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Nützliches Vergnügen - SUB Göttingen

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dem paradiesischen Zustand der Kindheit ist für<br />

ihn unerfüllbar – so, „wie durch den dichten Wald<br />

oft wunderliche Töne laufen, die wir niemals finden“,<br />

„die uns nur wie aus der Ferne grüßen und<br />

locken“, wie es an einer anderen Stelle des Textes<br />

heißt.<br />

Vorstellungen von Kindheit, wie Wackenroder<br />

sie entfaltet, finden wir besonders auch bei<br />

Tieck und Novalis, aber auch bei Hölderlin. Für<br />

Novalis sind Kinder „voller Reichtum des unendlichen<br />

Lebens“, haben das „Gepräge einer wunderbaren<br />

Welt“. Wir finden in den Kindheitsbildern<br />

der Frühromantik (und auch später<br />

immer wieder) religiöse Züge, Reinheit, fast Verklärtheit,<br />

insgesamt gesehen eine hohe Idealisierung,<br />

dennoch sind diese Kindheitsbilder zugleich<br />

auch eine politische Projektion. Die Romantik<br />

um 1800 denkt progressiv; wenn sie mit den Kindern<br />

auf das Goldene Zeitalter hofft, dann versteckt<br />

sich dahinter eine politische Utopie, die<br />

Befreiung der Menschheit. Hölderlins Hyperion<br />

ist ein Freiheitskämpfer, und im gleichnamigen<br />

Roman von 1797 lesen wir: „Daß man werden<br />

kann wie die Kinder, daß noch die goldene Zeit<br />

der Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens<br />

und der Freiheit“. Hölderlin hofft auf den Frühling<br />

der veralterten, verwelkten Menschheit. Die<br />

Kinder als die Träger einer erhofften besseren<br />

Zukunft – auch diese Vorstellung wird bis in die<br />

Gegenwart hinein wiederkehren.<br />

Dieser Freiheitstraum der Zeit um 1800 weicht<br />

im weiteren Verlauf der Romantik und des Biedermeier<br />

der Enttäuschung, der Resignation, der<br />

politischen Restauration. Was von den Kindheitsbildern<br />

bleibt, ist gerade nicht ihr progressiver<br />

Anteil, wohl aber das Wunderbare, Engelhafte,<br />

das Idyllisch-Reine – dargestellt im abgeschirmten,<br />

unpolitischen Raum der biedermeierlichen<br />

Familie.<br />

Herder, der so vieles angeregt hat, hat schon<br />

1786 in seiner berühmten Vorrede zu Palmblätter<br />

(Exp.-Nr. 223–224) vieles von dem artikuliert,<br />

was wir bei den Romantikern finden. Schon<br />

für ihn sind, in einer Zeit der Hochkonjunktur<br />

aufklärerischer Pädagogik, Kinder der „Frühling<br />

des Lebens“, ein „Morgen voll schöner Bilder“,<br />

das „Paradies unschuldiger Hoffnungen und<br />

Wünsche“. „Die Seele eines Kindes ist heilig“.<br />

Kinder haben eine „jugendliche Einbildungskraft“<br />

und lieben den „Glanz des Wunderbaren“.<br />

Ihr reich entwickeltes Innenleben steht unter der<br />

Herrschaft der Fantasie, und daher setzt Herder<br />

DIE NATUR IM KÄFIG. KINDHEITSBILDER IN ALTEN KINDERBÜCHERN<br />

der öden Poesie- und Fantasiefeindlichkeit der<br />

Aufklärung gerade Poesie und Fantasie entgegen,<br />

weil sie in den Kindern selbst enthalten seien.<br />

Auch das Bild von der Knospe finden wir<br />

bereits bei Herder. Das Aufwachsen der Kinder<br />

soll dem organischen Gang der Natur folgen, der<br />

die inneren Anlagen entfaltet. Solches naturhaftorganisches<br />

Denken ist das Auffälligste in der<br />

Erziehungsvorstellung der Frühromantik. Eingriffe<br />

der Erziehung wären nur störend. Dem entspricht,<br />

dass die romantische Kinderliteratur keine<br />

Erziehungsliteratur ist; zum erstenmal wird die<br />

31<br />

Abb. 10<br />

Illustration aus Matthäi:<br />

Spaziergänge mit<br />

meinen Zöglingen<br />

Bd. 1–2 (1805–1806);<br />

Frontispiz aus Bd. 1 von<br />

Johann Heinrich Ramberg,<br />

gestochen von Johann<br />

Christian Böhme; Nr. 49.

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