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Die Gesellschaft wird mobiler VIEL STAUBWIRBEL UM DIE „STINKKARREN“ Als die ersten knatternden Benzinkutschen die Gegend unsicher machten, waren die staunenden Zuschauer am Straßenrand geteilter Meinung über diese technische Neuheit. Nicht lange zuvor hatte erst die Erfindung der Eisenbahn die Gemüter aufgewühlt: Zeitgenossen hielten Dampfrösser für gesundheitsschädlich, und Mediziner äußerten die Befürchtung, daß hohe Geschwindigkeiten Geistesverwirrungen auslösen könnten. Auch der Dichter Heinrich Heine war schockiert und philosophierte 1843: „Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig.“ Als die ersten überzeugten Automobilisten mit „ohrenbetäubendem Surren“ um die Jahrhundertwende ihre Ausflüge machten, waren zum Beispiel auch die Anwohner des Starnberger Sees alles andere als beglückt. Oskar Maria Graf erinnerte sich an die „noch ziemlich ungeschlachten Automobile“ dieser Zeit: „Sie wälzten daher wie polternde Ungeheuer, fuhren mit laut klopfendem Surren auf den Straßen dahin, stanken nach Benzin und wirbelten dicke Staubwolken auf. ... Kein Wunder, daß wir einem solchen Gefährt weit auswichen und es von der Ferne ängstlich und feindselig verfolgten.“ 1 Königin Victoria nannte im fernen England die ersten Automobile ein „sehr unruhiges und ganz und gar unangenehmes Beförderungsmittel“, und selbst Kaiser Wilhelm II. schmähte sie in Berlin als „Stinkkarren“. Das Interesse für das neue Gefährt war anfangs also alles andere als ermutigend. Und – sobald Autos schneller als 30 Kilometer in einer Stunde fuhren, war alles im Umkreis von 20 Metern mit Staub eingedeckt. Die angrenzenden Grundstücke verloren dadurch in den Anfangstagen des Automobils ganz erheblich an Wert, denn in den Augen der Zeitgenossen lärmte ein Automobil, verpestete die Luft und verschreckte Mensch und Tier. ES GABAUCH UNERSCHÜTTERLICHE Dennoch ließen sich die neuen Gefährte nicht aufhalten und wurden letztlich mehr und mehr akzeptiert. Sie boten nicht nur die Möglichkeit, (sich) zu repräsentieren, sondern man konnte zeigen, daß man das neue technische Zeitalter begrüßte. Dies tat auch der „Herr Kunstmühlbesitzer Rieger von Trostberg“, der „ein ganz neues Verkehrsungetüm“ aus der Motorenfabrik Daimler mit 90 Zentner Mehl testete. Die „Traunsteiner Nachrichten“ berichteten am 15. April 1899 über diese Sensation: „Bis zum Hilger Berg bei Unterneukirchen war die schwere Fahrt ohne Unterbrechung gelungen; „Besitzer scheuer und junger Pferde“ Als Carl und Berta Benz ihre ersten Testläufe um 1886 auf badischen Landstraßen machten, störten sie offensichtlich die beschauliche Gemächlichkeit zwischen Ochsenkarren und Fußgängern. Auch in den Ortschaften gab es Schwierigkeiten: Pferde scheuten, und die Bürger beschwerten sich über die laute, stinkende Belästigung. So wurden Auflagen gemacht: Für jeden Testlauf mußte erst eine Genehmigung eingeholt werden. Die Mannheimer spotteten über die „Chaisen“ ohne Pferde, die sie für ebenso nutzlos wie gefährlich hielten. 25
Ein vierzylindriger Horch um 1905 in „Wettfahrt“ mit einem Pferdefuhrwerk und im stolzen Profil. Der nicht mehr bekannte Besitzer war möglicherweise Teilnehmer einer Herkomer-Fahrt und hat die Aufnahmen dem Firmengründer und Mitstreiter Ernst Schoemperlen geschenkt. aber auf halber Höhe des Berges angekommen, versagten dem eisernen Zugtiere die Kräfte, so daß erst wieder Futter für dasselbe beigeschafft werden mußte. Nachdem das nötige Quantum Benzin angekommen war, konnte die Fahrt schon nach ein paar Minuten wieder fortgesetzt werden.“ Auch wenn schließlich die Fahrt ein vorzeitiges Ende fand, weil der Zapfen eines Rades brach, ließ sich der allgemeine Fortschritt nicht mehr aufhalten. 26 ODE AN DIE FREIHEIT Die neuen Fahrzeuge machen automobil „Die Eisenbahn hat aus dem Reisenden den Passagier gemacht, den Durchreisenden. Wir wollen nun aber nicht mehr an allen den Schönheiten vorbeifahren, für die der Fahrplan keine Haltestelle vorgesehen hat. Wir wollen wirklich wieder reisen, als freie Herren, mit freier Bestimmung, in freier Lust (...) An die Stelle des passiven Reisens tritt wieder das aktive.“ 2 Otto Julius Bierbaum, von dem diese euphorischen Worte stammen, war offen für die Segnungen der modernen Zeit – auch für die Erfindung des Automobils. So machte er sich denn 1906 im Laufwagen nach Italien auf. Seine Erlebnisse hielt er anschließend in einem Briefroman fest, der interessante Überlegungen über das Automobil an sich und den damit verbundenen Genuß, wenn man es denn benutzt, enthält.
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