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VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...

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Reichswehr und Rote Armee 33<br />

So lag der Schwerpunkt auf dem Seetransport, der freilich jahreszeitlichen<br />

Beschränkungen je nach der Eislage im Finnischen Meerbusen unterworfen war.<br />

Die Masse der Güter ging vom Freihafen Stettin nach Leningrad. Aber auch dieser<br />

Weg hatte seine Schwierigkeiten. Besonders geheimes und nicht zu tarnendes oder<br />

gefährliches Gerät wie Flugzeugbomben und sonstige Munition konnten nicht in<br />

Stettin verladen werden. Dieses Material wurde irgendwo auf kleinen Seglern, die<br />

mit Offizieren bemannt waren, verfrachtet, und „schwarz" über die Ostsee gefahren.<br />

Totalverluste waren dabei nicht zu vermeiden. Auf den Gegenkursen ergaben sich<br />

Schwierigkeiten anderer Art. So mußten z. B. die Särge mit den Leichen der in<br />

Lipezk abgestürzten Flieger in Kisten verpackt und als „Maschinenteile" deklariert<br />

werden. Sie wurden aus dem Freihafen Stettin mit Hilfe einiger ins Vertrauen gezogener<br />

Zollbeamter herausgeschmuggelt. Die illegale Seetransportorganisation der<br />

Reichswehr beschränkte sich jedoch nicht nur auf den Weg von Stettin nach Leningrad<br />

und zurück. Sie brachte es unter anderem auch fertig, Flugmotoren englischen<br />

Ursprungs aus Rußland zur Reparatur im Herstellerwerk nach England zu verschiffen<br />

und dort wieder abzuholen. Auch hierbei blieb die Tarnung gewahrt.<br />

Die Tarnung des personellen Verkehrs war ebenfalls bis ins Letzte durchorganisiert.<br />

Alle Offiziere, die zu längerem Aufenthalt nach Rußland reisten, wurden<br />

vorher mit ihrem Einverständnis verabschiedet und offiziell aus der Rangliste<br />

gestrichen. Niemand, auch nicht die nächsten Angehörigen, durften über die<br />

wahren Gründe des Ausscheidens und den neuen Beruf unterrichtet werden. Eine<br />

sorgfältig durchdachte und individuell gestaltete „Sprachregelung" stellte die Tarnung<br />

auf diesem Sektor sicher. Zwar war die Wiedereinstellung nach Rückkehr<br />

zugesagt, doch bestand kein gesetzlicher Anspruch dieser Art, keinesfalls konnte er<br />

mit rechtlichen Mitteln erzwungen werden; zumal dann nicht, wenn in der<br />

Zwischenzeit das Tarnungssystem etwa zerrissen worden sein sollte. Darin lag ein<br />

Teil des persönlichen Risikos, das zu übernehmen war.<br />

Die Reise erfolgte mit echten Pässen und gültigen Transitvisen. Nur die Namen<br />

und Berufsangaben waren falsch. Selbst die Kleidung war individuell festgelegt, um<br />

eine zu auffällige zivile Uniformität zu vermeiden. Die kleinen Gruppen von Reisenden,<br />

die stets mit dem Nordexpreß Paris—Riga fuhren, wurden bereits auf lettischem<br />

Boden in Dünaburg durch Organe des sowjetischen „Inturist" unauffällig<br />

betreut. Die Grenz- und Zollkontrolle auf der sowjetischen Grenzstation wurde bei<br />

den durch ein vorzüglich funktionierendes Meldesystem stets angekündigten<br />

Reichswehr-Reisenden höflich und großzügig durchgeführt. Diese privilegierte Behandlung<br />

stand in auffälligem Gegensatz zu der der spärlichen echten Zivilreisenden,<br />

welche den „Eisernen Vorhang" zu jener Zeit durchschreiten konnten.<br />

Die Rückreise erfolgte teils auf gleichem Weg, teils in größeren Gruppen auf<br />

sowjetischen kombinierten Fracht- und Passagierschiffen von Leningrad über die<br />

Ostsee. Dieser letztere Weg vermied zwar zwei Transitländer, barg aber andere<br />

Gefahren in sich, namentlich die Zoll- und Grenzkontrollen in den deutschen Häfen.<br />

Aber auch solche Schwierigkeiten wurden überwunden, indem man z. B. bei Nacht<br />

über die Dämme des Kaiser-Wilhelm-Kanals unbemerkt an Land ging.<br />

1 Zeitgeschichte 3

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