VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
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32 Helm Speidel<br />
über die beteiligten offiziellen Stellen ihr „Gesicht wahren" mußten. Über die persönlichen<br />
Konsequenzen <strong>für</strong> die wirklichen Akteure war sich jeder klar.<br />
Die Verschwiegenheit wurde im Ministerium selbst fast zu einem Kult gestaltet.<br />
Auch in den unmittelbar beteiligten Dienststellen waren nur diejenigen Offiziere<br />
unterrichtet, deren Mitarbeit unbedingt benötigt wurde. Alle Fäden liefen in jener<br />
bereits erwähnten geheimen Zentrale <strong>für</strong> Rußlandangelegenheiten zusammen. Von<br />
ihr wurde — unter andern Aufgaben — auch der gesamte personelle und materielle<br />
Verkehr zwischen Deutschland und Rußland gesteuert. Diese Aufgabenstellung<br />
ging jedoch in der Praxis weit über die Möglichkeiten einer militärischen Kommandostelle<br />
hinaus, mußten doch sowohl zivile Behörden wie Verkehrsorganisationen,<br />
Firmen und Privatpersonen eingeschaltet werden.<br />
Als Aushilfe hatte die Zentrale in Berlin daher zwei als öffentlich-rechtlich eingetragene<br />
Handelsgesellschaften getarnte Außenstellen eingerichtet. Unter dem<br />
Deckmantel eines privatwirtschaftlichen Handelsverkehrs mit der Sowjetunion<br />
unterhielten diese „Firmen" die Verbindung mit der Gegenzentrale in Moskau<br />
(„Z. Mo."). Beide Stellen waren die eigentlichen Träger des gesamten Verkehrs<br />
über die Grenzen in beiden Richtungen.<br />
Vor allem die Materialtransporte hatten, besonders während der zeitlich<br />
gestaffelten Aufbauperioden der einzelnen Stützpunkte, einen ungeheuren Umfang<br />
angenommen. Bis zum letzten Nagel beruhte die Arbeit auf deutschem Import, da<br />
die Russen aus ihrem Lande nur das Rohbaumaterial lieferten (Stein und Holz).<br />
Doch machten Transporte solcher Art keine ernsthaften Schwierigkeiten. Anders<br />
verhielt es sich mit der alljährlichen Überführung von Ausbildungs- und Erprobungsmaterial<br />
von Deutschland nach Rußland und zurück. Mit dem wachsenden<br />
Umfang von Ausbildung und Erprobung nahmen diese Transporte immer größere<br />
Ausmaße an. Im gleichen Maße stiegen die Schwierigkeiten der Tarnung. Denn<br />
ein großer Teil des zu befördernden Materials trug mehr oder weniger deutlich<br />
militärischen Charakter. Die Steuerung dieser Transporte wurde daher im Zusammenhang<br />
mit den politischen und verkehrstechnischen Gegebenheiten zu einem<br />
besonders komplizierten Problem.<br />
Polen schied von vornherein als Durchgangsland aus. Für den Landtransport<br />
stand somit nur die Eisenbahnstrecke Königsberg-Kowno-Dünaburg-Smolensk—<br />
Moskau zur Verfügung. Sie führte durch Litauen und Lettland, was praktisch hieß,<br />
daß sie sechs verschiedenen Grenz- und Zollkontrollen unterlag. Diese waren möglichst<br />
zu vermeiden, nicht zum wenigsten auch — die deutschen. Infolgedessen beschränkten<br />
sich die Materialtransporte auf dem Landweg im wesentlichen auf<br />
solche Güter, die im Rahmen des normalen Warenaustausches zwischen Deutschland<br />
und Rußland im Transit durch zwei Zwischenstaaten noch unauffällig verfrachtet<br />
werden konnten.<br />
Der Luftweg kam nur <strong>für</strong> gelegentliche Transporte besonders hochwertiger<br />
Güter in Frage, da kein echter Lufttransportraum zur Verfügung stand. In erster<br />
Linie wurden die Maschinen <strong>für</strong> Ausbildung und Erprobung in größten Höhen und<br />
ohne Zwischenlandung in den Randstaaten überflogen.