige „gesichtswahrender“ Kulturen mit dem<br />

Stil „entlarvender“ <strong>und</strong> weniger auf persönliche Würde des Gesprächspartners achtende<br />

Formen der Behörden-Kommunikation in Abwehrhandlungen zur Wahrung ihres Gesichtes<br />

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gedrängt sehen. (Dies ist ja auch ein Hauptkritikpunkt deutscher Bürger an ihren Verwaltungsmitarbeiten:<br />

sich als Nummer, nicht als Person behandelt zu fühlen.)<br />

Aber auch das Verhalten von Mitarbeitern wird verständlicher, wenn wir diesen Aspekt einbeziehen:<br />

auch sie kämpfen häufig um ihr Gesicht. Behindert durch Mängel <strong>und</strong> Unklarheiten<br />

in der Verständigung, fühlen sie sich von „Ausländern ausgetrickst“, wenn sie vermuten, die<br />

Unklarheit entstehe durch bewusst inszenierte Verwirrspiele. Die Phantasie, „Ausländer“<br />

könnten „sich hinterher die Hände reiben <strong>und</strong> höhnisch über die dummen Sachbearbeiter lachen,<br />

die auf alles reinfallen“ verdichtet sich im Laufe der Zeit zur Gewissheit <strong>und</strong> führt zu<br />

feindseligen Abwehrhaltungen der Mitarbeiter zum Schutz des eigenen Selbstwertes.<br />

<strong>2.</strong>3 Maximen der Kommunikation (Paul Grice)<br />

Betrachtet man Sprache als ein Spiel, das nach bestimmten Regeln funktioniert, so liegt es<br />

nahe, die Spiel- Regeln zu rekonstruieren, nach denen menschliche Kommunikation funktioniert.<br />

In der Nachfolge der Sprachphilosophie Wittgensteins haben verschiedene<br />

Sprachphilosophen <strong>und</strong> Sprachwissenschaftler Versuche vorgelegt, den Status dieser Regeln<br />

zu definieren <strong>und</strong> die Regeln zu explizieren, die zwischenmenschliche Kommunikation<br />

ermöglichen. Paul Grice (1975), britischer Sprachphilosoph, hat mit seinen Maximen der<br />

Kommunikation ein Modell vorgelegt, in dem diese konstitutiven Regeln zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation formuliert werden. Was lässt sich daraus für Interkulturelle<br />

Kommunikation gewinnen? Und welche „kulturelle Reichweite“ können diese Maximen beanspruchen?<br />

1.Quantität: (a) Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig<br />

(b) Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig<br />

<strong>2.</strong>Qualität: Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist<br />

Sage nichts, was du für falsch hältst<br />

Sage nichts, wofür dir angemessenes Wissen fehlt<br />

3.Relation: Sei relevant<br />

4.Modalität: (a) Vermeide Dunkelheit <strong>und</strong> unklare Aussagen<br />

(b) Vermeide Mehrdeutigkeit<br />

(c) Sei kurz<br />

(d) Der Reihe nach!<br />

Maximen der Kommunikation (Grice, P.H., 1975)<br />

Zunächst kann man mit Grice feststellen, dass Kommunikation ein gr<strong>und</strong>legendes Einverständnis<br />

der Beteiligten zur Kooperation voraussetzt. Das gilt unabhängig von Konflikten<br />

oder dem, was kommuniziert wird. Man könnte das Spiel „Kommunikation“ mit andern Spielen<br />

vergleichen, beispielsweise Fußball: Auch wenn sich Fußballmannschaften bekämpfen<br />

oder Feindseligkeiten hegen – sie müssen beide die Gr<strong>und</strong>regeln des Fußballspiels einhalten<br />

wollen, z.B. den Ball nicht mit der Hand spielen, die Regeln für Fouls anerkennen, die<br />

Spielfeldbegrenzung einhalten <strong>und</strong> die Zeitbegrenzung anerkennen – sonst ist Fußballspiel<br />

nicht möglich. Auch wenn im Spiel vielfach gegen Regeln verstoßen wird, muss der gr<strong>und</strong>legende<br />

Wille zur Kooperation handlungsleitend sein, um das Spiel spielen zu können. Ähnlich<br />

verhält es sich mit den Maximen der Kommunikation – wenn Kommunikationspartner sie<br />

nicht stillschweigend befolgen wollten, käme keine Kommunikation zustande, auch keine<br />

konflikthafte oder gestörte.<br />

<strong>2.</strong>3.1 Relevanzprinzip <strong>und</strong> Gemeinsames Wissen<br />

Ich gehe kurz auf die dritte Maxime ein: Sei relevant! Im Zusammenhang mit den andern<br />

Maximen heißt das: Ich soll als Kommunikationspartner nur das sagen, was für den anderen<br />

bedeutsam ist. Sonst funktioniert Kommunikation nicht oder ist mindestens gestört. So wäre<br />

es gegen diese Maxime, einer Person mitzuteilen „wir essen heute Abend zuhause - mit<br />

Messer <strong>und</strong> Gabel“ – wenn es nicht einen triftigen Gr<strong>und</strong> gibt, die Ergänzung „mit Messer<br />

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Gabel“ anzugeben. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass ein deutscher Gesprächs-<br />

Partner diese Aussage nicht als schlichte Beschreibung des Abendsessens verstehen, sondern<br />

ein Gr<strong>und</strong> suchen wird, warum die Selbstverständlichkeit „mit Messer <strong>und</strong> Gabel“<br />

erwähnt wurde. Um relevant sein zu können, brauchen die Partner also eine stille Annahme<br />

darüber, was der andere schon weiß <strong>und</strong> also nicht mehr erwähnt werden soll. Dieses „Gemeinsame<br />

Wissen“ oder „Voneinander-Annehmen“ spielt in der interkulturellen<br />

Kommunikation eine konstitutive Rolle <strong>und</strong> erklärt, wie es zu Missverständnissen kommt. In<br />

Interkulturellen Kontexten sind wir nämlich wenig informiert darüber, was der Andere schon<br />

über meine kulturellen Selbstverständlichkeiten weiß. Da nicht alles Selbstverständliche<br />

ausgesprochen werden kann, müssen sich die Kommunikationspartner auf schwache Annahmen<br />

stützen darüber, was zu explizieren ist. Welche Konflikte durch unterschiedliche<br />

Annahmen über das Wissen des anderen entstehen können, mag ein kleines Beispiel zur<br />

Rolle wechselseitiger Annahmen im Straßenverkehr aus der Grenzzone zwischen Deutschland<br />

<strong>und</strong> Frankreich illustrieren.<br />

Formulieren wir zunächst das Bündel der wechselseitigen Annahmen bei Franzosen <strong>und</strong> Deutschen –<br />

auf die Gefahren der Stereotypisierung habe ich’ schon aufmerksam gemacht....<br />

1. Franzosen gehen als Autofahrer davon aus, dass Fußgänger am Zebrastreifen warten beim Nahen<br />

eines Autofahrers;<br />

<strong>2.</strong> Franzosen gehen davon aus, dass Autofahrer nicht halten, wenn sie als Fußgänger am Zebrastreifen<br />

stehen;<br />

3. Deutsche gehen als Autofahrer davon aus, dass Fußgänger am Zebrastreifen die Straße überqueren,<br />

auch wenn ein Autofahrer naht;<br />

4. Deutsche gehen davon aus, dass Autofahrer anhalten, wenn sie als Fußgänger am Zebrastreifen<br />

stehen.<br />

Die komplementären Annahmen von Fußgängern <strong>und</strong> Autofahrern innerhalb der Kulturen. birgt<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich kein Risiko in sich.<br />

Gehen wir zu den Fällen interkultureller Begegnung am Zebrastreifen, die leicht zu „interkulturellen<br />

Unfällen“ führen können:<br />

Betrachten wir die Situation eines französischen Autofahrers in Deutschland am Zebrastreifen, wenn<br />

er die deutschen Fußgängererwartungen nicht kennt.<br />

Und den Fall des deutschen Fußgängers in Frankreich, der die Annahmen über Fußgängerverhalten<br />

der französischen Autofahrer nicht kennt:<br />

Beide Konstellationen sind gefährlich für die Fußgänger.<br />

Die Situation wird aber nicht besser, sondern komplexer, wenn die französischen <strong>und</strong> deutschen Interaktionspartner<br />

auch die Annahmen der jeweils anderen Seite kennen:<br />

Was wird passieren,<br />

wenn ein Autofahrer mit deutschem Kennzeichen in Straßburg an einen Zebrastreifen kommt mit wartenden<br />

französischen Fußgängern,<br />

� wenn der deutsche Autofahrer weiß, dass in Frankreich Fußgänger am Zebrastreifen warten <strong>und</strong><br />

� wenn französische Fußgänger annehmen, dass deutsche Autofahrer an Zebrastreifen halten?<br />

Die Komplexität der Situation nimmt weiter zu, wie bei den taktischen Überlegungen von Schachspielern,<br />

wenn sich die Beteiligten Annahmen darüber bilden, „was der andere glaubt, was ich annehme,<br />

was er annimmt.....usw.“<br />

Das Beispiel mag als Muster stehen für die Verwicklungen, die gerade in der Interkulturellen<br />

Kommunikation häufig vorkommen: Wenn beispielsweise Deutsche wissen/annehmen, dass<br />

in der Kultur des Gastgebers Pünktlichkeit keine Rolle spielt, der Gastgeber aber weiß / annimmt,<br />

dass es zu deutscher Höflichkeit <strong>und</strong> Respektbek<strong>und</strong>ung gehört, es mit verabredeten<br />

Zeit sehr genau zu nehmen. „Unpünktlichkeit“ nach deutschen Normen kann so schnell zur<br />

Verstimmung führen auch bei Partnern, in deren eigener Kultur Pünktlichkeit keinen Wert<br />

darstellt.<br />

Wir haben als Kommunikations-Partner nicht nur Annahmen <strong>und</strong> Wissen über unser eigene<br />

Kultur, sondern auch Annahmen über die des anderen. Dies wird in Modellen Interkultureller<br />

Kommunikation oft übersehen.<br />

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Wie oben schon erwähnt, scheint es in Interkulturellen Verwaltungskontakten ein häufige<br />

Problem zu sein, dass bei der Erläuterung von Sachverhalten unterschätzt wird, wie wenig<br />

ein ausländischer Klient weiß über das deutsche Verwaltungssystem. In Befolgung des Relevanzprinzips<br />

wird ausländischen Klienten vieles nicht erklärt, weil es von deutscher Seite<br />

für selbstverständlich gehalten wird. Offensichtlich führt es dann zu Verdächtigungen, wenn<br />

Dolmetscher für die Übersetzung eines „einfachen“ Sachverhaltes für die Interpolation des<br />

fehlenden Gemeinsamen Wissens viele Worte brauchen. Bei Sachbearbeitern, die der<br />

Sprache der Klienten nicht mächtig sind, entsteht so leicht der Verdacht, Dolmetscher <strong>und</strong><br />

Klient heckten etwas aus. Die stillen Anfangs-Annahmen über Wissen <strong>und</strong> Absichten des<br />

Anderen führen so systematisch zu Missverständnissen <strong>und</strong> Mistrauen in der Interkulturellen<br />

Behördenkommunikation.<br />

<strong>2.</strong>3.2 Maximen der Kommunikation: Kulturell begrenzt<br />

Die Grice´ schen Maximen wurden zwischenzeitlich auf ihre Gültigkeit für Interkulturelle<br />

Kommunikation diskutiert (Heringer, 1990) <strong>und</strong> relativiert: Clyne (1994,192 ff.) kommt zum<br />

Schluss, dass die Maximen nur für westliche Kulturen Gültigkeit beanspruchen können, <strong>und</strong><br />

schlägt eine Neuformulierung vor, die interkulturelle Unterschiedlichkeit berücksichtigt (194).<br />

Seine Kritik bezieht sich u. a. darauf, dass beispielsweise Wahrheit (zweite Maxime) in südostasiatischen<br />

Kulturen <strong>und</strong> Vietnam absolut nicht wesentlich ist für Kommunikation (auch<br />

nicht erwartet wird). Harmonie, Fürsorglichkeit oder Respekt stehen in diesen Kulturen weit<br />

höher im Wert als Wahrheit (Clyne, 1994,193).<br />

Es lässt sich leicht vorstellen, was passieren kann, wenn ein Vietnamese mit einem deutschen<br />

Verwaltungsmitarbeiter kommuniziert auf diesem Hintergr<strong>und</strong> unterschiedlicher<br />

Präferenzen für Wahrheit einerseits <strong>und</strong> Fürsorglichkeit <strong>und</strong> Respekt andererseits. Durch die<br />

tiefgreifende Unterschiedlichkeit von Werten <strong>und</strong> Maximen ergibt sich die Konstellation für<br />

wechselseitige Abwertung <strong>und</strong> Misstrauen.<br />

<strong>2.</strong>4 Konstruktive Gr<strong>und</strong>haltungen in der Kommunikation: Der<br />

personzentrierte Ansatz (Carl R. Rogers)<br />

Stellvertretend für humanistische Ansätze der Kommunikation sei abschließend noch auf<br />

den Personzentrierten Ansatz verwiesen, der sich aus der Untersuchung von Beratungskommunikation<br />

heraus entwickelt hat zu einem generellen Modell konstruktiver<br />

zwischenmenschlicher Kommunikation. Hier stand von Beginn an die praxisrelevante Frage<br />

im Mittelpunkt: Was macht zwischenmenschliche Kommunikation hilfreich <strong>und</strong> entwicklungsfördernd<br />

– <strong>und</strong> welche Haltungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen wirken hemmend oder destruktiv?<br />

Carl R. Rogers, der Begründer dieses Ansatzes, hat auf der Basis empirischer Untersuchungen<br />

drei wesentliche Bedingungen konstruktiver Kommunikation formuliert:<br />

� Akzeptanz: Nichtwertende positive Zuwendung der Gesprächspartner untereinander. Für<br />

Interkulturelle Kommunikation eine hohe Herausforderung <strong>und</strong> wesentliche Rahmenbedingung<br />

für das Gelingen von Kommunikation: Im Alltag tendieren Gesprächspartner auf<br />

beiden Seiten dazu, erlebte kulturelle Unterschieden zu bewerten. Gesprächspartner in<br />

ihren jeweiligen kulturellen Besonderheiten zu akzeptieren <strong>und</strong> verstehen zu lernen, wäre<br />

somit eine positiv formulierte Vorgabe für Interkulturelle Kommunikation.<br />

� Empathie impliziert als Gr<strong>und</strong>haltung das Verstehen- Wollen <strong>und</strong> Verständnis - Entwickeln<br />

für den anderen. Gr<strong>und</strong>legend dafür ist aufmerksam zugewandtes Zuhören <strong>und</strong><br />

Verstehen der Sach- wie auch der Gefühls- <strong>und</strong> Beziehungsebene der Kommunikation.<br />

� Echtheit, Stimmigkeit als Person: Diese Bedingung impliziert beispielsweise, dass rollenhaftes<br />

Verhalten störend wirkt in der Kommunikation <strong>und</strong> Bedingungen geschaffen<br />

werden sollten, in der Partner „sie selbst sein“ können.<br />

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Sicherlich kann man skeptisch sein, ob diese drei Gr<strong>und</strong>haltungen tatsächlich für alle Kulturen<br />

die Bedingungen für konstruktive Kommunikation darstellen.<br />

Rogers selbst hat als Spätwerk das sog. „Peace Project“ initiiert <strong>und</strong> in vielen Ländern Großgruppen<br />

durchgeführt, die der Verständigung zwischen verfeindeten Gruppen<br />

unterschiedlicher nationaler bzw. ethnischer Herkunft dienten. Das Konzept dieser interkulturellen<br />

Großgruppen ist als Lernprozess angelegt, setzt also nicht voraus, dass die<br />

Teilnehmer die Gr<strong>und</strong>haltungen bereits kennen. Seine Erfahrungen fasst Rogers so zusammen:<br />

„Bei der Arbeit mit internationalen Gruppen ist es faszinierend zu beobachten, wie sich<br />

allmählich ein Verständnis für die Sitten <strong>und</strong> Überzeugungen sehr verschiedener Nationalitäten,<br />

Rassen <strong>und</strong> Kulturen herausbildet. Die Reaktionen der Teilnehmer <strong>und</strong> Gruppenleiter<br />

auf den Personbezogenen Ansatz sind überwältigend positiv gewesen. Sie sprechen davon,<br />

wie die Angst vor der Kommunikation abgebaut wurde, von dem Gefühl, gehört zu werden,<br />

<strong>und</strong> von dem Bewusstsein der Schönheit <strong>und</strong> des Reichtums kultureller Unterschiede“ (Rogers,<br />

1985, 153). Einen anderen Versuch zur Verbesserung der Kommunikation zwischen<br />

ethnischen Randgruppen unternahm Gene Gendlin, ehemaliger Mitarbeiter von Carl Rogers,<br />

Anfang der siebziger Jahre mit verfeindeten Jugendlichen-Gruppen in Chicagoer<br />

Stadteilen: Er lehrte die Jugendlichen Techniken des Zuhörens <strong>und</strong> des Innehaltens vor eigenen<br />

Reaktionen: Die Jugendlichen lernten, darauf zu achten, was in ihnen selbst vorgeht<br />

während sie mit (verfeindeten fremdkulturellen) Anderen sprechen. Ein Auszug aus dieser<br />

Anleitung zum Zuhören: „Du hörst nur zu <strong>und</strong> wiederholst das, was der andere gesagt hat,<br />

Schritt für Schritt, genau so, wie der andere in diesem Augenblick zu empfinden scheint. Du<br />

mischst nie etwas unter, was der andere nicht ausdrückte ... um zu zeigen, dass du genau<br />

verstanden hast, bilde ein oder zwei Sätze, die genau die persönliche Bedeutung erfassen,<br />

die dir der andere vermitteln wollte. Dazu kannst du gewöhnlich deine eigenen Wort benutzen,<br />

aber für die heiklen Kernpunkte bediene dich der Worte der anderen.“ (RAP-Manual<br />

zitiert nach Rogers, 1985, 142; überarbeitete Version in Gendlin, E.T., 1998, 140 ff.)<br />

Eine weitere Möglichkeit, Empathie für Angehörige anderer Kulturen zu fördern, liegt im Angebot<br />

von Phantasiereisen (Feuerstein & Heringer, 1999): Teilnehmer werden anhand von<br />

Anleitungen darin unterstützt, sich den Alltag aus der Sicht- <strong>und</strong> Erlebensweise einer Person<br />

aus einer anderen Kultur zu betrachten.<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Personenzentrierte Ansatz Rahmenbedingungen<br />

für neue Erfahrungen <strong>und</strong> Ideen anbietet, wie Interkulturelle Kommunikation in<br />

einem fortschreitenden Prozess der Begegnung gefördert werden könnte durch die Entwicklung<br />

einer „Kultur der Interkulturalität“, in der die Angehörigen aller beteiligten Kulturen<br />

Regeln <strong>und</strong> gemeinsame, abgestimmte Lösungsmethoden entwickeln für die konstruktive<br />

Gestaltung Interkultureller Begegnungs- <strong>und</strong> Konfliktsituationen. Das erscheint wirkungsvoller<br />

als das Trainieren Einzelner. Die Herausforderung liegt sicherlich zunächst darin, einen<br />

Rahmen zu schaffen für die Entwicklung von Gr<strong>und</strong>regeln, die über die Kulturen hinweg Zustimmung<br />

finden. Zuhören, verstehen wollen, zurücksagen, Verständnis überprüfen, auf<br />

eigene Gefühle <strong>und</strong> die des Partners achten <strong>und</strong> beide anerkennen – könnte ein guter Anfang<br />

sein......<br />

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<strong>2.</strong>5 Weitere Modelle zwischenmenschlicher Kommunikation<br />

Ich schließe an dieser Stelle die Erörterung bekannter <strong>Kommunikationsmodelle</strong> unter dem<br />

Gesichtpunkt Interkulturelle Kommunikation ab. Erwähnt sei noch das populäre Kommunikationsmodell<br />

der „Vier Ohren / Vier Schnäbel“ auf Sender <strong>und</strong> Empfängerseite, das von<br />

Friedemann Schulz von Thun entwickelt wurde (1981, 1998, auf dem Hintergr<strong>und</strong> des Organonmodells<br />

von Karl Bühler 1978, 1999). Zu den bekannteren Theorien<br />

zwischenmenschlicher Kommunikation gehören die Transaktionsanalyse (TA) von Eric Berne<br />

<strong>und</strong> die Themenzentrierte Interaktion (TZI) von Ruth Cohn. Diese Modelle stellen<br />

unterschiedliche Aspekte zwischenmenschlicher Kommunikation heraus, um damit Regeln,<br />

Interventionen <strong>und</strong> Zielbereiche bei gestörter oder erschwerter Kommunikation zu begründen.<br />

Sie können in gleicher Weise wie oben beschrieben auf interkulturelle Situationen<br />

angewandt werden.<br />

<strong>2.</strong>6 Interkulturelle Kommunikation als Stress- Situation<br />

Stresserleben der Beteiligten spielt häufig eine zentrale Rolle für die Entwicklung gestörter<br />

Kommunikation Deshalb seien noch kurz einige Ergänzungen zum Zusammenhang von<br />

Stress <strong>und</strong> Interkulturelle Kommunikation eingefügt:<br />

Die meisten Ansätze sind sich darin einig, dass Stress auf der körperlichen Ebene mit erhöhter<br />

Spannung einhergeht – aber auch Lähmung, Apathie können als Stressreaktion<br />

verstanden werden. Bei länger anhaltendem Stress sind psychosomatische Erkrankungen<br />

die Folge. Auf der Gefühls- <strong>und</strong> Verhaltensebene werden drei Reaktionsarten unterschieden:<br />

Angriffsverhalten mit Wut als typischer Emotion, Fluchtverhalten mit Furcht als<br />

Kennzeichen, oder, wenn keine äußere Reaktion möglich erscheint, der Versuch der inneren<br />

Bewältigung mit Angst als Begleitgefühl.<br />

Hans Selye, Begründer der Stressforschung, betont zunächst die lebenserhaltende Funktion<br />

von Stress als organismische Reaktion auf Anforderungen. Die damit zusammenhängende<br />

generelle Notwendigkeit zur Anpassung <strong>und</strong> Veränderung von Lebensgewohnheiten ist ein<br />

Aspekt, der sicherlich auf die Situation „im Ausland“ anwendbar ist. Auch die Unterscheidung<br />

von Eustress als positiv erlebter Stresswirkung im Sinne „reizvoller Situation“ <strong>und</strong> Distress<br />

als negativ wirkender Überbeanspruchung zeigt auf die Doppelgesichtigkeit Interkultureller<br />

Begegnung „zwischen Reiz <strong>und</strong> Überforderung“. Als auslösende Stressoren wirken subjektiv<br />

wahrgenommene Unbekanntheit, Unsicherheit, Komplexität, Über- <strong>und</strong> Unterforderung einer<br />

Situation. Interkulturelle Situationen enthalten solche Stressoren regelmäßig. Unklarheit <strong>und</strong><br />

Komplexität kennzeichnen Situationen, in denen nicht klar ist „was gespielt wird“. Durch die<br />

vielfältigen Unterschiede zwischen der eigenen <strong>und</strong> der Kultur des Gesprächspartners entstehen<br />

Gefühle von Überforderung, die sich häufig in genervtem Angriff, Rückzug oder<br />

resignativer Lähmung zeigen.<br />

Da es in der Situation der interkulturellen Begegnung für Beteiligte häufig nicht möglich ist,<br />

die Situation zu klären, besteht eine wichtige Fähigkeit darin, Unklarheit <strong>und</strong> Komplexität<br />

aushalten zu können, in der Situation zu bleiben <strong>und</strong> mit nicht restlos aufklärbaren Unsicherheiten<br />

kompetent umzugehen. So sehen auch Brislin <strong>und</strong> Mitarbeiter in Interkulturellem<br />

Stress <strong>und</strong> geeigneten Stressbewältigungsmethoden ein wesentliches Thema interkultureller<br />

Trainings (Brislin & Yoshida, 1994, 10f. <strong>und</strong> 72ff.).<br />

© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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<strong>Hochschule</strong> <strong>Kehl</strong> - Vorlesung Psychologie Gr<strong>und</strong>studium<br />

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© 2003, 2006 HJ Feuerstein – Kommunikation <strong>und</strong> Verwaltungshandeln (Auszug)<br />

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