VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
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Zur Ermordung des Generals Schleicher 77<br />
Am 3. Juli wurde im Reichsgesetzblatt das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr<br />
verkündet (RGBl. I 529), in dem die zur Niederschlagung hochverräterischer<br />
Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli vollzogenen Maßnahmen als Staatsnotwehr<br />
<strong>für</strong> rechtens erklärt worden sind. Durch dieses Gesetz wurde der Staatsanwaltschaft<br />
jede Möglichkeit genommen, den Fall Schleicher weiter aufzuklären.<br />
Aus den Dokumenten selbst ergibt sich, daß der Assessor Dr. Grützner, unvoreingenommen,<br />
mit frischem Eifer die Ermittlungen zunächst durchzuführen gewillt<br />
war. Auch die polizeilichen Erhebungen am Tatort scheinen, wie sich aus den Vernehmungsprotokollen<br />
ergibt, zunächst durchaus vorschriftsmäßig vorgenommen<br />
worden zu sein. Daß die Mordkommission infolge des Alarms im Potsdamer Polizeipräsidium<br />
zunächst an der Abfahrt zum Tatort verhindert wurde, mag noch keinen<br />
Eingriff in das Ermittlungsverfahren bedeuten. Aber schon 21/2 Stunden nach dem<br />
Mord erfolgten die ersten Eingriffe. Der Polizeipräsident Graf Helldorf und der<br />
Regierungspräsident Fromm waren am Tatort erschienen. Grützner erfuhr, daß<br />
keine Vernehmungen gemacht werden sollten, sondern daß der ganze Sachbefund<br />
nur in Berichtsform niederzulegen sei. Die Kriminalpolizei erhielt Anweisung, sich<br />
zurückhaltend zu benehmen. Die protokollarischen Vernehmungen von Zeugen<br />
mußten eingestellt werden. Grützner sagt allerdings nicht, wer ihm diese Instruktion<br />
gegeben hat. Der Oberstaatsanwalt Tetzlaff, der wesentlich vorsichtiger als der<br />
Assessor Grützner war, lenkte in einem Gespräch mit Grützner zwischen 15.30 Uhr<br />
und 16.00 Uhr die Ermittlung in bestimmte Richtungen, nämlich die, daß Schleicher<br />
von Röhm-Anhängern, die sich von ihm verraten glaubten, ermordet worden<br />
sei. Die andere Version, die Grützner aufgebracht hatte, nämlich die Ermordung<br />
durch Anhänger des Regimes, verwarf der Oberstaatsanwalt. Es erschien ein SS-<br />
Kommando mit mehreren Krimmalbeamten vom Geheimen Staatspolizeiamt<br />
(Gestapo) unter SS-Sturmführer Meisinger. Dieser versuchte, Grützner an der<br />
Fortsetzung der Ermittlungen zu hindern. Ihm gegenüber setzte sich Grützner,<br />
dem inzwischen der politische Charakter des Mordes klar geworden war, dennoch<br />
durch. Der Oberstaatsanwalt, der durch diese Eingriffe und wahrscheinlich auch aus<br />
politischer Erfahrung unsicher geworden war, ob er die Ermittlungen fortsetzen<br />
sollte, andererseits pflichtgemäße Bedenken hatte, sie ohne weiteres einzustellen,<br />
ließ telephonisch durch den Assessor Grützner bei dem Staatsanwaltschaftsrat<br />
von Haacke von der Zentralstaatsanwaltschaft anfragen, ob diese die weitere Bearbeitung<br />
der Sache übernehmen würde. Diese Anfrage war berechtigt, da es ja<br />
gerade Aufgabe der Zentralstaatsanwaltschaft gewesen war, politische Strafsachen<br />
selbst zu bearbeiten. Haacke lehnte aber ab. Auch eine Obduktion der Leiche durfte<br />
nach seiner Anweisung nicht stattfinden. Gegen 18.30 Uhr fragte von Haacke bei<br />
der Staatsanwaltschaft in Potsdam, die ihm zwar nicht unterstand, der er aber die<br />
Ermittlung wegzunehmen in der Lage war, an, ob diese keine besonderen Anweisungen,<br />
also beispielsweise vom Justizministerium, vom Generalstaatsanwalt oder<br />
vielleicht auch vom Ministerpräsidenten Göring, erhalten habe. Haacke war wahrscheinlich<br />
um diese Zeit über die Zusammenhänge wesentlich besser orientiert als<br />
Tetzlaff und Grützner. Er wußte wohl auch aus Erfahrungen, daß die national-